Du bist meine Ewigkeit
Teil 2
„Ronald Bilius Weasley! Bist du jetzt total verrückt geworden?“ Hermine hatte die Hände in die Hüften gestemmt und stand vor der Garderobe ihrer Muggelwohnung. Dabei musterte sie ihren Verlobten, als wäre ihm ein Horn auf der Stirn gewachsen. „Deine Mutter und Ginny haben absolut recht, wenn sie dir immer wieder sagen, du sollst damit aufhören. Es ist nicht gut für dich.“
„Zur Abwechslung könntest du mich ja wieder mal begleiten“, antwortete Ron laut. Er kannte seine Liebste und wenn sie einmal in Fahrt war, sollte ihr niemand Kontra geben. Aber diesmal war die Sachlage eine andere. Also kratzte er seinen gesamten Gryffindormut zusammen und schaute Hermine ernst in die braunen Augen. „Du warst doch gerade mal … hmm … zehn Mal dort.“
„Jetzt komm mir nicht damit“, seufzte Hermine und gab ihre strenge Haltung auf. „Schatz, ich vermisse ihn mindestens genauso sehr wie du und trotzdem wird sich nichts an der Gesamtsituation ändern. Außerdem trage ich ihn immer in meinem Herzen, dazu muss ich nicht auf einen …“ Mit brüchiger Stimme brach sie ab und wischte sich verstohlen Tränen aus den Augenwinkeln.
Für einen kurzen Moment sah er Hermine nur an, dann zog er sie in eine tröstliche Umarmung. „Es tut mir leid“, flüsterte Ron und streichelte mit der linken Hand über ihren Rücken, in der rechten hielt er seinen Zauberstab. „Das wollte ich nicht sagen.“
So standen sie einige Minuten da, bis Hermine sich beruhigt hatte. Mit geröteten Augen blickte sie zu Ron und holte tief Luft.
„Aber du kannst doch nicht einfach wegen einem Traum die Arbeit im Ministerium liegen lassen und auf den Friedhof gehen“, sprach sie leise.
„Ich kann nicht anders“, antwortete er und senkte den Kopf. „Es ist ein ganz komisches Gefühl, wenn ich nur daran denke. Außerdem, warum sollte ich von Harry und Malfoy träumen und mit ansehen, wie Malfoy in den Schwarzen See gezogen wird, wenn da gar nichts ist. Ich muss einfach zu Harry.“
Einen Augenblick herrschte Stille. Hermine beobachtete Ron und dachte ein weiteres Mal über den Traum nach, den er ihr vor ungefähr einer Stunde erzählt hatte. Davor war er schreiend aufgewacht und hatte sich zuerst nicht beruhigen lassen. Wieso er ausgerechnet so einen wirren Albtraum gehabt hatte, konnte sie ihm beim besten Willen nicht sagen, außerdem ergaben Träume nicht immer einen Sinn, oder vielleicht doch? Sie wollte es nur ungern zugeben, aber die Erzählung hatte sie erschreckt. Schließlich siegte ihr Wissensdrang über die Vernunft.
„Okay, ich komme mit …“, sagte Hermine und nahm ihren Wintermantel von der Garderobe, „… wenn es dich beruhigt.“
„Danke, danke, danke“, strahlte Ron, umarmte seine Liebste stürmisch und gab ihr einen leidenschaftlichen Kuss.
„Ja, ja, ja“, nuschelte sie ergeben, nachdem sie sich voneinander gelöst hatten.
Binnen einiger Momente später tauchten sie an der Stelle auf, an die der Rotschopf jeden Tag aufs Neue hinapparierte. Doch kaum standen beide auf dem Kiesweg, der zu Harrys Grabmal führte, stockte der Gryffindor und zupfte seine Verlobte nervös am Ärmel.
„Da … da vorne … siehst du“, stammelte er und zeigte mit dem Zauberstab auf zwei Personen, die soeben im Inneren verschwanden. „Da ist jemand.“
„Ja Ron, da ist jemand“, erwiderte sie sarkastisch und blickte zwischen ihrem Freund und dem Mausoleum hin und her. „Falls es dir entgangen sein sollte, wir befinden uns auf einem öffentlichen Friedhof und manchmal kommen Menschen hierher und besuchen Gräber. Das ist zufällig genau das, was wir vorhaben.“
Er achtete gar nicht auf ihre Worte, sondern nahm sie an der Hand. Gemeinsam liefen sie den Pfad entlang, wobei er zur Schnelligkeit drängte. Normalerweise hätte Hermine protestiert, aber ausnahmsweise ließ sie ihn gewähren, denn sie glaubte, die Besucher zu kennen. Als sie schließlich am unteren Stufenabsatz Halt machten und lauschten, bestätigte sich ihr Verdacht.
„So, jetzt sind wir da“, sagte ein Mann seufzend. „Und was möchtest du jetzt tun?“
„Halt mal für ein paar Sekunden den Mund, ich überlege“, antwortete eine melodische Männerstimme, die sie niemals in ihrem Leben vergessen würde.
Auch Ron wusste um wen es sich handelte. Aber bevor sie ihn hätte aufhalten können, war er bereits nach oben gestürmt und sie rannte ihm hinterher.
„Was habt ihr hier zu suchen?“, fragte der Rothaarige schroff und hielt die Zauberstabspitze auf die jungen Männer gerichtet, die ihm die Rücken zuwandte. „Ihr habt hier gar nichts zu suchen, also verschwindet sofort. Ihr seid nicht erwünscht.“
Elegant wie eh und je drehte sich Draco um und hob misstrauisch eine Augenbraue, während Blaise ihn am Unterarm fasste und auf ihn einredete, er solle ruhig bleiben. „Und wer hat das zu entscheiden, Wiesel? Das ist ein öffentlicher Ort und ich darf hingehen, wohin ich möchte.“
Einen Moment war der Gryffindor um Worte verlegen, doch gerade als er den Mund für eine Schimpftirade öffnete, stellte sich Hermine vor ihn und musterte die beiden Slytherins mit einem versöhnlichen Blick. Blaise Zabini hatte sie schon immer gemocht und nachdem Draco Malfoy und seine Mutter gleich nach Kriegsende vor dem Zauberergamont für unschuldig erklärt worden waren, sah sie den Blonden seitdem mit ganz anderen Augen.
