Zwischen den Welten – Wolfszeit
Helmut Marischka
Alexander drehte sich um und lauschte in die Nacht hinein. Er und Sylvia wanderten schon seit geraumer Zeit durch den fremden Wald. Die Orientierung war selbst für sie schwierig. Von Zeit zu Zeit konnten sie das Heulen und Knurren von Wölfen vernehmen. Aber diese Geräusche schienen aus weiter Entfernung zu kommen. Der nächtliche Wald war ansonsten vollkommen still. Unnatürlich still.
„Wir sollten endlich herausfinden, wo wir uns eigentlich befinden“, erklang leise Sylvias rauchige Stimme. Alexander nickte nur. Sie betrachtete ihn misstrauisch von der Seite.
Es war immer noch Vollmond, aber er hatte sich bis jetzt nicht wieder verwandelt. Vielleicht war die Macht des Zaubers durch den Tod des fremden Hexers gebrochen worden?
Die Erinnerung an die vergangenen Ereignisse ließen sie immer noch innerlich erbeben.
Sie war von einem fremden Magier aus ihrer Wohnung entführt worden, während Alex noch schlief. Dann hatte man sie über den Friedhof in einen Wald geschleppt und dort auf einen Altarstein gebunden. Der Magier hatte irgendwelche Zauber an ihr erprobt, aber ihr Widerstand war zu groß gewesen. Was auch immer der Hexer vorgehabt hatte, es klappte nicht. Deshalb hatte er Alexander in eine Falle gelockt.
Die Bilder der vergangenen Nacht entstanden noch mal vor ihrem geistigen Auge.
Ein großer, kahlköpfiger Mann war lautlos aus dem Schatten einer Tanne getreten. Sein Gesicht war mit blauen und roten Tätowierungen überzogen. Seine kleinen, schwarzen Augen waren aufgeblitzt und sein Mund hatte sich zu einem triumphierenden Grinsen verzogen.
„Wer bist du? Was soll das alles?“, hatte Alexander gefragt.
„Deine Herrin hier ist sehr widerspenstig. Aber nun bist ja du hier. Ich bin dein neuer Anführer, Herr ... Leitwolf.“
Der tätowierte Mann hatte die linke Hand gehoben, in der sich eine Wolfspfote befand und hatte nur ein einziges Wort gesagt: „Lunae.“
Alexander hatte sich daraufhin verändert, wurde zum Wolf, zum Werwolf. Doch plötzlich war Alex, oder das was aus ihm geworden war, herumgefahren und hatte den Tätowierten angegriffen. Der fremde Zauberer war unter den Fängen des von ihm erschaffenen Monstrums gestorben. Sylvia hatte an Flucht gedacht, aber dafür war es zu spät gewesen. Der Wolf war gesprungen und hatte Sylvia mit vehementer Gewalt von dem Langstein herunter gerissen. Sein geöffnetes Maul mit den fingerlangen Zähnen, war über ihrem Gesicht verharrt. Die Vampirin hatte ihre Hände ins dichte Fell nahe seinem Hals gekrallt. Sie hatte gewusst, dass selbst sie seiner titanischen Kraft nicht hätte standhalten können. Doch plötzlich hatte sich sein Knurren in ein Winseln gewandelt, er hatte ihr über das Gesicht geleckt und von ihr abgelassen.
Kurze Zeit später hatte die Rückverwandlung eingesetzt. Der Alex, den sie kannte, war auf dem Boden vor ihr gesessen. Sie hatte den tätowierten Mann untersucht, ihm die seltsame Wolfspfote aus den starr werdenden Händen gezerrt und sie heimlich in die Überreste ihres Kleides gesteckt. Sie hatten sich beide nur notdürftig bedecken können, da ihrer beider Kleidungstücke bei dem vorangegangenen Ereignissen zerrissen worden waren.
Aber das war für den Moment unwichtig. Viel wichtiger wäre gewesen, herauszufinden wo sie sich befanden und wie sie wieder nach Hause kommen könnten. Oder zumindest in zivilisierte Gegenden.
„Ich begreife das nicht“, flüsterte Alexander. „Ich war mir sicher, den Eingang zur Höhle und somit zu der magischen Pforte wiederzufinden. Aber er ist nicht mehr hier.“
Sylvia fluchte wenig damenhaft. „Dann müssen wir eben zu Fuß von hier verschwinden.“
Wieder durchschnitt ein Heulen die Stille der Nacht.
