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Die Sonne schien an diesem heißen Sommertag unerbittlich auf Neferrilions Kopf herab. Erst vor zwei Stunden war er vom Dorf Iyranit aufgebrochen, um die vierzig Kilometer weite Strecke bis zur nächsten Siedlung Aletasir zurückzulegen. Keine leichte Wanderung zu Fuß, denn Neferrilions Zielort lag im Levenaragebirge und führte ihn nicht über eine ebene Region, sondern über eine Hügellandschaft und am Ende einen steinigen Pfad fast tausend Meter hinauf.

Neferrilion war ein Raukarii und gehörte einem langlebigen Volk von Zanthera an. Alle Raukarii besaßen leuchtend rote Haare, ihre Haut glänzte stets in einem leichten Braunton und ein weiteres Merkmal waren ihre bernsteinfarbenen Augen. Ihre Ohren liefen spitz zu und ein ausgewachsener Raukarii erreichte meist eine Größe von einem Meter siebzig und manchmal auch mehr. Oft wurden sie auch Düsteralben genannt, was nichts anderes als ein Schimpfwort darstellte und somit auch nur von einem Nicht-Raukarii ausgesprochen wurde.

Die Raukarii lebten im Süden, in Leven’rauka, welches von einer gewaltigen Feuerkluft vom Menschenland Teriman getrennt war. Nördlich von Teriman besiedelten die Iyana hinter dem mächtigen Brin-Krian Gebirge einen großen Wald.

Neferrilion war inzwischen über tausend Jahre alt und darüber hinaus vom Feuergott Zevenaar mit einem unsterblichen Leben gesegnet worden. Seither streifte er für ihn durch die Lande, erfüllte göttliche Mission und versuchte nebenbei den Glauben aller Raukarii an den Feuergott zu festigen.

Neferrilion seufzte, als ihm diese Gedanken durch den Kopf wirbelten und er langsam einen sanft ansteigenden Hügel erklomm. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und blieb für eine Verschnaufpause stehen. Dabei schweifte sein Blick über die nähere Landschaft und er sah im nahe gelegenen Tal die saftig grünen Wiesen und die mannigfaltig blühenden Wildblumen, deren Düfte diesen Sommertag erfüllten. Einige Kilometer im Westen erspähte er den angrenzenden Wald Levenara, aus dem er gekommen war und im Osten rauschte nur wenige Meter von ihm entfernt der Fluss Levenoar den Hügel hinab.

Die Quelle dieses Flusses lag am östlichen Rand des Levenaragebirges und war Neferrilions eigentliches Ziel. Daher war sein Plan, die kommende Nacht in der kleinen Siedlung Aletasir zu verbringen und am nächsten Tag bis zur Quelle des Levenoar zu wandern, um sich dort im Auftrag von Zevenaar mit einem ihm noch unbekannten Jemand zu treffen. Von dieser Stelle aus sollten beide gemeinsam nach einem kostbaren Artefakt suchen, welches dem Feuergott in all den Äonen auf merkwürdige Art verloren gegangen war. Wie etwas so Wertvolles einfach spurlos verschwinden konnte, blieb dem Raukarii allerdings ein vollkommenes Mysterium und dennoch fügte er sich wie immer.

„Ich mag lieber die Einsamkeit und würde gerne alleine nach dem Artefakt suchen“, flüsterte Neferrilion leise, nahm nebenbei seinen gefüllten Wasserschlauch zur Hand und trank einen kräftigen Schluck des kalten Nasses.

„Die Notwendigkeit gebietet es allerdings, dass du einen Begleiter benötigst“, hallte plötzlich eine laute Stimme in Neferrilions Kopf. Sie hörte sich an, als würden tausend Stimmen gleichzeitig reden und augenblicklich wusste er, wer zu ihm im Geiste sprach.

Eilig ging er in die Knie, senkte demütig sein Haupt und spürte die Tränen der Erhabenheit über seine Wangen rinnen. Der Sprecher war Zevenaar und wenn er sich nicht persönlich seinem treuen Diener offenbarte, dann antwortete er stets auf telepathischem Wege.

„Dann verratet mir, mein Fürst des Feuers, wen ich dort treffen werde?“, wollte Neferrilion seine Neugier befriedigen.

