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Du bist meine Ewigkeit



Teil 1




Die Kirchturmuhr um die Ecke schlug pünktlich um fünf Uhr abends, als Ronald Weasley von seinem Sessel auf stand und in den breiten Flur der recht geräumigen Drei-Zimmer-Muggelwohnung lief, die am südlichen Rand von Greenwich lag. Er nahm seinen dicken braunen Wintermantel von der Garderobe und zog ihn an. Seinen Rotschopf bedeckte er mit einer gestrickten beigefarbenen Wollmütze seiner Mutter, die Handschuhe steckten in den Manteltaschen und zum Schluss umschloss er seinen darin versteckten Zauberstab mit der rechten Hand. Dann konzentrierte er sich und wenige Minuten später tauchte Ron etliche Kilometer südwestlich von London auf einem schmalen Schotterweg wieder auf.

Ringsherum thronten stämmige Eichen, Eschen, Ahornbäume und auch einige Tannen. Der Pfad vor Ron war mit nassen Herbstlaub bedeckt und es nieselte vom dämmrigen mit Wolken verhangenen Himmel herab. Dazu pfiff ein kalter Wind, aber all das machte ihm schon seit fünf Monaten nichts mehr aus. Jeden Tag um dieselbe Uhrzeit kam er an diesen Ort zurück und er würde es auch weiterhin tun.

Schließlich schaute er sich einmal neugierig um, wobei sein Blick über die zahlreichen Grabsteine wanderte. Mit den Händen in den Manteltaschen spazierte er langsam den Weg entlang, wobei der Kies unter den Schuhsohlen knirschte, während er in Gedanken versank.

Vor knapp einem Jahr waren Hermine und Harry demselben Pfad gefolgt. Damals war der Friedhof des Zaubererdorfes Godric’s Hollow allerdings schneebedeckt und die zwei auf der Flucht vor den Todessern gewesen, so hatte es ihm Hermine erzählt. Heutzutage war die Gefahr vor den Gefolgsleuten des Dunklen Lords gebannt und er kam oft alleine an diesen Ort. Ab und zu begleiteten ihn seine Verlobte Hermine, Ginny oder auch seine Mutter, aber meistens wollte er einfach seine Ruhe. Weil jeder es wusste, war dies Rons alleiniges alltägliches Ritual. Viel lieber wäre er jedoch mit seinem besten Freund durch die Winkelgasse gelaufen, hätte mit ihm allerlei Unsinn angestellt oder sogar Muggellondon unsicher gemacht, aber Lord Voldemort hatte ihm Harry für immer genommen. Der einzige Trost der ihm blieb, Harry hatte es vor seinem eigenen Tod geschafft, die Welt vor dem grausamen Schwarzmagier und selbst ernannte Nemesis der Hexen und Zauberer zu befreien. Doch der Preis dafür war hoch gewesen, höher als viele jemals gedacht hätten.

Ron hatte in der Endschlacht hilflos zusehen müssen, als Voldemort und Harry zeitgleich den Todesfluch aussprachen und im selben Augenblick leblos auf den Boden der Großen Halle fielen. Der anschließende Jubel war gigantisch, aber Ron hatte sich nie freuen können. Wie gerne hätte er sein Leben für das seines tapferen besten Freundes gegeben. Stattdessen blieb ihm nur der alltägliche Gang zu Harrys Grab auf dem Friedhof von Godric’s Hollow.

Über den Verlust konnte ihn bis heute weder der Orden für Tapferkeit des Zaubereiministeriums hinwegtrösten, dem auch Hermine, Neville und einigen anderen verliehen worden war, noch die jeweils hunderttausend Galleonen für jeden des einstmals goldenen Trios. Das Geld ruhte seither in seinem Verlies in Gringotts und er wollte es nicht anrühren. Dagegen war sein Job im Ministerium in der Abteilung zur Aufspürung und Sicherstellung magischer Artefakte, den er persönlich auf Empfehlung des neuen Zaubereiministers, wegen seinen Taten an der Seite des Befreiers, bekommen hatte, das Beste an allem. Damit verdiente er gutes Geld, lebte mit Hermine zusammen in einer Muggelwohnung und pflegte guten Kontakt zu Neville und Luna, die inzwischen ein Paar waren. Aber das alles brachte ihm niemals seinen besten Freund zurück und er vermisste ihn schrecklich.

