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Das Baseballfeld und die Positionen

 

Erster Teil

TEIL I

 

 

 

Prolog

 

15. Oktober

 

14.000 Baseball-High-School-Teams in Japan haben denselben Traum: Es zum Kōshien-Turnier zu schaffen.

 

Tooru Nakamura war an der Reihe.

Der siebzehnjährige Baseballspieler aus Tokio griff nach seinem Schläger und verließ den Bankbereich seines Baseballteams, den Dugout.

Er ging zur Home Plate, einer weißen, fünfeckigen Platte und sah auf das Spielfeld.

Rechts von ihm lag, im Winkel von fünfundvierzig Grad und 27,5 Metern, die erste Base, die durch ein weißes Kissen gekennzeichnet wurde. Links von ihm, im gleichen Abstand und Winkel die dritte Base. Direkt gegenüber, im Abstand von 38,8 Metern, befand sich die zweite Base. Gemeinsam mit der Home Plate bildeten sie das Infield, welches Spieler, Verantwortliche und Fans aufgrund der Form als „Diamond“ bezeichneten.

Dahinter befand sich das Outfield, eine Grasfläche, die an der Mauer, einem Zaun oder einer ähnlichen Begrenzung endete, und in die Bereiche Right-, Left- und Centerfield unterteilt war.

Begrenzt war das Feld zudem durch die Foul-Linie am rechten und linken Spielfeldrand. Das Territorium dahinter war vergleichbar mit dem Aus im Fußball. Wenn ein Ball außerhalb dieser Linie landete, war er ein sogenannter Foul Ball.

Tooru brachte sich für seine At-Bat, seinem Duell mit dem Pitcher, in Position und verschaffte sich einen Überblick über die Feldspieler, deren Bezeichnungen sich mit dem Spielfeld-Bereich deckten, für den sie verantwortlich waren: Erster, Zweiter und Dritter Baseman sowie Right-, Left und Centerfielder. Hinzu kam der Shortstop, der zwischen der zweiten und dritten Base positioniert war.

Das achte Mitglied der Defensivmannschaft stand hinter ihm, der Catcher, der schwere Schutzausrüstung sowie einen speziellen Baseballhandschuh, der größer und schwerer als bei den anderen Spielern war, trug.

18,39 Meter von ihm entfernt, zwischen Home Plate und zweiter Base, machte sich auf dem Wurfhügel der Pitcher bereit. Er war der wichtigste Spieler auf dem Feld. Er hatte die Aufgabe Bälle in die Richtung der Home Plate zu werfen, und zwar so, dass der Catcher sie fing, der Schlagmann sie aber nicht traf.

Toorus Ziel war es nach einem Treffer zur ersten Base und von dort über die zweite und dritte Base zur Home Plate zurückzugelangen. Dann würde er einen Run erzielen. Der Spielstand im Baseball entsprach der Anzahl der Runs, wäre also vergleichbar mit einem Tor im Fußball.

Der Pitcher zielte mit seinem Wurf auf die Strike Zone. Dem Regelwerk zufolge war dies ein imaginärer Bereich, der so breit ist wie die Home Plate und von den Knien bis zur Mitte des Oberkörpers des jeweiligen Batters geht. Doch Tooru, der selbst auf der Position des Catchers spielte, wusste, wie vage die Bezeichnung war. Der Bereich änderte sich aufgrund der unterschiedlichen Spielergrößen bei jedem Schlagmann. Auch hatte jeder Schiedsrichter eine unterschiedliche Auffassung davon, wie eng oder breit die Strike Zone zu definieren war.

Einen Pitch, der durch die Strike Zone fliegt, und anschließend vom Catcher gefangen wird, bezeichnet man als Strike. Drei Strikes und der Schlagmann war out. Ein Pitch außerhalb dieser Zone wird als Ball bezeichnet. Vier Balls und Tooru würde einen Walk erhalten, womit er, ohne getroffen zu haben, auf die erste Base vordringen dürfte. Wenn der Schlagmann nach dem Ball schwang und ihn nicht traf, galt das ebenfalls als Strike, egal ob dieser in der Strike Zone war oder nicht.

Der erste Wurf des Pitchers war ein Fastball, der häufigste Wurf im Baseball. Ein Ball, der in einer geraden Linie in schneller Geschwindigkeit auf den Batter zuflog. Er landete einige Zentimeter neben der Strike Zone.

„Ball!“, brüllte der Schiedsrichter, der hinter dem Catcher an der Home Plate stand.

Der sogenannte Count lag nun bei 1 und 0, ein Ball und null Strikes.

Der Catcher warf den Ball zum Pitcher zurück, der sich für den nächsten Wurf bereit machte. Doch auch jetzt traf er die Strike Zone nicht.

„Ball!“, rief der Schiedsrichter.

Der Count erhöhte sich auf 2 und 0. Zwei Bälle, null Strikes.

Der Pitcher warf den nächsten Pitch, Tooru schwang, verfehlt jedoch den Ball.

Der Count lag bei zwei und eins. Zwei Bälle, ein Strike.

Der vierte Pitch war ein Curveball, der in gekrümmter Flugbahn auf ihn zukam.

Tooru schwang nicht, doch der Ball flog mitten durch die Strike Zone. Der Count veränderte sich auf zwei und zwei. Er war nur noch einen Strike davon entfernt out gemacht zu werden.

Jede Mannschaft durfte sich drei Outs in einem Inning erlauben. Ein Spiel hatte neun Innings, die jeweils in Defensive und Offensive geteilt wurden. In der Defensive verteidigte die Mannschaft auf dem Feld, in der Offensive schlug sie. Tooru war gerade in der Offensive und sie waren in der zweiten Hälfte des achten Innings. Sie hatten in den bisherigen sieben Innings bereits fünf Runs geholt, der Gegner drei. Nach neun Innings gewann die Mannschaft mit den meisten Runs. Bei Gleichstand wurden so lange Extrainnings gespielt, bis ein Team gewonnen hatte.

Bei einem Count von zwei und zwei, machte der Pitcher den nächsten Wurf.

Tooru verzog die Mundwinkel zu einem Lächeln. Genau auf diesen Ball hatte er gewartet. Er schwang durch, traf den Ball mit viel Kraft und pfefferte ihn weit ins Outfield hinein. Er durchlief die erste Base und überlegte, ob er noch zur zweiten rennen sollte, entschied sich jedoch dagegen.

Der nächste Spieler aus Toorus Mannschaft kam zur At-Bat.

Tooru musterte aufmerksam den Pitcher. Der hatte die Augen nur auf den Schlagmann gerichtet, was ihm bereits in den letzten Innings aufgefallen war. Nicht gerade eine gute Eigenschaft für einen Pitchter, der möglichst das ganze Feld im Blick haben sollte. Als der Pitcher sich für seinen Wurf in Stellung brachte, rannte er, machte einen „Steal-Versuch“ und stürmt los zur nächsten Base. Mit Erfolg. Er erreichte das Kissen der zweiten Base, ehe der Ball, den Weg über den Catcher zum zweiten Baseman finden konnte. Tooru grinste zufrieden. Das Stehlen der Base war und blieb einer der aufregendsten Spielzüge im Baseball.

Beim nächsten Pitch schlug der Schlagmann zu, der Ball wurde jedoch noch im Flug vom Leftfielder gefangen, was nach den Regeln ebenfalls ein Out nach sich zog. Das erste in diesem Halbinning.

Der nächste Batter in ihrer Aufstellung trat an die Home Plate.

Der erste Pitch war ein Ball, doch im zweiten, einem Fastball, schlug der Batter zu und drang auf die erste Base vor. Tooru schaffte es seinerseits bis auf die dritte Base.

Aufmerksam ging sein Blick wieder zur Home Plate und dem nächsten Duell zwischen Pitcher und Schlagmann.

Der Pitcher warf zunächst einen Curveball und schraubte den Count auf 0 und 1 hoch. Kein Ball, ein Strike. Auch im zweiten Wurf gelang ihm ein Strike. Der Batter erneuerte den Griff um den Schläger, atmete tief ein und machte sich für den dritten Pitch bereit.

Einen Fastball, denn er zwischen den ersten und zweiten Baseman schlug. Tooru rannte los und überquerte ohne Risiko durch die Feldspieler die Home Plate. Er hatte einen Run erzielt, sein Team lag jetzt 6:3 in Führung.

Nach dem dritten Out wurde gewechselt und das neunte Inning brach an. Sie waren nun die Defensivmannschaft. Tooru zog sich die schwere Catcheruniform über und besprach sich in wenigen Worten mit Yuusei Yamada. Er war der Ace, der beste Pitcher des Teams.

Es stand 6:3. Sie brauchten kein Risiko eingehen.

Der erste Batter machte einen Bunt. Er holte nicht zum Schlag aus, sondern ließ den Ball, am Schläger „abtropfen“, sodass er nur wenige Meter von der Home Plate entfernt landete. Er war eine Taktik, die sowohl als überraschender Hit-Versuch zur Anwendung kam oder aber als Mittel, um einen Runner eine Base voranzubringen. Der Batter schafft auf die erste Base.

Der zweite Batter schwang dreimal den Schläger, verfehlte aber jedes Mal den Ball und kassierte ein Strikeout.

Der dritte Batter traf gleich den ersten Pitch, einen schnellen Fastball. Der Ball flog ins linke Feld, wo der Shortstop – Sasoki, einer Toorus besten Freunde – ihn sauber fing und Richtung zweiter Base warf, wo er perfekt platziert im Handschuh des zweiten Baseman landete. Sie hatten drei Outs gesammelt, da sowohl der Schlagmann und der Läufer für diesen Spielzug ein out kassieren.

Das Inning war vorbei und das Spiel endete mit einem 6:3. Die zweite Hälfte des neunten Innings wurde nicht mehr gespielt, da sie ihren Sieg durch die Führung sicher hatten.

Yuzuru Satoki rannte mit einem lauten Lachen auf Tooru zu und klatsche sich mit ihm ab. „Gutes Spiel, Nakamura!“

„Das kann ich nur zurückgeben“, antwortete er. Auf Satoki war in den engsten Situationen Verlass und Tooru schätzte sich mehr als glücklich ihn ihm Team zu haben. Satoki war schnell, aufmerksam und über das gesamte Spiel konzentriert. Er war immer genau da, wo der Ball war, erlaubte sich selten Fehler.

Satoki zog ihn an sich heran.

„Halbfinale, Nakamura, wir sind im Halbfinale des Herbstturniers.“

Das Herbstturnier war ein jährliches Turnier, welches zwischen Oktober und November ausgetragen wurde, um die stärksten Teams aus zehn Regionen zu küren. Es war auch der erste Test für die Teams, die nun auf die Erfahrung der Drittklässler verzichten mussten, die sich auf die finalen Prüfungen an den Schulen vorbereiteten und daher nicht mehr an den Clubtätigkeiten teilnahmen. Für den Gewinner winkte die garantierte Teilnahme an den Frühlings-Koshien. Dem Turnier im japanischen High-School-Baseball.

Das Team der Komae High School, für das Tooru spielte, war im Sommer bereits ganz nah gewesen, sich den Traum von Koshien nach vielen Jahren endlich zum zweiten Mal zu erfüllen, doch dann waren sie ausgerechnet im Finale des lokalen Auswahlturnieres gescheitert und mussten auf die legendären Sommer-Koshien verzichten.

Tooru lachte und gab seinem Freund mit dem Catcher-Handschuh einen Schlag auf den Rücken. „Es wird von hier an nicht leichter werden“, mahnte er.

„Dieses Mal habe ich ein gutes Gefühl“, widersprach Satoki ihm. „Dieses Mal werden wir es zu den Koshien schaffen!“

 

2

20. Oktober

 

Yui Ayano liebte diesen Moment, in dem das Spielfeld in Sicht kam. Der grüne Rasen, der braune Sand und die weißen Markierungen des Diamonds. Dazu die Geräusche und Gerüche. Dann fühlte sie sich geborgen, sicher, glücklich.

Am ersten der zwei Baseballfelder der Schule war es heute richtig voll. Viele Fachleute hatten sich am Spielfeldrand eingefunden und begutachteten mit kritischen Augen das Training der Spieler.

Yuis braunen Augen waren besonders auf einen Spieler gerichtet: Tooru Nakamura.

Tooru war der Kapitän und Catcher des Baseballteams der Komae High School und galt als eines der größten Talente seiner Zeit. Catcher, das war für Yui die verantwortungsvollste Position auf dem ganzen Feld. Er fing die Bälle und gab den Pitchern in die Anweisungen, welchen Wurf sie als nächstes machen sollten. Der Catcher war das Bindeglied zum Trainer, sagte verschiedene Formationen der Defensive an.

Tooru hatte sich schon in seinem ersten Jahr an der High School für die Stammmannschaft empfohlen und den vorherigen Catcher, einen Drittklässler, mühelos verdrängt.

Tooru besaß alles, was für einen Spitzensportler nötig war: Athletik, Talent, Durchhaltevermögen und taktisches Geschick. Auch hatte er einen ungeheuer starken Wurfarm, der ihn locker auch zum Pitcher hätte machen können.

Yui wusste, dass er in den ersten Jahren im Baseballsport viele Angebote bekommen hatte, die Spielerposition zu wechseln, doch er hatte immer geantwortet, dass er nur die Position des Catchers einnehmen würde. Das sei die einzige Position, auf der er spielen wolle.

Tooru nahm den Baseball mit seinem Handschuh auf und warf ihn zur zweiten Base. Der Ball schien von seinen Fingerspitzen wegzudetonieren und wurde immer schneller, während er das Spielfeld durchquerte. Mit einem lauten Knall landete er im Handschuh des zweiten Baseman.

Der nächste Ball flog in Richtung des Catchers, doch auch diesen fing Tooru ohne Schwierigkeiten und schleuderte ihn ins Feld hinein.

Nach jedem Ballkontakt ging er zurück in die Hocke, nahm wieder die Grundposition ein, um kurz drauf mit Präzision den Ball zu fangen und wegzuwerfen.

Yui sah seinem Spiel noch einige Zeit zu, ehe sie sich hinunter zum Feld begab, um die Trinkflaschen für die Spieler zu füllen. Für sie war beim Einschreiben in die High School sofort klar gewesen, dass sie Mitglied des Baseballclubs werden und dem Team in der Rolle der Managerin unterstürzen würde. Allerdings musste Yui sich eingestehen, dass die Bezeichnung Managerin ziemlich hochgestochen klang und wichtiger, als die Position letztendlich war. Sie war viel mehr das Mädchen für alles. Trotzdem wollte sie sich nicht beschweren. Sie liebte diesen Sport.

Schon seit Kindertagen war Baseball ihr Lebensmittelpunkt gewesen, auch durch ihren Vater, der aktiver Spieler in einer der Topmannschaften Japans gewesen war. In der Little League hatte sie sogar gemeinsam mit Tooru in einem Team gespielt. Sie als Pitcher, er als Catcher. Doch hier in Komae kam es kein weibliches Baseballteam und so hatte sie schließlich die Position der Managerin übernommen.

„Träumst du schon wieder?!“

Yui schreckte hoch. Sie war so tief in Gedanken, dass sie niemanden kommen gehört hatte.

Tooru stand vor ihr, grinste schief und zog sich den Helm vom Kopf. Mit der rechten Hand fuhr er sich durch die nassen, schwarzen Haare, bevor er den Schweiß von seiner Stirn wischte.

„Ich nein …“ Sie lachte verlegen. „Vielleicht ein bisschen.“

Tooru kicherte. „Solltest du vielleicht lassen, nicht das du irgendwann einen Baseball gegen den Kopf bekommst.“

Er streckte die Hand aus und sie gab ihm eine mit frischem Wasser gefüllte Flasche, von der er gierig ein paar Schlucke nahm.

„Der Coach ist heute strenger als sonst“, schnaufte er. „Ich bin nicht sicher, ob ich das restliche Training durchstehe.“

„Es geht in die finale Phase des Herbsttuniers“, antwortete sie. „Ich bin mir sicher es zahlt sich aus.“

Yui hoffte, dass es dem Team dieses Mal gelingen würde, es bis zu den Koshien zu schaffen. Das Team hatte es allemal verdient nach all den Niederschlägen und erbitterten Kämpfen. Zumindest waren sie in der bisherigen Turnierphase bereits bis ins Halbfinale vorgedrungen. Es hießt also nur noch zwei Spiele gewinnen und man hatte die Teilnahme am Koshien sicher.

Nur noch drei Tage waren es bis zum Halbfinale und mit jedem Tag wuchs ihre Nervosität. Manchmal glaubte sie sogar, dass sie nervöser war, als Tooru. Er strahlte immer eine unglaubliche Ruhe aus, egal wie hart die Situation schien. Nichts in der Welt, schien ihn erschüttern zu können.

Tooru reichte ihr die Flasche zurück und grummelte, als ein Schweißtropfen auf seiner Sportbrille landete.

„Vielleicht sollte ich zu Kontaktlinsen wechseln, was?“, merkte er sarkastisch an. „Da hätte ich weniger Probleme damit.

Yui spielte mit dem Verschluss der Flasche. „Das hast du schon versucht, mit wenig Erfolg“, erinnerte sie ihn.

„Ja sicher, sicher.“

„Du hattest damals drei Bälle in einem Spiel nicht fangen können.“ Sie lachte beim Gedanken an das Spiel. „Wie du geschimpft hast, dass deine Augen gebrannt haben.“

„Zumindest du scheinst deinen Spaß ja gehabt zu haben.“ Er sah sie schief an und verschränkte die Hände vor der Brust. „Vielleicht hat es ja am Pitcher gelegen?“

Yui war in jenem Spiel der Pitcher gewesen.

„Pah, meine Kontrolle war perfekt!“, konterte sie.

„Deswegen mag ich Pitcher so. Sie sind immer von sich selbst überzeugt und sehen die Fehler bei anderen.“ Er zwinkerte ihr zu. „Da seid hier alle gleich.“

Die tiefe Stimme des Trainers hallte über das Feld. Tooru sah zu ihm herüber und lächelte ihr dann entschuldigend zu. „Sieht danach aus, als würde mein Typ verlangt werdenn.“

Er rannte wieder zurück an seinen Posten, während sich Yui am Spielfeldrand auf die Bank setzte und ihm zusah.

2

23. Oktober

Tooru Nakamura hatte das Gefühl, als wären sie endlich angekommen im Herbstturnier. Nachdem sie die ersten Spiele um jeden Punkt kämpfen mussten, ging es seit dem Viertelfinale viel leichter und plötzlich, da standen sie im Finale. Mit 8:4 hatten sie ihren letzten Gegner besiegen können.

„Was für ein Schlag, Nakamura!“

Shortstop Yuzuru Satoki kam ihm mit erhobener Hand auf ihn zu getrappt und er schlug ein. Es war nicht einmal fünf Minuten her, da hatte er einen Home Run schlagen können. Das war ein Spielzug, in dem der Ball über die Spielfeldbegrenzung, geschlagen wurde und der Batter sowie alle Läufer auf dem Feld einen Run erzielten.

Es war ein perfekter Home Run gewesen. Der Ball war weit in die Tribünen hineingeflogen.

Ein großartiger Abschluss für ein gutes Spiel!

Satoki lachte laut. „Ich kann es immer noch nicht glauben, dass wir es bis ins Finale geschafft haben.“

„Noch ist keine Zeit zum Ausruhen“, erwiderte Tooru. „Die große Hürde wartet im nächsten Spiel auf uns. Wir dürfen uns keinen Fehler erlauben, sonst ist es vorbei.“

„Wird schon! Sieh nicht alles so negativ!“

„Die Gegner werden nicht leichter“, erklärte Tooru, während sie sich hinunterbegaben in die Spielerkabine, „und wir haben kaum Zeit zum Verschnaufen. Bereits morgen geht es mit dem Finale weiter.“

„Die Gegner werden nicht leichter?“ Satoki lachte laut und schallernd. „Der von heute war ziemlich leicht, oder?“

„Es war ein hartes Stück Arbeit auf dem Feld“, widersprach Tooru. Ihr Ace-Pitcher hatte im ersten Inning große Schwierigkeiten mit seinem Nervenkostüm gehabt und ehe er sich versah, waren bereits zwei der Bases gefüllt gewesen. Die Große Katastrophe hatte er immerhin abwenden können, dennoch war es dem gegnerischen Team dadurch gelungen, schon früh zwei Punkte zu machen.

 

Nachdem sie sich umgezogen hatten, ging es mit dem Mannschaftsbus zurück zur Schule und der Großteil der Spieler der Mannschaft begab sich direkt zu ihren Zimmern im Wohnheim, um sich nach dem anstrengenden Spiel zu erholen.

Tooru gehörte nicht dazu. Er hatte sich in den Aufenthaltsraum gesetzt und studierte intensiv die Videoaufnahmen vom heutigen Spiel, ehe er sich die Aufnahmen des gegnerischen Teams zuwandte, die einer der Spieler aus der zweiten Mannschaft heute für sie aufgenommen hatte.

Ihm wurde mit jeder verstrichenen Minute bewusst, dass sie kein leichtes Spiel haben würden. Ihr Finalgegner war offensiv stark und unerbittlich, was die Defensive betraf.

Es waren Spieleraktionen dabei, die hart waren und an der Grenze zur Fairness lagen.

Im Hintergrund hörte er die Tür quietschen, kurz darauf setzte sich jemand neben ihn.

„Und Kapitän? Werden wir es schaffen?“

Er brauchte nicht zur Seite zu sehen, um zu wissen, wer mit ihm sprach. Yuzuru Satokis Stimme war unverwechselbar.

„Es kommt darauf an, wie du uns ins Spiel bringst?“, erwiderte er und kicherte aufgesetzt. Satoki war in ihrer Aufstellung der erste Schlagmann, also derjenige, er für sie das Offensivspiel eröffnen würde. Er hatte eine gute Trefferquote, viel gefährlicher war aber Satokis Schnelligkeit. Wenn er den Ball traf, dann war es fast zu neunzig Prozent sicher, dass er auch die erste Base erreichen würde, wenn nicht sogar schon die zweite.

Tooru selbst war der vierte Schlagmann, der sogenannte Cleanup-Hitter, der im Optimalfall mit einem Home Run, die Bases „saubermachte“.

Eine Position, die er erst vor wenigen Monaten vom vorherigen Kapitän der Mannschaft geerbt hatte und die eine große Verantwortung mit sich brachte. Zu groß, für seinen Geschmack. Tooru hatte manchmal das Gefühl, als wüsste er nicht mehr, wo ihm vor den vielen Aufgaben der Kopf stand. Er musste seine Schlageffizienz trainieren, dann noch das Catching und gemeinsam mit den Pitchern an ihren Würfen arbeiten.

Außerdem war es für ihn schwer, für alle aus der Mannschaft das nötige Feingefühl mitzubringen. Er war ein harter Arbeiter, konnte sich aber schwer in andere Menschen hineinversetzen und hatte daher Probleme, die Sorgen der anderen Spieler zu verstehen. Nicht gerade die beste Voraussetzung für einen guten Mannschaftskapitän, fand er.

Satoki war in diesen Dingen deutlich besser. Er wusste meistens, was in den anderen Spielern vorging und konnte sehen, wenn sie Sorgen hatten. Sicherlich war das auch einer der Gründe, wieso der Trainer Satoki zum Vize-Kapitän der Mannschaft gemacht hatte.

„Verdammt, du machst mir ganz schön Druck!“ Satoki lachte. „Da bleibt mir wohl keine Wahl, als sofort bei meinem ersten Einsatz bis zur ersten Base vorzudringen.“

„Wohl kaum, wohl kaum.“ Tooru sah wieder zum Fernseher. „Es wird ein verflucht hartes Stück Arbeit, was da auf uns wartet.“

Satoki saß einige Minuten schweigend neben ihm und verfolgte mit ihm gemeinsam die letzten Innings des Spiels. „Sie scheinen den Kernspieler des Gegners anzugreifen … schau, die Nummer fünf hat versucht, dem zweiten Baseman auf den Fuß zu treten.“

„Das könnte zum Problem werden“, murmelte Tooru. „Ich hasse Mannschaften, die unsauber spielen.“

„Ein Grund mehr morgen zu gewinnen“, erklärte Satoki selbstbewusst.

 

Es war einundzwanzig Uhr, als Tooru den Aufenthaltsraum verließ und sich in Richtung seines Zimmers im Wohnheim für die Baseballer aufmachte, welches er aktuell für sich alleine hatte, da der Drittklässler in ein anders Zimmer umgezogen war, um sich intensiv auf die Abschlussprüfungen vorzubereiten. Weit kam er jedoch nicht.

„Warte, Tooru“, ertönte eine weibliche Stimme hinter ihm und er hielt an und drehte sich herum.

„Was gibt es denn, Yui?“

Sie sah auf die Erde, mied den Blickkontakt mit ihm. „Ich habe darüber nachgedacht, ob wir vielleicht was unternehmen könnten, wenn das Turnier vorbei ist?“

„Was unternehmen?“

„Na, Kino, oder so?“

Tooru wusste nicht, was er antworten sollte. Sicher, er begriff, worauf Yui hinauswollte, aber für so was hatte er derzeit absolut keine Zeit. In seinem Leben gab es nur eins, was aktuell zählte und das war Baseball.

„Ich weiß nicht … ich denke, dass es keine gute Idee ist, Yui.“ Er kratze sich am Hinterkopf. „Ich glaube, dass was du vielleicht für mich empf …“

Sie machte einen Schritt nach vorne. „Du denkst, ich bin in dich verliebt?“ Sie lachte laut auf, schien ihre Selbstsicherheit wiedergewonnen zu haben und war ihr altes Ich: Frech, aufbrausend, laut. „Nun bist du aber selbsteingenommen, Tooru!“, tadelte sie ihn.

„Es hatte sich wie ein Date angehört“, wehrte er sich. „Dann drück dich eben klar aus.“

„Es war kein Date. Niemand würde mit einer zwiespältigen Persönlichkeit wie dir ein Date haben wollen.“ Sie sah ihm tief in die Augen. „Also, was ist? Kino?“

„Im Augenblick habe ich wirklich andere Dinge im Kopf, frag mich nach dem Finale noch einmal“, gab er zurück und setzte sich dann wieder in Bewegung.

Natürlich war es ein Date gewesen. Yui war nur zu Feige es auch auszusprechen. Wieso eigentlich waren Frauen immer so kompliziert?

Er atmete laut auf. Aber es schien, als hätte sie immerhin begriffen, dass er für so was wie Dates derzeit keine Zeit hatte. Für ihn zählte nur Baseball, für alles andere war in seinem Leben aktuell kein Platz. Liebe lenkte nur vom wesentlichen ab und Ablenkung konnte er nicht gebrauchen. Er wollte es immerhin bis ganz oben schaffen und da ging jede Minute neben der Schule für den Sport drauf. Es war das Leben, was er sich ausgesucht hatte. Ein Leben mit dem er auch seine Familie fianziell unterstützen wollte. Dafür musste man nun einmal auch Opfer bringen und er war bereit dazu. Alle Konzentration sollte jetzt darauf liegen, es zu den Koshien zu schaffen.

3

24. Oktober

 

Es war ganz schnell gegangen und ehe Tooru sich versah, hatte er auf dem sandigen Boden gelegen, begraben vom Läufer der gegnerischen Mannschaft, der Hibiya High School. Er hatte die Home Plate beschützen wollen, den Ball gerade vom zweiten Baseman gefangen, ehe der Läufer in vollem Tempo in ihn hineinkrachte. Da Tooru eher schmächtig war, hatte er ihm nichts entgegenzusetzen gehabt und landete im Nu auf der harten Erde.

Für einen Moment wurde ihm schwarz vor Augen, er hatte das Gefühl, dass all die Luft aus seinen Lungenflügeln gepresst wurde.

Als seine Sicht wieder klarer wurde, da war der Läufer aufgestanden, machte eine entschuldigende Geste in seine Richtung, doch Tooru wollte das leichte Zucken der Mundwinkel nicht entgehen. Natürlich war es pure Absicht gewesen! Es war so, wie Satoki und er es sich am Abend vorher gedacht hatten. Sie attackieren die gegnerischen Spieler.

Tooru sah zu seiner linken Hand, stellte mit Erleichterung fest, dass sie auf der Home Plate lag und der Ball noch im Handschuh war. Hibiyas Spieler hatte trotz seiner Aktion keinen Punkt erzielen können und war raus. Auch hatten sie drei Outs erreicht, womit sie nun die offensive Mannschaft waren und schlagen durften.

Tooru stemmte die Hände auf den Boden und richtete sich wieder auf.

Er biss die Zähne zusammen und machte sich langsam auf den Rückweg zur Trainerbank. Die Schmerzen waren gewaltig und er war sich sicher, dass er morgigen Tag einen mächtigen, blauen Fleck haben würde.

„Hast du Schmerzen?“, fragte ihn Satoki, der neben ihm lief.

Er lachte, was sich als eine schlechte Idee herausstellte. Eine neue Schmerzwelle fand den Weg durch seine Nervenbahnen.

„Überall“, presste er heraus und versuchte dabei so unbeeindruckt wie möglich zu klingen, „aber es geht schon.“

 

Auch der Trainer musterte ihn kritisch, als er sich von seiner Catcheruniform befreite, doch er versicherte ihm, dass er sich bei der Kollision keine schwereren Verletzungen zugezogen hatte. Zu seinem Glück hatte er in diesem Inning aber nicht noch als Schlagmann rangemusst und konnte auf der Bank Luft schnappten, eher er wieder als Catcher auf das Feld musste.

Die nächsten drei Innings verflogen schnell und schon stand das sechste Inning an. Nachdem er schon im vierten Inning schlagen musste, war Tooru nun erneut an der Reihe. Einen niedrigen Curveball ließ er durch, aus dem darauffolgenden Fastball machte er einen Foul Ball. Er zählte der Regel nach als Strike. Er veränderte seine Grundhaltung ein wenig und fasste den Schläger höher an. Der Pitcher der gegnerischen Mannschaft warf erneut einen Fastball und den ließ er sich nicht entgehen. Er ging den Ball an und schlug ihn weit in das Feld hinein.

Als er losrannte, merkte er, dass etwas nicht stimmte. Das Spielfeld begann plötzlich vor seinen Augen zu verschwimmen und als er an der zweiten Base angekommen war, war ihm für einen Augenblick schummerig. Seine Atmung ging schnell und der Schmerz in seiner Brust hatte sich über die letzten Minuten verstärkt.

Einfach durchhalten, einfach durchhalten, einfach durchhalten, wiederholte er wie ein Mantra in seinem Kopf.

4:4. Die Mannschaft brauchte seinen Run und er schafft es, den Run einzufahren. Die Batter nach ihm konnten die Bälle ebenfalls weit ins Feld hämmern und so konnte er problemlos den Home Plate erreichen – sah man von den Schmerzen ab, die seinen Körper im Griff hatten.

Yuzuru Satoki schien das nicht entgangen zu sein. Als er sich wieder am Dugout einfand und setzte, hatte er sich dicht neben ihn niedergelassen.

„Ist es das wert?“, flüsterte Satoki ihm zu. „Du solltest das Spiel abbrechen oder ist dir dein Stolz im Weg?“

„Es geht mir gut“, erklärte er und lächelte schief. „Aber es ehrt mich, dass du dir Sorgen um mich machst.“

„Der Scheißkerl hat dich mit Absicht umgenietet. Die wollten dich sicherlich ausschalten, um leichteres Spiel zu haben“, schimpfte Satoki. „Ich kann nicht glauben, dass der Schiedsrichter nichts unternommen hat. Ein Platzverweis wäre allemal drin gewesen.“

„Den Gefallen werde ich ihnen nicht tun“, versicherte Tooru und erhob sich anschließend, um die Catcheruniform überzuziehen. „Wir werden dieses Spiel gewinnen und zum Koshien fahren.“

Es stand jetzt 5:4 zugunsten seiner Mannschaft. Doch dabei sollte es leider nicht bleiben. In ihrem Defensiv-Spiel kassierten sie einen Run und schon hatte der Gegner am Ende des sechsten Innings wieder zu ihnen aufgeholt.

Tooru wischte sich den Schweiß von der Stirn. Es war einfach nicht sein Tag und er musste sich eingestehen, dass die unsanfte Kollision sein Spiel beeinflusste. Er war nicht so agil wie sonst, inzwischen vollkommen außer Atem und würde alles dafür geben, wenn das Spiel endlich vorüber war. Wie viele Innings musste er noch überstehen? Drei? Er hatte den Überblick verloren. Auch eine Sache, die sonst nie vorkam.

Er hockte sich hinter die Home Plate und gab dem Pitcher ein Zeichen, dass er einen Fastball am Rand der Strike Zone haben wollte. Zu seinem Glück, war der Pitcher heute in einer Topverfassung und servierte ihm die perfekten Würfe. Der Gegner hatte es in diesem Inning schwer und kein einziger Treffer konnte ihnen gelingen.

Auf dem Rückweg zur Trainerbank gab Tooru ihrem Pitcher, dem Erstklässler Kouji Kawashima, einen sanften Schlag auf den Rücken.

„Wirklich stark, mach so weiter“, feuerte er ihn an.

„Wie geht es dir?“, wollte Kawashima von ihm wissen und Tooru kam nicht drumherum die Sorge in den Augen des Jüngeren zu bemerken.

„Alles gut.“ Er kicherte. „So was haut mich doch nicht um!“

In Wahrheit ging es im miserabel. Es war schwerer geworden die Schmerzen zu ignorieren und die schwere Catcheruniform machte die Angelegenheit nicht viel leichter. Doch der Gedanke an Koshien trieb ihn an und das Adrenalin blendete zumindest in den entscheidenden Phasen des Spiels die Schmerzen aus.

Heute könnte ihnen das gelingen, worauf die Schule nun schon seit fünfzehn Jahren vergeblich hinarbeitete. Verdammt, er wollte unbedingt die Luft des legendären Koshien-Stadions schnuppern. Dafür würde er alles geben und er würde die Schmerzen bis zum bitteren Ende ingnorieren!

 

4

Ein, aus, ein...

Tooru versuchte seine hektische Atmung zu beruhigen, während er gleichzeitig seine ganze Körperbeherrschung benötigte, um die Schmerzen in seinem Brustkorb auszublenden. Nur noch dieses Inning, er würde es schaffen. Jetzt ging es darum, sich irgendwie zusammenzureißen. Sie brauchten die Punkte. Er musste zur Home Plate zurückkehren, dann würden sie in Führung gehen, dann wäre der Traum der Koshien zum Greifen nahe. Die letzten Meter kamen ihm länger vor als der gesamte Weg bis zur dritten Base. Jeder Atemzug wurde von einem Pfeifen begleitet. Weiter, ich muss weiter, war alles, was er dachte. Wenn er jetzt aufgeben würde, dann war alles umsonst.

Dieser eine Punkt könnte alles entscheiden.

Und so rannte er weiter, obwohl er das Gefühl hatte, dass in seinen Lungen kein Sauerstoff mehr ankam.

Er lief weiter, obwohl sein Sichtfeld verschwamm. Nur noch ein paar Meter …

Bewegt euch ihr verfluchten Beine! Schneller!


„Back Home!“, rief einer der gegnerischen Feldspieler.


Tooru wusste, dass die Zeit gegen ihn lief. Er wünschte, dass seine Beine ihn schneller tragen würden. Dass er einer der schnelleren Läufer von Komae war. Er wünschte, dass nicht jeder Luftzug so eine Qual darstellen würde. Nur noch wenige Meter, dann hatte er es geschafft.


„Yamada, der Ball!“


Er warf sich nach vorne und streckte den linken Arm nach der Home Plate aus. Als sein Körper auf dem Boden aufschlug, spürte er, wie ihm die letzte Luft aus den Lungen entwich. Jede Bewegung, jeder Atemzug wurde von einem neuerlichen Schmerzstoß begleitet. Er schnappte nach Luft. Wieso wollte kein Sauerstoff ankommen?


„Safe. 6:5! Komae geht in Führung!“


Wieso hatte er das Gefühl, als würde ihm die Brust zerspringen? Er konnte noch nicht aufgeben. Er musste noch die zweite Hälfte des letzten Innings durchhalten. Es war noch nicht vorbei. Noch hatten sie das Ziel nicht erreicht. Er biss die Zähne zusammen, bis ihm der Kiefer wehtat. Einmal mehr machte er den verzweifelten Versuch die Schmerzen auszublenden. Er wollte sich aufrichten, doch seine Beine brachten nicht die nötige Kraft dafür auf. Auf allen Vieren keuchte er um Luft.

Panik durchflutete seine Ader.

Nein, das konnte noch nicht sein Ende sein. Er war der Kapitän, das Team brauchte ihn! Alles, was er tun musste, war noch einige Minuten durchzuhalten. Von so einer Prellung konnte er sich doch nicht aus der Bahn werfen lassen. Sie waren so nah dran … so nah dran alles zu erreichen.


Tooru machte einen weiteren Versuch, doch seine Beine wollten ihm nicht gehorchen. Gleichzeitig hatte er das Gefühl ein Fisch auf dem Trockenen zu sein. Er traute sich schon bald gar nicht mehr zu atmen, nur um diese Schmerzen zu entgehen, die jedes Mal durch seinen Körper zogen.

Wie viel Zeit war vergangen, seit er es zurück zum Home Plate geschafft hatte? Minuten oder nur ein paar Sekunden? Er wusste nur, dass er aufstehen musste, wenn er nicht wollte, dass sich das Team Sorgen machte. Sie waren so nah an den Meisterschaften, da konnte er nicht riskieren, dass das Team alles vergab, nur weil man sich um ihn sorgte. Der Fokus musste jetzt auf dem Spiel liegen und nur darauf …


Komm schon, steht auf. Steh auf! Seine rechte Hand ballte sich zur Faust und er schlug immer wieder auf den sandigen Boden unter sich ein. Die Schmerzen hämmerten in seinem ganzen Körper und störten ihm beim Denken.


„Hey, ist alles in Ordnung, Naka-“


Weit entfernt hörte er die Stimme von Kobayashi, dem dritten Baseman. Alles, was ihm durch den Kopf ging, war das Team. Ihr gemeinsames Ziel, Koshien. Er wusste nicht wie, aber er brachte die Kraft auf seinen Oberköper anzunehmen und die Faust in Luft zu strecken. Kurz darauf vernahm er ein Jubeln, welches durch das Stadion hallte. Tooru sah in das Gesicht seines Teamkameraden und meinte, Erleichterung darin sehen zu können. Gut so, dachte er, Kobayashi musste sich jetzt auf das Spiel konzentrieren. Sie lagen zwar vorne, aber noch war es nicht vorbei. Noch konnte ein Gegenangriff kommen. Es war noch nicht Zeit sich auszuruhen.

Mit all seiner Selbstkontrolle, gelang es Tooru, seinen geschundenen Körper doch noch aufzurichten.

Er schlug sich mit Kobayashi ab und begab sich in Richtung der Trainerbank.

Seine Beine fühlten sich kraftlos an und das beengende Gefühl in seinem Brustkorb hatte nicht nachgelassen. Er hatte das Verlangen zu Husten, unterdrückte den Reflex allerdings, als sein Blick den des Trainers traf. Tooru versuchte, sein Lächeln aufzulegen und nickte dem Trainer zu, ehe er sich in den Unterstand begab.


„Nakamura, starker Run!“ Satokis laute Stimme hallte in seinen Ohren wieder, kurz darauf spürte er, wie sich von seiner Schulter aus eine erneute Schmerzwelle durch den ganzen Körper ausbreitete, nachdem Satoki ihm einen leichten Klaps gegeben hatte. Er konnte nicht vermeiden, dass er leicht aufstöhnte. Seine Beine drohten nachzugeben, doch irgendetwas oder irgendwer hielt ihn aufrecht.

„Wir gehen unsere Unterhemden wechseln!“, hörte er leicht verwaschen die Stimme seines Freundes und ließ sich mitziehen in die Kabine. Er hatte nicht mehr die Kraft Satoki Widerstand zu leisten.

Nur kurz darauf ließ ihn Satoki auf die Bank nieder. „Denkst du nicht, dass Yoshida jetzt übernehmen sollte? Du bist ganz nass geschwitzt und kannst dich kaum auf den Beinen halten …“

Yoshida, das war der zweite Catcher der Mannschaft.


Tooru richtete sich schnell wieder auf. Er konnte spielen! Er musste verhindern, dass der Fokus des Teams in dieser entscheidenden Phase durch die Sorge um ihn zerstört würde. Er war der Kapitän, er musste Kampfgeist beweisen. Doch mit einem Mal verließ ihn alle Kraft. Ihn durchfuhr ein unerträglicher heißer Schmerz und er spürte einen eigenartigen, metallischen Geschmack auf seiner Zunge. Sein Körper fiel nach vorne, er landete aber nicht auf dem Boden, da Satoki ihn auffing.

Seine Atmung wurde immer hektischer. Er geriet ihn Panik, da plötzlich überhaupt keine Luft mehr in seinen Lungen ankommen wollte. Sein Kopf lag kraftlos auf der Schulter seines Freundes.

„Satoki“, flüsterte er leise, „es tut mir leid, ich habe das Versprechen nicht halten können.“

„Nakamura!“ Satoki ließ ihn sanft zu Boden gleiten. „Bleib wach, ja?“ Er tätschelte seine Wangen, rüttelte ihn sanft. „Du wirst doch wohl jetzt nicht einfach so umkippen, oder? Hör mal, noch ein halbes Inning und wir stehen als Koshien-Teilnehmer fest.“

Tooru riss die Augen auf, versuchte, sich zu konzentrieren, aber der Schmerz war allgegenwärtig. Er war zu müde, konnte keinen klaren Gedanken fassen. Da waren nur diese Schmerzen, diese fürchterlichen Schmerzen. Und das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen.

„Ich … bekomme … keine Luft …“, keuchte er leise hervor. Irgendwas stimmt nicht. Es fühlte sich an, als würde er ertrinken. Er musste husten. Etwas Warmes floss aus seinem Mundwinkel und er sah, wie sich Satokis Pupillen vor Schreck weiteten.


„Nicht einschlafen, hörst du? Ich bin gleich zurück!“, sagte sein Freund mit angespannter Stimme. „Nur nicht einschlafen!“

Nur am Rande nahm Tooru wahr, wie Satoki aufgesprungen war und verschwand. Er sah an die Decke und versuchte sich darauf zu konzentrieren zu atmen.

Ein, aus, ein … er war so müde.

Die Schwärze breitete sich aus. Ganz langsam. Ich darf nicht einschlafen, wiederholte er in Gedanken, ich darf nicht, darf nicht, darf nicht … seine Augen schlossen sich und er tauchte ab in wohltuende Schwärze.

„Hey, hey, schön wach bleiben, hörst du!“ Satoki klatsche mit der rechten Hand auf seine Wange und er öffnete die Augen wieder. Wann war er zurückgekommen? Er hatte ihn nicht gehört. War er vielleicht gar nicht weggewesen?

„Es kommt gleich Hilfe, ja? Du musst nur noch etwas durchhalten.“

Er wollte schlafen, nur schlafen. Alles andere war ihm egal. Er war so fürchterlich müde, wollte nichts anders als sich der bleienden Ohnmacht geschlagen geben. Wieso war er hier? Er konnte sich nicht konzentrieren, was er hier machte oder wie er hierhergekommen war.

„Tooru, versuch wach zu bleiben. Nicht wieder einschlafen, hörst du?“ Satoki wischte ihm den kalten Schweiß von der Stirn. „Du kannst das doch besser, willst du wirklich jetzt aufgeben?“

Tooru wollte ihm sagen, dass er sich seinetwegen nicht zu sorgen brauchte. Er musste ihn nur etwas schlafen lassen. Dann würde er bald wieder wach sein und voller Energie. Er war nur müde. Er bemühte sich, die Augen offen zu halten und fixierte das Gesicht von Satoki, der sich über ihn beugte. „Versuch, ruhig zu atmen, ja?“

Wovon redete er? Tooru konnte ihm nicht folgen. Atmete er denn nicht ruhig?

Wieder tätschelte Satoki seine Wange. „Wach bleiben, Tooru. Komm mach es mir nach: Ein, aus, ein, aus …“

Seine Lider fühlten sich an, wie mit Mühlensteinen beschwert. Er wollte nichts mehr als sich der Dunkelheit geschlagen geben, die sich um ihn ausbreitete. Ein letztes Blinzeln, dann sank sein Kopf zur Seite. Von ganz weit weg vernahm er die aufgeregte, fast hysterische Stimme von Satoki, die in immer weitere Ferne rutschte, ehe sie verstummte.


5

„Nakamura, komm aufwachen!"

... Nichts.

„Nakamura, mach die Augen auf!“

Yuzuru Satoki geriet in Panik, als sich auch bei seinem nächsten Versuch nichts tat. Er hasste es zu Nichtstun verdammt zu sein! Wo blieb nur der Trainer mit dem Arzt? Die endlose Stille, die nur von schweren Atemzügen durchbrochen wurde, ließ die Schuld in seinem Körper überlaufen. Er hätte das verhindern können. Er hätte sich gegen Nakamuras Dickschädel durchsetzen sollen! Wieso nur hatte er ihn spielen lassen?

Er tätschelte abermals die Wangen seines Freundes und Spielerkollegen. „Komm schon, Nakamura … mach bitte die Augen wieder auf!“

Doch auch jetzt tat sich nichts.


Es kam Yuzuru wie Stunden vor, ehe die Tür geöffnet wurde und der Trainer, Kenta Okada, mit einem Team aus Notarzt und Sanitätern herangestürmte. Ein letztes Mal riss sich Yuzuru zusammen und erläuterte dem Notarzt, was sich zugetragen hatte, danach überließ er dem geschulten Medizinpersonal das Feld. Stumm verfolgte er aus einigen Metern Entfernung die geschulten Handgriffe des Arztes. Ein Sanitäter legte eine Atemmaske auf das Gesicht des Patienten und pumpte Sauerstoff in seine Lungen. Der andere schnitt zur gleichen Zeit die Uniform auf, um jede unnötige Bewegung zu vermeiden.

Yuzuru schnappte einige medizinische Begriffe auf, mit denen er allerdings überhaupt nichts anfangen konnte. Ihr Trainer, der neben ihm stand, schien mit der Situation ebenfalls überfordert. Okada hatte noch kein Wort herausgebracht, seit er durch die Tür gekommen war. Vielleicht hatte er gehofft, dass es nicht so schlimm war? Dass Nakamura nur für einen winzigen Moment das Bewusstsein verloren hatte?


Ein leichtes Zittern durchfuhr seinen Körper, er konnte die Angst, die ihn beherrschte nun nicht mehr zurückhalten. Wann war alles aus dem Ruder gelaufen? Vor einigen Minuten, als Nakamura zusammengebrochen war? Oder schon kurz nachdem er sich die Verletzung zugezogen hatte. Wieso hatte er nichts gesagt? Aus welchem verdammten Grund hatte er geschwiegen und Nakamura nicht mehr unter Druck gesetzt, als dieser behauptet hatte, dass es ihm gut ging?

Die Schuld in ihm wurde immer größer. Er fragte sich, ob er nur deshalb nichts gesagt hatte, weil er wusste, dass sie Nakamura gegen diesen Gegner gebraucht hatten. Hatte er geschwiegen, um den Sieg zu sichern?


Vor ihm wurde Nakamura auf die Trage gehoben und festgeschnallt. Zügig, ohne Zeit zu verschwenden, setzte sich der Tross in Bewegung. Ohne groß nachzudenken, folgte Yuzuru, wurde dann aber von einer starken Hand auf seiner Schulter zurückgehalten.

„Du würdest nur im Weg stehen“, hörte er die Stimme des Trainers.

„Aber …“

„Glaub mir, es ist besser, wenn wir später nachfahren“, erklärte Okada. Der Trainer richtete sich an den Notarzt. „Was genau fehlt ihm … in welches Krankenhaus bringen Sie ihn?“

Der Mann mit gräulichem Haar erklärte ihn mit wenigem Worten, dass man eine traumatische Thoraxverletzung mit Pneumothorax vermutete und in welches Krankenhaus man den Spieler bringen würde. Yuzuru versuchte, den Worten zu folgen, doch viel verstand er von dem medizinischen Zeug nicht. Ehe er nachfragen konnte, was das denn nun genau bedeute, waren der Arzt und die Sanitäter aus der Umkleide verschwunden und in Richtung Notarztwagen geeilt, der vor dem Stadion stand.

„Was bedeutet das? … Thorax … Pneumothorax … was ist mit Nakamura?“

Okada atmete tief durch und Yuzuru befürchtete, es würde keine positive Antwort kommen.

„Es bedeutet, dass er eine Verletzung am Brustkorb hat, vermutlich Knochenbrüche … seine Lunge, sie ist dadurch wohl verletzt worden.“ Okada schüttelte den Kopf. „Er sagte doch, es wäre nichts“, hängte er nach einer Weile an. Dann fiel sein Blick in Richtung der Eisentür, die auf den Platz führte.

„Satoki, wir müssen entscheiden, was wir nun machen“, erklärte er und umgriff seine Schulter fester. „Komm.“


Als Yuzuru mit Kenta Okada durch die Tür zur Trainerbank trat, prasselten sofort Fragen auf sie ein. Natürlich wollten alle wissen, was mit Nakamura war.

Nachdem Nakamura zusammengebrochen war, hatte Yuzuru gegenüber dem Trainer nur das nötige verloren und der hatte seinerseits dem Team verboten, die Umkleideräume zu betreten. Im Nachhinein wunderte es Yuzuru, dass sich das Team daran gehalten hatte – insbesondere dem zweiten Pitcher, Kouji Kawashima traute er zu, dass er sofort hinunterstürmen würde. Kawashima sah zu Nakamura auf, schien alles, was er ihm sagte, wie ein Schwamm aufzusaugen. Der Erstklässler hing seit seinem ersten Tag an der High School an Tooru und war darauf erpicht, ihm zu zeigen, was in ihm steckte, auch wenn dem jungen Pitcher noch viel fehlte. Trotzdem war sich Yuzuru sicher, dass Tooru durchaus Potential in Kawashima sah, denn ansonsten würde er sich während des Trainings nicht so ausgiebig mit ihm beschäftigen.

Der Trainer hob die Hand und sofort verstummten die Spieler.

„Alles was ich bisher sagen kann, ist das sich Nakamura wohl eine Verletzung im Brustkorb sowie der Lunge zugezogen hat. Er ist jetzt auf dem Weg ins Krankenhaus.“

Wieder brach ein lautes Stimmenwirrwarr aus, dass jedoch gleich wieder verstummte, als Okada weiterredete: „Es ist eine schwere Situation, für uns alle. Wir stehen in der entscheidenden Phase des Spiels, aber ich verstehe auch, wenn ihr unter diesen Umständen nicht spielen könnt. Sollte das der Fall sein, dann werde ich zu den Schiedsrichtern gehen und ihnen mitteilen, dass wir um einen Abbruch und eine Verschiebung bitten. Aber euch sollte bewusst sein, dass dann wieder alles auf Null gestellt wird.“

Es herrschte ein Schweigen auf der Bank.

„Die Entscheidung liegt ganz bei euch“, wiederholte Okada einmal mehr.


Yuzuru stand stumm neben den Trainer und blickte zu Boden. Seit sie aus der Tür getreten waren, hatte er es nicht geschafft seinen Teamkollegen in die Augen zu sehen. Zu tief saß der Schock der letzten Minuten. War er überhaupt fähig zu spielen? Würde er jetzt an Baseball denken können? Er bezweifelte es. Und dennoch …

„Nakamura …“ Er räusperte sich. „Nakamura hat … er hat für unser Ziel seine körperlichen Grenzen überschritten … ich denke, seine Antwort zu dieser Frage sollte klar sein. Wir sollten die letzte Hälfte zu Ende spielen und gewinnen. Lasst uns Nakamura zu den Koshien bringen!“

Nun brachte er es fertig den Kopf zu heben und in die Gesichter seiner Teamkollegen zu sehen. Ihm begegnete zum großen Teil Entschlossenheit, aber auch Schock und Angst.

„Satoki hat recht“, meldete sich Kobayashi zu Wort. „Wir sollten weiterspielen – für Nakamura. Wir liegen in Führung, alles was wir nun noch tun müssen, ist den Sieg, den Nakamura mit vorbereitet hat, nach Hause zu bringen.“

Yuzurus Blick traf den der beiden Pitcher. Würden sie es schaffen, dem Druck standzuhalten unter diesen Umständen? Kawashima schien der Schreck in die Glieder gefahren zu sein und auch Yamada, ihr erster Pitcher, war blass um die Nase. Auch dem Trainer schien das nicht entgangen zu sein.

„Yamada, denkst du, dass du spielen kannst?“, fragte Okada.

Yamada nickte. Erst schüchtern, dann Entschlossener. „Das ist mein Job als Ace.“

„Ich bin auch dafür, dass wir weiterspielen“, stimmte Yoshida zu.

„Ich auch“, kam es von einem weiteren Mitspieler.

„Ich ebenfalls!“

„Lasst uns die Sache zu Ende bringen. Für Nakamura!“

Okada nickte und begab sich dann auf das Spielfeld in Richtung der Schiedsrichter. „Dann werde ich das den Zuständigen so mitteilen.“


*


Spielerwechsel im Team Komae. Catcher Yoshida Hiroshi ersetzt Catcher Nakamura Tooru... Catcher Yoshida Hiroshi ersetzt Catcher Nakamura Tooru!”


Yui erstarrte, als sie die Worte aus dem Lautsprecher vernahm. Der Spielerwechsel und die vorherige Pause von etwas mehr als fünf Minuten wegen einer Verletzung im Team Komae sagte alles. Sie hatte es ja mit eigenen Augen gesehen, wie Tooru auf dem Feld mit sich gekämpft hatte. Immerhin kannte sie inzwischen lange genug, um zu sehen, wenn er sich verstellte oder gute Laune zum bösen Spiel machte. Ihre Augen suchten das Feld ab und sie kam nicht umher zu bemerken, wie angespannt das Team war, als es zurück auf das Spielfeld kam. Mit einem Mal setzten sich die Puzzleteile in ihrem Kopf zusammen. Die Hektik an der Trainerbank, die Spielunterbrechung und die Krankenwagensirene, die sie vor wenigen Minuten vernommen hatte.

„Tooru“, flüsterte sie leise und vergrub ihren Kopf in den Händen. Dieser Idiot!

In ihr breitete sich Unruhe aus. In ihrem Körper nahm die Angst überhand. Yui sprang auf, griff nach ihrer Tasche und hastete die Tribünen Richtung Hauptausgang hinunter.

Als sie vor das Stadion trat, verharrte sie. Mit einem Mal wurde ihr bewusst, dass sie keine Ahnung hatte, wo man Tooru hingebracht hatte – wenn es denn Tooru war. Aber daran hatte sie tief in ihrem Inneren keine Zweifel. All diese kleinen Details sprachen dafür. Sie lehnte den Rücken gegen eine der Säulen vor dem Eingang und rutschte hinunter. Sie zog die Knie an ihren Körper und senkte den Kopf darauf. Ihre Finger krallten sich in die schwarzen Haare. Sie war doch hergekommen, um zu sehen, wie sie das Finale gewannen und sich den Platz beim Koshien erkämpften und nun das. Ihre Augen wurden wässrig und sie fuhr sich hastig über die Wange, um die ersten Tränen wegzuwischen.

 

6

Es war eine bedrückende Siegesfeier. Obwohl Komae es trotz einiger Fehler zwischen Pitcher und Catcher geschafft hatte, den Gegner im letzten Aufeinandertreffen in Schach zu halten, lag eine beklemmende Atmosphäre über dem Stadion. Richtige Freude über den Sieg wollte nicht aufkommen.

Schnell schien den vielen Zuschauern und vor allem den Schulkameraden auf den Rängen klar zu sein, dass sich Ernsteres zugetragen hatte, denn ein Spieler fehlte beim abschließenden Prozedere.

Man reihte sich respektvoll auf, bedankte sich für das gute Spiel beim Gegner und beim Publikum.

Allerdings führte der Weg der Mannschaft dieses Mal, schneller als gewöhnlich, in die Umkleidekabinen. 

„Wir werden mit dem Bus zur Schule zurückfahren“, verkündete Okada, nachdem er sich ausführlich bei allen Spielern, für ihre Leistung trotz der Umstände bedankt hatte.

Er sah zu Yuzuru. „Wenn du möchtest, fährt Yamazaki mit dir ins Krankenhaus. Sie hat auch bereits Nakamuras Vater verständigt.“

Yamazaki, das war die Assistenztrainerin der Mannschaft.

Yuzuru nickte. 

„Ich will auch mit!“ Kawashimas laute Stimme hallte an den Betonwänden der Umkleidekabine wieder.

„Für den Augenblick ist es besser, wenn nur einer fährt.“

„Aber, Trainer …“

„Ich glaube, dein Gesicht ist das letzte, was Nakamura sehen will, wenn wir bei ihm aufkreuzen.“ Yuzuru nahm den Jüngeren in den Schwitzkasten. „Keine Angst, du wirst deinen geliebten Senpai schon bald wieder dazu bringen deine Bälle zu fangen.“ 

„Das ist es doch überhaupt nicht!“ Kawashima befreite sich aus der Umklammerung. „Ich will wissen, wie es ihm geht!“ 

„Schluss jetzt, Kawashima“, schritt Okada barsch ein, wurde dann aber wieder ruhiger. Er nahm einen tiefen Luftzug. „Wir alle wollen wissen, wie es Nakamura geht. Er ist Teil dieses Teams, aber ein Krankenhaus ist ein Ort, an dem wir nicht alle aufkreuzen können. Daher überlasse ich diese Aufgabe unserem Vize-Kapitän.“

„Okay, Trainer!“ Kawashima beugte sich vor Yuzuru hin. „Richte Nakamura-Senpai gute Besserung aus! Meine Bälle erwarten sehnlichst seine Rückkehr!“ 

Yuzuru lachte. „Wird gemacht, wird gemacht! Ich bin mir sicher, er kann es kaum erwarten!“ 

Er schulterte seine Tasche und hob die Hand zum Abschied, ehe er aus der Umkleide trat. Erst als er sich sicher war, dass er alleine und ihm niemand gefolgt war, bröckelte seine Fassade. Das Lächeln verschwand und wurde von einem ersten Gesichtsausdruck abgelöst. Zu gerne würde er glauben, dass Tooru bereits ungeduldig im Krankenhaus darauf wartete das Ergebnis des Spiels zu erfahren, doch nachdem er dabei gewesen war, als er zusammenbrach und Blut gehustet hatte, war es sich nicht sicher, ob er seinen Freund wirklich so vorfinden würde.

Vielmehr sprach alles dagegen, dass es so sein würde. Tief in Gedanken stiefelte er durch den Gang ins Freie.

Er ignorierte die Massen von Leuten, die sich vor dem Eingang eingefunden hatte, bahnte sich seinen Weg und ging weiter in Richtung Straße, auf der ein Taxi wartete. Davor konnte er bereits Yamazaki erkennen.

„Warte!“ 

Jemand packte Yuzuru an die Schulter. „Warte, Satoki!“

Als er nicht sofort reagierte, wurde der Druck stärker. „Hey! Bleib stehen!“ 

Yuzuru drehte sich herum. „Ayano? Was ist?“

Yui Ayano sah ihn mit großen, ängstlichen Augen an. „Was ist mit Tooru?“

„Wie?“

„Wieso wurde er ins Krankenhaus gebracht?“

Erstaunt weiteten sich seine Augen. „Woher ... ?“

„Ich habe Eins und eins zusammengezählt. Also was ist mit ihm?“

„Er ist …“ Wie drückte man das am besten aus? Wie sollte er erklären, was sich zugetragen hatte im letzten Inning? Was sollte er erzählen, was lieber auslassen?

