Es war ein Sommertag wie jeder andere seit zwanzig Jahren auch, das glaubte zumindest Jago. Er lief mitten durch den schattigen Wald und überall wo er hinsah lugten die warmen Sonnenstrahlen durch das Geäst der hohen Bäume. Vögel zwitscherten ihr Lied, Hasen und Rehe huschten durch das Dickicht davon, in der Ferne blökte ein Hirsch und dazwischen summten Bienen, welche die vereinzelt wachsenden Wildblumen auf dem Waldboden suchten. Eigentlich war es ein viel zu schöner Tag für das, was er heute vorhatte. Viel lieber würde er jetzt auf der Lichtung in der Nähe der Magierschule am Waldrand liegen und sich faul die Sonne auf den Bauch scheinen lassen. Aber leider hatte er gestern Abend nicht seinen Mund halten können. Die Konsequenz war gewesen, dass seine Freunde ihn zu diesem Abenteuer mehr oder minder gezwungen hatten. Obwohl, gezwungen klang schon wieder zu hart für das, was folgen sollte. Jago nannte es selbst eine Mutprobe und das alles nur, weil er großspurig behauptet hatte, er hätte vor nichts und niemandem Angst.
„Was für ein Idiot ich doch bin!“, scholl sich der hoch gewachsene, leicht muskulöse und dunkelhaarige Waldelf selbst. Er kniff seine smaragdgrünen Augen leicht zusammen, als er neben einer dicken Eiche stehen blieb und mit wachsamem Blick sich in dem weniger bekannten Teil des großen Waldes orientierte.
Er war umgeben von einer Reihe wild gewachsener Holunderbüsche und vielleicht noch hundert Schritt entfernt von ihm, sah er schließlich sein Ziel. Dann verlor er keine Zeit mehr, holte einmal tief Luft und rannte die restliche Strecke über den zum Großteil mit Moos bewachsenen Boden, bis er auf einer großen Lichtung zum Stehen kam.
Dieser schattige Ort war zu seiner linken von einer dicht stehenden Fichtenreihe eingeschlossen. Rechts schlängelte sich ein kleiner Quellbach gen Süden entlang, dessen Böschung von Brennnesseln übersäht war. In seinem Rücken lag der Wald und vor ihm erstreckte sich ein riesengroßes Loch in der Felswand, welche gute fünfhundert Meter in die Höhe ragte und zum angrenzenden Schattengebirge gehörte, das seinen Namen den zahlreichen Legenden zufolge nicht umsonst trug. Diese große Kluft im Felsen bildete den Eingang zu einer gewaltigen Höhle, die auch einer von Jagos Lehrern manchmal erwähnt hatte, mit der eindeutigen Warnung sich niemals in dessen Nähe zu begeben.
Heute hatte Jago auf die Ermahnung nicht gehört und seine vier Freunde hatten es auch nicht getan. Sie standen bereits in einer Linie vor dem Eingang und schauten in die Finsternis hinein. In ihren Händen hielten sie brennende Fackeln und in der anderen entweder ein Kurzschwert oder einen Kampfstab. Auch die dunkelgrünen Magierroben hatten sie kurzerhand durch eine normale Lederhose und Hemd getauscht und darüber einen dunklen Kapuzenumhang angezogen. Jago trug eine schwarze Lederhose, dazu ein waldgrünes Hemd und einen Umhang in derselben Farbe. Er zog beim Näher kommen sein kostbares Kurzschwert aus der Scheide an der linken Hüfte – ein Geschenk seines längst verstorbenen Vaters, welches am Knauf mit einem glänzenden Smaragd ornamentiert war - und umklammerte den ledergebunden Griff der Waffe fest. Natürlich beherrschte er als angehender Magier auch seine innewohnenden magischen Kräfte, aber zusammen mit seinen Freunden hatten sie sich im Vorfeld bei ihrem Plan auf Klingen und Stäbe geeinigt, als zusätzliche Sicherheit zu ihren Zauberkräften.
„Jago … endlich kommst du, es wird auch langsam Zeit“, rief ihm sein bester Freund Adan leise über die Schulter zu. Er war wie Jago ein Waldelf, groß gewachsen, aber in seinem Körperbau eher schlaksig, obwohl er fantastisch mit seinem Kampfstab umgehen konnte.