Schließlich blieb der Rothaarige stehen und sah auf das drei Meter hohe und fünf auf fünf Meter quadratische Mausoleum aus weißem Marmor. Von der Form glich es einem altgriechischen Tempel mit kunstvoll verzierten Säulen ringsherum. Die Pfeiler selbst wurden am unteren Rand von hüfthohen Steinfiguren getragen, die Drachen, Minotauren, Löwen, einen Phönix und sogar ein Einhorn darstellten. Oberhalb der drei Stufen, die ins Innere führten, hing eine goldene Gedenktafel, die von zwei eingemeißelten Löwen flankiert war. Die Innschrift kannte Ron auswendig und trotzdem las er sie bei jedem seiner Besuche aufs Neue.


Harry James Potter
Juli 1980 bis Mai 1998
Unvergessener Befreier des Bösen und Held der Zaubererwelt
Ruhe in Frieden




Seufzend senkte der Rothaarige den Kopf und sein Blick fiel direkt auf den magisch versiegelten, durchsichtigen Glassarg, der in der Mitte des Mausoleums auf einem Sockel ruhte. Das Grabmal selbst wurde von einem starken Unsichtbarkeitszauber vor den Augen der Muggel verborgen gehalten.

Die Regierung hatte darauf bestanden Harrys Körper der Zaubereröffentlichkeit zu präsentieren, obwohl die Familie Weasley, Hermine und sogar Professor McGonagall absolut dagegen gewesen waren. Natürlich wurde ihr Einwand nicht berücksichtigt. Um dem ganzen die sprichwörtliche Krone aufzusetzen, wurde der Leichnam durch einen besonders starken Zauber vor Verwesung geschützt. Wäre es nach rothaarigen Gryffindor gegangen, dann hätte er Harry in einem normalen Sarg im Familiengrab seiner verstorbener Eltern bestatten lassen. Was anderes hätte sich sein bester Freund vermutlich auch nicht gewünscht. Ron konnte nur schnauben, wenn er über diese Farce nachdachte, denn er wusste es nur zu gut, wie Harry den Ruhm schon zu seinen Lebzeiten verabscheute und sich wahrscheinlich im Sarg herumdrehen würde, wenn er davon gewusst hätte.

Bedächtig schritt Ron die Stufen nach oben und wollte eintreten, als ihn ein Rascheln hinter seinem Rücken erschreckte. Schnell zog er den Zauberstab aus der Manteltasche heraus und wirbelte herum. Nur wenige Meter neben ihm bewegten sich Zweige eines Haselnussbusches, ansonsten sah er weit und breit niemanden. Höchstwahrscheinlich war es eines Eichhörnchen, die hier zahlreich in den Bäumen lebten. Dennoch hielt er seinen Zauberstab fest in der Hand. Aber auf dem Friedhof war es ruhig. Schließlich wandte er sich um und lief zu Harrys Sarg.

Wieder hatten einige Besucher am Boden brennende Kerzen aufgestellt, was nichts Ungewöhnliches war. Ron achtete aber nicht darauf, sondern stellte sich seitlich neben seinen besten Freund, so dass er ihn gut ansehen konnte. Wie er dalag hätte jeder meinen können er schlief, wenn es nur so auch gewesen wäre. Harry wirkte in dem schwarzen Anzug mit Zaubererumhang richtig edel.

„Man Kumpel“, murmelte er und strich vorsichtig mit der freien Hand über den magischen Glasdeckel. „Der Herbst ist jetzt richtig bei uns angekommen. Hermine meint, dass es bald schneien wird. Mir eigentlich egal, aber wenn es sie glücklich macht. Bevor ich es vergesse …“, sprach er nun lauter, „… unser Hochzeitstermin steht endlich fest und rate mal, was für ein Tag das sein wird. Ja genau, der 31. Juli! Mum und Mine waren total begeistert von der Idee, aber du weißt ja wie Frauen sind, die kommen immer …“


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Ein unsichtbarer Zuhörer schüttelte genervt den Kopf. Er war sich hundertprozentig sicher, dass das Wiesel dasselbe bereits gestern erzählt hatte und wahrscheinlich würde er morgen wieder dieselbe Leier von sich geben. Dabei wollte er doch einfach nur, dass der rothaarige Gryffindor verschwand. Doch was er gerade mit anhörte, konnte längern dauern und er war leider dazu verdammt zu warten.