„Ron hat es nicht so gemeint“, versuchte sie sich für ihren Freund zu entschuldigen. „Er ist nervlich nur etwas angespannt.“
„Bin ich nicht!“, geiferte der Rotschopf und trat neben seine Verlobte, ihn mit ernster Miene rügte. Aber davon ließ er sich nicht abhalten und stierte stattdessen den blonden Slytherin noch wütender an. „Ich glaube kaum, Malfoy, dass Harry gewollt hätte, dass ausgerechnet DU ihn besuchst. Also verschwinde von hier.“
„Soll das etwa eine Drohung sein?“ Draco spürte einen leichten Anflug von Zorn. Dabei war er doch nicht gekommen um zu streiten, sondern um seinen Albtraum endlich zu verstehen. „Na ja, sehr einfallsreich warst du noch nie. Wärst du nicht das Wiesel, würde ich dir raten ein paar Gehirnzellen zu kaufen.“
„Nein“, mischte sich Hermine ein und hielt Ron am Arm fest. Auf die Beleidigung ging sie erst gar nicht ein, denn ausnahmsweise stimmte sie dem Slytherin zu. Ron konnte manchmal sehr stur sein, oder die Leute auf seine ganz eigene Art auf die Palme bringen, vor allem wenn es unangebracht war. Seufzend sagte sie: „Ich glaube eher, er ist überrascht ausgerechnet euch hier zu treffen und ehrlich gesagt, bin ich das auch.“
„Als mich Dray vorhin unsanft weckte …“, schmunzelte Blaise und schwang imaginär eine Friedensfahne, „… da dachten wir auch nicht, euch zu treffen. Wie wäre es, im Angesicht des Ortes“, dabei schaute er bedächtig zu dem Glassarg, „wäre ich für ein ruhiges Gespräch unter früheren Mitschülern.“
„In diesem Fall stimme ich zu“, antwortete die Gryffindor und streckte Blaise freundlich lächelnd ihre Hand entgegen.
Der dunkelhaarige Slytherin nahm sie an und beide schüttelten galant die Hände, während Ron und Draco die Situation ungläubig beäugten. Als Hermine und Blaise wieder einen kleinen Schritt nach hinten machten, bedachten sie ihre Streithähne mit einem ‚Ich-warne-dich-Blick’ und ließen sie endlich los.
Draco schluckte merklich und wollte sich bereits abwenden, als Blaise ihm einen Schubs gab und mit dem Kinn in Richtung Hermine deutete. „Das ist nicht dein Ernst, oder?“, flüsterte er ihm zu, doch er bekam nur ein weiteres Kinndeuten. Resigniert und weil er vor Harrys Leichnam keinen Aufstand veranstalten wollte, machte er tatsächlich einen Schritt auf die Gryffindor zu, streckte die Hand aus und wartete.
Hermine staunte nicht schlecht und obwohl Ron ihr warnend in die Seite stieß, nahm sie Dracos Hand und schüttelte sie. Dabei spürte sie ein leichtes Zittern, konnte es aber nicht einordnen, woher es kam. Dann zwang Hermine ihren Freund Blaise ebenfalls angemessen zu begrüßen, worauf er nur widerwillig reagierte. Anschließend zogen sich Draco und Blaise auf die eine und Ron und Hermine auf die andere Seite des Glassarges zurück. Bedächtig sahen sie auf den leblosen Körper und schwiegen.
Der schwarzhaarige Gryffindor lag friedlich da und beruhigte auf seine ganz eigene Art und Weise die erhitzen Gemüter der Streithähne. Unabhängig voneinander standen sie sich ein, dass Harry der eigentliche Grund war, wieso sie sich gegenseitig noch keinen Fluch aufgehalst hatten. Außerdem wollten Draco und Ron dringend Klarheit über ihren Traum. Ron, weil er es immer noch nicht fassen konnte von seinem besten Freund und dem feigen, nervenden Frettchen geträumt zu haben. Draco, weil er seit dem Albtraum ein ungutes Gefühl hatte und je intensiver er Harry beobachtete, desto stärker musste er gegen seine Trauer ankämpfen.
Plötzlich, ganz ohne Vorwarnung, zuckte Draco keuchend zusammen und stieß erschrocken einen sehr Malfoy untypischen Schrei aus. Er sprang zur Seite, stolperte dabei über Blaise’ Füße und landete ungebremst auf seinem Allerwertesten. Sein Freund hatte ihn noch aufhalten wollen, stattdessen kniete er jetzt neben ihn, hin und her gerissen zwischen Lachanfall und Besorgnis.
