„Komm!“, dringt das Kommando an mein Ohr, doch ich bleibe meinem Dackelimage treu. Wenn ich nicht hören will, bin ich wie taub. Schließlich liege ich gerade dösend in meinem Körbchen. Erst die Wiederholung in schärferem Ton bringt mich dazu, die Augen zu öffnen. Aha, mein Herrchen will mit mir spazieren gehen. Richtige Lust habe ich nicht, es ist nass und kalt. Durch unsere kurzen Pfoten ist der Bauch so nah an der Erde und bekommt alles ab. Außerdem muss ich bestätigen, dass ich ein richtiges Dackelmädchen bin und damit sehr eigensinnig.
Ich wälze mich aus meinem Körbchen heraus und strecke mich ausgiebig. Jetzt wird Herrchen ungeduldig, wedelt mit der Leine. „Ja, ja, ich komm doch schon.“ Ich werfe ihm meinen berühmten vorwurfsvollen Dackelblick zu und schleppe mich zu ihm. Jeder muss doch sehen, wie ich leide. Aber er glaubt nicht, dass es mir schlecht geht, packt mich im Genick und schüttelt mich. So machte es meine Hundemama mit mir, wenn ich nicht hören wollte. Also muss ich wohl oder übel gehorchen und laufe ordentlich neben ihm aus dem Haus.
Kaum auf der Straße packt mich die Wut. Der Geruch meines Erzfeindes fährt mir in die Nase. Offenbar ist er hier auf meinem Weg entlanggegangen. So eine Unverschämtheit!
„Wau, wuff, huhuuuu“, sage ich lautstark meine Meinung.
„Aus, auus, auuus“, befiehlt mein Herrchen mit wachsender Lautstärke.
Na, er macht mindestens ebenso viel Krach wie ich.
Unser Lärm ruft die Hundehasser an die Fenster.
„Ruhe da unten!“
„Verdammter Köter!“
„Schlafenszeit“
Kann ich was dafür, dass ich so ein kräftiges Organ habe? Das haben die Menschen mir mit Absicht angezüchtet. Schließlich muss man mich hören, auch wenn ich tief im Fuchsbau stecke.
Endlich habe ich mich soweit beruhigt, dass wir weitergehen können. Da mein Herrchen nicht „Fuß“ befohlen hat, laufe ich im Schnuppergang; immer mit der Nase am Boden. Schließlich muss ich der Bezeichnung „Erdhund“ gerecht werden. Die Menschen meinen dann: Ich sähe aus der Ferne wie ein Staubsauger mit Beinen aus. Na, wenns ihnen Spaß macht.
Aha, endlich eine angenehme Nachricht. Mein Freund Moritz Westie ist vor Kurzem hier entlanggegangen. Ich erfahre, dass es ihm gut geht und hinterlasse auch eine Nachricht.