„Du wirst ihn erkennen, wenn der Zeitpunkt gekommen ist“, bedeutete Zevenaar rätselhaft, lachte laut auf und schon war er im Kopf von Neferrilion verschwunden.
Rasch wischte sich der Raukarii die Tränen ab, stand auf und schaute sich leicht irritiert um. Aber nirgendwo gab es ein Lebenszeichen vom Feuergott und weil Neferrilion keine wertvolle Zeit verschwenden wollte, lief er sofort wieder los, denn er hatte noch gut zehn Kilometer Fußmarsch vor sich.

Neferrilion war höchstens fünf Schritte gelaufen, da hielt er abrupt inne, als zu seiner Linken eine volltönende Stimme erklang und ihn zusammenzucken ließ.

„Gehe mir aus der Sonne, du störst mein Nickerchen“, sprach ein Fremder und murrte leise.

Alarmiert und interessiert zugleich wirbelte Neferrilion herum und erkannte unmittelbar neben sich einen hoch gewachsenen Raukarii im Gras liegen, dessen Augen im Sonnenlicht geheimnisvoll aufglühten und der ihn mit einem arglistigen Lächeln beäugte.

„Was schlaft ihr auch mitten auf einem Fußweg, anstatt irgendwo anders im Gras herumzuliegen“, erwiderte Neferrilion eingeschnappt, denn der zuvor angeschlagene Tonfall gefiel ihm überhaupt nicht.

„Ich dachte Leven’rauka wäre ein freies Land“, erwiderte der Fremde und setzte sich langsam auf. „Somit kann ich schlafen wo ich möchte.“

Nun beobachtete Neferrilion sein Gegenüber genauer ohne sich zu rühren. Er trug wie er eine schwarze Lederrüstung, aber auf den ersten Blick keine Waffe, was ihm äußerst merkwürdig vorkam. Aber dieser Mann war auch auf den zweiten Blick seltsam und er wollte nichts mit ihm zutun haben. Immerhin wartete auf ihn die Siedlung Aletasir, hoffentlich ein Gasthaus mit Speis und Trank, sowie ein Bett zum Schlafen. Mehr benötigte er nicht und mehr wollte er zurzeit auch nicht haben. So rückte er sein schwarzes Langschwert mit einem roten Rubin im Knauf zurecht, prüfte den Sitz seines Rucksackes und lief zwei Schritte nach vorne. Seine Augen hielt er dabei stur geradeaus, da fuhr Neferrilion plötzlich aufgeschreckt zusammen. Hinter ihm erklang ein bizarres Grollen, als wollte eine Gesteinslawine auf ihn zurasen. Er blieb stehen, drehte sich herum und sah weder eine Lawine, noch den Fremden, was ihn irritiert die Schultern zucken ließ.

„Was war das? Wo ist er hin?“

Neferrilion kroch für einen kurzen Moment die Angst in die Knochen, aber er war nicht hilflos obwohl ihm keine vernünftige Erklärung für das einfiel, was eben geschehen war. Immerhin war er nicht nur ein gläubiger Kleriker des Feuergottes, sondern auch ein geschickter Magier und ein guter Schwertkämpfer. Jener letzte Gedanke veranlasste ihn dazu seine Hand an den Schwertgriff wandern zu lassen und sich im Geiste einen Zauberspruch zu überlegen. So verharrte er zehn Atemzüge lang, doch es geschah nichts.

„Wenigstens bin ich diesen komischen Kauz los“, lachte Neferrilion leise auf, entspannte sich wieder und richtete seinen Blick auf den Weg.

Der ohnehin schon ansteigende Trampelpfad führte ihn noch etliche Meter hinauf. In der Ferne waren die ersten Felsvorsprünge des Levenaragebirges deutlich zu erkennen und dort lag auch sein Ziel. Vergessen waren nun der fremde Raukarii, das eigenartige Geräusch und er konzentrierte sich nur noch nach vorne. Bis spätestens zur Abenddämmerung wollte er sicher irgendwo eingekehrt sein.

Kurz vor Sonnenuntergang bog Neferrilion um eine schmale Felsnase und dahinter bot sich ihm endlich ein zufriedener Anblick. Er hatte die Siedlung Aletasir erreicht. Mit einem erleichterten Seufzer wischte er sich den Schweiß von der Stirn, blickte in den Himmel und sah allmählich die orangerote Sonne versinken. Gleichzeitig wurde die Hitze von einem kühlen Lufthauch gemildert, der ihm sanft über das Gesicht streichelte.