Hermine rannte besorgt zu ihnen herüber, wobei sie ein amüsiertes Grinsen nur schwer verstecken konnte. Ron lief ihr langsam hinterher und brach am Ende bei Dracos misslicher Lage in schallendes Gelächter aus. „Hast du dir einen Fingernagel abgebrochen, oder warum kreischst du wie ein Mädchen und polierst dir den Hintern auf dem Boden?“
Der blonde Slytherin saß kreideweiß auf dem kalten Steinboden und rieb sich geistesabwesend das schmerzende Hinterteil. Dabei spürte er sehr deutlich seinen rasenden Puls und traute sich nicht aufzuschauen. Dass Blaise neben ihm kniete und Hermine in die Hocke ging, bemerkte er nicht. Nicht einmal Rons Lachen drang an sein Ohr. Dafür hörte er ein leises Kichern, ein Kichern, welches es eigentlich gar nicht geben durfte. Um seinem wachsenden Anfall, oder besser gesagt seinen völlig aus der Bahn geratenen Sinnen weitere Nahrung zu liefern, fühlte er einen eiskalten Lufthauch, der sein Gesicht streifte. Im nächsten Moment war er fast soweit einen weiteren spitzen Schrei auszustoßen, doch stattdessen schloss er die Augen, zählte bis zehn und versuchte krampfhaft sein Herz vor einem verfrühten Herzschlag zu bewahren. Als er jedoch die Lider wieder öffnete, hatte sich an dem Bild nichts geändert und ein erneutes Glucksen malträtierte seine Ohren. Gnädigerweise blitzten gleichzeitig funkelnde Sterne vor ihm auf und dann war plötzlich alles schwarz um ihn. Draco Malfoy lag ohnmächtig auf dem Boden.
„Mist, Draco!“, fluchte Blaise hektisch und musterte seinen besten Freund ziemlich besorgt.
Hermine zog erschrocken ihren Zauberstab und beschwor ein Kissen herauf, um es Draco unter den Kopf zu legen, denn er war sehr unsanft aufgekommen. Sie besah sich umso fürsorglicher den bewusstlosen Slytherin, der offensichtlich soweit nicht verletzt schien, und dann tauschte sie mit Blaise einen fragenden Blick aus.
Ron hatte aufgehört zu lachen und kam näher. Misstrauisch beäugte er den Blonden an und seufzte gespielt. „Der wusste schon immer, wie er einen dramatischen Auftritt hinlegt. Aber wegen einem Fingernagel so eine Show abzuziehen ist echt krass.“
„Ron!“, kam es scharf von Hermine und genügte, um ihn zum Schweigen zu bringen.
„Draco, komm schon, wach auf“, redete Blaise inzwischen auf seinen Freund ein und versuchte ihn mit einer sanften Ohrfeige zu wecken. „Mach jetzt keinen Scheiß und komm gefälligst wieder zu dir. Ich weiß ja, wie schwer es dir fällt, Harry loszulassen, aber er ist tot. Ja, es tut dir weh, aber du hättest dir keinen ungünstigeren Zeitpunkt aussuchen können, um aus den Schuhen zu kippen. Los, mach schon. Er kommt nicht wieder zurück, je mehr du trauerst, umso stärker schmerzt es …“
Während Blaise ohne groß nachzudenken auf Draco einredete, runzelte Hermine die Stirn. Hatte sie eben richtig verstanden? Konnte es denn tatsächlich wahr sein, dass Draco Malfoy – der Schulfeind ihres verstorbenen besten Freundes – Gefühle für ebenen jenen empfand? Das wiederum musste bedeuten, der ehemalige Eisprinz stand auf Jungs!
„Ähm … Blaise“, flüsterte sie ihm zu und verwendete ganz automatisch seinen Vornamen, „… was soll das heißen?“
Leicht verwirrt hob der Slytherin den Blick und schaute in die neugierige Miene der Gryffindor. Erst dann bemerkte er seinen Fehler und schluckte merklich. „Das heißt das, was es heißt“, antwortete er kryptisch und schielte vorsichtshalber zu Ron, der offensichtlich nichts mitbekommen hatte. „Aber ich warne dich, behalte es für dich.“
„Dann war Draco in Harry verliebt?“, fragte sie fast tonlos und verwendete plötzlich wie selbstverständlich auch dessen Vornamen.
Darauf erhielt sie ein Nicken. „Er ist aber noch lange nicht …“, Blaise brach ab, als er Draco stöhnte. „Hey, da bist du ja wieder.“
Wie aus weiter Ferne drangen Stimmen an Dracos Ohr, sie wurden immer lauter. Er seufzte und öffnete flatternd die Lider. Zwei schwarze Augen sahen auf ihn herab, die sich mit einem erleichterten Gesichtsausdruck vermischten und plötzlich waren alle Erinnerungen auf einen Schlag zurück. Erneut beschleunigte sich sein Herzschlag und in der ganzen Aufregung versuchte er sich aufrecht hinzusetzen. Dass ihm Hermine dabei half, bekam er nur am Rand mit. Umso schockierter stierte er geradeaus und glaubte endgültig den Verstand verloren zu haben. Der Gedanke an einen Amnesia oder ein übereilter Aufenthalt in einer gepolsterten Muggelgummizelle bekam eine völlig neue Bedeutung, welche ihm zu einem seltsamen Lächeln veranlasste. Vor ihm hockte ein durchsichtiger Harry Potter, der ihn feixend beobachtete.
„Bl … Bla … Blai …“, stammelte er und sog scharf die Luft ein. „Da … da … H … Ha … nein, nein … Mungo“, für mehr Worte war er nicht fähig, nicht als der durchsichtige Harry Potter auch noch zu reden anfing.
„Endlich“, seufzte der tot geglaubte Held-der-Zaubererwelt und amüsierte sich köstlich über die Vorstellung, doch eigentlich war ihm überhaupt nicht nach lachen zu mute. „Hör bitte mit dem Gestotter auf, du musst mir zuhören“, sprach er auf den ziemlich blassen Draco ein, der mit seiner ungesunden Gesichtsfarbe durchaus einer Leiche Konkurrenz hätte machen können. „Wenn du nicht langsam normal wirst, steckt dich Hermine wirklich ins St. Mungos und wer bitte soll mir dann helfen? Ron kapiert es einfach nicht, aber du.“
„Ha … Ha … Harry Po … Potter“, stammelte Draco und rieb sich mehrmals fahrig über die Augen. Aber die Fata Morgana verschwand nicht, das war zum Haare raufen und Mäuse melken obendrein. Außerdem hatte die Erscheinung zwei Mal ‚Bitte’ zu ihm gesagt. Harry würde niemals im Zusammenhang mit seiner Person das Wort ‚Bitte’ verwenden. Also träumte er und …
Es gab ein klatschendes Geräusch und sofort brannte Dracos rechte Wange. „Au … was …“, quetschte er irritiert hervor, als urplötzlich auch noch seine andere Wange glühte. „Du Idiot, spinnst du?“ Der Blonde war in die Gegenwart zurückgekehrt und funkelte seinen Freund wegen den Ohrfeigen wütend an.
Der dunkelhaarige Slytherin zuckte unschuldig die Schultern. „Aber wenigstens bist du wieder da.“
„Vielleicht sollten wir ihn vorsichtshalber ins St. Mungos bringen“, schlug Hermine hilfsbereit vor und erhob sich.
„Gute Idee, am besten geht er Lockhart besuchen, dann sind zwei Gleichgesinnte unter sich“, stichelte Ron von oben herab, verstummte aber bei dem stechenden Blick seiner Verlobten.
Inzwischen war Draco aufgestanden, obwohl seine Beine derzeit aus Wackelpudding zu sein schienen. Zittrig stützte er sich am Glassarg ab und starrte wie ein Besessener nach oben. Harrys Erscheinung war auf den Sarg geschwebt, saß jetzt oben auf und trommelte mit den durchsichtigen Turnschuhen dagegen.
„Blaise, weis mich ein, jetzt!“, befahl der Blonde und versuchte aufs Neue seinen Pulsschlag davor zu bewahren, in ungeahnte Höhen abzudriften.
„Na super, Malfoy“, stöhnte Harry, „was willst du jetzt im St. Mungos? Ich brauche dringend deine Hilfe. Du bist der erste, der mich endlich sieht. Anstatt aus den Latschen zu kippen, könntest du den anderen sagen, dass ich nicht tot bin.“
„Ich glaube es ist besser, wenn du dich Zuhause hinlegst“, meinte Blaise gleichzeitig.
„Hey, wenn alle auf einmal reden, dann versteh ich keinen Ton“, beschwerte sich Draco säuerlich. Die hochgezogene Augenbraue seines Freundes irritierte ihn allerdings.
„Hast du mir nicht zugehört“, versuchte es Harry ein weiteres Mal und schüttelte dabei den Kopf, „mich sieht und hört keiner, außer dir, Malfoy.“
„Moment mal!“ Der Blonde runzelte die Stirn. „Du willst mir tatsächlich sagen, nur ich sehe und höre dich, obwohl du tot bist, es aber trotzdem nicht bist. Und nur ich kann dich auf deinem Sarg sitzen sehen?“
„Ja, so in etwas stimmt das.“ Harry hatte zwar geahnt, dass es schwierig werden würde, aber mit Draco Malfoys Begriffsstutzigkeit hatte er nicht gerechnet. Auf der anderen Seite war er unendlich froh, dass er ihn wahrnahm. „Wegen Peeves wolltest du nie ins St. Mungos, aber wegen mir willst du dich einsperren lassen? Dabei warst du doch derjenige, der bei seinen Besuchen immer geheult hat und sich Vorwürfe machte, weil du mir so viel noch sagen wolltest. Jetzt bin ich da und du machst einen Aufstand. Stimmt es eigentlich wirklich, dass du ihn mich verknallt bist?“
Das letzte Wort war kaum in Dracos Gehirn verarbeitet worden, schon wechselte seine Stimmung von einem verirrten lauen Lüftchen zu einem tobenden Orkantief. „Wenn du nicht gleich aufhörst mir im Kopf rumzuspuken und noch einmal erwähnst, dass ich in dich verknallt bin, Potter, dann sorge ich dafür, dass dich keiner mehr hört und sieht, denn das weiß außer Blaise und mir niemand und das soll auch so bleiben“, gab der Blonde mit Gift triefender Stimme zu verstehen und funkelte den durchsichtigen Gryffindor böse an. Was war nur geschehen, dass er plötzlich von einem Albtraum in den nächsten schlitterte und dabei immer deutlicher den Boden unter seinen Füßen verlor? Wieso war ihm die Situation aus den Händen geglitten und warum redete er eigentlich mit Harry Potter, der doch friedlich im Glassarg liegen sollte. Ein Blick in den selbigen verwirrte ihn nur umso mehr, denn dort lag Harrys Leichnam.
Während Draco völlig in seinen eigenen Gedanken versunken war, bekam er die überraschten Gesichter der anderen nicht mit. Blaise seufzte verzweifelt, Hermine konnte es kaum glauben, was sie gehört hatte und Ron stand mit grünlicher Nase neben ihr und schnappte aufgrund des Schocks nach Luft.
Binnen weniger Augenblicke bemerkte Draco schließlich seinen Fehler und lief puderrot an. Im Geist schimpfte er sich einen Flubberwurm und wäre am liebsten auf der Stelle explodiert. Als Harry erneut kicherte, war der Zeitpunkt gekommen den letzten kläglichen Rest seines Malfoystolzes zusammenzukratzen. Betont langsam zog er seinen Zauberstab und wandte sich an die beiden Gryffindors.
Blaise, dem plötzlich ein ungutes Gefühl überkam, stellte sich ihm in den Weg. „Was willst du tun?“, fragte er ernst.
„Na, was schon, einen Obliviate sprechen, oder glaubst du die zwei …“, er wedelte mit der freien Hand in Richtung Ron und Hermine, „… spazieren jetzt mit meinem Geheimnis einfach so davon.“ Seine Stimme ließ kaum noch Raum für Widerworte, aber auch nur kaum.
„Jetzt spinnst du aber echt“, hielt der dunkelhaarige Slytherin dagegen und umfasste Dracos Handgelenk. „Wenn du willst, bringe ich dich lieber zu einem Heiler.“
„Zu einem Heiler? Was soll ich denn da?“ Der Blonde klang leicht panisch.
„Wisst ihr was, Leute“, mischte sich Hermine ein und reichte Blaise eine Visitenkarte. „Wir gehen besser, du kannst uns ja sagen, wie es ausgeht. Die Adresse und unsere Telefonnummer stehen da drauf.“
„Mine, was machst du da“, kehrte nun auch Ron in die Gegenwart zurück. „Das sind Slytherins, denen kannst du doch nicht unsere Ad-„ Mitten im Satz war der Rotschopf samt Freundin disappariert.
„Super, toll, das hast du gut gemacht“, schnappte Draco wütend und riss sich los. „Morgen steht es bestimmt im Tagespropheten und ich kann mich gleich ersäufen.“ Darauf stapfte er vor dem Sarg auf und ab und knirschte gefährlich mit den Zähnen.
„Lass es gut sein“, seufzte Blaise. „Außerdem gib mir nicht die Schuld für etwas, was du selbst getan hast.“ Er lief zum Eingang des Mausoleums und atmete mehrmals tief durch, bevor er sich wieder seinem Freund widmete. Eigentlich hatte er heute morgen ganz andere Pläne gehabt, die Stöhnen, Keuchen, und verschwitzten Körpern beinhalteten und definitiv nichts mit seinem besten Freund zu tun hatten, der starke Tendenzen zu einem nervlichen Wrack entwickelte. Im Prinzip wartete er nur auf den endgültigen Schiffbruch. Was bei Morganas Strapsen war bloß schief gelaufen und wieso fixierte Draco wie ein zweiter Voldemort auf Droge einen leeren Fleck? Schließlich sprach er ihn vorsichtig an. „Ich möchte gerne wissen, was für eine Show du hier abziehst, normal ist nämlich was anderes.“
„Ach wirklich?“, fragte der Blondschopf spöttisch und beäugte Harry, der inzwischen vor ihm stand und ihn wiederum argwöhnisch musterte. „Ich sehe tote Potters und du hast nichts Besseres auf Lager und sagst mir, es wäre nicht normal. Darauf wäre ich auch selbst gekommen. Für den blauen Fleck auf meinem Arsch schuldest du mir einen Schmerztrank und eine Flasche Feuerwhisky obendrein. Oder mach besser zwei draus, vielleicht sehe ich dann wenigstens rosarote Engelchen im Tütü und engen Strumpfhosen. Dann weiß ich wenigstens, warum ich später über der Kloschüssel hänge und sterbe.“
„Es tut mir leid, Malfoy …“, antwortete Harry zeitgleich mit Blaise, dessen Worte ungehört im Raum verhallten, „… aber ich muss dir sagen, deine Sprüche waren früher um Längen besser. Dafür könntest du dich mal im Spiegel betrachten, du siehst gar nicht gesund aus.“
„Und wer ist schuld?“, geiferte der Blonde und spürte einen heftigen Stich an der rechten Schläfe. Sofort massierte er sich besagte Stelle und seufzte. „Potter, wenn ich jetzt Migräne bekomme, dann hexe ich deinen Körper ins Mittelalter, ohne Rückfahrkarte, verstanden!“
Harry nickte grübelnd. Womöglich war es besser, wenn sein Gegenüber sich ausruhte, bevor dieser noch eine Herzarttake erlitt, was nun für seinen eigenen Zustand nicht wirklich zuträglich war. Er brauchte dringend Hilfe. Doch das es ausgerechnet Malfoy sein musste, beruhigte ihn momentan nicht im Geringsten. Allerdings dachte er selbst schon länger über dessen Liebesgeständnis nach, was er mit einem äußerst seltsamen Gefühl aufgenommen hatte. Draco Malfoy war in ihn verliebt. Vielleicht, aber auch nur vielleicht war das der Schlüssel zum Rätsel und …, weiter dachte Harry lieber nicht nach. Zuerst musste der Blondschopf kapieren, dass er weder fantasierte, noch dass er träumte. Genau das schien im Moment ein unüberwindbares Hindernis zu sein.
„Draco komm mit, du kannst auf meinem Sofa pennen“, zog Blaise ihn mit sich und erhielt nur am Rand die Aufmerksamkeit seines Freundes. „Das sind bestimmt die Auswirkungen deines komischen Traumes. Schlaf einfach eine Runde und es geht dir besser.“ Ein ‚das hoffe ich wenigstens’ nuschelte er in den nicht vorhandenen Bart.
Aber Harry hatte jedes Wort verstanden und grinste mit einem Mal breit von einem Ohr zum anderen. Also hatte es funktioniert und das war wohl der Grund, warum Ron mit Hermine und die beiden Slytherins zu ihm gekommen waren. Besser hätte es nicht laufen können und schon wusste er genau, was er als nächstes tun musste. Nachdenklich beobachtete er, wie die jungen Männer apparierten.
--ooOOoo--
Draco spürte langsam wieder Leben in seinen erschöpften Körper zurückkehren, obwohl er viel lieber in dem romantischen Traum geblieben wäre, wo Harry und er kuschelend auf einer Wiese lagen und sich sonnten. Aber ein kalter Windhauch verhinderte, dass er einfach wieder einschlafen konnte und ihm dafür ohne Unterlass ins Gesicht blies. Brummelnd fuhr er sich mit der Hand über Wangen und Nase. Danach kuschelte er sich tiefer in die warme Wolldecke und seufzte zufrieden. Doch kaum versuchte er wieder den Pfad ins Reich der Träume zu beschreiten, wagte es der Windhauch mit einer ungeheuerlichen Unverschämtheit wiederzukommen, der diesmal kälter war und überflüssigerweise auch noch hartnäckig blieb. Nun brummte er lauter und wedelte mit der Hand vor seinem Gesicht herum, als wollte er eine Fliege verjagen. Doch es half nichts. Schließlich öffnete er verschlafen die Augen einen Spalt, um den Auslöser für die Unterbrechung seines Schönheitsschlafes ausfindig zu machen.
„AHHHHHH!“, kreischte Draco und war schlagartig wach, als er in Harry Potters durchsichtiges Gesicht starrte, der ihn wiederum amüsiert beobachtete. Zu allem Unglück fast Nasenspitze an Nasenspitze. Panisch strampelte Draco die Decke von sich und sprang mit einem Hechtsprung auf die Füße. Dabei rauschte er mitten durch Harry hindurch, was er mit einem quietschenden „IHHHHHH“ begleitete und er sich heftig schüttelte. Ein eiskalter Schauer lief ihm den Rücken herunter.
„Spinnst du, Potter?“, giftete der Blonde einen Moment später in Richtung seiner zurückgekehrten Fata Morgana. Also hatte ihm der Mittagsschlaf überhaupt nichts gebracht, was nur bedeuten konnte, dass er kurz davor stand wahnsinnig zu werden. Wieso? Weshalb? Warum ausgerechnet er?
„Hat dir dein Nickerchen nicht geholfen?“, fragte Harry unschuldig und schwebte neugierig durch Blaise Wohnzimmer.
„Warum verschwindest du nicht einfach dahin, wo du herkommst?“, schüttelte Draco verzweifelt den Kopf, schloss die Augen und zählte langsam bis zehn. Als er sie wieder öffnete, stöhnte er laut. An dem Bild hatte sich rein gar nichts verändert, höchstens das Harrys Erscheinung nun interessiert Blaise CD Sammlung begutachtete. „Bei Merlins stinkenden Strümpfen …“, sagte der Blonde und machte vorsichtig einen Schritt auf das Sofa zu, „… was soll das für eine Strafe sein? Wieso sehe ich plötzlich Tote und dann ausgerechnet dich, Potter? Ich hab dich nicht umgebracht oder sonst was, also musst du dich auch nicht an mir rächen, wenn es das ist. Mist, ich brauche Hilfe, ich will mich ertränken.“
„Keine Sorge, ich bin kein Wiedergänger“, lachte Harry und schwebte zum Sofa zurück. „Obwohl, ich weiß nicht genau, was ich überhaupt bin, tot bin ich aber nicht. Ich brauche dringend deine Hilfe.“ Den letzten Satz sprach er hoffnungsvoll aus.
Für einen Moment herrschte absolute Stille, dann schnappte sich Draco die Decke, wickelte sich umständlich darin ein, zog die Beine an und begann mit dem Oberkörper vor und zurück zu wippen, dabei flüsterte er: „Ich will ins St. Mungos. Ich will ins St. Mungos. Ich will ins St. Mungos …“
Harry schaute sich das Schauspiel ein paar Minuten an. Hatte er vielleicht etwas falsch gemacht? Wenn ja, dann wusste er aber nicht was. Bis vor kurzem hatte er noch alle Hoffnung aufgegeben, dass ihn überhaupt jemand wahrnahm. Jetzt endlich hatte er einen Menschen gefunden der es konnte, doch der trieb sich gerade selbst in den Wahnsinn. Aber was sollte er machen? Er wusste nicht einmal was mit ihm geschehen war und suchte verzweifelt einen Ausweg aus seiner unsichtbaren Misere. Schließlich beschloss er es anders anzugehen und empfand doch tatsächlich Mitleid mit Draco Malfoy.
„Malfoy?“, fragte Harry ungeduldig, nachdem er allmählich genug von dem Gejammer hatte. „Hey Malfoy, hör auf mit deinem Rumgewackel und hör mir zu. Ich brauche deine Hilfe.“
Es folgte keine Reaktion und Harry seufzte frustriert. Was musste er tun um die Aufmerksamkeit des offensichtlich durchdrehenden Slytherins auf sich zu lenken? Grübelnd schwebte er zum Fenster, als er eine Idee hatte. Im nächsten Moment huschte er durch den Körper von Malfoy hindurch, wandte sich eilig um und drückte seine durchsichtigen Lippen, die zu einem Kussmund geformt waren, auf die Wange seines Opfers.
„AHHHHHHH“, kreischte Draco wie von Sinnen, warf die Wolldecke im hohen Bogen fort und sprintete in Rekordzeit zur Wohnzimmertür, wo er mit dem Rücken zum Flur stehen blieb; jederzeit bereit die Flucht anzutreten. Dabei schauderte er am ganzen Körper und glaubte, sein Herz würde stehen bleiben, während er panisch den lachenden Geist beobachtete, der sichtlich eine Menge Spaß hatte. „Willst du mich umbringen … du … du Ding … du?“, rief er und hoffte sehnlichst auf Blaise Erscheinen. Sein Schrei von eben hätte selbst Tote zum Leben wiedererweckt.
Als hätte Harry seine Gedanken gelesen, wurde er plötzlich ernst und sagte: „Blaise hat einen Schlaftrank genommen, der wacht vor Morgen bestimmt nicht auf.“
„Du hast ihn umgebracht?“ Draco fühlte den Wahnsinn immer näher an seinem Verstand nagen.
„Quatsch keinen Müll, Malfoy!“ Harry ahnte, dass es noch eine Menge zu tun gab, bevor ihm der Slytherin glauben würde. „Hör mir gefälligst richtig zu. Blaise hat nur einen Schlaftrank genommen und schläft. Wieso sollte ich ihn denn umbringen?“
„Weil … du bist ein … Geist“, stotterte Draco und schluckte seine Angst herunter, was ihm aber nicht wirklich gelang. „Geister töten … also … du bestimmt. Aber woher … weißt du das?“ Anschließend hob er skeptisch eine Augenbraue und wurde mutiger. „Was bist du eigentlich? Woher kommst du? Warum bist du hier und wie bist du eigentlich in Blaise Wohnung gekommen?“
„Was denkst du wohl?“
„Was soll ich denken? Was meinst du?“ Draco war plötzlich verwirrt.
„Na ganz einfach, ich kann durch Wände und Türen gehen“, schüttelte Harry amüsiert den Kopf. „Was hast du denn gedacht.“
Für einen Augenblick schwieg Draco und dachte über die Worte nach. „Danach habe ich doch gar nicht gefragt, ich will wissen was du bist“, gab er ein wenig beleidigt zurück.
„Dann frag nicht so blöd und stelle die Fragen richtig“, grinste Harry, dem die Verzweiflung seines Gegenübers gefiel. Doch er benötigte Draco und wollte seine angegriffen Nerven nicht überstrapazieren, der ohnehin kurz vor einem Anfall stand. „Wenn du mir versprichst nicht mehr auszurasten und du dich nicht mehr wie ein Irrer aufführst, bekommst du auch deine Antworten. Deal?“
Dracos Misstrauen war weiterhin präsent, aber dieses tote Potterdings schien sehr darauf erpicht, ihm etwas Dringendes mitzuteilen. Außerdem wollte er gerne wissen, was hier mit ihm geschah. Daher nickte er zögerlich und blieb an Ort und Stelle stehen. Die Haustür war nicht weit und bot ihm jederzeit einen Weg zur Flucht. Allerdings steckte sein Zauberstab in der Hosentasche und diese lag auf der Couch. So musste es eben ohne Zauberei gehen.
„Gut.“ Harry wirkte erleichtert und hoffte er würde das Richtige tun. Draco war weit und breit der einzige Zauberer, der ihn überhaupt sehen und hören konnte. Bei Ron und Hermine hatte es zu seinem größten Leidwesen bisher nicht funktioniert. „Ich nehme nicht an, dass du dich setzen willst?“, fragte Harry rein rhetorisch und begann wieder im Zimmer herumzuschweben. „Es ist ein bisschen kompliziert und ehrlich gesagt verstehe ich es selbst kaum, aber eines weiß ich genau, ich bin nicht tot.“ Danach machte er eine Pause und blickte in Dracos silbergraue Augen. Die Angst schien einer gewissen Neugier gewichen zu sein, denn nun sahen sie ihn auf eine Weise an, die den Wahn allmählich vertrieb. Noch vor ein paar Monaten hatte er Malfoy nicht ausstehen können, aber seitdem er in diesem merkwürdigen Zustand existierte, hatte er angefangen seinen ehemaligen Mitschüler in einem neuen Licht zu betrachten. Der gleiche Malfoy hatte ihm – oder besser gesagt seinem aufgebahrten Körper – seine Liebe gestanden, was ihn ein wenig sympathischer machte. Trotzdem war er immer noch ein verwöhnter und arroganter Aristokratensohn. Die Frage, die er sich daher schon länger stellte lautete, waren Draco Malfoys Gefühle für ihn echt?
„Okay, du bist also nicht tot“, wiederholte Draco. „Aber… aber was bist du dann? Bist du der … der Geist … von Potter?“ Die durchsichtigen grünen Augen des Wesens, welches wie Harry Potter aussah, machten ihn plötzlich nervös. Aber nicht nur das, er wollte wissen, wieso nur er diesen Geist sehen konnte und nur er alleine. Irgendetwas stimmte nicht. In Hogwarts waren die Geister auch für jeden sichtbar.
„Ich habe dir schon einmal gesagt, ich bin kein Gespenst“, seufzte Harry. „Ich kann dir auch nicht sagen was ich bin, nur dass ich nicht tot bin.“
„Okay“, nickte Draco, der bemerkte, dass sich dieses Gespräch langsam im Kreis zu drehen begann. „Und wie bist du dann vom Friedhof hierher gekommen?“ Wenn die Antwort nicht zufrieden stellend ausfallen würde, würde er sich freiwillig in die Hände der Heiler begeben.
„Das ist einfach“, lächelte Harry. „Ich kann in die Gedanken der Menschen eindringen und darin lesen. Aber keine Sorge …“, ergänzte er rasch, als Draco ihn geschockt und zutiefst verlegen anstarrte, „deine Gedanken sind sicher, zumindest soweit, dass ich nur in deine Träume eindringen kann. Bei dir ist es irgendwie anders.“
„Dann … hast du mir den Traum letzte Nacht geschickt?“ Auf dieses „irgendwie anders“ reagierte er nicht.
Harry nickte. „Auch Ron und Hermine hatte ich diesen Traum geschickt, doch nur du und Ron habt ihn wirklich erlebt. Und von euch zweien bist du der einzige, der mich nun endlich sehen kann.“
Für einen Augenblick lag Draco ein bissiger Kommentar auf der Zunge, aber er schluckte ihn herunter und dachte zum ersten Mal darüber nach, was ihm diese Pottererscheinung schon mehrmals gesagt hatte. Nur er konnte ihm helfen! Nur er alleine konnte ihn überhaupt wahrnehmen! Aber wieso nur er? Was hatte er getan? Wenn das alles wirklich geschah, dann musste etwas Größeres dahinter verborgen sein, die Frage lautete nur: Was? Diese und viele weitere Fragen spukten durch seinen Kopf und er war dabei so abgelenkt, dass er sogar aufhörte zu zittern. Er war von diesem Wunder ganz fasziniert.
Als Draco Malfoy keine Anstalten machte etwas zu antworten, nutzte Harry die Gelegenheit und erzahlte ihm, wie es zu seinem derzeitigen Zustand gekommen war. „Das letzte woran ich mich noch ganz deutlich erinnere ist die große Schlacht in Hogwarts. Ich sehe manchmal sogar noch Voldemorts rot glühende Augen. Sie starren mich voller Hohn an und dann höre ich mich selbst, wie ich den Todesfluch ausspreche. Niemals in meinen Leben hatte ich jemandem so den Tod gewünscht wie ihm. Es war ein unbeschreiblich befreiendes Gefühl …“ Er brach ab und die Erinnerungen dieses verhängnisvollen Tages prasselten auf ihn ein. Es war so grausam gewesen und so viele Freunde hatten ihr Leben verloren.
„Und was ist danach mit dir geschehen?“, holte Dracos Stimme Harry zurück.
Der Gryffindor seufzte erneut. „Nachdem mich Voldemorts Fluch traf sind meine Erinnerungen verschwommen“, sagte er leise und sein Blick wanderte zum Fenster, vor dem sich das Grau des Himmels zu einem weiteren Wolkenbruch zusammenbraute. „Ich weiß nur, es war ein sehr merkwürdiges Gefühl, als hätte mich jemand ruckartig nach hinten gezogen. Es war nicht der Aufprall des grünen Blitzes, sondern … wie sag ich das nur … als hätte ich einfach jemand an den Armen gepackt und aus der Schusslinie gezogen. Das klingt bestimmt total lächerlich, aber anders kann ich das nicht beschreiben. Ich sah auf meinen eigenen Körper und danach war alles schwarz um mich herum. Das nächste woran ich mich erinnere ist der Friedhof und die übertriebene Beerdigung und dass ich auf meinem eigenen Glassarg saß. Ich habe jeden einzelnen angeschrieen, dass ich nicht tot bin, aber bis heute hast nur du mich gehört.“ Schließlich endete er und senkte betrübt den Kopf.
Draco hatte aufmerksam zugehört und begann zu lachen. „Ja, das klingt lächerlich.“ Anschließend lief er jedoch im Wohnzimmer herum, dachte nach und setzte sich am Ende auf die Couch zurück, wo er nervös mit seinen Fingern spielte. „Und warum dann ich? Das ist total verrückt, weißt du das. Allerdings hätte ich eine Idee, die wenigstens erklärt, was du bist, Potter.“
Die Worte waren kaum über Dracos Lippen gekommen, da erhellten sich Harrys Gesichtszüge. Eilig wandte er sich vom Fenster ab und schwebte zum Sofa. „Und was bin ich?“
„Na, liegt das nicht klar auf der Hand?“ Draco reckte den Kopf und ein wenig seiner Arroganz kehrte auf sein blasses Gesicht zurück.
„Dann rück endlich mit der Sprache raus, Malfoy.“
„Du bist Potters Seele, Potter“, grinste der Blonde und verschränkte beide Arme vor der Brust. Er würde keine Widerworte dulden.
„Aha“, war Harrys geistreicher Kommentar und er versuchte nicht allzu enttäuscht dreinzuschauen. „Und woher willst du das so genau wissen? Bist du jetzt Experte auf diesem Gebiet?“
Draco überging die Stichelei, stattdessen zwinkerte er frech. „Intuition, Potter … simple Intuition.“ Er schien plötzlich wie ausgewechselt. Nichts an ihm erinnerte noch an den ängstlichen jungen Mann von eben. „Was sollst du denn sonst sein außer eine Seele. Außer ich bilde mir nur ein, dass du in Blaise Wohnzimmer herumschwebst und wenn ja, dann hast du dir definitiv den Falschen ausgesucht.“
Harry stöhnte. Er hatte gedacht über diesen Punkt wären sie endlich darüber hinaus, doch da schien er sich gewaltig geirrt zu haben. Dafür beschlich ihn eine Idee und er lächelte verschmitzt. Malfoy fordert sein nächstes Vorgehen geradezu heraus, also musste er auch mit den folgenden Konsequenzen leben. Normalerweise hätte er nicht zu diesem Mittel gegriffen, doch ihm blieb keine großartige andere Wahl.
Der körperlose Gryffindor raste in wahnsinniger Geschwindigkeit auf den Blonden zu, so dass diesem nicht einmal die Zeit für einen Schrei blieb. Harrys Geist schlüpfte in den Körper des Slytherin und plötzlich teilten sich zwei Seelen einen Körper, es war als würden sie miteinander verschmelzen. Innerhalb von Sekunden konnte Harry die Gedanken und Gefühle von Draco spüren, als wären es seine eigenen, als hätten sie schon von Geburt an zu ihm gehört. Ein gewaltiger Fluss an Bildern und längst vergangenen Gesprächen breiteten sich ihn seinem Geist aus, nahmen ihn gefangen. Manche von ihnen spielten sich in einem Zeitraffer ab, andere wiederum bestanden aus zahlreichen Bildsequenzen, die sich in unbeschreiblichem Tempo einen Weg durch sein Gedächtnis bahnten. So wurde er unweigerlich Zeuge von Dracos bisherigem Leben, ebenso wie Draco nun das Leben von Harry kannte, als hätte er es selbst gelebt.
Irgendwann, in der Zeit zwischen Realität und Erinnerung, in der der Zeit, wenn der Körper in den Schlaf eintaucht, lag Draco entkräftet auf dem Sofa und wälzte sich unruhig von einer Seite auf die andere. Er hatte Dinge gesehen, die er niemals hatte wissen wollen, doch sie waren nun ein Teil von ihm selbst und seine Liebe zu Harry wuchs mit jedem weiteren Herzschlag.
wird in Teil 3 fortgesetzt
Tag der Veröffentlichung: 22.12.2010
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