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Aus den Gesprächen meiner Menschen bekam ich Folgendes mit: Dreizehn Jahre lebten sie mit einem Kater zusammen und teilten Freude und Leid mit ihm; zuletzt mehr Leid als Freude, bevor sie ihn einschläfern lassen mussten.

Als ihn die Tochter an einem kalten ungemütlichen Wintertag, mitbrachte, war er ein kleines, halb verhungertes Bündel Fell mit zwei wachen Augen in einem großen Kopf. Die Tochter war damals ein Teenager und es hatte eine der in diesem Lebensalter häufigen Auseinandersetzungen mit den Eltern gegeben. Sie war wütend weggerannt und kam nach einer Weile mit dem Kater wieder, der sich an sie schmiegte. Wie sich herausstellte, „wohnte“ er unter der Eingangstreppe. Sie hatte ihn schon eine ganze Weile mit dem Leberkäse, den sie nicht mochte, gefüttert. Nun waren die Menschen erst einmal froh, dass sie wieder da war, so dass sie wegen der eingeschleppten Katze keinen neuen Streit vom Zaun brechen wollten.

Die Gefühle meines Herrchens waren zwiespältig. Als Kind wollte er Tier, aber seine Mutter hatte einen Abscheu vor Haustieren und ordnete sie in die Kategorie unnützes und schmutzbringendes Ungeziefer ein. Ihre Abneigung ging so weit, dass sie Menschen, die ein Tier besaßen, sofort ablehnte. Bis zu diesem Zeitpunkt war es ihm noch nicht gelungen, sich völlig von diesem Einfluss zu lösen. So stritten in ihm die Erfüllung des Kinderwunsches und die vermittelte Antipathie miteinander, als seine Tochter mit dem Kätzchen vor ihm stand. Wie so oft im Leben, ging es durch einen Kompromiss weiter: Eine Nacht darf es erst einmal dableiben und sich aufwärmen.

Aus der einen Nacht wurden dreizehn schöne Jahre. Die Tochter hatte von Schulfreundinnen von einem Katzenfutter „Wiska“ (Whiskas) gehört und da es ein Junge war, sollte er Wisko heißen. Als die Tochter auszog, um ihre eigene Familie zu gründen, ließ sie den mittlerweile stattlichen Riesenkater da und mein Frauchen hatte weiter etwas zu bemuttern. Der Kater hatte von der ganzen Wohnung Besitz ergriffen, die überall katzengerecht mit Kletter- und Kratzmöglichkeiten eingerichtet war. Nichts war vor ihm sicher, außer man schloss es weg, da er auch auf jeden Schrank hinaufkam. Die letzten Jahre plagte er sich im Winter mit Fellproblemen; teilweise sah er wie ein Punker aus, wenn er nur noch auf dem Rücken einen „Kamm“ hatte. Doch mit Hormonspritzen erholte er sich immer wieder, bis es einmal doch zu Ende ging. Er wurde unsauber und meine Menschen suchten verzweifelt nach der Ursache, denn Unsauberkeit eines ansonsten stubenreinen Tieres ist immer ein Signal. Auch der Tierarzt wusste keinen Rat. Der Kater wurde in ganz kurzer Zeit träge und lustlos, lag nur herum und Herrchen versuchte, ihn zu überreden, sich in sein Katzenklo zu entleeren. Hinterher ist meinen Menschen klar geworden: Er fühlte sich schlecht und protestierte, dass sie ihm nicht unterstützten, denn in seinem Katzenleben halfen sie ihm ja immer göttergleich bei allen Problemen. Dass es gegen den Tod keine Hilfe gibt, wusste er zum Glück nicht.

