Cover

Graf von Montgelas und das Gut Großhesselohe

 

Als der ehemalige bayerische Staatsminister Maximilian Josef Graf von Montgelas am 25. September 1834 das Gut Großhesselohe von Graf Nicolas Hippolyte Drouet d‘Erlon kauft, ist er 76 Jahre alt und voller Pläne. Vater von acht Kindern ist er, sieben von ihnen haben überlebt, vier Töchter und drei Söhne. Und er ist Witwer, seit 15 Jahren. An seiner exzentrischen und unabhängigen und klugen Frau Ernestine von Arco hat er liebevoll gehangen, obwohl sie sich als 20 Jahre Jüngere immer wieder Eskapaden und einige amouröse Abenteuer erlaubt in ihrem kurzen Leben und ihre Impulsivität einige Male zu ernsthaften diplomatischen Verwicklungen führen. So sagt sie einmal über ihren Mann: „Als Außenminister könnte man keinen besseren haben, als Innenminister ist er passable, als Finanzminister verdient er, gehenkt zu werden.“

Ein anderes Mal schreibt sie ohne Kenntnis ihres Mannes an den französischen Außenminister Talleyrand und beschwert sich über Napoleons Entscheidung, in Bayern starke Truppenverbände stehen gelassen zu haben, die vor allem die einheimischen Bauern stark belasten: „Ich verachte diejenigen, die auf Kosten meines armen Vaterlandes leben und die zu dessen Blutsaugern werden.“ Sie beweist damit Mut und Herzensgüte und Mitmenschlichkeit – wenn auch nicht unbedingt politisches Geschick. Denn ihr Mann tut zu diesem Zeitpunkt alles, Napoleon nicht auf die Füße zu treten. Aber trotz solcher Äußerungen – seine Frau hat in politischen Fragen immer zu ihm gestanden, auch wenn sie sich deshalb sogar mit ihren engsten Verwandten überwirft.

Montgelas muss auch von einem theatralisch inszenierten, vorgetäuschten Selbstmordversuch Ernestines gewusst haben. Sie hat in dieser Zeit mit dem Finanzminister Hompesch eine Affäre, dessen Ex-Geliebte plötzlich in München erscheint. Für die leidenschaftliche Ernestine offensichtlich ein Unding. Zum Schein geht sie ins Wasser der Isar, um Mitleid zu erregen oder Hompesch einen Denkzettel zu verpassen. Der gewünschte Effekt jedoch bleibt aus, stattdessen wird sie zum Tagesgespräch und allgemeinen Gespött: Denn ihre am Ufer der Isar zurückgelassenen kostbaren Kleider trägt ein Finder zur Polizei, so dass die zweite Frau im Staat halbnackt in einem Schäferkarren warten muss, bis ihr Kammermädchen ihr ihre Habseligkeiten zurückbringt.

Ihre Eifersucht hält sie selbst jedoch nicht von Seitensprüngen ab. Montgelas erträgt dies, tatsächlich wohl mit mehr Gleichmut als mit Groll. Exemplarisch dafür ist die ausführlich dokumentierte Liaison Ernestines mit dem russischen Gesandten in München, Fürst Iwan Bariatinsky. Er ist Freund des Hauses Montgelas und wohnt dort auch die meiste Zeit über. Als Napoleon seinen Krieg gegen Russland vorbereitet, wird dies zu einem handfesten diplomatischen Problem, immerhin ist Bayern zu dieser Zeit Verbündeter der Franzosen und Montgelas wichtigster Politiker des Landes. Dennoch findet er immer wieder Wege und Ausflüchte, die Ausweisung Bariatinskys zu verzögern. Er tut dies auch für seine Frau, die – nachdem das Unvermeidliche eintritt – in eine tiefe Lebenskrise stürzt.

Ihren Tod durch Tuberkulose hat er nie richtig verwunden. Er, diese exzellente Partie, damals einer der reichsten Männer Bayerns, der an der europäischen Geschichte mitgeschrieben hat und so maßgeblich für die Entwicklung Bayerns war wie kaum jemand vor und nach ihm, bleibt alleinstehend bis zum Schluss.

Allerdings pflegt er eine vertrauensvolle Freundschaft zu der wesentlich jüngeren Julie von Zerzog (es trennen sie vier Jahrzehnte), die wie seine Frau über Charakter und Willen verfügt und hochbefähigt, intelligent und kultiviert ist. Sie geht als „Regensburger Wohltäterin“ in die Geschichte ein, hat sie sich doch fast lebenslang für die Arbeiterschicht und vor allem für arme Mädchen durch die Gründung und Leitung einer Näh- und Strickschule engagiert.