„Wenn ihr dachtet ich würde kneifen, dann muss ich euch enttäuschen“, lächelte Jago keck und nahm seine Position neben Adan ein, der einen Schritt zur Seite trat.
Anschließend wanderte Jagos Blick über die Versammelten, die ihm kurz ins Gesicht sahen und anerkennend nickten. Zoreg war der älteste der insgesamt fünf Waldelfen und spielte sich gerne als ihr Anführer auf. Er war der stämmigste der Freunde, was auch daraus herrührte, da seine Mutter sich vor fast fünfundzwanzig Jahren in einen Menschenmagier verliebt hatte und er das Ergebnis ihrer Liebe war. Demnach steckte in Zoreg zur Hälfte Menschen- und Elfenblut, aber dies hinderte ihn nicht an seinen kämpferischen und zauberischen Fähigkeiten. Die Gesellschaft der Waldelfen empfand es zwar vielmehr als Schande nicht von reinem Elfenblut abzustammen, aber trotzdem war er nicht ausgestoßen worden. Er selbst war stolz auf seine Herkunft, die er mit den nicht ganz so spitz zulaufenden Ohren gerne präsentierte und im Moment hielt er sein scharfes Kurzschwert abwehrend vor seinen Oberkörper, bereit alles aufzuhalten was ihm entgegen springen würde.
Neben ihm stand der 22-jährige Nael, der viel Ähnlichkeit mit dem gleichaltrigen Adan besaß. Auch kein Wunder, denn sie waren Cousins ersten Grades und beide sehr geschickt im Kampf mit dem Stab. Ein Erbe ihrer Väter, die in der größten Waldelfenstadt, ganz in der Nähe der Magierschule, bei den Stadtwachen dienten und stolz auf ihre Söhne waren.
Dann gab es da noch Kyrill. Ein kleiner, trotz allem gut trainierter Waldelf. Viele sagten, in seinem Blut würde wahrscheinlich Zwergenblut fließen, was Kyrill mit seiner körperlichen Stärke und seinem Mut schon öfters bewiesen hatte. Egal was sie taten, Kyrill stand immer vorne und das tat er auch gegenwärtig. Mit gezückter Klinge starrte er in die Dunkelheit der Höhle und warf Jago nur einen kurzen Blick zu.
„Ich habe heute Nacht nachgedacht“, meldete sich Jago zu Wort und stellte sich neben Adan und seinem Kurzschwert in Position. Adan schenkte ihm ein wissendes Lächeln, was er allerdings nicht so einfach erwidern konnte. „Wenn uns schon Meister Chandran vor dieser Höhle warnt, warum sollen wir es dann überhaupt wagen? Wir wissen nicht einmal ob die Legenden stimmen.“
„Das ist mal wieder typisch für dich, Jago“, gab Zoreg verärgert zurück und beobachtete seinen Freund. „Wir waren uns doch einig, wir wollen prüfen ob die Legenden stimmen und wenn ja, dann haben wir unsere Waffen.“
Als ob einfachere Kurzschwerter und Kampfstäbe reichen, dachte Jago seufzend, kaum hatte Zoreg geendet. Aber äußerlich ließ er sich nichts anmerken, nur sein bester Freund Adan kannte seine wahren Gefühle, die er insgeheim mit ihm teilte. Doch als Feiglinge wollte niemand von ihnen dastehen, was sie schließlich auch dazu bewogen hatte bei diesem irrsinnigen Abenteuer mitzumachen.
„Lasst das unnötige Gequatsche und lasst uns endlich reingehen“, mischte sich nun Kyrill ungeduldig ein. Er war ohnehin lieber ein Elf der Tat und nicht der Gespräche.
Sodann machte Zoreg die ersten Schritte in die große Höhle, dicht gefolgt von Kyrill. Kurz darauf kam Nael, der seinen Cousin aufforderte dicht bei ihm zu bleiben und schließlich setzten sich Adan und auch Jago in Bewegung. Erschreckenderweise bemerkte Jago erst jetzt, dass er gar keine Lichtquelle besaß und so musste er auf seine magischen Kräfte zurückgreifen. Aber das stellte für ihn kein Problem dar, zwei Worte in der arkanen Sprache, ein kurzer Wink mit dem Zeigerfinger und schon schwebte über seinem Kopf plötzlich eine hell leuchtende orangefarbene Lichtkugel.