„Sie kommen näher“, bemerkte Alexander.
„Wer sind sie?“, fuhr Sylvia ihn an. „Denkst du, es ist das Gefolge dieses Zauberers? Oder weißt du mehr?“
Alexander wandte den Kopf und warf ihr einen merkwürdigen Blick zu, den sie nicht deuten konnte.
„Spürst du sie etwa?“, fragte sie und beobachtete ihn aufmerksam.
Er schüttelte langsam den Kopf, schien in sich hineinzulauschen und schüttelte abermals sein Haupt.
„Nein. Du brauchst keine Angst vor mir zu haben. Ich spüre nichts in mir. Der Zauber des Glatzkopfes wirkt nicht mehr. Und außerdem habe ich dir selbst in Wolfsgestalt nichts getan.“
Sylvia nickte und strich ihm sanft über den Arm.
„Ich weiß, aber wir sind geschwächt und ohne Nahrung werden wir einen Kampf nicht überstehen.“
Statt zu antworten, nahm Alexander sie an der Hand und verfiel in einen Trab, der immer schneller wurde. Bis sie schließlich wie zwei blasse Schemen durch die Schatten der Bäume huschten.
Sie fanden bis zum Ende der Nacht keinen Ausweg. In einer halb zerfallenen Holzfällerhütte machten sie Rast – überdauerten den Tag. In der nächsten Nacht, der Mond fing an abzunehmen, stießen sie auf eine Straße. Irgendwann kam ein einsames Auto den Weg entlang und nahm sie in die Stadt mit.
Sie ließen sich bis zu Sylvias Domizil bringen, erfrischten sich und kleideten sich um. Dann nahm Sylvia ihr Telefon zur Hand und wählte eine eingespeicherte Nummer. Nach langem Warten, legte sie wieder auf.
„Hmm“, machte sie. „Das ist ungewöhnlich. Irgendjemand sollte an den Apparat gehen. Normalerweise lässt Erasmus doch seine Telefone rund um die Uhr besetzen.“
Alexander runzelte die Stirn und nickte.
„Aber es ist zu spät, um jetzt noch persönlich zu Erasmus zu gehen“, sagte er nach einen Blick zum Fenster. „Und hier fühle ich mich nicht sicher. Nach den Ereignissen der letzten Zeit.“
Sylvia stimmte ihm zu. Sie verließen ihre Wohnung und fuhren in ein kleines Hotel, von dem sie wussten, das dort keine überflüssigen Fragen gestellt wurden.
Als sie erwachten lag draußen Schnee. Es schneite immer noch und die Schneedecke war, selbst hier in der Stadt, über fünf Zentimeter hoch.
„Nun, wie lautet unser Plan?“, fragte Alexander.
„Wir gehen zu Erasmus’ Haus und sondieren zuerst die Lage. Wenn er da ist, dann sprechen wir mit ihm“, schlug Sylvia vor. Alexander brummte zustimmend. Zuerst jedoch fuhren sie zurück zu Sylvias Wohnung, um sich dort neu einzukleiden und mit Waffen zu versorgen.
Sylvia bemerkte es zuerst. Irgendetwas schien nicht in Ordnung zu sein. Erasmus’ Anwesen lag vollkommen still und unbeleuchtet inmitten des riesigen Gartens. Alles war von weißem, puderigem Schnee bedeckt. Sie blieben an der schmiedeeisernen Pforte stehen. Selbst hier war niemand. Keine Wache, kein anderer Bediensteter. Erasmus’ hatte sein Domizil in all den Jahren nie unbewacht zurückgelassen. Irgendetwas musste geschehen sein. Irgendetwas, dass selbst den nächtlichen Souverän der Stadt in Gefahr gebracht hatte. Es gab nur zwei Möglichkeiten: Entweder er war mitsamt seinem Gefolge geflohen oder er war tot.
Vorsichtig schlichen Sylvia und Alexander durch den frischen Schnee. Keine anderen Fußabdrücke waren auszumachen. Es hatte sich niemand durch das Gelände bewegt. Zumindest seit einem Tag nicht mehr. Am Haus angelangt, bemerkten sie, das die Eingangstür nur angelehnt war. Nun zogen sie ihre Waffen. Beide hielten in der linken Hand eine kleine Schnellfeuerwaffe, eine Uzi 9mm. Mit der Rechten hatten sie jeweils ein kurzes Samuraischwert, ein Wakizashi, gezogen.
