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Das kleine Blatt

Es war ein Novembermorgen, ich war gerade auf dem Heimweg vom Gassi gehen mit Lulu, das sah ich auf der Wiese diesen alten knorrigen Apfelbaum, nur ein einziges fast vertrocknetes Blatt war noch an einem drürren Zweig, es war windstill, und doch schien es als winkte mir dieses kleine Blatt zu." Warum lässt du nicht los?" Fragte ich dieses kleine Blatt. Doch es wippte nur hin und her, am andereren Tag das selbe Bild, schon von weitem winkte mir dieses kleine dürre blatt zu, meine Geschichte war geboren.

 

Das kleine Blatt

 

 

 

Verzweifelt klammerte es sich fest am dünnen Zweig des dicken Astes vom alten knorrigen Apfelbaum, das kleine Blatt. „Nein," sagte es immer wieder, „warum sollte ich dich verlassen" Der alte Apfelbaum murmelte, “mein Kleines, du kannst nicht immer und ewig bei mir bleiben, so ist das nun mal." Er bewegte sachte seine Zweige, sie waren kahl, denn es war bereits Dezember.
Ein langes, kurzes Jahr lag hinter ihnen.
Die ersten Fröste verwandelten das Land in eine bizarre Eiswelt.
Raureif liegt auf den Wiesen, ein Hauch von Schnee hängt in der Luft.
Das kleine Blatt friert und zittert, der Herbst hat ihm die schöne warme grüne Farbe genommen, aber es wird durchhalten bis wieder diese schöne Zeit kommt.

Ganz genau erinnert sich das kleine Blatt an den Tag, als es aus einer kleinen braunen Knospe rausgekrochen war. Die Sonne blendete es so stark, dass es meinte blind zu sein, doch dann sah es diese wunderschöne Welt.
Es roch so wunderbar, und es waren schon viele Blätter am alten Apfelbaum. Sie summten ein schönes Lied, - ein Frühlingslied.
Begeistert stimmte das kleine Blatt mit ein, in das schöne Frühlingslied.

Es begann eine herrliche Zeit.
Der Baum hatte Blüten, die waren weiß, mit einem zarten rosa Ton angehaucht. Natürlich waren sie stolz auf ihre Schönheit, und manche von ihnen waren auch eingebildet, ja etliche waren sogar überheblich den Blättern gegenüber.
Sie dufteten so wundervoll, dass viele kleine Bienchen magisch davon angezogen wurden. Die Bienen sammelten fleißig Nektar, und so sorgten sie dafür, dass die Blüten bestäubt wurden.
Es war ein Singen und Summen im Baum, dass dem kleinen Blatt das Herz höher schlug. Nie wird es das vergessen.
Es kamen Abende, die warme Sonne zog sich zurück, und macht am Himmel Platz für den silbernen Mond.
Es kamen Morgen, dann schickte die Sonne dem kleinen Blatt einen Strahl, der es mit seiner Wärme liebkoste.
So vergingen die Tage. Die schönen weißrosa Blüten wurden braun und unansehnlich, sie vertrockneten, oder sie verloren ihre weiß - rosa Blättchen, die wie Schneeflocken über das Land wirbelten.
Fast hatte das kleine Blatt so ein Gefühl der Schadenfreude, den Blüten gegenüber, aber nur fast. Mitleid empfand es ihnen nun gegenüber, arme kleine Blüten, dachte es.
Doch dort wo einst die Blüten waren erwachte neues Leben. Es bildeten sich kleine grüne Kügelchen.

Die Wochen vergingen. Natürlich schien die Sonne nicht immer so strahlend, es fiel Regen vom Himmel, aber diesen Regen saugte der alte Apfelbaum gierig auf, denn er brauchte dieses köstliche Nass, um sich und seine Blätter sowie die kleinen Äpfelchen, die aus den Kügelchen gewachsen waren, gesund und am Leben zu erhalten.
Vögel kamen angeflogen, kleine bunte, sie setzten sich auf die Äste und Zweige. Sie sangen ihre schönsten Lieder, nur für den alten Apfelbaum. Ab und zu kamen schwarze Krähen, einfach so, sie ruhten sich aus, um danach wieder voller Frische und Kraft davonzufliegen.
Des öfteren hämmerte ein Buntspecht, immer auf der Suche nach Leckerbissen an einem Ast. Manchmal wurde das dem alten Apfelbaum schon zuviel, denn der spitze Schnabel des Vogels bohrte sich schmerzvoll in seine alte Rinde. Dann stöhnte er verärgert, “so hör doch endlich auf, - flieg halt weiter, lass mir doch meine Ruhe.“
Dann kamen kältere Tage, es fegten die ersten Stürme übers Land.