 

Viele Briefe, schlechte Handschrift

Es haben sich 126 Briefe erhalten aus dieser Beziehung, die wohl rein freundschaftlich bleibt und nie erotisch ist. Leider nur die Briefe von ihm, die später von Julie von Zerzog mit einem langen Vorwort versehen selbst veröffentlicht werden. Die Briefe sind ein Spiegel Montgelas, der die Adressatin seiner Zeilen immer mit Achtung und Freundlichkeit begegnet und sie nicht von oben herab behandelt. Er schreibt von politischen und gesellschaftlichen, von technischen und merkantilen Dingen, später auch mehr und mehr von Krankheiten und er tut es leichthin, ohne herablassenden Ton. Zwei dieser Briefe verfasst er in seinem jüngst erworbenen und umgebauten Gut Großhesselohe. Sie sind – wie fast alle seiner Schreiben – in Französisch, seiner bevorzugten Sprache und selten wirklich gut leserlich.

Tatsächlich ist seine Handschrift so legendär nachlässig, dass sich auch sein ehemaliger Dienstherr, der bayerische König Maximilian I. Joseph, immer wieder darüber beschwert und die Schriftsachen seines Beraters und Ministers manchmal zunächst von Schreiberhand übertragen lässt.

Einmal sogar, am 5. Oktober 1813, hätte seine unleserliche Schrift fast über das Schicksal Bayerns entschieden. Man zählte zwar nach dem desaströsen Russlandfeldzug Napoleons immer noch zu den französischen Verbündeten, aber ein Frontenwechsel zu den alliierten österreichischen, russischen und preußischen Kräften schien immer opportuner. Österreichische Truppen standen bayerischen Einheiten am Inn bereits gefechtsbereit gegenüber, der österreichische Außenminister Klemens Wenzel Lothar von Metternich drohte mit Einmarsch und forderte in zwei Ultimaten den sofortigen Übertritt Bayerns. Die Zeit drängte, es ging buchstäblich um Stunden. Max I. Joseph aber schwankte und benötigte für seine Entscheidung unbedingt eine Einschätzung seines Staatsministers Montgelas. Die er dann zwar erhielt, die aber zunächst nicht zu entziffern war.

In ähnlich ‚schwieriger‘ Schrift – im Alter wird sie zusätzlich zittriger – lobt er am 22. September 1836 in einem der beiden Großhesseloher Briefe an Julie von Zerzog den Erwerb des Guts: „Man hat hier das Vergnügen, alle Welt zu sehen, den Vorteil, immer wenn man mag, ins Schauspiel zu gehen, sich in der Nähe der Medizin und aller jener Wahlfreiheiten zu befinden, die die Nachbarschaft zur Hauptstadt bieten kann. Das alles lässt mich den Aufenthalt hier schätzen, wo ich mich übrigens passabel eingerichtet habe.“ Das Wetter sei wie überall, „auch bei uns kalt und regnerisch, aber es tröpfelt nur von Zeit zu Zeit und es trocknet schnell, so dass ich nicht von meinem täglichen Spaziergang abgehalten werde, den ich hier täglich genieße.“

 

Die Kaufsumme für das Gut? Der Gegenwert von 140 Wohnhäusern

Die Kaufsumme für das Gut, 80.000 Gulden, ist durchaus erheblich. In dieser Zeit erhalten Staatsdiener in der niedrigsten Besoldungsstufe etwa 300 Gulden im Jahr, Handwerksmeister bringen es auf 400 bis 1.200 Gulden, Tagelöhner maximal auf 100 Gulden. Montgelas gibt selbst einen Kaufkraftvergleich in seinem Brief aus Großhesselohe, in dem er sich nach dem Wetterbericht darüber beklagt, dass das Sommerheu völlig dahin sei, weil das feuchte Klima den Eintrag verhindere. Das fehlende Futter würde aber ausgeglichen und ausbalanciert, so seine Worte, „durch die Knappheit des Viehs, welches die Besitzer sich allzu schnell beeilt haben, zu verkaufen. Auf dem letzten Markt von Revula habe ich sieben Pflugochsen gekauft, im Grunde sehr schön und sehr groß, die mich 90 Gulden das Stück gekostet haben, was ich sehr teuer finde.“

Tatsächlich hätte er sich für 80.000 Gulden fast 140 Wohnhäuser statt des Guts kaufen können, folgt man den Brandversicherern, die in ihren zeitgenössischen Geschäftsberichten Wohngebäude auf durchschnittlich 600 Gulden und ein ganzes Dominikanerkonvent auf gerade einmal 5.000 Gulden taxieren. Dafür umfasst das Gut aber auch ein Gelände von etwa 120 Hektar und erstreckt sich in etwa vom nunmehr ehemaligen Großhesseloher Staatsbahnhof im Norden bis zur heutigen Burg Schwaneck in Pullach und vom Isarhochufer bis zur Isartalbahn.

