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Zur Autorin:



Annette Eickert wurde im Herbst 1978 in Worms am Rhein geboren. Auf die Mittlere Reife folgte zuerst eine erfolgreiche Ausbildung zur Arzthelferin, um schließlich nach reichlicher Überlegung eine Ausbildung zur Bürokauffrau zu absolvieren. Im Juni 2005, nach der ärztlichen Diagnose Multiple Sklerose, kam die Wendung in ihrem Leben. Inspiriert von vielen Fantasybüchern, erschuf sie ihre eigene Fantasywelt - und seitdem ist das Schreiben ihre größte Leidenschaft.

Zum Buch:



„Ynsanter – Seele des Feuers Band 1” erzählt den dramatischen Anfang einer hoffnungsvollen Suche nach dem Götterschwert Ynsanter, das am Ende den Frieden über die Welt Zanthera bringen soll. Hierbei spielt der Iyanakrieger Ataran eine wichtige Rolle, der in die Hände seiner erbitterten Feinde fällt, den Raukarii. Er verliebt sich in eine Raukarii und aus
dieser Liebe wird ihr Sohn, der Halb-Raukarii Norion, geboren.

Doch durch ein tragisches Unglück wächst der Junge schließlich unwissend als Sklave unter der Herrschaft der Feinde auf, bis die Zeit zum Handeln kommt. Zwei geheimnisvolle Zwillingsbrüder tauchen in Norions finsterster Stunde auf und stoßen auf eine Frage, die sie nicht mehr loslässt. Mit Hilfe des mächtigen Feuergottes Zevenaar, uralten Drachen und glaubensstarken Kriegern beginnt plötzlich ein Abenteuer über wahrhaften Glauben, Mut, Liebe und Intrigen.


Leseprobe



Ynsanter – Seele des Feuers



Geboren aus den Wirbeln der Zeit,
um zu bringen die Harmonie von Chaos und Ordnung
und zu dienen der Schöpfung immerfort.

Geboren aus dem Feuer der Liebe,
das der Glaube hervorgebracht,
um zu erringen den Beistand und die Zuneigung.
Doch verloren ist, was einst Hader schuf,
und nun ist unbekannt der Ort.

Die Seele des Feuers ist erwacht.

Mächtige Geheimnisse führen durch Nebel und Dunkelheit,
getrieben in das Höllenreich des Augenblicks,
um zu lernen, was es heißt – Leben und Tod.

Die Seele des Feuers brennt.

Doch geformt muss werden, was die Unendlichkeit verlor,
denn das Ende ist der Anfang,
zu führen alle gemeinsam ins Reich der Einigkeit.

Das Schwert des Feuers lebt.




Die Vergangenheit



Es begann mit der Erschaffung Zantheras durch die große Göttin, die Schöpferin des Lebens und des Todes, jene, die Anfang und Ende von allem ist, jedoch keinen Namen hat. Sie gab einen Teil ihres Wesens hin und formte daraus die Erde. Ihr Atem war die Luft und ihre Freudentränen waren das Wasser. Das Feuer ihrer Hingabe hielt alles zusammen. Schließlich gab sie ihrer Schöpfung den Namen Zanthera. Glücklich über ihr Werk betrachtete sie es eine Weile und bemerkte, dass etwas fehlte. So erschuf sie die Pflanzen und die Tiere, damit diese auf der Welt wandelten. Doch damit nicht genug, erweckte sie die Wächter der Vergangenheit zum Leben, Kreaturen von Größe und Macht und mit keinem anderen Lebewesen vergleichbar.

Im Auftrag der Göttin zogen sie durch die alte Welt, um zu schützen die Luft, das Wasser, die Erde und das Feuer. Ihre Körper waren von Schuppen bedeckt, die leuchteten so hell wie das hellste Sonnenlicht oder waren so finster wie der tiefste Schatten. Ihre Größe reichte an den höchsten der Bäume heran, auf ihrem Kopf saßen zwei Hörner und ihre Kraft war so mächtig wie das Feuer der Erschaffung, während ihre goldenen Augen von ihrem stolzen Charakter zeugten. Die Wächter waren die schönsten und gefährlichsten Geschöpfe, aber die Welt sollte nicht ihnen alleine gehören. Schließlich erweckte die Schöpferin die Seelen der Iyana zum Leben und schickte sie nach Zanthera, damit die Erde von ihnen vollendet würden. Lange Zeit blieb es ruhig und friedlich. All ihre Geschöpfe wuchsen und gediehen und lebten Seite an Seite. Die Seelen vermehrten sich und erfüllten das Herz ihrer Schöpferin mit Stolz. Besonders eine Seele erregte die Aufmerksamkeit der großen Göttin. Sie hatte etwas an sich, das sich mit keinem Wort in keiner Sprache beschreiben ließ. Viele Male stieg die Göttin zu dieser besonderen Seele herab und viele Male erfreute sie sich an ihrer Gesellschaft. Schließlich wurde aus der Leidenschaft ihrer Liebe ein Kind geboren. Sein Haar war rot wie Blut und seine Augen hatten die Farbe des Goldes, es war ein Sohn und sie gaben ihm den Namen Zevenaar.