Mit der Aussicht auf ein warmes Essen und eine geruhsame Nacht schritt er schneller voran und kam nach hundert Metern an einem verwitterten Straßenschild vorbei. In verblassten Lettern las er den Dorfnamen, wobei das A und das I von Aletasir kaum noch zu erkennen waren. Aber Neferrilion störte dies nicht und lief schließlich an baufälligen Hütten vorbei. Fast alle Häuser wiesen teilweise schräge Dachgiebel, wie löchrige Außenwände auf und doch besaß jedes einen kleinen, sorgfältig angelegten Garten. Dort wuchsen Blumen und wohl duftende Kräuter aller Art, die ihm den Mund nach einer köstlichen Mahlzeit schmackhaft machten. Ebenso wie der Duft nach reifen Äpfeln und Birnen, sowie der eindeutige Geruch nach frischem Brot. Als er daher den Blick über die staubige Straße schweifen ließ, sah er hier, mal dort einige Dorfbewohner und allesamt nickten ihm freundlich zu. Er war nicht unhöflich und nickte selbstverständlich zurück.

Wenige Meter weiter traf er eine alte Frau und auf seine Frage nach einem Gasthaus, wies sie ihn zum Ende der Straße und gab ihm eine Warnung mit auf den Weg. Dort würden momentan fremde Raubtierjäger ihr Jagdgeschick mit viel Alkohol feiern und er solle auf der Hut bleiben.

Neferrilion bedankte sich herzlich, vergaß augenblicklich die Warnung und kurz darauf stand er vor einem dreistöckigen Holzhaus, dessen Außenfassade einstmals bessere Zeiten erlebt haben musste. Die rote Farbe blätterte vom morschen Holz ab und doch drang der angenehme Geruch von warmem Essen hinaus, begleitet von lautem Gegröle und einem unverständlichen Singsang. Über dem Eingang hing das Schild „Zum dreibeinigem Eber“ darunter war ein Wildschwein mit drei Beinen abgebildet, welches von einer inzwischen verblassten Sonne umgeben war. Daneben stand der Name Lauskyr und das konnte in diesem Fall nur der Wirt dieser einfachen Bleibe sein.

„Immerhin besser als gar nichts“, flüsterte Neferrilion und zuckte die Achseln.

Einen Moment später öffnete er die Tür und trat in einen lärmenden Schankraum ein. Viele brennende Kerzen auf Holztischen und spärlich lodernde Fackeln an den Wänden erhellten den Raum und hüllten ihn trotz ihres Scheines in ein dämmriges Licht. Alle Tische waren besetzt mit feiernden Gästen, während zwei Mägde mit schweren Tabletts und gefüllten Tonbechern hin und her huschten. Der Wirt kam kaum mit der Arbeit nach und schenkte unablässig Becher mit Wein oder auch mit selbstgebrautem Bier ein.

Als Lauskyr den Neuankömmling sah, winkte er ihn zu einem Tisch in der hinteren Ecke neben dem Kamin. Diese Geste quittierte Neferrilion mit einem freundlichen Lächeln und schritt durch die volle Stube bis zu seinem zugewiesenen Platz. Kaum stand er dort, weiteten sich seine Augen, er schluckte merklich und in seine plötzliche Überraschung mischte sich eine Spur Ärgernis.

„Du?“, fragte er unverblümt und starrte dem fremden Raukarii von der Wiese direkt in die goldenen Augen.

Goldene Augen? Diese Frage schlich sich augenblicklich in Neferrilions Kopf und dabei wuchs seine Skepsis, wie auch die Neugier. Er besaß selbst auch goldene Augen und nicht wie andere Raukarii bernsteinfarbene. Doch bei ihm kam diese außergewöhnliche Eigenschaft durch die geschenkte Unsterblichkeit des Feuergottes. Vielleicht war es auch nur Zufall oder er bildete sich alles nur ein, denn sein Fußmarsch war weit gewesen und die Hitze des Tages nagte an seinem erschöpften Körper.

„Was heißt hier Du?“, fragte der Raukarii zurück und dennoch lächelte er schelmisch. „Setz dich einfach, das Essen schmeckt gut, nur die Gesellschaft lässt zu wünschen übrig.“

Ob die letzte Bemerkung auf Neferrilion gemünzt war oder nicht, ließ er außen vor und weil alle anderen Plätze besetzt waren, drängte er sich notgedrungen an den Tisch und setzte sich dem Mann gegenüber.

„Es gibt leckeren Eintopf und dazu ein kühles Glas Wein“, erklang eine weibliche Stimme von der Seite und als er hinüber sah, erkannte er eine der vollbusigen Mägde.

„Habt ihr auch ein Bett für mich?“

„Zwei Topas für Essen und Zimmer“, erwiderte die Raukarii augenblicklich und lächelte ihn sanftmütig an.

Neferrilion überlegte sorgfältig bevor er antwortete. Zwei Halbedelsteine waren ein teuerer Preis für diese Gegend, aber schon morgen wäre er wieder auf dem Weg, daher nickte er. Anschließend fischte er seine verborgene Lederbörse unter der Lederrüstung hervor und übergab ihr die geforderte Bezahlung. Denn Edelsteine waren das gängige Zahlungsmittel überall in Leven’rauka, die im Levenaragebirge oder an den verschiedenen Küstenregionen abgebaut wurden.

„Zimmer Dreizehn“, erklärte die Magd und fuhr schließlich nach einem kurzen Grinsen zu Neferrilions Tischnachbar fort. „Wünscht ihr Rotwein oder Weißwein?“

Irritiert entschied er sich für Weißwein, beobachtete in den Augenwinkeln wie die junge Frau verschwand und der Fremde ihr mit eindeutigem Blick nachschaute, um sich gleich wieder an Neferrilion zu wenden.

„Was führt dich in eine so trostlose Gegend, wo sich Hase und Fuchs gute Nacht sagen?“, kam die überraschende Frage.

„Das gleiche könnte ich auch fragen“, antwortete Neferrilion und wunderte sich insgeheim, wie dieser Mann vor ihm hier ankommen konnte, während ihm auf dem Weg nicht einmal ein Tier begegnet war. „Aber mir gelüstet es nicht nach einem Gespräch, sondern ich möchte nur etwas essen und dann schlafen gehen.“

„Schade, dabei hätte ich gerne deinen Namen gewusst“, bedeutete der merkwürdige Raukarii und unterstrich seine Worte mit einem erneut schelmischen Schmunzeln.

„Meine Name geht dich nichts an“, meinte Neferrilion und ihm fiel auf, dass nicht nur er, sondern auch der Fremde ihn einfach duzte. Doch letztendlich war es egal, er wollte einfach nur seine Ruhe.

„Ich heiße Hytaas und ich frage nach dem Namen meines Gegenübers, weil ich ihn wissen möchte, um demjenigen bei seinem möglichen Tod würdig zu verabschieden“, sagte der Raukarii und deutete mit dem Kinn in den Schankraum, was Neferrilion sofort dazu veranlasste sich umzudrehen.

Es kamen fünf grobschlächtige Männer in dreckigen Hosen und Stiefeln auf ihn zu, deren Hemden nach Schweiß und Bier rochen. Das konnte nur eines bedeuten: Ärger! Erst im vorletzten Dorf kam es zu einer Schlägerei und wieso es immer alle auf ihn abgesehen hatten, blieb ihm völlig schleierhaft. Lag es an seinem stolzen Auftreten? An seinem heiligen Symbol des Feuergottes in Form eines goldenen, gehörnten Drachens an einer goldenen Kette am Hals? Oder war es einfach nur so, dass er ein besseres Bild präsentierte, als die meisten hier?

Egal was es war, die fünf ungehobelten Raubtierjäger kamen kurz vor dem Tisch zum Stehen, bildeten augenblicklich einen Halbkreis und trugen teilweise noch blutige Dolche in Händen.

„Mein Name ist Neferrilion“, verkündete er schließlich überrascht über sich selbst, ignorierte die Umherstehenden und meinte, „und Hytaas ist ein sehr ungewöhnlicher Name.“

„Du kennst noch nicht meinen vollständigen …“, sagte Hytaas und wurde abrupt unterbrochen, als die Magd sich mit einem Tablett durch die fünf Raukarii kämpfte.

„Macht Platz und geht zurück, ich bringe euch gleich neues Bier“, erklärte sie mit der Kaltschnäuzigkeit einer selbstbewussten Bedienung. Sie stellte einen dampfenden Teller Eintopf und einen gefüllten Weinbecher vor Neferrilion ab, legte ihm den Schlüssel zum Zimmer neben einen Holzlöffel und verschwand sofort wieder.

