Heimat?
Hin und her gebeutelt, hat mich mein Leben.
Als ich geboren wurde, tobte der zweite Weltkrieg über mein Vaterland Deutschland.
Weil ein größenwahnsinniger Mann mit einer Oberlippenbürste, der Mann nicht einmal deutsch war, glaubte, er müsste die Weltmacht erkämpfen.
Und genau zu dieser Zeit kam ich in Niederschlesien, dem heutigen Polen zur Welt.
War dies meine Heimat?
Ganz und gar nicht. Denn ich kenne bis zum heutigen Tag meinen Geburtsort, eine kleine Stadt, die damals Lauban hieß, überhaupt nicht.
Meine Mutter ging mit mir nach Berlin, da in Berlin ihre Eltern lebten und sie auch hier geboren wurde.
Weiter lebten wir bis zu meinem vierten Lebensjahr in Hindenburg Oberschlesien, bei der Schwester meiner Mutter und ihrem sechs jährigen Sohn. Ihre Männer, unsere Väter waren auf dem Feld, wie man so sagte sie waren an der Front.
Dann kam unsere erste Flucht, wir flüchteten im letzten Augenblick wieder nach Berlin, zu meinen Großeltern.
Ich erinnere mich noch heute daran wie die Bomben auf die Stadt fielen, wie fast unsere ganze Straße ein einziges großes Feuer war. Wie wir ständig in den Luftschutzkeller rannten. Mein Großvater riet unseren Müttern raus aus Berlin zu gehen, denn der Russe war im Anmarsch.
So flohen wir nach Niedersachsen, das ist in Norddeutschland. Wir kamen in ein kleines Heidedorf.
Eine Bäuerin, deren Mann auch im Krieg war nahm uns auf. Meine Mutter und meine Tante mussten fürs Wohnen in zwei winzigen Kammern, in denen es auch noch rein regnete, und wo die Mäuse im Strohsack von unserem Bett lebten, mit ins Teufelsmoor zum Torf stechen helfen.
Da meine Mutter gehbehindert war, konnte sie dies bald nicht mehr tun, nun musste sie Kühe Melken, Essen kochen, und vieles mehr. Auch hier flogen immer wieder Kampfflieger über unser Dorf dann hieß es, ab in den Bunker, das war ein tiefes Loch im Boden abgedeckt mit Brettern und Erde drauf. (Lange wusste ich nicht, weshalb ich Immer diese Platzangst hatte, bis es mir dann wie Schuppen von den Augen fiel, Schuld war dieser Bunker).
Hier in Ressum kam ich in die Schule, und hatte meine Freunde hier gefunden.
1946 kam mein Vater aus der russischen Gefangenschaft zurück. Mein Onkel, der Mann meiner Tante kam niemals wieder. Dieser Mann, mein Vater, war mir so fremd, und es brauchte lange. Bis wir zu einander fanden.
Wir zogen in eine ehemalige Mühle. Die mein Vater etwas ausbaute. Doch mein Vater brauchte dringend Arbeit, die fand er außer als Knecht, hier nicht. So malte er Ölbilder, in Auftrag, meist waren es Halbakte. Als ich einmal in seine Werkstatt kam, hatte er gerade eine „Liegende“ in Arbeit, es war nach einem Foto. Mein Vater wollte nicht, dass ich damals acht Jahre, dies Bild ansah. Dennoch tat ich dies, und ich war damals begeistert, „so will ich einmal malen, wie du.“ Sagte ich zu meinem Vater. Irgendwie sehe ich auch heute noch in Gedanken dieses Bild, eine wunderschöne Frau, mit bloßem Busen, und eine Hand über der Scham, auf einer Ottomane liegen.