Das Herz der Göttin war voller Stolz und ihr Sohn durfte auf der Welt wandeln, wie er wollte. Doch je älter er wurde, desto feuriger ward sein Wesen – und umso unbeherrschter. Er liebte seine Mutter innig, doch sie erwiderte seine Gefühle nicht, denn sie hatte ihre ganze Liebe in ihre Schöpfung gegeben. In seiner Wut stürzte sich Zevenaar in das Feuer der Erde, um dort in den glühenden Tiefen das Gefühl zu finden, das ihm seine Mutter nicht gab: die Liebe. Doch auch hier wurde er nicht fündig. Als er aus dem rot glühenden Blut von Zanthera auftauchte, da war sein Herz ebenso glühend vor Hass wie das Feuer. Sie hatte ihm ihre Liebe verwehrt und dafür wandte er sich von ihr ab. Mit der Magie des Feuers und der Erde erschuf er ein Schwert, so mächtig und kraftvoll, dass nur ein Gott es wahrhaftig zu führen vermochte. Zevenaar erschuf Ynsanter – das Schwert des Feuers – die Seele all seines Seins.

Mit dieser Waffe trat er noch einmal seiner Mutter gegenüber, und diesmal verlangte er einen Teil ihrer Schöpfung als Ersatz für die ihm verweigerte Herzenswärme. Die Göttin war verwirrt, weder verstand sie die Wandlung ihres Sohnes noch sein Handeln, war doch ihre Schöpfung für alle da. Bebend vor Verbitterung über seine Mutter und dennoch voller Zuneigung zu ihr hielt Zevenaar sein Schwert zurück. Er stürzte sich stattdessen auf ihre Schöpfung, auf Zanthera, und schlug zu. Ynsanter spaltete die Erde und ein gigantischer Riss tat sich auf. Zevenaar belegte das Land daraufhin mit einem Fluch, auf dass sich der Spalt nicht eher schließen möge, bis seine Mutter ihn mit der gleichen Liebe umgäbe, mit der sie auch ihre Schöpfung umgab. Dieser Spalt, der aus Liebe und Hass zugleich geboren wurde, wird von allen Lebewesen seither auch Zevenaar, der Feuerspalt, genannt. Der Göttersohn ließ Ynsanter auf Erden zurück und zog sich in die tiefsten Tiefen des Feuers von Zanthera zurück. Seitdem wartet er vergebens auf die Göttin, die Schöpferin des Lebens und des Todes. Doch etwas anderes tat sich auf der Welt. Die alten Wächter der Vergangenheit zogen sich zurück und die Seelen der Iyana wandelten weiterhin umher und bevölkerten das Land zu ihren Füßen. Sie erfreuten sich an der Schönheit, die ihnen geschenkt worden war. Sie liebten die grünen, weiten Felder, die endlosen Wälder und ein jedes Tier war ihr Freund.

Doch mit einem Mal kamen Fremde über das große Meer Ionnaá – die blauen Tiefen – und setzten ihre Füße auf die fruchtbare Erde des alten Volkes. Sie waren anders als die Iyana, vollkommen von ihnen verschieden. Das Volk der Göttin beschloss, die Neuankömmlinge in ihrer Heimat willkommen zu heißen, zum einen aus Neugier und auch, um die Göttin nicht zu erzürnen, die der Welt diese neue Rasse geschenkt hatte. Doch die Fremden, seither als Menschen bekannt und von der Göttin aus einem entfernten Land gesandt, waren nicht gekommen, um Freundschaft zu schließen, sie kamen, um zu erobern und das Land ihr Eigen zu nennen. Ohne Rücksicht und Gewissen griffen sie die friedlichen Iyana an und töteten viele von ihnen. Ängstlich flohen die Überlebenden in die Wälder im Norden, manche auch in die Tiefen der Berge, zu den feurigen Klüften des Südens.
Die Menschen ließen sich nicht aufhalten und folgten jenen Wesen, die sie für schwächlich hielten. In ihrer Verzweiflung riefen die Iyana ihre Göttin um Hilfe. Doch diese sagte ihnen, dass sie sich zurückziehen sollen, da sie glaubte, die Menschen würden ihren Fehler bald einsehen. Aber die Göttin irrte sich. Unbeirrbar und beharrlich machten die Eindringlinge Jagd auf das Volk der Iyana. Jene, die sich in den Tiefen der Welt verbargen, erinnerten sich in ihrer Hoffnungslosigkeit an Zevenaar und riefen den mächtigen Herrn des Feuers um Hilfe.