Draco Malfoy seufzte und rieb sich die kalten Hände. Der Blonde ärgerte sich, weil er seine Handschuhe vergessen hatte und zudem stand er momentan ungeschützt im Nieselregen. Aber noch näher heran, als er schon war, obwohl er sich Schutz suchend gegen eine der Säulen presste, traute er sich nicht. Draco wollte nicht gesehen werden, deshalb auch der Illusionszauber, und erkannt werden wollte er ganz besonders nicht, erstrecht nicht von Ron Weasley.

Der Slytherin kam seit drei Monaten jeden Tag hierher, drei verflucht lange Monate. Seither beobachtete er das alltägliche Ritual des Rotschopfes. Obwohl er Ron in der Schule gerne geärgert und als Wiesel betitelt hatte, so war Draco ihm heute dankbar. Hätte ihn der Weasleyspross während der Schlacht um Hogwarts nicht niedergeschlagen, würde er jetzt in einem Grab verrotten. Denn kaum waren damals Potter und Weasley um die Ecke verschwunden, waren mehrere Todesser durch die Gänge gestürmt und hatten jeden getötet, der ihren Zauberstab kreuzte, Draco hatten sie zu diesem Zeitpunkt glücklicherweise schon für Tod gehalten.

Als wenig später die Zauberer und Hexen den Sieg über den Schrecken Voldemorts und dessen unerbittliche Gefolgsleuten lauthals bejubelt hatten, saß er mit seinen Eltern in der Großen Halle und hätte nur zu gerne seinen wahren Gefühlen freien Lauf gelassen. Am liebsten hätte er ihnen allen ins Gesicht geschrieen – jedem verdammten Schüler, Lehrer und den anderen Kämpfern – und ihnen den grausamen Sieg vor Augen gehalten. Allesamt hatten sie einen jungen Menschen als Opferlamm in die Schlacht geschickt. Würde es sich Draco wünschen können, dann wäre er ohne zu zögern sofort an Harry Potters Stelle gestorben. Dafür hatten sie drei Tage nach Kriegsende ein riesiges Tamtam um Harrys Beerdigung gemacht. Große Menschenmassen waren auf den Friedhof gekommen, um ihren gefallenen Helden zu huldigen. In einer fast einen Kilometer langen Schlange hatten sie dagestanden, dabei den Sarg mit einem Blumenmeer überschüttet und ein Tränchen herausgedrückt, um anschließend bei der großen Siegesfeier im Ministerium fröhlich zu feiern.

„Heuchler“, murmelte Draco und wischte sich nachdenklich den Regen aus der Stirn, doch das blieb vergebene Liebesmüh. Seine Haare waren mittlerweile glitschnass und klebten ihm förmlich im Gesicht, aber es machte ihn nichts aus.

Er konnte sich noch gut an den Tag der Beerdigung zurückerinnern und obgleich er die Familie Weasley und Hermine Granger eigentlich nicht leiden konnte, hatte er mit ihnen aus seinem Versteck - hinter einem Holunderbusch - mitgefühlt. Keiner von ihnen hatte es jemals so gewollt. Obwohl, dass er sie nicht leiden konnte, stimmte nicht mehr so ganz. Schon im sechsten Schuljahr, bevor er seinen ersten stümperhaften und zum Glück glimpflich ausgegangenen Anschlag auf Professor Dumbledore verübt hatte, war er eifersüchtig auf das goldene Trio gewesen. Sie waren seit dem ersten Jahr eng befreundet und stets gemeinsam durch Dick und Dünn gegangen, während er außer Blaise Zabini nie wirklich jemanden gehabt hatte. Umso wichtiger war Blaise für ihn, der auch weiterhin sein bester Freund war und bleiben würde.

Doch leider hatte im sechsten Schuljahr auch sein eigenes Dilemma den Anfang genommen. Auf der einen Seite hatte er versucht seine Familie und sich selbst zu schützen, indem er tat, was ihm von Voldemort persönlich aufgetragen worden war, auf der anderen Seite hatte er Gefühle entdeckt, die er anfänglich weder für möglich noch für gut befand. Letztendlich hatte er es jedoch Blaise zu verdanken, dass er ein für alle mal auf knackige Männerhintern stand und mit einem Frauenbusen so gar nichts anfangen konnte.