Insgesamt hat man in Bayern in der Zeit der Restauration mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen, die erst Mitte des 19. Jahrhunderts mit Beginn der Industrialisierung kleiner werden. In den 1830er Jahren aber ist die Armut allgemein. Die Versorgungslage verschlechtert sich vor allem in den ländlichen Regionen und zwei Cholera-Epidemien erfassen das Königreich. Auch München wird davon betroffen. Der genannte Brief an Julie Zerzog erwähnt dies: „Diese Überlegung veranlasst mich auch, nicht am Oktoberfest teilzunehmen, welches trotz Wind und Sumpf und trotz Cholera-Ärgers am 2. Oktober stattfinden wird.“ Das Elend in Bayern führt immer wieder zu Auswanderungswellen nach Nordamerika.

 

Das Großhesseloher Gut – eng verknüpft mit dem Münchner Heiliggeistspital

Einen sehr wesentlichen Teil seiner Geschichte des Guts, zunächst eigentlich eine Schwaige, ist eng mit dem Münchner Heiliggeistspital verknüpft. Otto Herzog in Bayern gründet das Hospiz Anfang des 13. Jahrhunderts. Der Stammsitz des Hospizes entsteht 1208 zunächst außerhalb der Münchner Stadtmauer vor dem Talburgtor („im Tal“) mit einem Pilgerhaus und der Katharinenkapelle, Teil der späteren Heiliggeistkirche.

Der Platz ist mit Bedacht gewählt, liegt er doch nahe am fließenden Wasser der Isar und bietet Platz für die zahlreichen Reisenden mit Ziel Heiliges Land. Schnell erhält die Stiftung einen päpstlichen Schutzbrief und man kümmert sich mehr und mehr um Arme und Gebrechliche: Pfründer werden auf Dauer aufgenommen, Kranke bis zu ihrer Genesung. Schon bald gehören diverse Wirtschaftsbetriebe wie Mühlen, ein Bad, eine Pfisterei, eine Schmiede, Brot- und Fleischbänke und Tuchhändlerläden zum Spital. Außerdem eine Brauerei, die – wir werden es später sehen – eine nicht unerhebliche Rolle für die Entwicklung der Hesseloher Schwaige haben wird.

Man bezieht Einkünfte aus Hypotheken, Darlehen und Mieten und verfügt über Besitz im Münchner Umland. Um 1500 sind das 73 große und 31 kleinere Höfe. Damit ist das Spital ein echter Wirtschaftsfaktor in der Stadt und die bedeutendste mittelalterliche Stiftung, die schon seit dem großen Strandbrand 1327 und nach Auszug des Ordens der Brüder vom Heiligen Geist aus München kommunal verwaltet wird.

Das Spital, der Platz des heutigen Viktualienmarktes, wird durch das Wachstum Münchens von der Stadt schnell geschluckt und man kümmert sich spätestens seit 1451 nicht mehr nur noch um Pilger und Bedürftige, sondern auch um Findel- und Waisenkinder und um geistige Behinderte. 1480 entsteht dazu eine eigene Kinder- und Findelstube, seit 1495 eine „Narrenkeuche“, 1517 eine Rauchstube zur Behandlung von Infektionskrankheiten und ab 1589 ist eine Gebärstube für unverheiratete Frauen verbrieft.

Weit vorher aber, nämlich 1301, ermöglicht die Spende eines Münchner Bürgers dem Heiliggeistspital den Kauf der Hesseloher Schwaige („Hof ze Hesseloch“) für 55 Pfund Pfennige, deren Wurzeln möglicherweise auf das Hesseloher Landgut des Herzogs Tassilo III. (741 - 796) zurückreichen und auf dem vermutlich exakt an dieser Stelle nun das Montgelas Schlösschen steht.

 

Die Anfänge der Hesseloher Schwaige

‚Schwaige‘ leitet sich aus dem Mittelhochdeutschen ‚sweige‘ für ‚Sennerei‘, ‚Herde‘, ‚Viehhof‘ ab und in genau dieser Funktion sorgt sie neben den vielen anderen Wirtschaftsbetrieben fortan für den

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Andreas Erber
Cover: Andreas Erber
Tag der Veröffentlichung: 22.10.2017
ISBN: 978-3-7438-3741-6

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /