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Du bist meine Ewigkeit



Teil 4




Inzwischen waren 28 Tage verstrichen. Heute, am Vormittag des 24. Dezembers, würde endlich etwas geschehen, um Harrys Seele und Körper zu retten, bevor beides für alle Zeit verloren war. Hermine war es mit Blaise’, Dracos und Rons Hilfe gelungen einen Zauber zu finden, der Voldemorts Fluch ungeschehen machte. Denn niemand anderer als der teuflische Lord war für Harrys Zustand verantwortlich, was aber keinen sonderlich überraschte. Darüber hinaus barg jener Zauber ungeheure Gefahren in sich. Aus diesem Grund hatten sich die Freunde, die mittlerweile zu Freunden geworden waren, zuerst für einen anderen Weg entscheiden wollen, der jedoch das Zaubereiministerium mit eingeschlossen hätte. Somit schied dieser aus.

Das Ministerium hatte nur wenige Stunden nach Fehlen des Sarges eine Suchmeldung über den Tagespropheten herausgegeben, indem es hieß, dass die Täter sich unverzüglich zu melden hätten. Für jeden noch so kleinsten Hinweis waren Belohungen ausgesetzt und schon im Vorfeld wurde ein Strafmaß für die Diebe vereinbart: Fünf Jahre Askaban ohne Bewährung.

„Seit ihr beiden soweit?“, erklang Hermines Stimme vom Flur in Blaise Schlafzimmer, wo er und Draco sich noch eilig warme Pullover anzogen. Draußen herrschten Minustemperaturen. In der Garage, wo sie Harrys Sarg versteckt hielten, war es eiskalt.

„Wir kommen schon“, rief Blaise und schlang den wärmsten Schal um seinen Hals, den er hatte finden können.

Neben ihm knöpfte Draco seine Lodenjacke zu und seufzte. „Ich hoffe, es wird auch klappen.“

„Das wird es“, lächelte sein bester Freund ihm ermutigend zu, obwohl er ebenfalls bedrückt wirkte. „Hermine und ich sind den ganzen Spruch nun über 100 Mal durchgegangen, der kann nicht schiefgehen. Außerdem haben wir jetzt alle wichtigen Utensilien zusammen und die waren nicht gerade einfach zu besorgen, wie du weißt.“

„Deine Worte in Merlins Gehörgang“, flüsterte Draco, so dass Blaise ihn nicht hörte und rang sich nun seinerseits ein Lächeln ab. Er wollte nur zu gerne zuversichtlich sein, aber ihm war bei dem Gedanken an das schwarzmagische Ritual nicht wohl. Im schlimmsten Fall würden sie Harrys Seele in tausend kleine Stücke reißen und er wäre für alle Ewigkeit verloren.

Schließlich gesellten sie sich zu Hermine, die ihre wachsende Nervosität offen zur Schau trug. Eilig erklärte die Gryffindor, dass Ron bereits heute morgen in aller Frühe zur Garage appariert war, um ein Teil des Rituals vorzubreiten, dann verloren auch sie keine kostbare Zeit mehr. Kurzerhand tauchten sie zu dritte im sicheren Versteck auf, wo der Rotschopf sie erleichtert begrüßte. Harry saß auf seinem Glassarg und schenkte Draco ein aufmunterndes Augenzwinkern. Er war der einzige, der guter Dinge war und fest daran glaubte, dass seine Freunde es schaffen würden.

„Habt ihr den Rest mitgebracht?“, erkundigte sich Ron und beäugte Hermines neue Perlentasche neugierig.

„Alles da“, erwiderte sie und förderte augenblicklich zwei große schwarze Stumpfkerzen zu Tage.

Beide maßen fast 30 cm Höhe und besaßen einen Durchmesser von 10 cm. Auf der Außenseite befanden sich seltsam geformte weiße Runen, die uralte keltische Symbole darstellten. Um diese Kerzen überhaupt erst besorgen zu können, hatten sich Draco und Blaise heimlich in die Nokturngasse geschlichen. Aber dem nicht genug mussten die Kerzen von einem mächtigen Schwarzmagier stammen, der sie hergestellt und anschließend gesegnet hatte, was ihre Bemühungen beinahe zum Scheitern verurteilt hätte. Denn nach Kriegsende war es gar nicht bis schier unmöglich solch einen Zauberer aufzutreiben. Nur durch Dracos Beziehungen, die er wiederum seinem inhaftierten Vater verdankte, gab es ein paar schwer auffindbare abtrünnige Schwarzmagier, welche jedoch niemals auf Voldemorts Seite gekämpft hatten. Schließlich, nach einigen gesetzwidrigen Handlungen und einem stolzen Preis, waren die Freunde Besitzer dieser Totenkerzen geworden. Und ein weitaus unverzichtbares Utensil gehörte nun auch ihnen: das Goldpulver. Gegen eine horrende Summe hatte es ebenfalls den Besitzer gewechselt.

Das Goldpulver war eine groteske Mischung aus vereinzelten und kaum auffindbaren Giftkräutern, einem Bestandteil aus geriebenen menschlichen Knochen eines noch lebenden Menschen, sowie geweihtes und zerstoßenes Gold und Schwefel. Jenes Pulver fischte Hermine ebenso aus ihrer Tasche und reichte den schwarzen Samtbeutel an Blaise weiter.

Um den Glassarg herum hatte Ron nach einem bestimmten keltischen Muster, welches Hermine zusammen mit dem Ritual in einem äußerst seltenen Buch gefunden hatte, mit schwarzer Kreide auf den Boden gezeichnet. Wie sie an dieses Buch gekommen war blieb jedoch ihr ganz persönliches Geheimnis. Um sicher zu sein, dass auch jeder Strich der keltischen Totenbeschwörung richtig gezogen worden war, überprüften Hermine, Blaise und Draco jede einzelne gezogene Linie haargenau nach.

„Dann kann es losgehen“, verkündete Hermine ein wenig ängstlich und stellte sich in die jeweils dafür vorgesehene Position in dem schwarzmagischen Runenmuster, genau Ron gegenüber. Anschließend zog sie aus ihrer Manteltasche ihren Zauberstab und entzündete die beiden Kerzen.

„Bist du dir auch sicher, dass du diese Worte wirklich richtig lesen kannst?“, erkundigte sich Draco bei Blaise, dem die Aufgabe zugefallen war, den komplizierten Zauberspruch vorzulesen. Das Problem dabei war, dass er jede einzelne Silbe richtig betonen musste, ansonsten wäre Harrys Seele für immer verloren.

Ron und Hermine mussten währenddessen an ganz bestimmten Stellen des Textes das Goldpulver ins Kerzenfeuer streuen. Draco war dazu auserkoren die ganze Zeit auf Harrys Seele und Körper zu achten.

„So oft wie ich geübt habe, kann ich den schon im Schlaf aufsagen“, lachte der Slytherin, aber niemand teilte seine Heiterkeit. „Keine Sorge, ich werde es schaffen, ganz sicher“, ergänzte er vertrauensvoll.

Auch diese Worte trugen keineswegs zur Beruhigung bei, vor allem Harry und Draco besaßen sehr große Angst. Draco konnte sich kein Leben mehr ohne den Gryffindor vorstellen und Harry erging es umgekehrt genauso. Eine körperlose Existenz führen zu müssen, war für ihn schlimmer als die möglicherweise vollständige Auslöschung seiner Seele, wenn das Ritual nicht gelingen sollte. Inzwischen wünschte er sich sehnlichst mit seinem blonden Drachen alt zu werden. In den letzten Nächten hatten beide gemeinsame Zukunftspläne geschmiedet und sie wollten sich ein Haus suchen, außerhalb Londons, selbst weitab von der Zauberergesellschaft. Harry hatte Draco überreden können, dass er weder mit dem Zaubereiministeriums, noch mit den Hexen und Zauberer Großbritanniens künftig etwas zu tun haben wollte. Für sie sollte er einfach tot und verschwunden bleiben. Merkwürdigerweise verstand der Slytherin ihn sofort und willigte ein.

„Draco, du weißt was zu tun ist? Gut, dann fang jetzt an.“ Hermines Stimme riss ihren körperlosen Freund aus seinen Gedanken.

Draco schluckte merklich und nahm das Buch an sich, um es für Blaise zu halten, denn gleich würde er beide Hände benötigen. Aus den Augenwinkeln sah er Hermine nicken, während Harry auf dem Sargdeckel saß und die Augen geschlossen hatte.

Es war soweit, das dunkle Totenritual konnte seinen schicksalhaften Lauf nehmen.

Augenblicklich intonierte Blaise Zabini die ersten Silben laut und deutlich. Er achtete äußerst genau auf seine Aussprache und die richtige Betonung. Nach dem ersten Abschnitt griff er schließlich in den schwarzen Samtbeutel und ließ jeweils eine Handvoll des kostbaren Goldpulvers in Hermines und Rons hohle Hände rieseln. Dabei entstand kurz der Eindruck, als hätte sich der Goldanteil leicht dunkel verfärbt, als hätte sich ein Schatten darüber gelegt. Die beiden Gryffindors warteten nun auf Blaise Zeichen, dann streuten sie das Pulver langsam in die brennenden Kerzen, während Blaise weiter rezitierte.

Draco achtete genau auf die Flammen, die sich nach der Berührung des Goldpulvers schwarz färbten. Begleitend dazu fiel die Temperatur rapide stark ab. Draco besaß jäh das Gefühl in einer dicken Eisschicht eingeschlossen zu sein, seine Zähne klapperten und seine Finger wurden ganz klamm. Als wäre das nicht einschüchternd genug, herrschte plötzlich um ihn herum pechschwarze Nacht. Eine unheimliche Stille breitete sich aus und vor Schreck fiel ihm das Buch aus der Hand.

„Blaise, wo bist du? Was ist passiert?“, rief Draco und zuckte kurz zusammen, als seine Stimme als Echo in seinen Ohren drang. „Blaise, hör auf mit dem Scheiß“, mahnte er ihn und wirbelte auf der Stelle um die eigene Achse. Aber um ihn herum war es abgrundtief schwarz, er konnte nichts sehen und hörte lediglich seinen eigenen hektischen Atem. Die Panik nagte an seinen Nerven und er rief nun auch nach Harry, Hermine und Ron. Als Antwort hörte er jedoch nur sein eigenes Echo.

Eine Gänsehaut lief ihm den Rücken herunter und die Angst vor dem Unbekannten kroch unaufhaltsam in seine Glieder. War etwas bei dem Ritual schiefgelaufen? Wenn ja, wo waren aber dann die anderen? Schließlich fiel ihm sein Zauberstab ein, den er eilig aus seinem Hosenbund hervorholte. Doch nachdem die Zauberstabspitze hell leuchtete, stand Draco weiterhin in einer undurchdringlichen Dunkelheit. Einzig und alleine sich selbst sah er.

„Leute, wenn das ein Scherz ist, dann ist er nicht lustig“, sagte er in die Schwärze hinein. Wider Erwarten blieb es still. Dafür hörte er sein Herz laut bis zum Hals schlagen und er klapperte mit den Zähnen. Wo auch immer er sich befand, die Hölle konnte es nicht sein, nicht bei den ansteigenden arktischen Temperaturen. In Blaise Tiefkühlfach war es sicherlich wärmer. Er schlang den Schal und die Jacke fester um seinen zitternden Körper.

Doch noch immer wusste er nicht, wo er sich befand und wo diese Schwärze anfing und aufhörte. Aus diesem Grund und weil er unbedingt zu seinen Freunden und Harry zurück wollte, beschloss er einen Ausgang zu suchen. Inzwischen glaubte Draco in einer Höhle zu sein, dafür sprach zumindest das Echo. In diesem Fall musste Blaise ein Fehler unterlaufen sein, obwohl er nur erahnen konnte, was passiert war. Er wusste auf jeden Fall, dass er sich nicht mehr in der Garage befand und zugleich wollte er ganz dringend wieder ins Freie zurück, so schnell wie möglich, sonst würde er in dieser Finsternis noch durchdrehen.

Schließlich schloss er fest die Augen, seufzte und öffnete sie wieder. Dann legte er seinen leuchtenden Zauberstab auf die flache Handfläche und sagte den Vier-Punkte-Zauber auf, den er dank Blaise sehr gut kannte, und wollte herausfinden wo Norden lag. Fünf Mal hintereinander versuchte er es, aber stets ohne Erfolg, was sich keineswegs positiv auf sein angespanntes Gemüt auswirkte. Frustriert ließ er von seinem Vorhaben ab und lief aufs Geradewohl los. Irgendwo am Ende wartete sicherlich eine Felswand und dann wäre es nicht mehr weit bis zu einem Ausgang. Soweit sein Plan.

Draco marschierte eine gefühlte Ewigkeit in die eingeschlagene Richtung, doch bisher hatte er weder eine Gesteinswand gefunden oder irgendetwas gesehen. Lediglich die Finsternis hüllte ihn ein, was seiner wachsenden Panik mit jedem weiteren Schritt Nahrung verlieh. Wenigstens zitterte er mittlerweile mehr aus Furcht und nicht mehr vor Kälte. Das Laufen brachte seinen Kreislauf in Schwung und ihn ins schwitzen. Dabei wurde er von seinem eigenen Echo begleitet, welches seine Schuhsohlen auf dem harten Boden verursachten.

Doch plötzlich hielt es Draco nicht mehr aus. Abrupt blieb er stehen und schrie seine Verzweiflung laut heraus.

„Bei Merlin und Morgana, ich will endlich hier raus! Verflucht, wo ist der Ausgang!“

Sofort musste er seine Ohren mit den Händen schützen, denn seine Stimme hallte lautstark wider. Erst als die Stille zurückkehrte, schaute er sich vorsichtig um. Im ersten Moment schien sich nichts an seiner verzwickten Lage verändert zu haben, als er zu seiner Rechten einen winzigen hellen Punkt entdeckte. Wie ein Besessener rannte er auf die unbekannte Lichtquelle zu und zu seiner großen Freude wurde es sie größer und größer.

Unerwartet war Draco von einem hellen Schein umgeben, ganz im extremen Gegensatz zu der eben noch herrschenden pechschwarzen Nacht, worauf sich auch seine Laune hob. Er musste einige Male blinzeln, bevor er etwas erkennen konnte. Schließlich erschrak er erneut, denn als er sich zur Höhle umdrehen wollte, war diese spurlos verschwunden. An dessen Stelle war eine dichte Nebelbank getreten, die ihn einhüllte und gefangen nahm. Wenigstens gab es Licht, welches rundum zu existieren schien, obwohl er keine Sonne sah. Neugierig machte Draco einen Schritt nach vorne und war nicht überrascht, als er erneut das Echo an seine Ohren drang. Er hatte dieses Geräusch bereits erwartet.

„Hey Leute, eurer Scherz ist gewaltig in die Hose gegangen, also kommt raus. So langsam nervt es.“ Damit wollte er sich selbst Mut zusprechen. „Könnt ihr mir wenigstens die richtige Richtung verraten?“

Natürlich erhoffte er keine Antwort, umso verwunderlicher blickte er um sich, als plötzlich ein undefinierbarer Schatten aus dem Nichts auftauchte, vor seiner Nase in der Luft schwebte, ihn umkreiste und dann zu ihm sprach.

„Habe keine Angst“, verkündete eine helle Frauenstimme und bei jedem ihrer Worte hatte Draco das untrügliche Gefühl, als würde ihre Silhouette silbern aufglühen. Der Schatten tanzte um ihn herum, als wollte es einen Hochzeitswalzer aufs Paket legen. Wobei er es vielmehr spürte, anstatt es wirklich zu sehen.

„Wer bist du? Wo bin ich?“

„Du bist im Reich der Schatten“, frohlockte die Stimme. „Das Reich der Lebenden liegt hinter dir, aber noch bist du nicht bereit den Schatten anzunehmen. Du musst ihn mit dem Herzen akzeptieren.“

Verwirrt runzelte Draco bei dieser kryptischen Erwiderung die Stirn. „Ich bin wo? Soll das heißen, ich bin tot?“

„Nein“, hauchte die Frauenstimme in sein Ohr und kicherte. „Du bist im Reich der Schatten.“

„Und was ist das für ein Reich?“ Zum einen erleichtert scheinbar noch am Leben zu sein, war er dennoch sehr beunruhigt. Weder dieser Schatten noch jene Umgebung behagte ihm. Womöglich träumte er nur. Das musste die Antwort sein.

„Du träumst nicht“, bedeutete die Schattenfrau fröhlich und tanzte weiter um Draco herum. „Vor mir kannst du nichts verheimlichen, ich sehe und höre deine Gedanken Doch vergesse nicht, schon bald musst du eine Wahl treffen, aber wähle mit Bedacht. Sobald deine Entscheidung gefallen ist, kannst du niemals wieder zurückkehren. Dann bist du ein Schatten.“

Draco wunderte sich nicht, dass jene Schattenfrau seine Gedanken las. Aber was hatte das zu bedeuten? Ihre Worte verwirrten ihn mehr, anstatt sie ihm halfen und er bezweifelte kaum, dass er viel mehr Informationen bekommen würde. Daher wollte Draco versuchen ihr Spielchen mitzuspielen, was blieb ihm schon großartig anderes übrig. „Dann möchte ich meine Wahl treffen, wenn du mir sagst, um was es geht.“

„Du bist bereit“, ertönte es unerwartet laut und ehe sich Draco versah war der Nebel verschwunden.

Eine gewaltige Halle umgab ihn, so groß, dass er glaubte, das Ende erst fern am Horizont zu erkennen. Brennende Kerzen schwebten in der Luft, wie früher in Hogwarts, und vor ihm erhob sich ein goldener Thronsessel auf einen goldenen Podest in die Höhe. Auf dem Thron saß die wunderschönste Frau, die er jemals in seinem Leben gesehen hatte. Ihre Haut glitzerte so weiß wie Elfenbein. Schwarzes langes Haar umrahmte ihr fröhlich wirkendes Gesicht, während ihre mandelförmigen Augen in flüssigem Gold erstrahlten. Eine schneeweiße Seidentunika umhüllte ihren markelosen und grazilen Körper. Auf ihre ganz eigene Art versprühte sie eine faszinierende Aura, die Draco förmlich in den Bann zog, und er war sich plötzlich sicher vor einer Göttin zu stehen. Er konnte es in seinem Herzen fühlen, was ihm Tränen der Erhabenheit in die Augen trieb. Augenblicklich fiel er auf die Knie und senkte den Kopf, um ihr angemessen zu huldigen.

„Sei gegrüßt, Draco Lucius Malfoy“, sang die Schönheit melodiös und lächelte warmharzig.

Draco musste nicht fragen, diese Frau war das Schattenwesen und sie herrschte allwissend und unbeugsam über das Schattenreich. Er räusperte sich, hob den Blick und fragte beinahe flüsternd: „Welche Wahl muss ich treffen?“

„Dein Herz gehört dem Mann, den du liebst“, verkündete sie klangvoll. „Doch ist deine Liebe groß genug, um ihm dein Leben zu schenken?“

Ihre Worte waren kaum verklungen, da begann er am ganzen Körper zu zittern. Er hatte dabei das Gefühl, als hätte sich ein unsichtbarer Dolch in seine Brust gebohrt. Doch zum ersten Mal verstand er die merkwürdigen Erklärungen des Rituals, welche Hermine und Blaise nicht hatten herausfinden können. „Das verlangt das Ritual“, stellte er flüsternd fest. „Harry kann nur leben, wenn ich sterbe.“

„Ja“, lächelte die Schönheit sanft. „Der Mann deines Herzens kann nur wiedergeboren werden, wenn du ihm deinen Lebensfunken aus freien Stücken schenkst. Doch überlege gut, bevor du dich entscheidest.“

„Was geschieht mit mir, wenn ich mich dafür entscheide?“ Dracos Neugier war mindestens so groß wie seine Angst.

Die Schönheit erhob sich vom Thron und schwebte langsam auf ihn zu. „Von jenem Augenblick wirst du ein Teil des Schattenreiches – ein Teil von mir. Du wirst verirrte Seele finden und sie zu mir bringen. Ich helfe ihnen ihren Weg beschreiten zu können. Welche Wahl triffst du? Entscheide klug und lass dein Herz die Wahrheit sehen.“

„Warte“, rief Draco und wollte sie noch aufhalten, aber es war zu spät. Vor seinen Augen hatte sich die Herrscherin des Schattenreiches in Nichts aufgelöst. Nun war er wieder alleine, nur der leere Thron sah auf ihn herab.

Der Blonde musste sich dringend setzen. Er hockte sich auf den harten Boden und bemerkte nicht einmal, dass die vorangegangen Eiseskälte völlig verschwunden war. In seinem Kopf wiederholte er mehrmals das Gespräch und je öfters er darüber nachdachte, desto nervöser wurde er. Musste er wirklich sein Leben für das Leben Harrys eintauschen? Wenn er das tat, was würde aus Harry geschehen? Er würde ihn nie wieder sehen und das schmerzte. Er liebte Harry aus tiefstem Herzen und in den letzten Wochen war jene Liebe gewachsen. Sie hatten doch erst vor kurzem gemeinsame Zukunftspläne geschmiedet und jetzt sollte es niemals mehr dazu kommen! War das wirklich die Lösung?

Tränen der Trauer rannen über sein Gesicht, welches er zwischen den Händen vergrub. Diese Entscheidung war viel zu schwer, als dass er sie hätte alleine treffen können. Doch Harry war nicht bei ihm, er war alleine und ängstlich und vielleicht würde er seinen Geliebten niemals wieder sehen. Schließlich schluchzte er und ließ seinen Gefühlen freien Lauf.

Irgendwann versiegten die letzten Tränen und Draco fühlte sich gefestigter. Er hatte eine schwierige Wahl zu treffen und es gab nur eine richtige Entscheidung. Mehr als jeder andere verdiente Harry zu leben. Von Geburt an hatte er stets Enttäuschungen, Hass, Angst, Tod und den Krieg erlebt und es lag an Draco, ihm ein ganz neues Leben zu schenken. Er selbst hatte schon so viele Fehler begangen, dass es nur gerecht war, wenn er blieb und Harry leben durfte …


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Zuerst hörte Harry ein leises Flüstern. Es klang nah und doch so fern. Aber woher kam es? Neugierig öffnete er langsam seine Augen und schloss sie eilig wieder. Er war von einem gleißenden Licht umgeben. Schließlich vernahm Harry erneut dieses Flüstern, doch diesmal lauter und deutlicher. Was war geschehen? Er erinnerte sich an das Ritual zurück und wie Ron und Hermine das Goldpulver in die brennenden Kerzen gestreut hatten. Danach wurde es dunkel und jetzt …

„Hermine! Hermine! Er wacht auf“, rief Ron überwältig vor Glück und half sofort seinem besten Freund sich aufzusetzen.

Harry begriff zuerst nicht was geschehen war, dafür fühlte er sich unglaublich energielos und erschöpft. Es kostete ihn einige Kraftanstrengung die Augen offen zu halten und hieß Rons Stütze mit einem schwachen Lächeln gut. Alleine hätte er sich wohl kaum nach so langer Zeit überhaupt bewegen können. Es war seltsam plötzlich wieder den eigenen Körper zu spüren, Luft in seine Lungen zu saugen und seinem eigenen Herzschlag zu lauschen.

„Harry!“, schloss sich eine jubelnde Hermine ihrem Verlobten an und stürmte strahlend auf ihn zu. „Du lebst! Du lebst wirklich!“ Ihr rannen dabei Freudentränen über die Wangen.

„Wo … wie … ich lebe“, stammelte Harry kaum hörbar und hustete mehrmals. Seine Kehle fühlte sich staubtrocken an.

„Hier, trink das“, sagte Hermine und hielt ihm eine entkorkte Glasphiole an seine Lippen. „Ein sehr starker Stärkungstrank, der wird dir gleich helfen.“

Sofort schmeckte Harry den süßen Geschmack auf der Zunge. So etwas Gutes schien er zuvor noch nie getrunken zu haben, so kam es ihm zumindest vor. Endlich, nach so vielen Monaten, war er nicht nur zu neuem Leben erwacht, sondern er konnte wieder schmecken, fühlen und riechen. Endlich war er nicht mehr unsichtbar, er befand sich im Hier und Jetzt, er atmete und der Spuk hatte ein Ende gefunden. Doch eine Person fehlte ihm zu seinem Glück.

„Wo ist … Draco?“, erkundigte er sich flüsternd und schaute sich um, doch er konnte ihn nirgendwo entdecken.

„Komm erst mal aus dem Sarg“, lenkte Hermine rasch ein und gemeinsam mit Ron half sie Harry aus dem Glassarg zu klettern. Anschließend streifte sie ihm eine mitgebrachte Daunenjacke über, die er dankend annahm. In der Garage herrschten immer noch eiskalte winterliche Temperaturen.

Er war ziemlich wacklig auf den Beinen, aber seine Freunde hielten ihn fest. Es würde noch seine Zeit dauern, bis seine erschlafften Muskeln ihre alltägliche Tätigkeit wie früher verrichten konnten. Aber das interessierte ihn momentan nicht, er suchte Draco. Draco, in den er sich verliebt hatte. Draco, den er nun nach den langen Wochen mit seinen Fingern berühren durfte und den er küssen wollte. Wiederholt suchte er nach dem Slytherin, ließ seinen Blick schweifen und dann verharrte er geschockt am Ende des Sarges.

Draco lag neben einem knienden Blaise auf dem Boden und bewegte sich nicht. „Was ist mit ihm?“, fragte er ängstlich und schlurfte langsam zwei Schritte auf die beiden zu. „Sag mir, was ist passiert!“, forderte Harry seinen ehemaligen Mitschüler auf, der schwieg und stattdessen schluchzte.

Harry beschlich ein schreckliches Gefühl und er wollte nur noch zu Draco. Vorsichtig hangelte er sich an dem Sarg entlang, wobei er Ron und Hermines helfenden Hände halbherzig beiseite schlug. Als er bei Draco ankam sank er auf die Knie und bebte von Kopf bis Fuß.

Draco bewegte sich nicht, er hatte die Augen geschlossen und atmete nicht mehr. Erschaudert raste sein Puls, er sog laut die Luft ein und dann stahl sich die erste Träne in seine Augen. Eine unsichtbare Klinge stach heftig in sein Herz und hielt ihn gefangen. Auf der Stelle begann die Wunde zu bluten und kraftlos fiel Harrys Kopf auf Dracos blasses Gesicht.

„Draco, bleib bei mir“, weinte Harry hemmungslos und klammerte sich fest an seinen Liebsten, dessen Körper immer noch Wärme ausstrahlte. „Das kannst du mir doch nicht antun … du musst bei mir bleiben. Ich liebe dich“, weinte er und seine aufsteigende Verzweiflung schüttelte ihn.

Zaghaft berührte Harrys Wange Dracos Stirn und er sog dessen Eigenduft ein. Er roch nach Honig gemischt mit Zimt und Moschus, was sein Herz noch stärker bluten ließ. Draco durfte nicht einfach gehen und ihn alleine zurücklassen! Er liebte Draco mehr als sein eigenes Leben und er würde auf der Stelle sein neues Leben für Draco geben. Sie hatten sich doch erst gefunden und ihr Glück sollte so unerwartet ein jähes Ende finden? Das wollte Harry nicht zulassen. Niemals!

Stetig flossen Harrys Tränen und befeuchten allmählich Dracos Augen, seine Wangen und schließlich auch seine zarten Lippen. Just in diesem Moment wurde Dracos Körper von einem Ruck erfasst, bäumte sich auf und dann schnappte er vor den Blicken seiner überraschten Freunde laut nach Atem.

„Draco!“, strahlte Harry und nahm Dracos Hände in die seinen, während sein verschwommener Blick auf die sturmgrauen Seelenspiegel seines Liebsten gerichtet war. Sofort fielen all die Trauer und die Schmerzen von ihm ab. „Draco … Draco … du lebst! Du lebst! Ich lasse dich nie wieder los. Du musst bei mir bleiben, ich liebe dich doch.“

„Harry …“, wisperte er und schaute in das schönste Smaragdgrün, welches er kannte. Im selben Moment schlug sein Herz vor purem Glück schneller, während eine ganze Schmetterlingsinvasion durch seinen Körper wuselte. Harry lebte und er liebte ihn!

„Ich liebe dich … ich liebe dich … ich liebe dich … oh ja, ich liebe dich“, wiederholte Harry mehrere Male und bedeckte dabei Dracos Gesicht mit zahlreichen zaghaften Küssen auf Wangen, Nase und Stirn.

„Nicht so stürmisch“, lächelte der Slytherin zaghaft und umschlang seinen Liebsten mit beiden Armen. Dann sahen sie sich tief in die Augen. Schließlich berührten sich ihre halbgeöffneten Lippen liebevoll und sie versanken in einen unglaublich zaghaften und süßen Kuss; von da an nahmen sie nichts mehr um sich herum wahr. Für sie existierte nur noch der jeweils andere.

„Was soll ich jetzt davon halten?“, fragte Ron fassungslos und legte einen Arm um die Hüfte seiner geliebten Hermine und zog sie zu sich heran. „Erst stirbt der eine, dann der andere und jetzt leben sie beide. Und Harry liebt immer noch Draco.“

„Sieht wohl so aus“, lächelte sie und winkte Blaise zu, der mittlerweile aufgestanden war. „Ich nenne es das Wunder der Liebe.“

Stillschweigend stimmten die zwei Männer der klugen Hexe zu und waren unendlich erleichtert, dass alles doch noch ein gutes Ende genommen hatte. Harry und Draco lebten!

Was auch immer geschehen war, Harrys Seele hatte den Weg aus dem Reich der Schatten in die Wirklichkeit zurückgefunden.

„Du bist meine Ewigkeit“, hauchte Draco zwischen den nächsten Küssen in Harrys Ohr. „Ohne dich möchte ich niemals mehr sein.“

„Auch du bist meine Ewigkeit“, seufzte Harry und schien vor Glück auf Wolken zu schweben.




ENDE

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Tag der Veröffentlichung: 22.12.2010

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