Auch fotografierte er immer wieder die Landschaft, meist war es die Heide. Er machte aus seinen Fotos Postkarten, die er in den Läden anbot, und die er auch meisten verkaufen konnte. Er schnitzte Kinderspielzeug. Dies alles hielt uns über Wasser. Als ich acht wurde bekam ich ein kleines Brüderchen. Wie sehr hatte ich mir ein Geschwisterchen gewünscht. Meine Freude war riesig. Mein Bruder bekam den Namen Jörg. Es war ein süßer blonder Lockenkopf. Er war noch kein Jahr alt, da bekam er Meningitis, eine tuberkulöse Hirnhaut Entzündung. Er kam ins Krankenhaus.
Mein Vater versprach sich in Süddeutschland mehr Chancen in seinem Beruf zu haben. So siedelten wir um, wie man damals dazu sagte. Mit so gut wie kein Gepäck, nur was uns lieb und teuer war kam mit. Unser Umzugswagen war die Eisenbahn.
Damals mit Dampflock keine Einzelabteile, und mit Holzbänken. Wir waren wirklich drei Tage, und drei Nächte mit diesem Bummelzug unterwegs. Das war für uns die einzige Möglichkeit, denn etwas anderes konnten wir uns nicht leisten.
In Ettenheim kamen wir in eine Art Übergangs Lager. Dies waren zwei riesige Hallen, in der einen Halle waren die Männer untergebracht, und in der anderen, die Frauen mit ihren Kindern. Etwas mehr als eine Woche hielten wir uns dort auf. Dann kamen wir nach Sulz, wir sollten im evangelischen Pfarrhaus unterkommen. Doch der „Herr Pfarrer“, weigerte sich uns auf zu nehmen. Er wollte keine Kinder, und keinen Hund, denn wir hatten unseren kleinen Foxel auch mit genommen.
Nun wohnten wir in einem Gasthaus. Wir hatten ein winziges Zimmer mit Aussicht bekommen.
Die Aussicht ging direkt auf das Schlachthaus, denn die Wirtsleute schlachteten selbst. Niemals vergesse ich das wahnsinnige Wehgeschrei der Schweine und Kühe.
Ewige Zeit danach habe ich kein Fleisch gegessen, ab und zu mal ein Stückchen Wurst. (Erst in meiner ehe fing ich an, etwas Fleisch zu essen.)
Der „Herr Pfarrer“ besuchte uns. Er lud uns zu seinen Gottesdiensten ein. Meine Mutter, einen gläubige Protestantin lehnte dies ab: „Nee, nee Herr Pfarrer zu einem Mann, der von seiner Kanzel Liebe predigt, selbst aber keine Familie mit Kind und Hund, bei sich im Haus auf nehmen will, zu so einem gehe ich niemals in die Kirche.“ Entgeistert sah der Pfarrer meine Mutter an, „ Sind sie etwa die Familie?“ wollte er wissen. Einige Tage später zogen wir in die obere Etage vom Pfarrhaus ein.
Fast zwei Jahre lebten wir in Sulz im Pfarrhaus. Es hatte sich zwischen meinen Eltern und der Pfarrfamilie eine nette Freundschaft entwickelt.
Mein Vater fand in Freiburg i. Breisgau, eine Stellung als Grafiker und Graveur. (Sein Beruf). Und so zogen wir nach Freiburg, gerade, als ich mich hier endlich im Dorf heimisch fühlte. Ich wurde eben zehn Jahre.
Heimat?
In Freiburg zogen wir in ein Reihenhäuschen, in einer kleinen Siedlung. Hier ging ich auch in die Schule. Ich hatte viele nette und auch liebe Freunde und Freundinnen gefunden. Wir holten nach einem Jahr meinen kleinen Bruder aus dem Bremer Krankenhaus zu uns. Er war schon etwas älter als zwei Jahre, aber er war wie ein Säugling. Wir weinten sehr, dass er nicht gesund wurde. (Er lebte bis zu seinem siebzehnten Lebensjahr. ER wurde nie mehr gesund.)
Hier bekam ich auch endlich ein Schwesterchen, ich war überglücklich, und ich liebte und liebe sie heiß und innig. Wir sind altersmäßig 13 Jahre auseinander.