Das alles wäre vermutlich harmlos gewesen, aber ausgerechnet auf Harry hatte sein Körper ziemlich eindeutig reagiert und seitdem waren die Gefühle immer stärker geworden, nicht einmal der Tod des Gryffindors konnte daran etwas ändern. Blaise war bisher der einzige, der von diesem Geheimnis wusste und so sollte es auch bleiben.

Plötzlich schreckte ihn ein leises Ploppen auf und als er sich umsah, erkannte er erleichtert, das Wiesel war endlich gegangen. Nun war seine Zeit gekommen. Heute wollte er zum ersten Mal weiter gehen als sonst. Bislang blieb Draco bei den Stufen stehen und beobachtete Harry aus der Ferne. Aber noch zwei Wochen zuvor war er nicht einmal soweit gekommen. Das wollte er nun ändern. Vorsichtig, um kein Geräusch zu verursachen, was bei dem Wind und dem inzwischen heftiger gewordenen Regen absolut überflüssig war, ging er um die Säule herum und stand auf dem oberen Treppenabsatz. Er seufzte leise, sah wachsam über seine Schulter, ob auch keiner in der Nähe war, obwohl sein Illusionszauber ihn vor unliebsamen Augen schützte, und machte den ersten Schritt ins trockene Innere.

Sofort stockte ihm der Atem und Draco musste sich zusammenreißen, dass er nicht wieder rückwärts ging. Alles wirkte so unwirklich, so fern jeder erdenklichen Realität und doch stierte er auf den Sarg von Harry. Binnen weniger Sekunden brannten die ersten Tränen in seinen Augen und er versuchte sie standhaft wegzublinzeln. Natürlich ohne Erfolg, so dass der Blonde mit bebenden Schultern und einem schmerzenden Stich in der Nähe seines Herzens dastand und seiner Trauer keinen Widerstand mehr bieten konnte. Wie sehr hatte er seit dem unglücklichen Tag seine nagende Verzweiflung und Traurigkeit hinter der ihm so eigen gewordenen Malfoymaske versteckt, selbst vor Blaise und sogar vor seiner Mutter. Doch plötzlich den Menschen zu sehen, in den er sich vor über einem Jahr Hals über Kopf verliebt hatte, ihn hier leblos liegen zu sehen, war zu viel für Draco Malfoy.

Schluchzend fiel er auf die Knie und vergrub sein Gesicht in den kalten Händen. Im selben Moment war ihm sogar egal, ob ihn jemand sah und hörte, er wurde regelrecht von seinen Gefühlen überwältigt.

„Harry … Harry, es tut mir so leid“, schniefte Draco und schluckte einen anwachsenden Kloß im Hals herunter. „Es tut mir leid, weil ich dir nie sagen konnte, wie ich wirklich für dich fühle. Seit über einem Monat träume ich auch noch von dir. Wir sind befreundet … und … und … machen Hogwarts unsicher“, nuschelte er und musste sich schnäuzen. „Verflucht, warum musste das passieren.“

So blieb Draco fast eine Stunde kniend vor Harrys Sarg und apparierte schließlich nach Hause. Das traurige Seufzen hinter seinem Rücken hatte er nicht mehr wahrgenommen.


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„Harry, komm mal, das muss ich dir zeigen!“, rief Draco über seine Schulter hinweg zu dem Gryffindor, während er in jenem Moment am steinernem Ufer des Schwarzen Sees stand. Die Sommersonne wärmte seinen nackten Oberkörper und mit einem Lächeln sah er seinen Liebsten näherkommen. „Hast du so etwas schon mal gesehen?“

„Was denn?“, fragte Harry interessiert und stellte sich neben den Blonden. Augenblicklich umschlossen sich ihre Finger liebevoll umeinander.

„Na da!“ Draco deutete mit dem Finger der anderen Hand auf eine niedrige Stelle am Seeufer, wo irgendetwas durch das schwappende Wasser hindurch im Sonnenlicht glitzerte.

„Da ist doch nichts“, schüttelte Harry den Kopf und wollte sich stattdessen auf einen flachen Felsen setzen, der hinter ihm lag, aber Draco hielt ihn fest.