Als sie das Tor des Hauses aufstießen, lag die Eingangshalle still und dunkel vor ihnen. Schnee war durch den Spalt hereingeweht worden und bildete ein feine silberne Spur, die sich in unsichtbare Nässe verwandelte, je weiter sie in das Haus eindrangen. Plötzlich konnten sie ein kurzes, dumpfes Stöhnen von oben vernehmen. Beide verhielten alarmiert. Dann setzten sie ihre Kräfte ein und huschten die gebogene Treppe in den ersten Stock hinauf. Dort angekommen, postierten sie sich zu beiden Seiten der Tür, die in die Bibliothek führte. Der Teil des Raumes den ihre, an Dunkelheit gewöhnten, Augen sahen, bot einen Anblick der Verwüstung. Tische und Sessel waren umgestürzt. Bücher lagen zerrissen und zerfleddert auf dem Parkettboden. Eine einzelne schwache Lichtquelle spendete diffuses Licht in der hinteren Ecke des Zimmers. Plötzlich entfuhr Alexander ein zischendes Keuchen. Er deutete mit der Spitze des Schwertes in eine Richtung. Sylvias Blick folgte seiner Bewegung. Auch ihre Augen weiteten sich erschrocken. Dort an der Wand, über dem Kamin hing eine Gestalt. Ihre Kleider waren zerfetzt. Gehalten wurde sie von vier massiven Holzpflöcken. Jeweils zwei in den Händen und zwei in den Füßen. Ein riesiger dunkler Fleck war auf ihrer nackten Brust zu erkennen.
„Amadeus“, flüsterte Sylvia. Alexander sog scharf die Luft ein.
„Vorsicht“, rief er und wurde auch schon von einem knurrendem Schemen umgerissen. Die beiden Gestalten rollten in die Bibliothek hinein. Ein zweifacher Aufschrei erklang. Sylvia hob die Uzi, konnte jedoch nicht einfach in das Knäuel aus Leibern hineinfeuern, ohne Alexander zu treffen. Dann war es zu spät. Die Tür wurde mit vehementer Gewalt zugeschmettert und traf Sylvias Waffenarm. Die Uzi klapperte, als sie zu Boden fiel. Ein einzelner bellender Schuss löste sich. Sylvia taumelte zurück. Im gleichen Moment wurde die Tür wieder aufgerissen und ein riesiger Werwolf sprang in ihre Richtung. Doch sie stand schon nicht mehr da, sondern hechtete unter dem Ungetüm hindurch, in die Bibliothek hinein. Als sie wieder hoch federte, wurde sie der anderen beiden Gestalten gewahr, die in den Ecken des Raumes lauerten. Ein Mann und eine Frau. Bei beiden setzte in diesem Augenblick die Metamorphose ein. Vier Werwölfe. Das waren der Gegner zu viele. Sylvia fletschte die Zähne und fauchte einen Fluch. Es war eine Falle gewesen. Warum hatten ihre Instinkte sie nicht früher gewarnt? Die Wölfe hätten sie schon weitaus eher bemerken müssen. Irgendjemand oder irgendetwas anderes als die Wölfe, musste hier die Hände im Spiel haben. Aber nun war keine Zeit mehr für müßige Gedanken. Die Vampirin zirkelte herum und empfing den Wolf, der sich wieder in den Raum stürzen wollte, mit einem harten Fußtritt. Ein silbernes Schemen zerteilte die Luft. Der Gegner heulte auf und taumelte zurück. Eine klaffende Wunde verlief quer über seine behaarte Brust. Diese Verletzung war für einen Werwolf mit seinen fantastischen Regenerationskräften, auf gar keinen Fall tödlich, aber sie würde ihn einige Sekunden beschäftigen. Hinter ihr erklang das trockene Husten von Alexanders MP. Diese Waffe war gegen diese Angreifer so gut wie nutzlos. Die Kugeln waren nicht aus Silber. Bestenfalls die kinetische Energie der Kugeln konnte den Wolf für kurze Zeit ablenken. Die Verwandlung der beiden anderen Gegner war vollendet und sie setzten zum Angriff an. Einer plötzlichen Eingebung folgend riss Sylvia die seltsame Pfote aus ihrer Hosentasche und schrie: „Lunae.“
Alexander knurrte. Sylvia konnte nicht sehen, ob ihre Verzweiflungstat irgendetwas genützt hatte. Jetzt musste sie den Klauen und Zähnen von gleich zwei Wölfen ausweichen.