Nach dem diese Frage geklärt war sah er, dass seine Freunde bereits im Höhleninneren verschwunden waren und rannte ihnen eilig hinterher. Er brauchte nur ungefähr fünfzig Schritte in der undurchdringlichen Schwärze einer sternenlosen und mondlosen Nacht, anders konnte Jago den sich ihm bietenden Anblick nicht beschreiben, da fand er die vier Waldelfen wenige Meter vor sich. Sie standen da und starrten mit weit aufgerissenen Augen auf ein übergroßes Wandgebilde, welches sich von den beiden Seiten der Höhlenwände bis über die hohe Decke erstreckte, und damit einem Torbogen sehr ähnelte. Dieses Gebilde, oder besser gesagt dieser direkt aus dem Felsen gehauene Durchgang, war über und über mit unversiegbaren mystischen Runen bedeckt und wenn Jago es nicht besser wüsste, würde er auf der Stelle behaupten, dass diese alten Schriftzeichen aus einer früheren Zeit stammten, aus einer längst vergessene Zeit.
„Was ist das?“, fragte Adan ehrfürchtig. „So etwas hab ich noch nie gesehen.“
„So etwas hat noch keiner gesehen“, antwortete Jago nicht weniger ehrfurchtsvoll und legte seinen Kopf in den Nacken, um auch die höchstgelegenen Runen erkennen zu können, welche weit die Höhlendecke hinauf reichten. „Wisst ihr was, ich glaube allmählich, Meister Chandran hat Recht.“
„Du meinst die Legenden stimmen doch?“, hörte Jago seine Freunde im Chor fragen.
„Ich meine es nicht nur …“, bedeutete er leise und deutete mit der freien Hand auf den steinigen Bogen, wobei er seinen Blick von den Runen zu den vier Elfen und wieder zurückwandern ließ. „Angeblich soll das Schattengebirge von dem damaligen … grausamen Schattendrachen Amaesilanthon … seinen Namen erhalten haben, der vor über dreitausend Jahren die Berge unsicher gemacht hat. Ihr wisst doch, unsere Vorfahren sollten daraufhin Amaesilanthon in diese Höhle verbannt haben und seit mal ehrlich, ich denke, diese Insignien dienen nur einem Zweck, den Schattendrachen hier gefangen zu halten.“
„Gut gesprochen, kleiner Elf“, grollte völlig unerwartet eine sehr tiefe, unirdische Stimme von der anderen Seite des Torbogens und es schien beinahe so, als würden die Wände unter der ungeheuerlichen Wucht des Tonfalls zu zittern anfangen.
Wie ein Mann fuhren die Freunde herum und schauten erstarrt in zwei zu Schlitzen verengte rot glühende Augen, die wütend und neugierig zugleich durch einen schwarzen, schattenhaften Nebel hervorlugten. Eigentlich wäre Kyrill spätestens jetzt mit erhobener Klinge diesem gruseligen Etwas entgegen gesprungen, aber es kam alles ganz anders. Kyrill und Zoreg warfen entsetzt ihre Klingen auf den harten Steinboden, kreischten dabei ängstlich auf und rannten panisch um ihr Leben fürchtend dem Ausgang und dem hellen Sonnenlicht entgegen. Nur Momente später schrieen auch Adan und Nael laut und wild vor Furcht, packten ihre Kampfstäbe fest mit beiden Händen und ohne ein weiteres Wort oder auch nur auf Jago zu achten, hasteten sie ihren flüchtenden Freunden nach. Zurück blieb als einziger Jago.
„Schämst du dich denn nicht, kleiner Waldelf?“, kam jäh die Frage von der geisterhaften Stimme, die einen amüsierten Unterton besaß.