„Schau genauer hin“, forderte der Slytherin und machte zwei Schritte nach vorne, wobei er seinen Freund mit sich ins Wasser zog. „Hier, siehst du das denn nicht?“ Draco zeigte abermals auf seine Entdeckung.

„Nein!“, kam es ruppig von Harry, der sich aus dem Griff befreite und zur Seite trat. „Ich will mich viel lieber sonnen, kommst du?“ Damit war die Sache für den Schwarzhaarigen erledigt und alleine stapfte er nun zu der ausgebreiteten Decke, die einige Meter entfernt im Gras lag.

Draco dagegen war enttäuscht, aber seine eigene Neugier war noch lange nicht befriedigt. Aus diesem Grund wandte er sich wieder dem unbekannten Glitzern zu und beugte sich mit dem Oberkörper langsam nach vorne. Da war eindeutig etwas, er konnte nur nicht sagen was es war. Daher beugte er sich noch weiter ins Wasser, streckte seine Hand aus und griff ins Wasser. Sofort fühlte er eine glatte Oberfläche, die eine seltsame Wärme ausstrahlte. Irritiert glitten seine Fingerspitzen darüber, als im nächsten Moment eine eiskalte, glitschige Hand sein Handgelenk umschloss und heftig daran zog.

„Ahhhhh … lass los!“, schrie der Blonde erschrocken und wollte sich losreißen. „Harry! Hilf mir!“

Doch es war bereits zu spät. Ehe Draco sich versah wurde er von der Hand unter die Wasseroberfläche gesogen. Sofort drang ihm das Wasser in Mund und Nase und er kämpfte verzweifelt gegen dieses Etwas an. Aber je mehr er sich gegen den Sog wehrte, desto stärker schien dieser zu werden. Schließlich übermannte ihn die nackte Panik und er begann wild mit den Beinen zu strampeln. Als ihn die erste Welle der Erschöpfung erfasste, flackerte vor ihm ein gleißend helles Licht auf, das innerhalb eines Sekundenbruchteils in sich zusammenfiel und nur noch Schwärze zurückließ.

„AHHHHHHHHHHH!“, schrie Draco und fuhr schweißgebadet von der weichen Matratze auf. Verwirrt, mit rasendem Puls und heftig atmend wanderte sein Blick ängstlich umher und es dauerte einen langen Moment, bis er erkannte, dass er nur geträumt hatte. Er saß in seinem großen Himmelbett Zuhause in Malfoy Manor und durch das große Fenster schien das erste dämmrige Licht des neuen Tages herein.

„Verflucht, was war das?“, murmelte er und wusch sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn.

Er hatte schon öfters von Harry geträumt, aber bisher waren es niemals Albträume gewesen. Kaum hatte er darüber nachgedacht, verschwammen auch bereits die ersten Bilder des Traumes zu einem undefinierbaren Wirrwarr zusammen. Panisch sprang Draco aus dem Bett und stürmte zu seinem Schreibtisch hinüber. Er zog ein Stück Pergament aus einer Schublade, tunkte die Schreibfeder in das Tintenfass und schrieb alles auf, woran er sich momentan noch erinnerte. Als er fertig war, las er die Zeilen sorgfältig durch und wurde von einem unguten Gefühl heimgesucht. Er konnte es nicht erklären, aber er war sich absolut sicher, dieser Traum hatte etwas zu bedeuten. Darüber musste er ganz dringend mit jemandem reden und dieser Jemand war niemand anderer als Blaise Zabini.

Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, es war erst sechs Uhr morgens. Nun, an der Tatsache war nichts zu ändern und er quittierte die frühre Uhrzeit mit einem lässigen Schulterzucken. Dann schnappte er sich eilig ein paar Klamotten und Unterwäsche aus seinem Schrank und lief ins angrenzende Badezimmer. Erstaunlicherweise kam er schon eine halbe Stunde später frisch geduscht und angezogen wieder heraus, obwohl er länger dazu benötigte. Kurz überlegte er, ob er seiner Mutter nicht lieber eine Nachricht hinterlassen sollte für den Fall, dass sie ihn beim baldigen Frühstück vermissen würde, aber diesmal verzichtete er darauf. Er konnte ihr immer noch mitteilen wo er war. Stattdessen ging er zurück zum Schreibtisch, faltete den Notizzettel zusammen und steckte ihn in die Hosentasche. Anschließend klaubte er seinen Zauberstab vom Nachttisch auf, krallte sich noch seine dicke Lodenjacke und apparierte auf der Stelle davon.

