KIFFEN MACHT DOCH NICHT BLÖD
melamar
Keiner redet von Arbeitszeitverkürzung. Aber: "Unsere Jugend verblödet im Marihuana-Rausch", das ist eine Schlagzeile wert. Ich werfe die Zeitung ungelesen in den Müllschlucker. Blöd, was soll das überhaupt heißen? Hackeln bis zum Umfallen, ist das denn gescheit?
Wie mechanisch gesteuert reißen meine Finger einen etwa fünf Millimeter breiten Streifen Karton aus der Verschlusslasche der Zigarettenpackung und rollen ihn spiralförmig ein so dass er einen Filter ergibt. Dann lege ich diesen auf den Tisch wo schon ein extra langes und dünnes Zigarettenpapier bereitliegt. Nun zum Kern der Sache. Dieser befindet sich in einer kleinen Schale aus Steingut, ich hebe das Deckelchen auf, der Duft von Marihuana Marke Supersuperskunk dampft mir fröhlich entgegen, was sofort die Speichelproduktion anregt. (Lechz!) Jetzt entnehme ich der Schale eine angemessene Portion, gebe diese in den umgedrehten Deckel der Schale, den ich dieser, nun konkav statt konvex, wieder aufsetze und machen mich daran, das Ganja zwischen Daumen-Innenseite und Zeigefinger-Nagel zu zerreiben. Dann mische ich dazu noch eine spliffgerechte Menge Tabak aus einer aufgebrochenen Zigarette, lege die Mischung aufs Papier, den Filter, da ich Rechtshänderin bin, auf die rechte Seite und drehe die Tüte schließlich zusammen. Mit meiner durch die Vorfreude bereits erhöhten Speichelfluss aufweisenden und daher schön benetzten Zunge befeuchte ich den Klebestreifen, eine halbe Drehung aus dem Handgelenk vervollständigt das Werk.
In der Zwischenzeit höre ich die Espresso-Kanne am Herd dampfen. Der Frühstückskaffee ist also auch schon fertig, welch wunderbares Timing! Rasch gehe ich in die Küche, schenke mir Kaffee in das größte Häferl meiner inhomogenen
Sammlung, Milch, und ein Löffelchen
Zucker dazu und schon sitze ich wieder im Wohnzimmer am Tisch. Erst ein Schluck Kaffee, dann zünde ich den Spliff an, sauge mir den Rauch tief in die Lunge und beginne den Tag.
Der Tag. Was wird er mir bringen? Was fordert er von mir? Ach ja, ich muss zur Bank, sehen ob meine Millionenerbschaft schon überwiesen ist, anschließend zu meinem Hausverwalter um ihm entweder die Mieten der letzten beiden Monate in die Hand zu drücken, oder ihm zu erklären, warum ich eben dies noch nicht tun kann und wann ich imstande sein würde eben dies zu tun. Gesetzt den Fall, meine Million wäre schon am Konto, dann würde ich gleich nach dem Hausverwalter-Besuch in den Supermarkt gehen und Brot; Milch, Kaffee, Zucker, Spaghetti, Tomaten undsoweiter einkaufen. Sollte die Auszahlung meiner Erbschaft sich noch verzögern, so müsste ich vor dem Einkaufen noch einmal nach Hause und diverse am Boden rumkullernde Jeans nach vereinzelten Münzen durchsuchen, sowie ebenfalls am Boden herumkullernde Pfandflaschen einsammeln. Ob sich dann alles ausgehen würde, was ich kaufen will? Vielleicht würden es dann bloß Spaghetti und Kaffee sein. Wer braucht schon ernsthaft Milch und Zucker zum Überleben? Ja, arbeiten sollte ich auch noch, zu Hause nämlich, denn die Wohnung ist etwas versifft, zumindest Bad und Küche sollten mal wieder geputzt werden, bevor dort die Schwammerl wachsen. Lesen sollte ich außerdem auch wieder einmal. Den Stapel Briefe beispielsweise, die von so seltsamen Absendern wie: Mobilfunkbetreiber Sowieso, Stromwerk, Gaswerk... stammen. Dann erst diese komischen gelben Zettel, die Post ist auch schon zu faul Briefe zuzustellen. Ob die Briefträger auch zu viel kiffen? Vielleicht wird das die nächste Schlagzeile: "Briefträger im Marihuana-
Rausch" oder noch besser: "Hasch-süchtige Postler legen Arbeit nieder".