Als sie ihn wieder zum Tierarzt brachten, war die Diagnose klar: Nierenversagen. Das zeigte schon der urämische Geruch. Der Körper versuchte verzweifelt, die Giftstoffe, die die Nieren nicht mehr herausfilterten, über die Haut auszuscheiden. Sie entschieden sich gleich, ihn nicht länger leiden zu lassen. Als er schon die Betäubungsspitze bekommen hatte, kroch er noch einmal zu meinen Menschen und stupste jeden kurz mit der Nase an. Dann schlief er ein und sie gingen. Der Tierarzt gab ihm dann die zweite Spritze, die zum Herzstillstand führte. Den Körper ließen sie da. Er symbolisierte für sie nicht das Lebewesen, mit dem sie dreizehn Jahre ihres Lebens geteilt hatten. Dann schon eher die Fotos, bei deren Ansehen man dann oft sagt: „Weißt du noch, als ---„ Meine Menschen hätten gleich wieder einen übriggebliebenen Kater mitnehmen können, der beim Tierarzt nach einer Behandlung nicht abgeholt worden war, doch sie wollten erst einmal Abstand gewinnen.

Nach und nach entwickelte sich bei ihnen der Gedanke, es doch einmal mit einem Hund zu versuchen, denn ein Tier wollten sie wieder. Zu ungemütlich war die Wohnung, wenn niemand herum raschelte und mit atmete. Eine Katze fesselt einen aber an die Wohnung. Man strebt möglichst schnell wieder nach Hause, um sie nicht so lange allein zu lassen. Nun sind sie sowieso sehr häuslich und reisen nicht. Ein Hund dagegen muss mehrmals täglich ausgeführt werden und die Spaziergänge tun auch den Menschen gut. Nur wegen der zeitlichen Organisation verschoben sie es auf ihre Rentnerzeit. Doch wie es ist, wenn die Menschen planen: Das Schicksal richtet sich nicht danach, weder im Guten noch im Bösen - und die Rentnerzeit kam durch eine chronische Krankheit von Herrchen schneller als gedacht. Als er nun auf einmal den ganzen Tag zu Hause war, galt es dem Tagesablauf - und damit dem ganzen Leben - wieder Struktur und Sinn zu geben. Nun war es soweit: Ein Hund sollte her!

Das war leichter gesagt, als getan. Wie kommt man zu einem Hund? An einschlägiger Literatur ist kein Mangel, aber die Entscheidung muss man schließlich selbst treffen. Der Mietwohnung entsprechend sollte er nicht zu groß sein und vor allem pflegeleicht; also nicht langhaarig. Da die Tochter als Kind einen Beagle regelmäßig ausführte, kamen sie auf diesen lustigen, bunten Gesellen. Die Hürde der Einwilligung des Vermieters bewältigten sie unkompliziert, solange es kein Kampfhund sei. Im Genehmigungsschreiben wurde ihnen sogar „viel Erfolg bei der richtigen Auswahl Ihres künftigen Hausgenossen“ und viel Spaß gewünscht.

Nun brauchten sie nur noch einen Züchter in der Nähe, da sie ohne Auto waren. Über die Welpenvermittlung des Beagle-Klubs fanden sie auch eine Züchterin, meldeten sich an und fuhren mit dem Zug hin, um sich die Tiere anzusehen. Leider entsprach der Empfang nicht den Vorstellungen. Die Züchterin hatte die Verabredung vergessen, betonte ständig dass sie keine Zeit habe und das Vorführen der Tiere bestand darin, dass sie auf den Hof wies, wo sich zirka zehn Hunde tummelten und sagte: „Das sind die Hunde.“ Das konnten sich meine Menschen natürlich auch so denken; sie waren aber auf detaillierte Erklärungen eingestellt. Durch die Gesprächssituation zwischen Tür und Angel kam aber überhaupt keine Atmosphäre auf: Nur die Mitteilung über den Preis, wobei sie 1700 Mark doch etwas schockierten und das es im Frühjahr wieder Welpen gäbe. Am meisten schreckte Frauchen und Herrchen jedoch ein angekündigtes Kontrollrecht zum Aufenthalt des Tieres ab. Der Hund sollte ihnen gehören und die Vorstellung, dass immer wieder jemand unverhofft vor der Tür stünde und den Zustand des Hundes kontrollieren wolle, stieß sie ab. Ihr Gedanke war, dass man bei einem guten Verhältnis zum Züchter, diesen sowieso ab und zu über das Wohlergehen des Tieres informiert und ihm ein paar Fotos schickt, aber an ein gutes zukünftiges Verhältnis glaubten sie schon nicht mehr. Nach kurzer Zeit wurden sie verabschiedet und mussten nun noch zwei Stunden auf dem Bahnhof des kleinen Ortes verbringen, ehe sie zurückfahren konnten. Dabei war ihnen schon klar, dass das Vorhaben Beagle gescheitert war.

Aber wie nun weiter. Hundeliteratur hatten sie nun nach einem halben Jahr Vorbereitung auf die Anschaffung des neuen Hausgenossen genug gelesen und wollten in die Praxis gehen. Auch eine Hundeecke war schon in der Küche eingerichtet. Nun sagte Herrchen, dass er bei einer Körpergröße von 1,95 m keinen Dackel wolle, da das zu komisch aussähe. Aber irgendwie kamen meine Menschen über diese Gedankenverbindung auf den Rauhaardackel, kleiner als ein Beagle, aber für Frauchen von 50 kg Körpergewicht auch besser handhabbar und man kann ihn sich auch einmal unter den Arm klemmen. So richteten sie nun ihr Interesse auf einen Rauhaardackel.

So gab Herrchen im Januar 2000 folgende Anzeige auf:
Beagle oder Rauhaardackel, bis 1 J., aus Raum ***, von älterem Ehepaar zu kaufen ges. Tel. ***
Als erstes meldete sich eine Frau, die nicht richtig lesen konnte und einen Hund kaufen wollte, dann wollte sie ein Mann zu einem Cocker Spaniel überreden. Herrchen las inzwischen in der Zeitung den „Tiermarkt“ und da stand es:
Sehr schöne Rauhaardackelwelpen m. Pap. gei., entw. Tel. ***

Er stürzte gleich ans Telefon und vereinbarte mit der Züchterin einen Termin für kommenden Samstag. Nach zehn Minuten rief er noch einmal an, ob man den Welpen gleich mitnehmen könne, wenn man sich einig werde? Ja, sie sind schon fünfzehn Wochen alt und können also von der Mutter weg. Nach weiteren zehn Minuten klingelt das Telefon. Eine Frau bot Rauhaardackelwelpen an, die Stimme kam Herrchen bekannt vor. „Haben wir nicht schon vor zehn Minuten zusammen gesprochen und den Termin für Samstag vereinbart?“ Ja, es war die gleiche Züchterin. Sie hatte nun die Anzeige gelesen und sie hatten sich sozusagen über Kreuz angerufen. Die Züchterin wollte nur noch das Alter des „älteren Ehepaares“ wissen und war über die Auskunft 55/50 beruhigt. Sie hatte bei der Formulierung mit 75/70 gerechnet und hätte dann keinen Welpen verkauft.

Am Samstag fuhren sie dann beizeiten los; mit der Straßenbahn. Vorher kauften sie noch Welpenfutter und nahmen einen Tragekorb mit Decke und Halsband mit. Als sie ankamen, kehrte die Züchterin gerade vor ihrem Laden die Straße. Sie kamen schnell ins Gespräch und waren sich sofort sympathisch. Drinnen bekamen sie dann erst einmal einen Kaffee angeboten und Frauchen und Herrchen berichteten über ihre Vorstellungen und Gründe des Hundekaufs. Dann ging es zu den Hunden. Das ganze kleine Haus schien voller Dackel zu stecken. Zwei auf den Hof ausgesperrte protestierten lautstark und verlangten eingelassen zu werden, um zu erfahren, was es Interessantes gäbe.

Sie bekamen zuerst eine kleine braune Hündin gezeigt, die wegen einem Zahnfehler billiger war, aber der Funke sprang nicht über und so holte die Züchterin dann ihr Prachtstück hervor: mich, Dolly von der Parthenaue. Sie wussten sofort: Die ist es.

© by Eberhard Kamprad, 2001, überarb. Okt. 2008

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 03.03.2009

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