Keine fünf Sekunden später tauchte Draco in einem großen Zimmer wieder auf. Der Raum maß mindestens zehn auf zehn Meter und beherbergte eine riesige cremefarbene Ledercouch und zwei Sessel, samt eines weißmarmorierten Steincouchtischs in der Mitte. Zu seiner Rechten stand eine große Schrankwand in der ein großer Muggelfernseher, einige technische Geräte und eine Stereoanlage und Lautsprecher ihren Platz hatten. Auf der anderen Seite erstreckte sich eine große Fensterfront mit einer Tür, die direkt auf einen breiten Balkon führte. Im hinteren Teil dieses Wohnzimmers war eine gut sortierte Bar aufgebaut, mit Theke und Barhocker. Wie immer, wenn er hier war, was seit dem Schulabschluss sehr oft der Fall war, lagen die verschiedensten Dinge wild verstreut auf dem gefliesten Boden herum, darunter CD-Hüllen, DVDs, Muggelverpackungen von Süßigkeiten und Klamotten. Auf dem Tisch standen derzeit eine leere Rotweinflasche und zwei benutzte Weingläser. So und nicht anders kannte er Blaise Wohnung, die mitten in der Londoner Innenstadt lag und die er gleich nach Kriegsende bezogen hatte.

Blaise, der noch während des Krieges mit Draco und Narzissa Malfoy auf der Seite des Guten kämpfte, hatte ihm damals erzählt, er wolle mit diesem Schritt weit weg von dem Trubel der Zaubererwelt sein und an den Muggeln hatte er plötzlich einen Narren gefressen. Bei ihnen hatte er so viele ungewöhnliche und praktische Dinge entdeckt, die er inzwischen liebte. Ursprünglich hätte Draco mit einziehen können, aber er bevorzugte dann doch lieber sein eigentliches Zuhause: Malfoy Manor. Dort lebte seine Mutter und sie wollte er ungern alleine lassen, obgleich es im Haus vor Hauselfen nur so wimmelte. Aber solange sein Vater seine Strafe in Askaban absaß, konnte er einfach nicht gehen. Das hieß für ihn, noch fünf Jahre warten.

Seufzend musterte Draco das Chaos in Blaise Wohnzimmer. Aber er war ja nicht wegen der Unordnung gekommen, sondern weil er den Rat seines besten Freundes brauchte. Daher warf er seine Jacke auf die Ledercouch und stiefelte direkt in den Flur. Auf dem Weg zum Schlafzimmer kam er an der geräumigen und gut ausgestatteten Küche vorbei. Als würde er hier wohnen, machte er einen Abstecher in die Küche und wedelte mehrmals mit dem Zauberstab. Schon begannen unsichtbare Hände mit dem Kaffeekochen und weitere Hände deckten den Frühstückstisch mit allem, was das Herz begehrte. Zufrieden grinste er und ging nun zu seinem eigentlichen Ziel.

Schwungvoll öffnete er die Tür und mit einem Schlenker seines Zauberstabes wurden die Vorhänge zurückgerissen. Im selben Moment schrie jemand auf und Draco zuckte kurz zusammen.

„Du verdammter Arsch!“, rief Blaise und zog sich in Windeseile die Bettdecke bis zur Hüfte.

„Scheiße, wer ist das Blaise?“, fragte eine Frau überrascht und schnappte sich mindestens genauso schnell das andere Ende der Bettdecke und bedeckte sich bis zum Hals.

Dracos Grinsen kam wieder und wurde breiter. Neugierig beobachtete er seinen besten Freund. Der saß mit nacktem Oberkörper senkrecht im Bett und starrte ihn wie einen todbringenden Basilisken an, es hätte nur noch gefehlt, dass der Blonde versteinert umgekippt wäre. Neben dem schwarzhaarigen Slytherin klammerte sich eine nackte Schönheit an dessen Oberarm und stierte sprachlos zu dem fremden Besucher, der mir nichts dir nichts einfach im Schlafzimmer stand.