Sie setzte ihre vampirische Geschwindigkeit ein, um aus dem unmittelbaren Gefahrenbereich zu kommen. Die Werwölfe waren fast genauso schnell. Sie kamen ihr hinterher und griffen gleichzeitig an. Sylvia sprang in die Höhe und rammte ihr Wakizashi mit Macht nach unten. Ein Wolf heulte schmerzerfüllt auf. Der andere bekam sie am Bein zu fassen und riss sie mit sich zu Boden. Seiner gigantischen Kraft hatte sie nichts entgegen zusetzten. Die Klauen bogen ihren Kopf nach hinten. Der geifernde Rachen, mit den dolchartigen Zähnen näherte sich ihrer Kehle. Doch plötzlich wich das Gewicht von Sylvias Brust. Ein anderer behaarter Körper hatte ihren Gegner von ihr heruntergerissen. Sylvia blieb keine Zeit, um nachzudenken. Die rollte herum, sah die Wölfin vor sich liegen, die verzweifelt versuchte das Schwert zwischen ihren Schulterblättern herausziehen und sprang. Sie landete auf dem Rücken der Wolfskreatur, riss ihr Schwert heraus und schlug mit aller Kraft zu. Der behaarte Wolfskopf kullerte zur Seite, eine Blutfontäne schoss aus dem Halsstumpf. Dann erschlaffte der kopflose Körper. Die Vampirin keuchte und wirbelte herum. Nur noch ein Wolf stand über den blutigen Überresten, der beiden anderen Gegner. Wo war der Vierte? Sylvia entdeckte ihn hinter einem umgestürzten Sofa. Er bewegte sich nicht. Der andere Wolf knurrte und heulte seinen Triumph heraus. Er sah furchterregender aus als alle anderen.
Sein schwarzes Fell war von Fellstücken und Blutspritzern übersät. Seine rötlich loderten Augen richteten ihren Blick auf Sylvia. Sie hob beruhigend die freie Hand.
„Alex. Ich bin es. Sylvia. Friede. Der Kampf ist vorüber“, sagte sie leise und legte all ihre suggestiven Kräfte in diese Aussage hinein. Der Vampir-Werwolf blinzelte. Dann schüttelte er sich und ließ sich auf alle Viere nieder. Langsam kam er näher. Sylvia knirschte vor Anspannung mit den Zähnen. Der Wolf sog die Luft mit einem scharfen Geräusch ein. Dann rieb er wie eine Katze seinen Kopf an Sylvias Schenkel. Sie streckte die Hand aus und kraulte ihn sanft zwischen den Ohren.
„Guter Alex. Guter Wolf“, murmelte sie mehrmals. Wie sollte sie Alexander jetzt wieder in seine ursprüngliche Gestalt zurückverwandeln? Ein neuerliches Stöhnen lenkte ihr Aufmerksamkeit auf Amadeus, der immer noch an der Wand über dem Kamin hing. Alex knurrte bedrohlich. Sylvia versuchte den Wolf zu beruhigen und eilte auf den gekreuzigten Vampir zu.
„Amadeus, wer hat dir das angetan?“, fragte sie während sie einen der Sessel heranzog, um besser an den Mann heranzukommen. Amadeus öffnete den Mund, ein Schwall Blut kam daraus hervor. Er sagte etwas Undeutliches.
„Warte, ich hole dich dort herunter“, rief Sylvia. „Wer steckt bloß hinter all diesen Taten?“
Diese Frage war jedoch rein rhetorischer Natur, wusste sie doch, dass die von Amadeus noch keine brauchbare Erklärung erwarten konnte. Als Sylvia auf den Sessel steigen wollte, knurrte der Alexwolf wieder laut und drohend. Dann erklang ein lautes Donnern und Amadeus’ Kopf verwandelte sich in eine blutig Masse. Sylvia sprang vom Sessel und wirbelte herum. In der Türe stand ... Erasmus, der Anführer des Vampirclans der Stadt. Sylvias Mund öffnete sich, aber kein Ton kam über ihre Lippen. Der alte Vampir hielt eine riesige Schrotflinte im Arm, deren Lauf noch qualmte. Er senkte die Waffe und zuckte mit den Schultern. Es sah fast so aus, als wollte er sich entschuldigen. Alex knurrte lauter. Sylvia sah wie sich sein Körper anspannte.
„Alex, warte“, rief sie. Der Wolf warf ihr einen kurzen Blick zu und verharrte tatsächlich.
„Erasmus, was soll das alles?“
Der schmalschultrige Mann zuckte abermals mit den Schultern. Sein herbes Gesicht, mit der Adlernase, dem schmallippigen Mund und den stechenden grünen Augen verriet keine Regung. Er blickte von Sylvia zu dem Wolf und strich sich eine Strähne seines langen, grauen Haares aus den Augen.
„Alles muss einmal ein Ende haben, Sylvia.“ Erasmus Stimme war tief und wohlklingend. „Die Regentschaft der Vampire hier ist vorbei. Seit vier Jahrhunderten weile ich in dieser Stadt und nun bin ich der Spiele leid.“
Sylvia schüttelte ungläubig den Kopf. „Was meinst du damit? Sollen die Wölfe die Herrschaft über die Stadt antreten? Was verbindet dich mit ihnen? Du bist doch einer von uns!“
Erasmus lachte verhalten. „Vampire, Wölfe, das ist mir einerlei. Ich bin keiner von euch. Nicht immer zumindest. Ich kam hierher bevor es überhaupt eine Stadt gab. Zu dieser Zeit lebte ich als Wolf unter Wölfen. Dann kamen die Menschen und mit ihnen ihr, die Vampire. Aus einem Hof wurde ein Dorf. Aus einem Dorf eine Stadt, die immer größer wurde. Ich entschloss mich in die Stadt zu ziehen, entmachtete den damaligen Vampirfürsten Hakon und wurde zu Erasmus. Erst viele Dekaden später kamst du aus dem Süden hierher, Sylvia.“
„Aber du herrscht schon seit dem 16. Jahrhundert hier. Warum willst du jetzt alles beenden?
Warum tötest du Vampire? Und was bist du eigentlich?“
„Das was ihr als lange Zeit anseht, ist für mich nur ein Tag. Sylvia, ich lebe schon so lange auf dieser Welt, dass ich den Urvater der Vampire gekannt haben könnte.“
Die Vampirin hob unwillig die Augenbrauen. „Bitte keine Rätsel und keine Haarspaltereinen. Kanntest du den ersten Vampir?“
Erasmus schüttelte den Kopf. „Nein. Damals suchte jeder nach einem Sinn. Einem Sinn hinter dem Dasein. Aber das würde jetzt zu weit führen ...“
Ohne Vorwarnung sprang der Wolf Erasmus an und riss ihn zu Boden. Der mächtige Kiefer schnappte zu. Die Zähne des Wolfes krachten mit einem lautem Geräusch aufeinander. Wolf und Vampirin starrten verdutzt auf die leere Stelle unter Alexander. Ein leises Lachen erklang von der hinteren Ecke des Raumes.
„Damit habe ich gerechnet, Alexander. Wir sollten uns zivilisiert benehmen.“
Erasmus murmelte und plötzlich verwandelte sich Alexander zurück in einen Vampir.
„Was bist du?“, krächzte jetzt auch Alexander.
„Ich bin ein Metamorph, ein Hengeyokai, ich habe viele Namen, doch meine Gestalt kann ich frei wählen. Da ich mich entschlossen habe dieses Spiel hier zu beenden, sollte ich nun gehen.“ Alexander sprang auf und suchte mit seinen Blicken nach seinem Schwert, Sylvia spannte sich an und wartete auf den Angriff, bereit ihr Dasein so teuer wie möglich zu verkaufen. Sie wussten beide, dass sie gegen dieses Wesen denkbar schlechte Chancen haben würden. Doch Erasmus winkte mit einer fast fröhlichen Geste ab.
„Ich bin des Tötens müde. Sylvia. Dich habe ich immer gemocht. Du bist beindruckend schön und intelligent. Und dein Kind und Liebhaber, Alexander, ist jetzt etwas Neues. Ein Vampir, der zum Werwolf wird. Oder umgekehrt?“ Erasmus lachte.
„Verrückte Welt“, seufzte er. „Seht zu, was ihr aus dieser Situation machen könnt. Ich übergebe dir hiermit die Regentschaft über diese Stadt, Sylvia.“ Er lachte wieder, wandte sich um und ging einfach zur Tür hinaus.
„Vielleicht sieht man sich irgendwann wieder“, rief er vom Flur noch herein.
Tag der Veröffentlichung: 12.12.2008
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