„Er ist?“ 

Yuzuru atmete tief ein. „Er hat wohl eine ziemlich heftige Verletzung im Brustbereich und der Lunge … er ist zusammengebrochen, nachdem er den Run gemacht hat …“, presste er heraus, ehe er weiter lief. Er hatte dafür jetzt einfach keine Kraft, wollte nur so schnell wie möglich zum Krankenhaus.

Zu seiner Überraschung folgte ihm Ayano. „Fährst du ins Krankenhaus?“, fragte sie. 

„Und wenn?“ 

„Dann werde ich mitkommen. Ich will wissen, was mit Tooru ist. Wir sind immerhin Freunde.“ Yuzuru hatte keine große Lust Ayano mitzuschleppen, aber ihm war auch klar, dass es ihr nicht verbieten könnte. Sie war der Typ, der ihren Willen durchsetzte und er wollte in dieser Situation auch keinen unnötigen Streit anfangen, also nickte er und stieg kurz darauf gemeinsam mit den beiden Frauen ins Taxi ein. 


Eine Stunde später saßen sie in einem Warteraum, der für Angehörige von OP-Patienten hergerichtet worden war. Yuzuru knetete sich nervös die Hände, während Ayano gegenüber von ihm mit dem Fuß auf und ab wippte. Als sie im Krankenhaus angekommen waren, hatte man ihnen gesagt, dass sich Nakamura derzeit im OP befände und sie warten sollten. Er sah durch die gläserne Wand auf den Flur, wo Yamazaki gerade intensiv mit einem Mann sprach. Nakamuras Vater, vermutete Satoki. Nakamura hatte ihm erzählt, dass sein Vater eine Werkstatt hatte und bei dem Mann konnte er an den Händen erkennen, dass er viel damit arbeitete.

Er seufzte und lehnte den Kopf in den Nacken. Sein Blick ging an die Decke. 

Sie hatten gerade das Turnier gewonnen, würden zu den Koshien fahren und dennoch wollte sich immer noch keine Freude in ihm zeigen. Da war nur diese verflixte Angespanntheit! Nakamura hatte eine verflucht schwierige Persönlichkeit, war bei Weitem kein Charakter, mit dem man leichten Umgang hatte, aber dennoch waren sie so etwas wie Freunde. 

Wieso zur Hölle musste Nakamura auch immer alles für sich behalten? Wieso hatte er unbedingt dieses Spiel machen müssen, obwohl jeder vernünftige Mensch sich für seine Gesundheit entschieden hätte? 

„Wo ist er umgekippt?“

Yuzurus Kopf ging wieder nach vorne und er sah Ayano an. „Ist das wichtig?“

„Ich weiß nicht … nein, eigentlich nicht.“

Sie verfielen wieder in schweigen. Yuzuru sah auf die Wanduhr. Seit Yamazaki rausgegangen war, waren erst fünf Minuten verstrichen und doch kam es ihm wie eine volle Stunde vor. Wie lange dauerte so eine OP? 

„Es war nach seinem Run.“ Yuzuru lehnte sich wieder zurück und starrte einmal mehr an die Decke. „Ich habe gesehen, dass er schwer atmet und viel geschwitzt hat … dann bin ich mit ihm in die Kabine und habe ihm gesagt, er solle jemand anderen übernehmen lassen …“

„Und dann?“

„Er ist aufgesprungen, war plötzlich kreidebleich und ist dann wie ein nasser Sack in sich zusammengebrochen. Ich konnte ihn gerade noch auffangen.“ Yuzuru schwieg für einige Sekunden. Die schrecklichen, angsteinflößenden Bilder waren immer noch in seinem Kopf, ließen sich nicht verbannen. „Er hat kaum Luft bekommen, seine Lippen … sie waren ganz blau“, hängte er mit dünner Stimme an.

„Wieso wurde Tooru nicht vorher aus dem Spiel genommen?“ Die Schärfe in ihrer Stimme überraschte Yuzuru. „Es war doch offensichtlich, dass er verletzt war. Ich habe es ja sogar von der Tribüne gesehen!“

„Es schien nur eine oberflächige Verletzung zu sein … Nakamura wollte unbedingt spielen und da es nach nichts Ernstem aussah …“ 

„Er ist ein Idiot!“ Ayano schnaufte. „Ein Idiot, den man vor sich selbst schützen muss!“ 

Wie recht sie doch hatte. Nakamura hatte am heutigen Tag viel riskiert, vor allem aber seine Gesundheit. Er konnte nur hoffen, dass es nicht so schlimm war, wie er befürchtete.

Yuzuru sah wieder auf die Uhr. Hatte sich der Zeiger überhaupt bewegt oder war sie womöglich stehengeblieben? 

Die Tür wurde geöffnet und wenig später trat Yamazaki in das Zimmer. Als Yuzuru sah, dass sie lächelte, fiel ihm ein dicker Felsbrocken vom Herzen. Das hieß zumindest, dass sie annährend gute Nachrichten hatte. 

„Die Operation ist beendet und Nakamura-kun ist so weit stabil“, berichtete sie ihnen.

„Wann dürfen wir zu ihm?“ Yuzuru war aufgesprungen und auch Ayano saß nicht länger in ihrem Stuhl.

Yamazaki verschränkte die Arme vor der Brust und sah sie ernst an. „Ich denke, für heute sollten wir alle nach Hause fahren …“

„Aber wir können doch auch, wo wir gerade hier sind zu Tooru“, erklärte Ayano ihre Hoffnungen. 

„Er wird noch einige Stunden schlafen von der Narkose und ist sicherlich erschöpft.“ Yamazaki sah in Richtung Flur, wo Nakamuras Vater weiterhin mit dem Arzt redete. „Es ist besser, wenn wir Nakamura etwas Freiraum lassen und dann morgen zu Besuch kommen, wenn er wieder etwas Wacher ist“, sagte sie mit Nachdruck. „Ich denke, dass ein Besucher reichen wird. Wir sollten der Familie den Vortritt lassen. Wir werden jetzt zurück zur Komae High fahren.“

„Aber …“, wollte Yuzuru ansetzen, doch Yamazaki ließ ihn nicht ausreden: „Nein, keine Widerrede! Wir werden jetzt gehen. Glaub mir, es ist besser so. Es war ein anstrengender Tag.“

Yuzuru sah auf den Boden und nickte schließlich. Er wusste ja, dass es stimmte, was sie sagte, doch er musste sehen, dass es ihm gut ging. Er musste es sehen, damit er die Bilder aus der Umkleide vergessen konnte.

7

Fortlaufende, monotone, rhythmische Geräusche drangen zu ihm durch. Tooru öffnete die Augen und stöhnte, als grelles Licht wie eine glühende Nadel in seine Augen stach. Er murmelte mit ausgetrocknetem Mund einen Fluch und schloss die Augen wieder. Nach einigen Sekunden versuchte er es noch einmal, blinzelte mehrmals, ehe sich seine Augen langsam an das Licht gewöhnt hatten.

Er blickte an eine weiße Decke.

Wo war er?

Er hob seinen linken Arm ein Stück und sah zu, wie die verschwommenen Umrisse immer schärfer wurden. Ein Pulsoximeter steckte auf seinem Zeigefinger, ein Kabel ging davon weg. Tooru drehte den Kopf zur Seite. Das Kabel führte zu einem Gerät und einem Infusionsständer. 

Er war also in einem Krankenhaus.

Wieso?

Erst jetzt bemerkte er eine Frau, die an seinem Bett stand.

„Wo …?“ Eigentlich wollte er noch ein „bin ich“ anhängen, doch dann hatte ihm die Stimme versagt.

Sie sah auf und lächelte. „Hallo“, sagte sie mit einer angenehmen, weichen Stimme. „Du bist im Krankenhaus, Nakamura-kun. Du hattest einen Unfall bei einem Spiel.“ 

„Bei einem … Spiel?“, fragte er, doch im gleichen Augenblick fiel ihm alles wieder ein. Das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen, die plötzlichen Schmerzen. Satoki hatte ihn in die Umkleide gezogen und dann … nichts.

Er musste zusammengebrochen sein.

„Warte, ich hole den Arzt. Er kann dir sicherlich Genaueres erklären.“

Er nickte und schloss die Augen wieder. Er wollte tief einatmen, doch als ein gleisender Schmerz durch seinen Brustkorb zog, ließ er es sofort bleiben. Hatten sie das Spiel gewonnen? Er konnte sich nicht mehr daran erinnern. Alles was seine Gedanken beherrschte, war eine eiserne Müdigkeit, der er sich nur zu gerne hingab.

Eine tiefe, männliche Stimme holte ihn wieder aus dem Dämmerschlaf: „Ich sehe, du bist aufgewacht Nakamura-kun.“ 

Er öffnete die Augen und verfolgte, wie ein großgewachsener, grauhaariger Mann an sein Bett herantrat. „Du wurdest am Nachmittag eingeliefert. Erinnerst du dich, was passiert ist?“ 

„Ja“, flüsterte er. 

Der Arzt nickte und fuhr dann fort. „Du hast zwei gebrochene Rippen, von denen sich eine in deine Lunge gebohrt hat und eine Arterie im Brustkorb angerissen hat. Wir können von Glück reden, dass sie nicht ganz durchtrennt wurde, denn sonst wäre die Sache sicherlich nicht so glimpflich geendet. Gleichzeitig hast du durch die Verletzung der Lunge einen Pneumothorax erlitten.“ 

Tooru nickte, obwohl es ihm bereits schwerfiel den Worten des Arztes zu folgen. Er wollte am liebsten wieder die Augen schließen und schlafen. Er war so unheimlich müde und das, obwohl er anscheinend lange geschlafen hatte. 

„Wir haben eine Drainage gelegt. Sie wird dafür sorgen das Blut und Luft entweichen können. Du wirst noch einige Tage zur Beobachtung auf der Intensivstation bleiben, danach wirst du auf die normale Station verlegen.“ Der Arzt lächelte. „Ich sehe schon, du bist noch sehr müde … verständlich, du hast sehr viel Blut verloren und die Narkose wirkt noch etwas nach. Wenn du etwas brauchst, zögere nicht den Knopf zu drücken.“ 

Tooru nickte wieder und schloss die Augen für einen Augenblick.

„Ich werde deinem Vater sagen, dass du wach bist und er einige Minuten zu dir kann, ja?“

Der braunhaarige Catcher brachte nur ein leises „Ja“ heraus, ehe er sich wieder seiner Müdigkeit hingab. Verdammt! Er fühlte sich, als wäre gerade die Examenwoche zu Ende und er hätte alle Nächte durchgelernt. 

Als seine Lider sich das nächste Mal öffneten, war der Arzt verschwunden und sein Vater saß an seinem Bett. 

Hayato Nakamura lächelte entkräftet. „Tooru, wie geht es dir?“

„Müde“, brachte er nur heraus.

„Hast du Schmerzen?“

Er hielt einen Moment inne, schüttelte dann aber den Kopf.

Alles, was ihn umgab, war ein eigenartiges, taubes Gefühl. Vielleicht hatten sie ihn mit Schmerzmitteln zugedröhnt oder aber die Narkose lag immer noch über seinen Sinnen?

Sein Vater lächelte wieder. „Ich hatte Angst um dich, als der Anruf kam, dass du bei einem Spiel …“

Er schluckte schwer. „Es tut mir leid, ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machen musst.“

Hayato Nakamura fuhr mit seiner Hand durch die kurzen Haare. „Ich kann nicht noch jemanden verlieren, der mir wichtig ist … ich bin so froh, dass es dir gut geht.“ 

Sein Vater griff nach Toorus linken Hand und drückte sie fest. „Ich bin so froh“, wiederholte er leise.

Sie saßen einige Minuten stumm nebeneinander und Toorus Augen begannen sich wieder zu schließen. Doch ehe er sich wieder der wohligen Schwärze hingab, durchzuckte in ein Gedanke. Das Spiel! Was war mit dem Spiel? 

Seine Augen öffneten sich einen Spalt. „Komae … haben wir …“, er fuhr mit der Zunge über seine trockenen Lippen, „… haben wir das Spiel gewonnen?“

Die Pupillen seines Vaters weiteten sich überrascht. „Ich weiß nicht … es tut mir leid, auch wenn zwei Schulkameraden hier waren, ich habe sie nicht gefragt …“

„Zwei Schulkameraden?“ 

Angst machte sich in seinem Körper breit. Satoki hatte das Spiel doch nicht aufgegeben? Er war sich sicher, dass er einer der beiden Schulkameraden sein musste. War es am Ende seine Schuld gewesen, dass sie die Meisterschaften nicht erreichten?

„Ja, ein Mädchen und ein Junge … sie waren vielleicht etwas Kleiner als du. Ich glaube, sie hieß Yui … ja, du hast sie mir mal vorgestellt nach einem Spiel in der Little League.“

Tatsächlich war es das einzige Baseballspiel, welches sein Vater jemals besucht hatte. Nachdem seine Mutter gestorben war, hatten sie sich voneinander entfernt. Sein Vater hatte sich in die Arbeit geworfen, während er selbst das hinterlassene Loch mit Baseball gestopft hatte.

„Mein Handy“, presste er heraus, „wo ist mein Handy?“ 

Vielleicht hatten sie ihm ja eine Nachricht geschrieben, ansonsten könnte er schnell eine SMS schreiben, auch wenn er sich gerade lieber jede Bewegung sparen wollte.

„Du hattest nur deine Uniform bei dir, als du eingeliefert …“

Sein Vater kam nicht dazu auszusprechen. „Kannst du herausfinden, ob Komae gewonnen hat?“, hängte er eilig an.

„Tooru, ich weiß nicht, ob du dich jetzt damit belasten solltest. Du solltest schlafen, ich sehe ja, wie müde du bist.“

„Bitte! Ich muss das wissen …“ 

„Tooru.“

„… Es ist wirklich wichtig, Papa!“

Sein Vater schien einige Sekunden nachzudenken, dann nickte er und stand auf. „Ich werde sehen, was sich machen lässt. Du gibt’s ja sonst doch keine Ruhe.“

Als sein Vater aus der Tür getreten war, ging Toorus linke Hand an seine Brust und er befühlte den Verband, der um seine Rippen lag. Dann schlug er vorsichtig die Decke zur Seite und begutachtete das Werk der Ärzte genauer. Ein dünner, durchsichtiger, mit Blut gefüllter Schlaucht ragte aus dem Verband heraus und führte unter das Bett. 

„Scheiße“, flüsterte er leise und ließ den Kopf wieder in das Kopfkissen sinken, nachdem er die Decke wieder zurückgeschlagen hatte.

Wie lange es wohl dauern würde, bis er wieder spielen konnte? Wann war das letzte Mal, dass er sich länger nicht bewegen konnte? Es war lange her, denn bisher hatte er immer Glück gehabt und war großen Verletzungen entkommen. 

Er schluckte schwer. Mit einem Mal bekam er Angst, vor dem was ihn erwartete. Er musste in Bewegung sein, auf dem Baseball-Feld Bälle werfen, den Schläger schwingen, die Gegner analysieren, alle aus den Pitchern herausholen. Er musste … er musste spielen …

„Ihr habt das Spiel gewonnen. 6:5.“

Tooru zuckte zusammen, als die Stimme seines Vaters ertönte. Er war so tief in Gedanken gewesen, dass er überhaupt nicht mitbekommen hatte, dass er zurück im Zimmer war. 

Immerhin etwas, dachte er. Sie hatten das Ergebnis tatsächlich nach Hause gebracht. Sein Team hatte es zu den nationalen Meisterschaften geschafft. Sie waren am Ziel! Fünf Monate. Er hatte fünf Monate Zeit, um wieder fit zu werden. Das würde doch reichen? Es musste reichen …

8

25. Oktober


Yuzuru klopfte und trat dann in das Krankenzimmer. Nakamura saß aufrecht im Bett und zog sein bekanntes Lächeln auf, als er ihn erblickte. Er sah blass aus, aber er hatte es sich um einiges schlimmer vorgestellt, als das, was er jetzt vorfand. Auf den ersten Blick schien der störrische Catcher bereits wieder fit zu sein. 

Er hielt die Reisetasche hoch. „Ich habe dir einige Sachen mitgebracht … was zum Anziehen, ein paar Zeitschriften, so was eben …“ Yuzuru stellt die Tasche hin, öffnete sie und zog dann etwas heraus. „Und ganz wichtig, deine Brille.“

Der Shortstop trat an das Bett und reichte sie Nakamura. Sein Blick fiel auf den Schlauch, der unter der Bettdecke hervorkam und in einem Beutel endete, der am Bettgestell hing.

„Du hast uns einen ganz schönen Schrecken eingejagt“, brachte er mit heißerer Stimme hervor.

„Wer hätte gedacht, dass ich dir mal einen Schrecken einjagen könnte.“ Nakamura grinste schief und setzte die Brille auf die Nase. „Schon viel besser, nun weiß ich auch, was die mit mir hier anstellen.“ 

Nakamura lachte auf, verzog dann jedoch das Gesicht vor Schmerzen. „Scheiße“, stöhnte er leise und schloss für einen Moment die Augen.

„Geht’s? Soll ich einen Arzt holen“, fragte Yuzuru besorgt, doch Nakamura schüttelte den Kopf. „Nein … alles gut … bin nur an den Schlauch … alles gut.“ 

Yuzuru zog sich einen Stuhl an das Bett und setzte sich hin. Für einen Moment überlegte er, ob er über die Sache sprechen sollte. Über die Minuten, in denen Panik die Umkleidekabine erfüllt hatte. Über die Angst, die er verspürt hatte und sicherlich auch Nakamuras Körper beherrscht hatte. Doch schließlich entschied er sich dagegen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sein Klassenkamerad darüber sprechen würde. „Ich soll dir vom Team gute Besserung ausrichten“, sagte er stattdessen.

Aus dem Bett kam ein leichtes Nicken. „Wie ist das Spiel gelaufen?“

„Frag nicht!“

„Ihr habt gewonnen, es kann so schlimm nicht sein …“

Yuzuru kratzte sich am Hinterkopf. „Vielleicht war es am Ende mehr Glück als Verstand.“ Yuzuru hatte das Verlagen Nakamura einen Klaps zu geben, konnte sich aber gerade noch zurückhalten. Immerhin war es irgendwie vor allem seine Schuld, weshalb das Team so viele Probleme hatte, das Spiel sicher nach Hause zu bringen. 

„Yamada hat sich schwergetan danach wieder ins Spiel zu kommen und schon hatten wir Runner auf der ersten und zweiten Base“, berichtete Yuzuru. „Mit Ach und Krach haben wir dann aber doch noch die Outs bekommen.“

„Ich habe das Team wohl mehr zurückgehalten, als dass ich wirklich zum Sieg beigetragen habe …“ Nakamura ließ den Kopf in das Kissen sinken und schloss die Augen. 

Yuzuru schwieg. Er wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Es war selten, dass Nakamura Schwäche zugab und so konnte er mit dieser Ehrlichkeit nicht wirklich gut umgehen. 

„In zwei Wochen ist das Jingu Tournament“, kam es stattdessen von Nakamura, der die Augen weiterhin geschlossen hatte.

Das Jingu Tournament war ein Turnier, an dem die zehn Schulen teilnahmen, die ihre jeweiligen Herbstturniere gewonnen hatte. Im Vergleich zu den Koshien handelte es sich aber eher um ein kleines Turnier.

„Du willst doch wohl nicht spielen?!“, presste Yuzuru heraus.

Es war ein leises Kichern zu hören. „Selbst ich weiß, dass ich bis dahin nicht wieder fit sein werde.“ Die Hand des Catchers rastete bei den Worten auf seiner Brust. 

„Kawashima muss an seiner Kontrolle arbeiten und Yamada seinen Changeup verbessern und …“

Yuzuru hob die Hand. „Stopp!“ 

„Mhm?“

„Du hast tatsächlich nur Baseball im Kopf!“

Nakamura öffnete die Augen. „Wir können uns jetzt nicht auf dem Erreichten ausruhen, das nächste Turnier steht immerhin vor der Tür.“

„Als dein Vize-Kapitän verordne ich dir eine baseballfreie Zeit.“

„Und was soll ich damit anfangen, huh?“ Nakamura grinste. „Es ist gerade das Einzige, was ich für das Team tun kann. Könntest du mir ein Video von dem Finale beschaffen?“

„Oi, haben die Ärzte dir nicht gesagt, dass du dich schonen sollst?“

„Ein Video sehen, ist wohl kaum unter körperlicher Anstrengung einzuordnen“, wehrte sich Nakamura. „Es wird sicher eh nicht lange dauern und ich komme hier wieder raus.“

Yuzuru seufzte. So leicht war ihm sein Starrsinn wohl nicht auszutreiben, aber Nakamura hatte Recht. Es würde nicht wehtun, wenn man ihm ein paar kleine Aufgaben aus dem Team übergeben würde. So hatte er in diesem langweiligen Krankenhaus-Alltag zumindest etwas Beschäftigung. „Haben die Ärzte schon gesagt, wann du wieder rauskommst?“

Er nahm ein leichtes Kopfschütteln zur Kenntnis. „Er sagte etwas von maximal zwei Wochen, oder so.“

„Und danach?“

„Absolute Schonung für mindestens vier Monate, bei einem guten Verlauf …“

Satoki schluckte. Es würde also eng werden mit den nationalen Meisterschaften. Bei dieser Diagnose konnten sie nicht darauf bauen, dass er hundertprozentig das Team unterstützen könnte. Die wichtigste Säule im Team könnte wegbrechen und das bereitete ihn schon jetzt große Kopfschmerzen. Nakamura war derjenige, der die wichtigsten Aufgaben auf seinen Schultern trug, wie sollten sie diese Lücke schließen ohne dabei zu viel Schlagfertigkeit im Team zu verlieren?

Denn das sie durch den Wegfall ihres Kapitäns schwächer werden würden, dass stand für Yuzuru außer Frage. Nur wie viel Schwächer, das würden sie wohl erst sehen, wenn es ernst würde.

„Das ist eine Menge“, antwortete er.

Wieder lachte Nakamura, aber wohl eher, um seine eigene Unsicherheit zu überspielen. „Keine Angst, bei den Meisterschaften bin ich wieder da und das ist schließlich das Turnier, auf das es ankommt!“ 

„Wir würden auch ohne dich nicht untergehen!“, erwiderte Yuzuru und lachte ebenfalls laut. „Du hältst dich für Wichtiger, als du tatsächlich bist!“


Yuzuru war noch eine halbe Stunde geblieben, doch als er sah, dass Nakamura immer öfter und länger die Augen schloss, beendete er seinen Besuch unter dem Vorwand, dass er unbedingt pünktlich zum Training kommen wollte. Eine Lüge. Angesichtes des gewonnen Turniers hatte ihnen der Trainer heute nämlich tatsächlich einen freien Tag gegönnt. Doch so verletzte er zumindest nicht den Stolz von Nakamura, der ohnehin einen kleinen Knacks dadurch bekam, dass ihm nichts weiter blieb, als im Bett zu liegen und den Körper zu schonen.


9

Es war später Abend als Tooru wieder wach wurde. Sein Blick ging in Richtung Fenster und er sah raus in den Himmel. Dicke, graue Wolken zogen vorbei und schienen seine derzeitige Stimmung widerzuspiegeln.

Alles, was er aktuell tat, war gute Miene zum bösen Spiel machen. Tooru fragte sich, ob Satoki ihn wohl durchschaut hatte. Eigentlich durchschaute er ihn immer, doch heute, da schien er ihm wirklich abgenommen zu haben, dass er sich mit dieser Sache abgefunden hatte. Dass es der festen Überzeugung war, dass er es zu den Koshien schaffen würde.

Er war sich im Klaren darüber, wie viel Zeit die Rehabilitation in Anspruch nehmen würde. Nun hatte er alles für dieses Ziel gegeben und nun, da schien alles umsonst gewesen zu sein.

Er spürte, wie sich in seinem Hals ein dicker Kloß bildete, seine Hand umklammerte die Bettdecke und er gab sich Mühe, nicht zu weinen. Alles nur, weil er sich von diesem Idioten hatte umnieten lassen! Eine winzige Sekunde Unaufmerksamkeit hatte ihm den Boden unter den Füßen weggerissen. Er wusste nicht, wie er das durchstehen sollte. Hatte keine Ahnung, ob er mit dem Rückschlag fertig würde.

Seine Hand fuhr über sein Gesicht.

Bloß nicht weinen, bloß nicht weinen, du bist doch kein Weichei, Tooru. Du stehst das durch, du steckst die kleine Pause weg, bist zu den Koshien wieder fit …

Ein Klopfen an der Tür holte ihn aus den Gedanken. Er schloss die Augen, sammelte sich und rief ein heiseres „Ja“, in Richtung Zimmertür. Wenig später wurde sie geöffnet und Yui kam herein.

Tooru zog ein schiefes Grinsen auf. Mit ihr hatte er nicht gerechnet.

„Bist du gekommen, um mir einen Einlauf zu geben?“, fragte er in einem leicht ironischen Unterton.

Zu seiner Überraschung ging Yui nicht auf seinen Spruch ein. Sie hielt eine kleine Schachtel hoch. „Ich habe dir Schokolade mitgebracht. Ich hoffe, du darfst so etwas Essen.“

„Es ist meine Lunge, nicht mein Magen“, erwiderte Tooru und nickte in Richtung des Nachtschränkchens. „Leg sie ruhig darauf … ich würde mir gerne jede Bewegung ersparen.“ Er klopfte sanft auf die Decke. „Ist nicht angenehm, so ein Schlauch in den Rippen.“ Er lachte leise auf, ließ es dann jedoch bleiben, als sich eine Schmerzwelle ihren Weg durch seinen Körper bahnte.

Yui legte die Schokolade auf das Nachtschränkchen und zog dann einen Stuhl ans Bett. Ihre Augen fixierten den Schlauch, der unter der Bettdecke hervorguckte. Kein besonders netter Anblick, aber Tooru hatte sich inzwischen daran gewöhnt, dass sich da unter ihm Blut sammelte.

Sie knetete sich die Finger. „Wie geht es dir, Tooru?“

„Gut … die haben das alles wieder hinbekommen.“

„So siehst du das also?“ Yuis laute Stimme hallte in seinem Schädel wieder. „Du hättest sterben können!“

„Nun wirst du aber theatralisch!“ 

Tooru grinste schief, doch das schien Yui nur noch wütender zu machen.

„Was wenn die gebrochene Rippe die Arterie komplett durchtrennt hätte, mhm? Dann hättest du es womöglich nicht lebend bis ins Krankenhaus geschafft!“ 

Das Grinsen in seinem Gesicht erstarb. Er hatte dieses Detail bewusst gegenüber seinen Freunden verschwiegen, woher also hatte sie diese Information? Sie hatte doch nicht etwa …

„Du hast mit meinem Vater gesprochen“, stellte er fest. 

Yui verschränkte die Arme vor der Brust. „Es ist nicht verboten, sich über einen Freund zu informieren!“

„Haha, ist ja gut, ist ja gut … bekomm mir nicht einen deiner Anfälle!“ 

„Mhmpf!“, Yui schnaufte durch die Nase. „Es gibt Grenzen, auch für einen ignoranten Idioten wie dich!“

„Ich habe es begriffen“, presste Tooru hervor. Es gab wirklich nichts Schlimmeres, als Yui in Höchstform. Sie war schon immer dafür bekannt gewesen, dass man sie lieber meiden sollte, wenn sie einen ihrer Wutanfälle hatte.

„Ich hoffe, du lernst auch daraus, sonst wird deine Karriere eine ganz kurze werden!“ 

Tooru war froh, als die schrille Stimme endlich verstummte, er begann Kopfschmerzen zu bekommen. 

„Wirst du bis zu den Meisterschaften wieder gesund?“, fragte Yui nach einigen Minuten der Stille. „Ich meine, du wirst doch spielen können, oder?“

Tooru grinste, versuchte die Unsicherheit, die an ihm nagte, zu überspielen. „Es wird knapp werden, aber wenn alles gut verheilt, könnte es durchaus möglich sein.“

Das war es, woran er sich festklammerte. Vier Monate hatte der Arzt gesagt … er solle mit maximal vier Monaten rechnen, ehe er wieder mit hartem Training beginnen könne. Gerade, da seine Position Catcher war, sollte er nicht riskieren, dass die frisch geflickten Rippen durch eine Kollission erneut brachen. Auch benötigte die Lunge eine gewisse Zeit, bis sie verheilt war. Dass hieß, er würde noch einen Monat, bis zum Auftakt der Meisterschaften haben wieder in Form zu kommen. Er musste Muskeln aufbauen, sein Batting verbessern, sich wieder auf die Pitcher einstellen. Vielleicht dürfte er mit leichtem Ausdauertraining bereits früher beginnen. Dann könnte er zumindest schon die Beinmuskeln trainieren.

„War es das wirklich wert?“

„Wie bitte?“ Tooru lachte leise. „Bist du damit immer noch nicht durch?“

„Koshien zu riskieren, nur weil du deine Position nicht aufgeben wolltest?“

„Darum ging es nicht“, wiegelte Tooru ab. „Das war nicht der Grund …“

„Ach nein? Du hast nicht wirklich viel zum Sieg beigetragen, oder?“, fragte Yui. 

„Also hör mal …“

„Du bist deiner Aufgabe als Cleanup nicht wirklich nachgekommen … du hast erbärmlich gespielt. Einzig deine Entscheidungen als Catcher waren so, wie man sie von dir kennt.“ 

Tooru schluckte die bittere Pille und erwiderte nichts mehr. Yui sprach am Ende nur das aus, was er selbst bereits dachte. Den Löwenanteil zu diesem Sieg hatten andere geleistet – unter anderem Kawashima, der das Team zurückgebracht hatte, als sie am Untergehen waren.

„Ich hatte Angst um dich“, fügte sie leise hinzu. „Ich hatte noch nie in meinem Leben solche Angst.“

Tooru hatte den Drang nach ihrer Hand zu greifen, sie zu trösten. Ihr zu sagen, dass er das alles nicht wollte. Er ließ es aber bleiben. Stattdessen lächelte er nur. „Unkraut vergeht nicht, oder wie heißt es so schön?“

„Darüber macht man keine Witze“, grummelte Yui, dennoch schmüchte ein sanftes Lächeln ihr Gesicht.


Als Yui gegangen war, lehnte sich Tooru in seinem Kissen zurück. Obwohl er das Gefühl hatte schon den ganzen Tag verschlafen zu haben, war die bleiende Mündigkeit nicht aus seinem Körper gewichen. Er schloss die Augen und gab sich der wohligen Erschöpfung hin, die seinen Körper erfüllte und glitt in einen leichten Schlaf hinüber.


10

26. Oktober

„Satoki-Senpai!“ 

Yuzuru drehte sich herum, als Kawashimas Stimme von der anderen Seite des Feldes erklang. Kurz darauf joggte der Pitcher in seine Richtung. 

Der Trainer hatte beim Morgentraining der gesamten Mannschaft die Neuigkeiten überbracht, wie es bei Nakamura aussah und wie lange der Catcher nach ersten Schätzungen ausfallen würde. Im gleichen Zuge hatte er Yuzuru als vorübergehenden Kapitän ernannt. Einen Titel, bei dem er sich nicht ganz wohl fühlte. Sicher, vor einigen Wochen, als es um die Neuverteilung der Rolle ging, war er heiß darauf gewesen Kapitän zu werden, doch nun fühlte es so an, als würde er Nakamura seine Rolle entreißen.

Darüber hinaus hatte Trainer Okada angekündigt, dass er für die Phase zwischen den Turnieren einige Testspiele angesetzt hatte. Er wollte, dass die Mannschaft so viele Erfahrungswerte mitnehmen konnte, wie nur möglich. 

Yuzuru sah über das Feld. Alle in der Mannschaft arbeiteten hart und doch waren heute ungewöhnlich viele Fehler zu erkennen. Keiner schien so wirklich bei der Sache zu sein. Ihm selbst ging es da nicht anders. Zu sehr war er damit beschäftigt, was er für das Team tun konnte und wie zur Hölle sie Nakamura ersetzen sollten. 

„Satoki-Senpai. Darf ich mit ins Krankenhaus!?“

Sein Kopf wandte sich zu Kawashima, der inzwischen bei ihm angekommen war.

„Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist. Du solltest warten, bis er wieder auf der normalen Station ist.“

„Ich will mich selbst überzeugen, dass es Nakamura gut geht!!“ 

Er hielt sich ans Ohr. „Nun schrei doch nicht so, ich verstehe dich auch so ganz gut, du stehst ja direkt vor mir.“

„Du hast gesagt, dass auch zwei Besucher hindürfen!“ 

Kawashimas Stimme war nicht wirklich leiser geworden und er seufzte. Natürlich hatte er das gesagt, aber es war erst der zweite Tage, da wollte er Nakamura noch etwas Ruhe geben vor diesem Schreihals. 

„Okay, Vorschlag. Ich frage später, ob ich dich morgen mitbringen kann, wie ist das?“

„Du könntest mich auch heute schon mitnehmen!“, kam sofort der Widerspruch.

„Vielleicht ist es ihm nicht recht.“

„Aber … na ja, ist schon gut, dann machen wir das so.“ Kawashima grinste und verschwand dann wieder auf das Feld, wo er in wenig später das Batting trainieren sah.


Yuzuru setzte sich auf die Erde, zog die Knie an seinen Oberkörper und schlang die Unterarme darum. Aus dem Kerl sollte mal einer schlau werden. Und so sehr er es hasste, er musste gerade wirklich aus ihm schlau werden. Dass was Kawashima vor einer Stunde in der Bullpen abgeliefert hatte war fürchterlich gewesen. Im Finale hatte er stark gespielt, keinen Fehler gemacht. In der letzten Hälfte war er ausgetauscht geworden. Hatte das vielleicht dazu geführt, dass er glaubte, dass der Trainer kein Vertrauen in seine Leistung hatte? Nein … das war es nicht. Es gab noch etwas anders, was beim Finale passiert war. Nakamura. Es konnte auch damit zu tun haben. Brachte er Yoshida nicht das gleiche Vertrauen entgegen? Wieder schüttelte der den Kopf. Kawashima trainierte viel häufiger mit Yoshida als mit Nakamura, da der sich meist um den Ace gekümmert hatte. 

Er stöhnte und raufte sich durch die Haare. Das war doch zum Verrückt werden! Nie hätte er gedacht, dass der Job des Kapitäns so schwer war. 


11

27. Oktober

Tooru wusste, dass der Arzt nichts Positives zu vermelden hatte, ehe er den Mund aufmachte. Heute hatte eigentlich der Tag sein sollen, an dem er auf die normale Station dürfte, doch nun war alles ganz anders gekommen. Über Nacht hatte er leichtes Fieber bekommen und alle Pläne waren über den Haufen geworfen worden.

Man vermutete eine Lungenentzündung, hatte ihm Blut abgezapft, um ganz sicher zu gehen.

„Deshalb denken wir, dass es besser ist, wenn du noch einige Tage auf der Intensivstation bleibst“, erklärte der Weißkittel vor ihm.

Tooru sah an dem Arzt vorbei aus dem Fenster und nickte stumm.

„Du brauchst jetzt viel Ruhe und wir versuchen eine Antibiotika-Therapie. Das Lungenvolumen liegt aktuell noch in einem guten Niveau, daher sind wir guter Dinge, dass wir den Infekt schnell in Griff bekommen“, sagte der Arzt.

Als die Ärzte gegangen waren, tauschte die Krankenschwester noch die Infusion aus und dann ließ man ihn alleine. Tooru drehte den Kopf vom Fenster weg und sah stattdessen an die Decke. Das Glück war derzeit wohl nicht sein stetiger Begleiter und er musste seine Pläne einmal mehr über den Haufen werfen. Er hatte geglaubt, dass er nicht viel länger als eineinhalb Wochen im Krankenhaus verbringen müsste – immerhin war das die Prognose, die ihm der Arzt mitgeteilt hatte – doch nun schienen es wohl ein paar Tage mehr zu werden. Was in aller Welt sollte er mit der ganzen freien Zeit anfangen? Er seufzte. Er hatte Besseres zu tun, als hier im Bett zu liegen und Zeit totzuschlagen, Zeit die er deutlich sinnvoller nutzen konnte. Aus welchem Grund hatte seine Rippe auch den Geist aufgegeben? Wann hatte er die Grenze überschritten? Als er sich in seinem letzten Run auf die Base geworfen hatte? Das war der Moment, als ihn alle Kräfte mit einem Schlag verlassen hatten. Nur das Adrenalin hatte dafür gesorgt, dass er überhaupt aufstehen konnte und im Nachhinein war Tooru sich sicher, dass er es vermutlich auch nicht geschafft hätte die zweite Hälfte des letzten Innings zu spielen. Es wäre sicherlich in einer Katastrophe geendet, hätte er die letzten Spielzüge gemacht. Nach seinem Run hatte er nicht klar denken können, wie hätte er da taktische Entscheidungen treffen sollen? 

Er schloss die Augen und rechnete in seinem Kopf einmal mehr die Tage aus, die ihm noch bis zu den Nationalen Meisterschaften blieben. 

Irgendwann musste er eingenickt sein. Ein lautes Klopfen ließ ihn hochfahren und im gleichen Moment erinnerte er sich daran, dass Satoki ihm gestern gesagt hatte, dass er mit Kawashima vorbeikommen würde.

Kurz darauf wurde die Tür aufgestoßen. „Nakamura, wie geht es dir heute!!?“

Definitiv die aufdringliche Stimme des Erstklässlers, Kawashima.

Tooru kicherte. „Ich sehe schon, du hast das Senpai immer noch nicht gelernt.“

Hinter Kawashima kam Satoki ins Zimmer. „Haben wir dich geweckt? Du siehst aus, als hättest du geschlafen.“

„Gut so, Nakamura! Schlaf ist das Wichtigste, wenn man gesund werden will!“ 

„Oi!“ Satoki gab dem Jüngeren einen Klaps auf den Hinterkopf. „Ruhe auch, falls es dir entgangen ist, also schraub dein Organ runter.” 

Satoki zog Kawashima durch das Zimmer, zu dem kleinen Tisch, der am Fenster stand, und drückte ihn auf einen der Stühle. Danach setzte er sich auf den Zweiten. „Und, haben wir dich geweckt?“

„Ach was“, Tooru lachte, „ich habe nur gedacht, dass es wenig Sinn macht die Haare in Ordnung zu bringen, wenn ich doch nur hier herumsitze.“

„Wann kommst du auf die Normalstation? Das Team brennt darauf, mal mit einigen Personen mehr aufzukreuzen.“

Was sollte er darauf antworten? Keinesfalls wollte Tooru, dass sich Satoki Sorgen machte, aber dummerweise hatte er ihm erzählt, dass es nur maximal drei Tage sein würden, die er auf der Intensiv bleiben musste und die waren inzwischen rum. 

„Nakamura?“

Er kicherte. „Die wollen noch etwas warten, schauen wie die Lunge verheilt.“ Dann hob er die Bettdecke an. „Aber schau, der Schlauch ist schon raus!“

„Die haben da wirklich einen Schlauch reingesteckt!?!“ Kawashima war aufgesprungen und stand nun direkt vor seinem Bett. 

Toorus Sorge war aber eine andere Person. Unauffällig sah er am Pitcher vorbei und studierte Satoki. Hatte er ihm geglaubt? Es schien zumindest so. 

Er zog sein altbekanntes Grinsen auf. „Um Luft und Blut aus der Lunge zu ziehen, sollten die vielleicht auch bei deinem Kopf machen? Könnte Wunder bewirken.“

„Pah! Vielleicht sollte man das eher bei dir machen!“ Kawashima verschränkte die Arme vor der Brust und schnaubte laut. „Du hättest uns sagen sollen, dass du verletzt bist!“ 

Toorus rechte Hand ging an sein Ohr. „Oi, nicht so laut. Sonst bekomme ich auch noch ein Loch im Trommelfell und nicht nur der Lunge.“ 

Der Pitcher setzte sich geschlagen wieder auf seinen Stuhl. „Verfluchter Idiot“, schimpfte er leise. 


„Wie läuft das Training?“, fragte Tooru. Er wollte so schnell wie nur möglich das Thema wechseln, ehe Satoki wieder auf seine Gesundheit zu sprechen kam.

„Morgen haben wir ein Testspiel!“ 

Natürlich war es Kawashima gewesen, der geantwortet hatte. Tooru hatte es auch überhaupt nicht anders erwartet. 

„Schon? Der Trainer scheint es eilig zu haben.“

„Tja, uns fehlt ein wichtiger Spieler. So ein bestimmter Catcher, der sich zur Stützsäule des Teams entwickelt hat“, antworte Satoki. „Ich denke, er will, dass wir als ein komplettes Team ohne dich spielen.“ 

„Wer ist der Gegner?“ 

„Oshima.“

Der Catcher nickte. Oshima war ein Team, was sie schlagen konnten und vielleicht würde das der angeschlagenen Mannschaft ja Aufschwung geben? „Wird Yamada spielen?“

„Nein“, erklärte Satoki, „seine Schulter hat gestern im Training gezwickt, deshalb hat er vorerst die strenge Auflage, kein Wurftraining zu machen und natürlich auch kein Spiel.“

„Mach dir keinen Sorgen, Nakamura!“ Kawashima lachte laut auf. „Ich werde ihn mit Bravour ersetzen!“

„Noch weißt du überhaupt nicht, ob du im Team bist“, hielt Satoki dagegen.

Tooru lächelte. „Na, wenn er so spielt, wie im Finale, dann gehe ich fest davon aus. Das war wirklich ganz stark, Kawashima.“

„Haha, siehst du Satoki-Senpai … Nakamura schätzt meine Qualitäten!“ 


Als sich Kawashima und Satoki nach Eineinhalbstunden von ihm verabschiedeten hatten, fühlte sich Tooru elend. Er hatte große Schwierigkeiten gehabt, sich nicht anmerken zu lassen, dass er sich müde und kraftlos fühlte. Mit zittrigen Fingern griff er nach dem Becher auf seinen Nachtschränken und nahm gierig einige Schlucke Wasser, ehe er sich ins Kopfkissen zurückfallen ließ. Die Luft war stickig. Er konnte kaum atmen. Ihm war heiß. Sehr heiß. Erschöpft schloss er die Augen. Vielleicht sollte er aufhören sich vor seinen Teamkollegen zu verstellen? Diese ganze Scharade kostete seinem Körper mehr Kraft, als er aktuell übrig hatte. Er schüttelte innerlich den Kopf. Nein, bisher hatte er gut durchgehalten und er wollte keinesfalls, dass das Team sich mehr Sorgen machte, als nötig war. Zumindest hatte Satoki ihm beim Abschied gesagt, dass er am morgigen Tag wegen dem Testspiel nicht kommen würde. Sicher galt das dann auch für Yui. Den darauffolgenden Tag würde er sich dann sicherlich wieder besser fühlen.


12

28. Oktober


Tooru war froh, als man ihm nach zahlreichen medizinischen Untersuchungen am morgen endlich Ruhe gönnte. Er fühlte sich wie durchgekaut und ausgespuckt.

Am gestrigen Nachmittag hatte er gespürt, wie er immer schwerer Luft bekam, in der Nacht war es immer schlimmer geworden und auch spezielle Atemtechniken, die ihm gezeigt wurden, brachten nur wenig Entlastung. 

„Zur Erleichterung der Atmung werden wir dir eine Sauerstoffbrille geben“, erklärte ihm der Arzt am Ende der Visite.

Er nickte nur.

Inzwischen war er es leid, dass seit dem Finale des Herbsttuniers nichts so lief wie geplant. So würde er noch ewig im Krankenhaus festsitzen. Satoki hatte ihm gestern einige Daten vom Training dagelassen, aber am Ende war er zu müde gewesen, um sich damit ernsthaft auseinanderzusetzen. Er wollte doch das Team unterstützen, auch wenn er jetzt im Krankenhaus war. Aber was sollte er tun, wenn sein Kopf nicht dazu fähig schien, all diese Informationen sinnvoll zusammenzusetzen? 

Der Arzt legte ihm die bereitgelegte Sauerstoffbrille an. Bald strömte reiner Sauerstoff in seine Nase und erleichterte ihm tatsächlich das Atmen. 

„Soll ich deinen Vater anrufen?“

Tooru schüttelte den Kopf.

„Er kommt später“, sagte er. Er wollte keinesfalls, dass man seinen Vater wegen so etwas von der Arbeit wegrief, denn er wusste, dass er bis über beide Ohren zu tun hatte. Es gab haufenweise Aufträge, die er noch fertig bekommen musste, da wollte er ihn nicht aufhalten, zu mal sein Vater an der gegebenen Situation eh nichts ändern konnte und ein guter Gesprächspartner war sein Vater auch nicht, sodass er auch nicht helfen würde der Langeweile entgegenzuwirken.

„Okay, sag ihm bitte, er soll nach seinem Besuch bei mir vorbeischauen.“

„Ja.“


Als Tooru das Zimmer wieder für sich alleine hatte, sah er auf die Uhr. 12:30 Uhr. Bald würde das Testspiel beginnen. Am liebsten würde er Maus spielen, doch er war schlau genug, dass er sich in seinem derzeitigen Zustand wohl nicht einmal bis zum Ausgang des Krankenhauses schaffen würde. Alleine der Gang auf die Toilette, den er mithilfe der Pflegekräfte absolvierte, verlangte ihm seit gestern Abend alles ab. Jedes Mal, wenn er fertig war, schnappte er erschöpft nach Luft und schwarze Punkte flackerten vor seinen Augen. Also tat er das Einzige, das ihm derzeit ohne Probleme gelingen wollte und schloss die Lider, um sich eine Mütze Schlaf zu gönnen. 

Lange hatte er jedoch nicht seine Ruhe. Irgendwann wurde er von einem Klopfen geweckt und als er die Augen öffnete, sah er, wie Yui an sein Bett trat.

„Ich dachte, ihr habt ein Spiel“, murmelte er verschlafen.

Sie setzte sich. „Es ist nur ein Testspiel und es gibt noch andere Manager im Team.“ Yui musterte ihn lange. Viel zu lange für seinen Geschmack. „Wie geht es dir?“, fragte sie.

Tooru wusste, dass es unmöglich sein würde zu lügen. Vermutlich sah er so aus, wie er sich fühlte und doch brachte er es nicht über sich die volle Wahrheit zu sagen. Er wollte das Team nicht in Unruhe versetzen. Das Team und auch Yui.

„Ein bisschen Fieber“, sagte er. „Aber die Ärzte haben das im Griff.“

„Woher kommt das Fieber?“

„Eine kleine Erkältung, nichts von Bedeutung. In ein paar Tagen geht es mir wieder besser.“

Mühselig setzte er sich etwas in seinem Bett auf. „Denkst du, das Team kann heute gewinnen?“

Yui zögerte. Also hatte das Team Probleme. Er spürte einen Stich in seinem Herz. Er hatte das Team alleine gelassen und nun schien alles auseinanderzubrechen.

„Sie werden gewinnen“, sagte Yui, doch er glaubte ihr nicht. Ihre Mimik sagte etwas anders.

„Ich bin mir sicher, dass ich bald aus dem Krankenhaus raus bin.“

„Du solltest dir die Ruhe gönnen, die du brauchst.“ Yui lächelte. „Der Trainer von Hibiya war übrigens gestern bei uns und hat sich höflich für das Finale entschuldigt. Er sagt, dass sein Spieler dich keinesfalls verletzen wollte. Es sei in der Hitze des Gefechts passiert. Er hätte unbedingt diesen Punkt machen wollen.“

Tooru nickte. Er glaubte keinesfalls, das es in der Hitze des Gefechts passiert war, sondern vielmehr, dass man ihn mit voller Absicht umgehauen hatte.

„Meine Abwehr war wohl ziemlich wackelig“, murmelte er.

Yui spielte mit ihrem Pulloverärmel. „Tooru, ich … wenn du Hilfe brauchst oder einfach jemand zum reden, du weißt ja, dass ich immer ein offenes Ohr für dich habe.“

Tooru kicherte aufgesetzt. „Och, ich werde mich doch nicht bei einem früheren Pitcher von mir ausheulen.“

„Ich meine es ernst. Ich werde niemand davon erzählen. Du kennst mich, ich bin loyal.“

Er nickte. „Ich weiß.“

Sie schien darauf zu warten, dass er ihr sein Leid klagte, doch über seine Lippen kam kein Wort.

„Du hättest das Spiel nicht zu Ende machen sollen“, sagte Yui nach einer Weile.

„Das hattest du schon einmal gesagt.“

„Bei dir kann man sich nicht oft genug wiederholen“, erwiderte Yui. „Hättest du sofort aufgehört, dann hättest du die Lungenverletzung vermeiden können. Ich hoffe, darüber bist du dir im Klaren.“

Er nickte wieder. „Ja doch“, grummelte er. Natürlich war er sich dessen bewusst, aber er würde die Entscheidung wohl wieder treffen. Es war um so viel gegangen, da hatte er alles riskieren müssen.

Tooru schloss die Augenlider. Die Augen brannten unheimlich und die Hitze, die seinen Körper umgab schien immer größer zu werden.

„Soll ich gehen, willst du lieber schlafen?“

Als er nicht direkt antwortete, griff Yui nach seinem Arm. „Oder bist du schon eingeschlafen? … Du bist ja ganz heiß!“

„Ich sagte ja, ich habe Fieber“, murmelte er hervor und öffnete die Augen wieder. „Aber ja, wenn es dir nichts ausmacht, ich würde gerade lieber schlafen.“

Sie sah in seine Augen und stand dann auf. „Ich werde morgen wiederkommen, okay?“

„Du würdest es ja so oder so machen“, erwiderte Tooru und presste ein Lächeln heraus.


13

29. Oktober


Yuzuru begann Verdacht zu schöpfen. Dass die Ärzte Nakamura einige weitere Tage auf der Intensivstation hielten, konnte er verstehen, doch inzwischen waren es fünf Tage und es war sichtbar, dass etwas nicht stimmte. Nakamura machte seinem Bettbezug Konkurrenz und war bis auf der rotgefärbten Wangen kreidebleich. Außerdem schien er müder als die letzten Tage und trug eine Sauerstoffbrille im Gesicht. 

„Was hat das zu bedeuten und ich will die Wahrheit, Nakamura“, forderte er seine Antworten.

Der Catcher grinste schief. „Nichts Wildes, nichts worum man sich Sorgen machen muss.“

Yuzuru zog die rechte Augenbraue nach oben. Wollte er ihn verarschen? 

„Nur eine kleine Infektion, ein bisschen Fieber. Kommt vor …“ 

„Das sieht mir nicht so klein aus, wie du behauptest.“

„Nur zur Sicherheit“, wiegelte Nakamura ab, „nur zur Sicherheit.“


Yuzuru gab auf und setzte sich auf den Stuhl. Einmal mehr biss er nur auf Granit und sein Freund erzählte ihm nur die halbe Wahrheit. Denn da war er sich sicher, da steckte mehr dahinter. 

„Du willst dir, hier doch wohl keinen Urlaub von uns gönnen, oder was? Vollpension und so?“

Nakamura lachte laut auf, doch begann im nächsten Moment zu husten. Ein trockenes, raues Husten, was alles andere als gesund klang. Die Hand seines Freundes ging an seien Brust und grub sich in das T-Shirt. Das Gesicht verzog sich und Yuzuru meinte, ein leises Stöhnen zu vernehmen.

Doch so schnell es begonnen hatte, so schnell war es auch wieder vorbei.

„Wie ist das Testspiel gelaufen, das ihr gestern hattet?“, fragte Nakamura.

Dieser Mistkerl, dachte Yuzuru, lenkt geschickt von seiner Gesundheit ab. 

„Wir haben verloren“, erklärte Yuzuru, ohne auf die Details einzugehen. Am Ende war es ein Fehler zwischen Kondo und Yoshida gewesen, der den Ausschlag für ihren Niedergang gegeben hatte. Aber auch das restliche Team hatte sich nicht mit Ruhm bekleckern können. Wie konnte er das Nakamura erzählen? 

„Ich verstehe.“ Nakamuras Blick ging an ihm vorbei aus dem Fenster. „Wie hoch?“

„3:6. Wir hatten zwei gute Innings, doch dann haben wir zu viele Fehler gemacht und verloren. Vielleicht haben wir auch den Gegner unterschätzt.“

„Wie war die Pitcher-Reihenfolge?“

„Der Trainer hat erst Kondo und danach Kawakami eingesetzt.“

Nakamura richtete sich etwas auf. „Wieso kam Kawashima nicht zum Einsatz?“

Er zuckte mit den Schultern. „Ich weiß auch nicht, irgendwie ist er derzeit neben der Spur, hat die Kontrolle über seine Bälle verloren …“

„Neben der Spur …“ Der braunhaarige Catcher grinste. „Ich glaube vielmehr, er versucht neue Würfe.“

„Mhm?“

„Ich habe ihm immerhin versprochen, dass ich -“ Nakamura hielt inne, als er abermals husten musste. Doch dieses Mal fiel der Hustenanfall heftiger aus als zuvor. Er krümmte sich, bellte fast wie ein Hund und schnappte nach Luft. Als es vorüber war, lehnte er sich leicht benommen in seinem Kissen zurück. Schweißperlen rannen ihm über sein Gesicht.

Panisch war Yuzuru aufgesprungen. „Soll ich einen Arzt holen, Oi Nakamura!“ 

„Nein … ein Glas Wasser reicht“, presste Nakamura hervor, während er immer noch um jeden Luftzug kämpfte. 

„Bist du sicher? Ich meine, du …“

„Wasser … reicht“, wiederholte Nakamura leise. Der Hustenanfall hatte inzwischen aufgehört, doch es war dem Kapitän von Komae anzusehen, wie erschöpft er war.

Yuzuru hielt ihm den Trinkbecher hin. „Soll ich dir helfen?“

„Geht schon …“ Nakamura griff mit zittrigen Fingern nach dem Becher und hielt ihn sich an die Lippen, um einige gierige Schlucke zu nehmen. Dann reichte er es ihm zurück. „Könntest du etwas Wasser nachfüllen?“

Yuzuru nickte und griff nach der Wasserflasche, die auf dem Nachttisch stand. Flüchtig warf er einen Blick auf Nakamura. Er musste wirklich müde sein, wenn er ihm gegenüber Schwäche zeigte. Tooru hatte die Augen geschlossen und schien sich darauf zu konzentrieren seine Atmung wieder in einen normalen Rhythmus zu bringen.

„Soll ich wirklich keinen Arzt holen? Das hört sich alles andere als gut an.“

„Es ist eine Lungenentzündung“, kam es leise aus dem Bett.

„Eh? Das nennst du eine kleine Sache!?“ Yuzuru schnaufte. „Das ist doch keine kleine Sache!“ 

„Das kriegen die schon wieder hin … bald sollten die Antibiotika wirken und dann bin ich in Nullkommanichts wieder fit.“

Yuzuru schloss den Becher. Er war stinkwütend, dass Nakamura einmal mehr die wichtigen Details verschwiegen hatte, doch nun, wo der Catcher seine Fassade nicht mehr aufrecht halten konnte und er sah, wie erschöpft er wirklich war, konnte er unmöglich einen Streit anfangen. Vermutlich würde das nur in einem nächsten Hustenanfall enden. „Möchtest du noch was zu trinken?“

Der Angesprochene schüttelte den Kopf. „Könntest du es mehr am Rand vom Nachtschränkchen hinstellen?“ 

„Sicher, sicher. Alles für unseren Kapitän“, erklärte er flapsig und stellte den Becher ziemlich weit an den Rand des Nachtschränkchens. Vermutlich wollte Nakamura sich gerade jede Bewegung sparen. 


Er lehnte sich zurück. Einige Zeit saß er einfach nur da und beobachtete wie Nakamuras Brustkorb von flachen, schnellen langsam zu ruhigeren, tieferen Bewegungen wechselte. 

„Wo waren wir … stehengeblieben?“

Yuzurus Blick löste sich vom Brustkorb und er sah in Nakamuras Gesicht. „Kawashima, du sagtest was von Würfen?“

„Er wollte verschiedene Griffe ausprobieren … ich denke, wenn wir einigen davon einen Feinschliff verpassen, dann sind es echte Waffen.“ 

„Du denkst, er konzentriert sich zu sehr darauf und verliert dadurch die Kontrolle über die anderen Würfe?“

„Es wäre eine Möglichkeit, oder nicht? Würdest du mit Yoshida darüber sprechen?“

„Sicher. Und vorher werde ich Kawashima erklären, dass er es nicht übertreiben soll. Alles zu seiner Zeit, alles zu seiner Zeit.“

Nakamura kicherte. „Was das betrifft, sag Yoshida, er soll mit Kawashima auch diese Würfe üben. Ich bin mir sicher, dass sie uns bei der Meisterschaft von Nutzen sein können.“

„Bist du sicher, dass du das nicht lieber selbst machen willst?“, hakte Yuzuru unsicher nach.

„Nein, nein … es ist besser, wenn wir sofort damit anfangen. Es wird ein langer Weg werden und wir sollten keine Zeit verschwenden.“

Einmal mehr musste Nakamura husten, doch dieses Mal blieb es bei einem kleinen Anfall, der schnell wieder abklang. Ansonsten wären Yuzuru alle Einwände seines Freundes auch egal gewesen und er hätte sich auf die Suche nach einem Arzt gemacht. 

„Soll ich lieber gehen?“, fragte er, als Nakamura zum wiederholten Mal die Augen schloss. „Du bist sicher müde und willst deine Ruhe haben, oder?“

Zu seiner Überraschung, kam ein Kopfschütteln aus dem Bett. „Ruhe habe ich genug … da werde ich schon wahnsinnig von“, kam es zurück.


Und so war Yuzuru geblieben und hatte Nakamura vom heutigen Training erzählt. Als er allerdings nach einer halben Stunde leise Schlafgeräusche von seinem Gesprächspartner vernahm, entschied er sich dann doch dazu, den heutigen Besuch zu beenden. So leise wie möglich schob er den Stuhl zurück, nahm seine Sachen und schlich dann aus dem Zimmer. 

Beim Herausgehen war er fast in einen anderen Besucher geknallt, konnte aber gerade noch ausweichen. Er sah zu dem anderen Mann hinauf. Ein großgewachsener, braunhaariger Mann. 

„Entschuldigung, sind Sie vielleicht Nakamuras Vater?“, fragte er.

Der Mann nickte. „Du bist der Vize-Kapitän, der ihn fast jeden Tag besucht, nicht? Danke dafür.“

„Satoki, Satoki Yuzuru“, stellte er sich vor.

Nakamuras Vater nickte in Richtung Tür. „Ist Tooru wach?“

„Er ist gerade eingeschlafen. Er sagte, dass die Ärzte eine Lungenentzündung festgestellt haben.“

Hayato Nakamura lächelte müde. „Ja, vor zwei Tagen hat er Fieber bekommen, seine Sauerstoffwerte haben sich seitdem verschlechtert. Aber die Antibiotika werden sicher bald anschlagen.“

Yuzuru nickte. Er hatte ihn also schon seit zwei Tagen angelogen. An dem Tag, an dem er mit Kawashima hier war. Es war doch immer das gleiche mit Nakamura. „Ich mache mich dann auf den Weg, sagen Sie ihm, ich wäre gegangen und wollte ihn nicht wecken.“ 


Nachdem er das Krankenhaus verlassen hatte, führe sein direkter Weg zur Metro-Station. Wenn er Glück hatte, dann würde er es noch pünktlich zum nächsten Training schaffen. Der Trainer hatte ihm zwar versichert, dass es kein Problem darstellen würde, wenn er etwas später kam, doch dieses Angebot wollte er nicht scharmlos ausnutzen und so war es bisher erst einmal vorgekommen, dass er es tatsächlich nicht geschafft hatte. Er begab sich über die lange Rolltreppe unter die Erde und schlenderte zu seinem Bahnsteig. Würde die Lungenentzündung bedeuteten, dass der Weg noch steiniger wurde, bis Nakamura wieder spielen könnte? Er hatte geklungen, als wäre es kein Stolperstein, doch Yuzuru konnte seinen Freund inzwischen gut genug, um zu wissen, dass das noch nichts hieß. Vielleicht hatte er das Team einfach nicht beunruhigen wollen? 