„Ja, ich wünsche euch auch einen guten Morgen“, sagte Draco legere und lief ohne Umschweife zum Kleiderschrank seines Freundes, öffnete ihn und begann darin herumzuwühlen.

„Mach gefälligst die Fliege, du Arsch!“, befahl Blaise und erklärte nebenher seiner Liebesgespielin wer da eingebrochen war. Natürlich änderte er in seiner Version das Apparieren durch einen Ersatzschlüssel ab.

„Ich muss dringend mit dir reden“, murmelte Draco aus den Untiefen des Schrankes.

„Das kannst du später immer noch“, beschwerte sich der Dunkelhaarige. „Ich komm ja auch nicht in den Zimmer spaziert, wenn du Besuch hast.“

„Tja, ich halte dich nicht auf“, lachte der Blonde und zog eine schwarze Hose heraus, um sofort weiter zu suchen.

„Danke, auf den Anblick kann ich verzichten“, schnaubte Blaise und sah seinem Freund einige Momente schweigend zu. „Kannst du mir wenigstens erklären, warum du dich an meinen Klamotten vergreifst?“

„Ich hab’s“, triumphierte Draco und erhob sich mit einem dunkelgrünen Pullover in der Hand. Damit drehte er sich um und lächelte. „Ist das nicht offensichtlich?“, antwortete er mit einer Gegenfrage, die er darauf selbst beantwortete. „Du gehst jetzt duschen, dann frühstücken wir und anschließend …“

„Moment!“, unterbrach ihn Blaise und machte Anstalten aufzustehen, aber nicht, bevor er sich die auf dem Boden liegende Boxershorts angezogen hatte. „Seit wann bestimmst du, wann ich aufstehe und was ich machen soll?“

„Jetzt“, lachte Draco und sah aus den Augenwinkeln die immer noch verwirrte Schönheit an, die nun ebenfalls Slip und BH suchte, wobei sie das Bettlaken um ihren schlanken Körper geschlungen hatte. „Da vorne“, wollte er ihr behilflich sein und deutete auf die Unterwäsche am Ende des Bettes.

Die Frau stieß einen spitzen Schrei aus, denn jetzt kam Draco auf sie zu und reichte ihr höflicherweise die Sachen.

„Keine Sorge, ich kann mit Busen nichts anfangen, also nur keine falsche Scheu“, versuchte er sie zu beruhigen, aber sie wirkte dagegen nur leicht panisch.

„Lass sie gefälligst in Ruhe“, mischte sich Blaise ein und zog seinen Freund an der Schulter zu sich herum, sodass beide sich anschauen konnten. „Ich wusste ja schon immer, dass du einen Riss in der Schüssel hast, aber das geht eindeutig zu weit.“

„Wieso denn das?“ Draco sah ihn unschuldig an. „Außerdem bin ich schwul und stehe auf Männerärsche, somit kann ich deiner Freundin auch nichts abgucken.“

„Ahhhhhhh … jetzt reicht’s!“, schrie der Schwarzhaarige ganz unvorhergesehen und raufte sich die Haare. „Draco, du bist unverbesserlich, weißt du das?“

„Danke für das Kompliment.“

„Grrrrrr … mach jetzt die Fliege in die Küche oder ins Wohnzimmer, halt einfach deine Klappe und ich gehe duschen“, meinte Blaise ernst und unterstrich diese Aussage mit zu Schlitzen verengten Augen.

„Schon gut … schon gut“, beschwichtigte der Blonde und ließ sich widerstandslos von seinem Freund in Richtung Tür dirigieren. Aber er verließ das Schlafzimmer erst, bevor er der Frau nicht ein letztes Mal gewunken hatte. „Vielleicht sehen wir uns ja bald wieder.“ Dann stand er draußen im Flur und hinter ihm wurde die Tür zugeknallt. „Beeil dich“, rief er und hörte ein „Halt die Klappe“ zu ihm durchdringen, was er grinsend entgegennahm. Anschließend lauschte er einen kurzen Moment und vernahm die Worte: „Melissa, sei nicht böse. Draco ist so und wenn er mich stört, dann hat es meistens etwas zu bedeuten. Nein … Melissa …“ Die Tür flog auf und eine völlig verärgerte Melissa trat angezogen in Rock und Bluse in den Flur, bedachte den Blonden mit einem tödlichen ‚Idiot-Blick’ und stürmte ohne sich noch einmal zu Blaise umzudrehen zur Haustür hinaus.