Aufgeweckt durch ihr Rufen erschien der Sohn der Göttin aus den Untiefen der Welt und sah auf die jämmerlichen Iyana herab, die ihn gerufen hatten. Erst wollte auch er ihrem kläglichen Leben ein Ende bereiten, doch als ihm eine der Frauen – Lakisha – ewige Treue gelobte, änderte er seine Meinung. Er versprach den Iyana, dass sie ihre Welt zurückerhalten würden, wenn sie seinem Weg folgten. Durch den Kuss des Feuers gab er den Wesen der Göttin die innere Kraft, die sie brauchten. Er brachte ihre Seelen zum Brennen und erfüllte sie mit seiner Stärke und Macht. Zevenaar schenkte ihnen die Kräfte des Feuers und der Erde. Seither nennen sich die Überlebenden in den Bergen Raukarii. Sie ließen ihr früheres Leben hinter sich und wurden zu jenen Wesen, vor denen sich die Menschen in Zukunft fürchteten, mit Haaren so rot wie das Feuer und Augen in der Farbe glühenden Bernsteins. Tödlich und machtvoll wurden sie so zu den Kindern des Gottes. Zevenaar nahm Lakisha – jene Frau, die ihm als Erste die Treue geschworen hatte – zu seiner Gemahlin und gab ihr das nötige Wissen und die Kraft, die Raukarii zu lehren und zu führen. Diese Welt sollte sein und seines Volkes Eigentum werden, das war Zevenaars Wille. So begann der ewige Krieg der Raukarii gegen die Menschen.

Die wenigen überlebenden Iyana in den nördlichen Wäldern der Welt verbargen sich hinter dem höchsten Gebirge, Brin-Krian genannt. Ein Tor von gewaltiger Größe markiert bis heute den Eingang nach Ianara, dem Heim der letzten lebenden Geschöpfe der großen Göttin. Verborgen hinter dichten Bäumen und Zweigen verstecken sie sich dort und vermeiden seit damals den Umgang mit den Menschen und den Raukarii. Das Gebirge Brin-Krian, auch „die Geisterberge“ genannt, soll seit jeher von den gefallenen Iyana bevölkert sein, die die Tyrannen, die einst über die blauen Tiefen in ihr Land eingedrungen waren, zurückhalten. So leben sie dort in Ruhe und Frieden und beten regelmäßig zu der großen Göttin, dass sich Zanthera eines Tages wieder in das freie Land wandeln werde, das es ehemals war. Die Iyana, die in prächtigen Städten und Siedlungen zu Hause sind, werden von den Menschen und Raukarii gleichermaßen nur „die Feen“ genannt. Ihre Erscheinung gleicht in ihren Augen der eines göttlichen Engels. Ihr langes Haar in Schwarz und Braun fällt ihnen glatt über den Rücken, ihre Augen leuchten blau, grün oder violett und sie sind von großer und schlanker Gestalt. Ein Volk, das im Einklang mit der Natur lebt.

Doch was die Raukarii und die Iyana vereint sind die tief verwurzelten Äste und Zweige ihres Seins, dem Baum des Lebens. Ihre langen, spitz zulaufenden Ohren und ihre Unbeugsamkeit sowie ein Tausende von Jahren währendes Leben zeichnen sie als die willensstarken Geschöpfe Zantheras aus.