 

 


Die kleinen grünen Äpfel waren dick und rund geworden, sie hatten eine wunderschöne rote Farbe, und sie dufteten so verlockend, das schon mal ein Vogel nach ihnen pickte.
Bald waren sie so schwer, dass sie sich fast nicht mehr am Ast halten konnten. Einige ließen dann einfach los, und fielen ins Gras, aber das war eigentlich nicht so gut für sie, denn schon bald fingen sie an zu faulen.
Die Menschen kamen mit Körben und pflückten die schönen roten Äpfel vom alten Apfelbaum.
Sie freuten sich, dass er so viele hatte wie schon lange nicht mehr.
Nun waren "sie die Blätter" alleine am Baum, Sie hatten sich viel zu erzählen, und keines von ihnen dachte daran, dass auch ihre Tage gezählt waren, und ihre Zeit bald vorbei war.
Dann kamen hässliche Tage, die waren grau und nass. Diese Nässe war grausig, sie war nicht so erquickend wie der Regen im Frühling, oder der Sommerregen.
Die Nässe machte, dass die Blätter erzitterten, und braune häßliche Flecken bekamen.
Der alte Apfelbaum brummte unbehaglich: „Bald werdet auch ihr mich verlassen.“ "Wir nicht", wisperten die Blätter, "wir nicht, wir werden immer bei dir bleiben.“
Aber die Winde fegten über Land, Wiesen und Felder. Wenn dann ein Blatt sich nicht ganz festhielt am Zweig, dann riss der Wind es einfach ab.
Doch es schien überhaupt nicht schlimm zu sein, im Gegenteil, denn dieses Blatt jubelte, „ich kann fliegen, wie ein Vogel, ich fliege weit weit weg.“
Als es dann aber auf der Wiese landete, war es bald schon ganz still.
Viele Blätter pflückte der Wind.
Die kalte Zeit sog das saftige Grün aus den Blättern, sie wurden dünn, sie wurden rötlich, manche von ihnen wurden unansehnlich braun.
Sie fühlten sich gar nicht mehr so gut. Sie verloren ihre Kraft, ihre Frische, ihren Mut.
Der kleinste Lufthauch machte, dass sie ihren Zweig los ließen, doch da war kein Jauchzen, kein Jubeln mehr von; „ich fliege“ zu hören.
Sie sagten auch nicht; „ Auf wiedersehen.“ Kraftlos und leise fielen sie auf den Boden ins Gras, und starben.
Auch einige Äpfel, einst rotbackig und saftig lagen dort im Gras mit einem kleinen Rest von Leben. Sie fingen langsam an zu faulen, die Menschen haben sie liegen lassen.

Sie waren nicht mehr makellos, sie hatten Flecke bekommen, als sie vom Baum gefallen waren.
Ab und zu kamen Krähen und pickten lustlos an den faulenden Äpfeln rum.
Der Novembersturm rüttelte durch die Äste und Zweige so stark, dass der alte Apfelbaum ächzte und stöhnte.
Mit seiner ganzen Kraft, die er in seinem alten Leben noch hatte, krallten sich seine Wurzeln im Boden fest.
Wie viele Stürme hatte er schon erlebt und immer wieder heil überstanden. Er würde auch diese Stürme überstehen.
Doch der Sturm gab nicht auf, er wollte alle Blätter haben, es gab kein Halten für sie, müde, fast schon tot fielen sie ins vom Raureif weiß erstarrte Gras.
Mit ganzer Kraft klammerte sich das kleine Blatt an seinem Zweig fest. "Nie werde ich loslassen," dachte es Doch es war einsam, es kam sich verlasen vor, vorbei waren die schönen und lustigen Gespräche, die es mit den anderen Blättern immer führte.
Es fror entsetzlich, denn es war jetzt auch dünn geworden, es merkte, wie es zitterte und bebte. „Warum nur?" Fragte es den alten Baum. „Alle sind fort" Krampfhaft hielt es sich fest.
„Nun mein Kleines, das ist der Lebenslauf. Alles hat seine Zeit;“ gab der alte Apfelbaum zur Antwort: „Es gibt eine Zeit zum Leben, die ist meistens schön, auch wenn wir nicht immer das Schöne sehen, oder empfinden."
Er räusperte sich, so dass der Zweig an dem das kleine Blatt hing erbebte. „Dann gibt es eine Zeit wo man Abschied nehmen muss, diese Zeit ist sehr schlimm, denn sie ist schmerzhaft, sie tut sehr weh." Wieder räusperte er sich. „Aber es ist so, das ist er Lauf der Zeit, niemand kann das ändern. Warum das so ist? Niemand kann das sagen."
Das kleine Blatt schluckte, doch dieses Schlucken tat weh, denn es war ihm so trocken im Hals. „Bald bin ich wieder ganz alleine, denn auch du wirst gehen.“ Murmelte der alte Baum.
Das kleine Blatt bebte: „Niemals, werde ich gehen, denn ich bleibe immer bei dir."
Da kam ein Lüftchen, das Blatt schaukelte hin und her, eigentlich machte dieses Schaukeln sogar richtig Spaß. „Du willst also nicht loslassen?“ Säuselte das Lüftchen. „Niemals," gab das kleine Blatt zur Antwort.
Dann kam der Wind daher, er fegte durch die Äste und Zweige des alten knorrigen Apfelbaumes, diesem lief es eiskalt die Rinde entlang, Angst durchrieselte seine Zweige, aber er ließ sich nichts anmerken.

Doch der Wind vermochte nicht, dass das kleine Blatt vom Baum fiel. „Warte nur!" Rief da der Sturm, der gerade vorbei fegte, „ich komme bald, dann ist es auch um dich geschehen," blies er dem kleinen Blatt zu. Mit Brausen, und mit Regen vermischt tobte er dann auch schon bald übers Land.
Wieder bog sich der alte Baum vor Schmerzen als der Sturm ihm Äste und Zweige entriss, doch das kleine Blatt klammerte sich mit seiner letzten Kraft, die es noch hatte fest an seinem Zweig. „Niemals falle ich, niemals."
Es waren die ersten Tage im Dezember, es kam dem kleinen Blatt vor, als hinge es nur noch an einem seidenen Faden.
Es war ganz verwelkt, nichts war mehr von der grünen Frische übrig geblieben. Seine Rippen waren dünn und gebrechlich, seine Haut hatte Risse und Löcher.
Wie lange konnte es sich noch halten?
Es schaukelte beim kleinsten Lufthauch, so stark, das ihm ganz übel dabei wurde. "Loslassen," dachte es, "ich muss loslassen, denn ich kann fast nicht mehr, aber ich will nicht," sträubte sich sein Innerstes.
Und so blieb es hängen am Ast, auf dem es das Licht der Sonne erblickt hatte. Der Himmel verfärbte sich, - grau wurde er, und rosa, dichte Wolken zogen sich zusammen.
Dann schien es als hätte der Himmel alle Fenster geöffnet, weiße wunderschöne glänzende Schneeflöckchen tänzelten durch die Luft, wenige zuerst, dann folgten immer mehr, sie wirbelten durch die Luft es war eine Wonne ihnen zu zusehen.
Sie setzten sich auf die Äste und Zweige des alten Apfelbaumes. Es kamen immer mehr, sie drängten sich zusammen, und bald schon bogen sich die Zweige unter der wunderschönen aber schweren und kalten Last.
Das kleine Blatt staunte, wie die Schneeflocken sanft und leise auf die Erde tanzten, und wie sie dabei die Wiesen und Felder bedeckten.
Es sah alles so friedlich aus, - so warm, obwohl es doch bitterkalt war.
Da berührte ein Flöckchen sanft das kleine Blatt, es erinnerte an die wundeschönen weißrosa Blüten, die im Frühling so stolz neben ihm am Baum waren. Waren es die Blüten?
Aber nein, diese hier waren kalt. „Komm," sagte das Flöckchen, „komm mit, wir fliegen auf die weiße Wiese, dort ist es wunderschön, ich decke dich zu, dann frierst du nicht mehr, - komm!"
„Mach es," murmelte der alte knorrige Apfelbaum. „Mach es, lass los, ruhe dich endlich aus."
Ganz langsam löste sich das kleine Blatt von seinem Zweig, wie wird es wohl sein, da unten?
Plötzlich war es gar nicht mehr schwer los zu lassen. "Ich fliege," dachte es, aber da war keine Freude in ihm, da war auch keine Trauer.
Da war nur noch der Wunsch endlich zu schlafen.
Sanft segelte es mit der Schneeflocke zu Boden. Die Wiese war weiß, war sie auch warm?
Eine große Müdigkeit überkam das kleine Blatt, es fing an von der schönen Zeit seines Lebens zu träumen.
Zärtlich bedeckte das Schneeflöckchen das kleine Blatt.
„Schlafe gut mein Kleines!" rief ihm der alte Apfelbaum zu. Doch da war das kleine Blatt schon eingeschlafen.


© Eiskristall

Impressum

Texte: Das Cover, die Geschichte, und die Bilder sind Eigentum von Eiskristall
Bildmaterialien: (c) Christa Philipp
Tag der Veröffentlichung: 03.01.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für meine "kleine Schwester"

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