Hier in Freiburg fühlte ich mich wohl, hier war ich zu hause. Doch leider nicht lange. Ich machte meinen Schulabschluss, und ging auf die Kaufmännische Handelsschule, ich hatte Berufspläne, die sich zerschlugen, weil mein Vater wieder einmal weg wollte, eine besser bezahlte Stellung fand er in Basel, In der Schweiz.
Heimat?
Meinen ganzen Freundeskreis musste ich wieder hinter mir lassen.
Wir zogen nach Kandern in Baden. Da ich nicht schüchtern war fand ich auch schnell Freundinnen. Ich war im Turnverein, ich sang im gemischten Chor. Ich war sechszehn als mir mein Vater in Basel eine Lehrstelle als Verkaufstochter besorgte, wie man dort zu einer Verkäuferin sagte. Grundbedingung war, ich musste Schweizer Dütsch, lernen. Es war schrecklich für mich, gerne hätte ich das Selbe gelernt, was mein Vater von Beruf ist, leider war es damals nicht möglich. Mädchen konnten diesen Beruf nicht lernen.
Mit fast siebzehn kam noch ein Bruder auf die Welt, leider war der altersunterschied sehr groß.
Dann, ich war grad siebzehn, trat ein junger Mann in mein Leben, wir verliebten uns, wir verlobten uns, ich war neunzehn, als wir heirateten. Damals war es schwer, eine Wohnung zu finden, In Weil am Rhein verbrachten wir ein halbes Jahr in einem möblierten Zimmer. Schließlich zogen wir zurück nach Kandern. Wir lebten zwei Jahre in einem Gartenhaus. Mit zwei kleinen Kindern, ein Jahr und zwei Jahre.
Mein Mann fand in Denkendorf BW eine neue Arbeit, mit, was das wichtigste für uns war, einer Wohnung. Hier kam mein jüngster auf die Welt.
Heimat?
Nein, wir zogen zwei Jahre später wieder um, mein Mann fand eine Stelle bei der Bundesbahn. Natürlich mit Wohnung.
26 Jahre lebten wir nun in Stuttgart. Endlich, hier fühlte ich mich zu hause.
Heimat?
Mein Mann wollte schon immer aufs Land. Ich nicht, ich war ein Städterin geworden.
Doch was soll`s, wir zogen nach Schlat, ein Schönes Dorf am Fuße der Alb. Ich musste meine Arbeit aufgeben, doch die Landschaft belohnte mich. Ich machte täglich Stundenlange Ausflüge mit meinem kleinen Dackel. Ich genoss die Landluft. Nie hatte ich geglaubt, dass Ruhe sooo laut sein kann. Und soooo wunderbar.
Ich schien angekommen, obwohl ein Dorf nicht mein Ding war. 27 Jahre lebten wir in diesem wirklich schönen Dorf.
Heimat?
Nun sind wir vor einem dreiviertel Jahr wieder einmal umgezogen. In den Ort, in dem unsere Tochter lebt. Weil wir nun nicht mehr wirklich jung, besser in ihrer Nähe aufgehoben sind.
Es war nicht wirklich schön, der Umzug. Es war der Wahnsinn. Doch langsam fasse ich hier Fuß.
Heimat?
Das Wort Heimat ist ein dehnbarer Begriff für mich. Man kann es auslegen, man kann sagen, so wie Personen, die immer in ihrem Geburtsort leben, dass das ihre Heimat ist.
Ich stelle fest, Heimat ist für mich kein Ort. Heimat ist mein Leben, unser Leben. Heimat ist mit den Menschen die ich liebe zusammen zu sein. Auch mein neuer kleiner Hund ist ein Stück Heimat. Heimat ist, ------ alles was ich liebe.
© Eiskristall 13. 04. 2014
Tag der Veröffentlichung: 14.04.2014
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Meiner Familie, jeder der dazu gehört