Seit jener Zeit leben die drei Völker getrennt voneinander. Die Raukarii, von ihren Feinden auch Düsteralben genannt, bewohnen den Süden hinter dem Feuerspalt, das Land Leven’rauka. Die Menschen leben in der Mitte des Festlandes, das von seinen Bewohnern Teriman getauft wurde, von wo aus sie sich immer weiter auszubreiten suchen. Die Iyana leben im Norden hinter dem Brin-Krian, in den tiefen Wäldern von Ianara. Doch es wird eine Zeit kommen, in der diese Grenzen nicht mehr gültig sein werden, denn ein neuer Krieg bedroht die Welt. Der letzte große Anführer der Raukarii, Zakar genannt, ist vor vielen Jahrhunderten gegangen und hat das Schwert Ynsanter, das Zeichen der göttlichen Herrschaft auf Erden, mit sich genommen, in der Hoffnung, dass nur der Stärkste seiner Art das Schwert an sich nehmen würde. Das Volk der Raukarii ist seither auf der Suche nach dem Schwert ihres Gottes und wenn sie es finden, dann wird ein neuer Krieg über die Welt hereinbrechen – einer, der ihr Antlitz für immer verändern kann.

Neferrilion – Herr des Turms


Kapitel 1
Der Überfall




Die Raukarii waren wieder auf der Jagd. Überall spähten Augen, leuchtend wie glühende Kohlen, aus der Finsternis hervor.

In der Schwärze der Nacht schlichen sie lautlos durch den großen Wald von Ianara, der sich über einen Flecken von Zanthera ganz in der Nähe des mächtigen Brin-Krian-Gebirges im Norden erstreckte. Den Rand des ausgetretenen Pfades säumten gewaltige Bäume sowie kleine Sträucher und Büsche. Die Natur wuchs hier wild und das Unterholz war dicht, sodass die nahenden, dunklen Silhouetten den Augen der wachhabenden Iyana aus dem Dorfe Wael entgingen. Langsam, einen Schritt nach dem anderen setzend, kämpften sich die geschickten Raukariisoldaten an ihr Ziel heran. Sie lagen im angrenzenden Unterholz auf der Lauer, als der Befehl laut durch die Nacht hallte und die Stille des Waldes zerstörte: „Zum Angriff!“

Wie ein Mann sprangen die Raukarii durch die Büsche auf die kleinen Holzhäuser von Wael zu. Die Überraschung war perfekt, und durch ihr grandioses Geschick mit dem Schwert, durch ihre Schnelligkeit und – nicht zu vergessen – durch ihr heimliches Vordringen waren die Raukarii klar im Vorteil. Bis die Iyana begriffen hatten, was geschehen war, war der Kampf bereits in vollem Gange.
„Raukarii! Wir werden angegriffen!“, klang von irgendwoher der panische Schrei einer Iyanafrau durch die finstere Nacht.

„Lauft um euer Leben!“, schrie eine weitere Stimme, diesmal gellend ausgestoßen von einem Mann.
Ataran Neavaras hörte die lauten Rufe, die das Unheil ankündigten; als sie an sein Ohr drangen, rissen sie ihn aus seinem ohnehin leichten Schlaf. Augenblicklich hellwach und von der Sorge ergriffen, es könnte bereits zu spät sein, sprang der große Iyanahauptmann aus dem Bett, eilte ans Ende seiner Schlafstätte und zog hastig seine dort stehenden braunen Wildlederstiefel an. Seine Kleidung, eine braune Lederhose und ein waldgrünes Hemd, hatte er nicht ausgezogen, als er sich vor einer Stunde ins Bett gelegt hatte, daher war er sofort bereit.

Schon Tage zuvor hatte Ataran Neavaras – Hauptmann der Wache des kleinen Dorfes Wael am Rand des mächtigen Brin-Krian-Gebirges – den Verdacht gehegt, dass sich ihre Feinde hier im Wald herumtrieben, obwohl es keine genauen Hinweise gegeben hatte.

Die Raukarii, auch Düsteralben genannt und einst die Brüder der Iyana, da beide vor langer Zeit aus demselben Volk hervorgegangen waren, kamen hin und wieder in den Norden. Sie durchquerten dann das Land der Menschen und gelangten letztendlich über die Berge in den großen Wald Ianara. Kaum etwas schien sie davon abhalten zu können, nicht einmal der lange Marsch über den großen Kontinent, während dem sie etliche tausend Kilometer von Süden nach Norden zogen. Diese Überfälle waren zwar selten, kamen aber dennoch kaum überraschend. Die Raukarii versuchten des Öfteren, große Beute zu machen und Sklaven zu nehmen. Gleichfalls wussten die Iyana auch um die Suche der Düsteralben nach einem der kostbarsten Relikte, die für sie bereits zu einer Art heilige Jagd geworden war.

Dabei handelte es sich um die Suche nach Ynsanter – dem Schwert des Feuers –, erschaffen von Zevenaar, um die große Göttin einst ihrem Tod zu überantworten. Das Geschenk des Sohnes der Göttin an die Raukarii, das zugleich das Herrschaftssymbol des düsteren Volkes war, war jedoch verschwunden und seit vielen Jahrhunderten unauffindbar. Das Brudervolk der Raukarii, die Iyana – auch Feen genannt und von den Raukarii mehr verachtet als die Menschen von Teriman – lebten im großen Wald Ianara und dienten der großen Göttin, der Mutter von Zevenaar. Das allein war für die Raukarii schon Grund genug, die Iyana als Feinde anzusehen und ihnen zu schaden. Tief verwurzelt in ihrem Glauben hielten sich die Düsteralben für ausgestoßen und dennoch für genauso mächtig wie den Gott, den sie verehrten. Sie huldigten dem Feuergott Zevenaar und die Legenden besagten, dass das Volk der Raukarii eines Tages einen neuen und starken Anführer hervorbringen würde, der sie zum Sieg führen und die Düsteralben zu den wahren Herrschern über Zanthera machen würde. Dabei sollte Ynsanter eine große Rolle einnehmen. Das Götterschwert sollte sich an einem geheimen Ort in Ianara befinden, den genauen Ort kannte jedoch keiner. So bekämpften und überfielen die Raukarii unablässig die Iyana und die Menschen, die es wagten, nach Leven’rauka zu kommen, oder die sich ihnen auf dem Weg nach Ianara in den Weg stellten.

Gerüchten zufolge, die Ataran zur Genüge bekannt waren, sollte Ynsanter sich irgendwo an der Küste von Ianara befinden, aber diese Vermutung schienen nicht einmal die Iyana selbst stützen zu können. Keiner vermochte den Aufbewahrungsort des heiligen Schwertes zu nennen, außer vielleicht die Hohen und Mächtigen dieser Welt. Das waren jedoch nur sehr wenige, und sie lebten entweder zurückgezogen von der Zivilisation oder schwiegen schlichtweg.

Die Ankunft der Raukarii konnte für Ataran in jenem Moment also nur eines bedeuten: Gefahr! Ob sein Brudervolk auf Raubfang oder zum wiederholten Male auf der Suche nach Ynsanter war, wurde zur Nebensächlichkeit. Sie griffen sein Dorf und dessen Bewohner an. Die Familie der Iyana schwebte in Lebensgefahr.

Erneut drangen panische Schreie an Atarans Ohr und sagten ihm, dass er keine Zeit verlieren durfte. Sein Volk brauchte ihn, als Iyanahauptmann war er für die Sicherheit seines Dorfes verantwortlich. Eilig griff er nach seinem Waffengürtel, in dem das prachtvolle Schwert aus vielfach gehärtetem Stahl steckte, und zog die Klinge im nächsten Augenblick aus der Scheide. Sie besaß einen Griff aus Elfenbein – solche Schwerter durften nur von den Hauptmännern der Iyanasoldaten getragen werden. Kein gewöhnlicher Krieger würde sich über diese schon seit Jahrtausenden bestehende Tradition hinwegsetzen. Die scharfe Klinge fest in seinen Händen, stürmte Ataran hinaus ins Freie.

Gleich darauf stand Ataran Neavaras vor seiner kleinen Behausung mitten im Dorf Wael und schaute entsetzt in das Durcheinander der fliehenden Iyana. Viele Bewohner rannten um ihr Leben oder waren schon in heftige Kämpfe verwickelt. Schreie hallten durch die dunkle Nacht, Kinder weinten und wieder gellte die Warnung aus dem heillosen Gewimmel der Flüchtenden: „Wir werden angegriffen! Es sind Düsteralben!“

Der Albtraum hat begonnen, war Atarans erster Gedanke, als er sich in Sekundenschnelle ein Bild von der Lage machte. Erst vor wenigen Tagen hatten er und seine Soldaten Raukariiaktivitäten in diesem Teil ihrer Heimat vermutet. Doch niemand, nicht einmal die Ältesten des Clans Varas aus der gleichnamigen Hauptstadt von Ianara, aus dem auch Ataran stammte, hatte mit einem Überfall gerechnet. Wie hatten sie sich nur so irren können? Das Schreckensszenario direkt vor seinen Augen jagte ihm einen kalten Schauer über den Rücken.