Yuzuru hob entschuldigend die Hand. „Sorry, mein Fehler!“, schrie er übers Feld.

Er versuchte, sich zu konzentrieren, doch auch den nächsten Ball konnte er nicht fangen. Es war einfach nicht sein Tag. Wieder schrie er eine Entschuldigung, als aber auch der folgende Ball nicht in seinem Handschuh landete, gab er auf. „Ich mache eine Pause!“, rief er und begab sich vom Spielfeld. Seufzend ließ er sich auf die Bank nieder und nahm einen Schluck aus seiner Trinkflasche. Was er heute im Training ablieferte, war mehr als erbärmlich. Er hatte noch überhaupt nichts Vernünftiges zu Stande gebracht. 

Seine Gedanken kreisten um den Besuch im Krankenhaus und er wurde dieses ungute Gefühl einfach nicht los. Wie ernst war es wirklich? Nakamura hatte es als Kleinigkeit abgestempelt, aber sprach nicht viel eher die Entscheidung der Ärzte den Catcher weiter zur Beobachtung auf der Intensivstation zu halten dagegen? Außerdem hatte der Vater ja gesagt, dass die Ärzte das schon vor einigen Tagen festgestellt hatten. Das hieß ja, dass es bisher mehr abwärts als aufwärtsging. 

„Satoki-Senpai!“

Er stöhnte innerlich. Kawashima hatte ihm gerade noch gefehlt. Bisher hatte er den Pitcher nach seinem Besuch im Krankenhaus noch nicht gesehen, da er in der Bullpen trainiert hatte.

„Kommst du von Nakamura?!“

„Ja doch …“, antwortete er und ärgerte sich sofort, dass er seine Laune vor seinem Zimmerkollegen nicht verstecken konnte. So würde Kawashima sicherlich nicht so schnell Ruhe geben und so war es dann auch. Der Braunhaarige setzte sich neben ihm auf die Bank. „Ist das der Grund für deine schlechte Laune? Hat der Idiot Ärger gemacht?!“

„Im Gegenteil, zu wenig …“ 

„Häh?“

„Mhm … vergiss es, ist nicht wichtig …“, wiegelte er ab.

Kawashima lehnte sich zu ihm rüber, studierte seinen Gesichtsausdruck. „Da stimmt doch was nicht?!“

„Hast du nichts zu tun?“, erwiderte er. „Deine Würfe verbessern, oder so?“

Der Jüngere zog die Augen zusammen. „Nein, nein, nein, du benimmst dich äußerst verdächtig. Sag schon, ist was mit Nakamura!?“

Kawashimas lauten Stimme sei Dank, richteten sich plötzlich sämtliche Gesichter der Teamkameraden in ihre Richtung. Haltung befahren, dachte Yuzuru. Eine kleine Notlüge aller Nakamura konnte selbst er zu Stand bringen. Er klopfte Kawashima auf die Schulter. „Hyaha, keine Angst deinem Senpai geht es gut“, antwortete er. „Er hat dir sogar Hausaufgaben mitgegeben. Seinem kleinen, treuen Hündchen.“

„Er hat so einen verdorbenen Charakter!“, schimpfte der Pitcher laut.

Krise abgewendet, dachte Yuzuru. Es schien, als wäre seine Taktik aufgegangen und die anderen schienen zu glauben, dass Kawashima überreagiert hatte. Er wollte keine Pferde scheu machen, zumal sie in zwei Tagen ein Testspiel hatten und das gegen niemand anderen als Toukaidai Sugao. Ein eher ungewöhnlicher Zeitplan so kurz vor dem nächsten Turnier-Block, aber vielleicht wollte der Trainer ja, dass sie möglichst viele Spiele ohne Nakamura bestritten, ehe es dann ernst wurde. Immerhin war eines schon klar: Der Catcher würde mindestens vier Monate ausfallen und noch stand nicht fest, ob er bei den Nationalen Meisterschaften starten konnte. Warum gerade Toukaidai Sugao war ihm allerdings ein Rätsel. In ihrer aktuellen Verfassung konnte er sich nicht vorstellen, dass sie überhaupt eine Chance hatten. Wobei, das Team war bereits während der zweiten Runde im Herbst-Turnier rausgeflogen und man munkelte, dass die neue Battery noch nicht perfekt funktionierte und viele Fehler machte. Immerhin das hatten sie ihnen voraus. Sowohl Kawashima als auch Yamada hatten, trainierten viel mit den anderen Catchern. 

„Er tut das für dich, sei ein braver Kohai! Du sollst deine Griffe verfeinern, die ihr vor dem Finale ausprobiert habt.“ 

Jetzt hatte Kawashima begriffen, worum es ging. Die braunen Augen begannen zu funkeln und er lachte laut auf. „Ich wusste, irgendwann wird Nakamura mein Talent entdecken!“ 

„Aber nicht übertreiben, deine anderen Bälle haben bereits darunter gelitten. Die solltest du auch trainieren.“

„Yes, Sir!“ Kawashima salutierte und lachte dann wieder. „Wenn ich die Würfe erst einmal perfektioniert habe, dann krall ich mir die ACE-Nummer!“


14

30. Oktober


Yuzuru warf einen Blick in die Bullpen. Als hätte er noch nicht Probleme, schien er wohl ein Weiteres zu seiner Liste hinzufügen zu müssen. Obwohl Kawashima gestern aufgeregt geklungen hatte, als er ihm die Aufgabe von Nakamura mitgeteilt hatte, schien der Pitcher mit sich selbst zu kämpfen. Kariba hatte anders als üblich große Probleme die Bälle zu fangen und von Kontrolle war in den Würfen des Erstklässlers nichts zu spüren. 

Yuzuru stellte sich etwas abseits hin und entschied sich dazu das Training für einige Minuten zu beobachten. Er musste herausfinden, was falsch lief. Sie hatten nicht den Luxus noch einen wichtigen Spieler zu verlieren, denn in den letzten Spielen hatte sich Kawashima als eine wichtige Stütze herausgestellt und gerade jetzt, wo sich Yamada mindestens eine Woche schonen sollte, da fehlte es ihnen an Pitcher-Stärke.

Seit wann ging es mit Kawashima bergab? Es war das Finale gewesen und er war sich sicher, dass es mit Nakamura zusammenhing. Aber konnte ihn das wirklich so aus der Bahn geworfen haben, dass Nakamura verletzt war und derzeit nicht mit ihm auf dem Feld stehen konnte?

„Das war wieder ein Ball!“, ertönte es aus der Bullpen.

„Entschuldigung, muss an dem Griff liegen!“

Yuzuru seufzte und entschied sich dazu, dass er am Abend mit Kawashima darüber reden wollte. Vielleicht würde er es ja sogar bis zum morgigen Spiel wieder hinbiegen können? Wer wusste, dass schon, was in jemandem wie Kawashima vorging …


Der Nachmittag im Krankenhaus machte seine Sorgen nicht geringer. Nakamura schien es seit dem gestrigen Tag nicht besser zu gehen, ganz im Gegenteil: Er wirkte vollkommen erschöpft und brachte nicht einmal sein beschissenes, falsches Grinsen zustande. 

„Du schaust mich an, als wäre ich todkrank“, begrüßte ihn der Catcher flapsig, musste dann aber husten. Yuzuru gefiel es überhaupt nicht, wie er dabei das Gesicht vor Schmerzen verzog.

„Du siehst wirklich scheiße aus, du Idiot“, gab er wieder. 

„Oh, nun bin ich aber gekränkt!“

Yuzuru hob ein Tablet hoch. „Habe ich dir mitgebracht. Videos von unseren ersten Gegnern im nächsten Turnier. Ich dachte, dass du vielleicht etwas zu tun haben willst.“

Nakamura nickte in Richtung Nachtschränkchen. „Leg es dort hin, ich schaue später mal rein …“

Er nickte und legte das Tablet auf das Tischen neben dem Bett. Gleichzeitig merkte er, wie das Trainingsheft, was er ihm mitgebracht hatte, scheinbar unangetastet auf einigen Zeitschriften lag. Ein Kloß bildete sich in seinem Hals. „Es reicht auch in ein paar Tagen“, sagte er mit dünner Stimme.

Als er sich wieder auf seinen Stuhl setzte, herrschte einige Minuten erdrückende Stille. „Wie spielen morgen gegen Toukaidai Sugao”, begann Yuzuru nach einer Weile. „Die haben sicher nur zugestimmt, weil sie denken, dass wir jetzt ein leichter Trainingsgegner sind.“

„Dann solltest du ihnen das Gegenteil beweisen“, murmelte Nakamura und Yuzuru beobachtete, wie ein leichtes Zittern durch den Körper von Tooru ging. 

„Die Hausaufgaben habe ich dir nicht mitgebracht.“ Er lachte leise auf. „Ich denke nicht, dass du gerade überhaupt in der Lage für solche Denkspiele bist.“

„Nein … nicht wirklich …“ 

Huh? Eine mehr als ehrliche Antwort ohne ein bisschen Ironie hätte er in dieser Situation nicht erwartet. Insgeheim fragte er sich, wie schlecht es Nakamura wirklich ging. Sicher konnte er sehen, dass es ihm schlecht ging, doch wer wusste schon, ob er es nicht dennoch versuchte, sich irgendwie zu verstellen? 

„Nakamura?“

„Mhm?“

„Wie schlimm ist es wirklich?“

„Ich bin müde … Ich schlafe zwar ständig … aber ich fühle mich trotzdem schlapp und völlig erledigt …“ 

Yuzuru stand der Mund auf. Mit so viel Ehrlichkeit hatte er nun überhaupt nicht gerechnet. Nakamuras Schutzpanzer hatte sich völlig aufgelöst, oder aber er hatte einfach nicht mehr die Kraft ihn aufrecht zu erhalten. 

Er schluckte. „Haben denn die Medikamente noch nicht angeschlagen?“

Nakamura schüttelte den Kopf.

„Sie werden es sicherlich bald, keine Sorge“, versuchte er seinem Freund Mut zu machen.

„Das höre ich schon seit Tagen.“ Nakamura lachte, musste dann aber erneut Husten. Als der Anfall nachgelassen hatte, hängte er ein leises „Scheiße“ an. 

„Du musst dir Mühe geben, schnell wieder auf die Beine zu kommen, der Kapitänsjob ist nichts für mich. Es gibt so viele Dinge, auf die man achten muss, um die man sich kümmern muss.“

„Glaub mir … ich kann mir auch besseres vorstellen, als hier rumzuliegen und versuchen genügend Luft in meine Lungen zu bekommen …“

Es hatte nicht länger als eine halbe Stunde gebraucht und Nakamura war eingeschlafen. Yuzuru saß einfach nur da und sah zu, wie sich der Brustkorb unter den Atemzügen schnell und flach hob. Auch hörte er ein leises Rasseln, aber vielleicht war das auch Einbildung. Die Ehrlichkeit von Nakamura nagte an ihm. Wenn er sich eingestand, dass es ihm wirklich dreckig ging, dann sollte das etwas heißen. Er schluckte. Was, wenn es weiterhin bergab gehen würde? Wie ernst war die Lage inzwischen wirklich? Mit einem Mal wünschte er sich, dass er auch morgen vorbei kommen könnte, doch das Krankenhaus war zu weit weg, als das er es nach dem Spiel noch schaffen konnte.



16

01.November


Tooru sah aus dem Fenster und verfolgte den Regen dabei, wie er an der Scheibe abperlte. Es würde kein guter Tag werden, das wusste er jetzt schon. Er hatte Durst. Seine Lippen waren trocken und rissig, sein Schweiß klebte ihm auf der Haut und seine Augen brannten. Doch das Schlimmste war, dass ihm jeder Atemzug größere Schmerzen bereitete. 

Und ihm war heiß. Fürchterlich heiß. Er brauchte kein Arzt sein, um zu wissen, dass sein Fieber gestiegen war. Was taten diese Doktoren eigentlich? Er hatte keine Zeit ihr verdammtes Versuchskaninchen zu spielen. 

„Wir werden ein neues Antibiotikum ausprobieren“, berichtete der Arzt, der sich mit seinen Kollegen um sein Bett versammelt hatte. „Ich denke außerdem, dass es besser wäre eine Sauerstoffmaske einzusetzen, damit wir die Sauerstoffzufuhr für den Patienten gewährleisten können.“

Gesagt getan. Als der Tross weitergezogen war, tauschte eine Krankenschwester die Sauerstoffbrille durch eine Maske aus. 

„Hast du Schmerzen, Nakamura-kun?“, fragte sie, als sie auf einigen Knöpfen der Geräte neben seinem Bett herumtippte.

„Meine Brust und die Rippen“, erklärte er und war gleichzeitig dankbar dafür, dass er durch die Maske tatsächlich besser Luft bekam, wenn es auch weiterhin viel zu wenig zu sein schien.

„Ich werde die Schmerzmittel etwas höher dosieren, dann sollte es besser werden … wenn nicht, dann sag bitte Bescheid.“

Er nickte seicht. Sein Körper fühlte sich so schwer wie Blei an und jede Bewegung kostete ihm viel mehr Energie, als ihm lieb war. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass er sich einmal so schlapp gefühlt hatte.

Die Krankenschwester lächelte. „Und du solltest versuchen noch einmal zu schlafen, heute Nacht war es ja schwer, nicht?“

Es war eine fürchterliche Nacht gewesen. Er hatte immer wieder husten müssen und einmal fast das Gefühl gehabt zu ersticken. Kein Sauerstoff schien in seinen Lungen ankommen zu wollen. Erst als eine der Nachtschwestern das Kopfteil seines Bettes höher gestellt hatte, war es etwas besser geworden, durch den ständigen Husten und die Schmerzen in der Brust hatte er dennoch nicht schlafen können. Und so döste er bereits den ganzen Morgen mehr oder weniger vor sich hin und gab sich immer wieder für wenig Minuten oder Stunden der Müdigkeit hin. Doch egal wie viel er schlief, es schien dennoch zu wenig zu sein und er fühlte sich kein bisschen wacher, wenn er die Augen öffnete.

Es war Mittag, als sein Vater ihn besuchen kam. Seine Hand ruhte einige Sekunden auf seiner Stirn, ehe er sich dann an den Tisch setzte. Die Sorge schien ihm ins Gesicht geschrieben, dennoch versuchte Hayato Nakamura zu lächeln. „Ich habe den Arzt gerade auf dem Flur getroffen“, erklärte er.

Tooru nickte. 

„Ich bin mir sicher, dieses Mal wird es auch helfen. Du wirst sehen, bald bist du wieder auf den Beinen.“

„Du musst nicht jeden Tag herkommen … die Firma, sie ist schließlich auch wichtig“, dumpf drang Toorus Stimme unter der Sauerstoffmaske hervor. 

Er wusste, wie es um die Firma stand. Die Branche lief schlecht und seinem Vater gelang es gerade so sich über Wasser zu halten. Er hatte Arbeiter entlassen müssen, dafür selbst zu viel Arbeit für zu wenig Zeit übernommen. 

„Du solltest wissen, dass du mir wichtiger bist … auch wenn ich es dir nicht immer zeigen konnte.“ 

Er hatte es also gemerkt, dachte Tooru. Sein Vater war sich durchaus darüber bewusst gewesen, dass er sich als Kind einsam gefühlt hatte, wenn er von der Schule kam und niemand in dem viel zu großen Haus war. Er hatte es erst spät begriffen, wie schwer die Last war, die auf den Schultern seines Vaters lag. Und selbst jetzt, da wünschte er, dass sein Vater mehr auf sich achten würde, als auf die Firma. Er machte sich Sorgen, wenn er in den Ferien nach Hause kam und den Kühlschrank leer vorfand.

„Ich weiß, Papa“, sagte er leise.

„Du bist immerhin die einzige Familie, die ich noch habe.“ Er lächelte, während er einige verschwitzte Strähnen aus Toorus Gesicht strich. 

Tooru ließ seinen Vater gewähren. Auch wenn es ihn unangenehm war, dass sein Vater ihn wie einen Todkranken behandelte, fehlte ihm gerade die Kraft, sich dagegen zu wehren. 

„Mach dir keine Sor-“ Weiter kam er nicht, ehe sein Körper erneut von einem Hustenanfall geschüttelt wurde. Er wollte die Hand an seinen Mund legen, wurde jedoch von der Maske gestoppt. Aus einem ersten Reflex heraus, wollte er sie sich vom Gesicht reißen, doch die starke Hand seines Vaters hielt ihn auf. 

„Ruhig, Tooru … versuch ruhig zu atmen“, sagte er mit sanfter Stimme. „Lass die Maske auf, sie hilft dir.“

Er versuchte den Worten seines Vaters zu folgen, die Atemübungen durchzuführen, die ihm die Schwester vor zwei Tagen gezeigt hatte, doch es misslang ihm. Er geriet in Panik, als der Hustenanfall kein Ende finden wollte. Seine Lunge brannte, als hätte man sie angezündet. 

Wieso bekam er keine Luft?

Tränen bildeten sich in seinen Augen, da der Schmerz und der Husten nicht aufhörten.

Sein Herz raste und stolperte, und es fühlte sich an, als würde es nicht wieder zu seinem Rhythmus zurückfinden. Er erstickte …

„Tooru, es kommt gleich ein Arzt. Bitte, versuch ruhig zu atmen!“

Noch immer bekam er keine Luft und er merkte, wie alles um ihn herum sich zu drehen begann und sich vor seinen Augen schwarze Punkte sammelten. Sein Brustkorb fühlte sich an, als würde er gleich zerspringen. Er bekam kaum Luft, das Blut pochte ihm heftig in den Schläfen ... Er erstickte, dicke Schweißtropfen standen ihm auf der Stirn. 

Wieso bekam er keine Luft? Wieso kam nichts in seinen Lungen an?

„Nakamura-kun“, eine tiefe männliche Stimme drang zu ihm durch, „ganz ruhig und gleichmäßig atmen. Ich dreh die Sauerstoffzufuhr rauf, dann sollte es besser werden. Keine Angst, du bekommst genug Luft. Du wirst nicht ersticken.“

Eine Hand legte sich auf seine Schulter. „Ruhig und gleichmäßig atmen… gut machst du das.“

Als er wieder besser Luft bekam, ebbte die Panik langsam ab. 

Der Arzt lehnte ihn behutsam in das Kissen zurück. „Gut hast du das gemacht“, sagte er erneut.

Es dauerte einige Zeit, bis seine Atmung sich beruhigte und seine Wahrnehmung wieder funktionierte. Er sah auf seine rechte Hand, die sich in das Bettlaken gekrallt hatte. Langsam löste er den Griff um das Betttuch und legte die Hand flach auf das Bett und beobachtete, wie ein leichtes Zittern durch seine Finger ging.

Sein Vater beugte sich zu ihm herüber und wischte mit einem nassen Waschlappen den Schweiß aus seinem Gesicht. 

Tooru konnte die Angst in seinen Augen sehen und er konnte es seinem Vater nicht verübeln. Auch er tat sich inzwischen immer schwerer sich einzureden, dass alles gut werden würde. Diese Panik keine Luft mehr zu bekommen war noch nicht verflogen. Er war so verdammt müde … dagegen war diesen Finalspiel ein Zuckerschlecken gewesen. Er fühlte sich, als hätte er ein Spiel über 20 Innings bestritten. Wie war noch der Rekord für das längste Baseballspiel? 33 Innings und neun Stunden? Ohne dass er es wollte, fielen ihm die Augen zu. In diesem Augenblick wollte er nur noch schlafen …


Als er aufwachte saß Yui an seinem Bett. Sie lächelte, als sie sah, dass er wach war.

„Dein Vater ist vor ein paar Minuten gegangen“, sagte sie.

„Wie spät ist es?“

„Vierzehn Uhr.“

„Er hat mir erzählt, dass die Medikamente bisher nicht anschlagen.“

Ein müdes Lächeln huschte über sein Gesicht. „Nein, nicht wirklich.“

Sie nickte und sie verfielen in Schweigen.

„Das Spiel …“ Tooru fuhr sich über die trockenen Lippen. „Wie ist das Spiel gelaufen?“

„Nicht besonders gut, wir haben verloren“, antwortete Yui und erzählte ihm dann, wie viele untypische Fehler das Team gemacht hatte. Gerade Satoki sei vollkommen neben der Spur gewesen.

„Keine besonders guten Vorzeichen, oder?“, schloss sie ab. „So kurz vor dem nächsten Turnier zwei verlorene Spiele … auch wenn es nur Testspiele waren, wird das nicht einfach so an der Mannschaft vorbei gehen.“

„Ich werde … mit Satoki reden.“ Ein Hustenanfall überkam ihn und er spürte stechende Schmerzen in der Brust. Es gab wirklich angenehmeres als eine Rippenverletzung und Lungenentzündung gleichzeitig.

Tooru spürte etwas Kaltes auf seiner Stirn und lächelte dankbar über die Abkühlung.

Yui wusch ihm den Schweiß ab, so gut es mit der Maske ging. Er drehte den Kopf zur Seite und sah in ihre braunen Augen. „Kein besonders guter Anblick, was?“, flüsterte er und war sich nicht einmal sicher, ob sie ihn verstand.

„Ich habe dich schon fitter gesehen“, antwortete sie. „Aber es wird sicher wieder werden. In ein paar Wochen hüpfst du sicher wieder auf dem Feld rum.“

„Wenn du das sagst.“

Sie erneuerte das Wasser und tupfte abermals über seine Stirn. „Du kannst ruhig schlafen, wenn du willst. Du bist sicher müde.“

Oh, wie recht sie hatte. Er war müde, verdammt müde und so dauerte es nicht lange, ehe er wieder in den Schlaf hinübersank. Nur einmal, da wurde er kurz wach. Als er die Augen ein Stück öffnete, sah er wie Yui den Stuhl wegrückte und aufstand, um dann zu gehen.


17

Das erste, was Yuzuru bemerkte, als er ins Zimmer trat, war das die Sauerstoffbrille durch eine Sauerstoffmaske ausgetauscht wurde. Das Zweite, dass Nakamura noch einmal deutlich schlechter aussah, als er ihn das letzte Mal gesehen hatte. Er zitterte, und in seinem Gesicht glänzte der Schweiß. Er hatte die Augen geschlossen und atmete schwer mit heiseren, keuchenden Lauten.

Für einen Moment überlegte Yuzuru, ob er nicht wieder gehen sollte, doch dann entschied er sich dagegen und setzte sich an den Tisch am Fenster. Er griff in seine Tasche und holte die Baseball-Zeitschrift heraus, die er eigentlich Nakamura gegen die Langeweile mitgebracht hatte. Jetzt bezweifelte er allerdings, dass Nakamura derzeit überhaupt etwas anders tat als schlafen. Für einige Minuten blätterte er darin. Nur ab und an löste er seinen Blick von den Papierseiten, wenn ein heißeres, trockenes Husten durch das Zimmer hallte. Dann sah er zum Bett. Konnte es wirklich solange dauern, bis das Antibiotikum anschlug? War es nicht Zeit, dass auch mal etwas Gutes passierte?


Nakamuras Augenlider begannen zu flackern und kurz darauf öffneten sie sich. 

„Satoki … bist du schon lange hier?“

Es war schwer die Stimme seines Freundes unter der Sauerstoffmaske und bei der Lautstärke der Geräte zu verstehen. Sie klang so dünn … so kraftlos … 

Schuld übermannte ihn und erneut machte sich das Gefühl in ihm breit, dass er das hätte verhindern können, wenn er nur standhaft gegenüber Nakamura geblieben wäre.

„Eine gute halbe Stunde, du hast ja deinen Schönheitsschlaf gehalten, pretty Catcher-Boy.“

Er konnte sehen, wie Nakamuras Lippen sich zu einem kleinen Lächeln formten. Das dann jedoch wieder verschwand. „Komm her.“ Nakamura machte eine Handbewegung und er stand schließlich auf, um an das Bett zu treten.

„Noch … ein … bisschen“, kam es leise.

„Was hast du vor?“, fragte er unsicher nach, folgte aber trotzdem der Anweisung.

Mit einer rückartigen Bewegung, die Yuzuru Nakamura überhaupt nicht zugetraut hatte in seinem derzeitigen Zustand, packte der Catcher ihn am T-Shirt und zog ihn an sich heran. „Reiß dich zusammen, verdammt noch mal! Du bist jetzt der Ersatzkapitän!“ Nakamura musste husten, schnappte nach Luft, fuhr dann aber trotzdem fort. „So was wie gestern … nie wieder erlaubst du dir so eine beschissene … Vorstellung!“ 

„Woher?“, fragte er erstaunt.

„Woher wohl?“, presste Nakamura heraus, der ihn nun wieder losgelassen hatte und erschöpft ins Kissen zurückfiel. 

„Yui Ayano.“ Yuzuru setzte sich auf den Stuhl und stützte den Kopf in den Händen ab. „Ich habe wohl als Kapitän versagt, was?“

„So viele Fehler …“ Nakamura schnappte keuchend nach Luft, „… das passt nicht zu dir.“ 

Er stimmte ihm also zu. 

„Was ist … das Problem? Vermisst du mich … so sehr?“ Die Augen den Catchers schlossen sich und Yuzuru beobachtete wie schwer sich der Brustkorb hob und senkte. „Sind die Aufgaben als Kapitän zu groß … für dich?“ Nakamuras Lider öffneten sich wieder und er sah ihn an. „Und hier hatte ich dich für denjenigen gehalten, der ein besserer Kapitän als ich gewesen wäre.“ 

„Danke für die Blumen!“ Er versuchte seine Unsicherheit zu überspielen, doch er hatte keine Chance mehr Nakamura zu entkommen.

„Was … ist es? Sag schon!“ 

„Ich bin einfach nicht bei der Sache.“ Yuzuru fuhr sich durch die Haare. „Ich denke immer darüber nach, ob ich dieses Dilemma hätte verhindern können.“

„Welches Dilemma?“, kam es leise zurück.

Er warf die Arme nach vorne und zeigte auf das Bett. „Na dich! Ich hätte dich davon abhalten müssen zu spielen, habe es aber nicht und nun sieh dich an. Du bist ein Schatten Deiner selbst.“

„Autsch.“

„Hä?“

„Es ist erschütternd, wie groß du deine Rolle einschätzt? … Du denkst wirklich, dass du mich hättest abhalten können zu spielen?“ Nakamura keuchte und musste husten. „Ich hätte gespielt, es ging um so viel … ich wollte das!“

„Und daran hätte ich dich hindern sollen, aber ich habe es nicht. Und weißt du auch warum? Weil ich dachte, dass du trotz deiner Verletzung noch zu wichtig für das Team bist, um auf der Bank zu sitzen. Ich habe nicht an dich gedacht, sondern nur an mich!“

„An das Team“, kam sofort der Widerspruch aus dem Bett. „Du hast an das Team gedacht.“

„Nein an mich! Ich wollte diesen Sieg!“

„Den wollten wir alle …“ Nakamura schloss erneut die Augen.

„Ich sollte gehen, du bist müde. Wir können diese Unterhaltung fortsetzen, wenn es dir besser geht.“

„Nein!“

Die Lautstärke in der Stimme von Nakamura sorgte dafür, dass sich Yuzuru, der gerade aufgestanden war, wieder auf den Stuhl setzte. 

„Du hast nichts falsch gemacht“, fuhr Nakamura nun leiser fort, „du wusstest nicht, wie schlimm es war. Weil ich wollte, dass man es nicht sieht.“

„Ich habe gesehen, dass du Schmerzen hattest.“

„Ja, aber nicht, wie ich im Laufe des Spiels mehrmals dachte, dass absolut keine Luft mehr in meinen Lungen ankommen würde … ich wollte nicht, dass es jemand sieht.“

„Was ich da vor dem Spiel gesagt habe. Nakamura, es tut mir Leid. Ich hatte keinen Grund dafür so etwas zu sagen.“

Der Catcher lachte, was in ein hohles Husten überging, was nach einigen Sekunden wieder abebbte. „Du wolltest mir sagen, dass ich egoistisch handle, daran ist nichts falsch. Mir ist egal, ob du dir weiter die Schuld für alles gibst, aber das Team braucht dich jetzt … also, reiß dich zusammen. Falls es dein Fehler war, ist das jetzt die Möglichkeit ihn wieder gutzumachen. Sorg dafür, dass das Team nicht auseinanderbricht, ehe ich zurück bin!“

Die lange Ansprache hatte Nakamura einmal mehr vollkommen ausgepowert und sein Kopf versank in dem Kissen. Er atmete schnell und flach und es dauerte einige Zeit, bis die Atmung sich wieder beruhigte, wenn sie auch immer noch alles andere als gesund klang. 

Yuzuru lachte auf. „Dann bleibt mir wohl keine andere Wahl, als unser Team wieder auf den richtigen Kurs zu bringen, was?“

„Wohl kaum“, stimmte Nakamura zu. 


Nach ihrem Gespräch hatte es nicht lange gedauert und Nakamura war wieder eingeschlafen. Das Einzige, was nun noch durch den Raum drang, waren die schweren Atemgeräusche. Yuzuru saß weiterhin direkt am Bett. Er legte den Kopf in seine Hände. Nun war es schon dazu gekommen, dass er sich von einem kranken Mitspieler hatte zurechtweisen lassen müssen. „Wie erbärmlich“, murmelte er leise. Er hatte wohl keine andere Wahl, als sich endlich zusammenzureißen. Es brachte das Team nicht weiter, wenn neben Nakamura nun auch noch andere Spieler ausfielen. In der jetzigen Situation benötigten sie jeden Mann. 

Aus dem Bett ertönte abermals ein hohles Husten und Yuzuru sah, wie sich Nakamuras Hand dabei in das Bettlaken krallte. Instinktiv griff er danach und drückte zu. „Oi, du Idiot. Ich hoffe, das Fieber brennt dir dein Hirn nicht durch und du vergisst nicht dein Ziel. Gib dir Mühe, dass du es zu den Meisterschaften schaffst.“

Es kam keine Reaktion zurück. „Bist wohl völlig ausgeknockt, was?“

Er bekam wieder keine Antwort. 

Yuzuru löste seine Hand, legte sie zurück auf die Decke und stand dann auf. „Bis morgen dann, ja? Sieh zu, dass du bis dahin wieder etwas fitter bist.“


18

08. November


Das Fieber hatte Tooru fest im Griff, und die nächsten Tage verbrachte er mehr oder weniger im Dämmerzustand als bei wachem Bewusstsein.

Als er begann die Umgebung um sich wieder klarer zu sehen, da schnappte er auf, wie die Ärzte sogar überlegt hatten, ob es nicht besser wäre, ihn zu sedieren und künstlich zu beamten. Doch es schien, als wäre er dem noch einmal knapp entkommen.

Das Fieber hatte nachgelassen und der Arzt hatte ihm erklärt, dass die Antibiotika anschlugen. Es würde zwar noch ein langer Weg sein, aber er war guter Dinge, dass es von Tag zu Tag besser werden würde.

Als sich Tooru nach der Visite nach rechts drehte, sah er einen Baseball, der auf seinem Nachtschränkchen lag. Wie er dahin gekommen war, daran konnte er sich nicht wirklich erinnern. Er meinte Unterschriften darauf zu sehen. Vielleicht von dem Team?

Tooru machte den Versuch den Ball zu greifen, ließ den Arm jedoch schnell wieder sinken. Im Augenblick war er einfach zu schwach. Er fühlte sich wie gerädert und so tat er das einzig Richtige: Er schloss die Augen und schlief wieder ein.


Als er an aufwachte, fand er Satoki an seinem Bett vor. Er grinste breite. „Es ist schön zu sehen, dass es dir wieder besser geht. Du hast uns ganz schöne Sorgen gemacht. Wie geht es dir?“

Tooru brachte die Kraft auf ein leises „müde“ zu flüstern.

„Dein Vater sagt, dass du das Gröbste überstanden hast. Ab jetzt wird es leichter, glaub mir.“

„Für den Moment reicht es mir, zu wissen, was überhaupt um mich passiert.“

Satoki lachte. „Glaub mir, mir auch.“

„Warst du oft da?“

Satoki schüttelte den Kopf. „Nein, zwischendurch hattest du strenges Besuchsverbot – na ja, abgesehen von deinem Vater. Aber du hättest es sicher ohnehin nicht mitbekommen.“

Sie schwiegen einige Zeit, ehe Satoki erneut die Stimme erhob: „Morgen ist unser erstes Spiel beim Jingu Tournament.“

Tooru nickte, obwohl er sich dessen gar nicht bewusst war. Hätte man ihn gefragt, so hätte er geglaubt, dass es noch Tage sein würden, bis das Turnier begann. War er wirklich so lange in diesem eigenartigen Dämmerzustand gewesen?

„Wir werden gewinnen, das verspreche ich“, erklärte Satoki selbstbewusst. „Das Team kommt langsam wieder in Tritt. Yamada darf wieder spielen und auch Kawashima hat immer bessere Kontrolle über seine Bälle.“

„Das ist gut“, murmelte Tooru unter seiner Atemmaske hervor.

„Du wirst sehen, wir können auch ohne dich gewinnen!“

Tooru hatte keinen Zweifel daran. Das Team war stark, hatte sich über die Zeit im Herbsttunier extrem gesteigert. Es war vielmehr ein komisches Gefühl, das sich in seinem Inneren ausbreitete. Es kam nicht oft vor, dass er ein Spiel verpasste. Schon einmal gar nicht eines in der Turnier-Phase. Sein Blick fiel wieder auf den Baseball. „Hast du den mitgebracht?“, fragte er.

Satoki folgte seinen Blick. „Oh, du erinnerst dich nicht?“

„Nein … nicht wirklich.“

„Ja, ich habe ihn mitgebracht. Gute Besserungswünsche von dem Team. Soll ich ihn dir geben?“

Tooru nickte seicht und Satoki reichte ihm den Ball, den Tooru anschließend in den Fingern drehte und wendete. Es hatten tatsächlich alle aus der ersten Mannschaft unterschrieben, sogar ein paar Spieler aus der zweiten und dritten Mannschaft. Sie hatten ein großes Team, aus dem es vielen Spielern in ihren drei Jahren auf der High School nie gelingen würde, ein Spiel in der ersten Mannschaft zu absolvieren.

Je länger Tooru den Ball hielt, desto müder wurde sein Arm und schließlich ließ er ihn einfach auf die Bettdecke sinken.

Diese kleine Tätigkeit hatte ihn am Ende vollkommen erschöpft zurückgelassen. Auch Satoki schien das nicht zu entgehen. Er nahm ihm den Ball wieder aus der Hand und legte ich zurück auf das Nachtschränkchen.

Tooru wäre am liebsten tief unter seiner Bettdecke verkrochen. Das er sich so leicht am Ende seiner Kräfte sein würde, hätte er nie für möglich gehalten.

„Das ist vollkommen normal“, las Satoki seine Gedanken. „Du musst erst wieder zu Kräften kommen.“


Nachdem Satoki gegangen war, kam eine Krankenschwester ins Zimmer und wechselte in Infusionen, danach war Tooru schnell wieder weggedöst. Schlafen schien derzeit das einzige zu sein, was ihm keine Schwierigkeiten bereitete.


19

09. November


Yuzuru zog die Handschuhe über, setzte den Helm auf und holte ein letztes Mal tief Luft. Sein Herz hämmerte wild in seiner Brust, als wäre es sein erstes Baseballspiel überhaupt. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal so nervös gewesen war. Nicht einmal beim Finale hatte er ein solches Herzklopfen gehabt. Er brachte sich in Position und sah dem Pitcher der gegnerischen Mannschaft in die Augen. Ein Kerl, der sich bereits einen Ruf gemacht hatte. Yuzuru wusste, dass es darum ging ihn gleich bei seiner ersten At-Bat ins Schwitzen zu bringen. Denn der Pitcher war der beste Spieler des Gegners, wenn sie ihn verunsichern konnten, dann das gesamte Team. 

„Ich muss sagen, Respekt. Ihr stellt euch uns ohne Nakamura.“ 

Yuzuru ignorierte die Worte des Catchers. Er würde ihnen schon zeigen, dass sie Komae unterschätzten. Sie konnten auch ohne Nakamura gewinnen. 

Der Shortstop verstärkte seinen Griff um den Schläger. Er würde den Ball treffen, er würde die erste Base erreichen. Mit seinem Schlag würde er das Team ins Spiel bringen. Sie würden diesen Spiel gewinnen und in die nächste Runde einziehen. Alles, was er tun musste, war den Ball zu treffen … nur treffen …

Der erste Pitch kam hoch und schnell. Yuzuru war so überrascht, wie nah er an seinem Körper herankam, dass er zurückwich. 

„Ball!“ 

Dieser Teufelskerl begann also mit einem Brushback. Doch da hatte er die Rechnung ohne ihn gemacht. Er wich nicht zurück, sondern blieb genau auf seiner Position stehen. Beim nächsten Mal würde er zuschlagen.

Der zweite Pitch war ein Strike, der am Rand der Zone geworden wurde. Yuzuru hatte den Ball falsch eingeschätzt, geglaubt, dass es ein Ball sein würde. Kein Grund zur Sorge, sagte er sich. Noch war der Count niedrig.

„Strike!“

Ein Ball, zwei Strikes. Er musste sich konzentrieren, noch ein Strike und er würde raus sein. Das konnte er nicht zulassen. Egal was für ein Pitch kam, er musste den Schläger schwingen. Für das Team. 

Der dritte Pitch war ein Fastball, den er hinter die Seitenlinie schlug. Der vierte Pitch niedrig und nah am Körper. Der fünfte Pitch ein Changeup, doch er schaffte es noch irgendwie einen Foul Ball daraus zu machen. 

Die Anspannung in seinem Körper wuchs an. Adrenalin pumpte durch seine Adern und er erneuerte seinen Griff um den Schläger. Irgendwann würde seine Chance kommen.

Zwei Balls, zwei Strikes. 

Der sechste Pitch war wieder ein Fastball. In letzter Sekunde riss Yuzuru den Schläger herum, traf den Ball und knallte ihn ins linke Center. Schnell warf er seinen Schläger hin und rannte los. Ein grinsen schmückte sein Gesicht, als er die erste Base erreichte. Er hatte es geschafft! Das war ein perfekter Start in das Spiel gewesen!

Es stand 4:3 in der ersten Hälfte des vierten Innings bei zwei Outs und leeren Bases, als Yuzuru an die Home Plate trat. Das Spiel lief gut und das Team war in einer hervorragenden Verfassung. Jeder hatte sein Bestes gegeben. Kawashima hatte gut mit dem Catcher harmoniert und der Gegner hatte schnell verstanden, dass man sie auch ohne Nakamura nicht unterschätzen dürfte. 

Der erste Pitch war ein Curveball, der außerhalb der Strike Zone war.

Yuzuru grinste, als er in das Gesicht des Pitchers sah. Ihm schien langsam die Luft auszugehen und seinen Bällen begann der nötige Biss zu fehlen und so war es keine Schwierigkeit, den nächsten Pitch locker ins hintere Feld zu hämmern und einmal mehr die Base zu erreichen. Und seine Teamkollegen taten es ihm nach. Die Bälle fanden ihren Weg auf das Spielfeld und schnell hatte Yuzuru die Home Plate wieder erreicht und sich den fünften Run für das Team gesichert. Als er zurück zur Trainerbank kam, nickte ihm Okada zufrieden zu. 

„Ich wünschte Nakamura könnte das sehen!“ Er griff nach einem Handtuch und wischte sich den Schweiß von der Stirn, ehe er sich einige Schlucke kaltes Wasser gönnte.

„Satoki-Senpai! Toller Schlag!“ Kawashima grinste ihn breit an und er nickte, während sein Blick in Richtung Spielfeld ging. Noch lief ihre Offensive und das nicht einmal schlecht. Yuzuru war auf der dritten Base angekommen und könnte ihnen gleich den nächsten Punkt bescheren. Und kurz darauf war es auch schon passiert. 

6:3, sie hatten mehr als gute Möglichkeiten das Spiel zu ihren Gunsten zu entscheiden. Wenn sie nun auch die zweite Hälfte des Innings im Griff hatten, dann würde das dem Gegner einen weiteren Schlag verpassen. Das Moment war auf ihrer Seite. 

Als das Spiel beendet war, hatten sie tatsächlich den Sieg locker nach Hause bringen können. Yuzuru sah zufrieden auf die Anzeigetafel: 7:3. Damit hatten sie bewiesen, dass man sie trotz allem ernst nehmen musste. Er griff nach seinem Schläger, den Handschuhen sowie einem dreckigen Baseball und begab sich danach runter in die Umkleidekabinen, wo bereits eine ausgelassene Stimmung herrschte. 

„Satoki-Senpai! Hast du gesehen, wie ich deren Cleanup keine Chance gegeben habe!“, schrie Kawashima von rechts. 

„Wahnsinn, Satoki, du hast bei all deinen At-Bats die Base erreicht!“, sagte Kobayashi.

„Du warst auch nicht schlecht, du hast die Spieler bei denen Schlägen weiter bringen können. Viele der heute erzielten Runs wären ohne dich nicht möglich.“ Er lachte laut, während er frische Sachen aus seiner Tasche zog. Anders als die anderen Spieler würde er nicht zurück zur Schule fahren, sondern würde einen Umweg ins Krankenhaus machen. 


Gut eine Stunde später, saß er auf dem Stuhl neben Nakamuras Bett und fasste dem schlafenden Catcher die Ereignisse des Tages zusammen. Er hatte kurz mit dem Vater telefoniert, ehe er hergefahren war. Nakamura hatte wieder etwas mehr Fieber. Eine Entwicklung die normal sei, doch Yuzuru musste sich eingestehen, dass das ständige auf und ab an seinen Nerven nagte.

„Ich wollte dir den Ball mitnehmen, mit dem wir das Spiel entschieden haben, aber die Schwester hat es mir nicht erlaubt … er sei zu dreckig. Aber ich hebe ihn dir auf … weißt du was? Ich bringe ihn später in dein Zimmer und lege ihn auf den Schreibtisch. Wie klingt das?“

Natürlich erhielt er keine Antwort. Nakamura schlief tief und fest. Das einzige Geräusch in dem Zimmer blieb das Piepen der Geräte und das Zischen des Beatmungsgeräts. 

„Es wird Zeit, dass du wieder gesund wirst“, sagte er nach einigen stillen Minuten niedergeschlagen. So war es immer. Yuzuru gab sich Mühe bei seinen Besuchen Positiv zu sein und nach außen gelassen zu wirken, doch am Ende scheiterte er jedes Mal. Sobald er Nakamura so vor sich sah, konnte er seinen aufgewühlten Körper nicht mehr in Schach halten. Dann überkam ihm die Angst. Noch nie war er in einer ähnlichen Situation gewesen. Er konnte sich nicht einmal daran erinnern, dass schon einmal ein Mitglied seiner Familie für längere Zeit im Krankenhaus war. Es war für ihn immer noch unvorstellbar, was so ein kleiner Fehler bewirkt hatte. Das eine hatte zum anderen geführt und alles war außer Kontrolle geraten. Inzwischen hatte zumindest er die Kontrolle wieder zurück, nun hoffte er, dass es auch bald bei Nakamura der Fall war, aber es schien ja aufwärts zu gehen. Sein Zustand besserte sich, wenn auch langsam.

„Du hast es also doch noch geschafft?“

Yuzuru drehte sich zur Tür, als eine ihm bekannte Stimme ertönte. Da das Spiel erst am Nachmittag gespielt wurde, hatte er seine eigentliche Besuchszeit nicht einhalten können und war erst am Abend gekommen.

„Ja … ich dachte, ich fahre noch her und erzähle vom Spiel“, antwortete er.

Ayano kam näher. „Er schläft immer noch viel.“

„Ja.“ 

„Haha, Tooru … hat er dir auch erzählt, wie gut sich Yoshida geschlagen hat?“, witzelte Ayano. „Scheint, als hätte Komae noch mehr gute Catcher, was? Pass auf, dass er dir deine Position nicht wegschnappt.“


20

11. November


„Geh raus und triff den Ball.“ Das war der einzige Ratschlag, den Yuzuru vom Trainer erhalten hatte, als im zweiten Inning auf das Feld ging. Sie hatten zwei Mal in Folge gewonnen, standen nun im Halbfinale des Jingu Tournament. Er hatte Nakamura gestern im Krankenhaus versprochen, dass er daraus ein Finale machen würde und er war gewillt, das Versprechen zu halten.

Im bisherigen Spiel hatte noch keines der beiden Teams einen Punkt holen können und er war gewillt, dass sich das nun änderte.

Yuzuru holte ein letztes Mal tief Luft und trat dann in die Batter’s Box. Aktuell hatte Taishido High zwei Outs auf ihrer Seite. Wenn sie punkten wollten, dann musste er also auf jeden Fall den Ball in eine gute Position bringen. Ein Spieler stand auf der ersten, einer auf der dritten Base. Es war eine gute Ausgangsposition. Er konnte dafür sorgen, dass Komae die Mannschaft war, die als erstes Runs erzielte. 

Der Pitcher von Taishido war Kawatoni Hayato. Es war lange her, dass er gegen ihn gespielt hatte. Ein Linkshänder mit der Präferenz für Fastball. Jemand, der für eine hohe Anzahl an Strikeouts bekannt war. Es würde also nicht leicht werden ihn zu knacken, aber es war keinesfalls unmöglich. Der gegnerische Pitcher hatte nicht besonders viele Variationen. Das Einzige, was ihn auszeichnete, war die Schnelligkeit seiner Bälle.

Yuzuru schätzte sich glücklich, dass sie Yamada in ihrem Team hatten. So setze ihnen der Fastball sicherlich nicht mehr so zu, nachdem sie sich in der ersten Batter-Rotation daran gewöhnt hatten.

Yuzuru schwor sich beim ersten Pitch zu schwingen, egal, was kommen würde. Er wollte den Gegner unter Druck setzen, ihm zeigen, wozu sie in der Lage waren. Kawatoni war hart und schnell, doch Yuzuru hatte die Position des Balls genau richtig eingeschätzt, traf den Ball in einem optimalen Winkel und ließ in weit ins linke Feld hineingleiten. Er sprintete zu ersten Base und stellte mit einem breiten Lächeln fest, dass sie gerade den ersten Run dieses Spiels geholt hatten. So konnte es weitergehen! 


Im vierten Inning begann  Kawatoni mit einem Brushback, einem hohen Fastball nah am Körper, der als Warnung gedacht war, doch Kobayashi ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen und hämmerte den Ball dennoch in eine gute Position, die ihn und Yuzuru eine Base weiter brachten. Wenig später konnten sie den nächsten Run nach Hause bringen. Es stand 2:0, doch dann schien sich der Gegner zu fangen und wurde zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Komae und Taishido. Mit zwei Runs hatte der Gegner nach dem vierten Inning aufgeholt und es stand 2:2. Eine weitere Attacke von Komae aus dem fünften Inning hatte Taishido im siebten Inning parieren können, sodass sie mit einem Stand von 3:3 in das achte Inning gingen.  


Yuzuru saß im Dugout und blickte angespannt auf das Feld. Der Gegner hatte schon zwei Strikeouts und ehe er sich versah, war ihre Offensive abgeschmettert worden und es standen drei Outs auf der Anzeigetafel. 

„Noch ist nichts passiert! Bleibt konzentriert!“, rief der Shortstop laut, als er nach seinem Handschuh griff und auf das Feld rannte. Jetzt mussten sie in der Defensive alles geben. Sie dürften Taishido auf keinen Fall erlauben das Spiel zu ihren Gunsten zu drehen. 

Yamada startete gut, konnte ein Strikeout abliefern, doch dann war es passiert! Ein Fehler der Battery hatte dazu geführt, dass Taishido den entscheidenden Run feiern konnte. Sie gingen mit einem 4:3 Rückstand in das letzte Inning und konnten schließlich das Spiel nicht mehr wenden. Komae ging als Verlierer hervor und musste sich im Halbfinale vom Jingu Tournament verabschieden. 


„Es tut mir leid.“ Yoshida wischte sich mit dem Unterarm durch das Gesicht. Ausgerechnet der Catcher war es gewesen, der als letzter Batter in der Box gestanden hatte und mit einem Strikeout den Traum vom Turnier-Gewinn beendet hatte.

Yuzuru drückte seine Hand auf Yoshidas Schulter. Es brauchte jetzt keine Worte. Sie würden nicht viel weiterhelfen. Es würde nichts daran ändern, dass sie das Spiel verloren hatten. Sie hatten alles gegeben, waren über acht Innings auf Augenhöhe. Am Ende war es vielleicht auch Pech gewesen, das gegen sie gearbeitet hatte. 


Der restliche Tag war still verlaufen und die meisten Teammitglieder von Komae hatten sich in ihren Zimmern verkrochen. Yuzuru selbst war ins Krankenhaus gefahren und hatte Nakamura in wenigen Worten das Spiel zusammengefasst.

„Es war ein kleiner Fehler, der uns den Weg ins Finale verwehrt hatte.“

„Mhm.“

Yuzuru schluckte schwer. Seit er hier war, hatte Nakamura kaum ein Wort gesagt. Er konnte sehen, wie etwas an seinem Freund nagte.

„Oi, ist das alles, was du dazuzusagen hast?“

„Was willst du hören?“ 

Nakamuras Stimme war noch dünner geworden als ohnehin schon. Er schien viel mehr mit seinen Gedanken beschäftigt, als dass er ihm wirklich zuhörte.

„Ich habe dir die entscheidenden Bälle aufbewahrt von den Spielen. Sie liegen alle in deinem Zimmer im Wohnheim.“

„Sicher … danke.“

Yuzuru stöhnte. „Was ist los Nakamura?!“

„Es ist alles in Ordnung … wie du sagtest, ich habe das Schlimmste hinter mir.“

Yuzuru wusste, dass das nicht stimmte. Es war nicht alles in Ordnung. Er konnte es in Nakamuras Gesicht sehen, dass etwas nicht stimmte.

„Nakamura, sag schon, was ist los?“

„Es sind nur noch vier Monate“, kam es geschlagen aus dem Bett. „Nur noch vier Monate bis zu den Koshien …“

„Nakamura …“

„Ich habe schon so viel Zeit verplempert“, Nakamuras Atmung wurde schneller, „die Zeit läuft mir davon!“

Yuzuru streckte die Hand aus und umgriff Nakamuras Arm. „Der größte Fehler, den du jetzt machen kannst, ist es zu schnell zu wollen. Wenn du Geduld hast, ich bin mir sicher, dass du bei den Meisterschaften im Team bist. Vielleicht nicht am ersten Tag, aber wenn wir im Finale stehen, dann bist du unser Catcher!“ 

Nakamura lachte. „Was macht dich da so sicher? Sieh mich an … ich bin schon vollkommen erschöpft davon, dass ich seit heute Morgen selbst atmen muss und diese verdammte Maschine nicht die Hauptarbeit übernimmt! Ich kann nicht mal meinen Arm für mehr als zehn Sekunden heben!“

„Nakamura …“ 

Der Angesprochene ließ ihn nicht ausreden: „Wie soll ich in vier Monaten wieder fit sein? Wie soll ich das schaffen?!“

Und dann passierte etwas, mit dem Yuzuru vollkommen überrumpelt wurde. Die ersten Tränen fanden ihren Weg und Nakamura lag vor ihm und weinte, weinte bitterlich wie ein kleines Kind.

Yuzuru saß stocksteif auf seinem Stuhl und konnte sich nicht rühren. Er wusste nicht, was er tun sollte.

„Ich … ich will doch nur mit dem Team zum Koshien“, schluchzte Nakamura. „Mehr verlange ich doch nicht … wieso musste das passieren? ... Wieso diese Lungenentzündung?!“ Seine Hand wischte eilig durch das Gesicht. „Oh verdammt, ich bin so erbärmlich!“

Als Yuzuru sah, wie die Atmung seines Freundes unter den Schluchzern hektischer wurde, schaffte er es endlich, sich von dem Stuhl zu lösen. Er trat an das Bett, lehnte sich herüber und drückte Nakamura an sich. „Hey, es wird wieder werden. Du wirst sehen, du wirst bei den Meisterschaften auf dem Platz stehen“, flüsterte er. „Hab keine Angst. Das ganze Team steht hinter dir. Wir alle sind der festen Überzeugung, dass du dabei sein wirst … du wirst es sein, der die Bälle unserer Pitcher fängt.“


Yuzuru wusste nicht, wie lange er in dieser unbequemen Stellung verharrt hatte. Er hatte Nakamura weinen lassen, solange bis ihn die Erschöpfung übermannte und er eingeschlafen war. Vorsichtig legte er Nakamuras Kopf wieder auf das Kissen. Zum Glück war niemand hereingekommen. Diese Situation wäre ihm mehr als peinlich gewesen und Nakamura sicherlich auch. Aber in diesem Moment hatte er einfach nichts anders gewusst, was er hätte tun können. 

Yuzuru saß stumm da und hörte den schweren Atemzügen zu, die aus dem Bett kamen. „Einen Monat habe ich schon verplempert.“ Er fragte sich, wie viele mehr es werden würden. Wie er es im Gespräch mit dem Vater verstanden hatte, würde er noch einige Zeit im Krankenhaus bleiben müssen. Die Lungenentzündung war noch lange nicht auskuriert. Seine Augen blieben auf den dünnen Armen hängen. Die Krankheit hatte Spuren hinterlassen und Yuzuru war klar, dass es wohl dauern würde, bis Nakamura wieder an Gewicht zugenommen und die Muskel wieder aufgebaut hatte. 


Er atmete tief durch und stand dann auf. Nachdem er sich leise verabschiedet hatte, verließ er das Zimmer und machte sich auf in Richtung Schule. Auch wenn nach dem letzten Turnier die Offseason angebrochen war, hieß das nicht, dass nun freie Monate auf sie warteten. Ganz im Gegenteil. Der Grundstein für die Erfolge wurde in diesen Monaten gelegt. Sie konnte sich keine Pause gönnen. Sie mussten weiterhin alles geben. 


Als er ins Wohnheim zurückgekehrt war, herrschte weiterhin eine gespenstische Stille. Einzig aus der Mensa hörte er leise Stimmen und so schlenderte er in den Raum. Zu seiner Überraschung fand er Kawashima vor, der vor dem Fernseher saß und sich bereits das verlorene Spiel ansah. 

„Denkst du nicht, dass es auch morgen reichen würde?“, hakte er nach und trat dann näher. Gerade lief die Szene, in der Kawashima für einen winzigen Moment die Kontrolle über den Ball verlor und so dem Gegner einen Run ermöglicht hatte.

„Ich will es mir jetzt einprägen. Ich war unkonzentriert, habe deshalb die Kontrolle verloren.“

„Warst du nervös?“ Yuzuru setzte sich an den Tisch und lehnte sich im Stuhl zurück.

„Satoki-Senpai. Es war immerhin das Halbfinale!“ 

„Oi, nicht so laut!“, schrie er zurück und hielt sich die linke Hand ans Ohr.

„Ich wünschte, dass wir Nakamura von einem Finalsieg berichten könnten! Das würde im recht geschehen, nachdem er uns in diese Lage gebracht hat!“

Vermutlich würde es das, dachte Yuzuru. Es war schließlich Nakamuras Starrsinn, der dazu geführt hatte, dass sie auf ihren besten Mann verzichten mussten. Trotzdem. Auch er und alle anderen die von der Verletzung wussten, trugen keine Unschuld an den letzten Tagen. Eventuell geschah es ihnen so ganz recht, dass sie es nur bis ins Halbfinale geschafft hatten. 

„Hyaha!“ Yuzuru lachte laut auf und hoffte darauf, dass es Kawashima nicht auffallen würde, wie er seine Unsicherheit überspielte. „Da hast du recht. Der Idiot hätte es nicht anders verdient. Aber da können wir nun nichts mehr dran ändern, was?!“ 

Er stand auf. „Du solltest dir auch bald eine Auszeit gönnen. Ich bin mir sicher, dass du das Video bereits oft genug angesehen hast. Nach so einem Spiel ist es auch mal wichtig, einfach nicht an Baseball zu denken.“ Yuzuru grinste schief. „Was ist denn mit deiner hübschen Freundin. Ich bin mir sicher, sie wartet darauf, dass du dich mal wieder bei dir meldest.“

Der Jüngere lief rot an. „Was! Sie ist nicht meine Freundin … also nicht so wie du das denkst, Satoki-Senpai.“

Er hob die Hand. „Jaja, wie du meinst, Kawashima … wie du meinst. Ich bin auf unserem Zimmer. Bis dann!“


21


23. November


Die Tage im Krankenhaus schleppten sich dahin. Tooru hatte am Ende noch zwölf weitere Tage auf der Intensivstation verbringen müssen, da sich die Entzündung in der Lunge über einem Intervall von vier Tagen abermals verschlimmert hatte. Doch nun waren die Ärzte guter Dinge gewesen und seit einem Tag war er nun auf der normalen Station. Zu seiner Erleichterung waren die Geräte verschwunden und auch die Sauerstoff-Unterstützung brauchte er nicht mehr, auch wenn er nach großen Anstrengungen weiterhin schwer Luft bekam. So auch jetzt, wo er gerade gemeinsam mit der Psychotherapeutin seine Übungen beendet hatte. Sein Kopf lehnte im Kissen und er schloss die Augenlider. Er war heute müder als in den vergangenen Tagen und genau das waren die Momente, in denen in seinem Körper die Angst wie ein Orkan wütete. Nur noch drei Monate und drei Wochen zu den Meisterschaften. 

Du wirst es nicht schaffen.

Dieser Gedanke begann ihn jeden Tag von neuem einzuholen.

Du wirst es nicht schaffen. 

Ein Mantra, das sich nicht aus seinem Kopf vertreiben ließ, egal wie sehr er versuchte, sich mit anderen Dingen zu beschäftigen. 

Er war Realist und er wusste, dass ihm diese Krankheit viel an Substanz gekostet hatte. Wäre es bei der Rippenverletzung geblieben, da wäre er sich sicher gewesen, dass er pünktlich wieder fit werden würde. Doch so. Ihm fehlte Energie, Ausdauer und Kraft. In dem Zustand, in dem er sich derzeit befand, würde er nicht einmal ein Inning spielen können. 

Jeden Tag fragte er den Arzt, wie lange er denn noch im Krankenhaus bleiben müsse und jeden Tag lautete die Antwort, dass es noch dauern würde. Er solle Geduld haben. Er sei auf den richtigen Weg. Er konnte die Floskeln nicht mehr hören. 


Seine Hand krallte sich in die Bettdecke und er spürte, wie sich ein dicker Kloß in seinem Hals bildete. Er wollte nicht weinen, nicht schon wieder. Doch die Tränen ließen sich auch jetzt nicht zurückhalten und fanden ihren Weg an die Oberfläche. Er legte den Unterarm beschämt über das Gesicht, während er leise schluchzte. Wie er die Stunden hasste, in denen er keinen Besuch bekam. Diese Zeit, in der er nachdenken konnte. Die Momente, in denen ihm die Angst überkam, ob er stark genug war, das alles durchzustehen. 

Seit dem Spiel ist über ein Monat vergangen, wurde ihm bewusst. Er hatte bereits einen Monat im Krankenhaus verbracht und er wusste nicht, wie viele Tage er noch durchhalten würde. Alles hier machte ihn verrückt. Diese Stille. Der Geruch. Er wollte nur eins. Hier raus! Und wenn es nur bis in den kleinen Park vor dem Krankenhaus war. Doch bisher hatte ihm das der Arzt strickt verboten. Er wollte nicht, dass er sich verkühlte. Noch sei es zu früh. Er sollte sich gedulden, wo er doch gerade erst von der Intensivstation war.

Er zog die Nase hoch und wischte sich die Tränen weg. Am liebsten würde er noch ins Bad gehen und sich das Gesicht waschen, doch er wusste, dass er nach der Krankengymnastik zu müde war. Außerdem sollte er dafür noch eine Krankenschwester rufen, damit diese ihm half, doch das würde er zu beschämend finden. Niemand sollte ihn so sehen. Sein Blick fiel auf die Uhr. Er hatte noch eine halbe Stunde, ehe Satoki kam. Bis dahin würde man ihm sicher auch so nicht mehr ansehen, dass er geweint hatte. 

Tooru presste ein Lächeln heraus und schlug die Handflächen gegen die Wangen. „Reiß dich zusammen, Tooru. Du bist stark! Du brauchst kein Mitleid!“


Es kam ihm heute wie ein Kraftakt vor die Maske vor Satoki aufrecht zu halten. Noch einmal wollte er vor ihm auf keinen Fall weinen. Er war viel stärker, würde sich doch von so was nicht aus der Ruhe bringen lassen.

Es kam ihm vor, als würde Satoki über Dinge erzählen, die für ihn immer schwerer greifbar waren. Die Erzählungen vom Training klangen unwirklich und er konnte die Atmosphäre auf den Trainingsplätzen kaum noch richtig greifen. Es schien viel zu lange her zu sein, dass er selbst auf diesen Feldern gestanden hatte. Wie lange würde es dauern, bis er zurück war? Immerhin wusste er bereits, dass er nicht direkt zurück nach Komae kommen würde. Man hatte ihm eine Reha empfohlen und sein Vater hatte bereits alles in die Wege geleitet. Dort sollte er sich erholen und wieder zu Kräften kommen. Zwei Wochen würde es dauern – vermutlich. Auch eines dieser Wörter, die er nicht mehr hören konnte. Vermutlich würde sich die Lunge wieder vollkommen erholen, vermutlich würde er zu den Meisterschafen wieder fit. Vermutlich könnte er es schaffen den verpassten Stoff in der Schule wieder nachzuholen.

„Oi, hörst du mir überhaupt zu?“

Tooru sah nach rechts und grinste. „Sicher, sicher …“

„Das sah aber nicht so aus“, kam es kritisch zurück.

„Es ist schwer deiner eintönigen Stimme über einen längeren Zeitraum zu folgen“, erwiderte er schnippisch.

„Und, ist es okay für dich?“

Ertappt, dachte Tooru. Natürlich hatte er keine Ahnung, wo von Satoki redete, denn er hatte tatsächlich in den letzten Minuten nicht aufgepasst. „Ich sagte ja, bei deiner eintönigen Stimme hat sich mein Gehirn verabschiedet.“

„Ich habe gefragt, ob es okay ist, wenn ich morgen unsere übermotivierten Pitcher mitbringe.“ 

Tooru suchte in seinem Kopf nach der passenden Antwort. Er war sich nicht sicher, ob er aktuell imstande war sich mit diesen Beiden auseinanderzusetzen, ihren Geschichten zu lauschen. Er wusste nicht, ob er es aushalten konnte, wenn sie im erzählten, wie sehr sie sich im Training anstrengten, wie große Schritte sie gemacht hatten.

„Nakamura?“

Lächle. Verdammt lächle! Ihm wollte kein Lächeln über die Lippen gehen. Kein flapsiger Spruch bildete sich in seinem Gehirn. Die Anfrage von Satoki hatte ihn überrumpelt, dabei war ihm doch klar gewesen, dass irgendwann wieder andere Teammitglieder auftauchen würden. Doch so wie er jetzt aussah, er wollte nicht, dass sie ihn so sahen.

„Ich kann ihnen auch sagen, dass der Arzt gesagt hat, dass du die nächsten Tage noch keinen großen Besuch empfangen sollst.“

Tooru wollte antworten, worauf er denn hinaus wollte, doch die Wörter kamen nicht über seine Lippen. Stattdessen nickte er einfach nur.

„Also soll ich ihnen sagen, dass es noch nicht geht?“

„Ja … ich … ja.“ 

Er hätte sich Ohrfeigen können. Ohrfeigen dafür, dass seine Fassade abermals vor Satoki bröckelte. Dass man ihm ansah, wie schlecht es ihm ging, wie sehr ihn das alles belastete. 

„Dann werde ich das so machen. Das ist ja kein Ding. Die Geschichte werden die Beiden schon schlucken, was?“ 

„Danke.“ 

Seine Stimme hatte immer noch nicht an Stärke gewonnen und am liebsten würde er gerade in diesem Augenblick im Boden versinken.

„Es ist kein Problem, wenn einem mal alles zu viel wird, Nakamura. Ich hoffe, du weißt das.“

„Haha … das ist es nicht. Ich muss ja ein gutes Beispiel sein. Sie sollen ja nicht denken, dass ihr Kapitän sich nicht einmal auf die Toilette begeben kann ohne nachher vollkommen erschöpft zu sein.“

Satoki seufzte. „Dir ist klar, dass du eine schwere Lungenentzündung hattest, ja? Es ist vollkommen natürlich, dass dein Körper diese Krankheit mitgenommen hat. Niemand verlangt von dir, dass du bereits wieder munter durch die Gegend hüpfst.“

„Es ist bereits ein Monat.“

„Mhm?“

„Ich bin einen Monat im Krankenhaus“, wiederholte er. „Das ist mir heute bewusst geworden. Ein Monat seitdem ich beim Spiel zusammengebrochen bin.“

Satoki nickte jetzt. „Ja, einen Monat.“

„In diesem Augenblick, als ich da auf dem Boden … ich weiß nicht mehr, was da in meinem Kopf vorging. Ich hatte Angst, denke ich. Angst keine Luft mehr zu bekommen.“

„Nakamura, du musst darüber nicht reden, wenn du nicht willst.“ Satoki knetete nervös seine Hände. „Niemand verlangt das von dir.“

„Sag mir, dass ich es schaffe“, erwiderte er. Er konnte nicht mehr. Es war einfach zu anstrengend. In diesem Moment brauchte er jemand, der ihm sagte, dass alles gut werden würde. Jemand, der ihm sagte, dass er stark genug war. Stark genug für das, was noch vor ihm lag.

„Hyaha!“ Satokis lautes Lachen drang durch den Raum. „Natürlich wirst du es schaffen! Der geniale Catcher von Komae wird an so einer kleinen Aufgabe doch nicht scheitern.“

„Ich bin so müde“, flüsterte er und er war sich sicher, dass Satoki verstand, dass er damit nicht seinen körperlichen Zustand meinte. 

„Du kannst immer mit mir reden, ich werde gegenüber den anderen kein Wort darüber verlieren. Du musst verstehen, dass du das nicht alleine durchstehen musst. Wir helfen dir dabei, so gut wir können, ja?“

„Satoki …“

„Ja?“

„Danke.“ Nur mit Mühe konnte Tooru die neunen Tränen zurückhalten. „Danke, dass du jeden Tag herkommst.“

„Äh ... sicher ... Ich kann ja nicht zulassen, dass du hier vor Langeweile umkommst. Es wäre schade drum.“

Tooru grinste schief. „Da bist du sicher einer der Wenigen, die so denken. “

„Weil du so eine verdorbene Persönlichkeit hast! “


22

01.Dezember


Tooru machte jeden Tag kleine Fortschritte. Langes Laufen war für ihn zwar immer noch eine große Qual und sein Körper gab sich schneller als gewünscht seiner Erschöpfung hin, aber seine Wege wurden immer länger. 

Mit langsamen Schritten folgte er Satoki durch die Flure des Krankenhauses. Sie waren auf dem Weg zur Cafeteria, wo sie Kawashima und Yamada treffen wollten. Tooru selbst hatte es so vorgeschlagen. Vielleicht aus dem dummen Glauben heraus, so Stärke zu demonstrieren. Inzwischen glaubte er vielmehr, dass er das Gegenteil erreichen würde. Noch waren sie nicht einmal an den Fahrstühlen angekommen und schon merkte er, wie er immer müder wurde. 

Satoki, der einen Rollstuhl vor sich herschob, sah sich zu ihm um. „Willst du dich reinsetzen?“, fragte er.

Tooru kicherte. „Keine Angst, ich schaffe das!“

„Du siehst nicht danach aus.“ Satoki löste die Hände von dem Rollstuhl, drehte sich um und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich würde ehrlich gesagt lieber vermeiden wollen, dass du umkippst.“

Toorus Mund öffnete sich, doch schließlich sagte er nichts, sondern nickte nur. Geschlagen setzte er sich in den Rollstuhl. „Zufrieden?“

„Ja. So sind wir auch schneller, bei deinem Tempo muss man ja Angst haben, dass die Zwei eine Suchmeldung rausschicken werden.“

„Wie gemein!“, gab er ironisch zurück. 

Satoki setzte sich wieder in Bewegung und es dauerte nicht lange, bis sie die Fahrstühle erreicht hatten und der Shortstop ihn hineinschob. „Wann wirst du die Reha beginnen?“

„In fünf Tagen.“

„Zwei Wochen, nicht wahr?“

„Ja.“ Tooru giggelte. „Wirst du mich vermissen?“

„Hyaha, ich bin froh, wenn ich endlich nicht mehr deinen Babysitter spielen muss!“

„Es wird eine schöne Zeit, so ganz ohne dein hässliches Gesicht“, erwiderte Tooru. 

Natürlich waren sie sich beide bewusst, dass der andere das Gesagte nicht ernst meinte. Tooru für seinen Teil sah der Reha mit gemischten Gefühlen entgegen. Er hatte Angst, dass er dort wieder Zeit hatte über all die Konsequenzen nachzudenken, von denen er hier durch die Besuche zumindest teilweise abgelenkt wurde.

„Dein Gesicht, Nakamura. Setz dein dummes Grinsen auf, wir sind gleich in der Cafeteria.“ 

Satoki hatte natürlich bemerkt, dass er in den letzten Minuten in Gedanken verfallen war. „Könntest du den Rollstuhl hier irgendwo abstellen … ich würde die letzten Meter gerne laufen.“

„Sicher, sicher. Alles für den Kapitän!“

„Der bist derzeit du“, antwortete Tooru leise und quälte sich dann aus dem Rollstuhl heraus. 

Seine Beine fühlten sich noch immer wackelig an, aber er war sich sicher, dass er es bis zum Tisch schaffen würde. Er wollte sich die Blicke ersparen, die er bekommen würde, wenn in Satoki im Rollstuhl hineinschob. Sicher sah er auch schon so schlimm genug aus. 

Zu seinem Pech hatten sich die beiden Pitcher ausgerechnet einen der Tische ausgewählt, die am weitesten entfernt waren. 

„Nakamura!“ Kawashima war aufgesprungen, als er ihn sah und riss die Hand in die Luft. „Wir sind hier!“

„Wir haben euch schon gesehen, sind ja nicht blind!“, gab Satoki neben ihm genauso laut zurück.

Kurz bevor sie den Tisch erreicht hatten, stand auch Yamada auf. Der Schwarzhaarige nickte leicht. „Nakamura. Wie geht es dir?“

Er konnte es in ihren Gesichtern sehen. Die Sorge – vielleicht sogar Mitleid. Verübeln konnte er es ihnen nicht. Es würde noch eine Zeit dauern, bis er das Gewicht vor der Krankheit wieder erreichte und das er immer noch fürchterlich blass im Gesicht war, tat sein übriges.

„Gut. Es geht immer besser“, antwortete er und lächelte. „Und meinen beiden Lieblingpitchern?“

„Tooru! Wenn du zurück bist, dann musst du dir unbedingt meine Würfe ansehen! Ich habe die letzten Wochen wirklich hart daran gearbeitet und Satoki-Senpai hat gesagt, dass …“

„Ruhig, Kawashima“, fuhr Satoki schnell dazwischen. „Wie ist es, wenn wir uns erst einmal setzen und etwas Kuchen und Getränke holen.“

„Ja, sicher. Entschuldigung, Satoki-Senpai.“ Kawashima setzte sich hin und auch Yamada ließ sich wieder auf den Stuhl sinken.

Tooru umgriff die Stuhllehne und ärgerte sich darüber, dass man ihm vermutlich ansah, mit wie viel Anstrengung das alles verbunden war. Doch schließlich hatte er es geschafft und saß an dem Tisch. 

„Was wollt ihr haben. Ich werde zur Theke gehen und es holen.“ 

Schnell zählten die beiden Pitcher auf, was sie wollten und auch Tooru nannte seine Bestellung, wenn er sich auch noch nicht sicher war, ob er ein dickes Tortenstück auch herunterbekommen würde. Sein Appetit war noch immer nicht besonders groß.


„Hat dir Satoki-Senpai die Videos gezeigt?“ 

Sie hatten gerade begonnen zu essen, da hatte Kawashima wieder angefangen, wie ein Wasserfall zu reden. 

„Ja. Du machst wirklich Fortschritte.“

„Und von mir? Hat er dir auch meine Videos gezeigt, Nakamura?“

Sein Kopf drehte sich in Richtung Yamada und er nickte. „Sicher, deine Würfe sind denen eines Ace würdig.“

„Pff! Du wirst schon sehen, wenn ich erst einmal meine Würfe komplett habe, dann werde ich dich überholen Yamada!“

Tooru lauschte noch einige Zeit, doch dann schaltete sein Gehirn ab und er begann in seinem Kuchen herumzustochern. Er hatte gerade einmal die Hälfte auf und verspürte bereits keinen Hunger mehr.

„Möchtest du nicht mehr?“

Er sah zur Seite zu Satoki. „Nein, ich denke, ich bin satt.“

„Du schaffst nicht noch ein paar Bissen?“

„Nein, wirklich nicht.“ Tooru ließ die Gabel auf dem Teller sinken und schob ihn anschließend ein paar Zentimeter weg.

„Vielleicht will den Rest ja einer von euch essen?“, hängte er an.

„Damit ich auch krank werde, nein Danke!“

„Es ist nicht ansteckend, Kawashima“, schimpfte Satoki und zog den Teller dann zu sich. „Ob ich ein Fan von dieser Schokotorte bin, weiß ich allerdings nicht.“

„Wann wirst du zurückkommen, Nakamura-Senpai?“ 

Kawashimas Augen schienen ihn geradezu zu durchbohren. 

„Mitte Dezember … vielleicht auch Ende. Ich weiß nicht, ob ich danach erst noch einige Tage zu Hause sein werde.“

„Dann bist du beim Wintercamp also vielleicht wieder da?“

Tooru lachte auf. „Ich glaube kaum, dass ich da schon wieder mittrainieren kann.“

„Das meinte ich auch nicht. Ich meine, du könntest meine Bälle ansehen! Ich werde den ganzen Tag daran arbeiten!“

„Da gibt es sicher auch andere Baustellen.“ Tooru grinste schief. „Wie dein Batting zum Beispiel!“

„Das wird immer besser! Ich bin Pitcher, Tooru, Pitcher! Das ist es, womit ich das Team am besten unterstütze!“

„Jaja, vielleicht schaue ich mir deine Würfe an.“ Er merkte den stechenden Blick von dem anderen Erstklässler und korrigierte sich umgehend. „Eure Würfe, natürlich. Sofern ihr bis dahin die Kontrolle verbessert habt. Ich will vermeiden einen eurer Bälle auf meine verletzte Rippe zu bekommen.“

„Kawashimas langsamen Bälle sind da sicher kein Problem.“ Satoki lachte laut auf. „Bei Yamada mache ich mir das schon größere Sorgen!“

„Hey!“ Kawashima zog ein langes Gesicht. „Meine Bälle sind viel schneller geworden!“


Am Ende waren es ein paar entspannte Stunden geworden, wenn sie ihn auch fix und fertig zurückließen. Ihm war schließlich nichts anderes übrig geblieben, als sich von Satoki im Zimmer helfen zu lassen. Zu erschöpft und müde war er gewesen, um es alleine bis zum Bett zu schaffen. Immerhin war es Satoki gelungen Kawashima und Yamada davon abzuhalten noch mit auf das Krankenzimmer zu kommen. Er wollte nicht noch mehr sinken. Ihm reichte es auch so schon. Schließlich wollte er von seinem Teamkameraden kein Mitleid. 

„Ich bin mir sicher, dass sie nicht gemerkt haben, wie schwer es dir noch fällt. Du hast dich gut gehalten.“ 

Tooru nickte müde. „Danke für die Blumen“, nuschelte er leise hervor. 

„Wir sehen uns dann, ja?“

„Sicher, sicher“, gab Tooru zurück und war danach schnell in den Schlaf gesunken.


23

04. Dezember


Yui öffnete die Tür und trat leise in das Krankenzimmer hinein. Sie lächelte. Tooru lag in seinem Bett und schlief.

Sie setzte sich auf den Stuhl, der am Fenster stand und beobachte ihn. Sein Gesicht hatte über die letzten Tage deutlich an Farbe gewonnen, wenn man ihm auch noch ansah, dass die Krankheit ihm viel Kraft gekostet hatte. Es würde wohl lange dauern, bis er seinen Appetit und vor allem das verlorene Gewicht wieder drauf hatte.

Nach zwanzig Minuten regte sich Tooru im Bett und wachte langsam auf. Er sah sie mit verschlafenen Augen an. „Seit wann bist du da?“

„Erst ein paar Minuten“, log sie.

„Du hättest mich ruhig wecken können“, nuschelte Tooru hervor und richtete sich im Bett auf.

„Ist schon gut.“ Sie hielt die Tasche hoch, die auf dem Tisch gelegen hatte. „Ich habe dir Äpfel mitgebracht. Vitamine sind jetzt wichtig.“

„Man könnte meinen, du bist meine Mutter“, stichelte er und grinste. „Hast du sonst was dabei, oder nur Äpfel?“

Sie stöhnte und zog ein Tablet hervor. „Satoki hat dir neue Videos vom Training der Pitcher draufgeladen. Wenn du Zeit hast, kannst du sie dir ansehen.“

Wieder lachte er. „Ich habe massig Zeit!“

Er streckte die Hand aus und sie reichte ihm das Tablet. Für einen winzigen Moment berührten sich ihre Hände und sie spürte Wärme in sich aufsteigen.

Schlag ihn dir endlich aus dem Kopf, mahnte sie sich selbst. Er liebt nur Baseball.

„Ist dir warm?“

„Mhm?“ Ertappt fuhr sie zusammen und hatte das Gefühl, als würde sie nur noch röter anlaufen. „Wie kommst du darauf?“

„Deine Wangen sind ganz rot. Wenn dir warm ist, kannst du ruhig das Fenster aufmachen.“

Sie schüttelte energisch den Kopf. „Kommt nicht in Frage. Du bist noch immer krank. Was du nicht brauchen kannst ist eine weitere Erkältung oder die Tatsache, dass die Lungenentzündung wieder aufflammt.“

Tooru nickte nur und war kurzdarauf vertieft in die Videos, die ihr Satoki mitgegeben hatte.

„Hast du schon alles für die Reha gepackt oder brauchst du noch was?“

Es hatte ein paar Sekunden gebraucht, bis er sich von dem kleinen Bildschirm löste und sie ansah. „Mein Vater hat alles gepackt, aber danke.“

Schon in zwei Tagen würde es losgehen und sie wusste schon jetzt, dass sie ihn vermissen würde.

„Ich werde dich an den Wochenenden besuchen“, entschied sie. „Ist sicher langweilig da.“

„Du brauchst nicht extra hinfahren. Es ist eine ziemliche Strecke.“

„Es macht mir nichts aus“, schoss es aus ihr heraus. „Wir sind immerhin schon lange Freunde und so was, das machen Freunde eben.“

Tooru zuckte mit den Schultern. „Wie du meinst, ich werde dich nicht davon abhalten. Aber stöhn später nicht über die langen Zugfahrten.“

„Wenn du magst, kann ich dir dann auch Trainingsvideos mitbringen.“

„Das wäre nett.“ Ein zartes Lächeln schmückte sein Gesicht. „Ich würde gerne über Kawashimas Fortschritte auf dem Laufenden bleiben.“

„Er arbeitet sehr konzentriert“, erzählte sie. „Motiviert wie immer.“

„Wie sehen die Pitches vom nahen aus?“

„Ich weiß nicht ob ich das beurteilen kann.“ Yui strich sich eine Strähne hinters Ohr.

„Natürlich, immerhin bist du auch Pitcher.“

„Aber doch nicht auf dem Niveau“, widersprach sie verlegen.

„Dein Niveau war gut“, hielt Tooru dagegen. „So gut, dass ich immer noch nicht verstehe, wieso du nicht eine Schule gewählt hast, auf der du weiter Baseball spielen kannst oder zumindest Softball.“

Er hielt sie für gut. Ihr Herz begann bei seinen Worten aufgeregt gegen ihre Brust zu schlagen. Immerhin wusste Tooru, wovon er sprach. Doch es nütze nichts mehr. Sie hatte sich für eine Zukunft entschieden, in der sie kein Baseball mehr spielen würde. Sie wollte einen festen Job haben, nicht ihre ganze Freizeit für das Training opfern müssen. Außerdem hatte sie in Toorus Nähe bleiben wollen, auch wenn sie inzwischen begriffen hatte, dass er für sie wohl niemals mehr als Freundschaft empfinden würde.

„Du willst mich nur aufmuntern“, gab sie gespielt sarkastisch zurück.

„Hältst du mich wirklich für so eine Person?“ Er kicherte. „Wirklich, Yui, ich dachte, du würdest mich besser kennen.“

„Manchmal habe ich den Eindruck, du wärst der Teufel persönlich.“

„Das nehme ich einfach mal als Kompliment.“ Tooru sah aus dem Fenster. „Ich kann es gar nicht erwarten, hier rauszukommen.“

„Das kann ich verstehen.“ Sie griff in die Tasche und begann damit einen Apfel zu schälen und in kleine Stücke zu schneiden. „Du hast inzwischen auch lange genug hier festgesessen.“

„Die Zeit bis zu den Koshien wird immer weniger.“ In seiner Stimme schwang etwas Wehmütiges mit. „Ich bin mir nicht sicher, ob es klappen wird.“

„Sicher wirst du das!“, entgegnete Yui entschlossen. „Deine harte Arbeit wird sicherlich belohnt werden.“

„Na hoffentlich.“


Yui war noch zwei Stunden geblieben. Dann hatte sie gemerkt, dass Tooru wieder müde wurde und war mit der Ausrede, dass sie noch lernen müsse, gegangen.

Es freute sie zu sehen, dass er mit jedem Tag besser drauf war und immer fitter wurde. Sie hatte keinen Zweifel daran, dass er es tatsächlich bis zu den Koshien schaffen würde, doch sie war sich auch bewusst, dass es ein steiniger Weg mit vielen Hürden sein würde. Hürden, die nicht leicht zu überfinden sein würden, doch sie war gewillt, Tooru dabei zur Seite zu stehen, auch wenn es nur als gute Freundin war.

24

06. Dezember

Yuzuru schwang Nakamuras Tasche in das Taxi. Er sah seinen Freund an. „Na dann … bis in zwei Wochen, was?“

Nakamura nickte. „Ja, bis in zwei Wochen …“

„Ich erwarte, dass du mich über SMS auf dem laufenden hältst. Ich will jede Einzelheit erfahren.“

Ein Kichern entkam dem Catcher. „Na ja, ich glaube, es wird nicht viel zu berichten geben.“

„Das weiß man nie!“, erwiderte Yuzuru. 

Yuzuru sah zu, wie Nakamura zu seinem Vater in das Taxi stieg und dann die Tür zuschlug. Er sah durch die Scheiben der Rückbank und hob die Hand ein Stück, ehe er dem Fahrer sagte, dass er losfahren könnte. Yuzuru folgte dem Taxi mit seinen Augen, bis es schließlich an der nächsten Kreuzung nach rechts abbog und verschwand. 

Yuzuru seufzte. „Na dann, auf zur Schule. Es wartet noch eine Menge Training.“

Yuzuru hoffte wirklich, dass Nakamura nach diesen zwei Wochen mit neuer Kraft zurückkehren würde. Vielleicht tat ihm der Abstand vom Baseball ja wirklich gut. Es musste belastend sein, sich von den Teamkollegen anhören zu müssen, wie das Training lief, wenn man selbst nicht in der Lage war, selbst auf dem Feld zu stehen. 

Nakamura hatte sich Mühe gegeben sich das nicht anmerken zu lassen, aber selbst wenn es den anderen Teamkameraden nicht aufgefallen war, so hatte er es doch sehen können, dass ihm schwer gefallen war, die Fassung zu wahren. 

Als er auf dem Trainingsfeld angekommen war, herrschte schon reichlich Betrieb und alle absolvierten das Morgentraining mit viel Elan. Yuzuru ging eilig in sein Zimmer und wechselte die Klamotten. Er wollte immerhin noch ein paar Schwünge machen, ehe die Trainingsstunden beendet waren. Er konnte es gar nicht erwarten, wenn endlich die Winterferien anbrechen würden. Dann konnte er sich nur noch auf Baseball konzentrieren und alles andere in den Hintergrund schieben. Sie hatten noch drei Monate und zwei Wochen bis zu den Koshien. Es gab also keine Zeit auf der faulen Haut zu liegen. Wenn Nakamura zurückkommen würde, dann wären es nur noch drei Monate. Der Gedanke, dass sie bei den Meisterschaften ohne ihren besten Catcher auf dem Feld stehen müssten, machte sich einmal mehr in seinem Kopf breit. Das würde nicht passieren! Nakamura würde dabei sein! Er würde die Rolle als Kapitän wieder einnehmen können, wenn die Meisterschaft begann. Es gab keinen Grund daran zu zweifeln, immerhin ging es ja aufwärts. Die Lungenentzündung war durchstanden und jetzt ging es nur noch darum wieder zur Kräften zu kommen.



Zweiter Teil



Teil II


25

19. Dezember

Es war ein eigenartiges Gefühl, als Tooru aus dem Taxi ausstieg und auf das Wohnheim blickte. Wie lange war es her, seit er diesen Boden betreten hatte? Waren es tatsächlich fast zwei Monate gewesen? Sein Herz klopfte aufgeregt in seiner Brust. Irgendwie fühlte es sich so an, als wäre er wieder Erstklässler und das sein erster Tag in dieser Schule. 

Er wollte seine Tasche gerade aus dem Taxi nehmen, da kam ihm Yamazaki zuvor. Sie lächelte. „Du sollst noch nicht so schwer tragen.“

„Die Reisetasche ist nicht besonders schwer“, erwiderte er und strecke die Hand aus.

Doch er hatte seine Rechnung ohne Yamazaki gemacht. Sie lenkte nicht ein und schulterte stattdessen die Tasche. „Komm, du bist sicher müde“, sagte sie und war bereits in Richtung Wohnheim aufgebrochen. „Und du bist sicher, dass du nicht erst noch einige Tage bei deinem Vater sein willst, zur Ruhe kommen?“

„Ich möchte ihm nicht weiter zur Last fallen“, war alles, was Tooru darauf erwiderte. Was gab es da auch anders zu sagen. Er wollte nicht, dass sein Vater sich wieder um ihn kümmern musste. Er war fit genug, dass er wieder alleine leben konnte. Außerdem konnte er hier den verpassten Stoff aus der Schule viel besser nacharbeiten.

„Wir haben besprochen, dass du die nächsten Wochen erst einmal bei Satoki und Kawashima im Zimmer wohnen wirst“, kam es von vorne.

Tooru fiel aus allen Wolken. Das war doch wohl nicht ihr ernst? „Yamazaki-chan. Ich denke, dass ich sehr gut alleine auf mich aufpassen kann.“

„Du kannst keinen Widerspruch einlegen, es ist bereits beschlossene Sache. Das Zimmer liegt außerdem im Erdgeschoss, du hast also keine Treppe zu laufen.“

„Das stellt inzwischen kein großes Problem mehr da“, versuchte Tooru, doch er hatte keine Chance. Yamazaki hörte nicht auf ihn und brachte seine Sachen tatsächlich in das Zimmer von Satoki und Kawashima. Wirklich, wie sollte er dort die nötige Ruhe haben? Das war doch Folter und keinesfalls zu seinem Besten. Vielleicht war das seine Strafe. Die Strafe dafür, dass er seine Verletzung verschwiegen hatte.

„Sie sind noch beim Training, nehme ich an?“ 

„Ja. Ich werde gleich rübergehen und ihnen sagen, dass sie dir noch eine Flasche Wasser mitbringen.“

„Ich kann selbst bis zum Getränke …“

Yamazaki ließ ihn nicht ausreden. „Du bist sicher müde von der langen Reise. Leg dich etwas hin und versuch zu schlafen.“

Als Yamazaki gegangen war, merkte Tooru, dass er tatsächlich müde war. Er hob die Reisetasche von dem Bett, das man wohl für ihn vorgesehen hatte und legte sich hinein. Dann schlossen sich seine Augen und er sank in den Schlaf hinüber. 

„Psst, Satoki-Senpai. Er schläft!“

Jetzt nicht mehr, dachte Tooru, als sich seine Lider öffneten und er in das Gesicht des lauten Pitchers sah. 

„Ich würde sagen, du hast ihn erfolgreich aufgeweckt, Kawashima“, erwiderte Satoki und verpasste dem Erstklässler lachend eine Kopfnuss.

„Es gab Gründe, wieso ich gegen dieses Zimmer war“, nuschelte Tooru verschlafen. Mühsam richtete er sich auf und brachte sich in die sitzende Position.

Satoki grinste schief. „Wie war die Reha? Zumindest hast du wieder Farbe im Gesicht, wenn wir auch an deinem Gewicht noch arbeiten müssen.“

„Hast du Zeit, meine Bälle zu begucken?!“

„Ruhig, Kawashima!“ Satoki drehte den Kopf über die Schulter. „Siehst du nicht, dass sich hier erwachsene Menschen unterhalten?“

„Pff! Wie gemein!“ 

Satoki machte eine Handbewegung und wandte sich unbeeindruckt wieder Tooru zu. „Und, wie war’s?“

„Stink langweilig.“ Tooru kicherte. „Aber immerhin gab es da niemanden mit so einem lauten Organ wie Kawashima. Also kam es einem Fünf-Sterne-Urlaub nah.“

„Du bist so ein hinterhältiger Typ“, schimpfte der Angesprochene. „Unglaublich!“ 

„Danke für das Kompliment.“ Tooru lehnte sich an die Wand zurück. „Es ist knapp zwei Monate her, seit dem Spiel“, sagte er leise. „Unglaublich.“

„Mhm, ja.“ Satoki ließ sich neben ihm fallen. „Aber das schwierigste hast du jetzt überstanden. Nun musst du nur noch darauf warten, dass die Rippe und die Lunge vollständig ausgeheilt sind und kannst wieder loslegen.“

„Vermutlich darf ich in knapp einem Monat mit leichten Training beginnen“, erzählte Tooru nun.

„Was, so schnell? Das ist doch großartig.“

„Nur die untere Körperhälfte“, hängte Tooru an. „Nicht gerade optimal für einen Catcher, was?“

„Aber immerhin etwas“, erwiderte Satoki. „Besser als nichts.“

„Ja, vielleicht.“ 

„Wirst du morgen zum Training kommen? Meine Bälle begucken?“

Tooru lächelte. Kawashima schien begriffen zu haben, dass er sich heute dazu nicht mehr in der Lage fühlte. „Sicher, ich bin schon gespannt.“

„Ich werde gleich noch einmal losziehen. Vielleicht lässt mich Yoshida ja noch ein paar Würfe machen!“

„Wenn du ihn nett bittest. Schwerer als bei mir, sollte die Überzeugungsarbeit nicht sein.“

„Alles ist leichter, als mit einem Tanuki wie dir zusammenzuarbeiten!“ Kawashima verschränkte die Arme vor der Brust. „Trotzdem freue ich mich, dass du wieder zurück bist, Nakamura-Senpai!“

Ein Lachen entkam dem Catcher. „Ich fühle mich geehrt, Senpai! Es ist lange her, das ich das aus deinem Mund gehört habe.“

„Ja, ja, ja … ich werde dir schon zeigen, was ich draufhabe. Dann wirst du nicht weiter so dumme Späße mit mir treiben!“


Die beiden Älteren sahen zu, wie Kawashima seine sieben Sachen wieder zusammensuchte und dann aus dem Zimmer verschwand.

Tooru stöhnte. „Wirklich, ich weiß nicht, was sich Yamazaki und der Trainer dabei gedacht haben. Wieso strecken die mich gerade mit Kawashima in ein Zimmer.“

„Ich habe es vorgeschlagen“, kam es von seiner linken. 

Tooru sah überrascht zur Seite. „Wie bitte?“

„Ich dachte, dass du vielleicht die ersten Tage noch Hilfe benötigen könntest.“ Satoki kratzte sich am Kopf. „Ich hatte ja keine Ahnung, dass es dir schon wieder so gut geht.“

„Mir bleibt wohl nichts anders übrig, als das durchzuhalten, was? Sind ja nur ein paar Wochen.“

„Wenn es zu viel wird, sag mir einfach Bescheid. Dann erteile ich ihm eine Wrestling-Lektion!“ Satoki sprang aus dem Bett. „Apropos Wrestling, hast du Bock auf ein Computerspiel?“

Tooru dachte einige Sekunden ernsthaft über das Angebot nach, lehnte dann aber dankend ab. „Ehrlich gesagt würde ich gerade lieber schlafen“, gab er zu, „das war heute doch irgendwie alles anstrengender, als ich gedacht hätte.“

„Wie du meinst, wie du meinst. Ich werde dann Kopfhörer an den Fernseher anschließen, dann kannst du in Ruhe schlafen … na ja, zumindest bis Kawashima zurückkommt.“

26

20. Dezember


Es war zehn Uhr, als er aufwachte, dabei hatte er vorgehabt, bereits beim Beginn des Trainings dabei zu sein.

Mühselig kämpft sich Tooru aus dem Bett und ging in langsamen Schritten in Richtung Trainingsfeld. Er stellte sich etwas abseits in und beobachtete das Geschehen aus der Ferne. Für einen Moment schloss er die Augen und sog den Grasgeruch in die Nase.

Wie er diesen speziellen Geruch vermisst hatte.

Seine Hände glitten in die Hosentaschen und er setzte sich wieder in Bewegung, um eine andere Position einzunehmen, von der er die Bullpen sehen konnte.

Kawashimas Stimme konnte bereits von Weiten hören. Der Pitcher diskutierte lautstark darüber, wie viele Bälle er noch werfen durfte. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, als er sich an die Diskussionen mit Kawashima erinnerte. Es kam ihm vor, als wäre es erst gestern gewesen, obwohl inzwischen zwei Monate seit ihren letzten gemeinsamen Würfen vergangen sein mussten.

„Noch zehn!“, hörte er Kawashima rufen. 

Wehmut breitete sich in ihm aus. Was würde er dafür geben, wenn er nur einen dieser Bälle fangen dürfte.

Das Geräusch, wenn der Ball das Leder des Handschuhs traf. Das Gefühl einen perfekten Pitch gefangen zu haben. Er fragte sich, wie lange es noch dauern würde, bis er diese Emotionen wieder wahrnehmen könnte. 

Inzwischen war er nur noch wenige Meter von der Bullpen entfernt und hatte die Pitcher bestens im Blick. Würden sie herübersehen, dann würden sie ihn bemerken, doch im Augenblick arbeiteten alle drei so konzentriert, dass sie ihn nicht sahen. 

Er lächelte, als er die Fingerhaltung von Kawashima erkannte. Er schien direkt zum richtigen Zeitpunkt gekommen zu sein. Ein Zero-Seamer. Einen der Würfe, die es zu vervollständigen galt, denn durch die unregelmäßige Flugbahn war dieser Pitch eine wirkliche Herausforderung für den Batter. Der erste Pitch war ein Ball, doch danach konnte Kawashima zwei Bälle direkt in die Strike Zone setzen. Danach hatte Yoshida ihn noch einige 4-Seamer werfen lassen. Ein Pitch, mit hoher Geschwindigkeit und einer möglichst geradliniger Flugbahn. Ein Wurf, der für den Pitcher relativ gut kontrollierbar ist. Das zeigte sich auch jetzt wieder. Alle vier Pitches, die Kawashima warf, waren Strikes.

Kawashima schien nicht gelogen zu haben, als er sagte, dass er an seinen Griffen üben würde. Tooru fragte sich, wie viele sie inzwischen wohl ausprobiert hatten. Ein neuen Gefühl machte sich in breit. Eines, was er in den letzten Monaten vermisst hatte. Anspannung, die Lust etwas zu wagen. Kawashima hatte schon von Beginn an verwunderliche und eigenartige Bälle geworfen. Eine Tatsache, die nun zu seinem Vorteil werden könnte. Er hatte Talent mit nur einer winzigen Veränderung in seiner Grifftechnik den Pitch in eine vollkommen neue Richtung zu lenken. 

Das ist so interessant. Was man damit alles im Spiel anfangen konnte!

„Nakamura Tooru !!!“ 

Er wurde aus den Gedanken gerissen. 

Kawashima sah in seine Richtung und schien ihn ausgemacht zu haben. Vorbei war die Chance sich in Ruhe ein Bild zu verschaffen. 

„Seit wann bist du hier?!“

Tooru lachte. „Ich bin gerade erst gekommen. Keine Panik also, habe keinen deiner schlechten Würfe gesehen!“

Er begab sich in die Bullpen. Er nickte Yoshida zu. „Ich sehe, du hast alles in Griff.“

„Mehr oder weniger. Wie geht es dir?“

„Besser, besser … ich dachte, ich schaue mal vorbei.“

„Nakamura-Senpai. Willst du meinen Change-up sehen? Ich habe ihn inzwischen fast perfektioniert!“ Kawashima stand bereits wieder in der richtigen Position und umgriff den Ball fest mit seiner Hand.

„Du willst mich so etwas Langweiliges sehen lassen?“ Tooru kicherte. „Zeig mir was Frisches. Etwas, das ich noch nicht gesehen habe.“

„Jawohl! Du wirst sehen, ich habe das gemacht, was du mir aufgetragen hast!“

Nakamura stellte sich hinter das Netz, das man hinter Yoshida angebracht hatte, um Bälle aufzufangen, die nicht den Handschuh des Catchers trafen. Ein Kribbeln breitete sich in ihm aus und Kawashima enttäuschte ihn nicht, sondern überraschte ihn mit einem Cutter, der auch noch eine gute Geschwindigkeit hatte … wenn er auch nicht sein Ziel traf.

„Sorry! Ich habe den Kurs nicht richtig gelenkt!“, schrie Kawashima.

„Na, da kann ich mich glücklich schätzen, das das Netz den Ball abfängt, was?“, rief Tooru zurück. „War das ein Cutter?“

„Ja! Ich habe versucht ihn so zu ändern, dass ich nicht mehr meinen ganzen Körper benutzen muss!“ 

„An dem Pitch werden wir arbeiten.“ Tooru verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich bin gespannt, was du sonst noch für mich hast.“

„Nakamura-Senpai! Wirst du meine Pitches auch ansehen?“ 

Yamada war die ganze Zeit über ruhig gewesen, doch nun schien er Angst zu bekommen, dass er sich nur um einen der Pitcher kümmern würde. 

„Nun, dann zeig mir, was du gelernt hast. Ich bin gespannt.“



„Hier, ein Wasser.“ 

Tooru nahm die kleine Plastikflasche, die ihm Satoki reichte dankbar an. Niemals hatte er geglaubt, dass es so anstrengend war nur daneben zu stehen. Als er die beiden Pitcher begutachtet hatte, wurde er von den Feldspielern entdeckt und musste etliche Fragen beantworten, ehe er es bis zur Bank schaffte und sich endlich hinsetzen konnte. 

„Du zitterst.“ 

Tooru sah auf seine Finger. Tatsächlich, ein leichtes Zittern ging durch seine Hand. „Oh, habe ich überhaupt nicht bemerkt.“

„Willst du zurück ins Wohnheim?“

Er schüttelte den Kopf. „Nein, ist schon okay. Ich bin wohl nur etwas zu lange auf dem Trainingsplatz herumgehüpft. Ich werde das restliche Training wohl besser von der Bank verfolgen.“

„Wirst du morgen auch kommen?“ Satoki hob das Bein auf die Bank und legte das Kinn auf sein Knie. 

„Ich weiß nicht … ich denke, es wäre Interessant bei Kawashimas Pitcharten mitzuhelfen.“

„Ich werde dafür sorgen, dass man dir einen Stuhl hinbringt. Du kannst unmöglich die ganze Zeit stehen, du siehst ja worin das endet.“

„Danke Mama, dass du so gut auf mich achtest.“ Tooru lachte. „Was würde ich nur ohne dich machen?!“

„Bald wieder im Krankenhaus sein?“ Satoki stand auf und sah ihn an. „Im ernst, Nakamura. Pass auf, dass du dich nicht übernimmst. Stürz dich nicht Kopfüber in das Training mit Kawashima, ja? Wenn du nicht mehr kannst, müde bist, sag ihm das. Er wird es verstehen.“ 

Ehe Tooru etwas erwidern konnte, war Satoki wieder auf dem Feld verschwunden und trainierte sein Fielding. Er ließ die Flasche vor seinen Augen kreisen. Er war alt genug, um zu wissen, wie viel er sich zumuten konnte. Als wenn er sich so leicht von Kawashima einlullen lassen würde.


27

23. Dezember


Yuzuru sah immer wieder zur Bullpen hinüber. Seit zwei Tagen war Nakamura bei jedem Training die ganze Zeit über dort und natürlich hatte er sich keinesfalls an ihre Verabredung gehalten. Jedes Mal, wenn er am Abend ins Zimmer zurückkehrte, war Tooru vollkommen ausgepowert und sofort eingeschlafen. Er konnte Nakamura nicht verübeln, dass er sich in diese Aufgabe stürzte, aber er wollte eben auch verhindern, dass er sich zu viel zumutete. Es war ja, als würde er von null auf hundert schalten und das konnte nicht gesund sein. 

Er verfolgte wie Nakamura von seinem Stuhl aufstand, sich neben Kawashima stellte und anscheinend einige Korrekturen am Griff vornahm. Doch anstatt sich wieder hinzusetzen, blieb er einige Meter hinter dem Pitcher stehen und ließ ihn mehrere Bälle werfen. 

„Was gibt es da zu gucken?“

Yuzuru wirbelte ertappt herum. „Nichts, nichts … alles gut, Kobayashi.“

„Nakamura gibt sich ziemlich viel Mühe mir Kawashima, was?“

„Ja. Vermutlich will er irgendwie nützlich sein.“

„Ich hätte gedacht, dass es länger dauern würde, bis wir ihn wieder dauerhaft auf dem Feld sehen.“

Yuzuru nickte gedankenverloren. „Ehrlich gesagt, dass wäre mir derzeit auch lieber. Ich weiß nicht, ob er sich vielleicht zu viel zumutet. Sicher, Nakamura sagt, dass er seinen Körper am besten einschätzen kann, aber wohin das führt, haben wir ja beim Finale gesehen.“

„Deshalb hast du ihn im Auge, oder wie?“

„Ist es so auffällig?“ Yuzuru lachte. „Ich will nur sicher gehen, dass er keinen Mist baut. Ich habe wenig Lust ihn noch einmal im Krankenhaus zu besuchen.“

„Denkst du, nach all dem wird Nakamura wirklich so unvernünftig sein?“

Yuzuru zuckte mit den Schultern. „Ich hoffe nicht.“ 

Auch nachdem Kobayashi sich wieder seinem Batting zuwandte, hatte Yuzuru den Blick nicht von der Bullpen lösen können.

Kawashima schien alles andere als zufrieden damit zu sein, dass Nakamura die ganze Zeit über hinter ihm stand.

„Nakamura-Senpai, setz dich wieder hin“, forderte der Pitcher mit gewohnt lauter Stimme.

Yuzuru konnte nicht verstehen, was Nakamura darauf antwortete, doch es schien einer seiner sarkastischen Antworten zu sein, denn er verzog den Mund zu einer schiefen Linie.

„Nein! Trotzdem, bitte, setz dich wieder hin!“

Nakamura ging nicht auf seine Aufforderung ein uns sagte stattdessen etwas.

„Wenn du dich wieder hinsetzt!“ 

Yuzuru joggte hinünber.

„Was machst du denn hier so einen Krach, Wamura!?“, hakte er flapsig nach.

Nakamura hob geschlagen die Arme. „Ist ja gut, wenn es dich so nervös macht, dann stelle ich mich hinter Yoshida und sehe mir den Pitch von dort an.“

„Das habe ich so nicht gesagt!“, widersprach Kawashima genervt. „Darum geht es nicht!“

„Ich kann mir auch Yamadas Bälle ansehen, wenn du die Hilfe deines Senpai nicht mehr möchtest.“

„Nakamura, ich glaube, was Kawashima sagen will“, setzte Yuzuru vorsichtig an, „ist, dass du jetzt vielleicht erst eine Pause machen solltest. Du bist schon ziemlich lange auf den Beinen, meinst du nicht?“

„Ich habe die meiste Zeit auf dem Stuhl gesessen. Das ist nicht besonders anstrengend.“ 

„Sieht man“, nuschelte Kawashima hervor.

„Vielleicht haben die Zwei recht, Nakamura, und du solltest wirklich eine Pause machen“, schaltete sich nun auch Yoshida ein.

„Ich will nur dem Team helfen, was ist daran verkehrt?“ Nakamura verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich will nur meinen Teil beitragen. Ich sehe da kein Verbrechen drin!“

Yuzuru trat näher an seinen Freund heran. „Doch, wenn du die Warnsignale deines Körpers übersiehst. Seit ich hier angekommen bin, ist deine Atmung hektisch und flach. Sollte das dir nicht sagen, dass es Zeit für eine Pause ist. Dass du die Grenzen überschritten hast?“

„Wo liegt eigentlich euer Problem? Sehe ich wirklich so aus, als könnte ich das nicht selbst entscheiden?“ Nakamura griff nach seiner Kappe, die auf dem Stuhl lag. „Gut, wie Mama es will, werde ich jetzt auf mein Zimmer gehen und über mein Verhalten nachdenken!“ 

Yuzuru war zu überrascht, als das er etwas erwidern konnte. Einen solchen Ausbruch hatte er von Nakamura noch nie erlebt. Seine Kritik versteckte der Catcher sonst in ironischen Floskeln. 

„Was ist denn mit ihm?“, murrte Kawashima leise. „Muss ja nicht gleich so an die Decke gehen!“

Yuzuru seufzte. Es war wohl falsch von ihm gewesen, zu denken, dass Nakamura die ganzen letzten Monate gut wegsteckte. Er konnte ihm wohl nicht verübeln, dass er aktuell eine dünne Haut besaß.


28

27. Dezember

Yui beobachtete Tooru vom Rand der Bullpen und konnte nichts dagegen tun, dass sich in ihr Sorge ausbreitete. Der Mensch, der ihr am meisten am Herzen lag, war dabei sich an den Rand des möglichen zu befördern. Seit einigen Tagen lief nun schon das alljährliche Wintertrainingscamp und Tooru verausgabte sich bei den Instruktionen der Pitcher vollkommen. Auch war die Atmosphäre angespannt. Er wollte sich von den anderen Spielern seine Grenzen nicht aufzeigen lassen, war der Auffassung, dass er selbst am besten wüsste, was er sich zutrauen konnte.

Sie war sich da nicht so sicher. Es war offensichtlich, dass er sich zu viel zumutete.

„Du solltest für heute Schluss machen“, hörte sie Satoki sagen.

„Ich kann noch ein bisschen“, erwiderte Tooru und Yui kam nicht drumherum die Schärfe in seiner Stimme zu bemerken.

„Das denke ich nicht. Du bist durchgeschwitzt und atmest schwerer als die Spieler, die vorhin über dreißig Minuten das Feld umrundet haben.“

„Entschuldige, dass ich nicht so fit bin wie du!“

Yui trat in die Bullpen und ging auf Tooru zu. „Satoki hat recht, du solltest für heute das Training beenden. Du hast genug getan.“

„Wieso habe ich eigentlich immer das Gefühl, als würdest du als mein Babysitter abgestellt sein?“ Tooru blickte direkt in ihre Augen und sie spürte ihr Herz schneller schlagen. Mach es mir nicht schwerer als es ist, dachte sie. Es ist nur zu deinem Besten.

„Ich mache mir nur Sorgen um dich“, sagte sie in einem ruhigen Ton. „Wir alle“, fügte sie hinzu.

„Ich weiß, wo meine Grenzen liegen.“

„Offensichtlich nicht“, entgegnete sie. „Sonst wäre die Sache beim Herbstturnier nicht passiert.“

Darauf schien er keine Antwort zu wissen. Er schwieg.

„Es ist schon spät, lass es für heute gut sein“, versuchte sie erneut.

„Wie du meinst“, grummelte er. „Hier habe ich ja ohnehin keine Ruhe.“

Er ging an ihr vorbei und stampfte mit den Händen in den Taschen aus der Bullpen. Sie sah ihm hinterher und dann zu Satoki. „Wir sollten aufpassen, dass er sich nicht wieder ins Krankenhaus befördert.“

„Du hast also auch seinen unsicheren Gang bemerkt“, erwiderte er.

„Ja.“

„Ich spreche nach dem Training noch einmal in Ruhe mit ihm. Seine Nerven sind derzeit nicht gerade strabazierbar.“ Satoki drehte seinen Schläger in der Hand. „Wahrscheinlich ist es besser, wenn er sich erst einmal etwas abkühlt.“

Sie nickte.

„Vermutlich ist es das“, antwortete sie.

Als Yui die Bullpen wieder verließ, warteten bereits einige Schulfreundinnen ungeduldig auf sie.

„Ayano, du hattest doch versprochen und bei den Essen für die Spieler zu helfen!“, ermahnte sie ihre beste Freundin.

Sie rannte auf sie zu. „Es tut mir leid, es ist etwas dazwischen gekommen.“

Takahashi zwinkerte ihr zu. „Etwas oder vielmehr jemand?“

„Takahashi!“ Sie merkte, wie ihre Wangen heiß wurden.

„Wann sagst du es ihm denn endlich?“, tadelte sie Takahashi. „Immer zu bist du für ihn da und er scheint einfach nicht zu begreifen. Solchen Typen musst du mit der knallharten Wahrheit kommen. Dann können sie nicht mehr davon laufen.“

Sie seufzte. „Ich glaube nicht, dass das im Augenblick der richtige Zeitpunkt wäre.“

„Weil er sich gerade wieder in deinen Hauptkonkurrenten hineinstürzt?“

„Wen?“

„Na den Baseball, du Dummkopf.“ Takahashi gab ihr eine Kopfnuss. „Manchmal bist du aber auch schwer von Begriff!“ Sie zog sie mit. „Und nun komm. Wir sind ohnehin schon viel zu spät dran.“


29

30.Dezember


Die Umgebung begann sich zu drehen. Instinktiv hielt Tooru sich an der Wand fest. Er musste husten und eine kleine Schmerzwelle jagte durch seine Brust.

Er lachte leise auf. „Wie erbärmlich!“ 

Das konnte doch unmöglich das sein, was er im Augenblick zustande brachte. Es musste viel mehr schaffen, dem Team eine viel größere Hilfe sein. Die letzten Tage war er nicht nur einmal lauter geworden. Es lag eine unangenehme Anspannung in der Luft, sobald er der Trainingsplatz betrat. Auch heute, am letzten Tag des Wintercamps, war er wieder ohne Grund mit Kawashima aneinander geraden. Nein, das stimmte so nicht ganz. Es hatte einen Grund gegeben. Einen verdammt Guten. Kawashima hatte ja vollkommen recht gehabt. Er war am Ende seiner Kräfte. Wenn er nicht auf dem Platz war, versuchte er den Rückstand in der Schule wettzumachen oder sah die Videos der Spiele an, die er verpasst hatte. 

Tooru lehnte den Kopf gegen die kühle Wand. Wieso hatte er nicht die Bremse gezogen? Er hatte ja selbst gewusst, dass es zu viel geworden war. War es wieder sein beschissener Stolz, der ihm im Weg stand. 

„Komm, ich helfe dir.“

Tooru brauchte nicht aufzusehen, um zu wissen, wer mit ihm sprach. Satokis Stimme würde er überall erkennen.

„Solltest du nicht auf dem Feld sein“, nuschelte er hervor. „Ihr habt gleich ein Testspiel.“

„Es gibt auch ab und an wichtigeres als Baseball.“

Tooru löste seine Stirn von der Wand und sah in Satokis Augen. „Wieso bin ich so ungeduldig? Wieso kann ich es nicht abwarten?“

„Weil Baseball alles für dich ist.“ Satoki lachte laut. „Und nun komm, ich helfe dir.“ 

Satoki umgriff seine Hüfte und er stützte sein Gewicht dankbar auf den Shortstop. „Das ist ein Witz, was?“

Tooru konnte nicht anders als über seine eigene Dummheit zu lachen. „Ich bin fürchterlich armselig!“

„Das stimmt nicht“, rügte Satoki. „Niemand verlangt von dir, dass du zu hundert Prozent zurückkehrst. Auch wenn du es nicht sehen willst, du kannst dem Team auch helfen, ohne das komplette Training anwesend zu sein.“

Es kam Tooru wie eine Ewigkeit vor, ehe sie endlich das Zimmer erreicht hatten und ihn Satoki vorsichtig auf das Bett hinunterließ. 

„Gerade jetzt im Trainingscamp hast du dich vollkommen übernommen. Wie viele Stunden hast du hinter den Pitchern gestanden? Wie oft hat dich der Trainer ermahnt, dass du genug getan hast?“

„Aber, das kann unmöglich schon meine Grenze sein.“ 

„Oi, du Idiot!“ Ohne Vorwarnung knallte ihm Satoki seine Hand in den Hinterkopf.

„Aua!“ 

„Du hast zwei Monate in Kliniken verbracht. Was erwartest du?“ Satoki drehte Toorus Oberkörper zu sich und tippte ihm dann vorsichtig auf die Brust. „Sieh es ein, Nakamura. Das ist derzeit deine Grenze. Und wenn du die überschreitest, dann bist du ganz schnell wieder in einem Krankenhaus. Willst du das? Dann mach so weiter. Aber wenn du es nicht willst, dann reiß dich zusammen und pass dich deinem Limit an!“

„Sicher will ich das nicht“, nuschelte Tooru hervor. Wieso sollte er dahin zurückwollen. Es waren schreckliche zwei Monate gewesen. Er war froh, dass er endlich wieder hier war in Komae. 

„Sobald die Neujahrsferien vorüber sind, werden wir einen Plan ausarbeiten, an den du dich halten wirst.“ Satoki lachte auf. „Ich bin immerhin der Ersatzkapitän, du solltest meinem Befehlen folgen.“

„Nicht so laut, nicht so laut.“ Toorus rechte Hand fuhr an sein Ohr. „Wieso muss in diesem Zimmer gleich immer so geschrien werden.“

Satoki grinste zufrieden und stand dann auf. „Kann ich dich alleine lassen? Denn, wie du sagtest, unser abschließendes Spiel steht gleich an.“

„Ja. Der Schwindel ist weg“, erklärte Tooru, auch wenn es eine kleine Lüge war. Noch war der Schwindel nicht ganz verflogen, aber er war sich sicher, dass es kein Problem darstellen würde. Er war ja bereits auf dem Zimmer. 

„Na dann. Wir sehen uns später.“ Satoki ging zur Tür und öffnete sie. Ehe er hinaustrat, sah er sich noch einmal um. „Du solltest versuchen, zu schlafen.“ 


Tooru ließ sich rücklings auf das Bett sinken. Er schloss die Augen und lauschte für einige Minuten seiner schnellen Atmung, die sich nur langsam beruhigte. Satoki hatte mit allen recht gehabt. Er wollte mehr, als er derzeit zu leisten imstande war. Würde er so weitermachen, dann würde es nicht lange dauern und er würde wieder im Krankenhaus sein. Egal wie sehr ihn die Fortschritte von Kawashima in Aufregung und Neugier versetzen oder der Elan der Mannschaft ansteckte, er konnte derzeit noch nicht mithalten und würde sich weiter hin Geduld üben müssen. Einen Gang zurückschalten und sich seiner aktuellen Pace anpassen. Er schüttelte über sich selbst den Kopf. War es nicht genau das, was er Kawashima gepredigt hatte, als der es mit seinem Training vollkommen übertrieben hatte. Vielleicht war es an der Zeit seinen eigenen Ratschlag zu befolgen. Er würde seinen Aufenthalt auf dem Feld von nun an deutlich verringern und sich langsam Schritt für Schritt wieder herantasten. Die anderen Catcher leisteten gute Arbeit. Immerhin hatte Kawashima seine Würfe bisher auch ohne ihn auf das bisherige Niveau gebracht und würde sie mit weniger Anweisungen ebenso gut verfeinern können. Gleiches galt auch für die anderen Pitcher. 

Er würde zurückfahren. Das war der Gedanke, mit dem Tooru langsam in den Schlaf glitt. Schlaf, den er nach den anstrengenden letzten Tagen mehr als nötig hatte. 


Als er wieder aufwachte, war es bereits später Abend. Er richtete sich langsam auf und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Als er nach rechts sah, erblickte er Satoki, der vor seiner Spielkonsole saß und sich die Kopfhörer aufgezogen hatte, damit er ihn nicht stören würde. Kawashima schien hingegen noch nicht wieder zurückzusein. Vermutlich hielt er wieder die Catcher auf Trab und wollte noch einige Bälle werfen. Mühselig kämpfte er sich aus dem Bett und nun schien ihn auch Satoki zu bemerken. Satoki sah über die Schulter und zog mit der rechten Hand den Kopfhörer herunter, sodass er um seinen Hals baumelte. 

„Ich habe dir Essen aus der Mensa mitgebracht. Es steht auf dem Schreibtisch.“

Tooru nickte und ging hinüber. Satoki hatte es mehr als gut gemeint und ihm gleich drei Schüsseln randvoll mit Reis mitgebracht. „So viel kann ich derzeit unmöglich runterkriegen.“

„Iss so viel du schaffst. Für den Rest finden Kawashima und ich schon Verwendung.“

Er setzte sich auf den Stuhl und zog das Tablett und die Stäbchen heran. „Danke. Du hättest mir nichts mitbringen müssen.“

„Hyhaha, soll ich zulassen, dass du verhungerst?“

„Wie lange habe ich geschlafen?“

„Knapp sechs Stunden.“ Satoki nickte in Richtung der Betten. „Soll ich dir später beim Packen helfen?“

Tooru brauchte einige Sekunden, ehe er begriff, worauf Satoki hinauswollte. Am morgigen Tag würden sie über Neujahr zu den Familien fahren. Er schüttelte den Kopf. „Die paar Sachen bekomme ich schon selbst hin“, erklärte er. „Ich werde nur einige Schulsachen mitnehmen. Alles andere habe ich ja auch dort.“

„Ich dachte übrigens, es wäre vielleicht gut, wenn ich dich morgen begleite. So wie ich das verstanden habe, wolltest du kein Taxi nehmen.“

„Du brauchst keinen Umweg machen, wegen mir.“ Tooru fuhr sich verlegen durch die Haare. Er hasste es auf andere angewiesen zu sein. „Dein Heimweg ist auch so schon weit genug.“

„Hyhaha, ich muss ja sicher gehen, dass du auch in einem Stück bei deinem alten Herrn ankommst.“

„Ich werde ja alleine Bahn fahren können“, merkte Tooru an und stellte die erste geleerte Schüssel Reis beiseite. Wahrscheinlich würde es auch seine Letzte sein. Er fühlte sich gerade nicht in der Lage, die nächste anzufangen.

„Die Tasche ist schwerer, als du glaubst“, widersprach Satoki. „Wirklich. Dir wird sicher nach einigen Metern die Puste ausgehen.“

„Hö?!“ Tooru zog die rechte Augenbraue hoch und grinste schief. „Nun unterschätzt du mich aber!“

„Sagt der Kerl, den ich vor ein paar Stunden hinter mir herschleppen musste, weil er kein Fuß mehr vor den anderen setzen konnte!“


30

31.Dezember



„Hier wohnst du also. Hatte ich mir irgendwie ganz anders vorgestellt.“ 

Tooru steckte die Hände in die Hosentaschen. „Wie denn?“, fragte er. 