Jedenfalls könnte ich ja gleich die gelben Zettel mitnehmen und am Weg zur Bank beim Postamt vorbeischauen, da darf ich den Lichtbildausweis nicht vergessen. Apropos, wo ist der überhaupt? Na, werd ihn schon finden. Also, Tagesplan: Lichtbildausweis suchen, Postamt, Bank, Hausverwaltung; von dort je nach Situation direkt zum einkaufen oder zuerst nach Hause um Geld und Pfandflaschen einzusammeln und dann erst in den Supermarkt, dann zu Hause noch Briefe lesen und Bad und Küche putzen, vielleicht noch Spaghetti kochen, zu guter letzt auch noch Geschirr abwaschen. Phuh, was für ein Tag! Den Joint habe ich mittlerweile fertig geraucht, mein Kopf raucht auch vor lauter bevorstehender Verpflichtungen. Kaffee! Es ist noch Kaffee in der Kanne, also schenke ich mir noch ein. Diesmal lasse ich mich am Sofa nieder, wo ich mich in Rückenlage begebe um darüber zu meditieren, wie ich den Erfordernissen des vor mir liegenden Tages am besten gerecht werde. Denn was man im Kopf hat braucht man bekanntlich nicht mehr in den Beinen. Bei der Gelegenheit drehe ich mir gleich noch einen Joint. Das Gras macht mich so entspannt, dass ich gewiss bin, alles mit links erreichen zu können. Vielleicht wäre es besser, ich würde die Münzen gleich suchen und auch die Pfandflachen gleich einpacken, dann bräuchte ich in dem Fall, dass meine Million noch nicht am Konto wäre, nicht wieder nach Hause gehen und könnte direkt in den Supermarkt. Gut, also Punkt eins: der Lichtbildausweis. Nach der Reihe durchsuche ich Schulbade um Schublade vergeblich nach meinem Pass. Hmm... Nachdem das einfache Durchsuchen offenbar nicht genau genug war, ziehe ich eine Schulblade nach der anderen heraus und leere deren Inhalt auf den Boden. Nun liegen Büro-Utensilien, leere wie beschriebene Papierblätter, Kugelschreiber, Fotos, Klarsichthüllen, Kondome,... über den Boden verstreut, nur
vom Pass keine Spur. Hmm...? Ohne Pass brauch ich gar nicht außer Haus gehen weil ich sowieso die gelben Zettel am Postamt nicht einlösen kann und zweimal gehen wär ziemlich blöd, nagt der Zweifel in mir. Und überhaupt, wie kommen die Kondome zu den Klarsichthüllen? Und dann entdecke ich noch allerhand. Meinen verloren geglaubten Kellerschlüssel. Eine Postkarte von meinem Vater. Der Farbdruck zeigt eine asiatische Schönheit im Bikini unter Palmen. Ich hebe die Karte auf und lese. "Liebe Urlaubsgrüße aus Pattaya wünscht dir dein Papa." Tatsächlich, er hat "Urlaubsgrüße" geschrieben. Und das wo er der Mama gesagt hat, er fährt auf Geschäftsreise nach Thailand. Südostasiatische Wachstumsmärkte auskundschaften. Im Gegensatz zur Mama weiß ich, was ihm dort gewachsen ist, dem lieben Papa. Mir hat er halt immer schon vertraut. Und jetzt? Weg issa. Vielleicht hätt er öfter auf Urlaub fahren sollen, anstatt dauernd so viel zu arbeiten, vielleicht würd er dann noch leben. Herzinfarkt mit 55, hat´s das gebracht? Fast beginne ich zu weinen, dann fällt mir die Million wieder ein und Freude erobert mein Herz. Um meine sofort aufkeimenden Scham- und Schuldgefühle zu verdrängen, drehe ich mir schleunigst einen Joint. Das Gras ist echt Hammer, es prickelt in meinem Körper, als wäre mein Unterleib mit Sekt gefüllt, ich masturbiere und stelle mir dabei vor, ich würde es mit drei sportlichen Jünglingen auf einmal treiben. Zuerst verwöhnen sie mich mit ihren Händen und Zungen, dann ficken sie mich durch. Einer steckt ihn mir in die Muschi, der zweite in Arsch und der dritte tränkt meinen mittlerweile trockenen Mund, gleichzeitig versteht sich. Nach dem Orgasmus schlafe ich am Sofa ein. Als ich erwache, ist es schon 17 Uhr. Den Hausverwalter kann ich mir heute schenken. Dann brauch ich auch keine Bank mehr, da ich ohnedies die Miete nicht zahle.
Aufs Postamt kann ich sowieso nicht gehen, weil mein Pass verschwunden ist. Und der Supermarkt? Ich durchsuche die Wohnung nach Geld, finde ein paar Münzen, mehr als ich zu finden erwartet hatte, fast 12 Euro sind es. Bis ich mich umziehe und zu Fuß zum Geschäft gegangen bin, ist es mindestens halb 6, da ist dort doch die Hölle los, der Laden quillt über vor lauter Arbeiter in stinkender Montur und fettleibigen, quengelnden Müttern mit plärrenden Kindern. Widerlich! Morgen hab ich sowieso meine Million am Konto, wozu heute noch geizig sein. Ich beschließe, mir einen schönen Abend zu machen, rufe beim Italiener an und bestelle Pizza und Bier. Als ich an der Wohnungstür das Essen und mein Wechselgeld entgegennehme, sehe ich, dass ich den Pass ja schon am Vortag auf dem Küchenkästchen bereit gelegt hatte. Völlig vergessen! Na ja, kann passieren. Morgen ist auch noch ein Tag, Prost, Mahlzeit!
Nach dem Essen eine ordentliche Verdauungstüte und ich befinde mich im Zustand glückseligen Gleichmuts. Mit wie wenig kann ein Mensch zufrieden sein! Wozu all das Gehetze und Geschubse da draußen in der Welt? All der unsinnige Ehrgeiz, der zu sozialer Ungerechtigkeit, Kriegen, Herzinfarkten, verstopften Straßen und Magengeschwüren führt? Von der Umweltverschmutzung ganz zu schweigen!
Das eindringliche Klingeln des Telefons reißt mich aus meiner Meditation. Hallo Mama, wie gehts meinem Geld? Was? Es gibt kein Geld? Wieso nicht? Papa hat dich zur Alleinerbin gemacht und du sollst mir meinen Anteil erst auszahlen wenn ich aufgehört habe, Rauschgift zu nehmen und mein Studium abgeschlossen habe? Welches Rauschgift? Glaub doch nicht was die Zeitungen schreiben, ist doch nur bedrucktes Klopapier. Und überhaupt, welches Studium??? Ach, entschuldige Mama, ich habe vergessen, dir zu sagen, dass ich die Uni schon vor
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: w. e. eigensinn & autoren
Bildmaterialien: eigensinn & autoren
Lektorat: eigensinn
Tag der Veröffentlichung: 11.10.2012
ISBN: 978-3-95500-183-4
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