„Ihr wolltet mir nicht glauben, jetzt werden die Unschuldigen für eure Nachlässigkeit ihr Leben lassen“, fluchte Ataran bitter vor sich hin.

Fest umklammerte er den Elfenbeingriff seines Schwertes und stürzte sich mitten hinein ins Geschehen. Eine junge Iyana hinter ihm schrie plötzlich laut auf. Als der Krieger sich umwandte, stand nur wenige Meter von ihm entfernt ein Raukarii. Unheil verkündend leuchteten seine Augen auf und er rief etwas in seiner Sprache, was Ataran nicht verstand. Der Ton und die Art und Weise, wie der Feind die Worte ausstieß, ließen allerdings nur eine Lesart zu – Tod! Der Feind zog soeben sein Langschwert aus dem Körper der eben noch schreienden Iyanafrau, die daraufhin leblos zu Boden sank.

Einen Atemzug später stürzte er sich auf Ataran. Ihre Waffen trafen klirrend aufeinander. In einem schnellen Tanz wirbelten die Schwerter durch die Luft. Stahl traf auf Stahl und die Funken stoben nur so durch die ungeheure Kraft des Aufpralls. Die Wut über das erbarmungslose Töten der Frau verlieh Ataran den nötigen Mut, sich der geschickten Kampfkunst des Raukarii zu stellen, der eindeutig ein guter Kämpfer war und den Iyanahauptmann mehrmals hintereinander ins Straucheln brachte. Doch einige gut gezielte Schläge Atarans konnte er nur mit Mühe abwehren. Einige Minuten gaben sich der Iyana und der Raukarii dem Rhythmus des Kampfes hin, bis sich das Blatt schließlich wendete. Die Schläge erfolgten im Takt ihres eigenen Herzschlags, als es Ataran plötzlich gelang, die defensive Abwehrhaltung des Gegners zu überwinden und diesen in einem schnellen Vorstoß an der rechten Schulter zu treffen. Der Raukarii stöhnte schmerzerfüllt auf und ließ gleichzeitig die Klinge zu Boden fallen, welche er mit dem rechten Arm eben noch so geschickt geführt hatte.

Nun durfte Ataran keine Zeit vergeuden. Sofort zog er die scharfe Klinge heraus, nur um anschließend noch ein weiteres Mal zuzustoßen. Diesmal traf der Hauptmann den Brustkorb. Der Schlag war tödlich. Die Augen des Düsteralben blitzten noch einmal hell auf, dann stürzte er auf die Knie, senkte den Kopf und landete mit dem Gesicht nach unten im weichen Gras.

Ataran konnte sich jedoch keine Verschnaufpause gönnen, schon glitt sein Blick erneut über das Kampfgetümmel. Selbst in der mondlosen Nacht erkannte der Hauptmann das Ausmaß des Überfalls. Die kleine Lichtung wurde von den lichterloh brennenden Häusern seines Dorfes erhellt, und als wäre dies nicht genug, sah er überall in seiner Nähe viele tote Frauen und Kinder auf dem Boden liegen, die zuvor von den Feinden aus ihren Häusern getrieben worden waren.

Doch etwas anderes als der grausige Anblick erschreckte ihn weitaus mehr – die Gegner waren nicht alleine. Bereits im nächsten Moment erhaschte Ataran aus dem Augenwinkel, wie sich ein gewaltiges Untier von mehreren Metern Höhe direkt in seine Richtung bewegte. Schnell wandte er den Kopf der Gefahr zu und erkannte einen Raukarii, der in eine Robe gehüllt auf einer riesigen Schlange saß. An beiden Seiten des Schlangenkörpers ragten Flügel he­raus, ihre Fangzähne trieften vor Gift. Der Feind saß direkt vor dem Flügelansatz auf einem Sattel und schrie in der Raukariisprache abwechselnd seinen Männern und dem Tier Befehle zu. Die geflügelte Schlange reagierte auf das Kommando mit einem hohen, spitzen Schrei und flog mit schlängelnden Bewegungen und mächtigen Flügelschlägen auf die Mitte der Lichtung zu, genau in Atarans Richtung.


©opyright 2009 novum Verlag


Schwert Ynsanter: Annette Eickert

Impressum

Texte: ISBN 978-3-85022-658-5
Tag der Veröffentlichung: 24.04.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
erschienen im novum Verlag

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