„Ich weiß nicht. Anders eben.“

Tooru kicherte. „Sorry, mit einem großen Luxushaus kann ich dir nicht dienen.“ 

„Das meinte ich so auch überhaupt nicht!“ 

Tooru warf einen Blick in die Werkstatt. Sein Vater stand vor der Drehbank mit dem Rücken zur Tür. Er war wie so üblich allein. 

„Ich bin wieder zurück!“, rief er.

Sein Vater drehte sich herum und lächelte. „Kazuya. Warte kurz, ich komm gleich.“

„Es ist schon in Ordnung, Papa. Mach ruhig erst deine Arbeit fertig.“ Tooru nickte in Satokis Richtung. „Ein Freund hat mich hergebracht. Er bringt meine Sachen hoch und dann lege ich mich erst einmal hin. Es würde also nicht viel Sinn machen, wenn du deine Arbeit unterbrichst.“

„Wie du meinst.“ Hayato Nakamura sah in Richtung Satoki. „Danke, dass du ihm so eine Hilfe bist.“

„Ach, kein Problem, kein Problem.“ Satoki kratzte sich verlegen am Kopf. „Ist ja Ehrensache.“

Tooru verabschiede sich von seinem Vater und ging dann weiter in Richtung einer Stahltreppe. „Die Wohnung liegt über der Werkstatt“, erklärte er und Satoki nickte hinter ihm. 

Nach dem er die Hälfte erklommen hatte, hielt Tooru inne. Das Ganze hatte er sich irgendwie einfacher vorgestellt, aber es schien, als hätten die letzten Tage ihn doch mehr zugesetzt, als er zunächst geglaubt hatte. Er suchte Halt an der Wand und schnaufte laut auf, als er endlich oben angekommen war. In der kleinen Wohnung angekommen, ließ er sich auf einen Stuhl im Esszimmer fallen und schnappte nach Luft. „Vielleicht doch keine schlechte Idee gewesen, dass ich im Wohnheim in euren Zimmer wohne, was?“

„Hyhaha, schön das du es auch so siehst.“ Satoki stellte die Taschen auf den Tisch ab. „Wo habt ihr Gläser. Dann hole ich uns etwas zu trinken.“ 

„Du bist der Gast, weißt du.“ Tooru wollte sich erheben, doch Satoki schüttelte den Kopf. „Nein, ich mach das schon. Ist alles gut.“ 

Seufzend gab sich der Braunhaarige geschlagen. „Über der Spüle.“

Satoki nickte und holte zwei Gläser aus dem Schrank, die er anschließend mit Wasser füllte und auf den Tisch stellte.

Dankbar griff Tooru zu und nahm sofort einige Schlucke. Die Zugfahrt und das Laufen vom Bahnhof bis hierher hatte ihn angestrengt und er war froh, wenn er sich gleich in sein Bett legen konnte und schlafen. 

Satoki schien seine Gedanken lesen zu können. „Ich werde das hier noch austrinken und dann mache ich mich wieder auf den Weg. Meine Familie wartet schließlich auch.“ Der Shortstop lachte. „Sofern du die nächsten Tage ohne mich auskommst.“

„Ganz im Gegenteil, ich bin froh, dass ich dich endlich loswerde!“ Tooru giggelte. „Du bist schlimmer als ne Glucke bei ihrem Küken.“

„Ich habe auch besonders störrisches Küken, vielleicht liegt es daran?“

Satoki war noch zehn Minuten geblieben, eher er sich verabschiedete und Tooru sich in sein Zimmer begab. Er warf sich auf das Bett und es dauerte nicht lange und er war in den Schlaf gesunken. 


„Tooru.“

Ein sanftes Rütteln an der Schulter weckte ihn auf und er öffnete verschlafen die Augen. „Was denn?“, murmelte er hervor und blickte auf seinen Vater.

„Ich werde einkaufen gehen, möchtest du was besonders?“

„Nein.“

„Danach werde ich kochen. Sobald du wach bist, können wir ja dann gemeinsam Essen.“

„Jaja“, nuschelte er. „Ist in Ordnung, nun lass mich weiterschlafen.“

Doch auch seine nächste Schlafperiode sollte nicht von langer Dauer sein. Gerade, als sein Vater das Haus verlassen hatte, hämmerte jemand laut an der Tür. 

„Was zur Hölle!“ Tooru kämpfte sich aus dem Bett und schlürfte in Richtung Tür. 

„Tooru, bist du schon Zuhause?!“

Er seufzte. Er hatte Yui sagen sollen, dass er erst morgen nach Hause kam. Denn so was hätte er sich denken können. 

Seine Hand umgriff die Türklinge und er öffnete ihr. „Yui, was ist so wichtig, dass du meinen Schlaf verkürzen musst?“

Sie quetschte sich durch ins Haus. „Ich wollte dir einfach Gesellschaft leisten.“

Yui lief weiter bis in sein Zimmer. „Hast du ein paar Videospiele oder so?“

„Ich wollte eigentlich schlafen.“

Sie sah ihn an. „Aber heute ist Silvester!“

„Ich weiß, und? Ich bin trotzdem müde. Ich würde gerne ein bisschen schlafen, bevor mein Vater und ich gemeinsam Abendessen wollten.“

„Ich soll also wieder gehen“, schloss Yui daraus.

Was machte es schon für einen Unterschied. Sie wollte ja nur sein Bestes. „Gut, wir können ein bisschen Spielen“, gab er sich geschlagen.

Yui lächelte breit. „Super! Darf ich mich auf dein Bett setzen?“

„Nur zu, nur zu.“


Es war ein entspannter Resttag geworden. Nachdem Toorus Vater vom Einkauf zurückgekommen war, hatte er sich Mühe gegeben ein halbwegs genießbares Essen zuzubereiten. Tooru hatte angeboten zu kochen, doch das Angebot wurde vehement abgelehnt. Danach hatten sie noch lange zu Dritt ferngesehen, ehe sich Yui schließlich verabschiedet hatte, da er noch mit einigen Freunden ins Neue Jahr feiern wollte. Tooru selbst hatte noch versucht bis Mitternacht wachzubleiben, war dann aber seiner Müdigkeit erlegen und eingeschlafen und erst von dem lauten Feuerwerk wieder aufgewacht. Besonders lange verfolgt hatte er es jedoch nicht. Dafür hatten ihn die letzten Tage zu sehr mitgenommen.


31

1.Januar

Es gab bessere Sachen, die er jetzt tun könnte, dachte Tooru und hechtete hinter Yui her. Er hätte sich nicht von ihr zu einem Schrein-Gang überreden lassen sollen. Alles, was er gerade wollte, war im Bett liegen und schlafen. Er war noch immer vollkommen fertig von den letzten Tagen. Seine Beine waren schwer wie Blei und er hatte das Gefühl überhaupt nicht vorwärts zu kommen. In ihm breitete sich eine unangenehme Wärme aus und er spürte den Schweiß auf seiner Haut.

„Können wir bitte eine Pause machen!“ Tooru blieb stehen, legte die Hände auf die Knie und schnappte nach Luft.

Yui, die wenige Meter vor ihm lief, sah sich um. „Bei meinem Besuch in der Reha sind wir viel weiter gelaufen.“

„Das glaube ich kaum“, presste er heraus und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

Yui blieb endlich stehen und rannte zu ihm zurück. Sie sah ihn missmutig an. „Sag mal, geht es dir nicht gut?“

„Wie kommst du auf so was? Ich wusste nur nicht, dass ich mit dir einen Marathon absolvieren muss. Ich war von einem entspannten Spaziergang ausgegangen.“

„Du bist blass.“

Ehe Tooru etwas erwidern konnte, hatte er Yuis kalte Hand auf seiner Stirn liegen. „Du bist ganz warm!“

„Sicher … ich bin auch am Ende“, erklärte er schwer atmend. „Ich triefe vor Schweiß!“

„Hast du Fieber?“

Tooru griff nach ihrer Hand und löste sie von seiner Stirn. „Quatsch … komm, lass uns weiter. Umso schneller wir das hinter uns gebracht haben, desto schneller kann ich wieder ins Bett und schlafen.“

„Vielleicht sollten wir umdrehen? Wir sind ja noch nicht weit gegangen.“

„Wie bitte?“ Tooru zog die Augenbraue hoch.

„Der Rückweg ist auf jeden Fall kürzer als der restliche Weg zum Schrein.“

Yui ließ ihn nicht zu Wort kommen und hatte die Entscheidung bereits getroffen und die Richtung eingeschlagen, aus der sie gekommen waren. „Wir sollten sicher gehen, dass du kein Fieber hast!“

„Ich sagte doch, ich habe kein Fieber. Mir ist etwas warm, mehr nicht.“

„Wir haben Minusgrade“, sagte Yui missmutig. „Wie kann dir da warm sein! Wirklich Tooru, ich hätte dich für intelligenter gehalten.“

Murrend drehte sich Tooru um und folgte ihr zurück zu seinem Haus.

Sicher, er hatte sich am morgen kaum erholt gefühlt, obwohl er so lange geschlafen hatte, aber er hatte sich dabei nichts Großartiges gedacht. 


Als er allerdings wenig später die Zahl auf dem Thermometer sah, gab es keinen Grund mehr die Sache abzustreiten. Er hatte tatsächlich Fieber, 38,7 Grad zeigte das Gerät an. 

„Leg du dich ins Bett. Ich werde deinen Vater Bescheid sagen“, ergriff Yui die Initiative und Tooru tat wie ihm befohlen, vorwiegend aus dem Grund, dass er sonst vermutlich hier auf dem Stuhl einschlafen würde. 

Gerade als er sich unter die Bettdecken gequält hatte, war sein Vater hereingekommen und legte die Hand auf seine Stirn, als müsste er sich selbst davon überzeugen, dass es stimmte. „Ich werde einen Arzt anrufen“, sagte er dann und verschwand eilig wieder aus dem Zimmer.

Yui ihrerseits kam mit einer Tasse Tee zurück und stellte sie auf das Nachtschränkchen. „Tut mir leid, dass ich dich mitgeschleppt habe.“

„Du hast ja nicht wissen können, dass mein Körper entschieden hat die Temperatur hochzufahren.“ Tooru kicherte, doch als Yui ernst blieb, verstummte er schnell wieder.

„Das war nicht besonders witzig, Tooru“, antwortete sie trocken.

„Galgenhumor ist immer noch die beste Medizin“, gab er zurück. 


Sein Vater musste wirklich verzweifelt geklungen haben, denn so schnell hatte er am Feiertag nicht mit einem Arzt gerechnet. Der Hausarzt, den er noch aus Kindertagen kannte, stand nur dreißig Minuten später in einem Zimmer. Er lächelte ihn an. „Wie geht es dir, Nakamura-kun?“

„Mir ist nur warm … und müde“, gab er zurück.

„Dann wollen wir mal sehen.“ Der Arzt trat an das Bett und holte einen Holzspatel aus seinem Koffer. „Öffne mal den Mund.“

Tooru machte den Mund weit auf. Seine Zunge wurde runtergedrückt. Danach leuchte er ihm mit einer winzigen, grellen Stablampe in die Pupillen. Der Arzt zog sein Stethoskop heraus und legte es auf seine Brust. Tooru spürte den kalten Ring auf seiner Haut und fröstelte. „Huste bitte mal.“

Tooru hustete.

Der Arzt bewegte das Stethoskop. „Husten.“

Er hustete. Kräftiger als er eigentlich wollte. Sein Gesicht verzog sich, als Schmerzen durch seine verletzte Rippe gingen.

Der Arzt veränderte seine Stellung und legte das Stethoskop auf seinen Rücken.

„Tief einatmen und den Atem anhalten.“ Das Stethoskop bewegte sich. 

„Ausatmen.“

Tooru atmete aus. 

Der Arzt löste das Stethoskop von seiner Haut. „Jetzt würde ich gerne noch deine Temperatur messen.“

Er hielt ein Gerät an sein Ohr, das nur wenig später piepte. „Mhm … sieht nach einer Bronchitis aus.“ Der Arzt wandte sich zu seinem Vater, der nervös in der Tür stand. „Derzeit ist das nichts, worum wir uns Sorgen machen müssen, aufgrund der Vorgeschichte, sollten Sie das Fieber ihres Sohnes in geringen Intervallen kontrollieren und beobachten, ob sich sein Zustand verschlechtert. Sollte das der Fall sein, zögern Sie nicht mich anzurufen.“

„Ja, natürlich“, antwortete Hayato Nakamura.

„Ich werde einige Medikamente hierlassen.“

„Danke.“


Yui sah ihn finster an, als der Arzt und sein Vater den Raum verlassen hatten. „Das hast du nun davon!“, grummelte sie.

„Du tust gerade so, als hätte ich es mit Absicht gemacht.“ Tooru zog sich die Decke über den Kopf. „Glaub mir, ich könnte auch darauf verzichten und jetzt lass mich schlafen.“

„Soll ich jemand aus dem Team Bescheid geben?“

„Jemand?“ Tooru schob die Decke ein Stück herunter. „Du meinst doch eh Satoki … lass nur, wird zum Ende der Ferien sicher wieder vorüber sein.“

„Wie du meinst, wie du meinst.“ Yui grinste. „Wie ist es? Ich geh schnell nach Hause und hol ein paar Videos von guten Baseballspielen?“

„Sagte ich nicht, dass ich schlafen will?“, nuschelte Tooru zurück. War sie taub? Er wollte gerade wirklich nur schlafen, aber vielleicht könnte er sie abwimmeln, wenn er sie losschickte? Wenn Tooru zurückkam und er schlief, dann würde sie es sicher dabei belassen, oder nicht? 

„Also gut, hol ein paar Videos.“

„Du wirst es nicht bereuen!“

Es hatte nicht lange gebraucht und Yui war aus dem Zimmer geeilt. Zufrieden ließ Tooru die Decke wieder über seinem Kopf verschwinden. Doch so sehr er sich bemühte, er konnte trotz Müdigkeit nicht einschlafen. Als er die Augen schloss, machte sich plötzlich Angst breit. Das war wieder ein Schritt zurück. Statt dem Ziel näher zu kommen entfernte er sich immer wieder davon. 

„Tooru, ich bin unten in der Werkstatt. Ist das in Ordnung für ich?“

„Ja, Papa“, brachte er leise heraus und schluckte schwer. Was wenn es so schlimm werden würde, als beim letzten Mal? Wenn er wieder ins Krankenhaus müsste? Er hatte doch keine Zeit wieder zwei Monate zu verplempern. Die Meisterschaften kamen immer näher. 

„Verdammt!“ Er fuhr sich mit zittrigen Fingern durch die Haare. „Verdammt, verdammt, verdammt!“


Sein Plan war nicht aufgegangen. Als Yui zurückkam war er keinesfalls eingeschlafen und so saß sie nun neben ihm Bett und verfolgte ein Baseballvideo von vor einigen Jahren. Als das sechste Inning im Spiel anbrach, schloss er die Augen, da sie vom Flimmern des Fernsehers unangenehm brannten und lauschte nur noch den Kommentaren des Fernsehers.

Irgendwann schien er eingeschlafen zu sein, denn als er die Augen wieder öffnete, lag sein Kopf auf der Schulter von Yui. Schnell richtete er sich wieder auf und murmelte eine leise Entschuldigung in ihre Richtung.

Sie lachte. „Bist du jetzt plötzlich schüchtern? Du wirst ganz rot.“

„Das ist von Fieber!“, gab er eilig zurück und hatte das Gefühl im gleichen Moment noch röter zu werden. Sein Herz begann schneller zu schlagen und er spürte einen dicken Kloß im Hals.

„Sicher, sicher.“ Sie lachte wieder.

Yui rutschte vom Bett und stand auf. „Ich sollte jetzt gehen. Es ist schon spät.“

Toorus Blick ging in Richtung Wanduhr. Es war bereits einundzwanzig Uhr. Er hatte ziemlich lange geschlafen.

„Oh … es tut mir leid, du hättest mich wecken können. Ich will nicht, dass du wegen mir Ärger bekommst oder …“

„Es ist alles in Ordnung“, würgte sie ihn ab. „Meine Eltern wissen, dass ich ein paar Stunden später komme.“

„Gut … das ist gut.“ Er wollte ebenfalls aus dem Bett steigen, doch Yui hielt ihn auf und drückte ihre Hand gegen seine Brust.

„Bleib ruhig liegen, ich finde den Weg zur Tür. Ruh dich aus.“


32

05. Januar


In den Folgetagen hätte sich Tooru am liebsten tief in seinem Bett vergraben. Das Fieber war in der Nacht zum 02. Januar gestiegen und er hatte sich die Lunge aus dem Leib gehustet. Hinzu kamen Gliederschmerzen. Mal hatte er geschwitzt, dann kurz darauf erbärmlich gefroren. Sein Vater hatte nicht nur einmal den Arzt angerufen aus Angst, dass es vielleicht doch eine Lungenentzündung war, der hatte aber jedes Mal Entwarnung geben können. Daran das Tooru sich elend fühlte, änderte das aber wenig. 

Erst nach vier Tagen sank das Fieber und der Schüttelfrost verschwand. Trotzdem fühlte er sich immer noch schlapp. Langsam und schwerfällig hob er die Beine aus dem Bett und setzte sie auf den Fußboden, um sich dann hinzustellen. Er wackelte mit zittrigen Schritten in Richtung Küche.

Als er durch die Tür trat, sah sein Vater auf. „Tooru, du hättest auch was sagen können. Ich hätte dir etwas zu essen und zu trinken ans Bett gebracht.“

„Ich habe keinen wirklichen Hunger“, antwortete er. „Ich wollte mir nur ein Glas Wasser holen.“

„Du solltest was Essen.“ Sein Vater sah ihn besorgt an. „Es ist auch noch Suppe da. Ich werde sie warm machen.“

„Vielleicht später.“ Er griff nach einem sauberen Glas und füllte es bis zur Hälfte mit stillem Wasser und drehte sich dann wieder herum. „Ich bin dann wieder in meinem Zimmer.“

Tooru stand gerade in der Tür, als die Stimme seines Vaters erneut ertönte. „Wenn du Sorgen hast, Tooru. Ich höre dir zu.“

„Ja, okay.“ Er ging weiter, stellte das Glas auf sein Nachtschränkchen und legte sich wieder in sein Bett.

Sorgen?

Er lachte auf. Wieso sollte er Sorgen haben? Er vergrub sein Gesicht unter seinem Unterarm, als er spürte, wie sich Tränen ihren Weg an die Oberfläche suchten. Was hatte er nur gemacht, dass das Karma so gegen ihn arbeitete? 

Neue Tränen fanden ihren Weg über sein Gesicht. Er würde es nicht zu den Koshien schaffen. Niemals! Es waren nur noch knapp zwei Monate. Wie sollte er pünktlich wieder fit sein? Ihm fehlte immer noch das Gewicht, aber er konnte sich einfach nicht dazu bringen weiterzuessen, auch wenn er keinen Hunger hatte. Ihm fehlten die Kraft und die Ausdauer.

Ein Schluchzen erfüllte den Raum. „Wieso ich?“, flüsterte er leise hervor. „Wieso immer ich? Wie soll ich das in zwei Monaten schaffen?“

„Tooru, dein Vater hat mich reingelassen und …“ 

Tooru erstarrte, als er eine Stimme hörte. Eilig wischte er sich die Tränen aus dem Gesicht und setzte ein Grinsen auf. „Yui, hast du keinen hübschen Freund, der dich vermisst?!“

„Gib dir keine Mühe, Tooru“, erwiderte Yui. „Man sieht, dass du geweint hast. Deine Augen und Wangen sind ganz rot.“

„Das ist vom Fieber.“

„Sicher, sicher.“ Yui schob Toorus Beine zur Seite und setzte sich im Schneidersitz auf das Bett. „Willst du darüber reden?“

Tooru schwieg.

„Hatte ich mir gedacht. Musst du auch nicht, ich habe ja genug gehört.“ Yui starrte ihn mit ihren braunen Augen an. „Ich dachte, wir hätten das schon hinter uns gebracht. Also die Mitleidsphase meine ich.“

„Wenn du über jemand herziehen willst, such dir einen anderen.“ Tooru drehte sich mit dem Rücken zu Yui. „Ich bin wirklich nicht in der Stimmung!“

„Ich hätte echt nicht geglaubt, dass du so schnell einknickst, Tooru.“

„Nerv nicht!“

„Du sagst nur noch zwei Monate. Ich sagte dir, dass es noch zwei Monate sind. Vielleicht hast du wieder einen Rückschlag hinnehmen müssen, aber das heißt ja nicht, dass nun alles vorbei ist, oder?“ 

„Manchmal muss man realistisch sein.“ Tooru grub den Kopf tiefer in sein Kissen. „Ich bin wirklich zu müde für solche dummen Gespräche.“

„Ich bin zu müde, sie dauernd zu führen. Willst du in Selbstmitleid baden?“

„Lass mich!“ Tooru zog die Decke über den Kopf.

Er spürte, wie Yui aufzustehen schien. „Wie du meinst, Tooru. Wenn du reden willst, schreib mir eine SMS.“

„Wieso denkt ihr alle, ich wollte reden!?“ Tooru riss sich die Decke vom Kopf. „Sehe ich so aus, als würde ich reden wollen!“, schrie er wütend. 

Yui sah ihn erstaunt an. „Tooru …“

„Du hast keine Ahnung, wie das ist! Weißt du, wie es sich anfühlt, als wäre man auf das Abstellgleis gestellt worden, weißt du das? Nein! Also spar dir deine beschissenen Weisheiten!“

Tooru musste husten. 

„Hey, Tooru.“ 

Yui legte ihre Hand auf seine Schulter, doch er schlug sie weg. 

„Lass mich! Lasst mich einfach alle in Ruhe mit eurem beschissenen Mitleid! Steckt es euch sonst wo hin!“

Yui lachte schallernd auf. 

„Was! Was ist so witzig?!“

„Es ist lange her, dass ich dich so lebendig gesehen habe“, brachte Yui unter Lachen heraus. „Wie alt warst du beim letzten Mal? Zehn?“

Toorus Wut war so schnell verflogen, wie sie gekommen war. „Ich bin ein Schatten meiner selbst“, murmelte er. „Wie soll jemand ein Team führen können?“

„Noch ist Satoki der Kapitän.“ Yui legte den Kopf schief. „Oder nicht?“

Tooru ließ den Kopf wieder auf das Kissen sinken. Sein Ausbruch hatte ihn erschöpft zurückgelassen und er schloss die Augen. „Manchmal, da denke ich: Vielleicht ist es leichter einfach aufzugeben.“

„Ist es das?“, hakte Yui nach.

„Ich denke schon … dann brauch man sich keine neuen Hoffnungen zu machen. Vielleicht sollte ich mich einfach auf die Sachen nach der High School konzentrieren?“

„Willst du nicht bei den Koshien spielen?“

„Ja, sicher.“ Tooru seufzte. „Aber danach geht es wohl kaum.“

„Dann sehe ich keinen Grund, wieso du aufgeben solltest. Ehrlich, ich verstehe nicht, wieso du so versessen auf die Frühlings-Koshien bist, immerhin hast du noch die Chance auf die Sommer-Koshien und die sind noch einmal wichtiger, aber wenn du hinwillst, dann gibt es keinen Grund, dass du dich selbst immer wieder so fertig machst mit dämlichen Selbstvorwürfen.“ Yui lehnte sich gegen die Wand. „Ich meine, die Ärzte haben ja gesagt, dass du erst wenige Wochen vor den Meisterschaften wieder voll trainieren kannst, wieso schiebst du schon Panik, wenn du diese Zeitgrenze noch nicht einmal erreicht hast?“

„Vielleicht, weil wenige Wochen nicht reichen werden, um wieder in Topform zu kommen?“

„Und an dieser Stelle dachte ich, dass Nakamura Tooru derjenige ist, der seinen Pitchern immer predigt, dass ein komplettes Team hinter ihnen steht.“

Tooru kicherte. „Ich bin wirklich erbärmlich, wie?“

„Ja. Du gibst gerade ein fürchterlich armseliges Bild ab. Sieh zu, dass du so nicht vor dein Team trittst, wenn die Neujahrsferien vorbei sind.“


33

09. Januar



Tooru lehnte sich über das Geländer und sah auf den Hof vor der Werkstatt. „Oh, mein Diener ist da. Pünktlich auf die Minute!“

„Sehr witzig, sehr, sehr witzig!“ Satoki verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich habe gehört so ein hinterlistiger Tanuki war die ganzen Ferien über krank. Ich habe dir ja gesagt dein Übereifer wird dich umhauen!“

Tooru grummelte leise als er die Treppe hinunterging. Er hätte damit rechnen sollen, dass Yui ihre Klappe nicht halten kann und trotz seiner Einwände Satoki davon erzählte. „Ja, nichts wildes. Eine Erkältung.“

„Ich habe gehört, du langst fast eine Woche flach.“

„Ist ja gut, du hast gewonnen.“ Tooru hing Satoki seine Tasche um. „Du hattest recht, ich hatte unrecht. Warte hier, ich sage meinem Vater Bescheid, dass wir los sind.“


Tooru hatte nicht sehr lange gebraucht, um sich von seinem Vater zu verabschieden und so hatten sie es ohne Schwierigkeiten geschafft den Zug noch zu erwischen. Zu ihrem Glück fuhren sie zu einer Zeit, in der es nicht besonders voll war und so erwischten sie zwei freie Plätze. Tooru setzte sich ans Fenster und lehnte die Stirn gegen die kühle Scheibe. Das waren Momente, in denen er merkte, wie viel er noch aufzuholen hatte. Vor der Lungenentzündung hätte ihn eine Erkältung sicherlich nicht so erschöpft zurückgelassen. Nun hatte er das Gefühl, als wäre der Rückweg nach Komae sogar noch anstrengender als der Heimfahrt vor einigen Tagen. 

„Du kannst ruhig schlafen. Ich wecke dich, wenn wir da sind.“

„Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich darauf verlassen will.“ Tooru kicherte. „Wer weiß, ob du noch eine Rechnung mit mir auf hast.“

„Das solltest du doch am Besten wissen“, erwiderte Satoki. „Aber du solltest bedenken, dass wir auch vom Bahnhof noch ein Stück vor uns haben. Mein Taschengeld ist zu schade, als das ich es für das Taxi ausgeben möchte.“

„Ich werde die Fahrt bezahlen“, erwiderte Tooru. „Ich bin mir sicher, ich schaffe es nicht bis Komae zu laufen. Ich bin vollkommen in Eimer!“

„Huh?“ Satoki sah überrascht zur Seite.

„Was?“

„So viel Ehrlichkeit hatte ich nun nicht erwartet.“ Satoki lehnte den Kopf gegen die Rückenlehne. „Gut, wir teilen uns das Geld für das Taxi. Deal?“

„Wenn du unbedingt willst, werde ich dich davon nicht abbringen“, antwortete Tooru und schloss die Augen. Er war wirklich müde und er war sich sicher, dass er in den nächsten Minuten auch einschlafen würde. In zwei Tagen würde er einer Untersuchung im Krankenhaus haben. Das ihm der Arzt die Erlaubnis gab bereits Mitte Januar mit leichtem Training zu beginnen, daran glaubte er nun nichtmehr, aber er hatte trotzdem die Hoffnung, dass es zumindest ein paar gute Neuigkeiten geben würde. Denn das war es, was er jetzt dringend brauchte, um nicht wieder in Selbstmitleid zu verfallen: Gute Neuigkeiten.

Gerade als Tooru kurz davor war einzuschlafen, rüttelte Satoki an seiner Schulter. „Sorry, aber ich habe die Zeit genutzt und an einem Trainingsplan für die Pitcher gefeilt.“

„Ich wollte schlafen“, grummelte Tooru, öffnete dann aber trotzdem die Augen.

Satoki hielt einen Collegeblock in seine Richtung. „Ich halte es für sinnvoll, wenn sie am Vormittag mit den anderen Catchern arbeiten und dann am Abend für eine Stunde mit dir.“

„Eine Stunde?“ Tooru sah seinen Teamkameraden zweifelnd an. „Wieso nur eine Stunde?“

„Deshalb, vielleicht?“ Satoki tippte mit dem Zeigefinger auf seine Brust. „Weshalb sonst?“

„Ich bin mir sicher, dass ich auch zwei Stunden schaffen würde“, erwiderte Tooru und zog den Block an sich heran. „Ich würde morgens außerdem besser finden. Dann könnten sie es sofort umsetzen. Ich will vermeiden, dass sie den ganzen Tag das Falsche trainieren.“

„Entschuldigung, du hast gerade nicht einmal zehn Minuten Fußweg geschafft“, kam es zweifelnd zurück.

„Das ist doch was anders, als würde ich nur auf einem Stuhl sitzen.“

„Daran hast du dich bisher auch nicht gehalten“, widersprach Satoki sofort.

„Ich sage dir, eine Stunde ist zu wenig. Wir haben immerhin Meisterschaften vor uns.“

„Ja, eben! Was auch heißt, dass ich sichergehen will, dass du dich wieder übernimmst und dir neue Steine in den Weg legst.“

„Die Würfe von Kawashima, die brauchen viel mehr Aufsicht.“ Toorus Augen begannen zu leuchten. „Ist dir klar, was man daraus machen könnte? Das sind echte Rohdiamanten!“

„Bist du nicht etwas Kawashima fixiert?“

„Sein Weg ist derzeit am aufregendsten!“ Tooru kicherte. „Bist du etwa neidisch?“

„Ich bin kein Pitcher.“ Satoki rollte mit den Augen. „Wir können da gerne mit dem Trainer drüber diskutieren, aber ich bleibe dabei, dass ich eine Stunde für sinnvoll halte.“

Toorus Kichern verstummte. „Du würdest dem Trainer doch nicht von der Sache vor den Ferien erzählen?“

„Stell dir vor, Nakamura Tooru, das habe ich schon lange.“

„Du hast was?!“ Die Augen des Catchers weiteren sich. „Du kannst ihm das doch nicht einfach so auf die Nase binden. Da gab es keinen beschissenen Grund für!“

„Nicht? Ganz im Gegenteil. Du mit deinem Sturkopf und deinem Stunt im Oktober hast genug Gründe dafür geliefert. Noch einmal sehe ich nicht zu, wie du dich ins Unglück stürzt!“

„Das kannst du doch nicht vergleichen.“

„Natürlich kann ich das und das werde ich auch.“ Satoki zog den Collegeblock zurück. „Und jetzt habe ich auch keine Lust mehr mit dir darüber zu diskutieren.“

„Ich ehrlich gesagt auch nicht!“

Tooru drehte sich weg und lehnte seinen Kopf wieder gegen die Scheibe. Er konnte nicht fassen, dass ihn Satoki tatsächlich so hintergangen und mit dem Trainer über diesen Vorfall gesprochen hatte. Nun würde er sicherlich unter Dauerbeobachtung stehen und gar keine Freiräume mehr haben. Als wäre es nicht schon schlimm genug, dass sie ihn mit diesen zwei Pappnasen in ein Zimmer gesperrt hatten. 

Die restliche Fahrt verlief still und auch im Taxi zur Schule hatten sie nur das nötigste Gesprochen. Tooru wollte gerade nur seine Ruhe haben und ihm war nicht zu einem langen Gespräch zu mute. Er fühlte sich hintergangen. Wieso hatte Satoki es nicht vorher erwähnt? Er hatte doch zuvor mit ihm sprechen können, ehe er dem Trainer berichtete, oder nicht?

Gedankenverloren hob er seine Tasche aus dem Kofferraum, die ihm aber sofort von Satoki aus der Hand gerissen wurde. 

„Hör zu, es tut mir leid, wenn ich dich übergangen habe, aber ich hatte Angst, wieder diese Last zu tragen. Angst, dass es wieder so endet wie beim letzten Mal.“ 

„Ja sicher.“ Tooru stopfte die Hände in die Taschen und begab sich mit langsamen Schritten in Richtung des Wohnheims. 

Er hörte, wie Satoki stöhnte und ihm folgte. „Nakamura, nun warte doch mal.“

„Lass mich!“

„Jetzt sei doch nicht beleidigt. Alles, was ich dem Trainer gesagt habe, ist, dass ich dich auf dein Zimmer gebracht hatte, weil du fast zusammengebrochen wärst. Mehr nicht.“

Tooru zuckte mit den Schultern und setze seinen Gang fort.

„Tooru, nun warte doch!“ 

Tooru erstarrte, als er seinen Vornamen aus Satokis Mund vernahm. „Was denn?“, grummelte er. „Wieso hast du es so eilig mich einzuholen, wenn wir eh das gleiche Ziel haben?“

„Hä?“

Er drehte sich um und grinste. „Für so dumm hätte ich dich nicht gehalten. Ich bin in eurem Zimmer inhaftiert, falls dir das entgangen ist.“

„Ach so natürlich. Aber ich wollte das sofort klären.“ Satoki holte zu ihm auf. „Ich habe wirklich nur wenige Worte mit dem Trainer darüber gewechselt. Er sagte, wir warten die Ferien ab und überlegen dann wie wir weiterverfahren.“

„Deshalb dein Vorschlag mit diesem Plan, oder wie?“

„Ja, auch deshalb … ja.“

„Mhm, ja. Lässt sich ja ohnehin nicht mehr ändern.“ Tooru kicherte. „Wenn du mir zwei Stunden in dem Plan einräumst, verzeih ich dir.“

„Ich sagte doch, es bleibt bei einer Stunde.“

„Eine am Morgen und eine am Abend“, handelte Tooru weiter. So schnell würde er sich nicht geschlagen geben. „Dann hätte ich dazwischen genug Zeit, um mich auszuruhen.“

Das längere Schweigen von Satoki verriet, dass er auf dem richtigen Weg war. „Ich halte es für eine Lösung, mit der alle einverstanden sein können, oder?“, fuhr er fort.

Satoki seufzte. „Gut, gut … ich gebe mich geschlagen. So werden wir das mit dem Trainer besprechen. Aber mache dich drauf gefasst, dass wir alle darauf achten werden, dass es nicht mehr als zwei Stunden werden!“


34

11. Januar



Yuzuru wusste, dass die Untersuchung nicht so verlaufen war, wie Nakamura sie sich erhofft hatte, als er nicht zum Abendtraining auftauchte. Er tauschte vielsagende Blicke mit Kawashima aus und begab sich schließlich eine halbe Stunde vor Trainingsende in Richtung des Wohnheims. Als er vor ihrem Zimmer stand, zögerte er für einen Moment. Vielleicht wollte Nakamura jetzt lieber alleine sein? Eventuell sollte er ihm diesen Freiraum lassen? 

Er holte tief Luft. Was sollte er tun? Was war die richtige Wahl? 

Schließlich wurde ihm die Entscheidung abgenommen. Die Tür öffnete sich und er sah in das Gesicht seines Freundes. 

„Satoki …“

„Ah, Nakamura … ich wollte nur sehen, wo du bleibst.“

Nakamura quetsche sich an ihm vorbei. „Das fällt dir aber früh ein. Das Training ist doch gleich vorbei.“ 

Yuzuru sah Nakamura hinterher, der offensichtlich auf dem Weg zum Getränkeautomaten war. „Wieso warst du nicht beim Training?“, rief er und folgte ihm dann. 

„Mir war eben nicht danach.“ 

„Dir war nicht danach?“

„Ja.“ Nakamura hielt vor dem Automaten an und stopfte ein paar Münzen hinein. „Mir war nicht danach anderen beim Baseball zuzusehen.“ Er drückte eine Nummer und kurz darauf landete eine Kaffeedose in der Ausgabeschale.

„Wegen der Untersuchung?“

„Weswegen sonst?“ Nakamura öffnete die Dose und nahm einige Schlucke, ehe er sich umdrehte und wieder in Richtung Zimmer ging. „Du stellt vielleicht dumme Fragen.“

„Willst du darüber reden?“

„Wieso sollte ich das?“

„Weil es meistens hilft, oder nicht?“ Yuzuru griff nach dem Handgelenk seines Freundes und brachte ihn zum anhalten. „Was hat der Arzt gesagt?“

„Vielleicht Anfang Februar, aber die Chancen sind nicht gut“, murmelte Nakamura hervor, ehe er sich aus der Umklammerung befreite und seinen Weg fortsetzte. 

Im Zimmer angekommen setzte er sich hinter den Schreibtisch und zog einige Lehrbücher heran.

„Dann hast du immer noch mehr als eineinhalb Monate“, versuchte Yuzuru seinem unfreiwilligen Mitbewohner Mut zu machen.

Nakamura sah ihn an. „Ich lach mich tot, Satoki. Sehr witzig.“

„Was?“

„Sieh mich an und sag das noch mal.“ 

Yuzuru gefiel es nicht, wie geschlagen Nakamura sich in diesem Moment anhörte. Als hätte er nun endgültig aufgegeben. Sicher, Nakamura fehlte es immer noch an vielem, aber das hieß ja nicht, dass er es nicht mehr pünktlich schaffen könnte. 

„Das Gewicht kriegst du bis dahin wieder drauf, ich bin mir sicher, dass dein Appetit …“

„Mein Gewicht ist das geringste Problem“, würgte ihn Nakamura ab. „Es geht vielmehr um die Ausdauer, die Muskelmaße. Das alles ist unmöglich in nur eineinhalb Monaten!“

„Du wirst vielleicht kein ganzes Spiel machen können, aber du solltest dich nicht abschreiben.“ Yuzuru trat an den Schreibtisch heran. „Auch wenn nur wenige Innings spielen kannst, wirst du sie bei den Koshien spielen! Wann will das in deinem Dickschädel ankommen?“

„Was bringt es sich immer neue Hoffnungen zu machen? Es endet am Ende doch wieder in einer Enttäuschung.“ Nakamura senkte den Kopf in Richtung der Bücher. „Auch wenn ich wusste, dass es nach der Bronchitis unwahrscheinlich war, dachte ich, dass er mir vielleicht doch eine Freigabe gibt. Stattdessen dann diese Nachricht.“

„Wir wollen mit dir auf dem Platz stehen. Wir wollen, dass wir gemeinsam bei den Koshien spielen.“ Yuzuru hockte sich auf den Boden. „Außerdem finde ich, dass Aufgeben nicht zu dir passt. Du hast doch auch beim Herbstfinale nicht aufgegeben.“

Das brachte ihm Nakamuras Aufmerksamkeit. Der Catcher sah wieder von seinen Büchern auf. „Ja … sicher …“

„Also? Wirst du jetzt den Kopf in den Sand stecken. Doch wohl nicht?“

„Ich werde vielleicht morgen wieder zum Training kommen“, antwortete Nakamura. „Heute will ich wirklich nichts mit Baseball zu tun haben.“

Yuzurus Mundwinkel zogen sich zufrieden nach oben und er nickte. „Ich werde duschen gehen, bis später dann.“ 

„Ja, okay.“


Yuzuru hatte zwar keine wirklich gradlinige Antwort von Nakamura erhalten, doch die Botschaft, dass er am morgigen Tag wieder zum Training kommen würde, zeigte, dass er ihn wieder auf die richtige Bahn gelenkt hatte. Nakamura hatte noch nicht aufgebeben. 

„Was ist mit Nakamura-Senpai?“

Yuzuru wollte gerade in die Duschräume verschwinden, da kamen die beiden Pitcher auf ihn zu. „Nichts. Er muss nur ziemlich viel Schulkram nachholen, deshalb hat er das Training vollkommen vergessen.“

„Das ist alles?“, hakte Kawashima nach. Natürlich war es dem Pitcher nicht entgangen, dass Nakamura gestern wegen der Untersuchung im Krankenhaus nervös gewesen war. Sicherlich hatte er eins und eins zusammengezählt.

„Ja. Das ist alles“, bestätigte Yuzuru dennoch. Er könnte darüber später noch mit Kawashima reden, wollte es aber nicht vortragen, wenn alle Drumherum standen.

„Morgen wird er wieder da sein?“, fragte Yamada.

„Sicher. Er hat es hoch und heilig versprochen.“ Yuzuru lachte. „Nun macht doch nicht gleich so einen Wind nur weil euer Lieblingscatcher fehlt. Der Idiot darf doch eure Bälle gerade eh nicht fangen.“

„Aber angucken“, kam es monoton von Yamada.

„Sicher, sicher … ich verstehe! Ich werde höchstpersönlich dafür sorgen, dass er morgen wieder da sein wird.“ Yuzuru lachte schallernd auf. „Aber nun, nun werde ich mir erst einmal ein langes Bad und eine ordentliche Dusche gönnen.“ 


Als Yuzuru zurück ins Zimmer kam, saß Nakamura immer noch hinter dem Schreibtisch. Kawashima seinerseits lag auf seinem Bett und las ein Manga. „Ich hoffe, du hast wenigstens geduscht und dich nicht dreckig ins Bett geworfen“, begrüßte Yuzuru den Jüngeren.

„Ich bin kein alter Mann wie du, ich brauche nicht Ewigkeiten im Bad.“

„Nun hör mal!“ Yuzuru warf sein Handtuch in Richtung des Pitchers. „Unglaublich die Jugend von heute. Kein Respekt vor dem Alter.“

„Oi! Du zerknickst noch das Manga“, empörte sich Kawashima.

Yuzuru sah in Richtung Nakamura. Der hatte die Stirn in Falten gelegt und kaute auf seinem Kugelschreiber herum. „Brauchst du Hilfe?“, fragte er.

Nakamura sah kurz auf, dann wieder auf das Buch. „Diese eine Aufgabe, die verstehe ich nicht“, sagte er dann.

Yuzuru nickte und stellte sich neben Nakamura. „Hast du meine Notizen dazu gelesen?“

„Wirklich, Nakamura, du scheinst die Schulaufgaben echt ernst zu nehmen, wenn du deshalb nicht beim Training warst und immer noch davor hängst.“ Kawashima lachte. „Oder sitzt du die ganze Zeit vor der einen Aufgabe.“

Nakamura lächelte schief. „Nicht jeder ist so unterbelichtet wie du, Kawashima. In Wirklichkeit habe ich schon einiges geschafft.“

„So gemein!“ Kawashima schnaufte laut. „Ich bin froh, wenn du wieder auf dein eigenes Zimmer gehst!“

„Vielleicht bleibe ich ja das dritte Schuljahr hier, wer weiß?“ Nakamura giggelte und Yuzuru stimmte ein, als er das Gesicht von Kawashima sah. Das war wirklich köstlich anzusehen. Dann konzentrierte er sich wieder auf die Aufgabe. Er zog die Mappe heran, in die Nakamura die Notizen abgeheftet hatte und blättere sie durch. „Mhm … ich finde das dazu überhaupt nicht. Warte kurz.“ Yuzuru hockte sich hin und zog eine Schubladen auf, in denen lose Blätter lagen und durchwühlte sie. Zufrieden jauchzte er auf, als er gefunden hatte, wonach er suchte. „Hier. Das müsste es sein. Sorry, ich habe wohl vergessen, es dir zu kopieren.“

Nakamura nickte und zog das Blatt zu sich heran. Nachdem er es einige Zeit studiert hatte, nickte er abermals. „Ah, jetzt verstehe ich. Danke.“

„Noch ein ganzes Schuljahr mit dem Tanuki … nein danke.“ Kawashima schüttelte energisch mit dem Kopf. „Nein, nein, nein … ihr habt euch gegen mich verschworen!“

Yuzuru lachte und ließ sich dann vor seiner Spielkonsole fallen. „Ich glaube, Nakamura zieht freiwillig aus, wenn du damit beginnst, ihn wieder täglich damit zu nerven, dass er deine Bälle fangen soll.“

„Diese Krankheit ist ein echter Luxus. So habe ich zumindest vor dir Ruhe, Kawashima“, fügte Nakamura mit sarkastischen Unterton hinzu.

„Das ist nicht witzig!!“

„Oi, nicht so laut!“ Nakamura hielt sich die Hand ans Ohr. „Ich versuche hier zu studieren.“

„Dann mach das auch!!“, kam es ebenso laut zurück.

„Ich bin dabei, ich bin dabei.“


*


Yuzuru hob die Beine aus dem Bett und schlich aus dem Zimmer. Es war nicht lange her, da hatte er Nakamura das Gleiche machen hören. Er hatte darüber nachgedacht, ob er ihm folgen sollte oder nicht, sich schließlich aber dafür entschieden. Zum Glück war Nakamura noch nicht wirklich schnell auf den Beinen und so dauerte es nicht lange und er hatte den Catcher im Sichtfeld. Aus sicherer Entfernung folgte er ihm in Richtung des Trainingsplatzes. Nakamura setzte sich auf die Bank und saß einfach nur da, die Augen auf das Spielfeld gerichtet. Zweieinhalb Monate war es inzwischen her seit Nakamura das letzte Mal ein Baseballspiel absolviert hatte. Er wollte sich gar nicht ausmalen, was in seinem Freund vorging. Yuzuru hörte ein Schluchzen, Nakamura schien zu weinen. Dennoch verharrte er in seiner Position. Er war sich sicher, dass Nakamura jetzt alleine sein wollte. Für wenige Minuten nicht der starke Catcher sein müssen, den alle kannten. Er würde hier stehen bleiben. Wenn Nakamura ihn brauchte, dann könnte er immer noch eingreifen. 

Nakamura hob die Beine auf die Bank und zog die Knie an seinen Oberkörper. Das Schluchzen wurde leiser, nachdem er den Kopf in seinen Beinen vergrub, aber es dauerte noch lange ehe es vollständig erstarb.

Yuzuru glaubte schon, dass Nakamura vielleicht eingeschlafen war, doch dann rührte sich der Catcher und stand auf. Er hatte geglaubt, dass Nakamura zurück zum Wohnheim gehen würde, doch stattdessen ging er auf den Trainingsplatz und hockte sich an der Home Plate hin. Seine Hand fuhr durch den staubigen Boden, er nahm etwas Sand in die Handfläche und ließ sie kurz darauf wieder herausfließen.

Yuzuru wusste nicht, wie lange sie stumm an ihren Positionen verharrten, doch als er sah, wie Nakamura zu zittern begann, löste er sich aus seiner Beobachtungshaltung. Er zog seine Jacke aus und legte sie dem Catcher über die Schultern. Nakamura sah nicht auf, blickte weiterhin auf den Punkt, den er sonst in den Spielen einnahm. 

„Du solltest nicht zu lange draußen bleiben. Die Nächte sind kalt und bei deinem Glück fängst du dir nur die nächste Erkältung ein“, sagte Yuzuru. „Sieh zu, dass du bald wieder schlafen gehst.“

Dann trat er den Rückweg zum Wohnheim an. 

Es hatte fünfzehn weitere Minuten gebraucht und dann war auch Nakamura zurückgekehrt. Ohne eine Wort zu sagen, hatte er ihm seine Jacke auf das Bett gelegt und war dann unter seine eigene Bettdecke geschlüpft. 

Yuzuru überlegte für einen Moment, ob er etwas sagen sollte, entschied sich dann aber dagegen. Alles was er hätte sagen wollen, hatte er bereits gesagt.


35

12. Januar


„Wir gehen schon einmal vor“, sagte Satoki und schulterte seine Trainingstasche. „Anders als du, bekommen wir vom Trainer einen Einlauf wenn wir zu spät kommen!“

Tooru lachte. „Wie ihr meint, wie ihr meint! Bis gleich dann.“

Er sah zu, wie Satoki und Kawashima aus dem Zimmer verschwanden und zog sich dann seine Baseballklamotten über. Seine gebrochene Rippe zwickte zwar immer noch und machte sich weiterhin beim Umziehen bemerkbar, doch inzwischen waren die Schmerzen aushaltbar.

Anschließend zog er sich noch die Schuhe an und verließ dann das Zimmer Richtung Baseballfeld. Auch wenn ihm immer noch nicht zu Baseball zu Mute war, wollte er die Pitcher nicht hängen lassen. Immerhin hatte er versprochen ihnen beim Training zu helfen.

Tooru steckte die Hände in die Hosentaschen und atmete laut auf. Er musste sich zusammenreißen. So was wie gestern Nacht sollte nicht noch einmal passieren. Jetzt kam es darauf an, dass das Team bestmöglich funktionierte, da war es egal, wie es ihm selbst erging. Alles, was jetzt zählte, war die Mannschaft und die optimale Vorbereitung auf die Koshien. Alles andere galt es hinten anzustellen.

Satoki hatte außerdem recht. Es war noch nicht nötig den Kopf in den Sand zu stecken. Noch hatte er ein bisschen Zeit bis zu den Meisterschaften. Es kam nicht darauf an, jedes Spiel durchzuspielen. Ein paar Spiele oder sogar nur ein paar Innings konnten auch ein Ziel sein.

Das Team arbeitete hart für die Koshien und es gab keinen Grund, weshalb er sie nicht dabei unterstützen sollte. Kawashima war unter seiner Anleitung in den letzten Tagen enorm gewachsen. Seine Kontrolle über seine Pitches wurde immer besser und er war sich sicher, dass sie bei den Meisterschaften die Gegner überraschen konnten.

Wer hätte gedacht, dass ein solches Potential in dem lauten, oft ungehobelten Charakter stecken würde? Tooru hatte gespürt, dass Kawashima etwas Besonders war, als er das erste Mal für ihn die Pitches fing, doch dass er sich so schnell so enorm steigern würde, hatte er sich in seinen kühnsten Träumen nicht ausgemalt.

Mit ihm und mit Yamada hatten sie zwei richtig starke Pitcher in ihren Reihen, deren Spezialitäten in ganz unterschiedlichen Bereichen lagen. Endlich schien eine Lücke gefüllt zu sein, die in den letzten Jahren in der Mannschaft klaffte. Sie hatten zwar über eine enorme Stärke in der Schlagmannschaft verfügt, doch es hatte immer an der guten Defensive gefehlt. Jetzt hatte Tooru zum ersten Mal das Gefühl, als würden sie komplett sein und tief in ihm drin motivierte ihn dieser Gedanke. Er wollte dabei sein, wenn sich diese Mannschaft beim Koshien den Gegner stellen würde. Er wollte mit diesem Team einlaufen, dem Rest Japans zeigen, wozu sie fähig waren. Sie wissen lassen, dass dieses Team in den letzten Monaten nicht umsonst hart trainiert hatte.


„Hast du gehört? Nakamura wird nicht spielen können.“

Tooru blieb wie angewurzelt stehen, als er Stimmen aus der offenstehenden Trainingshalle hörte. Vermutlich waren es Spieler aus der zweiten oder dritten Mannschaft, denn alle Spieler der ersten Mannschaften befanden sich zu dieser Uhrzeit auf dem Hauptfeld. Er presste sich neben der Tür an die Wand.

„Ich habe gestern die Trainer reden hören, sie planen ohne Nakamura. Vielleicht ist das ja auch eine Chance für dich? Wo Nakamura als Catcher ausfällt, dürfte es leichter sein, einen Platz zu bekommen.“

Sein Herzschlag beschleunigte sich. Nein, das konnte nicht sein! Der Trainer hatte ihm doch erst vor zwei Tagen versichert, dass er kurzfristig plane. Dass er immer noch eine Chance hätte. Er würde ganz genau beobachten, wie er sich erhole und erst kurz vor den Meisterschaften entscheiden, ob er Teil des Teams sei oder nicht.

„Er hat wohl mit dem Arzt telefoniert und der sagte, dass es unmöglich sei.“

„Geschieht ihm recht. Der Typ weiß nicht, wie es ist, wenn man um seine Position kämpfen muss.“ Ein lautes Lachen ertönte. „War doch schon seit seinem ersten Tag in der ersten Mannschaft. Er hält uns aus dem zweiten und dritten Team für faul und unmotiviert. Keine Ahnung, wie der überhaupt Kapitän geworden ist.“

Der andere Spieler stimmte lachend ein. „Satoki-Senpai ist da die bessere Wahl. Ich hoffe es bleibt dabei.“

Er schluckte schwer, seine Kehle war trocken und in seinem Kopf rauschte es. Die Gedanken zogen Kreise, ohne dass er einen von ihnen packen konnte. Das konnte nicht wahr sein. Das konnte nicht wahr sein. Das konnte nicht wahr sein.

Nein!

„Eingebildeter Idiot. Ich würde nur zu gerne sein Gesicht sehen, wenn der Trainer das Team für die Koshien verkündet.“

Wie in Trance löste Tooru sich von der Wand und setzte schwerfällig einen Fuß vor den anderen. Seine Beine trugen ihn allerdings nicht weiter in Richtung Baseballfeld, sondern zurück in das Zimmer.

Tooru ließ sich auf das Bett fallen. Er lag einfach nur da und sah an die Decke. Immer und immer wieder hallten die gehörten Worte in seinem Kopf wieder. Jetzt war alles vorbei. Die Hoffnung, dass er es irgendwie zu den Koshien schaffen würde, war verflogen. Wenige Worte hatten gereicht, dass sie verpufft war.

Er drehte den Kopf nach unten und sein Blick fiel auf den Baseball, der auf dem Schreibtisch stand. Plötzlich spürte er eine ungeheure Wut in sich aufsteigen.

Tooru sprang aus dem Bett, stürmte auf den Schreibtisch zu und schleuderte den Baseball sowie Schulunterlagen und Stifte von der Tischplatte.

„Wieso!?! Ich war so nah dran! Wieso musste dieses Arschloch alles kaputt machen!“

Mit einem Mal wünschte er sich, dass er den Spieler vor sich hätte, der ihn einfach so über den Haufen gerannt hatte. Er würde ihn am liebsten schütteln für das, was er ihm antat.

„Wieso ich!? Wieso jetzt!?“

In blinder Wut griff der nach seinem Catcher-Handschuh und warf ihn an die Wand. Doch das Gefühl wollte einfach nicht nachlassen. Es war als würde er überlaufen. Er griff nach einigen Büchern und schmetterte sie zu Boden. Unmittelbar darauf folgten Fotografien.

Und dann plötzlich fühlte nichts mehr.

Eine große Leere breitete sich in ihm aus. Tooru sank zu Boden und begann zu weinen.

„Ich … hasse … Baseball“, schluchzte er hervor und verbarg den Kopf in den Händen.

Die heißen Tränen brannten in seinem Gesicht und er fühlte, der Rotz lief über die Oberlippe.

Tooru verschluckte sich und musste husten. Ein scharfer Stich fuhr durch seine Brust. Er krümmte sich vor Schmerzen und drückte eine Hand krampfhaft um seine Brust. Dann ließ er sich auf den Boden fallen und lag einfach nur reglos da. Er wollte nichts denken, nichts fühlen. Einfach nur alleine sein und vergessen, was gerade passiert war.


36

Yui hatte ein ungutes Gefühl, als sie sich dem Zimmer von Tooru nährte. Satoki hatte sie gebeten nachzusehen, wo Tooru steckte, nachdem dieser nicht beim Training aufgetaucht war – den zweiten Tag in Folge.

Tooru hätte gesagt, dass er nachkommen würde, doch seit dem waren inzwischen dreißig Minuten vergangen.

Yui klopfte an die Tür. „Tooru, bist du da?“

Keine Antwort.

„Tooru?“

Wieder begegnete ihr nur schweigen.

Vielleicht war er bereits zum Training aufgebrochen und sie hatten sich einfach verpasst? War immerhin möglich auf dem recht großen Schulgelände. Yui versuchte es ein weiteres Mal.

„Tooru, wenn du da bist, dann antwortete doch bitte.“

Es blieb still. Yui überlegte umzudrehen, doch dann machte sie einen letzten Versuch und drückte die Klinke runter. Die Tür war offen.

Zögernd trat sie in das Zimmer und rief Toorus Namen, verstummte jedoch bereits nach der Hälfte, als sie das Chaos erblickte. Auf dem Boden lagen Zeitschriften, Bücher, Stifte und Baseball-Ausrüstung zerstreut.

„Was ist denn hier passiert?“

„Ich möchte alleine sein, hau einfach ab, okay?“, ertönte es mit belegter Stimme.

„Tooru?“

Yui ging weiter ins Zimmer hinein und schließlich erblickte sie Tooru hinter dem Regal, welches den Schlafbereich von dem Arbeitsbereich mit einem Schreibtisch trennte. Tooru hockte auf der Erde und starrte die gegenüberliegende Wand an. Er hatte die Beine an den Körper gezogen und die Augen waren rot unterlaufen und geschwollen. Seine Wangen waren nass. Hatte er etwa geweint? Hektisch fuhr er sich mit der Handfläche über das Gesicht. Offenbar war es so.

„Was willst du?“

Seine Stimme kraftlos und matt und Yui konnte nicht anders, als sich Sorgen zu machen. Was war in den Minuten geschehen, in denen er alleine war? Satoki hatte gesagt, dass er gut drauf gewesen war. Sie solle sich keine Sorgen machen, Tooru hätte das Ergebnis der Untersuchung gut weggesteckt, nachdem er den gestrigen Abend zunächst bedrückt gewesen war.

„Das Training hat angefangen. Wir haben dich vermisst.“

„Ich werde nicht mehr zum Training kommen“, kam es zurück.

Tooru sah sie zu keinem Moment an, starrte weiter auf die Wand vor sich.

„Wegen der Untersuchung gestern?“, fragte sie vorsichtig nach.

„Es hat doch eh keinen Zweck“, murmelte Tooru.

„Wie meinst du das?“

Seine Augen lösten sich von der Wand und der Kopf preschte in ihre Richtung. Er sah sie an, die Augen funkelten vor Wut. „Ganz einfach, ich habe keinen Bock mehr auf Baseball!“, schrie er.

„Was ist passiert? Ich meine … Tooru, du kannst es noch schaffen, noch hast du Zeit …“

Weiter kam sie nicht. Er sprang auf, verkürzte den Abstand zwischen ihnen und blickte direkt in ihre Augen. „Werde ich eben nicht! Es ist vorbei, Yui. Ich habe mir in den letzten Wochen umsonst den Arsch aufgerissen!“

Sie griff nach seiner Hand. „Aber …“

Tooru riss sich los. „Ich will diese Aufmunterungsreden nicht mehr hören!“

„Du glaubst also nicht mehr daran, dass du es schaffen kannst?“ Sie griff erneut nach seiner Hand, drückte jetzt fester zu. „Wir alle, wir glauben an dich. Die Spieler, der Trainer, ich … du wirst zu den Koshien fahren können.“

Er lachte. „Der Trainer?“

Sie wurde unsicher. Gab es etwas, von dem sie nichts wusste? „Was ist los, hat der Trainer was gesagt?“, fühlte sie nach.

„Was gesagt?“ Tooru lachte immer lauter, es klang jetzt beinahe hysterisch. „Was gesagt? Er plant nicht mehr mit mir, trotz allem was er gesagt hat, bin ich nicht in der Mannschaft für die Koshien.“

Sein Händedruck ließ nach, er zog seine Hand zurück und sah zur Erde. „Ich habe alles gegeben und nun ist es vorbei“, flüsterte er. „Ich … ich kann nicht mehr.“

Yui musterte ihn besorgt. Irgendwas schien in ihm zerbrochen zu sein. Irreparabel zerstört. Und das machte ihr Angst. Es war, als würde der Tooru vor ihr stehen, der vor eineinhalb Monaten im Krankenhaus gelegen hatte: Verzweifelt, durch den Krankenhausalltag gezeichnet.

Doch in der Zwischenzeit hatte er sich wieder gefangen, hatte sich angestrengt, sein gestecktes Ziel zu erreichen. Und nicht nur das. Er hatte andere Aufgaben gefunden, mit denen er die Mannschaft unterstütze. Das Training mit den Pitchern war aus seiner Initiative entstanden. Niemand hatte ihn dazu gezwungen. Und nun, plötzlich, stand er wieder bei Null.