„Ganz bestimmt nicht, Silan“, lächelte Jago und fixierte geradewegs die rot glühenden Augen des Schattendrachens Amaesilanthon, der tatsächlich hinter der magischen Barriere gefangen saß. Silan war die Abkürzung des Drachennamens und für die meisten Sterblichen deutlich besser auszusprechen. „Irgendwann müssen wir doch den Lebenden die Fehler vor Augen halten und deshalb muss ich mich nicht schämen.“
„Glaub mir, kleiner Elf, besser wäre es“, grollte der Schattendrache und bei jedem weiteren Wort verfestigte sich seine äußere Hülle zu tellergroßen und steinharten anthrazitfarbenen Schuppen und schließlich zu einem fast vierzig Meter langen und über zehn Meter hohen Drachen. Auf seinem Kopf bildeten sich spitz zulaufende Hörner, in der Länge eines Elfenarms, die dolchartigen und rasiermesserscharfen Zähne blitzten im heraufbeschworenen Magierlicht über Jagos Kopf gefährlich auf, aber der Waldelf ahnte, dass er nichts zu befürchten hatte. Am Ende formten sich aus dem schattenhaften Nebel die Klauen des Drachens, die nicht weniger scharf und gefährlich waren als die Reißzähne, während auf dem riesigen Rücken die Flügel erschienen. Das einzige was sich nicht veränderte waren die Augen, nur der Ausdruck in ihnen wich einer gewissen Vorfreude.
„Warum denn? Sobald ich dich hieraus befreie und du die wahren Schuldigen findest, die dir das angetan haben, werden auch die Ältesten und Weisen der Elfen ihre Schuld dir gegenüber eingestehen müssen“, sprach Jago absolut überzeugt. „Ich habe nicht die Jahre vergeudet und umsonst in der Bibliothek meiner Eltern und in der Magierschule verbracht, um endlich Frieden zwischen den einzelnen Elfenstämmen und den Drachen erleben zu dürfen Du gehörst zu den Lebewesen der Schöpfung und meine Vorfahren haben dich hier nur gebannt, weil sie Angst hatten du könntest ihnen ihren Platz bei den Göttern streitig machen.“
„Das stimmt“, gab Silan dem jungen Waldelfen Recht und war sogar stolz auf diesen jungen Burschen. Dabei gratulierte er sich innerlich für seinen guten Plan sich nachts in Schatten aufzulösen und in Form von Träumen über all die Jahrhunderte hinweg endlich einen würdigen Mitstreiter gefunden zu haben, der ihm half sich aus seinem körperlichen Gefängnis und ihn somit von diesem Ort zu befreien. Denn solange er hier festsaß konnte er nicht einmal den Göttern vom Frevel der Völker berichten, obwohl genau das stets seine Aufgabe gewesen war. Doch da vor über dreitausend Jahren machtgierige Intriganten andere Dinge im Sinn gehabt hatten, hatten sie ihn kurzerhand mit starker Magie an Ort und Stelle gebunden und die Legenden über seine angebliche Grausamkeit verbreitet. Doch eigentlich diente Silan den Göttern des Lichts und war ihr friedfertiger Botschafter. „Dann lass uns beginnen, mein treuer Diener und sobald ich frei bin wirst du belohnt werden.“
Jago wurde bei diesen Worten leicht rot im Gesicht, denn eigentlich wollte er keine Belohnung, sondern einfach nur Gerechtigkeit. Und umso froher war er, dass sich das angebliche Abenteuer seiner Freunde so wunderbar in das gesamte Vorhaben angepasst hatte. Schließlich steckte er sein Schwert zurück in die Scheide, dann griff er in seine Hosentasche und holte einen kleinen schwarzen Samtbeutel hervor. Diesen öffnete er und schon wehte ihm der unverkennbare Duft von Weihrauch in die Nase, der ihn kurzzeitig zum Niesen brachte.
