Cover

 


Vergesse nie dein
Glück



Nein, es ist kein schönes Bild, das ihr da entgegen schaut. Das grelle Neonlicht in der engen Umkleidekabine mit den zwei großen Spiegeln zeigte es ihr mit grenzenloser Grausamkeit.

Nur noch in Slip und BH gekleidet, war sie gerade im Begriff in das schöne farbenfrohe Sommerkleid zu schlüpfen. Sie sah im Spiegel ihre Schenkel – von Zellulitis geprägt, und schon etwas mehr als nur leicht verdellt. Sogar ihr Bäuchlein wie sie es immer liebevoll nannte erschien ihr als Bauch. Ihre Stirn hatte eine tiefe Falte, Schatten lagen um die Augen, Ihr ganzes Gesicht wirkte alt und grau. „Vielleicht hätte ich mich doch mal wieder etwas schminken sollen,“ sagte sie zu dem Spiegelbild, doch dieser hatte ihr nur sein unbarmherziges Bild zu zeigen, und er wusste keine Antwort.

 

Sie zwängte sich in das Kleid, natürlich war es zu eng, sie konnte sich immer noch nicht damit anfreunden, dass auch ihre Kleider Größe sich verändert hatte. Vielleicht sollte sie es sich eine Nummer größer holen? >>Nein, das ist es nicht,<< sie sah bestimmt in einer anderen Kleidergröße auch nicht schöner und jünger aus. überlegte sie, während sie das Kleid zurück auf den Kleiderbügel hängte. Dabei sah es so schön aus auf dem Bügel.

 

Der Winter war hart und lang. Sie dachte immer sie braucht keine kalten Winter, keinen Schnee und kein Eis. Obwohl sie mitten im Winter zur Welt gekommen war, mochte sie ihn nie so recht. Sie fühlte sich als Sonnenkind. Sie liebte die Wärme und blühte erst richtig auf, wenn die Sonne schien.

 

Nun war der Winter dieses Jahr besonders heftig. Er zeigte sich wirklich mit allem was er hatte, von eisiger Kälte bis Schnee in Unmengen war alles vorhanden. Dazu kam für sie, dass sie gerade wieder mal ein Jahr älter geworden war. Das war für sie wie ein kleiner Weltuntergang.

 

Früher war eine Frau in ihrem alter, grau alt, und zu nichts mehr nutze, und genauso fühlte sie sich. >>Was soll ich denn noch hier?<< Waren die Gedanken die ihr dauernd durch den Kopf gingen. Die Kinder führten schon eine kleine Ewigkeit ihr eigenes Leben, so ab und an gab es mal ein Telefongespräch. So ein zweimal, im Monat, manchmal schon noch etwas öfter kamen sie vorbei, aber auch da war da nie viel Zeit. Enkel gab es auch nicht, keine Zeit für Kinder.

 

Als der bewusste Tag mit dieser magischen Zahl da war, bekam sie fast einen Weinkrampf. Ihr Mann, mit dem sie seit ewigen Zeiten verheiratet ist, sah sie ratlos an. >> Was sie nur wieder hat,<< waren seine Gedanken, die er ihr dann auch sofort mitteilte. Irgendwie verstand er sie mal wieder überhaupt nicht. „Es geht dir doch gut, und wir haben uns, was hast du nur wieder, was willst du denn?“ So seine Worte.

Sie war alt, - sie fühlte sich alt. Sie wurde damit einfach nicht fertig. Es kann doch nicht sein, dass sie es nun wirklich ist. Vorbei, - alles vorbei, - die Jugend, - die Schönheit, - alles?

 

Sie war launisch geworden, das war sie in letzter Zeit häufig. Ihr Mann verstand nicht was in ihr vorging, daß konnte er auch nicht, wie denn auch? Aber wusste sie es denn selbst? Sie hatten eine schöne Wohnung, ein hübsches Zuhause, aber es nervte sie oft, dass ihr Mann eine andere Auffassung von Ordnung hatte, er meinte sie entwickle langsam einen Putzfimmel. Dabei wollte sie doch alles nur sauber und ordentlich haben. In Wirklichkeit aber, würde sie am liebsten auf und davon. Wglaufen, - einfach weg. Aber vor was? vor sich selbst? Was wirklich mit ihr los war konnte sie nicht sagen, sie wusste es nicht. Wie kann es sein, dass ich mich genau so entwickle wie meine Mutter. Damals konnte sie ihre Mom nie verstehen. Und nun ist sie genau so. Ständig kreisten ihre Gedanken nur darum, dass sie alt ist.

