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Bogotasch’ Suche
Helmut Marischka

Es war am frühen Morgen, als Bogotasch zu seiner Mutter ging, um mit ihr zu reden. „Mutter“, sagte er, „ich glaube, es ist für mich an der Zeit, loszugehen und mein Glück zu suchen.“ Die Mutter machte ein bekümmertes Gesicht, sagte aber nach einer kleinen Weile: „Du hast Recht, mein Sohn. Doch wo willst du dein Glück denn suchen?“
„Bei den schwarzhaarigen Gont im Norden“, antwortete Bogotasch.
„Gut, mein Kleiner. Sei aber vorsichtig. Du weißt der Weg ist weit und vielerorts ist es gefährlich für jemanden, der noch so jung ist wie du.“ Sie nahm ihren Kamm, um ihren Sohn ein letztes Mal die zottigen, roten Haare aus den Augen zu kämen. Dann ging sie in die Küche, um Reiseproviant einzupacken. Hartwurst, Schinken, Brot, Käse und einen großen Schlauch mit klarem Quellwasser verstaute sie in dem Lederranzen, den sie extra für Bogotasch angefertigt hatte. „Pass auf dich auf, mein Bogo“, sagte sie zum Abschied und schniefte heftig. Niemand sollte sehen, dass sie weinen musste.
Bereits eine Stunde später marschierte Bogotasch durch einen lichten und sonnigen Wald Richtung Norden. Leise pfeifend schritt er forsch voran und freute sich, das es so ein schöner Tag war. Die Sonne schien, die Vögel zwitscherten in den hohen Bäumen und manchmal konnte er ein Reh oder einen Dachs im Unterholz verschwinden sehen. Am Abend, als die Dämmerung einsetzte, suchte er sich einen Platz zum Ausruhen. Er fand eine Lichtung, in deren Mitte ein langer, flacher Fels lag. Dies schien ihm der richtige Platz zu sein. Er machte es sich gemütlich und packte seinen Proviant aus. Zuerst ein bisschen Wurst und Brot. Und zum Abschluss ein kleines Stück Käse. Schließlich wusste er nicht, wie lange seine Reise dauern würde. Er beschloss bereits jetzt sparsam mit seiner Wegzehrung umzugehen. Kaum hatte er seine Wurst abgelegt, um einen kräftigen Schluck aus seinem Schlauch zu nehmen, da hörte er auch schon ein lautes Schnüffeln.
Ei, was ist denn das?

, dachte Bogotasch. Ein Wildschwein kam vorsichtig auf die Lichtung und beäugte ihn und sein Essen. Bogotasch gab ein beruhigendes Brummen von sich und hielt dem Schwein ein Stück seiner Wurst hin. Nach einigem Zögern kam es näher und schnüffelte an Bogos Hand. Er gab ihm das Stück Hartwurst und streichelte über seinen borstigen Rücken. Zufrieden grunzend bedankte sich das Schwein und verschwand im Wald. Bogo lächelte und rollte sich auf die Seite, um ein wenig zu schlafen.

Am nächsten Morgen weckte ihn ein kühler Regenschauer. Doch bald rissen die Wolken auf und ein laues Lüftchen trocknete Bogotasch’ Haare innerhalb kurzer Zeit. Ausgeruht und frohen Mutes marschierte er weiter. An diesem Tag sah er am Himmel einen schwarzen Punkt, der schnell größer wurde und er erkannte, dass es ein Drache war. Ein Winddrache. Bogotasch winkte dem Drachen zu. Doch anscheinend hatte er keine Zeit oder keine Lust auf eine Unterhaltung, denn er flog einfach weiter. Bogo zuckte mit den Schultern. Vielleicht ein anderes Mal,

dachte er. Auch diese Nacht war ihm das Glück hold. Er fand einen geschützten Platz direkt am Hang eines kleinen Berges und legte sich dort zur Ruhe.