In der Ferne schiebt sich etwas in mein Blickfeld, dass wie ein Artgenosse aussieht. Also zur Vorsicht erst einmal stehen bleiben. Soll der Andere herankommen. Jetzt hat er mich offenbar auch entdeckt und bleibt ebenfalls stehen. Wir Hunde haben ja Zeit, unsere Menschen leider nicht. Sie zerren uns aufeinander zu. Dabei sind wir noch gar nicht zur einer Begegnung bereit. Nun erkenne ich, dass es Robert ist, ein gutmütiger schwarzer Rottweiler-Rüde. Große Artgenossen gefallen mir sowieso am besten. Sein Frauchen erzählt: „Robert denkt immer, er ist ein Schoßhund. Dann legt sich mit seinen 30 Kilo auf mich, wenn ich auf der Couch liege. Nur bekomme ich dann keine Luft mehr.“
Robert muss seinen Hals weit nach unten strecken, um bei mir schnuppern zu können, aber ich kann leider nur mal an seinem Bein riechen und das ist nicht sehr ergiebig. Auf die Idee, sein Hinterteil zu mir herunterzulassen, kommt Robert natürlich nicht, typisch Mann! Kein bisschen Feingefühl und Rücksichtnahme. Na, wenigstens kennt er mich und gibt sich mit einmal Schnuppern zufrieden. Unentschlossene Rüden dagegen kann ich gar nicht leiden. Jedes Mal spielt sich dasselbe ab. Der Rüde schnuppert, geht weiter, bleibt nach fünf Schritten stehen, denkt nach und kehrt wieder um, offenbar in der Meinung, sich geirrt zu haben. Schnuppert wieder ausgiebig. Die gleiche Prozedur. Dann fange ich zu knurren an und gucke wütend nach hinten, dass er sich endlich eine Meinung bilden soll. Wenn er unschlüssig bleibt, fahre ich wütend auf ihn los. Ein erfahrender Rüde muss doch den Geruch einer kastrierten Hündin kennen. Einmal habe ich einen großen Schäferhund-Rüden über die ganze Wiese gejagt. Mein Herrchen wird nicht müde, das zu erzählen: „Ein Bild für die Götter, ein riesiger Schäferhund flüchtet vor einem laut bellenden Dackel.“ Offenbar kommt es bei uns gar nicht so sehr auf die Größe an, um auf den anderen Eindruck zu machen, sondern auf das ausgestrahlte Selbstbewusstsein. Na, und das habe ich genug.
Wenn mir diese Schnupperei zu viel wird, setze ich mich einfach auf mein Hinterteil und schlage den Schwanz ein. Dann ist alles außer Reich- vielmehr Schnupperweite. Inzwischen ist auch Robert fertig geworden. Bei ihm, als alten Bekannten, habe ich etwas mehr Geduld.
So, jetzt bin ich in der richtigen Stimmung, um mein „Geschäft“ zu erledigen, wie die Menschen sagen. Da es erst einmal darum geht, die Blase zu entleeren, drücke ich mein Hinterteil breit. „Gute Dolly“, sagt mein Herrchen. Wenn ich anderen Hunden eine Nachricht hinterlassen will, habe ich nämlich eine andere Methode: Dann stehe ich wie ein Rüde auf drei Beinen und bin sehr sparsam, damit ich für alle Nachrichten etwas habe.
Mein Vater wartet geduldig. Es ist wichtig, dass wir Hunde zum „Geschäft“ unsere Ruhe haben. Schlimm dran war eine Schäferhündin, die ich kannte. Ihr Herrchen ging so selten mit
ihr raus, dass sie es gerade noch bis zur Haustür aushielt. Da sie aber weitergezerrt wurde, war immer eine breite Spur quer über den Fußweg.
„Das ist aber nicht gut für den Hund.“
„Halten Sie Ihre Klappe und kümmern Sie sich um ihren Kram. Ich weiß selbst, was für meinen Hund gut ist.“
Ich habe Glück, dass ich bei vernünftigen Menschen lebe.
An der Ecke steht plötzlich meine Namensvetterin vor mir. Dolly ist ein Pitbull und damit in den Augen dummer Menschen ein Kampfhund, obwohl es diese Rasse gar nicht gibt. Denn ein Hund ist immer das, was die Menschen aus dem Welpen machen. Dolly ist viel freundlicher und zugänglicher als ich. Im Sommer läuft sie auf der Wiese immer zu anderen Familien und will sich mit auf deren Decke legen. Diese schreien entsetzt: „Hilfe! Ein Kampfhund!“ Dolly zeigt dann, wie lieb sie ist, legt sich auf den Rücken und strampelt mit den Pfoten, so dass die Leute meistens ihre Meinung ändern. Ich begrüße sie mit einem freundliche Beller. Wie beschnuppern uns kurz und jeder erfährt, dass es dem Anderen gut geht.
Da kommt Dorothea, mittlerweile ein hübscher Teenager, der sich nicht mehr für Hunde interessiert. Sie nickt uns nur flüchtig zu. Vor vier Jahren, als ich neu im Wohngebiet war, war das ganz anders. Da war sie ganz verrückt nach mir. Insbesondere die Namensgleichheit bot Anknüpfungspunkte, da sie Dolly gerufen wurde. Jetzt hat sie wohl andere Interessen.