„Ich ruf dich an!“, rief Blaise ihr noch hinterher, als auch schon die Haustür lautstark ins Schloss fiel.

„Ich fürchte, die will nichts mehr von dir wissen“, nuschelte Draco in den nicht vorhandenen Bart und ging in Deckung, als eine Faust über seinen Kopf hinwegschnellte.
„Vielen Dank auch“, quetschte Blaise zwischen zusammengepressten Lippen heraus und ging anschließend wutentbrannt ins Badezimmer.


Draco saß inzwischen bei seiner zweiten Tasse Kaffee und blätterte in der heutigen Ausgabe des Tagespropheten, die vor wenigen Minuten ein Steinkauz gebracht hatte, als sein Freund in die Küche kam und sich ihm gegenüber an den gedeckten Tisch setzte. Er goss sich ebenfalls Kaffee ein und der Blonde konnte dabei genau beobachten, dass Blaise bereits freundlicher dreinschaute. Außerdem konnte er ihm die Neugier wegen des unglücklichen Weckens an der Nasenspitze ansehen.

Weitere Minuten verstrichen, in denen keiner der beiden etwas sagte, doch dann platzte es aus Blaise heraus. „Los, jetzt sag schon, was ist soooooo verdammt wichtig?“

Draco fischte den Notizzettel aus der Hosentasche und reichte ihn seinem besten Freund. Rasch las dieser die Zeilen und blickte anschließend irritiert drein. Dann begann Draco noch den Rest zu erzählen, darunter auch, dass er gestern zum ersten Mal Harry von Nahem in seinem Glassarg gesehen und wie es sich angefühlt hatte.

„Mehr als einen Albtraum hast du nicht zu bieten?“ Blaise runzelte leicht säuerlich die Stirn und bedachte den Blonden skeptisch.

„Aber das ist nicht einfach nur ein Albtraum“, verteidigte sich Draco und steckte den Zettel wieder zurück in die Hosentasche. Anschließend stützte er sich mit den Ellenbogen auf dem Tisch ab und schaute Blaise tief in die Augen. „Ich kann dir zwar nicht sagen warum und wieso, aber ich spüre, da steckt mehr dahinter. Von mir aus kannst du mich auch für verrückt halten, aber ich möchte, dass du mit mir zum Grab von Harry gehst. Vier Augen entdecken bekanntlich mehr wie zwei.“

Blaise nahm einen kräftigen Schluck Kaffee und schien nicht zu verstehen was sein Gast überhaupt von ihm wollte. Aber weil er ihn sehr gut kannte, manchmal sogar besser, als er sich selbst, wusste er auch genau, dass Draco erst aufgab, wenn er seinen Willen durchgesetzt hatte. So war es schon immer und so würde es wohl auch immer sein. Aus diesem Grund musste er nicht großartig überlegen und seufzte ergeben. „Also, als erstes möchte ich klar stellen, du warst schon immer verrückt, Draco Lucius Malfoy“, bedeutete er schmunzelnd, was sein Gegenüber mit hochgezogener Augenbraue entgegnete. „Zweitens, kapier ich nicht, warum du wegen einem Traum so einen Aufstand veranstaltest.“

„Wenn schon, dann Albtraum“, berichtigte Draco.

„Von mir aus auch Albtraum“, schüttelte Blaise den Kopf. „Dann geh ich eben mit dir auf den Friedhof, aber nur weil du träumst wird da nichts sein.“ Anschließend gähnte er herzhaft.

„Blaise …“, sagte der Blonde, „… danke … aber ich kann dir auch nicht sagen warum, ich weiß nur, dass ich ein wirklich richtig scheiß Gefühl habe, wenn ich daran denke. Wie heißt es so schön ‚Probieren geht über Studieren’.“

„Oder ‚Wer nicht wagt, der nicht gewinnt’“, lächelte jetzt auch der Schwarzhaarige.

Damit war es beschlossene Sache und nachdem beide friedlich ihr Frühstück beendet hatten, zogen sie sich warm an und apparierten von Blaise Wohnzimmer direkt auf den Friedhof von Godric’s Hollow.




wird in Teil 2 fortgesetzt

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Tag der Veröffentlichung: 22.12.2010

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