 

Sie hatte sich sofort in dieses Kleid verguckt, und nun gefiel sie sich gar nicht darin. Ihre Stimmung war am Nullpunkt angekommen. Sie hängte das schöne Kleid zurück an den Ständer und verließ verdrossen das Geschäft.

 

Unschlüssig stand sie draußen vor dem Laden, was soll's, ein neues Kleid bringt es auch nicht.

 

Sie dachte an die Tränen, die sie vergangene Nacht geweint hatte, weil sie sich unverstanden, einsam und verlassen fühlte. Und das in einer mehr als vierzig jährigen Ehe. - Höhen und Tiefen hatte es immer wieder in ihrer Ehe gegeben, denn sie waren beide so verschieden wie es zwei Menschen nur sein können. Oft hatte sie diese Gedanken, >>wir passen aber auch gar nicht zusammen.<< Doch wenn er sie dann wieder in die Arme nahm, wenn sie dann seine Wärme spürte – dann wusste sie >>Wir<< - es gibt nur ein >>Wir.<< Niemals wollte sie ohne ihn leben, er ist ihr Leben.

Sie stand mit den vielen fremden Menschen an der Straße und wartete darauf, dass die Ampel grün zeigte. Da raste mit lauter Sirene und Blaulicht ein Krankenwagen vorbei. Ihr Herz zog sich krampfhaft zusammen. – Ein ganzes Jahr ist es nun her, - da hatte ihr Mann diese schwere Operation, sein Leben hing an einem seidenem Faden. Mit sehr viel Glück und Gottes Hilfe hat er dann trotz großer Schwierigkeiten alles gut überstanden. Wie glücklich war sie, als es ihm wieder besser ging, als er dann endlich wieder nach Hause durfte.

 

Eigentlich fuhr sie etwas zu schnell, mit dem Wagen, aber sie wollte nur noch heim. Sie wollte zu ihrem Mann, sie wollte ihm sagen, wie froh sie ist, das es ihn für sie gibt. – Wie sehr sie ihn liebt. Als sie die Wohnungstür auf schloss kam der kleine Hund ihr nicht wie sonst entgegen, keine Stimme fragte: "Bist du es?" Obwohl sie immer dachte, >>so ein Blödsinn, wer soll es denn sonst sein.<<

 

Die Wohnung war leer. - Sie ging zum Radio und stellte den Apparat an. Eine traurig schöne Liebesschnulze klang daraus zu ihr. Wo sind die nur? Warum sind sie nun nicht hier?

 

Sie liebte es, wenn ihr Mann zur Begrüßung flüchtig ihre Lippen berührte, und sie anlächelte.
Sie liebte es wie der kleine Hund an ihr hoch sprang, wie er sie so freundlich und lieb begrüßte, wenn sie heim kam.

 

Während sie das Fenster öffnete jubelte eine Amsel ihre Hymne an den Frühling, Sonnenstrahlen versuchten durch das noch vom Winter verschmutzte Fenster zu kriechen.

 

Es geht doch, der Winter ist vorbei. Während sie der Amsel lauschte, klappte die Tür. „Bist du da?“ hörte sie seine Stimme. - Schmetterlinge schwirrten in ihrem Bauch, - lange hat sie dieses Gefühl nicht mehr gespürt.

 

Es war wie ein Erwachen für sie, - auf einmal dachte sie nicht mehr daran wie alt sie war, sie hatte vergessen, dass sie sich noch vor kurzem so schlecht gefühlt hatte.

 

Sie lief ihm entgegen, während der kleine Hund an ihr hoch sprang und sie freudig begrüßte, berührten die Lippen ihres Mannes flüchtig ihren Mund.

©Eiskristall


Impressum

Texte: und Idee © by Christa Philipp
Bildmaterialien: Cover; Christa Philipp
Tag der Veröffentlichung: 04.01.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
dem anderen Teil meines Herzens

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