„Vergeude nicht dieses kostbare Pulver“, grollte Silan, was er allerdings nicht boshaft meinte. „Ziehe mit dem Goldpulver eine gerade Linie von einem Torbogen zum anderen“, erklärte er haarklein. „Dann musst du den Diamantenstaub in exakten Abständen auf dem Goldpulver verteilen und hast du die Waffe mitgebracht, um die ich dich in meinem letzten Traum gebeten habe?“
„Natürlich“, nickte Jago und verteilte das kostbare Goldpulver in einer Linie, so wie Silan es ihm gesagt hatte. Anschließend nahm er den Diamantenstaub und schüttete nach jedem gleichmäßigem Schritt ein wenig davon auf das goldene Pulver. „Und du meinst, ich bin stark genug, um dieses Ritual durchzuführen?“
„Es kommt nicht auf die Stärke, sondern auf den Willen an“, erwiderte Silan und gab mit einem Rucken seines mächtigen Kopfes dem kleinen Waldelf das Zeichen, er könne beginnen.
Jago atmete einmal tief durch, schloss kurz die Augenlider und versuchte sich auf das was folgen würde zu konzentrieren. Denn was er gleich tun sollte machte er nicht jeden Tag und doch hatte er dem Schattendrachen sein Hilfeversprechen gegeben. Aus diesem Grund verdrängte er all seine aufsteigenden Ängste, schluckte einen wachsenden Kloß im Hals herunter und öffnete wieder seine smaragdglänzenden Augen. Er spürte seinen beschleunigten Herzschlag und griff nebenher in seine andere Hosentasche, wo er einen kleinen filigran gearbeiteten Dolch aus Gold hervorholte, dessen Knauf und Parierstange über und über mit Monddiamanten verziert waren. Monddiamanten besaßen von den Göttern des Lichts gegebene göttliche Zauberkräfte und sie waren so selten, wie es eine Sonnenfinsternis gab. Jago hatte jenen Dolch auf dem Arbeitszimmer des Schuldirektors gestohlen, genauso wie es ihm Silan zuvor in einem Traum mitgeteilt hatte.
Der Wandelf stellte sich jetzt direkt vor die Linie mit dem Goldpulver, seufzte und stach sich schließlich mit der Spitze in den linken Zeigefinger. Zuerst brannte die kleine Stichwunde, doch innerhalb der nächsten Sekunden fühlte er sich schwindlig. Dann spürte er etwas in seinem Magen, was sich anfühlte wie loderndes Feuer. Dieses Gefühl rauschte in atemberaubendem Tempo durch seine Adern und konzentrierte sich in seiner blutenden Fingerkuppe. Als sich Jago die Verletzung näher ansah, bemerkte er dort nicht nur einen Tropfen Blut, sondern einen Blutstropfen der von einem nicht irdischen Leuchten erfüllt war.
„Diese Waffe …“, sprach Silan am Rande erklärend an den Waldelf gerichtet, dessen erster Schock von ihm abgefallen und der immer stärker von einer ungeheuerlichen Kraft besessen wurde, „… ist der Dolch der Götter. Jeder der mit dieser diamantenscharfen Klinge in Berührung kommt, wird von der Stärke der Götter durchflutet. Doch nun sprich mir nach. Du darfst keinen Fehler machen, kleiner Elf, sonst bleibt diese Barriere weitere hundert Jahre intakt.“
Wie in Trance nickte Jago und konnte kaum glauben was mit ihm geschah und was ihm Silan soeben gesagt hatte. Wenn dieses Feuer in ihm tatsächlich die göttliche Kraft war, dann war sie einfach nur wunderschön, atemberaubend fantastisch. Etwas, das er noch in fünfhundert Jahre nicht in Worte fassen könnte.
Langsam, Wort für Wort, vernahm Jago den uralten Zauberspruch in einer ihm unbekannten Sprache und doch waren diese magischen Worte für ihn momentan nicht fremd. Er vermutete, es lag an der zurzeit immanenten Götterkraft, denn woher sollte er diese Sprache auch kennen, die über die Jahrtausende ausgestorben war. Während er den Spruch zur Aufhebung der Bannung aufsagte, tropfte sein Blut auf das Goldpulver und plötzlich, ohne jedwede Vorwarnung begann das Pulver Feuer zu fangen. Durch den Diamantenstaub breitete sich die Feuerspur umso schneller aus und kaum war sie an den auf dem Stein ruhenden Runen angekommen, fingen diese in einem hellen Licht an zu glühen. Dieses Glühen wuchs mit jedem von Jagos Herzschlag und er kam dabei nicht mehr aus dem Staunen heraus. So etwas hatte er in seinem Leben noch nie gesehen, es war einfach göttlich!
„Wende dich ab“, rief Silan dem Waldelfen zu, der ohne Fragen zu stellen sofort der Aufforderung nachkam und in die Hocke ging, die Arme legte er sich schützend über den Kopf.
Der Schattendrache wiederum grollte vor purer Vorfreude und spürte von Sekunde zu Sekunde, je tiefer sich das göttliche Feuer in die magischen Runen fraß und sie dabei restlos vernichtete, wie sich der Zauberbann von ihm löste. Es war, als würde jemand unsichtbare Fesseln von seinem Körper lösen und nach einigen Minuten gab es ein ohrenbetäubendes Geräusch, als Silan frei von den Ketten der Ungerechtigkeit diese gellend hinausbrüllte, seinen Kopf hin und her warf und mit dem Schwanz auf den Höhlenboden schlug.
Jago dachte schon sein letztes Stündlein hätte geschlagen, denn rings um ihn herum bebte es und der Drachenschrei machte ihn fast taub. Zudem fühlte er die göttliche Kraft aus ihm zurückweichen und für einen Sekundenbruchteil vermisste er sie. Doch je weniger Feuer in ihm brodelte, desto mehr war er wieder er selbst und das war besser als alles andere. Als er schließlich bemerkte, wie es ruhiger um ihn wurde, senkte er die Arme und lugte vorsichtig nach oben. Dort schauten ihn zwei rot glühende Augen freudestrahlend an.
„Ich danke dir, Jago“, sagte Silan mit der Stimme eines Siegers. „Du hast mich wirklich aus meinem Gefängnis befreit und als Dank gewähre ich dir einen Wunsch. Doch bedenke, es wird nur einer sein, bevor ich zu den Göttern aufbreche, um von der Schade der Ältesten zu berichten.“
„Dann nehme mich mit“, platzte es unüberlegt aus dem Waldelfen heraus, der jedoch seine Aussage nicht bedauerte.
„Dich mitnehmen?“ Silan war offensichtlich verblüfft.
„Ja, nimm mich als dein Mitstreiter mit“, versuchte es Jago ein weiteres Mal und glaubte fest daran, dass er das Richtige tat.
„Ist dies dein Wunsch?“, fragte der Schattendrache nach, denn so abwegig fand er diesen Vorschlag nicht.
Jago nickte.
„Nun gut, dann soll dies dein Wunsch sein und vielleicht …“, der letzte Teil des Satzes ging in einem schallendem Gelächter unter, als Silan seiner Freude über die zurück gewonnene Freiheit weiter Luft machte. Mit unglaublicher Geschwindigkeit wurde aus seinem Körper wieder schattenhafter Nebel und dieser hüllte den Waldelfen vollständig ein. Dann durchfuhr ein heftiger Ruck beide und gerade als Jago vor Angst und Schrecken aufschrie, verwandelte sich der Schrei in ein freudiges Rufen.
Mitten in der Luft, fünfzig Meter über den hohen Baumspitzen, flog plötzlich ein vierzig Meter großer schwarzer Drache durch die warme Sommerluft. Gewaltige Flügel schlugen im Wind und schon waren sie weitere fünfzig Meter höher in die Lüfte gestiegen. Jago saß auf dem Kopf des Schattendrachens und hielt sich an den Hörnern fest.
„Das ist ja gigantisch!“, rief der Waldelf und jauchzte freudig.
„Und das ist erst der Anfang!“, gab Silan zurück und stieß zum Sieg seiner Freiheit einen trompetenartigen Ton aus, der selbst die Magier und die geflohenen Freunde Zoreg, Kyrill, Nael und Adan aufschreckte, die in jenem Moment außer Atem die Außenmauern der Schule erreichten und ihren Freund zusammen mit dem Schattendrachen davonfliegen sahen.
E N D E
Texte: Die von mir verwendeten Namen habe ich mir selbst ausgedacht. Womögliche Übereinstimmungen sind von mir keinesfalls beabsichtigt. Das Coverbild stammt ebenfalls von mir.
Tag der Veröffentlichung: 22.06.2009
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