Mitten in der Nacht erwachte er, weil ihn jemand an der Schulter stupste. Zwei kleine Männchen standen da und sahen ihn aus kleinen, bärtigen Gesichtern an. In den Händen hielten sie Laternen und Äxte.
„Hey, Langer“, sagte der eine. „Kannst du deinen Riesenhintern vielleicht wo anders hinbewegen?“ Der andere knuffte den Sprecher und zog ihn ein Stückchen zurück.
„Wer seid ihr denn?“, nuschelte Bogotasch verschlafen.
„Ich bin Bagamir und das ist mein Bruder Dogomir“, stellte der Zwerg sich und seinen Begleiter vor.
„Störe ich euch etwa?“, fragte Bogotasch.
„Nun, nicht direkt, aber du liegst direkt vor unserem geheimen Höhleneingang und deswegen ...“, antwortete Dogomir, was ihm einen heftigeren Knuff von seinem Bruder einbrachte. „Geheim, du Trottel. Was bedeutet dieses Wort, häh?“, fuhr er ihn an. Dogomir blickte etwas verdutzt drein. Dann nickte er. „Oh ja. Mist. Ich hätte es nicht verraten dürfen. Jetzt ist der Eingang nicht mehr geheim.“
„Stimmt genau, du Steinhirn. Jetzt müssen wir den Langen zum Schweigen bringen“, antwortete Bagamir und fuchtelte drohend mit seiner Axt. Bogotasch richtete sich auf. Die beiden Zwerge wichen etwas weiter zurück.
„Nun kommt schon“, sagte Bogo ruhig. „Ich gehe einfach zur Seite und verspreche niemanden etwas zu verraten.“
„Wirklich?“, fragten die Zwerge im Chor.
„Wirklich“, bestätigte Bogo. „Na gut. Dann wollen wir mal nicht so sein. Gehab dich wohl, Langer“, sagte Bagamir und zwängte sich an Bogotasch vorbei in eine kleine Felsnische und war verschwunden. Dogomir zuckte entschuldigend mit den Achseln. „Leb wohl“, rief er noch und eilte seinem Bruder nach.
Bogo schüttelte lächelnd den Kopf und legte sich wieder schlafen.

Nach zwei weiteren Tagen kam Bogotasch an einen See, dessen klares, blaues Wasser in der Sonne nur so glitzerte. Hier konnte er endlich seinen Wasserschlauch auffüllen. Kaum hatte er sich niedergekniet, um seinen Kopf ins kühle Nass zu stecken, bekam er einen gewaltigen Stoß, der ihn mit einem lauten Platschen im Wasser landen ließ. Prustend tauchte er wieder auf und sah sich um. Just an der Stelle, an der er sich gerade noch befunden hatte, stand ein fetter alter Oger mit einem ansehnlichen Knüppel in der rechten Faust.
„Mein Wasser. Weggehen du!“, sagte der hässliche Kerl in Ogerkauderwelsch. Bogotasch hob die Hände. „Ich wollte nur meinen Schlauch füllen und einen Schluck trinken“, verteidigte er sich.
„Nein, weggehen“, brüllte der Oger.
„Na gut“, lenkte Bogo ein und watete aus dem Wasser. Dann packte er seinen Schlauch und schlug den Oger direkt auf die Nase. Der Kerl verdrehte die Augen und fiel bewusstlos um. In aller Ruhe füllte Bogo seinen Schlauch, schüttelte den Kopf und ging weiter nach Norden.

Er war nun seit beinahe zwei Wochen unterwegs. Immer häufiger sah er aus der Ferne seltsame Ansammlungen von putzigen, kleinen Häusern. Kühe und Schafe standen in Herden auf den Wiesen und wurden meist von zwei oder drei wolfsähnlichen Tieren bewacht. Das alles kam Bogotasch sehr seltsam vor und er machte lieber einen großen Bogen um diese Orte.

Eines Tages hörte er wilde Rufe und den Schrei einer Frau. Sofort beschleunigte er seine Schritte. Er lief schnell über den Hügel hinweg und sah was vor sich ging. Ein halbes Dutzend kleiner, buntgekleideter Wesen hatten eine junge, schwarzhaarige Frau in die Enge getrieben und bedrohten sie mit spitzen Spießen. Halbherzig fuchtelte sie mit einem kleinen Ast in der Luft herum, um die kleinen Biester auf Abstand zu halten. Bogotasch zögerte keinen Wimpernschlag. Er hob einen größeren Ast auf. Dann rannte er los. Brüllend sprang er den Hügel herab und landete mitten unter den herumwimmelnden Zweibeinern. Erschrocken warfen sie ihre Speere in Luft und flohen so schnell sie auf ihren kurzen Beinen konnten. Seufzend drehte Bogotasch sich um.
„Ist dir etwas geschehen? Geht es dir gut?“, fragte er die schöne Schwarzhaarige.
Sie nickte. „Ich danke dir“, sagte sie leise.
„Wer bist du?“ Bogotasch stellte sich vor und verbeugte sich leicht.
„Es freut mich dich kennen zulernen“, antwortete sie. „Mein Name ist Goschdala. Ich habe mich verirrt. Meine Familie ist schon vor einiger Zeit von hier vertrieben worden. Ich kann sie nicht mehr finden.“ Bogo überlegte nicht lange. „Wenn du willst, kannst du mit zu uns kommen. Du würdest bei uns willkommen sein.“ Goschdala lächelte und nickte.

So hatte Bogotasch sein Glück viel früher gefunden, als er erwartet hatte. „Goschdala“, sagte er, als sie am Abend lagerten. „Was waren das für seltsame Wesen, die dich angegriffen haben?“ Goschdala’s Blick wurde traurig. „Sie haben uns aus unserem Heim vertrieben. Es werden immer mehr und man kann einfach nicht vernünftig mit ihnen reden. Sie sagen, wir Trolle seien böse und haben auf ihrem Land nichts zu suchen. Sie nennen sich Menschen.“

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Tag der Veröffentlichung: 12.12.2008

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