„Du willst hier wohl auf die Jagd gehen?“, erklang plötzlich eine lallende Stimme am Ohr des müden Raukarii. Doch der seufzte lediglich, steckte den Schlüssel in die Innentasche seiner Kleidung, nahm den Löffel und probierte seelenruhig das Essen. Es schmeckte gut und gerade als dieser den Löffel zum zweiten Mal erhob, wurde er ihm aus der Hand geschlagen.

Wütend und irritiert schluckte er merklich und versuchte die ungebetenen Gäste zu ignorieren. Aber nicht lange, schon fragte der betrunkene Jäger gleich nochmals.

„Seht ihr nicht, ihr stört!“, erklärte Hytaas und funkelte die Männer mit einem herausfordernden Grinsen an. „Hier wollen sich zwei ehrenwerte Krieger unterhalten und dabei versperrt ihr mir die Sicht.“

„Die Sicht auf was?“, fragte eine weitere berauschte Stimme und derjenige rülpste abschließend laut.

„Sicherlich nicht den Anblick deines hässlichen Gesichtes“, lachte Hytaas und Neferrilion konnte bereits den Angriff der Männer im Rücken spüren, bevor er ihn kommen sah. Diese Worte waren eine klare Herausforderung und darauf hatten sie es wohl auch abgesehen.

Rasch duckte er sich nach unten, als eine Faust über seinen Kopf hinweg flog. Dann rückte er den Stuhl nach hinten, sprang auf und wirbelte herum. Abermals musste er sich vor einem Faustschlag in Sicherheit bringen und anschließend schnellte er zur Seite. Mit einem einfachen Zauberspruch auf den Lippen schleuderte er aus seinen zehn Fingern magische Blitze den Jägern entgegen.

Plötzlich ertönte überall im Gasthaus lautes Geschrei und die meisten Gäste gingen unter den Tischen in Deckung, andere wiederum schlossen sich nur zu gerne dem abwechslungsreichen Kampf an.

Einer der Jäger fiel getroffen zu Boden und keuchte, obwohl ihn der Zauber nicht schwer verletzt, sondern lediglich kurzzeitig außer Gefecht gesetzt hatte. Leider versetzte dieser Treffer die restlichen Kumpane in Rage und ihr vorangegangener Alkoholgenuss trug wesentlich dazu bei. Sie rannten mit erhobenen Waffen auf Neferrilion zu, der abermals mit einer geschickten Seitendrehung aus ihrer Reichweite entwich. Zudem wollte er nur ungern sein Schwert ziehen und entschloss sich kurzerhand seinen Zauber zu wiederholen. Im selben Moment sprang Hytaas über den Tisch, stellte sich unmittelbar neben Neferrilion und lachte leise.

„Jetzt fängt der Spaß erst richtig an!“, johlte der Raukarii und zur großen Verwirrung aller rezitierte er ebenfalls magische Worte und hüllte die vier Jäger in eine dämmrige Wolke ein.

Dieser Zauber erklärte auch, wieso Neferrilion zuvor keine offene Waffe bei Hytaas gesehen hatte, er war ein Magier. Doch von dieser Erkenntnis durfte er sich nicht ablenken lassen, denn nun kamen andere kampffreudige Gäste auf ihn und seinen recht merkwürdigen Kampfpartner zu gestürmt.

Geschwind und geschickt wich Neferrilion Fausthieben und Dolchstößen aus, um in einer kleinen Verschnaufpause abermals magische Geschosse auf seine Angreifer zu schleudern. Nebenbei beobachtete er Hytaas, der wie aus dem Nichts zwei kleine Dolche aus seinen Ärmeln zog und sie rasend schnell und mit außergewöhnlicher Behändigkeit in der Luft herumwirbelte. Nicht einmal Neferrilions Augen konnten den Bewegungen folgen, da lagen auch schon fünf Atemzüge später Hytaas’ Angreifer bei ihren Kameraden auf dem Wirtshausboden. Neferrilion gelang es die übrigen Gegner innerhalb weiterer Minuten außer Gefecht zu setzen.

„Das war mir eine wahre Freude“, schäkerte Hytaas und beobachtete den schwer atmenden Raukarii, während seine beiden Waffen spurlos verschwunden waren. Anschließend reichte er Neferrilion die Hand und zog ihn zum Tisch zurück. „Wir brauchen einen neuen Teller Eintopf und zwei Becher Wein!“, rief er der Magd von vorhin zu als wäre nie etwas gewesen, die schimpfend zerbrochene Tonscherben vom Boden aufklaubte.