Sie konnte nicht glauben, dass der Trainer ohne Tooru plante. Sicher, die Aussichten waren nicht gut, aber es war noch Zeit. Selbst wenn er nur für ein paar Innings spielen könnte, wäre er durch seine Raffinesse und sein Spielgeschick klar eine Bereicherung für das Team.

„Yui, Ich … ich … ich weiß nicht mehr was ich tun soll.“

Eine Träne rann über seine Wange und tropfte vom Kinn zu Boden.

„In dem Spiel habe ich alles für dieses eine Ziel gegeben und nun, nun ist alles vorbei.“

Yui machte einen Schritt nach vorne und drückte ihn an sich, ließ ihn weinen. Anfangs versuchte er sich ihr zu entziehen, doch dann erstarb seine Gegenwehr und er erwiderte die Umarmung.

„Im Sommer werdet ihr es wieder schaffen“, flüsterte sie ihm ins Ohr. „Und dann bist du dabei.“

„Ich wollte jetzt dabei sein, mit dem Team, welches uns bis zu den Frühlings-Koshien gebracht hat“, nuschelte er.

„Vielleicht lässt der Trainer ja noch mal mit sich reden.“

„Vielleicht.“

Er klang nicht überzeugt, doch Yui sagte darauf nichts. Sie verfielen in ein Schweigen, standen einfach nur da und hielten sich in den Armen.


Yui wusste nicht wie lange sie so standen, doch irgendwann löste sich Tooru langsam von ihr und lächelte beschämt.

„Es … sorry, dass du mich so sehen musst.“

Er drehte sich weg und hockte sich dann hin, um die herumliegenden Bücher aufzusammeln. Sie tat es ihm nach.

„Du brauchst mir nicht helfen“, murmelte Tooru.

„Ich möchte es aber“, gab sie zurück und griff nach einem Buch. Dem gleichen, welches sich auch Tooru greifen wollte. Ihre Hände berührten sich und sie spürte Hitze in sich aufsteigen. Vorhin hatte ihr die Berührung nichts ausgemacht, da hatte sie instinktiv gehandelt, doch nun, da spürte sie wieder die Schmetterlinge im Bauch.

Sie waren sich über die letzten Monate noch einmal näher gekommen. Die Freundschaft war tiefer geworden und nicht selten fragte sie sich, ob er in ihr weiterhin nur eine Freundin sah. Gab es in seinem Leben weiterhin nur die eine Geliebte, den Baseball, oder hatte sie inzwischen einen Platz in ihrem Herzen gefunden.

„Oh, Entschuldigung.“ Tooru zog seine Hand zurück und nahm stattdessen ein anders Buch.

„Du, Tooru.“

Er sah sie an. „Ja?“

Ich liebe dich, schrie sie in ihrem Inneren.

„Wenn du mal jemand zum reden brauchst, du weißt, dass du immer auf mich zählen kannst, ja?“

Sie schafft es einfach nicht, diese drei Worte über ihre Lippen zu bringen. Zu groß war die Angst davor, dass er sich vielleicht wieder von ihr entfernen würde.

Yui stapelte die Bücher, stand auf und legte sie ins Regal. „Ich sollte gehen, also zurück zum Training. Satoki fragt sich sicher, wo ich bleibe.“

„Das Training ist bald vorbei“, kam es trocken zurück.

Sie sah auf die Uhr im Zimmer. Tatsächlich. In nicht einmal zehn Minuten war das Training vorüber.

„Ich sollte dennoch gehen und ihm sagen, dass du …“ Sie stockte. „Das dir nicht gut war und du deshalb im Zimmer geblieben bist.“

„Lass nur, ich rede später mit ihm.“

Ihre Blicke trafen sich. Tooru wich dem ihren aus und sah zum Boden. „Na ja, danke dass du hier warst. Ich … du hättest das nicht machen müssen, also ich meine … es gibt sicher besseres als mich in so einem Zustand zu sehen.“

„Den stolzen Catcher von Komae?“ Sie lächelte. „Bestimmt.“

Ein trockenes Lachen hallte durch den Raum. „Es tut mir leid, dass ich deinem Bild von mir nicht gerecht werde.“

„Du bist mir wichtig, deshalb bin ich geblieben.“

Seine Mundwinkel zogen sich ein Stück nach oben und bei seinem nächsten Worten machte ihr Herz einen Sprung: „Du bist mir auch wichtig.“


37

17. Januar

Yuzuru begann sich ernsthafte Sorgen zu machen. Nakamura kam nun bereits seit fünf Tagen nicht zum Training und kapselte sich immer weiter von ihnen ab.

Fast jeden Abend, wenn Kawashima und er ins Zimmer zurückkamen, war Nakamura nicht da und kehrte erst spät in der Nacht zurück.

Auch war er weitaus weniger streitlustig als man es von ihm kannte, wirkte still und in sich gekehrt.

Yui hatte ihm von der Entscheidung des Trainers erzählt, Nakamura nicht mit zu den Koshien zu nehmen. Yuzuru konnte nur zu sehr nachempfinden, was diese Nachricht in ihm ausgelöst hatte.

Nakamura hatte sich mit Schmerzen durch das Finalspiel des Herbsttuniers gekämpft, alles für die Mannschaft getan und diesen Schritt mit seiner Gesundheit bezahlt, um dann auf den Lohn verzichten zu müssen.

Er konnte sich überhaupt nicht vorstellen, wie es sein würde ohne ihn ins Koshien einzulaufen. In den ersten Tagen hier in Komae waren sie sich nicht grün gewesen, doch inzwischen verband sie eine tiefe Freundschaft, auch wenn sie nicht immer einer Meinung waren. Umso mehr störte es ihn, dass Nakamura sich ihm in diesem Fall nicht anvertraute. Er hatte von Yui erfahren müssen, weshalb sein Freund nicht mehr zum Training kam. Ihm gegenüber hatte Nakamura nur erzählt, dass er nach der Untersuchung gerade keine Lust hätte. In ein paar Tagen würde er wiederkommen, jetzt wolle er aber erst einmal für sich sein.

Yuzuru drehte sich im Bett und sah auf die Funkuhr. 23:30 Uhr und von Nakamura gab es weiterhin keine Spur. Er drehte sich auf die andere Seite. Vielleicht sollte er mit Nakamura reden? So konnte es ja nicht weitergehen. Er schadete sich nur noch mehr, wenn er den Schlaf so dermaßen vernachlässigte.

Anderseits, vielleicht brauchte er einfach mal ein bisschen Zeit für sich alleine. Yuzuru konnte verstehen, dass es ihm auf die Nerven ging, wenn ihm jeder aus dem Team hineinredete. Seine Augenlider schlossen sich wieder und er versuchte zu schlafen.

Ohne Erfolg.

Yuzuru warf die Bettdecke zur Seite und verließ dann leise das Zimmer, damit er Kawashima nicht weckte. Es hatte nicht lange gebraucht und er hatte Tooru gefunden. Er saß auf der Spielerbank am Baseballfeld und sah in die Ferne.

„Du hast schon wieder keine Jacke übergezogen“, sagte Yuzuru und setzte sich neben seinen Freund. „Du erkältest dich nur wieder.“

Nakamura zuckte mit den Schultern. „Was würde das noch für einen Unterschied machen“, grummelte er.

„Denkst du nicht, dass es Zeit ist, diese Sache hinter dich zu lassen?“

„Wie meinst du das?“

„Na ja, du hast vor einigen Wochen gesagt, dass du die Pitcher auch abseits deiner Rolle als Catcher unterstützen willst und nun verkriechst du dich immer mehr. Wir haben dich seit fünf Tagen nicht mehr auf dem Feld gesehen.“

„Ich habe wirklich andere Dinge im Kopf.“

„Kawashima braucht deine Unterstützung. Willst du nicht, dass das Team so stark wie nur möglich bei den Koshien antritt? Er muss noch die Würfe verfeinern und unter deiner Anleitung hat es zuletzt doch gut geklappt.“

„Ich werde nicht zu den Koshien fahren, falls es dir entgangen ist.“ Tooru stand auf und ging zurück zum Wohnheim.

„Das ist alles, was du zu sagen hast?“ Yuzuru spürte Wut in sich aufsteigen. Eine dumpfe, schmerzliche Wut, die er nicht unterdrücken konnte.

Er sprang auf, verkürzte den Abstand zu Nakamura und drehte ihn zu sich. „Ist das dein verfluchter ernst? Ist dir das Team egal, nur weil du nicht spielen kannst? Ist das so?“

„Lass mich los“, kam es ohne Emotionen zurück.

Yuzuru dachte nicht daran und begann Nakamura zu schütteln. „Ob du das ernst meinst, habe ich gefragt! Du willst der Kapitän der Mannschaft sein?! Du lässt dich einfach so hängen. Das bist doch nicht mehr du! Das ist nicht Tooru Nakamura. Wir sind ein Team und du bist plötzlich einer dieser egoistischen Einzelspieler, die ich auf den Tod nicht ausstehen kann. Wach auf, Tooru! Wir brauchen dich, egal, ob du spielen kannst oder nicht!“

„Ich sagte, du sollst mich loslassen.“

„Du bist mein Freund und ich sehe nicht zu, wie du dich weiter von allem um dich herum entfernst.“ Er tippte auf Nakamuras Brust. „Hör in dich hinein, Tooru. Wo ist die Seele des baseballverrückten Typen hin? Wo ist das Herz, das nur für diesen Sport lebt und alles dafür aufgeben würde? Du wirst dem Team vielleicht nicht als aktiver Spieler helfen können, aber als genialer Kopf an der Seitenlinie.“

„Ich sagte, du sollst mich loslassen!“

„Antworte mir erst!“

„Leck mich!“

Nakamura befreite sich aus seinem Griff und setzte sich wieder in Bewegung. „Lass mich einfach in Ruhe, ja? Ich habe keinen Bock auf diese Diskussionen.“ Tooru lachte. „Ich meine, du hast gut reden. Bei dir läuft seit dem Wechsel nach Komae alles perfekt. Du plagst dich nicht mit einer kaputten Lunge herum.“

„Du willst also in Selbstmitleid eingehen?“

Nakamura hielt nicht an. „Ja, vielleicht ist es genau das“, zischte er und beschleunigte dann seinen Gang.

Yuzuru hatte überlegt, ihm zu folgen und zu einer vernünftigen Antwort zu zwingen, doch er war sich sicher, dass Nakamura heute Abend mit ihm kein ernstes Gespräch mehr führen wurde. Also wartete er einige Minuten, ehe er selbst den Rückweg zum Zimmer antrat und sich wieder in sein Bett legte. Vielleicht war es das Beste, wenn er das Gespräch mit dem Trainer suchte. Immerhin war es seine Entscheidung gewesen, die Nakamura in das Loch gestürzt hatte. Wenn Okada noch einmal in Ruhe mit ihm redete, könnte das eventuell etwas bringen.


38

18. Januar

Nakamura war nicht zum Training gekommen, aber Yuzuru hatte auch nicht damit gerechnet. Er seufzte und stellte seine Schlägertasche an der Trainerbank ab. Wie nur konnte er seinen Freund erreichen ohne ihn noch tiefer in sein Loch zu stoßen? Es musste doch irgendwas geben können, was ihm helfen könnte.

„Satoki, hast du Zeit für mich?“

Der Trainer stand vor ihm und sah ihn mit einem ersten Gesichtsausdruck an.

„Natürlich, sicher. Worum geht es?“

„Komm, wir gehen ein Stück.“

Yuzuru nickte und folgte Okada in Richtung des zweiten Feldes, auf dem aktuell niemand trainierte.

„Ich möchte mit dir über Nakamura reden“, eröffnete ihm Okada nach einer Weile. „Weißt du, wieso er nicht zum Training kommt?“

Yuzuru zog die Stirn in Falten. „Ich dachte, dass wäre offensichtlich?“, fragte er verwundert.

Nun schien es Okada zu sein, der überrascht war. „Ist es das? Ich war eigentlich davon ausgegangen, dass er in seiner Aufgabe mit den Pitchern aufgeht. Liegt es an der Untersuchung?“

Als Trainer wusste Okada natürlich über das Ergebnis bescheid, auch wenn Nakamura nicht mit ihm persönlich darüber gesprochen hatte.

„Äh, nein … also vielleicht schon.“ Yuzuru sah auf da Feld, seine Augen rasteten auf der Home Plate. Dem Ort, an dem normalerweise Nakamura ihr Spiel lenkte und alles im Blick hatte. „Ich denke, es ist wegen Ihrer Entscheidung, ihn nicht mit zu den Koshien zu nehmen.“

„Meiner was?“

Yuzuru sah zum Trainer, der ihn mit großen Augen und Unverständnis ansah.

„Ich kann dir nicht folgen“, fügte er nach einigen stillen Sekunden hinzu.

„Das ist, was Nakamura zu Ayano sagte. Sie hätten sich entschieden, dass für ihn in seinem derzeitigen Zustand kein Platz im Team sei.“

„Woher hat er diesen Unfug?!“ Okadas wurde lauter. „Ich habe darüber nicht mit ihm gesprochen.“

„Das hört sich an, als wäre es wahr“, nuschelte Yuzuru hervor.

„Ich hatte lediglich mit den anderen Team-Verantwortlichen darüber nachgedacht. Wir haben immerhin die Koshien vor uns, da können wir uns nicht leisten auf eine Person Rücksicht zu nehmen. Es kommt darauf an das Team in seiner derzeitigen Form zu stärken.“

„Ich bin der festen Überzeugung das Nakamura es schaffen kann. Er hat doch noch Zeit bis zu den Koshien und er ist einer unser zentralen Spieler. Sie können ihn jetzt noch nicht aufgeben. Ich bin mir sicher, dass wir ihn in dem Turnier brauchen können und …“

Yuzuru stoppte, als Okada die Hand hob. „Ich hatte noch nicht zu Ende gesprochen. Ich sagte, ich habe darüber nachgedacht“, erklärte ihm der Trainer. „Wir sind am Ende zu dem gleichen Ergebnis gekommen, wie du. Nakamura ist zu wichtig, als das wir ihn jetzt schon abschreiben sollten. Wir werden noch die nächste Untersuchung abwarten und dann erst eine Entscheidung fällen.“

„Dann ist das alles ein Missverständnis?“, sackte es langsam zu Yuzuru durch. „Ich dachte, sie hätten das mit Nakamura persönlich besprochen?“

„Er muss es irgendwo aufgeschnappt haben.“ Der Trainer fuhr sich mit den Fingern über das Nasenbein. „Könntest du rübergehen und ihm sagen, dass ich mit ihm sprechen möchte? Ich denke, es wäre am besten diese Sache sofort zu klären.“


Yuzuru nickte und verschwand mit eiligen Schritten in Richtung des Wohnheims. Am Ende war also alles ein Missverständnis gewesen. Noch war Nakamura noch nicht aus dem Kader für die Koshien herausgeworfen worden. Er hatte noch alle Chancen mitzufahren.

Ohne anzuklopfen, war Yuzuru in das Zimmer gestürzt, hatte Nakamura fast umgerissen, der im Begriff war, seinerseits die Tür zu öffnen und nach Draußen zu treten.

Yuzuru holte aus und gab seinem Gegenüber einen Klaps an den Hinterkopf. „Du Idiot, woher hast du den Mist, das du nicht mit zu den Koshien fährst?“

„Mhm?“

Nakamura schien nicht zu begreifen.

„Vom Trainer wohl nicht.“

„Spielt es eine Rolle?“ Nakamura ging an ihm vorbei und verließ das Zimmer. „Das Ergebnis bleibt das gleiche.“

„Eben nicht.“ Yuzuru hechtete hinter Nakamura hinterher. „Es war ein Missverständnis, Nakamura. Du hast noch alle Chancen auf Koshien.“

Endlich schien er die Aufmerksamkeit seines Freundes zu haben. Nakamura war stehengeblieben und drehte sich zu ihm herum. „Ein Missverständnis?“

„Ich habe keine Ahnung, wo du das aufgeschnappt hast, aber der Trainer will das erst nach der nächsten Untersuchung entscheiden. Ich habe mit ihm gesprochen.“ Yuzuru fielen die Worte des Trainers wieder ein. „Und mit dir will er auch sprechen. Ich soll dich zu ihm bringen.“

Nakamura nickte mechanisch. „Ein Missverständnis“, wiederholte er einmal mehr.

„Vollidiot!“ Yuzuru konnte nicht anders und seine Handfläche traf erneut Nakamuras Hinterkopf. „Das passiert, wenn man alles glaubt, was man aufschnappt. Woher hast du das überhaupt?“

Nakamura schwieg.

„Hast du an der Tür gelauscht.“

„So was ähnliches“, kam es leise von Tooru.

„Wir brauchen dich, Kapitän. Du bist einer der wichtigsten Spieler des Teams, glaubst du wirklich der Trainer hätte dich schon aufgegeben.“

„Du bist derzeit der Kapitän“, kam es monoton zurück.

„Oi, Nakamura. Nun ist aber gut. Für mich bist du der Kapitän.“

„Für dich, aber vielleicht für andere nicht?“ Nakamura steckte die Hände in seine Hosentaschen. „Vielleicht wäre es besser, du würdest den Posten ganz und nicht nur zeitweise übernehmen? Ich scheine dafür nicht wirklich geeignet zu sein.“

Yuzuru sah nach rechts und blickte in das Gesicht von Nakamura. Er schien das gesagte wirklich ernst zu meinen, das konnte er an dem gequälten Gesichtsausdruck seines Freundes sehen. Sicher, Nakamura hatte seine Schwächen als Kapitän, tat sich oft schwer wirklich jeden Spieler zu verstehen, trotzdem war es seine Führung, die das Team bis zu den Koshien geführt hatte. Sein unerbittlicher Kampfgeist und seine Risikofreude hatte der Mannschaft den letzten Push gegeben, den sie nach der bitteren Niederlage im Sommerturnier gebraucht hatten.

„Rede keinen Unsinn“, erwiderte er flapsig. „Du bist der Kapitän und niemand anders kann den Job besser machen als du.“

„Wenn du das sagst.“

Er hatte wohl keinen Erfolg gehabt, Nakamura aufzuheitern. Er zweifelte weiter an seinen Fähigkeiten als Kapitän der Mannschaft. Aber immerhin, er war guter Dinge, dass sich Nakamura nach dem Gespräch mit dem Trainer wieder etwas fangen würde. Wenn er von Okada persönlich hörte, dass er noch alle Möglichkeiten auf die Koshien hätte, dann würde er bestimmt endlich sein selbstgebuddeltes Loch verlassen können. Zumindest war es das, worauf Yuzuru hoffte, denn ansonsten wäre er mit seinem Latein am Ende.


39

21. Januar


Über die nächsten Tage kehrte ganz langsam der Alltag ein. Nakamura war dazu übergegangen tagsüber die Mauern noch höher zu errichten als ohnehin schon und Yuzuru erwischte Tooru nicht nur einmal dabei, wie er sich nachts aus dem Wohnheim schlich und alleine auf dem Feld saß. Manchmal da setzte er sich stumm neben Nakamura, nur um zu zeigen, dass er da sein würde, wenn er reden wollte. Viel gesprochen hatten sie über die Situation nicht und Yuzuru selbst wusste inzwischen nicht mehr, was er sagen sollte. Es blieb ihm nicht anders übrig als die Standartsprüche abzuspulen: Wir schaffen das. Es wird sich alles ausgehen. Du bist nicht allein. 

Trotz allem leistete Nakamura mit den Pitchern weiterhin gute Arbeit und die Fortschritte waren immer mehr zu erkennen. Auch schien es langsam mit der Gesundheit des Catchers aufwärts zu gehen. Nakamuras Appetit war über die letzten Tage größer geworden und auch die Ausdauer nahm zu und so war sich Yuzuru sicher, dass die nächste Untersuchung einen positiven Ausgang nehmen würde. Oder zumindest hoffte er es.

Yuzuru lehnte im Eingang der Bullpen und beobachtete das Training der Pitcher. 

„Du bist zu verkrampft, Kawashima!“ Nakamura war aufgestanden und korrigierte die Haltung des jüngeren Pitchers.

„Kein Wunder, wenn du so dicht hinter mir stehst!“, kam es laut zurück.

„Haha, sag bloß ich mach dich nervös? Vorhin stand ich nicht hinter dir, da war es kein bisschen besser“, erwiderte Nakamura unbeeindruckt. „Und nun versuch den Cutter noch einmal.“

Nakamura trat einige Meter zur Seite und ließ Kawashima den Pitch machen. 

„Das war ein Ball“, kam es kurz darauf von Yoshida zurück.

„Wirklich, ich dachte, dass du inzwischen eine bessere Kontrolle hättest.“ Nakamura giggelte. „Vier der fünf Würfe waren keine Strikes.“

„Du machst mich auch ganz nervös!“

„Für keine Ausrede zu schade, was?“ Nakamura wechselte die Position abermals und stellte sich nun hinter Yoshida. „Gib mir noch drei Cutter, dann machen wir Schluss.“

„Aber ich will noch andere Pitches ausprobieren!“, kam es sofort ungeduldig zurück.

Nakamura lachte laut auf. „Die Tatsache, dass Satoki in der Tür steht, sollte dir sagen, dass ich schon über mein Zeitlimit bin. Sei dankbar, dass er dir noch drei Würfe erlaubt.“

Kawashimas Kopf preschte in seine Richtung. „Satoki-Senpai!“

„Vergiss es, Kawashima. Drei Würfe und dann ist Schluss. Du hast schon genug geworfen!“

„Aber …“

„Nichts aber! Nach drei Würfen macht ihr Schluss. Ich bin mir sicher Yoshida hat auch noch anderes Training geplant.“

Der Catcher nickte. „Mein Batting braucht dringend Verbesserung.“

Yuzuru kam nicht umher zu bemerken, wie sich Nakamuras Gesichtszüge bei dem Gesagten veränderten. Er konnte es ihm nicht verübeln. Denn es zeigte klar und deutlich, dass sich das Team darauf vorbereitete, die Koshien ohne ihn zu absolvieren. Dass Nakamura vielleicht nicht mit ihnen auf dem Spielfeld stehen würde, wurde immer mehr zur bitteren Realität.

„Dann schau auch hin, wenn ich werfe!“ Kawashima schnaufte durch die Nase. „Nun habe ich einen Wurf ganz umsonst gemacht!“ 

Nakamura grinste. „Ich habe alles gesehen. Er war nicht besonders gut gesetzt.“

„Der war perfekt!“, widersprach Kawashima sofort und Yuzuru musste zugeben, dass der Pitcher recht hatte. Er zumindest hätte den Pitch nicht mit seinem Schläger erwischt. Nakamura hatte tatsächlich nicht hingesehen.

„Jaja, mach deinen nächsten Pitch.“


Als Nakamura nach Trainingsende an ihm vorbei ging, folgte Yuzuru ihm in Richtung des Wohnheims.

„Du leistest gute Arbeit“, sagte er nach einer Weile des Schweigens.

„Ich würde lieber selbst den Handschuh tragen“, erwiderte Nakamura.

„Ich bin sicher, dass wirst du bald. Du wirst immer fitter.“

„Zumindest wirkt es nach Außen so.“ Nakamura lachte ironisch. „Ich fühle mich am Abend immer noch wie von einem Laster überrollt. Ich bin einfach nur müde und kann kaum noch die Kraft für die Hausaufgaben aufbringen.“

„Das könnte auch an deinen nächtlichen Wanderungen liegen“, merkte Yuzuru an. „Vielleicht ist es besser, wenn du deine Probleme nicht runterschluckst, sondern mit jemand darüber redest?“

„Es geht mir gut. Ich schaffe es auch so“, kam es zurück.

Yuzuru seufzte. „Und an dieser Stelle dachte ich, dass wir eigentlich schon viel weiter wären. Was ist los? Vor einigen Wochen hast du mit mir auch darüber gesprochen.“

Nakamura hielt an und sah ihn fragend an. „Haben wir nicht gerade darüber geredet?“ 

„Nein, nicht wirklich. Du verheimlichst, was wirklich in einem hübsche Köpfchen vorgeht.“

Nakamura nickte und setzte seinen Gang fort. „Ist dir bewusst, dass es jetzt nur noch acht Wochen sind bis zu den Meisterschaften?“

Yuzuru wusste, worauf Nakamura hinauswollte. Die Zeit lief ihnen davon. Selbst wenn Nakamura noch heute anfangen könnte zu trainieren, dann wäre es unmöglich, dass er bei den Meisterschaften in Topform wäre.

„Willst du mir sagen, dass du schon wieder darüber denkst aufzugeben? Ehrlich, diese Platte kann ich nicht mehr hören.“

„Nein, darum geht es nicht …“

„Aha und was suchst du dann wehleidig nachts auf dem Spielfeld?“

„Gut, gut … ich gebe mich geschlagen. Die erste Woche nach der Untersuchung habe ich tatsächlich aufgegeben, aber in den letzten Tagen. Ich denke darüber nach, wie ich die Tage besser nutzen kann, die ich zum Nichtstun verdammt bin.“

„Du hilfst doch schon den Pitchern.“

„Ich habe mir Videos von den Spielen unser Gegner angesehen. Ich glaube, dass ist auch etwas, was ich tun kann. Den Gegner noch besser zu studieren, als ich es sonst machen würde.“ Nakamura öffnete die Tür zu ihrem Zimmer und ließ sich auf das Bett fallen. „Dadurch kann ich vielleicht meine anderen Schwächen kompensieren. Ich war auf dem Feld, um es mir besser vorstellen zu können.“

„Ich habe dich nie vor Videos gesehen.“

„Ich habe sie gesehen, als ihr noch trainiert habt“, erklärte Nakamura. Er nickte Richtung Schreibtisch. „Die Kassetten liegen allerdings offensichtlich in eurem Zimmer.“ Der Catcher lachte. „Aber ihr seid nun Beide auch nicht wirklich auf Ordnung bedacht.“

„Wenn ich …“ Nakamura schluckte. „Wenn ich es nicht bis zu den Meisterschaften schaffe, ich habe jede einzelne Macke aufgeschrieben. Dann wird es euch und Yoshida helfen. Es ist in der ersten Schublade.“

Yuzuru nickte und ging um Schreibtisch, um die erste Schublade aufzuziehen. Er zog einen dicken Collegeblock hervor und öffnete ihn. Die Blätter waren fast bis zum Ende vollgeschrieben. Nakamura hatte wirklich ganze Arbeit geleistet. 

„Du hättest etwas sagen können.“

„Wozu? Ich war am Anfang nicht sicher, ob ich es durchhalte. Baseballspiele anzusehen, wo ich gerade selbst nicht spielen kann.“

Yuzuru lachte laut auf. „Das nehme ich so als Ausrede hin.“ Wieder blätterte er in dem Block. „Eigentlich solltest du dich aber ausruhen. Es gibt Gründe, weshalb du nur zwei Stunden auf dem Trainingsplatz sein sollst.“

„Ob ich Baseballspiele sehe oder irgendwelche unsinnigen Serien. Es wäre das Gleiche dabei rausgekommen.“ Nakamura lehnte sich gegen die Wand und schloss die Augen. „Ich will diesen verdammten Titel“, flüsterte er leise. „Jetzt erst recht.“


40


27.Januar


Tooru schob die Videokassette in den Rekorder und zog seinen Block zu sich heran. Es war nicht leicht sich auf die Aufgabe zu konzentrieren, während seine Teamkameraden an der frischen Luft waren und aktiv dem besten Sport auf der Welt nachgehen konnten. Doch was sollte er machen? Er konnte ja doch nichts an seiner Gesamtsituation ändern und so stürzte er sich in diese Aufgabe, die zumindest etwas Ablenkung verschaffte. Vor vier Tagen hatte er erneut eine Untersuchung gehabt, doch noch wollte ihm der Arzt noch kein „Go“ für das Training geben. Seine Lunge hätte sich noch nicht gut genug erholt. Er könnte über die Tragik lachen. Denn die Ironie bei der Sache war, dass seine gebrochenen Rippen schneller wieder zusammengewachsen waren, als man angesichts des komplizierten Bruches vermutet hatte. Er hätte also eigentlich schon wieder trainieren können – wäre da nicht diese Lungenentzündung.

„Pff“, grummelte er leise. Dass es sich um so viele Monate hinziehen würde, damit hätte er nicht gerechnet. Aber er merkte ja selbst, wie sehr ihn diese lange Krankheit mitgenommen hatte. Es würde lange dauern, bis sein Körper wieder auf dem Niveau war wie davor. Für ihn stand außer Frage, dass er die Meisterschaften nicht mit topfit bestreiten könnte. Aber vielleicht reichten ja auch 90 Prozent. 

Er lachte laut auf. Nein, selbst 90 Prozent waren wohl übertrieben. Er hatte wohl Glück, wenn er auf 60 bis 70 Prozent kommen würde. 

Seine Augen fixierten den Bildschirm vor sich. Sie würden auf starke Gegner treffen, reichten es da wirklich, wenn er nur 70 Prozent geben konnte? Konnte er das wirklich dadurch kompensieren, indem er die anderen Mannschaften studierte? 

„Unmöglich“, nuschelte er. Natürlich trainierten auch die anderen Mannschaften über die Winterpause. Sie verbesserten sich ebenso wie Komae, hatten neue Tricks im Köcher. Er würde also nur einen kleinen Teil kompensieren können. 

Tooru stoppte das Video und spulte es zurück, um sich den Wurf des Pitchers abermals anzusehen. 

„Ah. Ich seh schon …“ Er machte sich eine Notiz und ließ das Video dann weiterlaufen. 

Müde rieb er sich durch die Augen. Irgendwie hatte ihn das ganze Training heute mehr angestrengt als er gehofft hatte. So würde er nicht besonders viel Videomaterial schaffen. Für einige Sekunden schloss er die Augen, ehe er sie wieder aufriss. Er konnte noch ein bisschen was schaffen. Nur noch ein paar Szenen …


„Nakamura Tooru!“

Er schreckte auf. „Wie, was?“

„Du bist eingeschlafen. Ich dachte du willst vielleicht lieber im Bett weiterschlafen“, kam es von einer anderen Stimme.

Tooru rieb sich mit den Fingern durch die Augen und richtete sich langsam vom Boden auf. Satoki und Kawashima standen mit dreckigen Klamotten in der Tür und grinsten ihn breit an. 

„Was? Noch nie jemand gesehen, der über seiner Arbeit eingeschlafen ist?“

„Hyhaha! Vielleicht solltest du in den Spiegel schauen. Dein Make-up schaut nicht besonders gelungen aus.“

Tooru sah auf den offenen Stift, der auf dem Collegeblock lag und nun verstand er. Er rieb sich über die Wange. „Verdammt“, schimpfte er leise. „Weg?“

„Von dem kleinen Einsatz von dir, wohl kaum.“ Satoki nahm eine der Wasserflaschen und machte ein Taschentuch feucht. „Hier.“

Tooru griff danach und wischte sich eilig den Stift aus dem Gesicht. „Und jetzt?“

„Am Kinn ist noch ein bisschen.“

Er wischte sich über das Kinn. 

„Jetzt ist alles weg.“ Satoki lehnte sich herunter und griff nach dem Block. „Hast du dich mit Kobayashi über die Notizen unterhalten?“

„Sicher, ich habe ja die Videos immerhin von ihm.“

„Und?“

„Was und?“

„Habt ihr noch was abgemacht?“

„Nein, nichts großartiges. Wir werden beide versuchen bis Anfang Februar damit durch zu sein. Die wichtigsten Informationen werden wir dann an alle Aushändigen.“ Tooru kicherte. „Wobei ich mir nicht sicher bin, ob unsere Pitcher mehr als eine Info auf einmal merken können.“

„Sehr witzig, Nakamura!“ Kawashima verschränkte die Arme vor der Brust. „Sehr wohl kann ich das!“

„Das hoffe ich für dich“, erwiderte Tooru mit einem schiefen Grinsen. „Denn ich vertraue darauf, dass du weißt, wo du hinwerfen musst.“

„Sicher! Du kannst dich zu hundert Prozent auf mich verlassen! Ich werde deine Fehler schon kaschieren!“

„Meine Fehler?“ Tooru zog die rechte Augenbraue hoch. „Bin ich es nicht, der immer deine Fehler korrigieren muss?“

„Du bist so ein Idiot!“ Kawashima zog ein langes Gesicht. „Du wirst schon sehen, ich werde mir die Nummer eins schon noch krallen! Sieh du lieber zu, dass dir niemand die Zwei wegschnappt!“

„Lass das mal meine Sorge sein.“ Tooru nahm Satoki den Block aus der Hand und legte ihn auf den Schreibtisch. „Dafür müsste ich allerdings erst einmal spielen können“, fügte er leise hinzu.

„Wann ist deine nächste Untersuchung, Nakamura-Senpai?“

Tooru sah sich überrascht um. „Senpai? Heute mal mit Respekt gegenüber Älteren unterwegs, oder wie?“

„Hmph! Ich habe immer Respekt“, schimpfte Kawashima. „Im Gegensatz zu bestimmten anderen Personen in diesem Raum und damit meine ich nicht Satoki-Senpai.“

„In fünf Tagen.“ 

„Ich bin mir sicher, danach darfst du wieder trainieren. Dann waren es ja auch schon mehr als drei Monate seit du ausgefallen bist.“

„Ich bin beeindruckt von deinen Rechenkünsten.“ Tooru legte die Hände hinter den Kopf. „Na ja, wir werden sehen.“

„Hyhaha. Sicher wirst du nach der Untersuchung wieder trainieren können!“, mischte sich nun Satoki ein. „Ich rechne fest mit deiner regen Teilnahme in den Trainings.“

Zu gerne würde Tooru so positiv sein wie seine Teamkollegen, doch er konnte es nicht. Bei den letzten Untersuchungen hatte er sich immer Hoffnungen gemacht, doch am Ende war er enttäuscht worden und hatte weiter warten müssen. Das wollte er dieses Mal vermeiden. Er wollte sich die Enttäuschung ersparen, wenn es wieder nicht klappen würde. 

Tooru lächelte. „Ich werde kurz zum Getränkeautomaten. Möchte von euch auch jemand etwas?“

Satoki schüttelte den Kopf und auch Kawashima verneinte. Sein eigentliches Anliegen für einen Moment alleine zu sein, um seine Gedanken zu sortieren ging allerdings nicht auf.

„Warte, ich komme mit!“ Kawashima rannte ihm hinterher, als er gerade die Tür verlassen hatte und auch ein flapsiges „Hast du Angst, dass ich mich verlaufe“, brachte den Pitcher nicht davon ab, ihm weiter zu folgen.

Zu Nakamuras Verwunderung sagte der Jüngere allerdings kein Wort und lief schweigsam neben ihm her. Als sie am Automaten angekommen waren, sah Tooru nach rechts. „Es ist etwas Beängstigend, wenn du schweigst.“

„Mhm?“

„Gibt es was, über das du reden willst?“ Tooru warf einige Münzen in das Gerät und zog kurz darauf einen Kaffee heraus. „Oder wieso rennst du mir hinterher wie ein streunender Hund?“

„Darf man seinem Senpai keine Gesellschaft leisten?“

„Da schon wieder.“ Tooru lehnte sich an den Automaten und grinste schief. „Zweimal Senpai in nur wenigen Minuten. Wozu brauchst du mich?“

„Würdest du mit mir gemeinsam einige der Videos sehen?“

„Wie?“

„Na, die Videos, die du anschaust!“

Tooru gab Kawashima mit der Getränkedose einen Klapps auf den Kopf. „Welche Videos ist mir klar. Aus welchem Grund?“

„Ich dachte, na ja … eventuell …“

„Komm zum Punkt, Kawashima.“

„Ich dachte, dass es vielleicht ganz sinnvoll wäre, wenn ich auch die Pitches einschätzen könnte. Ich meine, ich vertraue deiner Einschätzung, aber ich möchte auch selbst die richtigen Spielzüge fordern können.“

Tooru gluckste. „Die Kleinen werden so schnell erwachsen.“

„Wie soll ich das jetzt verstehen? Sag schon!“

Tooru öffnete seine Kaffeedose und machte sich auf den Rückweg zum Zimmer. „Du kannst es als ein Ja verstehen“, antwortete er und vernahm wenig später die schnellen Schritte von Kawashima, der wieder zu ihm aufschloss. 

„Ich werde dich nicht enttäuschen, Nakamura-Senpai!“

„Dreimal Senpai. Nun bekomme ich es wirklich mit der Angst zu tun.“ Tooru nahm einen Schluck von seinem Getränk. „Es ist vielleicht ohnehin besser, wenn du selbstständiger wirst, was deine Entscheidungen angeht. Wer weiß, ob ich spielen kann.“

„Sicher wirst du spielen!“, kam es wie aus der Pistole geschossen.

Tooru lachte ironisch auf. „Zumindest ihr scheint euch ja sicher zu sein.“ 

„Haha, natürlich! Wenn es einer schafft, dann du. Der Leader-in-training!“

„Danke für die Blumen.“ Tooru leerte die Dose schnell und warf sie in den nächsten Mülleimer. „Und nun, lass uns mit ein bisschen Pitchkunde anfangen. Auf geht’s!“

„Jawohl, Boss!“


41

02. Februar


Yui lief nervös auf und ab. Immer wieder sah sie die Straße hoch. Nakamura war am frühen Morgen zu der Untersuchung aufgebrochen und sollte eigentlich um die Mittagszeit in die Schule zurückkehren. Sie hatte mehrmals versucht, ihn über das Handy zu erreichen, doch er schien das Telefon ausgeschaltet zu haben.

Sie hoffte, dass das keine schlechte Nachricht war, sondern einfach der Tatsache geschuldet, dass er es für die Untersuchungen ausgestellt und vergessen hatte, es wieder anzuschalten. Dieses Mal musste es endlich klappen. Es war an der Zeit, dass er endlich wieder aktiv trainieren durfte, wo er nun schon so lange den Teamkollegen hatte zusehen müssen. Tooru gehörte einfach auf das Feld, stiller Zuschauer zu sein, passte nicht zu ihm.

Endlich sah sie das Auto von Yamazaki die Straße hinauffahren und kurz darauf bog der Wagen auf das Schulgelände ab. Gespannt wartete sie darauf, das Gesicht von Tooru zu sehen, wenn er ausstieg. Wie war das Ergebnis ausgefallen? Durfte er wieder trainieren oder war er weiterhin zum pausieren verdammt?

Die hintere Seitentür öffnete sich, Tooru stieg aus dem Wagen und …

… er lächelte!

„Du darfst wieder trainieren?“, fragte sie aufgeregt. „Du hast das Go bekommen?“

„Ja.“

In ihr brachen alle Dämme und sie sprang ihm um den Hals. „Ich freu mich ja so für dich!“

„Yui, ich ersticke“, presste er hervor.

Sie löste ihre Arme von seinem Körper und lachte verlegen. „Ich … sorry, ich habe mich nur so gefreut.“

„Ich gehe schon mal vor und rede mit Okada.“ Yamazaki zwinkerte ihr zu und ließ sie dann alleine.

Sie standen sich stumm gegenüber und Yui wurde die Stille mit jeder vergangenen Sekunde unheimlicher.

„Ich … Yui …“ Es war Tooru, der als erster wieder Worte fand. „Ich wollte dir für die letzten Monate danken. Also, wenn du Lust hast …“ Er griff in seine Tasche und nahm einen Briefumschlag heraus, die er in ihre Richtung hielt. „Yamazaki und ich, wir waren nach dem Arzt-Termin noch kurz in der Stadt und haben dir etwas besorgt. Ich hoffe, es gefällt dir.“

Sie nahm den Umschlag entgegen. Ihr Herz begann, wie verrückt zu schlagen. Ein Geschenk von Tooru für sie!

„Willst du ihn nicht öffnen?“

Erschrocken fuhr sie hoch.

Tooru kicherte. „Du starrst ihn nur an. Keine Angst, es ist auch etwas drin.“

Mit zittrigen Händen öffnete sie den Umschlag und zog die Karte, die darin verstaut war heraus. Sie dachte zunächst, dass es eine Konzertkarte sei, doch als sie sie ganz sah, wurde ihr bewusst, dass es eine Karte für ein Spiel der Swallows im Juni war.

„Es ist doch deine Lieblingsmannschaft, oder?“

Sie nickte seicht. „Ja“, presste sie ohne Stimme heraus.

„Ich dachte, vielleicht hast du Lust auf ein Spiel.“ Er lachte. „Ich dachte, vielleicht könnten wir ja gemeinsam hingehen.“

„Du würdest mitkommen?“

Er lachte wieder. „So alleine würde es ja wenig Spaß machen, oder?“

Sie sah auf die Karte, dann wieder zu Tooru. „Du hättest mir nicht so ein teures Geschenk machen müssen.“

„Ich wollte es aber“, gab er zurück. „Du warst in den letzten Monaten immer für mich da und ich möchte die einfach etwas zurückgegeben.“

Yui strich sich verlegen eine Haarsträhne hinter die Ohren und sah in Toorus Augen. Sie versuchte, darin zu lesen, was das Geschenk bedeutete. War es wirklich nur eine Geste der Freundschaft, oder empfand auch er mehr für sie? Doch in den Augen war nichts zu lesen. Seine Gesichtszüge waren wie immer. Vermutlich war es dann wohl doch nur ein reiner Freundschaftsdienst.

Du bist mir auch wichtig.

Die Worte von vor einigen Wochen waren noch immer in ihren Gedanken fest verankert. Zu sehr wünschte sie sich, dass er damit ein Gefühl wie Liebe meinte. Sie waren sich in den letzten Monaten so viel näher gekommen, vielleicht war da inzwischen auch bei ihm mehr wie Freundschaft. Vielleicht würde sie endlich einen Platz in seinem Herzen bekommen, dass bisher nur von Baseball erfüllt wurde.

Yui wollte ihm gerade sagen, dass sie sich auf den gemeinsamen Nachmittag freute, da ertönte aus einigen Metern Entfernung die Stimme von Kawashima: „Oi, Nakamura-Senpai! Wir haben von den tollen Ergebnissen gehört!“

Nur kurz darauf fiel der Erstklässler Tooru um den Hals und lachte laut. „Endlich habe ich meinen Lieblingscatcher zurück. Wann wirst du meine Bälle fangen können?“

„Nun aber mal langsam mit den jungen Pferden.“ Tooru drückte Kawashima von sich. „Erst einmal darf ich nur leichtes Training machen. Es wird noch ein bisschen dauern, bis ich die Catcheruniform wieder tragen darf.“

„Wirklich?“

„Du wirst dich wohl noch was gedulden müssen.“ Auch Satoki hatte sich inzwischen in der kleinen Gruppe eingefunden. Er nickte Tooru zu. „Ich freu mich, dass es endlich gute Neuigkeiten gab.“

„Ja. Noch eine Niederlage hätte ich womöglich nicht einstecken können“, gab Tooru ehrlich zu. „Ich habe ein spezielles Trainingsmenü bekommen, das ich nun befolgen soll. Morgen wird es losgehen.“

„Ich sag dir, danach dauert es nicht mehr lange und du wirst auch wieder Bälle fangen können!“ Kawashima griff nach Toorus Arm und zog ihn mit sich. „Ich habe übrigens einen neuen Griff versucht, schau ihn dir an.“

Tooru sah hilflos zu Yui. „Hat das nicht Zeit bis später, Kawashima?“

„Nein, nein, nein, nachher vergesse ich das gute Gefühl, das ich beim Wurf hatte.“

Sein Blick haftete noch immer auf Yui und er flüsterte ein lautloses „Entschuldigung“ über seine Lippen, ehe ihn der junge, eifrige Pitcher in Richtung Bullpen zog.

Yui blieb alleine zurück. Sie sah auf die Karte in ihrer Hand und strich mit den Fingern darüber. „Ich freue mich auf den Nachmittag“, hauchte sie und lächelte.



42

03.Februar



Toorus Beine brannten, aber das spielte keine Rolle. Das Einzige, was zählte, war, dass er seine Beine bewegte. Es fühlte sich großartig an. Endlich war er nicht mehr nur zum Nichtstun verdammt, sondern konnte selbst in das Geschehen eingreifen. Zwei Runden am Stück hatte er bereits hinter sich gebracht und er hatte sich vorgenommen mindestens sechs zu schaffen. Das war ein Pensum, was er locker hinter sich gebracht hatte vor der Verletzung. Aber seine Schritte wurden immer langsamer und schließlich ging im vollkommen die Luft aus. Er blieb stehen und schnappte nach Luft, während der Schweiß ihm über die Stirn lief und zu Boden tropfte. Und trotzdem lachte er. Es fühlte sich so gut an, wenn man wusste, dass die Erschöpfung davon kam, dass man wirklich etwas getan hatte. Tooru ließ sich rücklings zu Boden fallen. Ein leichtes Lächeln schmückte sein Gesicht.

„Alles gut?“

Satokis Gesicht tauchte über seinem auf und der Shortstop hielt ihm die Hand hin. 

„Alles bestens“, erwiderte Tooru und ergriff die Hand seines Freundes, die ihn daraufhin wieder nach oben zog. 

„Ich habe mir dein Trainingsmenü angesehen“, erklärte Satoki. „Ich bin mir sicher, du bekommst die Grundbasis bis zu den Meisterschaften hin.“

„Ja, die Grundbasis“, presste er heraus. Natürlich wollte er mehr, doch das gerade hatte ihm gezeigt, dass das Training tatsächlich exakt auf seine derzeitige körperliche Verfassung abgestimmt war. Leichtes Joggen für drei Runden hatte dort gestanden. Er hatte geglaubt, dass er schon fitter war, sofort voll aufgedreht und war nach zwei Runden K.o. gegangen. Tooru sah über das Feld und meinte auch aus dieser Entfernung den strengen Blick des Trainers zu sehen, der aussagte: „Halt dich ab jetzt an meine Regeln.“

Er kicherte.

„Hör auf damit, das ist ja gruselig!“, schimpfte Satoki.

„Jaja, ist ja gut.“


Obwohl Tooru es hatte nicht erwarten können, endlich wieder durchzustarten, war er an diesem Tag heilfroh, als sein Training zu Ende war. Seine Lungen brannten, seine Beine schmerzen und zitterten vor Anstrengung. 

„Ich sagte, du sollst mir Bescheid geben, wenn es zu viel wird.“ Okada baute sich vor ihm auf und blickte ihn finster an.

„Es geht mir gut“, brachte er schwer atmend heraus. Es war keine Lüge. Es ging ihm gut. Dieses Glücksgefühl in seinem Körper hatte alles andere vergessen lassen.

„Das Training mit den Pitchern lässt du heute ausfallen. Geh duschen und dann mach Schluss für heute.“

Tooru nickte und folgte der Anweisung des Trainers. Ihm zu widersprechen würde ihm nichts helfen, außerdem glaubte er nicht daran, dass er noch eine Stunde in der Bullpen durchhalten würde. Mit langsamen Schritten begab er sich in Richtung der Duschen und ließ kaltes Wasser über seinen Körper prasseln. Sein Kopf lehnte gegen die kühlen Fliesen und er sortierte seine Gedanken. Nachdem er es zu Beginn übertrieben hatte, hatte er sich daraufhin bis ins kleinste Detail an den Trainingsplan gehalten. Fehlte ihm tatsächlich noch so viel? Er konnte und wollte das nicht glauben. Es musste daran liegen, dass er beim Joggen zu schnell losgelegt hatte. Dass musste der Grund dafür gewesen sein, weshalb er zum Ende seine Grenze erreicht hatte. 

Seine linke Hand fuhr über seine Rippen. Er spürte schon lange keine Schmerzen mehr, wenn er die Stelle berührte. 

Tooru entkam ein Seufzen und er drehte das Wasser ab. Nachdem er sich abgetrocknet hatte, musste er zu seinem Missfallen wieder in die dreckigen, verschwitzen Klamotten schlüpfen, da er vergessen hatte sich vor dem Duschen frische Kleidung aus seinem Zimmer zu holen. 

Im Wohnheim angekommen holte er das jedoch schnell nach und tauschte die dreckige Kleidung gegen ein T-Shirt und eine bequeme Jogginghose aus. Dann ließ er sich auf sein Bett fallen. Er wollte die wenigen Minuten Ruhe genießen, ehe er wieder von Satoki und Kawashima bevölkert wurde. Vielleicht war es an der Zeit, dass er mit Yamazaki und den Trainer darüber sprach, ob er nicht wieder in sein eigentliches Zimmer zurückkonnte. Die Treppe ein Stockwerk höher bereitete ihm schon seit einiger Zeit keine Probleme mehr und so gab es keinen Grund, dass er noch länger in Erdgeschoss verbringen musste. Sicher, Kawashima und Satoki waren keine schlechte Gesellschaft, aber am Ende kam er mit seinem eigentlichen Zimmerpartner dann doch besser aus. Sie mochten es Beide ordentlich und waren eher ruhigere Typen, während es hier unten immer Laut zu sein schien. Es war selten, dass man mal seine Ruhe hatte und für jemand, der die Stille mochte, war das auf die Dauer nichts.


Wie aufs Stichwort öffnete sich die Tür und Satoki kam mit einem lauten Lachen in den Raum. „Bereite dich darauf vor, dass Kawashima dir eine Standpauke halten wird.“ Satoki rubbelte sich mit einem Handtuch durch die Haare und warf seine dreckigen Klamotten in die Ecke des Zimmers.

„Wäschekorb“, nuschelte Tooru nur hervor. Inzwischen war er es leid geworden immer wieder zu ermahnen, dass man die dreckige Kleidung auch sofort wegwerfen konnte.

„Jaja, solange ich weiß, wo sie liegt“, winkte Satoki ab und hockte sich auf den Fußboden, um kurz darauf seine Spielkonsole anzuwerfen. „Kawashima möchte übrigens heute Abend noch einige Videos sehen. Fühlst du dich fit genug dafür?“

Tooru setzte sich auf. „Hier könnte ich doch eh nicht schlafen.“

„Mhm?“ Satoki sah über seine Schulter. „Wieso so schlechte Laune? Ich dachte du würdest auf rosa Wolken schweben, nachdem du wieder trainieren kannst.“

„Ich möchte nur für einen Augenblick meine Ruhe haben, das ist alles.“

Satoki legte den Controller auf den Boden und drehte sich herum. „Wir gehen dir auf die Nerven, oder wie?“

„Nein … ja, vielleicht.“

„Also ja“, schloss Satoki aus seiner Antwort.

„So viel Chaos bin ich einfach nicht gewohnt.“ Tooru ließ sich wieder rücklings auf das Bett fallen. „Ich denke, ich werde mit Yamazaki darüber reden, ob ich wieder in mein altes Zimmer darf.“

„Wenn du das willst, werde ich dich nicht aufholen.“ Satoki lachte. „Bald wirst du ohnehin für die neuen Erstklässler Platz machen müssen.“

„Huch, meine Mutter lässt die Leine lang.“ Tooru kicherte. „Wenn du das mal nicht bereust.“

„Ich habe Vertrauen in dich, Pretty Catcher Boy.“ Satoki drehte sich wieder weg und setzte sein Spiel fort. „Bis Kawashima kommt, hast du übrigens ungefähr eine halbe Stunde. Du solltest dich also beeilen, wenn du dich noch etwas Ausruhen willst.“

Nakamura schloss die Augen. „Dann werde ich die Ruhe vor dem Sturm genießen. Kannst du dir Kopfhörer aufsetzen?“

„Null Problemo!“, rief Satoki und wenig später verstummten die Soundeffekte des Spiels.


43

07.Februar


„Du kannst ruhig schon vorlaufen“, presste Tooru unter schweren Atemzügen hervor. „Ich weiß, dass das nicht gerade ein Workout für dich ist.“

Sie waren erst fünf Minuten gelaufen und dennoch fühlte sich Tooru, als wären es schon mindestens dreißig Minuten.

„Hör auf, zu versuchen, mich loszuwerden“, erwiderte Satoki unbeeindruckt.

Tooru lächelte in sich hinein. Er war sich sicher, dass Satoki vom Trainer den Auftrag bekommen hatte, ihn keinesfalls aus den Augen zu lassen.

Anders war es nicht zu erklären, dass Satoki ihm die letzten Tage nicht von der Seite wich. Nicht das es ihn stören wurde. Es half Leute um sich herum zu haben. So verfiel er nicht wieder in irgendwelche unnützen Gedanken.

Satoki war eine große Stürze. Er schien immer da zu sein, wenn er kurz davor war, das Handtuch schmeißen zu wollen.

Satoki schien seine Gedanken lesen zu können, hielt ihn davon ab zu viel über das Was-wäre-wenn nachzugrübeln. Am Ende war es so wie es ist. Er könnte daran nichts ändern und nur das Beste daraus machen.

Nach weiteren zehn Minuten atmete Tooru immer schwerer und kämpfte damit die Pace beizubehalten.

Es schien zunächst so, als würde ihm Satoki davonlaufen, doch dann sah er über die Schulter und verlangsamte sein Tempo blieb einige Meter hinter Tooru zurück.

„Wenn du versucht’s mich aufzumuntern, dann solltest du das besser lassen“, grummelte Tooru zwischen den Atemzügen hervor.

„Verlangsame dein Tempo“, antwortete Satoki ruhig. „Wenn du dich überanstrengst hat das nur den gegenteiligen Effekt.“

„Ich wusste nicht, dass ich einen Babysitter engagiert hatte“, erklärte Tooru, wurde dann aber dennoch langsamer. Wenn er das Tempo weiter hochhalten würde, dann würde er die vorgegebene Kilometeranzahl nicht einhalten können und schon vorher vollkommen K.o. zusammenbrechen.

Tooru konzentrierte sich darauf gleichmäßig und tief Luft zu holen. So wie es ihm der Physiotherapeut gesagt hatte.

Als sie nach fünf Minuten die aufgetragene Kilometeranzahl erreicht hatten, beendeten sie die Laufeinheit und machten noch ein paar Dehnübungen.

„In zwei Tagen habe ich einen Termin beim Arzt“, sagte Tooru unter hektischen Atemzügen. „Vielleicht bekomme ich das Go für das Batting und Catching.“

„Du machst gute Fortschritte, ich denke schon, dass es klappen wird.“ Satoki lächelte. „Deine Ausdauer wird jeden Tag besser.“

Tooru stützte die Hände auf den Oberschenkeln ab. „Es ist trotzdem noch weit von dem entfernt, was ich eigentlich leisten könnte und müsste. In einer solchen Verfassung möchte ich nicht im Team für die Meisterschaft sein.“

Es ärgerte ihn, dass er eigentlich schon viel weiter hätte sein können, wenn nicht diese Lungenentzündung und anschließende Bronchitis wäre. Dann würde er sicherlich schon seit einigen Tagen hinter der Home Plate stehen können und die Bälle der Pitcher fangen können. Sicherlich wäre er dann auch nicht so schnell erschöpft, weil sich sowohl Lunge als auch Körper noch von der Krankheit erholten.

Sobald er sich etwas mehr anstrengte oder von dem Trainingsplan abwich, merkte er das sofort. Dann war er schnell erschöpft und gerade nach dem Training für nichts mehr zu gebrauchen. Dann lag er einfach nur in seinem Bett und wollte nur noch eins: schlafen.

Satoki lachte laut. „Na, ein Glück, dass wir noch knapp einen Monat haben, bis der Trainer über die Mannschaft entscheidet. Bis dahin wirst du ein Level erreicht haben, mit dem du uns nicht zurückhältst.“

„Dein Wort in Gottes Namen!“

Satoki gab ihm einen Klapps auf die Schulter. „Du bist bis hierher gekommen, dann ist der Rest ein Kinderspiel. Du packst das, ich gehe fest davon aus.“


Als sich Tooru von Satoki verabschiedete lächelte er, doch sobald er um die Ecke bog, zogen sich die Mundwinkel nach unten. Es war keinesfalls so leicht für ihn die Motivation aufrecht zu halten, wie es sich aus dem Mund seines Freundes anhörte. Derzeit hatte er das Gefühl, als würde er jeden Tag auf’s Neue kämpfen müssen. Die Fortschritte waren für seinen Geschmack viel zu klein und er hatte Angst, dass er es nicht schaffen würde. Er hatte das Ziel vor Augen, doch es schien nicht näher zu kommen. Verdammt, was würde er gerade dafür geben, wenn er einen Pitch fangen dürfte. Das Geräusch, was der Ball im Handschuh hinterließ. Tooru war sich sicher, dass ihm das jetzt helfen würde.

„Nakamura-Senpai!“

Ertappt zuckte er zusammen.

Er war so tief in Gedanken versunken, dass er niemand gehört hatte.

Kawashima trappte heran. „Nakamura-Senpai. Nun bleib doch stehen.” 

Tooru giggelte und drehte sich zu dem Jüngeren um. „Was denn, Kawashima? Wie du siehst, komme ich gerade vom Joggen. Alles, was ich gerade möchte, ist eine kühle Dusche nehmen und mich dann in mein Bett legen. Wir sehen uns doch in heute Abend.“ 

Zum Missfallen der Pitcher hatte der Trainer mit Tooru besprochen, dass er vorerst nur noch am Abend gemeinsam mit den Pitchern trainieren würde. Zumindest, bis er selbst wieder die Catcheruniform überziehen könnte und die Bälle fangen. Solange sollte er sich auf sein eigenes Training konzentrieren und den vom Trainer und Psychotherapeuten aufgestellten Plan bis ins kleinste Detail befolgen. 

„Wirst du danach Videos ansehen?“

Tooru zog die rechte Augenbraue hoch. „Wie genau soll ich das verstehen? Die Informationen habe ich inzwischen mit Kobayashi zusammengetragen. Es gibt keinen Grund mehr Videos anzusehen.“

„Aber du hast versprochen, dass wir gemeinsam welche ansehen! Seit du ausgezogen bist, haben wir das aber nicht mehr gemacht!“

Tooru seufzte und fuhr sich durch die verschwitzen Haare. „Gut, okay … komm in einer halben Stunde bei mir im Zimmer vorbei.“ 

„Geht klar, Boss!“ 

Tooru sah zu, wie Kawashima wieder in Richtung Baseballfeld verschwand.

Er stöhnte.

Vielleicht hätte er sich eine Ausrede einfallen lassen sollen?

Diese Videoanalysen mit Kawashima waren anstrengender, als er zunächst geglaubt hatte. Der junge Pitcher sog alles in sich auf, was er ihm erzählte, fragte tausend Sachen und raubte ihm die wenigen Stunden, in der er hätte seine Ruhe genießen können. Aber vielleicht war das am Ende gar nicht so schlecht? Zum einen würde es Kawashimas Entwicklung helfen, zum anderen lenkte es auch ihn ab. Wenn er mit Kawashima die Videos ansah, dann konnte er immer die nagende Ungewissheit in seinem Körper beruhigen und sich von dem ablenken, was wäre, wenn er es nicht zurück schaffen konnte. 

Wenn er dem Team zusah, konnte er sehen, wie sie sich gesteigert hatten in den letzten Monaten. Sie würden ihn nicht zum Gewinnen brauchen, auch wenn Satoki ihn versuchte vom Gegenteil zu überzeugen. Noch überwog die Defensivstärke von Komae, doch die Batter trainierten gnadenlos und so wurden sie auch in der Offensive immer stärker. Gerade Satoki steigerte seine Trefferquote enorm und Tooru war sich sicher, dass er bei den Meisterschafen glänzen könnte. Ein starker erster Batter war wichtig, damit die Mannschaft gut ins Spiel fand.


44

10.Februar


Wieder ein Schritt nach vorne. Das war der einzige Gedanke, als Tooru sich auf die Erde hockte. Er konnte nicht anders als breit zu lächeln. Seine Augen leuchteten und er schlug mit der rechten Hand in seinen Catcher-Handschuh. Heute war der Tag, an dem er endlich wieder das tun konnte, was er am besten konnte. Vier Monate nach dem Unfall war er zurück. Dieses Gefühl würde er sich von niemand nehmen lassen. 

