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Schneesturm in Weihenklamm
Helmut Marischka

Der Winter war in diesem Jahr unerwartet früh hereingebrochen. Das Schneetreiben hatte sich innerhalb der letzten Stunde zu einem Blizzard entwickelt, der mit vehementer Gewalt über das Land fegte. Die einsame Gestalt stemmte sich mit aller Kraft gegen die Naturgewalt und stapfte beinahe blind voran. Selbst die dicken Pelze konnten sie auf Dauer nicht gegen die eisigen Temperaturen schützen. In diesem Chaos aus wirbelnden Schneeflocken und stechenden Eiskristallen, war eine Orientierung fast unmöglich. Der Wald hätte ein wenig Schutz geboten, allerdings hatte sie ihn schon vor über einer Stunde verlassen. Ein Umkehren war sinnlos. Wahrscheinlich genauso sinnlos wie das sture Voranwanken in dieser eisigen Urgewalt. Noch ein Schritt. Mittlerweile waren einige der Schneeverwehungen fast hüfthoch. Noch ein Schritt. Eine Titanenfaust aus Wind und Eis schmetterte die Gestalt zu Boden. Die Welt bestand nur noch aus eisigem Weiß. Sie wusste nicht mehr, wo oben oder unten war. Nach Luft schnappend wälzte sie sich herum. Mit immenser Willensanstrengung zwang sie sich in eine kniende Position. Eine neuerliche Sturmböe trieb die dicken Schneeflocken vor ihr auseinander. Ein krächzender Schrei entrang sich ihrer Kehle. Für einen kurzen Moment war in all dem Weiß eine dunkle Silhouette zu sehen gewesen. Die Burg. Mit neuer Hoffnung rappelte sie sich hoch und stapfte geduckt weiter. Nach schier endloser Zeit erreichte sie den gewundenen Pfad, der zur Vorburg und dem Wachhaus führte. Der Weg führte steil bergan und war nicht leicht zu erklimmen. Mehrmals rutschte sie aus und musste auf allen Vieren weiterkriechen. Endlich am Tor angekommen, stellte sie fest, dass der Sturm auch hier seine Spuren hinterlassen hatte. Das massive Holztor war aus den Angeln gebrochen und hing schief in der Toröffnung. Trotzdem bot sich ihr hier endlich Schutz vor den eisigen Orkanböen, und sie konnte einige Augenblicke verschnaufen. Die Vorburg war verlassen. Kein Mensch und kein Tier waren zu finden. Sie ging weiter und durchquerte das ebenfalls offene Tor zur Brücke, die zur Hauptburg führte. Hier war sie den Naturgewalten wieder schutzlos ausgeliefert. Der Abgrund unter der Brücke war sicherlich einige Dutzend Schritt tief. Ein Sturz über das niedrige Brückengeländer würde mit Sicherheit tödlich sein. Mit der Hoffnung auf Schutz und Sicherheit, stapfte sie auf die Brücke hinaus. Der Wind zerrte an ihr und brachte sie ins Taumeln. Als sie noch fünf Schritt vom Ende der Brücke und dem Tor zum Burghof trennten, ertönte hinter ihr ein lautes Krachen und Splittern, das sogar das Heulen des Sturmes übertönte. Erschrocken wirbelte sie herum. Einige der Balken hatten nicht mehr standgehalten. Der ganze hintere Teil der Konstruktion war weggebrochen. Die Holzbohlen verschwanden bereits in der weiß durchwirbelten Kluft unter ihr. Die ganze verdammte Brücke würde einstürzen. Sie warf sich herum, kam ins Schlittern und fing sich ab. Dann sprang sie mit letzter Kraft, um den Absatz des Tores zu erreichen. Wieder krachte es hinter ihr. Der Torflügel wurde aufgerissen und zwei starke, behandschuhte Hände legten sich um ihre Handgelenke und zogen sie nach innen.

Trotz des Schneesturms, der mit unverminderter Wucht tobte, war die große Halle warm und behaglich. Im Kamin prasselten die Holzscheite, überall brannten Kerzen und Fackeln, und am vorderen Ende des Raumes waren zwei Kohlebecken aufgestellt worden, die zusätzlich Wärme verbreiteten. Der Neuankömmling war eine Frau von vielleicht 25 Sommern. Sie war von kleiner Statur und hatte dunkelblonde, halblange Haare und braune Augen. Ihre Nase war noch rot und die Lippen blau von der Kälte, die sie im Sturm hatte ertragen müssen. Sie saß in dicke Decken gehüllt in einem Sessel direkt vor dem Kamin. Die Kräuterfrau aus dem Ort – Liliane - reichte ihr heißen Tee, den sie dankend, mit immer noch zitternden Händen, entgegen nahm. Liliane, eine Frau, von annähernd 40 Jahren, hatte langes braunes Haar mit schwarzen Strähnen. Ihre grünen Augen blickten die junge Frau durchdringend an.
„Was denkt Ihr Euch dabei bei diesem Sturm mutterseelenallein durch die Gegend zulaufen? Und wer seid Ihr überhaupt?“, fragte sie.
„Ich ... Ich bin Simiona von Dreiquellen und sollte dem Herrn Baron eine wichtige Nachricht überbringen.“ Sie räusperte sich und schauderte merklich. „Ich wurde von dem Unwetter vollkommen überrascht.“
Ein hochgewachsener, breitschultriger Mann mit militärischen Kurzhaarschnitt trat hinzu, beugte sich leicht nach unten und sagte: „Da könnt Ihr aber von Glück reden, dass ich im richtigen Moment zur Stelle war, um Euch von der maroden Brücke zu retten.“
Simiona seufzte. „Ihr wart das. Meinen innigsten Dank, mein Herr.“
Der Mann richtete sich auf. „Keine Ursache, meine Dame. Verzeiht, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Baldur Otterstein, Hauptmann der Wache.“ Baldur verzog sein jungenhaftes Gesicht zu einem Lächeln, das jedoch seine blauen Augen nicht erreichte. Er trat einen Schritt zu Seite, als hinter ihm eine tiefe Stimme ertönte.
„Wenn man schon dabei ist. Borolosch, Sohn Dogomirs. Seid gegrüßt, Frau von Dreiquellen.“ Ein breitschultriger, schwarzhaariger Zwerg, mit gleichfarbigem, langen Bart und grauen, stechenden Augen trat in Simionas Blickfeld. Am ganzen Körper trug er Kleidungsstücke aus rotbraunem Leder. Simiona lächelte. „Seid gegrüßt, Herr Borolosch“, gab sie artig zurück. „Ein leichtsinniges Gebaren habt Ihr an den Tag gelegt, werte Frau. Bei solch einem Wetter sollte ein junges Menschenkind zu Hause bleiben“, fuhr der Zwerg tadelnd fort. Die Außentür ging auf und ließ einen Schwall eiskalter Luft, eine Wolke von Schneeflocken und zwei Personen herein. Die beiden stampften mit den Füssen, um den Schnee abzuklopfen und zogen ihre schweren Kapuzenmäntel aus. Der Mann war Mitte dreißig, hatte halblange, dunkelbraune Haare und grünbraune Augen. Er war groß und athletisch gebaut. Seine Kleidung bestand aus teuerem Material. Feinstes Leder und bester Samt. Die Frau war etwas über einen Schritt und drei Spann groß, hatte lange hellblonde Locken und ein Engelsgesicht mit großen braunen Augen. Trotz der Witterung trug sie ein dunkelblaues Samtkleid, dass ihr ansehnliches Dekolteé betonte. Baroness Nalina von Weihenklamm und ihr Schwager Darian hatten soeben die große Halle betreten. Darian war der jüngere Bruder Ugos, des Barons von Weihenklamm. Beide nickten den Anwesenden zu und begaben sich zum Kamin, um sich die Hände am Feuer zu wärmen.
„Willkommen allerseits“, begann die Baroness. „Ich bin froh, dass unser Hauptmann Euch noch rechtzeitig aus dem Sturm geholt hat“, wandte sie sich an Simiona. Hauptmann Baldur stellte die Herrschaften und Frau von Dreiquellen einander vor.
„Gütige Götter. Das heißt also, dass wir hier ohne einen einzigen Bediensteten eingeschlossen sind. Wir haben allen gestern für das Winterdorffest freigegeben“, sagte Nalina, nachdem Baldur und Simiona vom Einsturz der Brücke berichtet hatten.
„Vorräte haben wir genug für den ganzen Winter. Wir werden uns eben selbst versorgen müssen, bis wir eine provisorische Brücke errichtet haben“, warf Darian mit dunkler, sonorer Stimme ein. Nalina warf ihm einen seltsamen Blick zu. War sie wegen der Situation, in der sie sich befanden verunsichert? Kurz presste sie ihre vollen Lippen aufeinander, dann jedoch lächelte sie ihre Gäste an.
„Es tut mir leid, werte Besucher, aber mein Mann lässt sich für heute Abend entschuldigen. Er fühlt sich unpässlich. Ich hoffe er kann alle Anliegen, eurerseits dann Morgen entgegennehmen“
„Der Herr Baron scheint ernsthaft krank zu sein, wenn er sich schon seit drei Abenden unpässlich fühlt“, brummelte Borolosch in seinen Bart, wandte sich ab und holte seinen großen Zinnkrug.
„Kann ich, oder Darian, Euch vielleicht weiterhelfen, Frau von Dreiquellen? In welchern Angelegenheit wolltet Ihr den Baron sprechen?“, fragte Nalina. Simiona schüttelte den Kopf. „Danke, aber ich soll diese Nachricht dem Baron persönlich überbringen. Es geht um seine Neuerwerbung Gut Dreiquellen.“ Nalina nickte nur. Darian zog die Stirn kraus, sagte aber nichts. Liliane, Darian und die Baroness kümmerten sich um das Abendbrot. Und kurze Zeit später saßen alle um den Kamin herum und erzählten sich, bei Met und Wein Geschichten aus aller Herren Länder. Zimmer standen für alle Gäste zur Verfügung. Allerdings musste jeder selbst einheizen, um nicht in der Nacht zu frieren. Draußen tobte der Sturm unvermindert weiter.

Simiona war erschöpft, doch sie schaffte es, sich wach zu halten. Gegen die elfte Stunde zog sie ihre Pelzjacke an und verließ heimlich ihr Zimmer, das im ersten Stock des Gästehauses lag. Unter ihr, im Erdgeschoss, hatten Liliane und Borolosch je ein Zimmer bezogen. Sie musste ins Herrenhaus, in dem sich das Arbeitszimmer des Barons befand gelangen. Dort hoffte sie das zu finden, was sie suchte. Den endgültigen Beweis. Was sie dann tun würde, wusste sie selbst noch nicht genau. Der Baron jedenfalls durfte nicht ungeschoren davon kommen. Leise stieg sie die Stufen hinab. Nur das gedämpfte Heulen des Windes war zu hören. Sie musste den Innenhof überqueren, um das Herrenhaus, am nördlichen Ende der Burg, zu erreichen. Draußen wirbelten die Schneeflocken noch immer wild durcheinander. Obwohl der Hof von allen Seiten geschützt war, fuhren häufig starke Böen herein und bliesen Schnee und Eis gegen die Gebäudefronten. Trotz des Unwetters war es ungewöhnlich hell. Der Schnee reflektierte den Schein des Vollmondes, obwohl er durch die dichten Unwetterwolken verdeckt war. Simiona öffnete die Tür einen Spalt und spähte hinaus. Am Wachhaus bewegte sich eine Gestalt. Das konnte nur der Hauptmann sein. Ein fahler Lichtschein fiel in den Schnee, dann schloss er die Tür hinter sich. Nun war der Innenhof leer. Simiona spurtete los. Ihre Spuren würden bei dem starken Schneefall nicht lange zu sehen sein. Sie hatte kaum die Mitte des Hofes erreicht, als sie erstarrte. Ein grauenvoller Schrei durchschnitt die weiße, wattige Dunkelheit. Dann Stille, gefolgt von einem schauerlichen, langgezogenen Heulen. Ein Wolf? Hier auf der Burg oder kam das Heulen aus dem Tal? Es hatte unheimlich nah geklungen. Hektisch blickte Simiona sich um. Ihr Atem ging stoßweise und bildete kleine Wölkchen in der kalten Nachtluft. Sie lief weiter. Die Tür zum Haus war unverschlossen. Was hatte ihr Informant gesagt? Das Arbeitszimmer und die Bibliothek sind im Erdgeschoss, die Schlafräume der Herrschaften im ersten Stock. Kaum hatte die junge Frau Atem geholt, als sie jemand die Treppe herunter kommen hörte. Sie schlich nach links und presste sich neben einem Kerzenständer gegen die Wand. Es war der Zwerg. Er stieg bemüht leise die Treppen herab, öffnete die Tür und verließ das Haus. Simiona wartete einige Augenblicke und schlich sich zu der Tür rechts von ihr. Dies musste das Arbeitzimmer sein. Ein eisiger Schreck durchfuhr sie, als eine weitere Tür, die zur Waffenkammer, direkt vor ihr geöffnet wurde. Sie verharrte im Schatten. Nur kurz konnte sie die Silhouette einer Frau erkennen, dann wurde die Tür wieder geschlossen. Sie fluchte lautlos. Schlief denn in dieser verflixten Burg niemand? Endlich konnte sie das Arbeitszimmer betreten. Nach langem Suchen wurde sie fündig. Das war der Beweis. Sie hatte es gewusst. Der Baron war der Schuldige. Jetzt würde er für alles bezahlen müssen.

Als Borolosch den Weg zurück zum Gästehaus einschlug, blies ihm der Wind die Eiskristalle ins Gesicht. Er wischte sie hastig beiseite. Was war denn das? Ein Mann trug eine Frau, die in eine Decke gehüllt war, eilig durch das Schneetreiben in Richtung des Herrenhauses. Die Frau musste unter dem wollenen Umhang nahezu unbekleidet sein. Der Zwerg glaubte ein nacktes Bein und einen unbedeckten Busen sehen zu können. Wer war das? Die Baroness und ihr Schwager Darian? Und schimmerte da nicht etwas nass und rötlich? Blut?

Am nächsten Morgen hatte sich der Sturm ein wenig beruhigt. Es schneite noch immer unvermindert. Der orkanartige Wind jedoch, war einer stetigen Brise gewichen. Nalina, Baroness von Weihenklamm, betrat die große Halle. Sie wirkte fahrig und nervös. Alle anderen befanden sich schon im Raum und warteten auf Liliane, die das Frühstück zubereitete. Der Blick der Baroness suchte zuerst Darian von Weihenklamm und Hauptmann Otterstein. Beiden winkte sie kurz zu, machte auf dem Absatz kehrt und trat wieder in den Innenhof hinaus. Die beiden Männer folgten ihr sofort. Borolosch runzelte die Stirn und erhob sich ebenfalls. Als Liliane mit einem Tablett und einer dampfenden Kanne Tee hereinkam, stand auch Simiona auf und folgte den anderen nach draußen. Darian und der Hauptmann waren gerade dabei, die Tür zum Badehaus aufzubrechen. Gerade hatten sich alle vor der Tür des kleinen Häuschens versammelt, als von drinnen bereits aufgeregte Stimmen zu hören waren. Schließlich kamen Darian und die Baroness nach draußen.
„Baron Ugo ist tot. Anscheinend ertrunken“ eröffnete Darian den Versammelten.

Am Abend dieses Tages saßen alle zusammen an der Tafel in der großen Halle. Nachdem sie das Essen schweigend zu sich genommen hatten, stand Borolosch auf und schlug mit der Faust auf den Tisch.
„Also meine Herrschaften, da wir hier noch einige Zeit miteinander verbringen müssen, sollten wir reinen Tisch machen. Ich möchte nicht jede Nacht mit einem offenen Auge schlafen müssen. Was geht hier vor? Warum schleicht Ihr, Simiona, des Nachts durchs Herrenhaus? Und Ihr Herr Baron, warum trugt Ihr die Baroness halbnackt durch den Schnee?“
Erstauntes Schweigen machte sich breit. Bis Liliane zu kichern anfing. „Ist denn jemand traurig, dass der Baron nicht mehr unter uns weilt? Ich glaube nicht“ sagte sie.
„Wer gibt Euch das Recht, solche Fragen zu stellen, Herr Zwerg?“ fragte der Hauptmann mit leiser, gefährlich klingender Stimme.
„Ich“, sagte Darian. „Borolosch hat Recht. Also, was ist heute Nacht hier vorgegangen? Und warum wart Ihr um diese Zeit noch unterwegs, Dogomirs Sohn?“
„Ich suchte, Euch“, stieß der Zwerg sofort hervor. „Mit dem alten Sturkopf konnte ich nicht verhandeln. Er ist ein ausgemachter Rassist. Mit Zwergen mache ich keine Geschäfte – das waren seine Worte. Also, wollte ich mit Euch oder der Baroness wegen der Schürfrechte reden“
„Waren Euch diese Schürfrechte so wichtig, dass ihr lieber einen anderen als Baron von Weihenklamm sehen wolltet?“, fuhr Baldur dazwischen.
„Was ist mit Euch, Simiona?“, fragte Nalina ruhig. „Warum ward Ihr ungebeten in unserem Hause?“
Simiona blickte von einem zum anderen. „Wer kam dann mitten in der Nacht aus der Waffenkammer? Ward Ihr das nicht, Baroness? Es war eine Frau, dessen bin ich mir sicher.“ „Das war ich“, gab Liliane sofort zu. „Ich wollte noch einmal nach Ugo sehen, da er sich in letzter Zeit so schlecht fühlte.“
„Könntet Ihr meine Frage beantworten, Frau von Dreiquellen“, sagte Nalina eine Spur schärfer. Simiona zögerte.
„Ich habe nach Beweisen gesucht, dass der Baron derjenige war, der meine Eltern an die Inquisition ausgeliefert hat, um sich Gut Dreiquellen anzueignen.“
„War es so?“, fragte Baldur.
Simiona nickte. Wieder kicherte Liliane leise. „Ah, das ist ein Grund jemanden zu hassen“, flüsterte sie. „Was ist mit Euch, Darian? Ihr liebtet die Baroness schon bevor Ugo sie kennen lernte. Er hat sie Euch weggeschnappt. Was hattet Ihr für Ihn geplant?“, fragte die Kräuterfrau nun laut.
Darian lächelte. „Einen Unfall. Und Ihr, Liliane? Eine Hexe, jahrelange Geliebte des Barons. Habt Ihr Euch damals nicht schon als zukünftige Baroness gesehen? Aber er hat Euch einfach weggeworfen. Und dann hat er Euch mit seinem Wissen um das, was Ihr seid, erpresst. Was hattet Ihr geplant?“, gab er scheinbar ungerührt zurück.
Liliane nickte. „Die Baroness selbst wäre der Unfall gewesen, nicht wahr? Ein Unfall in einer Vollmondnacht vielleicht?“, gab sie zurück.
Nalina erbleichte und fasste nach Darians Hand. „Still jetzt, Hexe“, zischte der neue Baron. „Was bedeutet das?“, fragte Baldur. „Nein. Ihr könnt das nicht sein, Nalina. Nicht Ihr, mit Eurem Liebreiz und Eurem freundlichen Wesen“, keuchte er.
„So wenig Menschen und so viele Geheimnisse, das gibt es bei uns Zwergen nicht“, brummte Borolosch. „Seid Ihr eine Lykanthropin, liebliche Baroness?“
Nalinas Augen verengten sich, sie antwortete jedoch nicht.
Darian zischte: „Kein Wort mehr. Von niemanden. Versteht ihr mich.“
Eisiges Schweigen setzte ein.
Liliane jedoch brach es erneut. „So hatten alle bis auf einen, einen Grund dem netten Baron den Tod zu wünschen. Ich habe ihm bereits seit vier Wochen ein schleichendes Gift eingeflößt. Doch er ist daran nicht gestorben. Er ist gewaltsam ertränkt worden. Ich habe ihn noch mal untersucht. Wer von euch war es also?“
„Wer hatte keinen Grund?“, fragte Simiona. „Etwa Hauptmann Otterstein? Alle haben geredet, Baldur. Du solltest es auch tun“, fügte sie hinzu.
Der Hauptmann räusperte sich. „Du hast Recht, Geliebte. Warum sollte ich jetzt noch schweigen. Ich bin der Bastardsohn des Almont von Weihenklamm, Ugos Vater und somit dein Halbbruder, Darian“, eröffnete Baldur. „Unser Vater wollte mich anerkennen. Auf dem Sterbebett hat er es mir versprochen. Doch Ugo hat sich nicht darum gekümmert. Jahr um Jahr hat er mich vertröstet. Ich wollte ein letztes Mal mit ihm reden. Im Badehaus. Er hat mich so in Rage gebracht, dass ich ihn unter Wasser drückte, bis er sich nicht mehr regte. Dann habe ich ein Seil geholt, die Tür von innen verschlossen und bin über die Brüstung in den Hof geklettert. Das Fenster konnte ich mit dem Seil wieder zuziehen. Es sollte aussehen, als wäre er ertrunken.“
„Ja, so sah es auch aus. Zumindest oberflächlich“, erwiderte Liliane.

„So hat es sich zugetragen, Euer Gnaden. Keine dreißig Meilen von hier entfernt, auf Burg Weihenklamm“, sagte der alte Mann.
Der Priester nickte. „Und wer hat Euch diese Geschichte erzählt, mein Sohn?“, fragte er. „Niemand. Ich bin Baldur Otterstein. Jetzt von Weihenklamm. Mein Halbbruder Darian hat mich anerkannt. Meine Enkelin ist jetzt Baroness.“
„Was passierte mit Euch? Nach Euerer ... Tat?“ fragte der Priester erstaunt.
Der Alte lächelte. „Nichts. Wir alle beschlossen, dass sich ein tragischer Unfall ereignet hat in jener stürmischen Winternacht.“

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Tag der Veröffentlichung: 12.12.2008

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