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Am nächsten morgen war Neferrilion früh auf den Beinen, hatte ein karges Frühstück zu sich genommen und war froh, dass Gasthaus „Zum dreibeinigen Eber“ endlich hinter sich zu wissen. Mit einem lauten Seufzen, einem lässigen Schulterzucken und einem frisch gefüllten Wasserschlauch lief er zielsicher gen Norden, während seine Gedanken dabei um ein merkwürdiges Gespräch kreisten. Denn als er vor seinem Aufbruch den Wirt Lauskyr und die beiden Mägde nach dem Verbleib von Hytaas befragte, der ihn zum Glück nicht verfolgte, war die Auskunft äußert seltsam verlaufen. Alle drei konnten sich nicht an einen hoch gewachsenen Mann mit Lederrüstung erinnern, der gestern Abend mit ihm am Tisch saß. Dort hätte nur er alleine gesessen und als wäre dies nicht schon ungewöhnlich genug, konnte sich auch keiner an eine angebliche Schlägerei erinnern.

Doch er vergaß alles rasch wieder, folgte einem schmalen Geröllpfad weiter ins Gebirge hinauf und zu seiner Rechten rauschte der zum einem kleinen Bach gewordene Fluss Levenoar ins Tal hinab. Beim Wandern genoss er dabei die kühle Brise auf seiner Haut, während die Sonne immer wärmer wurde, obwohl es hier oben weitaus angenehmer war, als gestern noch im Tal, wo die Hitze ihn förmlich erdrückt hatte. Daher versuchte er einfach nur die Landschaft zu genießen und den Bach nicht aus den Augen zu lassen.

Zwei Stunden harten Fußmarsches später erspähte Neferrilion eine kleine Gesteinsmulde und aus einem dunklen Loch in der dahinter liegenden Felswand ergoss sich die Quelle des Flusses, die sich in einem kleinen Bachbett sammelte. Ringsherum türmten sich viele schattige Felswände in den blauen Himmel empor und die Luft war erfüllt vom sanften Wasserrauschen. Er hatte endlich sein Ziel erreicht und als Neferrilion näher kam, blieb er abrupt stehen, riss seine goldenen Augen auf, der Kiefer klappte vor Staunen nach unten und er umklammerte den Griff seines Schwertes fester. Dabei schlug sein Herz schneller und er wollte kaum seinen Augen trauen, doch er träumte nicht!

„Du? Wie ist das möglich?“, flüsterte der Raukarii leise und schüttelte irritiert den Kopf, um sich schließlich zusammen zu reißen und schritt auf Hytaas zu.

Der ohnehin merkwürdige Mann saß gemütlich auf einem flachen Gesteinsbrocken unmittelbar neben der Quelle, pfiff eine leise Melodie und grinste Neferrilion keck an.

„Wie ist das möglich?“, fragte Neferrilion nochmals, als er vor Hytaas stand und spürte nicht nur seine Nervosität, sondern auch seinen Ärger deutlich aufwallen. „Deswegen warst du heute Morgen nicht mehr im Wirtshaus. Du bist geradewegs hierher gegangen, aber woher wusstest du …“

„Ich kannte dich bereits vor unserem ersten Treffen“, entgegnete Hytaas und zwinkerte seinem Gegenüber wissend zu. „Zevenaar hat mich beauftragt, dass ich dich hier treffen sollte und weil meine Neugier oft größer ist, habe ich dich einfach schon vorher verfolgt. Außerdem bist du an deinem Symbol am Hals leicht zu erkennen.“

„Also hast du einen Zauber benutzt und bist …“, weiter kam Neferrilion nicht mehr und schon stürmte er mit einem Zauberspruch auf den Lippen auf Hytaas zu, warf ihn schützend zur Seite, streckte gleichzeitig seine eigene Hand nach vorne und heraus schossen fünf Feuerpfeile.

Die Geschosse sausten brennend durch die Luft und trafen nur wenige Meter dahinter ein fast drei Meter hohes Untier. Es war eine Lava-Schlange, eine Kreuzung zwischen Mensch und Schlange. Der Unterkörper gehörte einer riesigen Klapperschlange, der Oberkörper war der eines Mannes und dazu besaß das Geschöpf zwei gefährliche Fangzähne. Giftiger Speichel troff daran zu Boden und zischelnde Schlangenfinger in der Größe eines Unterarms wanden sich flink zu allen Seiten und versuchten den Feuerpfeilen auszuweichen, doch zu spät. Zwei Pfeile trafen das Monster mitten in die Brust, die anderen drei schlugen am Kopf ein, wo kleinere Schlangen keifend umher huschten, die die Haare einer Lava-Schlange darstellten. Dabei glühten die schwarzen Augen des Untieres orange auf und nach diesen Treffern stieß es einen hohen spitzen Schrei aus. Dann fiel es tot auf den staubigen Felsboden.