Kawashima war ruhiger als sonst. Er hatte noch nichts gesagt, seit er in die Bullpen gekommen war und sich die Catcheruniform übergezogen hatte.

Tooru grinste und breitete seine Arme weit aus. „Gib mir irgendeinen Pitch, so lange es ein guter ist!“

Kawashima nickte und lächelte als er die Wurfhaltung einnahm. Kurz darauf pfiff der Ball durch die Luft und landete in Toorus „Mitte“. 

Tooru meinte, dass er sein Herz laut hatte schlagen hören. Das Adrenalin pumpte durch seine Adern und seine Finger zitterten leicht, als er den Ball aus dem Handschuh nahm. „Nice Pitch!“, rief er und warf den Ball dem Erstklässler zurück. 

Das war das Gefühl, was er all die Monate vermisste hatte. Das Geräusch, was ihm jedes Mal einen Stich in die Herzgegend versetzte, als er es nur von de Seite hatte hören können.

„Hahaha, Nakamura-Senpai! Gleich der erste Ball und du lobst mich!“ 

„Du solltest hoffen, dass es so bleibt. Es gibt noch viel Arbeit bis zu den Meisterschaften.“

„Hmpf! Gerade du musst das sagen!“ 

Tooru lächelte schief. „Ich möchte drei 4-Seamer von dir und danach zwei Cutter.“ 

Er erhielt ein energisches Nicken als Antwort. Kawashima hatte sich in den letzten vier Monaten weiterentwickelt. Natürlich hatte er das auch schon in seiner Rolle als Beobachter gesehen, doch nun, wo er die Pitches selbst fing, war es noch deutlicher. Die Kontrolle des lauten Pitchers war wirklich gut und er hatte tatsächlich schon in seinem ersten Pitch eine hohe Qualität gezeigt. Wenn es so weiterging, dann würde sich Kawashima in seinen nächsten Jahren in Komae sicherlich auf ein Niveau von Yamada hocharbeiten können. Ein Kichern kam über seine Lippen. Natürlich würde er ihm so etwas nicht sagen. Eine solche Aussage würde sicherlich dazu führen, dass Kawashima von sich selbst zu überzeugt werden würde. 

„Was gibt es da zu kichern!“ 

„Nichts, nichts … ich habe nur überlegt, wie lange du mir Bälle auf dem Niveau des ersten liefern wirst.“ Tooru hielt den Handschuh in Position. „Und nun, Schluss mit reden. Zeig her, was du kannst.“

Was er sah, stimmte ihn zufrieden. Kawashima hatte den 4-Seamer inzwischen wirklich gut unter Kontrolle. Alle Bälle waren Strikes. Sicher, man durfte nicht vergessen, dass es ein Pitch war, der für den Pitcher relativ kontrollierbar war, trotzdem war es eine deutliche Steigerung zu dem, was Tooru im letzten Turnier gesehen hatte. Außerdem hatte Kawashima die Geschwindigkeit deutlich erhöhen können. Sich alleine auf diesen Pitch verlassen, so naiv war Tooru allerdings nicht. Denn der 4-Seamer war relativ anfällig für Home Runs. Eine Situation, die er möglichst vermeiden wollte.

„Und? Wie war das!?“

Er warf den Ball zurück. „Besser, als ich vermutet hätte. Nun gibt mir die Cutter.“

Kawashima nickte und machte sich für den nächsten Pitch bereit. Tooru würde lügen, wenn er behaupten würde, dass er nicht nervös war. Er war gespannt, wie die Cutter aus der Catcher-Position aussahen. Es war ein guter Pitch, wenn es drum ging auf Kontakt zu spielen. Der Pitch hatte das Ziel dem Batter schlechten Kontakt zu verschaffen und endete so häufig in einem Foul Ball oder ein Groundout. Der erste Pitch war gut gesetzt und endete in der Strike Zone, der zweite war ein Ball. Tooru nickte, warf den Ball in die Luft und fing ihn wieder auf. „Dein Cutter braucht weiterhin Arbeit, aber es wird besser.“

Tooru schmiss den Baseball wieder in Richtung des Jüngeren. „Gib mir noch drei davon!“, forderte er und lächelte zufrieden, als er das Leuchten ins Kawashimas Augen sah. Dass war es, was den Job als Catcher so spaßig machte. Niemals im Leben würde er diese Position aufgeben wollen. 


Tooru hatte keine Ahnung, dass seine ersten Schritte nach langer Pause unter strenger Überwachung stattfanden. Yuzuru und Ayano hatten sich einen guten Beobachtungsposten eingefunden und verfolgen mit Anspannung die Szene in der Bullpen. Yuzuru konnte nicht anders, als zufrieden zu lächeln. Nakamura wirkte zwar noch etwas steif, aber alles im allen schien er über die letzten Monate seine Qualitäten als Catcher nicht eingebüßt zu haben. Er hatte mit dem Pitch begonnen, den Kawashima aktuell am Besten warf, dann war er zu einem der Schwachpunkte übergegangen. Außerdem schien die Battery gut zu harmonieren. Eventuell hatte es auch etwas Gutes gehabt, dass Nakamura in den letzten Wochen dazu gezwungen wurde bei ihnen auf das Zimmer zu ziehen. Das Vertrauen zwischen den Beiden schien gewachsen zu sein.

„Sorry, Kawashima. Das war mein Fehler!“, hörten sie Nakamura rufen. Der Catcher hatte für seine Verhältnisse einen untypischen Fehler gemacht und den Pitch von Kawashima nicht fangen können.

Es kam kein scharfer Spruch zurück. Der Erstklässler nickte nur und ging dann wieder zur Routine über.

„Wer hätte gedacht, dass Kawashima so feinfühlig sein kann“, sagte Ayano neben ihm.

Yuzuru lächelte.

Er war also nicht der Einzige, dem aufgefallen war, dass Kawashima darauf bedacht schien, kleinere Fehler von Nakamura zu übersehen und sie nicht großartig anzusprechen. Denn trotz allem, war das, was Nakamura jetzt brauchte Praxis. 

„Yamada scheint beim Fielding-Training alles andere als aufmerksam zu sein“, merkte Yui an. Immer wieder konnten sie den Trainer schreien hören, dass Yamada sich gefälligst auf das konzentrieren sollte, was gerade wichtig sei. 

„Wer will es ihm verübeln. Ich bin mir sicher, er würde auch gerne mit Nakamura trainieren.“ Yuzuru verschränkte die Arme vor der Brust. „Aber ich denke, der Trainer hat die richtige Entscheidung getroffen. Er hat dreieinhalb Monate nicht gespielt, da würde ich auch keinen Fastball von Yamada auf ihn loslassen wollen.“

„Was denkst du, wird er in einem Monat spielen können?“

„Sein Catching sieht schon wieder recht ordentlich aus, jetzt kommt es auf sein Batting und seine Ausdauer an“, antwortete Yuzuru. „Ich glaube, dass er spielen wird, aber ich denke nicht, dass er viele Innings schaffen kann. Vermutlich auch nicht viele Spiele am Stück. Der Zeitplan der Meisterschaften ist eng.“

„Vielleicht ist das auch einer der Gründe, weshalb der Trainer Yoshida in den letzten Tagen intensiv mit Yamada trainieren lassen hat“, stellte Ayano fest. 

„Nicht nur ihn. Kawakami auch. Er will sicher gehen, dass es dieses Mal nicht wieder zu einem Battery-Fehler kommt. Die haben uns schon zwei Siege gekostet in den letzten Monaten. Nakamura konnte das Besser ausbügeln als Yoshida.“

„Aber das Kawashima mit Nakamura trainieren soll, zeigt, dass er weiterhin auf ihn als wichtige Stütze baut.“ Ayano atmete auf. „Ehrlich, ich muss zugeben, dass ich nicht so viel Vertrauen in Tooru hatte. Ich bin einer der Pessimisten gewesen, die dachten, dass er nicht wieder pünktlich fit wird.“

Yuzuru sah überrascht zu Ayano. „Das hast du dir aber nicht anmerken lassen. Warst du nicht diejenige, die ihm immer wieder gesagt hat, dass er nur an sich glauben muss und dann alles gut wird?“

„Sollte ich sagen, dass es unmöglich ist, dass er sich auf das nächste Jahr konzentrieren muss?“ Ayanos Wangen nahmen eine rosa Färbung an. „Das hätte ihn zerstört. Ihn und seine ganze Motivation.“

Yuzuru lachte. „Du solltest ihm sagen, was du für ihn empfindest“, sagte er, schulterte seinen Baseballschläger und drehte sich dann weg. „Ich bin mir sicher, er wird dich nicht wegstoßen.“

„Was? … Es ist nicht … ich liebe … Tooru ist nur ein Freund!“

„Sicher, sicher“, antwortete Yuzuru. „Wie wäre es mit Valentinstag? Eine gute Möglichkeit, finde ich.“


45

14. Februar

Tooru wendete das Objekt in seinen Händen misstrauisch und drehte es hin und her. Es war merkwürdig so etwas in der Hand zu halten. Sicher, es war nun nichts ungewöhnliches, immerhin hatte er auch schon in den letzten Jahren genug davon bekommen. Aber, das hier war was vollkommen anders.

Sein Kopf lief hochrot an, als er an den Moment dachte, in dem ihn Yui die mit Herzen bemalte Tüte in die Hand gedrückt hatte.

Er hatte zuerst nicht begriffen, was genau sie von ihm wollte. Er hatte es für eine freundschaftliche Geste gehalten, so wie im letzten Jahr. Doch dieses Jahr war alles anders. In der Tüte waren aufwendige Pralinen verpackt, die sogenannten Honmei choko, die man am Valentinstag den Leuten zudachte, die man liebte.

Deutlicher hätte Yui es nicht ausdrücken können. Nun saß er auf der Bank am Baseballfeld und versuchte sich darüber klar zu werden, was er für sie empfand.

Er schätze sie, würde sie niemals missen wollen. Er mochte es, wenn sie in seiner Nähe war, dass er sich immer auf sie verlassen konnte. Sie wusste immer wie es im ging. Vor ihr brauchte er sich nicht zu verstellen. Aber war das Liebe? Liebte er Yui? Er hatte keine Ahnung. Bisher hatte in seinem Leben nur Baseball eine Rolle gespielt. Für solche Dinge wie Freundinnen hatte er keine Zeit gehabt und er hatte auch keine Zeit dafür haben wollen. Nun, da rückte alles in ein anders Licht. Durch die Krankheit war im bewusst geworden, dass er neben Baseball überhaupt nichts gehabt hatte und das hatte ihn in ein tiefes Loch stürzen lassen. Vielleicht war es nicht so schlecht auch andere Sachen neben den Sport in sein Leben zu lassen. Sachen wie Yui. Nein, sie als Sache zu bezeichnen war nicht richtig. Sie war einer der wunderbarsten Menschen, die er kannte. Aber genau deshalb, musste er sich darüber bewusst werden, was er für sie empfand. Wenn sich herausstellte, dass er sie nicht liebte und mit ihr eine Beziehung einging, dann würde sicherlich auch ihre Freundschaft zerbrechen und das wollte er nicht. Niemals würde er sie verlieren wollen.

Er zog die Pralinen aus der Papiertüte und betrachtete sie, als würden sie ihm eine Antwort geben.

„Honmei choko, also.“

Tooru fuhr erschrocken zusammen und schob die Pralinen wieder in die Papiertüte.

Satoki stand direkt vor ihm und lächelte breit. „Von Yui?“

Tooru spürte, wie sich in seinen Wangen Hitze ausbreitete. Er konnte sich denken, was das zu bedeuten hatte. „Wie kommst du darauf?“, stammelte er hervor.

„Weil es ein Blinder sehen würde.“

Satoki setzte sich neben ihm. „Und, was hast du ihr geantwortet?“

„Noch nichts … ich meine, sie hat mir ja nur diese Schokolade in die Hand gedrückt und ist dann davongerannt.“

„Fangen wir ganz leicht an, liebst du sie?“

„Was ist daran leicht?“ Tooru seufzte. „Ich weiß es nicht … ich habe keine Ahnung.“

„Du wirst doch wissen, ob du sie liebst.“ Satoki lachte und seine Hand landete auf Toorus Rücken. „Für so steif hätte ich nicht gehalten, Kapitän.“

„Wie oft denn noch, der bist immer noch du.“

„Reine Formsache, reine Formsache“, wiegelte Satoki ab. „Aber mal ehrlich, du weißt wirklich nicht, ob du sie liebst?“

„Nein, verflucht.“ Tooru stellte die Tüte zwischen sie. „Zufrieden?“

„Da ist kein Kribbeln im Bauch, wenn du sie siehst?“

Tooru dachte über die Worte nach. War da ein Kribbeln, wenn er Yui sah? Sicher, es breitete sich eine wohlige Wärme in seinem Inneren aus, wenn er sie sah, aber war so was als Liebe zu verstehen?

Satoki lachte laut. „Ich nehme an, ja, denn du läufst gerade rot an.“

„Was? Tue ich überhaupt nicht.“ Tooru hatte das Gefühl, als würde ihm nur noch wärmer werden. „Außerdem habe ich für Liebe gerade so überhaupt keine Zeit. Jetzt zählt nur Baseball.“

„Lass sie nicht zu lange warten, so jemand wie Yui, der dein wahres Ich liebt, den wirst du nicht wieder finden.“ Satoki stand auf und griff nach seinem Schläger. „Und nun wartet das Batting-Training auf mich.“ Sein Freund nickte in Richtung Bullpen. „Und ich bin mir sicher, deine Pitcher auch.“

„Mhm?“

„Du sitzt schon seit zehn Minuten hier und starrst die Tüte an.“

Tooru sprang regelrecht hoch. „Oh“, entfuhr es ihm.

„So kann man es auch bezeichnen.“ Satoki lachte. „Denk darüber nach, was ich dir gesagt habe. Yui ist echt klasse, tue ihr nicht unnötig weh.“


„Nakamura-Senpai, das war ganz sicher ein Strike!“, grummelte Kawashima.

Tooru warf den Baseball zurück. „Es war ein Ball, wenn auch nur knapp“, gab er mit einem Grinsen zurück.

„Du hast doch gar nicht wirklich aufgepasst. Sei froh, dass ich nicht volle Power pitche, sonst würde ich dich sicher noch treffen!“

„Ich bin voll und ganz bei dir!“, rief er zurück.

Er wünschte, er würde die Wahrheit sagen. Noch immer ging ihm Yui nicht aus dem Kopf und er versuchte weiterhin verzweifelt seine Gedanken zu sortieren.

„Gib mir einen 4-Seamer.“

Tooru holte tief Luft und konzentrierte sich auf das, was hier vor ihm war. Mit allem anderen konnte er sich nach dem Training auseinandersetzen.

Der Pitch landete butterweich in seinem Handschuh. „Wieder ein Ball“, sagte er und warf den Ball zurück. Dieses Mal kam keine Widerrede.

„Noch zwei 4-Seamer!“

Was erwartete Yui von ihm? Forderte sie eine schnelle Antwort. Hoffte sie womöglich darauf, dass er noch heute mit ihr reden würde?

„Nakamura-Senpai!“

Zu spät merkte er, dass der Ball ganz und gar nicht dahin flog, wo sein Handschuh war, sondern geradewegs auf seinen Oberkörper zusteuere und mit voller Wucht gegen die Catcheruniform prallte. Er zog die Luft scharf ein und presste die Zähne aufeinander. Sicher, die Uniform hielt die größte Wucht ab, es tat aber dennoch höllisch weg.

Kawashima war binnen weniger Sekunden bei ihm. „Oh verdammt! Bist du okay? Geht es dir gut? Scheiße, deine Brust.“

„Sei für einen Moment ruhig, okay?“, presste er heraus.

Verflucht, wieso war er auch abgelenkt gewesen?

„Es war die Stelle, die gebrochen war, oder?“

Kawashima hörte seiner Anweisung natürlich nicht zu und es trat das ein, was Tooru befürchtet hatte. Die laute Stimme von Kawashima lockte andere Leute an. Leute, die er gerade lieber meiden wollte.

„Was ist passiert?“ Yui war in die Bullpen gehastet, dicht hinter ihr Satoki.

„Ich … mir ist der Ball abgerutscht“, stammelte Kawashima beschämt. „Es ist genau auf seine Brust.“

„Pass doch besser auf! Du weißt genau, dass ihr vorsichtig sein sollt!“ Yui hockte sich zu ihm herunter. „Wie schlimm ist es?“

„Geht schon“, winkte er ab. „Kawashima trifft keine Schuld, ich habe für einen winzigen Moment nicht aufgepasst.“

„Wo warst du nur mit deinen Gedanken?“

Er lachte leise auf. Wenn sie nur wüsste …

„Nicht da, wo ich hätte sein sollen“, antwortete er ausweichend.

„Du solltest das auf jeden Fall nachschauen lassen“, meldete sich Satoki zu Wort. „Yui, kannst du ihn zum Schularzt bringen!“

„Das ist nicht nötig“, wehrte sich Tooru. „Es wird sicherlich nur einen blauen Fleck geben.“

„Sicher ist sicher.“ Yui griff ihm unter den Arm und zog ihn hoch. Die Schmerzen flammten neu auf und Tooru gab sich Mühe, dass er nicht laut aufschrie.

Alles nur, weil er für einen kleinen Moment nicht aufmerksam gewesen war.


Toorus Blick haftete auf Yui während sie auf den Arzt warteten. Sie hatte sofort wieder gehen wollen, als sie ihn hergebracht hatte, doch er hatte sie abgehalten mit der Ausrede, dass er sich sonst zu Tode langweilen würde. Nun stand sie an der Wand neben der Tür gelehnt und sah verkrampft zum Boden. Sie schien über die letzten hektischen Minuten ihr kleines Päckchen an ihn vergessen zu haben, denn bis sie hier angekommen waren, hatte sie ganz normal gewirkt.

„Ich denke wirklich, dass es nur ein blauer Fleck ist“, sagte er nach einer Weile.

Yui sah hoch.

„Ich meine, es tut schon gar nicht mehr so weh, außer wenn ich jetzt draufdrücken würde.“

Er log nicht. Nachdem er sich von der Catcheruniform befreit hatte und mit Yui gemeinsam zum Arztzimmer aufgebrochen war, hatten die Schmerzen tatsächlich nachgelassen und er war geradezu erstaunt, wie gelassen er in dieser Situation reagieren konnte, nach all dem, was in den letzten Monaten passiert war.

Sie lächelte. „Das ist gut. Ich hatte wirklich Angst. Wo warst du nur mit deinen Gedanken? So ein Fehler, der ist untypisch für dich.“

„Bei dir“, gab er zu. „Ich hatte über dich nachgedacht. Über dein Geschenk.“

„Es ist nicht so, wie es aussieht“, entkam es ihr schnell. „Du interpretierst das falsch.“ Sie sah auf die Uhr. „Ich sollte jetzt auch gehen. Ich habe noch einige Dinge für die Schule vorzubereiten und der Arzt, der kommt sich auch gleich.“

Ehe er etwas erwidern konnte, öffnete Yui die Tür und war verschwunden.

Er blieb baff zurück.

Was hieß das denn nun wieder? War es wirklich alles nur ein Missverständnis oder bekam Yui einfach nur kalte Füße?


Die Untersuchung hatte nicht sehr lange gedauert. Vermutlich würde er an der Stelle einen Bluterguss bekommen. Sollten die Schmerzen andauern oder er Probleme mit der Atmung bekommen, sollte er ihn sofort aufsuchen.

Nachdem er beim Arzt war, hatte Tooru noch den Trainer informiert und war dann zu seinem Zimmer aufgebrochen. Weit kam er jedoch nicht. Satoki fing ihn ab.

„Und?“

„Nur ein Bluterguss.“

„Was ist mit deiner Begleitung?“

„Die hat mich nur abgeliefert und ist dann fluchtartig davon gestürmt.“

Satoki kicherte. „Ihr seid nicht einmal ein Paar und schon hast du sie in die Flucht geschlagen? Deine Schokolade liegt übrigens sicher verstaut bei uns im Zimmer. Ich kann sie dir später vorbeibringen.“

Die Schokolade, sicher. Tooru hatte bereits wieder verdrängt, dass sie am Baseball-Feld gestanden hatte.

„Danke.“

„Und? Weißt du wenigstens inzwischen, wie deine Antwort lautet?“

„Sie sagt, es wäre ein Missverständnis.“ Tooru schloss sein Zimmer auf und trat hinein.

„Quatsch. Die bekommt kalte Füße. Sie liebt dich, Tooru und ich bin mir sicher, dass sie dir auch nicht egal ist.“

„Egal sicher nicht.“ Er ließ sich auf sein Bett fallen. „Aber wo macht man da die Grenze zur richtigen Liebe?“

Satoki hockte sich neben ihm in den Schneidersitz. „Das musst du schon mit dir selbst ausmachen.“

Ein Seufzer entkam Tooru. „Wenn das so einfach wäre.“



46

22. Februar


Tooru gab jeden Tag alles. Die Fortschritte waren klein, aber sie waren da und das alleine zählte für ihn. Er tat alles, damit er seine Kraft und Beweglichkeit zurückgewann. Gerade an der Kraft fehlte es ihm noch und er befürchtete, dass er dieses Manko bis zu den Meisterschaften nicht mehr wettmachen konnte. Vielleicht sollte er die Prioritäten anders verteilen? Sich auf nur eine Sache konzentrieren. 

Er schwang den Baseballschläger und schleuderte den Ball aus der Pitchingmaschine ins Feld. Zu kurz. Damit würde er den Gegner nichts ins Schwitzen bringen können. Das war kein Schlag eines Cleanup-Hitters. Der nächste Ball flog auf ihn zu und er wich aus. 

Konzentrier dich, komm schon, konzentrier dich!

Tooru traf den nächsten Ball perfekt, doch auch jetzt konnte er nicht die Kraft in den Schwung bringen, damit der Baseball ins hintere Feld flog. So ging es schon seit zehn Minuten. Inzwischen merkte er, wie der Schweiß seine Kleidung durchnässte und die Atmung schneller wurde. Seine Kondition hatte sich zwar verbessert, war aber noch lange nicht auf dem Niveau, was er vor vier Monaten hatte. 

Der nächste Ball kam, doch er ließ den Schläger sinken. Er war zu müde, um ihn weiter hochzuhalten.

„Kyhahaha. Du gibst schon auf?“

Tooru hob den Schläger auf seine Schulter. „Sieht danach aus“, sagte er nur. „Ich habe ohnehin gleich die Zeit erreicht, die im Trainingsmenü steht.“

„Kraft ist nicht alles, weißt du.“ Satoki lief neben ihm in Richtung Dugout. „Auch Bälle, die nicht bis hinten gehen, können gefährlich werden.“

„Dessen bin ich mit bewusst.“

„Der Trainer möchte dich übrigens sehen, wenn du hier fertig bist“, informierte ihn Satoki. „Klang ziemlich wichtig.“

Tooru nickte. „Dann werde ich ihn lieber nicht warten lassen, was?“

„Er ist in seinem Büro.“

„Ich habe gehört, er hat uns ein Testspiel organisiert“, erzählte Satoki weiter. „Es soll wohl schon in einigen Tagen sein.“

„Ach was.“

„Du kannst mir ruhig glauben.“ Der Shortstop lachte laut auf. „Du kennst mich. Mir entgeht nichts!“

Tooru hob seine Tasche über die Schulter und griff nach seinem Baseballschläger. „Wenn du willst, werde ich ihn danach fragen.“

„Wie großzügig von dir, Kapitän.“

Tooru sah zur Satoki hinüber. „Noch bist du der Kapitän.“

„Reine Formsache, Nakamura. Reine Formsache“, winkte Satoki wie üblich ab. „Ich bin mir sicher, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis du den Titel wieder trägst. Du hast ihn dir verdient.“

„Die anderen Spieler sehen das anders“, erwiderte Tooru und drehte seinen Baseballschläger in der Hand. Noch immer hatte er das Gespräch, welches er belauscht hatte, nicht aus seinem Gedächtnis vertreiben könne. Immer und immer wieder holte es ihn ein.

„Auf die hast du früher auch keinen Wert gelegt.“ Satoki packte ihn und zog ihn an sich. „Glaub mir, in den letzten Monaten sind deine Qualitäten als Kapitän sogar noch gestiegen.“


Es dauerte nur wenige Minuten und Tooru klopfte an die Bürotür des Trainers und trat dann hinein.

„Coach. Ich bin da“, kündigte er sich an. 

Okada nickte in Richtung des Sessels und Tooru setzte sich. 

„Wie läuft das Training?“ 

„Gut.“

„Du hältst dich an den Trainigsplan? Du weißt, wie gefährlich es ist, zu viel auf einmal zu wollen?“

„Ich halte mich an das Training“, bestätigte er.

Der Trainer nickte zufrieden. „Die Off-Season ist bald offiziell beendet. Ich habe vor den Meisterschaften ein Testspiel organisieren können.“

„Ein Testspiel.“ Tooru sank tiefer in den Sessel. Er konnte sich vorstellen, worauf dieses Gespräch hinauslaufen würde. Es war immerhin fast vier Monate her, seit er das letzte Mal ein offizielles Spiel bestritten hatte. Nun wollte der Trainer sicherlich austesten, ob er überhaupt bereit war, eine solche große Aufgabe zu übernehmen. Sein Herz begann schon an den Gedanken daran schneller zu schlagen.

„Ja, gegen Toukaidai Sugao.“

Tooru schluckte. Das war eine harte Nuss. Die Mannschaft gehörte zu den besten in der Präfektur. Nicht zuletzt war es das Team, welches sie im Sommer im Finale des lokalen Turniers geschlagen und ihren Traum von den Sommer-Koshien zerstört hatte.

„Kein leichter Gegner für ein Testspiel.“

„Ich denke, wir sind in einer guten Verfassung.“ Okada war inzwischen aufgestanden und trat an das Fenster. Er blickte über das Schulgelände. „In den ersten Innings werde ich Yamada und Kawakami in einer Battery mit Yoshida einsetzen.“ Der Trainer drehte sich wieder zu ihm um. „Traust du dir zu zwei Innings zu spielen.“

„Natürlich“, antwortete er schnell.

„Gut, du wirst die letzten beiden Innings mit Kawashima spielen.“

„Nur zwei Innings? Das wird Kawashima sicher nicht gefallen.“ Tooru lachte. Nein, dass würde dem Pitcher keinesfalls schmecken. Aber auch er selbst, würde lieber mehr als nur zwei Innings spielen. Anders als Kawashima, war er jedoch nicht in der Position, um Ansprüche zu stellen. Er sollte froh sein, dass der Trainer ihn überhaupt bedachte.

„Ich möchte, dass ihr Spielerfahrung sammelt.“ Okada hatte sich wieder hingesetzt und faltete die Hände auf dem Schreibtisch. „Ich denke, ich kann ehrlich mit dir sein, Nakamura. Wir müssen damit rechnen, dass du bei den Meisterschaften nur wenige Innings spielen wirst.“

Tooru nickte. Natürlich war es sich dessen bewusst. Er konnte nicht erwarten, dass er den Rückstand bis zum Beginn der Meisterschaften aufholen würde. Es war geradezu unmöglich. Vermutlich sollte er froh sein, dass der Trainer überhaupt daran dachte, ihn einzusetzen. Es war immerhin mit großem Risiko verbunden.

„Ich möchte, dass du dich ausschließlich auf Kawashima konzentrierst.“ Okada schien seinen Gesichtsausdruck richtig zu lesen. „Es geht hier nicht um deine Fähigkeiten als Catcher. Natürlich traue ich dir zu, dass du ohne Probleme auch die anderen Pitcher führen kannst. Es geht vielmehr um Yoshida. Er soll vorerst mit zwei der Pitcher eine Battery bilden.“

„Wieso nicht mit Kawashima?“

„Du scheinst einige der Würfe besser fangen zu können. Daher denke ich, dass es so die beste Wahl ist.“

Tooru war sich sicher, dass es nur die halbe Wahrheit war. Es klang deutlich netter, als wenn er ihm sagen würde, dass er ihm nicht zutraue auch die anderen Pitcher unter Kontrolle halten zu können.

„Okay, sicher. Von meiner Seite gibt es keine Einwände.“

Okadas Gesichtsausdruck verhärtete sich. „Ich möchte außerdem, dass du nach dem Testspiel ehrlich mit mir bist.“

„Inwiefern?“

„Ich möchte, dass du mir ausrichtest, solltest du Bedenken haben, dass du bei den Meisterschaften spielen kannst.“

Tooru nickte. „Natürlich werde ich das.“

„Nicht das ich davon ausgehe. Du machst gute Fortschritte.“

„Mir fehlt es noch an vielen“, reflektierte er. „Vor allem das Batting. Die fehlende Kraft wird schwer zu kompensieren sein, egal wie viel ich den Gegner studiert habe.“

Tooru könnte sich Ohrfeigen für seine Ehrlichkeit. Was brachte es ihm, wenn er sich vor dem Trainer klein machte. Dadurch würden seine Chancen im Team zu sein, nicht größer werden.

„Die Hauptsache ist, dass du wieder auf dem Feld stehst“, erinnerte ihn Okada. „Es waren schwere Monate, alles ist derzeit ein Erfolg.“

„Natürlich“, nuschelte Tooru hervor.

„Ich möchte, dass du weißt, dass ich vorhabe auf dich bei den Meisterschaften zu setzen. Du bist eine der Kernsäulen meiner Mannschaft.“

Tooru lachte verlegen. „Wenn Sie das so sehen.“

„Ich bin mir sicher, dass du die Aufgabe meistern wirst.“

Tooru nickte nur. Zumindest schien Okada von ihm überzeugt, dann gab es einen Zweifler weniger.

47

27. Februar


Tooru stand im Dugout und verfolgte mit Spannung das erste Inning. Yoshida und Yamada hatten den Gegner erstaunlich gut im Griff gehabt und nun war es Zeit für die Offensive. Keine leichte Aufgabe, wenn man bedachte, dass Toukaidai Sugao es sich nicht hatte nehmen lassen Inoue einzusetzen. Inoue war sicherlich aktuell der beste Pitcher auf High School-Niveau. Er hatte ihn vor zwei Jahren überreden wollen, dass sie auf die gleiche High School gehen sollten, doch Tooru hatte sich dagegen entschieden, auch wenn es sehr verlockend geklungen hatte, jemand wie Inoue als Pitcher zu haben. 

Ein perfekter Wind-up, hervorragende Ballkontrolle und verbissene Zielstrebigkeit. Inoue war ihren Pitchern weiterhin in vielen überlegen, doch er konnte sehen, wie die Lücke immer kleiner wurde. 

Inoue verschwendete keine Zeit und nur wenige Augenblicke später, kam Satoki geschlagen vor seiner ersten At-Bat zurück. 

„Seine Pitches sind herausfordernd wie immer“, schimpfte er.

Ihr nächster Spieler hatte mehr Glück. Er wartete auf einen Fastball und hämmerte den Baseball weit ins Feld hinein. Einen Run hatten Komae im ersten Inning dennoch nicht holen können, da Inoue bei den nächsten Spielern problemlos die drei Outs sammelte. 

Im nächsten Inning lief es besser und sie schafften es schließlich den ersten Punkt im Spiel zu holen und setzen Toukaidai Sugao auch im nächsten Inning unter Druck.

Als Tooru im achten Inning zum Einsatz kam, stand es 3:2.

Tooru zog den Gesichtsschutz runter und kniete sich hinter die Home Plate. Ausgerechnet bei seinem ersten Spielzug als Catcher musste er auf den stärksten Batter der gegnerischen Mannschaft treffen. Toukaidai Sugao hatte wirklich alles aufgefahren, obwohl es sich nur um ein Testspiel handelte. 

Er verlange zunächst einen Fastball, den Kawashima weit Innen setzen sollte.

„Strike!“

Ein Grinsen zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. Kawashima sah heute gut aus. Er zeigte den nächsten Pitch an und sein Battery-Partner nickte entschlossen. Wie von Tooru erwartet, erwischte ihr Konkurrent den nächsten Pitch zwar, allerdings an einer ungünstigen Stelle, so dass er hinter der Foullinie landete. Gleiches geschah auch mit den nächsten zwei Würfen. 

Gut so, dachte Tooru, konzentrier dich nur auf den Cutter.

Der nächste Pitch war ein Ball.

Doch noch war das nicht tragisch. 1:1 stand der Counter und Tooru war sich sicher, dass sie ihn zu ihren Gunsten verändern würden.

Für den nächsten Pitch forderte er einen 2-Seamer, der an der Plate leicht sinken sollte. Einer der Pitches, die Kawashima bereits perfektioniert hatte und an dem sich der Batter die Zähne ausbiss. 

Es lief gut. Besser, als er geglaubt hatte. Er hatte nichts dagegen, wenn es so weiterlaufen würde. Für einen Moment packte ihn die Risikofreude. Könnte er einen Splitter verlangen? Das war der Wurf mit dem Kawashima im Training noch haderte. 

Es war zwar nur ein Testspiel, am Ende entschied sich Tooru aber trotzdem dagegen. So kurz vor den Meisterschaften war es für Kawashima wichtig Selbstvertrauen mit den Pitches zu sammeln, die er schon perfekt beherrschte und somit auch für das Turnier in Frage kämen.

Als Abschluss entschied er sich so für einen Change-up.

Die richtige Wahl.

„One Out!“, rief er und hob den Zeigefinger in die Luft. „Starkes Pitching, Kawashima!“

„Gleichfalls!“, kam es laut zurück. „Also das Fangen!“

Tooru kicherte und hockte sich wieder hin. 

Sie spielen konzentriert und ließen nicht zu das Toukaidai Sugao in seiner Offensive einen Run holen konnte.

Die große Herausforderung wartete jedoch noch auf ihn: Das Batting, seine aktuell größte Schwachstelle.

All die Technik konnte nicht kompensieren, dass ihm nach der langen Pause ganz einfach die Kraft fehlte. Er bezweifelte, dass er den Ball bis ins Outfield schlagen konnte, geschweige denn einen Home Run erzielen. Immerhin hatten die Spieler vor ihm Inoue bereits unter Druck gesetzt und waren zur ersten und zweiten Base vorgedrungen. Oder war es ungewollt sein Verdienst? Inoues Bälle hatten an Biss verloren und immer wieder hatte der Pitcher zu ihm herübergesehen. 

Als er in die Batters Box trat, empfing Inoue ihn mit einem Fastball, den er sicher locker erwischt hätte, wenn er nicht fest an einen Change-up geglaubt hätte, der einer von Inoues Spezialitäten war. So ging sein Schläger knapp am Ball vorbei und zählte als Strike. 

Den nächsten Pitch erwischte er locker, schlug ihn jedoch hinter die Foullinie. 

Tooru spürte, wie Wut in ihm aufstieg. Wollte Inoue ihn für dumm verkaufen? Das war niemals das, was er wirklich drauf hatte. Bei all ihren Aufeinandertreffen bisher, hatte der gegnerische Pitcher deutlich mehr Biss gehabt.

Er streckte den Arm aus und zeigte mit seinem Schläger auf den Wurfhügel. „Wenn du dich in deinem nächsten Pitch auch zurückhältst, dann werde ich nicht zu den Meisterschaften fahren. Denn wenn du es mir nicht zutraust, habe ich dort wohl nichts zu suchen!“

„Nakamura, ich weiß nicht wovon …“

„Das weißt du sehr wohl! Also zeig mir, was du wirklich draufhast. Mitleid für den Gegner hat auf dem Feld nichts zu suchen!“ 

Tooru begab sich wieder in Position und stellte zufrieden fest, dass sich der Ausdruck in Inoues Augen verändert hatte. Nun konnte er wieder Entschlossenheit darin sehen und bald würde er wissen, wie weit er wirklich war. Das hier war immerhin einer der besten Pitcher der Präfektur. Ein guter Gradmesser.

„Strike. Batter out!“

Es war schneller passiert, als der sich erhofft hatte. Inoue hatte ihn mit zwei Strikes überrumpelt und er musste zurück zum Dugout.

Tooru atmete schwer. Bereits jetzt fühlte er sich ausgepowert, wie sonst in sechs gespielten Innings. Sechzig Prozent. Es waren Sechzig Prozent, die er geben konnte. 

Als das Spiel beendet war, lag der Stand bei 4:3 zugunsten von Komae. 

Tooru atmete immer noch schwer, als sie sich voreinander verbeugten und sich gegenseitig für das gute Spiel dankten. 

„Tooru!“ Yui rannte mit einem breiten Lächeln auf ihn zu und er spürte, wie es ihm noch wärmer wurde. „Du hast ein tolles Spiel …“

Er ließ sie nicht zum Abschluss kommen und zog sie unauffällig mit sich in die Bullpen. 

„Hör mal! Sag bloß, dir reichen die Bälle deiner Pitcher nicht mehr.“ Yui grinste ihn schief an. Doch es sah vielmehr danach aus, als würde sie ihre Unsicherheit überspielen wollen. Seit der Sache am Valentinstag hatten sie nicht viel gesprochen.

„Gut, ich würde verstehen, wenn du lieber meine Pitches haben willst“, fügte sie an.

„Ich brauche deine Meinung.“

Sie zog die Stirn in Falten. „Meine Meinung? Um welchen deiner Pitcher geht es?“

„Keinen.“

„Hä?“

„Ich denke, dass ich meiner Position als Cleanup abgeben sollte.“ Tooru kratzte sich am Kopf. „Also zumindest für das nächste Turnier.“

„Oh … achso.“

Sie schien zu verstehen, worauf er hinauswollte.

„Du hast ja meine Schläge gesehen.“

„Und wozu brauchst du dann noch meine Meinung?“

„Keine Ahnung, vermutlich hat der Trainer es auch schon selbst so entschieden, was?“

Er lachte, um seine Unsicherheit zu überspielen, doch Yui hatte ihn durchschaut.

„Als Freund sage ich dir, dass du es hinbekommen wirst, als Baseball-Freak, dass es die Richtige Entscheidung ist.“ Yui legte die Hand auf Toorus Brust. „Du hast zwei Innings gespielt, deine Schlaganzahl war bei einer At-Bat nicht besonders hoch und trotzdem bist du vollkommen am Ende. Du solltest dich bis zu den Meisterschaften darauf konzentrieren, dass zu festigen, was du schon erreicht hast. Cleanup zu sein, würde noch mehr Battingtraining bedeuten.“

Tooru nickte. Tief in sich drin, war er dankbar für ihre ehrliche Meinung. Sie sprach dass aus, was er bereits selbst wusste, vielleicht aber nicht wahrhaben wollte. 

„Wie viele Innings kannst du schaffen?“, fragte sie.

„Ich weiß nicht … drei vielleicht“, Tooru lachte sarkastisch. „Auf jeden Fall kein ganzes Spiel.“

„Die Spiele werden dicht hintereinander sein. Schaffst du das?“

„Ich hoffe es“, gab er zu. „Ich habe vor der Meisterschaft keine Chance mehr, das zu testen.“

Yui legte ihm die Hand auf die Schulter. „Du weißt, was der Doc gesagt hat, als du Neujahr flacht lagst? Egal, was passiert, mach bitte nicht den gleichen Fehler wie im Herbstturnier.“

„Ich werde nichts überstürzen. Keine Angst.“

Er sah in ihre braunen Augen, versank darin. „Ich … wirst du mit zu den Koshien fahren?“, fragte er mit dünner Stimme und wusste nicht, wieso er plötzlich so nervös war.

Tooru hoffte auf ein „Ja.“ Er wollte sie auf den Rängen sitzen haben. Es würde ein gutes Gefühl sein, zu wissen, dass sie in seiner Nähe war. Das er ihr zeigen konnte, was er gemeinsam mit ihrer Unterschützung in den letzten Monaten erreicht hatte.

Doch Yui schüttelte den Kopf und blickte in Richtung Erde.

„Oh“, war alles, was ihm in diesem Moment einfiel.

„Ich würde wirklich gerne, aber meine Oma ist krank und da möchte ich nicht so weit wegfahren.“

Ihre Stimme klang dünn und Tooru packte das schlechte Gewissen. Er hatte überhaupt nicht gemerkt, dass sie Sorgen hatte. Er machte einen Schritt auf sie zu und umarmte sie. „Es tut mir leid, dass ich nichts gemerkt habe“, flüsterte er ins Ohr. „Ich war nur auf mich bezogen.“

„Ich wollte nicht, dass du es merkst. Du hast genug Sorgen.“

„Ich bin immer für dich da, ich möchte, dass du das weißt.“ Ehe er sich versah, tat er das, was er sich plötzlich vom ganzen Herzen wünschte. „Du bist mir wichtig“, sagte er sanft und küsste sie zärtlich.

Als er sich wieder von ihr löste, sah Yui ihn mit großen Augen an. „Wieso ...? Was bedeutet das?“

„Das ich dich liebe“, antwortete er und drückte ihr gleich noch einen Kuss auf die Lippen. „Entschuldige, dass es so lange gedauert hat.“

„Auf manche Dinge wartet man gerne“, hauchte Yui und drückte sich an ihn.

48

18. März


Die Tage vergingen und schließlich war der letzte Tag vor den Meisterschaften gekommen. Das Team war am Vormittag nach Nishinomiya angereist und hatte die Zimmer im Hotel bezogen. Zu seinem Pech wurde Tooru natürlich mit Satoki zusammengesteckt.

Tooru legte sich auf das Bett und sah an die Decke. Es war schon lange her, dass er vor einem Spiel so nervös gewesen war. Mit dem Trainer hatte er besprochen, dass sie so vorgehen würden, wie bei dem Testspiel. Erst würde Yoshida mit Yamada spielen, ehe er in den letzten drei Innings gemeinsam mit Kawashima zum Einsatz kommen würde. Wie Tooru es vorhergesehen hatte, war Kawashima von dieser Einteilung natürlich alles andere als begeistert, denn es hieß gleichzeitig, dass der Trainer auch ihn nur für wenige Innings einsetzte. Satoki hatte den Jüngeren beruhigt und ihm erklärt, dass er sichere auch ohne Tooru ein paar Einsätze erhalten würde, aber ganz zufrieden war Kawashima dennoch nicht. Er selbst hatte in den letzten Wochen vor der Meisterschaft alles gegeben, um das zu verfeinern, womit er die Defizite in der Kraft kompensieren konnte. Die Ballweitergabe war eine dieser Dinge. Inzwischen war er zufrieden mit der Zeit, die er erreichen konnte. Sie war schnell und so konnte er zumindest in der Defensive wieder mithalten. Es war die Offensive, die ihm größere Probleme bereitete. Der Trainer hatte ihn auf seinen Wunsch in der Batting-Reihenfolge nach hinten gesetzt, denn noch immer konnte er die Bälle nicht weit ins Feld schlagen und auch die Kontrolle bereitete ihm noch größere Schwierigkeiten. Kurzum, der Ball tat oft nicht das, was er von ihm wollte.

„Drei Innings, also.“ Satoki setzte sich im Schneidersitz auf sein Bett. „Eins mehr als gegen Toukaidai Sugao.”

„Ja.”

„Und, wirst du das schaffen?“

„Ich denke schon. Meine Kondition ist seit dem Spiel gegen Toukaidai Sugao noch einmal besser geworden.“

Satoki nickte. „Mit Houmei High haben wir noch eine Rechnung offen.“

„Alle haben sich seit der Jingu-Niederlage gesteigert.“ Tooru kicherte. „Vor allem ich!“

Satoki griff nach seinem Kissen und schleuderte es in die Richtung seines Zimmerpartners.  „Idiot!“

„Sie haben einen guten Pitcher, wir müssen sie von Beginn unter Druck setzen.“

„Was nicht einfach sein wird. Unsere Offensivkraft ist nicht so gut wie im letzten Jahr. Die Drittklässler fehlen.“

„Wir sind besser geworden“, erklärte Tooru selbstbewusst. Natürlich war es immer noch sichtbar, dass ihnen der Weggang der Drittklässler fehlte -  die inzwischen durch die Abschlussfeier auf offiziell ihr Schuljahr beendet hatten – aber Tooru war guter Dinge, dass es ein paar interessante Frischlinge gab.

„Kyahaha, ich hoffe nur Kawashima trifft morgen auch mal den Ball!“ 


Wie auf’s Stichwort klopfte es an der Tür und kurz darauf ertönte die Stimme des jungen Pitchers. „Nakamura-Senpai! Bist du da?“

Tooru hielt sich den Zeigefinger vor die Lippen und deutete Satoki an zu schweigen. Vielleicht hatten sie ja Glück und Kawashima würde wieder von dannen ziehen. 

„Nakamura-Senpai! Es geht um die Notizen!“ 

Natürlich hatten sie kein Glück.

„Es ist offen!“, schrie Satoki.

Unmittelbar darauf öffnete sich die Tür und der junge Pitcher kam hereingestürmt. „Ich habe sie in Tokio liegenlassen!“, keuchte Kawashima hervor. „Ich wollte sie mir gerade anschauen und jetzt habe ich sie nicht!“

Tooru schüttelte den Kopf und giggelte. „Das du nicht deinen Kopf liegen lässt, ist alles.“ Er zog die Schublade seines Nachtschränkchens auf und zog ein paar Blätter raus. „Wollen wir sie zusammen noch einmal durchgehen?“, fragte er.

Tooru erhielt ein eifriges nicken als Antwort und setzte sich nun endgültig auf. „Okay, ich lese dir den Batter vor und du sagst mir, welche Infos wir haben.“ Er klopfte neben sich auf die Matratze und Kawashima setzte sich.

„Okay!“

„Kawake Makoto.“

Kawashima legte die Stirn in Falten. „17.“

„Oi! Das Alter hat keine Bedeutung. Merk dir nur die wichtigen Sachen!“, fuhr Tooru dazwischen.

„Oh … hahaha“, Kawashimas Wangen färbten sich rötlich. „Gut, gut … Kawake Makoto … Cleanup, im letzten Turnier hatte er Probleme mit dem Cutter.“

„Geht doch. Wo ist seine Trefferquote besonders niedrig?“

„Innen, Unten?“

„Innen, Mitte“, korrigierte Tooru.

„Kyahaha! Sei froh, dass Nakamura die ‚Calls‘ macht. Du würdest versagen, wenn du auf dich alleine gestellt wärst!“

„Ich habe es doch fast gewusst“, wehrte sich Kawashima. „Du weißt es sicher auch nicht!“

„Muss ich auch nicht. Mich interessiert nur der Pitcher.“

„So gemein!“ Kawashima stöhnte. „Du musst dir viel weniger merken!“

„Satoki hat auch über die Feldspieler Daten gelernt, also ruhig!“ Tooru las den nächsten Namen vor und dieses Mal konnte Kawashima die wichtigsten Daten problemlos aufzählen. Sie machten noch eine Stunde so weiter, ehe Tooru es für genug befand und die Blätter beiseite legte.

„Bist du nervös?“, fragte er Kawashima.

„Hahaha, wieso denn?“

„Du bist nervös“, schloss Tooru daraus. „Das sind wir alle. Es sind unsere ersten Meisterschaften seit sieben Jahren.“

„Du wirst durchhalten, oder? Du wirst alle meine Bälle fangen?“ Kawashima lehnte sich vor. „Ich meine, Du warst beim letzten Training ziemlich müde.“

„Ich gebe mein Bestes“, gab Tooru ehrlich zu. „Ich kann dir aber nichts versprechen.“

„Was denn, so ehrlich?“, hakte Satoki nach. „Vorhin sagtest du noch, dass du drei Innings überstehen würdest.“

„Ich sagte, dass ich es denke“, erwiderte Tooru. „Hör zu Kawashima. Ich werde dir ein Zeichen geben, wenn ich glaube, dass es nicht mehr geht, ja? Dann wird es unser letzter Batter in dem Spiel sein und ich will, dass du mir deinen besten Pitch gibst.“

Der Catcher machte ein Zeichen mit seinen Fingern und Kawashima nickte langsam. „Denn ich will derjenige sein, der deinen besten Pitch fängt.“ Tooru lachte. „So eigennützig darf der Kapitän sein, oder?“


Als Kawashima gegangen war, sah Satoki zu ihm rüber. „Wie fit fühlst du dich wirklich? Wie gesagt, so viel Ehrlichkeit gegenüber deinem Pitcher.“

„Ich weiß nicht … meine Beine fühlen sich schwer an seit gestern, meine Muskel angespannt. Ich habe keine Ahnung, ob es von der Aufregung ist, oder aber etwas anders.“

„Etwas anders?“ Satoki zog die Augenbraue hoch. „Du hast doch nicht vor, wieder deine Gesundheit zu riskieren?“

„Hast du nicht gerade gehört, wie ich mit Kawashima gesprochen habe?“ Tooru ließ sich wieder rücklings auf das Bett fallen. „Ich werde so lange spielen, wie es geht.“ Er seufzte. „Ich bin immerhin kurz vor dem Ziel, da kann ich nicht aufgeben, oder?“

„Nein, sicherlich nicht“, stimmte Satoki zu. „Keine Angst, ich sorge dafür, dass es morgen nicht unser letztes Meisterschaftsspiel sein wird.“

49


19. März


Satoki hatte sein Versprechen gehalten. Das Team trat in der Offensive gut auf und als der Trainer Tooru im siebten Inning auswechselte, stand es 4:1 zugunsten von Komae. Yamada hatte im ersten Inning einen Run abgegeben müssen, doch dann hatte er sich gefangen und gut gepitcht. 

Tooru umgriff den Schläger und stellte sich in die Batters Box. Es half nicht gerade weiter, dass er als erster Spieler wieder ranmusste, aber daran konnte er nichts ändern. Solche Situationen war er aus seiner bisherigen Laufbahn gewohnt und er konnte damit umgehen.

Der erste Pitch kam hoch und schnell. Tooru versuchte zu reagieren, schlug jedoch zu spät und kurz darauf wurde ein Strike verkündet. 

Der nächste Pitch war ein Change-up, aus dem er immerhin noch einen Foulball machen konnte. Doch nach vier weiteren Pitches wurde ihm bewusst, dass die gegnerische Mannschaft ihm bewusst Bälle fütterte, die zum Schlagen einluden, aber aus denen es schwer war, mehr als ein Foul zu machen. Natürlich war es den Gegnern nicht entgangen, dass er nach der langen Verletzungspause die Schwachstelle war. Dass er nur in den letzten Innings zur Verwendung kam, unterstrich das noch einmal. Hatten sie vor ihn auszupowern, ehe es in die zweite Hälfte des Innings ging? Tooru entschied sich dafür das Spiel nicht mitzumachen. Er würde nur noch nach den Bällen schlagen, bei denen er sich sicher war, dass sie im Feld landen würden. Vielleicht musste er mit dieser Taktik einen Strikout hinnehmen, aber das war immer noch besser, als das sie ihn auspowerten. Er wusste, dass er seine Kraft haushalten musste, noch dazu fühlte er sich ausgerechnet heute müder als ohnehin schon. Gestern hatte er gehofft, dass es an der Aufregung lag, doch jetzt war es sich dessen nicht mehr so sicher. Der neunte Pitch war zu seinem Glück ein Fastball. Er riss in letzter Sekunde den Schläger herum und pfefferte den Ball eng an der Foullinie in das Feld. 

Tooru zögerte nicht lange und drang an die erste Base vor. Am Gesicht des Catchers konnte er sehen, dass sie dennoch zufrieden waren. Immerhin war ihr Plan aufgegangen und sie hatten ihn lange genug beschäftigt. 

Kurz darauf schaffte es Tooru zur zweiten Base vorzudringen, als er allerdings kurz davor war, die dritte Base zu erreichen, spürte er den Handschuh eines Feldspielers auf seinen Rücken und unmittelbar darauf wurde sein „Out“ verkündet. 

Schwer atmend kehrte er in die Dugout zurück. Kawashima reichte ihm ein Handtuch und er wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er hätte sich eine etwas längere Pause gewünscht, doch leider hatte Houmei die drei Outs schnell gesammelt und er musste für die Defensive wieder zurück auf das Feld.

Und nun stellte sich plötzlich Nervosität ein. Als er auf dem Wurfhügel stand, begriff sein Gehirn endlich: Dass war Koshien. Er stand bei den Frühlingsmeisterschaften auf dem Spielfeld! 

Mit einem Lächeln drückte er Kawashima den Baseball in die Hand. „Lass uns Houmei zeigen, aus welchem Holz wir geschnitzt sind.“

Kawashima nickte und als Tooru zurück zur Home Plate joggte, konnte er den bekannten Schlachtruf des Jüngeren vernehmen.

Tooru hockte sich hinter die Home Plate.

Dieser Geruch. Der Jubel von den Rängen. Diese einzigartige Atmosphäre. Er wusste, dass irgendwo da oben sein Vater saß. Er war nur für dieses eine Spiel hergefahren, obwohl ein großer Auftrag auf seine Fertigstellung wartete. Bei seiner At-Bat hatte er das alles noch ausblenden können, jetzt brachten die äußeren Faktoren sein Herz dazu noch schneller zu schlagen. 

Tooru sah zu dem aktuellen Batter hoch und zeigte Kawashima dann an, was er für einen Pitch von ihm erwartete. Der Jüngere nickte, machte einen kraftwollen Wind-up und … fiel!

Kawashima hatte doch tatsächlich die Balance verloren, war abgerutscht, gefallen und der Ball hüpfte im langsamen Tempo in Richtung Home Plate, wo Tooru ihn auffing. 

Als er das hauchrote Gesicht des Pitchers sah, konnte er sich das Lachen nicht mehr verkneifen. Er würde ihn später dafür danken müssen, denn mit einem Mal war alle Anspannung von ihm gefallen.

„Behalte den Fokus!“, rief er Kawashima zu.

„Das könnte ich dir auch sagen“, kam es laut zurück, denn noch hatte Tooru sein Lachen noch nicht vollständig unterdrücken können.

Doch sie hatten ihre Sache trotz allem gemeistert und den ersten Batter mit einem Strikeout begrüßt. Dass der nächste an die erste Base vordrang, konnten sie allerdings nicht verhindern und zu Toorus Missfallen war es ausgerechnet der Spieler, der für schnelle „Steals“ bekannt war. Einem Ruf, den er kurz darauf gerecht wurde. Als der Ball in der Luft war, rannte der Spieler los. Doch so schnell würde sich Tooru nicht geschlagen geben. Noch während der Ball flog, richtete er sich auf, find den Ball, schleuderte ihn dicht an Kawashimas Kopf vorbei zur zweiten Base, wo er in Satokis Handschuh landete. 

„Out!“

Zwei Outs. Nur noch eines und sie hatten das siebte Inning hinter sich gebracht. 

Tooru hockte sich wieder hin und zeigte den nächsten Pitch an. Kawashima nickte und servierte ihm exakt das, was er wollte. Einen Cutter, am Rand der Strike Zone gesetzt. 

„Strike!“

Der Count lag bei 2:1. Noch einen Strike und der Batter war draußen.

Als Nächstes forderte er einen Fastball, nah am Körper des Batters. Ein Pitch, der ihnen das dritte Out brachte. 


Im achten Inning mussten sie einen Run hinnehmen, doch das konnten sie verkraften. Es stand immer noch 4:2 zugunsten von Komae. Als sie zurück zur Dugout liefen, legte Kawashima die Hand auf seine Schulter. „Ein Inning noch. Bist du fit genug?“

Eine gute Frage, denn langsam machte sich das Spiel mehr als bemerkbar. Er war vollkommen außer Atem und so wie es aussah, wartete im neunten Inning auch noch eine At-Bat auf ihn. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und nickte. „Ich hoffe es“, antwortete er ehrlich.

„Du sagst, wenn es nicht mehr geht?“

„Das habe ich versprochen“, bestätigte Tooru und pellte sich aus seiner Catcheruniform. 

Die Offensive im neunten Inning lief gut und als Tooru in die Batters Box trat, waren zwei Runner zur ersten und zweiten Base vorgedrungen. Noch hatten sie kein Out hinnehmen müssen und er hoffte, dass er nicht das Erste sein würde. Seine Arme zitterten als er den Baseballschläger in Position brachte. Noch so ein Spielchen wie im siebten Inning würde er kaum überstehen. Doch natürlich hatte er kein Glück und sie versuchten ihn erneut mit schwierig zu schlagenden Pitches in die Enge zu treiben. Der Count stand bei zwei Strikes und er hatte keine andere Wahl, als nach allem zu schlagen, was in die Strike Zone ging. Als er den Ball endlich einmal richtig traf und bis zur ersten Base vordringen konnte, hatte er acht Schläge vergeudet. Er atmete schwer, pumpte wie ein Maikäfer vor dem Flug. Am Ende konnte er nicht verhindern, dass er auf seinem Weg zur dritten Base abermals geschnappt wurde. Aber immerhin: Sie hatten wieder einen Run machen können und lagen nun mit 5:2 in Führung. 

„Kannst du die zweite Hälfte noch spielen?“, fragte der Trainer.

Er nickte.

Kawashima spielte auch in seinem dritten Inning konzentriert und sie konnten den Gegner schnell unter Druck setzen. Der Versuch eine Base zu stehlen, brachte sie allerdings wieder in die Bredouille und dieses Mal, schaffte es Tooru nicht so schnell zu reagieren. Als er sich aufrichtete, kam er ins stolpern, da ihm für wenige Sekunden schwarz vor Augen wurde und der Ball landete zwei Sekunden später bei Satoki, als beim ersten Stealing-Versuch im siebten Inning. Zu lange. Der Spieler von Houmei war weiter vorgerückt. Sie hatten erst ein Out und einen Runner auf der ersten und dritten Base. 

Der nächste Pitch endete in einen Ball und als Tooru Kawashima den Ball zurückwarf, musste der Pitcher einige Meter nach vorne rennen, da er zu kurz war. Verflucht, dachte Tooru. Dass sie ihn bei der At-Bat so oft schlagen ließen, machte sich nun bemerkbar. Ihm fehlte die Energie den Ball weit zu werfen. Würden sie weiterhin versuchen die Bases zu stehlen, hätte er ein Problem. Er bezweifelte, dass er es noch einmal schaffen würde bis Satoki zu werfen. 

Immerhin schafften sie es schließlich den aktuellen Batter mit einem Strikeout direkt wieder vom Feld zu schicken. Tooru warf den Ball zurück zu Kawashima und konzentrierte sich auf den hoffentlich letzten Batter. Doch das Schicksal meinte es nicht gut mit ihnen. Houmei hatte es geschafft alle drei Bases zu füllen und wenn es nun einen Homerun gab, würde sich das Spiel drehen. Er selbst war daran nicht ganz unschuldig. Es fiel im schwerer, sich zu konzentrieren und immer wieder durchzog ein Zittern seinen Körper. 

„Time!“ 

Tooru richtete sich auf und begab sich in Richtung des Wurfhügels.

„Es tut mir leid, Nakamura-Senpai. Der letzte Pitch war zu weit links!“ 

„Darum geht es nicht.“ Tooru stellte sich ganz dicht neben den Jüngeren. „Ich brauche deine Hilfe“, flüsterte Kawashima ins Ohr. „Ich habe meine Grenze erreicht, schaffe es nicht mehr den Ball weit zu werfen. Trifft er den Ball, könnte es einen Run geben, ein Homerun und sie gewinnen.“

„Nakamura-Senpai …“

„Hilf mir dabei, es jetzt zu beenden.“

„Sollten wir nicht den Trainer …“

Tooru gab dem Pitcher einen leichten Klaps mit seinem Handschuh. „So schnell ist kein anderer Catcher aufgewärmt. Es ist zu spät dafür. Zeig mir deine besten Würfe, lass nicht zu, dass er zur Base kommt. Versuch gleichzeitig schnell zu sein, lass keinen Steal zu.“

Kawashima nickte und Tooru löste sich wieder von ihm. Als er zurück zur Home Plate gehen wollte, hielt ihn Kawashima noch mal auf. „Ich verspreche dir, du musst nur noch drei Bälle fangen.“

Tooru grinste. „Danke“, gab er zurück.