Nun ist eigentlich Zeit für die „freundliche Mutter“. Wir nennen sie so, weil sie immer gute Laune hat, wenn sie ihre Tochter in den Kindergarten bringt. Hat sie sich heute verspätet oder sind wir zu zeitig? Ein silbergraues Auto nähert sich und parkt schwungvoll ein. Dem Fahrstil nach könnte sie es sein. Ja, sie winkt uns schon vom Fahrersitz aus zu. Sie läuft um das Auto herum, öffnet die Tür und kriecht halb hinein, um das angeschnallte Kind zu befreien. Dabei präsentiert sie uns ihr ausnehmend hübsches Hinterteil. Jedenfalls scheint das mein Herrchen zu meinen. Er bleibt immer wie gebannt stehen und starrt auf die Rundungen. So habe ich Zeit zum ausgiebigen Schnüffeln. Er tut natürlich so, als ob er wegen mir stehenbliebe.
Hallo Geschlechtsgenossinnen! Habt ihr eigentlich mal daran gedacht, welchen Anblick ihr bietet, wenn ihr mit dem Vorderteil im Auto steckt und den Hintern in die Luft reckt? Nach meinen Beobachtungen muss das für vorübergehende Männer äußerst interessant sein.
Für mich ist das Wesen eines Menschen wichtiger. Trifft man gleich früh so einen, wie die freundliche Mutter, ist der ganze Tag voll Sonnenschein. Als sie mit dem Kind auf dem Arm wieder aus dem Auto auftaucht, lacht sie uns ihr freundliches „Hallo!“ zu.
Jetzt wird es aber Zeit, dass ich ein Weilchen meine Ruhe habe. Sonst komme ich zu nichts, schließlich darf ich erst wieder nach Hause, wenn ich mich „gelöst“ habe, wie es die Menschen vornehm nennen. Manchmal wird mein Herrchen böse, wenn ich erst jeden Grashalm abschnuppere, aber wir Hunde müssen eben in die richtige Stimmung kommen. So auf Kommando geht das nicht. Aha, eine Nachricht! Da muss ich erst einmal meine dazu setzen.
Ich bin gerade fertig geworden, da kommt Suse um die Ecke. Sie ist auch ein Rauhaardackel wie ich, sieht aber wie ein Bär aus und ist bedeutend größer. So, zehn Kilo wird sie wohl auf die Waage bringen. Man sieht, dass ihr das gute Futter anschlägt. Ihre Herrchen bekam sie geschenkt, als er 60 wurde. Da lag sie wie ein Igelkind in ihrem Körbchen. Inzwischen ist er über siebzig und Suse schon lange nicht mehr mit einem Igel zu verwechseln. Sie interessiert mich nicht, aber von ihrem Herrchen will ich gestreichelt werden. Das ist eine Eigenart von mir, dass mich häufig die Menschen mehr interessieren, als die dazu gehörigen Hunde.
Hinter uns nähern sich rasch klappernde Absätze. Aha, die Bürofrau kommt. Wie kennen sie nicht näher, wir treffen sie nur jeden Morgen, grüßen uns, wechseln ein paar Worte über das Wetter. Aber so korrekt, wie sie immer gekleidet ist, geht sie bestimmt in ein Büro. So hat sie ihren Namen bekommen. Sobald ich das Geräusch ihrer Schuhe höre, bleibe ich ruckartig stehen und gehe nicht weiter, bis sie vorbei ist.
Vier Schulkinder kommen auf uns zu.
„Kann man den Hund streicheln?“
Mein Herrchen erklärt ihnen, wie man einen Hund begrüßt.
„Die flache Hand zum Beschnuppern hinhalten, damit er sich auf Hundeart eine Meinung bilden kann, an der Körpersprache sieht man dann, ob er Kontakt will oder nicht. Euch würde es auch nicht gefallen, wenn euch jeder Vorübergehende einfach über den Kopf streifen würde, niemals von oben kommen, da das der Hund als den Angriff eines Raubvogels auffassen kann ...“
Die Kinder sind von diesem Vortrag nicht sehr begeistert und ziehen weiter. Ich bin froh darüber, denn ich bin sehr eigenwillig und mag nicht jeden; und vor allem: Ich zeige es auch. In der Wahrnehmung der Menschen mutiere ich dann vom lieben Hundilein zum widerlichen Köder. Aber so sind die Menschen nun einmal. Denken, sie sind die Größten und betrachten uns als Plüschtiere, die zufällig laufen können.
Nun fehlt nur noch Charly Wolfsspitz. Unsere Frauchen treffen sich häufig beim Nachmittagsspaziergang im Park und haben immer viel Uninteressantes zu bereden. Charly ist schon älter und stammt aus Polen. Da hat sein Frauchen Glück, dass es ihr nicht wie Bekannten erging. Die hatten auf einem polnischen Wochenmarkt einen Hund gekauft. Als er beim Wachsen immer mehr das Aussehen eines Hundebabys verlor, gingen sie mit ihm zum Tierarzt. Es war ein junger Bär.
Als ich noch jünger war, dachte Charly immer, er müsse mich verteidigen, aber inzwischen komme ich sehr gut allein zurecht. Da ist er schon. Ich bin aber wieder mehr an seinem Frauchen interessiert und versuche an ihr hochzuspringen, um meine Liebkosungen zu bekommen. Das hinterlässt natürlich Spuren an ihrer weißen Hose.
Potz Blitz und Wackeldackel! Von rechts kommt Gerhard, mein Erzfeind, mit seinem Frauchen. Die Beiden haben mir gerade noch gefehlt! Wo ich Airedales mit ihrem viereckigem Gesicht nicht ausstehen kann. Die Beiden bleiben auch noch neben uns stehen.
„Die Hundis wollen sich doch sicher mal Guten Tag sagen.“
Ich will aber mit dem Blödmann nichts zu tun haben und strebe weiter.
„Der Kleine ist wohl noch ein bisschen ängstlich?“
So ein Unfug! Wenn es um das Selbstbewusstsein geht, stecke ich den Kerl dreimal in die Tasche, aber ich will ihn nicht sehen. Mein Herrchen kennt mich und folgt mir, die beiden ebenfalls.
„Wir gehen jetzt linksrum“, sagt mein Vater.
„Wir auch.“
„Gut, dann gehen wir eben rechtsrum. Dolly muss jetzt ihre Ruhe haben und sich auf ihr „Geschäft“ konzentrieren.“
Na, endlich bleiben sie zurück.
Jetzt brauche ich etwas Ruhe, um mein „großes Geschäft“ zu erledigen. Ich muss aber erst einen Platz erschnüffeln, der mir zusagt. Am besten ist es, wenn sich in der Nähe schon Artgenossen verewigt haben. Das bringt mich in die richtige Stimmung. Na, endlich! Diese Stelle sagt mir zu. Ich mache meinen runden Rücken, der allen signalisiert: Jetzt ist es soweit und ich brauche Ruhe und Konzentration. Am wenigsten kann ich leiden, wenn mich da ein vorbeikommender Passant unbedingt ansprechen muss. Dann ist es mit der Sammlung vorbei. Ich horche in meinen Körper hinein: So, das war’s. Mein Herrchen greift schon nach dem Tütchen, denn natürlich habe ich mir einen Vorgarten herausgesucht. Das wilde Gelände, an dem wir eben vorbei kamen, sagte mir nicht zu.
Nun geht es schnurstracks nach Hause. Dort, weiß ich, wartet schon mein voller Fressnapf und dann muss ich ausgiebig schlafen und verdauen. Es war schließlich ein aufregender und anstrengender Spaziergang.
© by Eberhard Kamprad, Leipzig, Okt. 2004
Tag der Veröffentlichung: 24.11.2008
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