Beide Raukarii hielten sich die Ohren zu und doch drang der Aufschrei ihnen durch Mark und Bein. Gleich darauf stand Hytaas auf, schenkte der lebelosen Lava-Schlange keine Bedeutung mehr und reichte Neferrilion dankend die Hand.

„Ich stehe in deiner Schuld, sonst hätte mich dieses Ding womöglich mit seinen Giftzähnen aufgespießt“, meinte er und fuhr rasch fort. „Aber leider hat es einen Hilferuf ausgesandt und da vorne kommt schon die Unterstützung. Somit kann ich dir jetzt das Leben retten.“

Neferrilion schaute kurz über die Schulter und wollte schon erwidern, dass er ganz gut auf sich selbst aufpassen konnte, da riss er abermals seine Augen auf, kam aus dem Staunen nicht mehr heraus und trotzdem zog er sein schwarzes Langschwert aus der ledernen Scheide.

Hytaas stieß ein tiefes Grollen aus, schubste den Raukarii zur Seite und rezitierte anschließend Worte in einer völlig unbekannten Sprache. Innerhalb weniger Sekunden begann sich der muskulöse Raukariikörper zu dehnen und gleichzeitig wieder zusammen zu ziehen. Knochen knackten laut und der gesamte Körper wuchs plötzlich in die Länge und Breite. Die Kleider rissen entzwei und das Gesicht verformte sich. Auf dem Rücken wuchsen Hytaas lederne Flügel und es kam ein schuppiger Schwanz zum Vorschein. Mit einmal stand vor Neferrilion ein fast dreißig Meter langer schwarzer Drache. Er besaß ein spitz zulaufendes Maul mit rasiermesserscharfen Zähnen und scharfen Krallen, die alle die Länge eines Unterarms aufwiesen. Auf dem Kopf ragten zwei Hörner empor, der Drachenschwanz schwang auf dem Boden hin und her und wirbelte eine kleine Staubwolke auf. Anschließend fixierte Hytaas den Raukarii mit lodernden Augen, die wie pures flüssiges Gold in der Sonne erstrahlten.

„Mein vollständiger Name lautet Ysophytaasxiv und es freut mich dich kennen zu lernen“, lachte der Drache auf und Neferrilion dachte, eine Lawine würde auf ihn zu rasen, was natürlich nicht der Fall war. „Vier der Lava-Schlangen gehören mir und eine überlasse ich deinem kämpferischen Geschick.“

Kaum hatte Hytaas geendet, schlug er mit den Flügeln, wirbelte noch mehr Staub auf und schon schwebte er einige Meter in der Luft. Unter ihm erholte sich der Raukarii schnell von dem Schrecken und schaute nochmals über seine Schulter, wo sich fünf dieser seltsamen und seltenen Geschöpfe ihnen entgegen schlängelten. An den Schwanzspitzen rasselte es unablässig und Neferrilion umklammerte den Schwertgriff umso fester. Dabei sah er hinauf zu dem gigantischen Leib des Drachens, der einen großen Schatten auf den Boden warf.

„Zevenaar, ich hoffe auf eine vernünftige Erklärung“, murmelte der Raukarii, hob seine scharfe Klinge über den Kopf und mit einem lauten Schrei stürmte er auf die vordere Lava-Schlange zu.

Er hieb in alle Richtungen, duckte sich zu den Seiten weg, sprang nach hinten oder schlug einige Salti, um den Angriffen des Monsters zu entkommen und versuchte gleichzeitig mit gezielten Hieben die Schlangenfinger abzuhacken. Dabei musste er sich vor den Giftzähnen in Acht nehmen und hoffte dem Untier einen Treffer in der Brust zufügen zu können.

Gleichzeitig atmete der Drache Ysophytaasxiv tief ein, spürte sofort die aufsteigenden Flammen in seinem Rachen und schleuderte eine warme Feuersbrunst den restlichen vier Lava-Schlangen entgegen. Es folgten daraufhin markerschütternde Schreie, die schnell im Drachenfeuer erstickt wurden und Hytaas sodann bequem viele Meter neben Neferrilion zur Landung ansetzte.

Der Raukarii zog gerade seine blutige Klinge aus dem inzwischen zerfetzten Brustkorb des Untieres und mit keuchendem Atem drehte er sich zu dem verwandelten Mann herum. Er benötigte einige Atemzüge und es ging ihm besser, aber noch wusste er nicht was er von alledem halten sollte.

Diese Frage beantwortete ihm augenblicklich der Feuergott persönlich. Denn Zevenaar tauchte wie aus dem Nichts auf und saß an derselben Stelle, wo zuvor Hytaas auf Neferrilion gewartet hatte. Eine schwarze Lederrüstung unterstrich Zevenaars muskulösen Körperbau, darüber trug er eine blutrote Samtrobe und sein blutrotes Haar fiel ihm über die Schulter. Was ihn aber auszeichnete war eine alte Narbe im Gesicht. Sie verlief fast senkrecht von der linken Augenbraue über die Wange bis zum Unterkiefer.

„Neferrilion, mein treuer Diener“, sprach der Feuergott mit seiner allumfassenden Stimme. „Das alles war lediglich ein kleiner Test meinerseits und ich hoffe, du wirst mir verzeihen. Mein Wunsch ist es dich und Ysophytaasxiv schon bald gemeinsam auf Missionen auszuschicken.“ Anschließend lachte Zevenaar auf und Hytaas fiel mit ein, während Neferrilion sichtlich verdutzt dastand und erst über die Worte nachdenken musste. „Ysophytaasxiv ist einer der alten Wächter von Zanthera“, erklärte nur wenige Momente später Zevenaar weiter und lächelte sein Gegenüber entschuldigend an. „Es musste einfach sein, denn die ältesten Geschöpfe unserer Welt und ein so geübter und geschickter Raukarii wie du, haben noch niemals zusammen gearbeitet und trotzdem habt ihr euch beide wunderbar ergänzt.“

„Dann ist er wirklich ein Drache?“, fragte Neferrilion noch leicht irritiert ohne wirklich wütend zu sein, schaute abwechselnd zu Zevenaar und Hytaas hinüber und wusste, die Wächter – oft auch als Drachen bezeichnet – waren schon seit Jahrtausenden von der Oberfläche Zantheras verschwunden. Daraufhin umfasste er sein Symbol am Hals und schüttelte lächelnd den Kopf.

„Ich habe mich einstmals zur Dracheninsel Settor zurückgezogen“, sprach Hytaas plötzlich mit tiefer Stimme und bekam die volle Aufmerksamkeit von Neferrilion geschenkt. „Aber dem Ruf des Feuergottes, der ein alter Freund der Drachen ist, konnte ich nicht widerstehen. Ich liebe Abenteuer, ich mag die Raukarii und es macht mir Spaß in einem Raukariikörper durch die Lande zu streifen.“

„Und was ist mit dem magischen Artefakt?“, fragte Neferrilion, der sich augenblicklich an die angeblich göttliche Mission zurück erinnerte und die ihn erst an diese Stelle geführt hatte.

„Du und Hytaas habt wunderbar miteinander die Lava-Schlangen abgewehrt“, entgegnete Zevanaar breit schmunzelnd, „außerdem muss ich gestehen, dass ihr beide gestern auf die gleiche Illusion hereingefallen seid. Denn ich habe euch das Wirthaus und die Jäger nur vorgegaukelt und doch habt ihr euch gut geschlagen, fast so gut wie heute und es gibt zurzeit auch keine Mission, sondern alles diente nur einem einzigen Zweck. Ich wollte euer Zusammentreffen genießen und euch im Kampf beobachten. Daher hoffe ich schon recht bald auf eure künftige Zusammenarbeit, wenn ihr beide zustimmt.“

„Neferrilion ist ein guter Kämpfer und wenn er aufhört mich ständig nur mit „Du“ anzusprechen, gestattet ich ihm womöglich auch, auf meinem starken Rücken durch die Lüfte zu fliegen.“

Kaum waren diese Worte ausgesprochen, schüttelte Neferrilion abermals den Kopf und schon brachen alle drei in lautes Gelächter aus, das ein jeder noch unten im Tal hören konnte.


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Impressum

Texte: Cover by Annette Eickert
Tag der Veröffentlichung: 11.07.2009

Alle Rechte vorbehalten

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