Kawashima hatte sein Versprechen gehalten. Der 16-Jährige legte in jeden seiner Pitches all sein Herzblut rein und pfefferte sie so präzise an den Rand der Strike Zone, dass der Batter keine Chance hatte. 

„Batter out. Game set!”

Erst als Kawashima auf ihn zu gerannt kam, war Tooru bewusst, dass sie es geschafft hatten. Sie hatten das erste Spiel der Meisterschaften für sich entschieden. Er grinste und drückte den Jüngeren an sich. „Perfektes Spiel, Partner“, flüsterte er.

„Ebenso“, gab er zurück.


50

24. März

Zweites Spiel


Als Tooru in der ersten Hälfte des siebten Innings an die Plate trat, hatten sie einen komfortablen Vorsprung von 7:3.

Die Spezialität des gegnerischen Pitchers waren Slider, seine Fastballs hingegen erreichten nur selten über einhundertdreißig Stundenkilometer. Er warf zwei harmlose Curveballs, doch Tooru widerstand der Versuchung danach zu schlagen. Eine gute Entscheidung, denn die Pitches landeten jeweils außerhalb der Strike Zone. Auch der dritte Ball fand sein Ziel nicht.

Tooru drehte sich in Richtung Dugout und sah den Trainer an. Sollte er beim nächsten Ball schlagen oder abwarten, ob es vielleicht wieder ein Ball würde? Dann würde er auch so zur ersten Base vorrücken.

Okada gab ihm das Zeichen zum Schlagen. Der Gegner warf einen Slider und Tooru schwang mit aller Kraft seinen Schläger. Der Ball stieg in die Höhe, wurde immer schneller und flog bis ins Outfield – so weit, wie er den Ball schon lange nicht mehr geschlagen hatte. Doch die Freude wehrte nur kurz. Der Left Fielder trat zwei Schritte zurück, blieb stehen und fing den Ball problemlos.

„Out!“, ertönte es kurz darauf von dem Unpateischen und Tooru schritt mit gesenktem Kopf zurück zur Trainerbank.

„Das war ein guter Schlag!“ Satoki schlug ihn auf die Schulter.

„Das bringt mir nichts, wenn ich es trotzdem nicht auf die Base schaffe“, grummelte er und zog sich anschließend den Brust- und Knieschutz an. Lange würde es nicht mehr dauern und sie waren mit der Defensive dran.

Als er fertig war, zog er Kawashima zur Seite.

„Wir werden mit einem Changeup anfangen und den Batter ködern“, erklärte er. „Danach möchte ich einen schönen, lebendigen Pitch von dir: Den Cutter.“

Kawashima nickte.

„Bist du nervös?“, hakte Tooru nach.

Kawashima war ungewöhnlich still. Zu still für seinen Geschmack.

„Ein bisschen.“

Tooru gab dem Jüngeren einen Klaps. „Brauchst du nicht. Wir kriegen das schon hin.“

„Geht es dir gut?“

„Besser als beim ersten Spiel“, erwiderte er und zwinkerte. „Also kein Grund zur Sorge. Wird schon!“


Der Beginn war alles andere als optimal. Nach vier Fehlern von Kawashima bekam der erste Schlagmann von Moriokadai Fuzoku die erste Base geschenkt. Nur kurz darauf beförderte er sich mit einem Steal zur Zweiten.

Tooru atmete tief durch. Es war erst der Anfang und noch war nichts passiert. Sie mussten die Ruhe bewahren. Um Kawashima die Nervosität zu nehmen, forderte er für den nächsten Pitch einen Wurf, den der Pitcher perfekt beherrschte und tatsächlich landete der Ball genau da, wo er ihn haben wollte. Ein sauberer Pitch an den linken Rad der Strike Zone.

Tooru nickte und warf Kawashima den Ball zurück. Wenn sie so weitermachen würden, dann brachte es dem Gegner nicht viel, wenn sie einen Läufer auf der zweiten Base hatten.

Dann allerdings passierte es. Kawashimas Finger rutschte beim Wurf nur etwas ab, verlor an Geschwindigkeit und wurde ohne nur das kleinste Problem vom Schlagmann weggeschlagen. Mit versteinerter Miene sah Tooru zu, wie der Ball über den Zaun flog. Zwei Runs für den Gegner: 7:5.

Sofort forderte er ein Timeout und begab sich zu seinem Pitcher.

„Vergiss nicht, wir liegen noch in Führung. Das kann passieren, wir werden das wieder hinbiegen.“

„Es tut mir leid“, murmelte Kawashima mit gesenktem Kopf. „Ich … mein Finger war abgerutscht.“

„Alles ist gut, wir werden die restlichen Outs sammeln und unsere Führung behaupten. Bleib ruhig, ja?“ Tooru hob den Catcher-Handschuh vor den Mund. „Okay, ich möchte, dass du bei den nächsten Spielern auf Kontakt spielst, ja? Lass sie treffen, aber an einer ungünstigen Stelle. Die Feldspieler kümmern sich um den Rest.“

Tooru sah zu Satoki herüber, der ihm wohlwissend zunickte.

„Wir stehen hinter dir, Kawashima“, schrie er über das Feld. „Mach dir keine Gedanken!“

Kawashima nickte. „Ich versuche es.“

„Sie werden keinen Run mehr holen.“ Tooru drückte die Schulter von Kawashima. „Nicht in diesem Inning und auch nicht in dem nächsten Innings.“

Dann begab er sich zurück zur Home Plate und hockte sich hin, ehe er Kawashima den nächsten Pitch anzeigte. Zufrieden stellte er fest, dass seine Rechnung aufging. Die Schlagmänner schlugen den Ball jeweils weg, erwischten ihn jedoch nie richtig und so hatten die Feldspieler keine Schwierigkeiten den Ball zu fangen. Drei Outs waren schneller gesammelt, als er vermutet hatte.

Als sie zurück zum Dugout gingen, gab er Kawashima einen leichten Klaps auf den Hinterkopf.

„Geht doch. Warum nicht gleich so!“


Es war im achten Inning, als die Erschöpfung langsam einsetzte, dafür hatte die gegnerische Mannschaft gesorgt, indem sie den Count hinauszögerten und ihn damit häufiger werfen ließen. Tooru vermutete, dass sie sich so erhofften, im letzten Inning eine größere Chance zu haben. Doch diesen Gefallen würde er ihnen nicht tun.

In der ersten Hälfte des neunten Innings war Tooru bei einem Spielstand von 7:5 wieder am Schlag.

Der Pitcher hatte aufgegeben, Fastballs zu pitchen. Er versuchte es mit langen, weiten Curveballs von denen der erste mitten in der Strike Zone landete.

Tooru nahm die Füße enger zusammen, fasste den Schläger kürzer und schmetterte den Ball zwischen den dritten Baseman und den Shortstop weg. Als der Gegner den Ball schließlich fing, war Tooru schon an der ersten Base vorbei und hatte gleichzeitig einen ihrer Läufer bis zur Home Plate bringen können.

Es stand 8:5.

Er konzentrierte sich auf den Schlagmann und rannte los, als der Ball in die Luft geschleudert wurde, doch zu seinem Pech, ging es nicht auf die nächste Base. Nur wenige Zentimeter vor dem rettenden Kissen, fing der zweite Baseman den Ball und er war draußen. Trotzdem gelang es ihnen im weiteren Verlauf ihrer Offensive den Stand noch auf 9:5 zu vergrößern und bis zum Ende des neunten Innings zu halten.

„Wir sind im Viertelfinale!“

Kawashima kam auf Tooru zugestürmt und warf sich ihm um den Hals. „Verdammt! Stell dir das vor!“

Es dauerte nicht lange und die Traube aus Spielern wurde größer. Tooru lachte. „Ich würde es vorziehen, nicht der Mittelpunkt zu sein. Nicht das noch was kaputt geht!“

Der Druck wurde tatsächlich geringer, doch er blieb Mittelpunkt des Spielerpulks und musste zugeben, dass er es genoss. Noch war alles so unwirklich und er begriff kaum, was ihnen gerade gelungen war. Sie waren bei den Koshien bis ins Viertelfinale vorgedrungen!


Nachdem sie sich vor dem Gegner respektvoll verbeugt hatten, räumte die Mannschaft schnell die Kabine und machte Platz für das nächste Team, welches im Anschluss spielen würde. Sie hatten gemeinsam mit dem Trainer entschieden, dass sie sich das Spiel von der Tribüne aus ansehen würden.

Tooru trottete in langsamem Tempo hinter den anderen Spielern hinterher. Er war nicht so erschöpft wie bei dem ersten Spiel vor einigen Tagen, aber sicherlich noch lange nicht in Hochform.

Er gab sich Mühe sich auf das nachfolgende Spiel zu konzentrieren, doch seine Gedanken schweiften immer wieder ab und am Ende bekam er überhaupt nicht mit, was vor ihm auf dem Feld geschah.

Vor wenigen Wochen hätte er nicht geglaubt, dass er es bis hierher schaffen würde und nun, da war er gemeinsam mit seinem Team bis ins Viertelfinale gekommen. Tooru konnte nicht anders, als breit zu lächeln. Das hier war wie ein Traum. Ein Traum, der ruhig noch lange andauern dürfte.


51

Viertelfinale

27. März


Das dumpfe Geräusch, als der Ball an der Schulter seines Pitchers abprallte und dann zur Erde rollte, ließ Toorus Herz aussetzen.

Es war alles so schnell gegangen. Der Pitch war unsauber geworfen, der Schlagmann knallte ihn weg. Jedoch gewann der Ball überhaupt nicht an Höhe und knallte mit hoher Geschwindigkeit gegen die Schulter von Kawashima, der überhaupt nicht Zeit hatte zu reagieren.

Der schien den ersten Schockmoment schneller zu überwinden als Tooru selbst, sprang dem Ball regelrecht hinterher und feuerte ihn in Richtung der ersten Base. Er war jedoch zu spät. Der Läufer hatte die Base schon erreicht.

Tooru hob die Hand, erbat eine Auszeit und sprintete zum Wurfhügel.

„Alles klar bei dir?“

Kawashima betastete seine Schulter. Nickte dann aber. „Super.“

„Sicher?“

„Ja.“

„Du hast keine Schmerzen in der Schulter?“, hakte er nach. „Du hast den Ball mit voller Wucht abbekommen.“

„Nein, alles bestens. Der Ball war nicht so schnell“, versicherte Kawashima ihm ein weiteres Mal. „Was ist mit dir?“

Tooru zog seine Stirn in Falten. „Mit mir?“

„Du siehst müder aus, als im letzten Spiel.“

„Mit geht’s bestens“, winkte er ab. „Kein Out, schnappen wir sie uns.“

Tooru begab sich zurück in seine Position und hockte sich hin. Kawashima war aufmerksamer, als er ihm zugestand. Er hatte wohl sofort gemerkt, dass es für ihn heute wieder ein schwieriges Spiel werden würde. Lag es an der kleineren Pause zwischen den Spielen? Steckte ihm die letzte Partie noch so sehr in den Knochen?

Tooru war sich nicht sicher. Er wusste nur, dass er erst einmal geschlagen hatte und eigentlich noch nicht so müde sein dürfte.

Er holte tief Luft und zeigte Kawashima an, welchen Pitch er als nächstes haben wollte. Der Pitcher nickte ihm zu und führte seine Anweisung perfekt aus. Er warf einen Forkball, der genau nach seinem Geschmack war. Er flog niedrig und leicht seitlich an der Base vorbei.

Der Schlagmann pfefferte ihn auf Satokis linke Seite. Er schnappte sich den Ball und drehte sich zu Kobayashi, der bereits in Richtung der zweiten Base gestartet war.

Doch noch ehe der Ball Satokis Hand verließ, wusste Tooru, dass der Spielzug in einem Fehler enden würde. Satoki schien einen winzigen Augenblick zu lange nachgedacht zu haben, der Ball prallte an Kobayashi Handschuh ab und landete im Gras.


Sie hatten kein Out, alle Bases gefüllt und als nächsten war der Cleanup-Hitter dran. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Gegner einen Punkt machte war hoch.

In Toorus Gehirn arbeitete es. Er suchte nach der besten Möglichkeit das andere Team daran zu hindern einen Run zu machen und die Defensive so schnell es ging zu beenden. Für Kawashima und auch für ihn.

In der nächsten Hälfte des Innings war es unwahrscheinlich, dass sie spielen müssten, so könnte man sich die Schulter des Pitchers näher ansehen.

Es blieb keine andere Möglichkeit, als Risiko zu spielen.

Er sah dem nächsten Batter in die Augen. Fujiwara war ein gefährlicher Typ, doch jeder hatte seine Schwächen und Tooru hatte nicht umsonst die letzten Monate vor Videos verbracht. Seine Batting-Stärke bei niedrigen Pitches, die eng am Körper geworfen wurden, war klein. Es würde klappen. Tooru hatte Vertrauen in Kawashima. Wenn er diesen einen Pitch sauber werfen würde, hatten sie eine Chance.

Er machte seinem Battery-Partner ein Zeichen, dass er einen schönen Fastball exakt an die Stelle haben wollte, die Fujiwara so überhaupt nicht schmeckte und Kawashima gab ihm mit einem nicken zu verstehen, dass er seiner Anweisung nachkommen würde.

Das Glück schien auf ihrer Seite zu sein. Der Ball flog in Richtung Kawashima, der ihn locker fing.

Tooru riss sich die Catchermaske vom Kopf. „Back Home!“, schrie er und hatte nur wenige Sekunden später den Ball im Handschuh. Ein Runner war out, fehlte noch zwei weitere. Er feuerte den Ball in Richtung Satoki, der die dritte Base abdeckte. Der fing ihn butterweich auf und sorgte für das zweite Out.

„Zur ersten Base!“

Satoki hatte schon reagiert, ehe er ihm überhaupt die Anweisung gegeben hatte. Der Ball flog in hoher Geschwindigkeit zur ersten Base und landete sauber platziert im Handschuh des ersten Baseman.

„Drei Outs!“, schrie der Schiedsrichter. „Wechsel!“

„Ein Triple-Play?!“ Satoki lachte laut und knallte ihm seine flache Hand auf den Rücken, als sie zum Unterstand zurückgingen. „Du bist wahnsinnig!“

„Zum Glück hat es ja geklappt.“ Tooru fuhr sich mit der schweißnassen Hand durch das Haar. „Wir konnten verhindern, dass sie einen weiteren Run machen, auch wenn es knapp war.“

„Alles in Ordnung?“, fragte Satoki.

„Klar. Wieso fragst du?“

„Du siehst angeschlagen aus.“

„Es ist kein leichtes Spiel“, erwiderte er schnaufend und pellte sich aus der Catcheruniform. Dann wandte er sich zu Kawashima. „Ich möchte, dass du deine Schulter anschauen lässt. Du weißt, wie gefährlich es ist, mit einer Verletzung zu spielen.“

„Es ist wirklich nichts passiert“, beharrte der Pitcher noch einmal, doch als der Trainer einschritt und auf eine Untersuchung bestand, beugte sich Kawashima und verschwand in die Katakomben.

Tooru seinerseits stellte sich an das Geländer des Unterstandes und blickte mit Anspannung auf das Feld. Zu Beginn des achten Innings stand es 2:0. Sie brauchten dringend ein paar Runs, wenn sie im letzten Inning nicht in die Bredouille geraten wollten. Es war das Spiel der starken Pitcher und das bekamen sie auch jetzt wieder zu spüren.

Satoki zog neben ihm den Helm auf und griff nach seinem Schläger. „Hast du einen Tipp für mich, Nakamura?“

„Du brauchst keinen Tipp, du hast es in fast jeder deiner At-Bats auf die Base geschafft“, gab er mit ironischem Unterton zurück. „Sieh einfach zu, dass du es auch jetzt machst.“

Und Satoki hielt sein Versprechen. Bei zwei Outs, rannte er wie ein Besessener sogar bis zur zweiten Base vor.

Tooru lehnte sich nach vorne, als er begriff, was Satoki als nächstes vorhatte. Der Teufelskerl wollte doch tatsächlich die nächste Base stehlen, obwohl sie sich derzeit wirklich keinen Fehler erlauben durften. Eine riskante, aber keine unmögliche Taktik. Der Pitcher schien die Läufer um sich herum gerne zu vergessen und der Catcher von Sanbonmatsu galt nicht zu denen mit einem starken und schnellen Wurfarm.

Gebannt sah Tooru zu, wie der Pitcher sich in Stellung brachte und dann, fast im gleichen Moment, in dem der Pitcher den Ball warf, sprintente Satoki los und eroberte die dritte Base.

Toorus Mundwinkel zogen sich nach oben, ein Kribbeln ging durch seinen Körper. Verflucht, das waren die Momente, in denen es nichts Besseres gab als Baseball. Dieser Nervenkitzel war unbeschreiblich, einfach einzigartig!

Der Steal schien den Pitcher nervös zu machen. Vor seinem nächsten Pitch sah er sich zu Satoki um und schien unaufmerksam zu werden. Dann, wenig später, war das typische Geräusch zu vernehmen, wenn ein Schläger auf den Ball traf. Tooru sah mit großen Augen zu, wie der Ball erst an Höhe und dann an Geschwindigkeit gewann.

„Home Run!“, ertönte es aus den Lautsprechern und seine Hände umfassten das Geländer fester. 2:2. Sie hatten wieder aufgeholt.

Satoki trappte auf sie zu und lachte laut. „Das nenne ich eine Aufholjagd!“, rief er und klatsche sich mit Tooru ab. „Wenn es so weitergeht, musst du in diesem Inning wohl doch noch ran, was?“

Satoki hatte nicht Unrecht behalten. Er hatte tatsächlich noch einmal rangemusst und das mit geladenen Bases. Wenn er jetzt einen weiten Ball schlagen könnte, dann würden viele Punkte möglich sein. Ein Home Run würde sogar vier Punkte bringen, doch der Realist in ihm wusste, dass das niemals möglich wäre.

Der erste Pitch war ein Fastball, den er an der Foul-Linie des Left Field entlang hämmerte. Der Spieler an der ersten Base machte einen Schritt nach hinten, was ihm nicht entging. Zumindest schien er seinen Biss noch nicht ganz verloren zu haben und hatte weiterhin Respekt von seinen Konkurrenten. Der nächste Pitch war ein Fastball, der nah am Körper geworfen wurde. Tooru gab blitzschnell die typische Schlaghaltung auf, brachte den Schläger in eine Schräghaltung und ließ den Ball abtropfen. Der Pitcher stand nicht so, dass er den Ball fangen konnte. Der erste Baseman schätzte den Ball falsch ein. Ein anderer Spieler rannte los, um die erste Base zu decken, war ihm aber nicht gelang. Als der erste Baseman den Ball aufnahm, war Tooru an der ersten Base vorbei und konnte zusehen, wie sein Teamkollege gerade Home erreichte.

3:2.

Tooru machte sich bereit loszurennen.

Sie hatten einen Lauf. Wenn sie sich anstrengten, konnten sie noch mehr Runs in diesem Inning holen.

Doch es blieb bei einem 3:2. Der Pitcher schickte ihren nächsten Schlagmann mit drei Strikes out und sie waren wieder in der Defensive.

Als das achte Inning beendet war, hatte Tooru das Gefühl, als würde er nur noch nur seine Willenskraft aufrecht laufen können. Die Catcheruniform lag schwer auf seinen Schultern und sein Unterhemd war nass geschwitzt. Mit schweren Beinen ging er hinunter in die Umkleide, um sich ein neues überzuziehen.

„Sie haben einen Run holen können“, hörte er eine Stimme hinter sich sagen, als er gerade sein altes Unterhemd ausgezogen und zur Seite geworfen hatte.

Satoki, wer auch sonst.

„Ja“, sagte er nur.

„Der Ball war nicht so weit geworfen, wie er musste.“

Tooru hatte den Ball eigentlich direkt in den Handschuh des dritten Baseman werfen wollen, doch der Ball war zu kurz gewesen und er hatte sich von der Base lösen müssen, wodurch der Läufer des Gegners eine Base letztendlich eine Base vordringen konnte.

„Ja, ich habe es falsch eingeschätzt.“

„Die Entfernung oder deine Kraft?“, hakte Satoki nach.

„Meine Kraft“, gab er zu. Tooru zog sich ein neues Unterhemd über und drehte sich zu seinem Freund. „Sollten wir in Extrainnings müssen, werde ich dem Trainer sagen müssen, dass er mich auswechseln muss.“

„Müder als beim zweiten Spiel?“

Tooru giggelte. „Um einiges“, antwortete er und begab sich dann wieder in den Unterstand. Sie hatten inzwischen einen Läufer auf der ersten und einen auf der zweiten Base. Es begann gut. Nun müssten sie nur noch dafür sorgen, dass sie auch Runs holten.

„Los Jungs! Kommt schon!“, brüllte Satoki neben ihm und Kawashima stimmte laut mit ein: „Runs, Runs, Runs!“

„Gebt alles! Tooru pfeift schon aus dem letzten Loch. Mehr als drei Innings schafft er nicht!“

„Satoki!“, grummelte er leise.


„Nakamura, kommst du mal bitte.“

Natürlich hatte der Trainer die Schlachtrufe gehört und besonders der Letzte hatte seine Aufmerksamkeit erweckt.

„Wie geht es dir?“, wollte Okada wissen.

„Gut. Ich halte durch.“

„Was ist mit Extrainnings?“

Tooru schwieg für einige Sekunde, schüttelte dann aber den Kopf. „Die werde ich wohl nicht schaffen.“

Okada drehte sich zu dem dritten Catcher. „Mach dich bitte bereit, ja?“

Dann wandte er sich wieder ihm zu. „Danke für deine Ehrlichkeit.“

Gerade als er das Gespräch mit dem Trainer beendet hatte, sackte sein Team einen Run ein und ging mit einem Run in Führung, ehe der Gegner die drei Outs sammelte.

Nun lag es alleine in seiner Hand, ob sie ins Halbfinale einziehen würden oder ob der Traum Koshien ausgeträumt war.

Tooru gab Kawashima einen Klaps auf die Schulter. „Wir werden sie in Schach halten. Saubere, gut gesetzte Pitches.“

„Geht klar!“, antwortete ihm der Jüngere euphorisch und trabte weiter in Richtung Wurfhügel.

Kawashimas erster Pitch war ein schwacher Fastball, den der Schlagmann an der Linie entlang schlug und der zu ihrem Glück direkt im Handschuh von Satoki landete.

Tooru hob den Finger. „Ein Out“, rief er. „Wir sind im Fahrplan.“

Er holte tief Luft und hoffte, dass Kawashima jetzt nicht die Nerven verlieren würde. Jetzt ein Fehler könnte die ganzen Anstrengungen zu Nichte machen.

Der zweite Pitch war ein sauberer Fastball, der vom Schläger direkt zum ersten Baseman ging.

Zwei Pitches, zwei Outs.

Er hatte die richtige Entscheidung getroffen, auf Kontakt pitchen zu lassen. So konnten sie beide ihre Kräfte sparen.

Der dritte Batter bedeutete Ärger. Ein groß gewachsener Junge mit amerikanischen Wurzeln und viel Kraft im Schlag. Ein Kerl, der Home Runs am Fließband lieferte. Tooru überlegte nicht lange, was die richtige Strategie war. Die Bases waren frei, der nächste Schlagmann war ein deutlich geringeres Risiko. So entschied er sich für einen Walk. Er richtete sich auf und signalisierte Kawashima sein Vorhaben, der übereinstimmend nickte und ihm dann vier Bälle weit weg von der Strike Zone zuwarf.

Sie überließen ihm die erste Base und konzentrierten sich dann auf das nächste Duell.

Noch ein Out und sie würden im Halbfinale stehen. Sein Herz klopfte wie verrückt. Er malte sich im Kopf tausende Situationen aus, wie der nächste Spielzug ablaufen konnte.

Zwei Outs, ein Läufer auf der ersten Base. Komae lag mit 4:3 vorn.

Tooru zeigte den nächsten Spielzug an und hoffte, dass es bald vorbei sein würde.

Kawashima warf einen guten, harten Curveball und der Schlagmann knallte Satoki den Ball direkt vor die Füße. Der griff ihn auf, schleuderte ihn zur First Base und beendete das Spiel.

Es dauerte einige Sekunden, ehe Tooru begriff, was dieser Wurf gerade bedeutete. Als es zu ihm durchsackte, war die Müdigkeit vergessen. Er sprang auf und warf sich mit einem lauten Jubelschrei in die Arme von Satoki.

Der war so überwältigt, dass ihm die Tränen nur so aus den Augen liefen.

„Wir sind im Halbfinale, zur Hölle!“, schrie er heraus. „Verdammte Scheiße!“

„Satoki-Senpai, Nakamura … wuhu!“ Kawashima umgriff ihre Schultern und drückte sich an sie. „Was für ein Spiel!“


52

Tooru saß dem Trainer gegenüber, neben ihm Kawashima. Der Gesichtsausdruck war unlesbar und Tooru war sich nicht sicher aus welchem Grund sie hier waren. Sie hatten im letzten Spiel kaum Fehler gemacht, sogar einen Triple Play hingelegt.

„Ihr wisst gegen wen wir in zwei Tagen spielen müssen?“

„Osaka Tōin“, antwortete Kawashima.

„Das Powerhouse schlechthin, fünfmaliger Sieger der Sommer-Koshien sowie einmaliger Sieger der Frühlings-Koshien“, fügte Tooru hinzu.

Der Trainer sah in streng an. „Wie fühlst du dich?“, fragte er. „Wie anstrengend war das Spiel?“

Es ging also um ihn. Tooru kratzte sich am Kopf. „Es macht sich bemerkbar, dass die Pausen immer kleiner werden. Mir geht die Kraft aus“, gab er ehrlich zu. Es gab keinen Grund zu lügen, immerhin ging es hier um etwas Großes.

„Ich würde gegen Osaka ungerne auf deine Spielzüge verzichten.“ Okada lehnte sich zurück. „Natürlich geht aber deine Gesundheit vor.“

„Wenn es für mich Verwendung gibt, werde ich bis an mein Äußeres gehen!“

Okada lächelte. „Dessen bin ich mir bewusst, Nakamura.“ Er lehnte sich ein Stück nach vorne. „Ich überlege, ob ich dich nicht bereits in den ersten Innings einsetze. Du wirst solange spielen, bis du nicht mehr kannst, dann werde ich Yoshida einwechseln.“

„Sie wollen den Ace zum Ende einsetzen?“

„Auch das“, erklärte Okada. Er sah zu Kawashima. „Ich habe vertrauen in euch, dass ihr Osaka überraschen könnt.“

 

53

29. März

Halbfinale

 

Tooru holte tief Luft, stellte sich in die Battersbox und fixierte den Pitcher, der achtzehn Meter von ihm entfernt stand.

Sie hatten in der Offensive des ersten Innings bereits einen Run gemacht, vor seiner At-Bat waren Läufer auf der zweiten und dritten Base. Zwei ihrer Spieler waren out.

Der erste Wurf zischte nur wenige Zentimeter an seiner Hüfte vorbei und schlug mit einem Geräusch in den Handschuh des Catchers ein, das noch lauter schien, als jenes, welches die Fastballs von Yamada in seinem Handschuh hinterließen.

Der zweite Wurf war ebenso schnell, zog aber mehr zur Mitte der Plate. Tooru zog voll durch, traf den Ball und schlug ihn weg. Der Ball flog über den dritten Baseman und landete genau auf der Außenlinie. Kein Aus.

Er erreichte mühelos die erste Base, hatte sich jedoch nicht getraut das Risiko einzugehen, bis zur zweiten Base vorzudringen. Nach der Defensive, in der sie ohne Run geblieben waren, war er geschafft. Dadurch das das gegnerische Team eine eher defensivere Taktik gewählt und vor allem auf Bunts zurückgegriffen hatte und nur wenig geschlagen, hatte Tooru deutlich mehr werfen müssen, als ihm lieb gewesen war. Durch diese Tatsache und den Fakt, dass er zwischen den Spielen kaum Zeit hatte, sich zu erholen, wollte er mit seinen Kräften haushalten.

Es stand 0:2 zu ihren Gunsten, denn durch seinen Schlag hatte Tooru gleichzeitig einen Läufer nach Hause bringen können.

Der nächste Schlagmann, Kobayashi, bekam schwierige Bälle, ließ sich dadurch aber nicht verunsichern und schlug den Ball bis ins hintere Feld.

Tooru rannte zur nächsten Base, spürte jedoch kurz vor erreichen des sicheren Kissens den Handschuh des zweiten Basemans auf seiner Schulter. Er war raus und der Gegner hatte drei Outs zusammen.

Komae ging mit einem Vorsprung von 3:0 in das zweite Inning.

Zur Toorus Verwunderung machte Osaka Tōin genau da weiter, wo es im ersten Inning aufgehört hatte. Die ersten drei Batter hatten nur Bunts gezeigt. War das Taktik, um Kawashima aus dem Tritt zu bringen oder wollten sie den Pitcher müde machen?

„Kawashima, tief ein und aus atmen! Wenn sie unbedingt einen Bunt machen wollen, lass sie!“, rief er seinem Pitcher zu, nachdem er bereits den zweiten Ball in Folge gezeigt hatte.

Der jüngere Pitcher nickte ihm zu und machte sich für den nächsten Pitch bereit. Nur wenige Sekunden später landete der Ball butterweich in Toorus Handschuh. Er nahm ihn auf schleuderte ihn Richtung der zweiten Base, um einen gegnerischen Spieler daran zu hintern die Base zu stehlen. Mit Erfolg. Endlich hatten sie ein Out.

Nur noch ein Läufer auf der dritten Base.

Tooru sah hoch zu dem aktuellen Schlagmann von Osaka Tōin und gab Kawashima dann das Zeichen für den nächsten Pitch. Einen Fastball, am äußersten Rang der Strike Zone.

„Strike!“, ertönte es wenige Sekunden später vom Schiedsrichter.

Der Count in ihrem aktuellen Duell lag bei zwei Bällen und einem Strike. Nur unmittelbar darauf, konnte Kawashima ihn in zwei Bälle und zwei Strikes verwandeln.

Als Kawashima das Bein zum nächsten Pitch hob, attackierte der Gegner auf dem Feld. Der Läufer setzte sich in Bewegung und versuchte die dritte Base zu stehlen.

Als der Baseball in seinem Handschuh landete, zögerte Tooru nicht lange und feuerte ihn in Richtung der dritten Base.

Bekomme ich ihn?

Der Wurf fühlte sich schlecht an und landete viel zu kurz. Der dritte Baseman musste die Base verlassen, um den Ball zu fangen und der Läufer war auf die dritte Base vorgedrungen.

Tooru schloss für einen kurzen Moment die Augen, holte tief Luft und versuchte sich zu sammeln. Noch war nichts verloren. Noch hatte der Konkurrent keinen Punkt holen können.

Sie hatten einen Läufer auf der dritten Base. Noch war nichts passiert. Sie lagen in Führung, hatten die besseren Karten.

Er öffnete die Augen wieder und sah zu Kawashima. Er hob den Zeigefinger. „Kawashima, kümmere dich nicht um die Läufer. Lege deinen Fokus auf die Batter. Ich kümmere mich um den Rest. Outfielders, bereitet euch darauf vor in Richtung Home zu werfen. Innfielders, ein Out nach dem anderen.“

Für den nächsten Pitch forderte Tooru von Kawashima einen Fastball, den er weit innen setzen sollte. Doch Kawashima setzt den Pitch nicht ordentlich und es wird der vierte Ball angezeigt. Der Schlagmann darf zur ersten Base vordringen.

Ein Läufer auf der dritten, ein Läufer auf der ersten Base.

Der nächste Schlagmann des gegnerischen Teams trat an die Home Plate und Tooru sah hoch in das Gesicht von Sato Hayashi.

Tooru hatte die Videos der Spiele zig Mal gesehen, doch keine Schwächen bei Hayashi entdecken können. Er verfügte über ein gutes Gleichgewicht, blieb schön hinten und hatte eine unglaubliche Schlagkraft und vor allem Schlaggeschwindigkeit. In seinen letzten fünfzehn Spielen hatte er nur zwei Strikeouts.

Als Hayashi sich in die Battersbox stellte, grinste er ihn überheblich an.

„Du siehst müde aus, Nakamura“, flötete er. „Ist anstrengend so ein Turnier was? Hab gehört, du warst lange verletzt. Vielleicht war es zu früh für dich?“

Das war der Moment, in dem Tooru begriff. Das Ziel war nie Kawashima gewesen. Sie hatten es auf ihn abgesehen. Sie wollten ihn mit den vielen Würfen müde machen und der Plan war aufgegangen. Der Gedanke an ein mögliches Scheitern war plötzlich allgegenwertig.

Seine Lunge zog sich zusammen.

Entspann dich, lass es laufen.

Er schlug ein paar Mal kräftig mit der Faust in seinen Handschuh.

Ohne Erfolg. Sein Herz schlug immer noch wie verrückt und er bekam Angst, dass er das Team in den Abgrund stürzen würde.

Wenn Hayashi jetzt einen Home Run schlagen würde, dann würde sein Team zu ihnen aufschließen.

„Fokus auf den Batter!“, rief eine Stimme und er hob den Kopf. Kawashima stand auf dem Wurfhügel, lächelte ihn breit an. Tooru nickte und seine Mundwinkel zogen sich nach oben.

Er hatte recht. Es brachte nichts, sich schon jetzt verrückt zu machen. Sie mussten Hayashi angehen wie jeden anderen Spieler des Teams. Wenn sie ruhig blieben, würden sie schon ein Schlupfloch bei dem Kerl finden.

„Was für ein dreckiges Spiel, Hayashi.“ Tooru lachte aufgesetzt. „Aber ich muss sagen: Ihr habt mich wirklich reingelegt. Es hat lange gedauert, bis ich verstanden habe, was eure Intention ist.“

„Zu lange“, antwortete ihm Hayashi und machte sich bereit. „Jetzt nieten wir euch um!“

Der erste Pitch kommt, der Batter nimmt einen mächtigen Schwung und haut mit voller Wucht am Ball vorbei. Das Publikum raunt und Hayashi runzelt die Stirn. Offenbar hatte er sich die Sache einfacher vorgestellt, als sie war.

Der nächste Pitch landete neben der Strike Zone, doch wieder hatte der Batter geschlagen. Anders als seine Teamkollegen sollte sich Hayashi sich ihnen also stellen. Mit zwei Strikes und null Balls hatten sie einen guten Count. Sie konnten sich leisten, den Ball außerhalb der Reichweite des Batters zu platzieren.

Tooru fordert einen Changeup, den Kawashima an den äußersten Rang der Strike Zone setzen sollte. Doch dieses Mal trifft der Ball nicht den Handschuh des Catchers. Es ertönte das typische, satte Klacken, das entsteht, wenn der Ball auf Holz trifft, im Stadion. Der Ball flog in hohen Bogen in Richtung Gegentribüne, verfolgt von über tausend Augenpaaren. Der Outfielder rannte zur Spielfeldbegrenzung, sprang daran hoch, machte sich lang und … konnte den Ball nicht zu fassen bekommen.

Home Run.

Das Publikum tobte, als die Spieler von Osaka Tōin nach und nach die Home Plate durchliefen.

3:3. Der Ausgleich war erfolgt.

Tooru hockte sich wieder hin.

Jetzt nur nicht aus der Ruhe bringen lassen.

Sie standen dem nächsten Batter gegenüber, einem Spieler, der weniger gefährlich ist. Tooru zeigte den nächsten Pitch an. Er beginnt das At-Bat mit einem Strike, doch dann unterlief ihnen der nächste Fehler: Kawashima rutschte der Ball aus den Fingern und er traf den Batter an der Schulter. Nach den Spielregeln durfte der Batter vorrücken. Er war auf der erste Base.

Kurz darauf folgten die nächsten Fehler. Kawashima schien durch den Home Run vollkommen verunsichert und warf beim nächsten Batter vier Bälle. Er durfte auf die erste Base, während der andere Läufer zur zweiten Base vorrückte.

Kurzerhand forderte Tooru ein Timeout und trappte in Richtung Wurfhügel.

„Der Home Run lässt sich nicht rückgängig machen“, erklärte er und drückte die Schulter seines Pitchers. „Es war auch mein Fehler. Jetzt müssen wir uns darauf konzentrieren, dass wir die drei Outs holen. Ein Out nach dem anderen, ja?“

Kawashima nickte.

„Vertrau mir, ich habe die Läufer im Blick. Konzentrier dich nur auf den Batter.“

„Wie geht es dir?“

„Gut“, erklärte er und lächelte. „Noch besser, wenn wir drei Outs haben.“

„Du zitterst“, gab Kawashima mit ernster Miene zurück. „Deine Arme zittern.“

„Mach dir keine Gedanken.“ Tooru verstärkte den Druck auf der Schulter seines Battery-Partners. „Ich werde deine Bälle fangen.“

Tooru ging zurück zur Home Plate. Eins musste er Kawashima zusprechen. Der Pitcher hatte ein Gespür für seine Mitspieler entwickelt. Dass ihm auffallen würde, wie sehr in das Spiel bereits jetzt zusetzte, das hatte er nicht geglaubt. Es war wohl sein schlechtestes Spiel seit langem. Er konnte sich kaum konzentrieren, fühlte sich schwach und unfähig. In den bisherigen Spielminuten hatte er so viele Fehler gemacht, wie sonst nicht in kompletten Spielen.

Konzentrier dich, konzentrier dich, konzentrier … der Ball flog zu hoch und Tooru musste sich aufrichten. Ein Fehler. Für einen winzigen Augenblick wurde ihm durch die schnelle Bewegung schwarz vor Augen, der Ball streifte seinen Handschuh und ging an ihm vorbei in Richtung Wand. Er sprang auf, dem Ball hinterher. Im gleichen Augenblick ergriffen die Läufer die Gelegenheit und rutschen jeweils eine Base vor.

Ein Out und zwei Läufer in einer guten Position, um Runs zu holen. Es war wirklich nicht sein Spiel. Sein Herzschlag beschleunigte sich immer mehr, die Angst zu versagen stieg. Würden seine Fehler dafür sorgen, dass sie im Koshien vor dem Finale scheiterten? Sie hatten es so weit gebracht, starke Spiele gezeigt und von sich Reden gemacht. Dass konnte doch nicht alles schon vorbei sein? Tooru wehrte sich gegen diesen Gedanken. Er würde nicht noch einen Run zulassen! Sie würden die zwei Outs sammeln, ohne das der Gegner noch einmal die Home Plate erreichte.

Den nächsten Mal platzierte Tooru mitten in der Strike Zone. Ein Fehler, denn darauf schien der Batter nur gewartet zu haben. Er traf den Ball und schlug ihn flach übers Feld, genau in den freien Raum zwischen zwei Feldspielern. Diese haben keine Chance, den Ball schnell genug aufzuhalten. Als der Ball wieder in Toorus Handschuh landete, war der Run schon verbucht: 4:3.

Das Inning endete mit einer 5:3-Führung für Osaka Tōin. Schwer atmend und völlig erschöpft machte sich Tooru mit gesenktem Kopf zurück zum Dugout. Er hatte versagt und in einem Inning fünf Runs zugelassen.

Als der erste Schlagmann seines Teams auf das Spielfeld trat, suchte er das Gespräch mit dem Trainer. Er hatte in den letzten Minuten eine Entscheidung getroffen.

„Coach“, begann er und merkte, wie ihm die Stimme versagte. „Ich … für das nächste Inning. Ich denke, dass es besser wäre, wenn Sie mich auswechseln.“

Die Augen des Trainers weiteren sich, dann nickte er bedächtig. „Sie hatten es auf dich abgesehen.“

„Ja“, antwortete Tooru. „Ich habe es zu spät gemerkt, sonst hätte ich diesen Ausgang vielleicht verhindern können.“

„Ich dachte auch, dass sie Kawashima müde machen wollen.“ Er spürte die starke Hand des Trainers auf seiner Schulter. „Du hast alles gegeben, ruh dich aus.“

Tooru verschwand denn schnell in der hintersten Ecke des Dugouts. Er schämte sich für die Performance, die er abgeliefert hatte. Seine Aufgabe war das Team zu führen und nun trieb er in den Untergang. Er griff nach einem Handtuch und warf es sich über den Kopf. Ein Kloß bildete sich in seinem Hals, doch er konnte die Tränen der Enttäuschung gerade noch zurückhalten.

Er hob seinen Kopf und sah, mit den Händen auf den Knien, auf das Feld. Würde es seiner Mannschaft gelingen die verlorenen Runs wieder rauszuholen? Er hoffte es. Er hoffte, dass seine Fehler nicht das Ende der Turnierphase bedeuteten.

„Nakamura.“ Satoki setzte sich neben ihn und legte die Hand zwischen seine Schulterblätter.

„Das war eine armselige Vorstellung, was?“, presste Tooru leise heraus. „Es tut mir leid.“

„Ich verspreche dir, wir werden das Spiel gewinnen.“ Satokis Stimme war stark, voller Überzeugung. „Ich kämpfe für dich mit, das hier ist unser Traum von Koshien.“ Ein lautes Lachen ertönte. „Den können wir doch nicht schon vor dem Finale enden lassen, oder?“

Tooru wusste nicht, was er darauf hatte antworten sollen und kurz darauf verschwand sein Freund in Richtung Battersbox, um einen Hit zu landen.

Runs gab es für Komae in diesem Inning dennoch nicht und auch die darauf folgenden Innings blieben sie ohne Punkte. Immerhin gelang es aber auch ihrem Gegner nicht mehr die Läufer bis nach Hause zu bringen.

Mit jedem vergangenen Inning wuchs in Tooru die Anspannung und als das neunte Inning anbrach, hatte er das Gefühl, als würde das Herz im gleich aus dem Brustkorb springen. Kawashima stand ganz vorne im Dugout und feuerte die Nummer eins ihrer Mannschaft an. Yamada war im vierten Inning auf das Feld gekommen und hatte den Gegner mit seinen schnellen Fastballs in Schach gehalten.

Zwei Outs, ein Läufer auf der ersten und dritten Base, nächster Batter würde ausgerechnet Hayashi sein. Tooru ging im Kopf die Optionen durch, die sie hatten. Zweimal hatte Yoshida ihn in den letzten Innings dazu entschieden, sich ihm nicht direkt zu stellen und hatte vier Bälle gefordert, wodurch Hayashi auf die erste Base vorrücken durfte. Diese Möglichkeit gab es jetzt nicht, da ein Läufer auf der dritten Base stand. Er würde bei einem Walk bis zur Home vordringen.

Der erste Pitch landete knapp außerhalb der Strike Zone und wurde als Ball gewertet. Der zweite Pitch war mittiger angesetzt und hatte eine gute Qualität, doch Hayashi ließ sich davon nicht beeindrucken. Er schlug ihn weg, als gäbe es nichts Leichteres. Tooru war aufgesprungen, stand am Rand der Dugout und folgte dem Ball mit seinen Augen. Er landete weit im Outfield und ein Run war nicht mehr zu verhindern gewesen. Jetzt galt es irgendwie zu verhindern das die anderen Läufer auf dem Feld auch noch Runs machen konnten. Dann würde alles vorbei sein und sie hätten keine Chance mehr diesen Rückstand aufzuholen. Als der Outfielder den Ball aufhob, war Hayashi zur zweiten Base unterwegs, sein Teamkollege zur dritten.

„Back Home!“, schrie Tooru aus voller Kehle. Sie durften keinen weiten Run zulassen. Sie mussten jetzt das Out bekommen. Es würde klappen. Der Outfielder war für seinen starken Wurfarm bekannt, hatte ihm nicht nur einmal von weit hinten im Feld den Ball sauber in den Handschuh gespielt. Er hielt den Atem an.

Bitte, ein Out. Wir brauchen ein Out. Komm schon …

„Out!“

Tooru ballte die Hand zur Faust. Jetzt hatten sie noch eine Chance. Es war nicht unmöglich zwei Runs aufzuholen. Sie könnten es schaffen – irgendwie.

Xxx führte 6:3, als Komae in der zweiten Hälfte des Innings wieder am Schlag war. Sie bräuchten drei Runs, damit es Extrainnings gab und drei Runs, um am Ende des Spiels als Teilnehmer des Finals festzustehen. Sie waren wieder am Anfang ihrer Batter-Reihenfolge angekommen. Keine schlechten Voraussetzungen, um die Runs zu holen.

Ein lautes Lachen tönte durch den Dugout.

„Lasst sie uns schnappen!“, rief Satoki und griff nach seinem Schläger. „Wir zeigen denen, aus welchem Holz wir geschnitzt sind.“

Er lief dicht an Tooru vorbei. „Mach dir keine Sorgen, wir holen dir den Sieg“, raunte er ihm leise zu und trat dann auf das Feld.

Satoki war der Mannschaft ein Vorbild. Der Shortstop legte sich gleich in den ersten Pitch hinein, machte einen Bunt und drang bis zur ersten Base vor. Sein Blick ging in Richtung Dugout und er hob die Faust.

Der nächste Spieler stand bereits in der Battersbox. Tooru sah wie gebannt auf das Duell. Tian Aoki galt nicht gerade als Power-Hitter, er hatte ihn aber im Training auch schon richtig weite Bälle schlagen sehen. Im Spiel wurde Aoki hingegen oft seine Nervosität zum Verhängnis.

Der erste Pitch kam hoch und schnell, so dass Aoki vollkommen überrascht war und etwas zurück wich. Der zweite Pitch war ein Called Strike, der deutlich niedriger angesetzt worden war. Der dritte Pitch war ein Changeup, der Aoki in die Irre führen sollte, doch er schaffte es einen Foulball daraus zu machen.

Der Count sah gut aus: Zwei Bälle, ein Strike.

Tooru hielt bei jedem Pitch den Atem an. Er betete dafür, dass Aoki den Ball treffen würde und auf die erste Base kam. Der Count wurde immer mehr in die Höhe getrieben. Keiner der beiden Spieler war gewillt aufzugeben. Inzwischen waren schon sechs Pitches geworfen. Drei Balls, zwei Strikes, dazu ein Foul. Die At-Bat wurde zu einem hochdramatischen Duell und Tooru zu einem nervlichen Wrack.

Hau den Ball weg, hau den Ball weg …

Der siebte Pitch war ein Fastball und in letzten Moment riss Aoki den Schläger herum und hämmerte den Ball weg. Toorus Augen weiteten sich. Der Ball nahm immer mehr an Geschwindigkeit zu und flog über die Begrenzung.

Home Run. Es stand 6:5.

Als Satoki und Aoki an die Dugout zurückkehrten, wurden sie mit Handschlägen auf die Schulter und viel Lob empfangen. Sie mussten nur noch einen Run holen, dann würden sie gleichziehen. Mit Anspannung sahen die Spieler auf das Feld, wo der dritte Spieler in die Battersbox getreten war und sich ein hartes Duell mit dem Pitcher lieferte. Und dann geschah es. In seinem dritten Pitch, traf der Pitcher den Batter und er durfte auf die erste Base vordringen.

Unmittelbar darauf schritt der Trainer von Osaka Tōin ein und forderte einen Spielerwechsel. Es kam ein neuer Pitcher. Einer, der zwar über weniger Erfahrung verfügte, allerdings für seinen hässlichen Slider bekannt war. Es würde keinesfalls einfacher werden, auch wenn sie den Ace nicht mehr auf dem Feld stehen hatten.

Tooru lehnte sich über die Brüstung und erwartete mit Spannung das nächste Duell. Was würde die Battery gegen ihren Cleanup entscheiden? Die Bases waren leer, also könnten sie einen Walk verkraften, um sich dann auf den nächsten Spieler zu konzentrieren. Der gegnerische Catcher sah zu seinem Trainer hinüber, dann wandte er sich wieder dem Pitcher zu und nickte. Es sah danach aus, als würde man sich tatsächlich dem Cleanup stellen. Eine schlechte Idee, wie sich kurz darauf herausstellte. Der Batter knallte sofort den ersten Pitch weg und rannte bis zur ersten Base vor.

Eine respektable Leistung.

Dann schien der Pitcher langsam in den Tritt zu kommen. Er warf schnelle Fastballs und ab und an Slider und erzielte zwei Strikeouts in Folge.

Zwei Outs, Läufer auf der ersten und zweiten Base.

Tooru meinte, dass sein Herz immer schneller schlug. Das Spiel schien kein Ende zu nehmen und im Augenblick, da wollte er auch nicht das es endete. Ein weiteres Out würde ihr Turnier-Aus bedeuten.

Ihr nächster Batter trat an die Plate und Tooru hielt den Atem an, als der erste Pitch geworfen wurde. Jetzt kam es darauf an, wie der Schiedsrichter entschied, denn der Ball flog ganz nah an der Strike Zone vorbei. Würde er ihn als Strike zählen oder war es der erste Ball des Pitchers in dieser At-Bat?

„Strike!“

Nur kurz danach folgte der zweite Strike.

Bitte kein Dritter, bitte kein Dritter …

„Ball!“

Er atmete auf.

Der nächste Pitch war ein Slider, den der Schlagmann schließlich zwischen die erste und zweite Base pfefferte.

Tooru umgriff das Geländer des Dugout fester und seine Fingerknochen wurden bereits weiß. Sie mussten diese Situation einfach nutzen und einen weiteren Punkt holen. Die Chance auf das Finale war da, die konnten sie doch nicht einfach so verstreichen lassen.

Mit Sedo Fukuda trat ihr nächster Spieler in die Battersbox und einmal mehr hieß es Pitcher gegen Schlagmann. Wer würde dieses Mal siegreich aus dem Duell hervorgehen?

Im ersten Pitch warf der Pitcher einen Fastball, der weit rechts landete. Der Schiedsrichter zeigte einen Ball an. Im zweiten Pitch folgte ein Slider, denn der Gegner sauber in die Strike Zone platzierte. Fukuda erneuerte den Griff um den Schläger, wirbelte mit seinem rechten Fuß Staub in der Battersbox auf, um seinen Stand zu verbessern und dann schlug er zu! Er knallte den Ball bis ins Outfield.

Was danach passierte, war wie ein Rausch. Zwei der Spieler schafften es bis zur Home Plate und sie lagen plötzlich in Führung.

6:7. Ihnen war das Finale nicht mehr zu nehmen. Die Läufer kamen zur Dugout und man fiel sich in die Arme. Der Pitcher der gegnerischen Mannschaft war gebrochen und man brachte das Spiel mit 6:8 zu Ende.

 

Zwischenkapitel

54

30. März

„Ball!“

Tooru ballte die Faust und knallte sie auf die Absperrung des Dugout. Sie hatten einen strengen Schiedsrichter erwischt. Immer und immer wieder lautete sein Urteil „Ball“, wenn Yamada einen Pitch an den äußersten Rand der Strike Zone setzte.

„Das war ein verfluchter Strike!“, schimpfte Kawashima neben ihm. „Ist der denn blind?“

„Es sind Pitches, bei denen es auf den Schiedsrichter ankommt. Der hier ist einer der besonders strengen Sorte.“

Wieder ertönte das ungeliebte Wort Ball durch das Stadion.

Sie waren im achten Inning und bisher hatte Chiben Gakuen die besseren Karten auf den Titel. Sie hatten in den ersten vier Innings, in denen Kawashima gepitcht hatte, zwei Runs machen können. Seit dem fünften war ein weiterer hinzugekommen. Komae hingegen stand noch immer ohne Runs da. Der gegnerische Ace machte ihnen Schwierigkeiten und sie hatten sich schwer getan überhaupt einen Hit zu landen. Er warf wie Yamada an den Rand der Strike Zone, doch eben nicht ganz so weit. Es waren wenige Zentimeter, die den Unterschied zwischen einem Strike und einem Ball machten. Zu ihrem Nachteil.

„Ball. Four Ball!“

Der Batter wurde mit einem Walk auf die erste Base geschickt. Toorus Herz begann aufgeregt in seiner Brust zu hämmern. Alle Bases waren gefüllt und sie hatten erst ein Out in diesem Inning holen können. Es war Zeit, dass sich das Spiel endlich zu ihren Gunsten drehte, wenn sie noch eine Chance auf den Titel haben wollten. Und nach allem, was sie durchgemacht hatten, da wollte er diesen Titel.

„Ball!“

Der Count der nächsten At-Bat begann erneut, gegen sie zu arbeiten. Gebannt sah er auf die Home Plate und hoffte auf einen Fehler des Batters. Am liebsten würde er zu Yoshida und Yamada hinstürmen und ihnen sagen, was sie verdammt noch einmal jetzt zu tun hatten. Es gab nur eine Möglichkeit, um diese ständigen Ball-Rufe verstummen zu lassen. Wieso wollten sie darauf einfach nicht kommen?

Der Batter holte aus und attackierte den Ball, der etwas weiter im inneren der Strike Zone landete, verfehlte ihn aber.

„Strike!“

Es sollte bei diesem einen Strike bleiben, denn den nächsten Pitch knallte der Batter ganz nah an der Foullinie ins Innfield hinein und ermöglichte damit einen weiteren Run für Chiben Gakuen.

Ein Out, Läufer auf allen drei Bases. Sie standen weiterhin mit dem Rücken zur Wand.

Der nächste Schlagmann pfefferte einen Aufsetzer in Richtung Shortstop. Satoki retournierte den Ball ansatzlos zurück zur Home Plate und machte einen zweiten Spieler out. Yamada wollte den Ball weiter werfen zur ersten Base, doch er zögerte einige wichtige Sekunden zu lange. Ihnen war kein weiteres Out gelungen, sie müssten weiter kämpfen.

Tooru seufzte laut auf. Hätte der Catcher nicht gezögert, dann hätten sie jetzt schon drei Outs zusammen. Doch nach seinem fürchterlichen Auftreten im letzten Spiel war er wohl der Letzte, der sich beschweren durfte.

„Jetzt läuft es, ich bin mir sicher, dass wir gleich drei Outs haben“, sagte Kawashima neben ihm und schien sich dabei noch weiter aus dem Unterstand zu lehnen.

Der nächste Batter schlug den Ball hoch, aber nicht weiter, was keine Probleme bereitete. Der Baseball wurde von einem der Feldspieler gefangen und von Applaus begleitet trabten die Spieler von Komae vom Feld in Richtung Spielerbank.

Tooru sah Yamada und Yoshida finster an.

„Was?“, grummelte der Pitcher, der sofort zu erkennen schien, was ihm nicht geschmeckt hatte. „Ich kann nichts dafür, wenn der Kerl eine neue Brille braucht!“

Tooru verschränkte die Arme vor der Brust. „Wenn er alle deine Strikes als Balls zählt, gibt es nur eine Möglichkeit. Du musst einfach direkt ins Zentrum werfen.“

„Was?“ Yoshida schüttelte ungläubig den Kopf. „Das kann nicht dein Ernst sein, Nakamura.“

Tooru kicherte. „Oder seid ihr zu ängstlich, um nicht in die Ecken der Strike Zone zu werfen?“

„Du hast gut reden, du stehst nicht auf dem Feld!“, wehrte sich Yoshida sofort.

Das Grinsen in Toorus Gesicht verschwand nicht. Gerade würde er alles dafür geben, wenn ihn der Trainer trotz allem auf das Feld lassen würde. Er liebte solche Situationen, dieser Nervenkitzel war unbeschreiblich. „Was spricht gegen einen echten Showdown?“, hakte er nach.

„Sie werden unsere Pitches wegschlagen.“

„Dann liegt es an uns Feldspielern, sie Out zu machen“, warf Satoki ein und grinste nun ebenfalls.

Tooru atmete auf. Immerhin schien einer seine Intention begriffen zu haben.

„Alle von ihnen? Bist du ...“, setzte Yamada an, doch Satoki unterbrach ihn: „Ja, alle von ihnen.“

„Glaub mir, es wird klappen.“ Tooru legte seine Hand auf Yoshidas Schulter. „Zumal deine Fastballs viel schneller sind, wenn du nicht auf die Kontrolle achten musst. Einfach flott in die Mitte und ich verspreche dir, es wird keine Runs mehr geben im nächsten Inning.“

Yamada sah zum Trainer.

„Nakamuras Strategie hat ein hohes Risiko“, stimmte Okada zu und fuhr sich über das Kinn. „Allerdings müssen wir jetzt Risiko gehen, wenn wir noch was aus diesem Spiel herausholen wollen. Versucht es im nächsten Inning mit Nakamuras Strategie.“ Er nickte Richtung Feld. „Erst einmal heißt es aber Runs zurückholen!“


Zweite Hälfte des achten Innings. Zwei Outs, ein Läufer auf der zweiten Base. Sie hatten in der Offensive noch keinen Run holen können, liefen Gefahr, dass sie auch dieses Inning mit einer dicken Null in der Anzeigetafel beenden würden.

Ihr Clean-up-Hitter war an der Reihe und es geschah das, womit Tooru gerechnet hatte. Der Catcher des Gegners ging kein Risiko ein und ließ den Pitcher einige Bälle außerhalb der Strike Zone werfen. Der Schiedsrichter rief „Ball four!“ und der Clean-up lief langsam zur ersten Base.

Der fünfte Hitter des Line-ups war an der Reihe. Der erste Pitch war ein Wild Pitch, der vom Boden abprallte, ehe der Catcher in fangen kann. Der Ball rollte einige Meter weg, sodass Satoki zur dritten Base sprinten kann. Der Clean-up nutzte die Chance ebenfalls und rannte zur zweiten Base.

Das war die größte Chance der letzten Innings.

Komm schon, komm schon, ein Run, ein Run, ein Run …

Der nächste Pitch war ein Fastball mitten in die Strike Zone, der Schlagmann schwingt, trifft und schlägt einen harten Ground Ball zur dritten Base. Der dritte Baseman bekommt ihn nicht sauber zu packen, ließ ihn fallen und als er schließlich zur ersten Base wirft, ist es zu spät. Alle Bases waren geladen.

Tooru verfolgte, wie der Catcher ein Timeout anforderte und zum Wurfhügel rannte. Er grinste schief, als er das nervöse Gesicht des Pitchers sah. Endlich schien der Kerl ins Schwitzen zu kommen, nachdem er ihn die letzten Innings so viele Probleme bereitet hatte. Er hatte sich den Ace von Chiben Gakuen genau angesehen und dabei war ihm eine Sache aufgefallen: Er hasste es wenn alle Bases geladen waren. Das war der Moment, in dem er unruhig wurde und zu Fehlern neigte.

Hoffentlich auch heute.

Der Pitcher blickte den Batter mit versteinerter Miene an und wirft den Ball mit aller Kraft in Richtung Plate. Der dritte Pitch ist ein Fastball und der Batter knallt ihn mit einem weiten Schwung einfach weg. Tooru folgt dem Ball mit seinen Augen und verfolgt, wie der Ball über die Begrenzung fliegt. Ein Home Run, wie er im Buche steht. Dafür gibt es vier Runs. Plötzlich sind sie wieder mitten im Spiel.

Nach dem dritten Out wurde gewechselt. Seine Teamkameraden legten die Schläger weg und nahmen die Handschuhe.

„Denk daran, was ich gesagt habe“, raunte Tooru Yoshida zu. „Immer in die Mitte. Es wird klappen, keine Angst.“

„Ja doch!“

Yamada war von seiner Taktik weiterhin wenig angetan, doch da auch der Trainer zugestimmt hatte, würde ihm keine andere Möglichkeit bleiben.

Tooru umklammerte das Geländer vor dem Unterstand so fest, dass seine Fingerknochen bereits weiß anliefen. Er war gespannt, ob seine Taktik aufgehen würde. Jetzt war ihre Chance, dem Gegner einen weiteren Schlag zu versetzen. Dass sie im letzten Inning auf einen Schlag vier Runs geholt hatten, machte die ganze Sache sogar noch einfacher.

Der erste Schlagmann von Chiben Gakuen trat in die Batters-Box und machte sich bereit. Wie sie es besprochen hatten, warf Yamada drei schnelle Fastballs in die Mitte der Strike Zone. Der Batter geht den Ball dreimal an, verfehlt ihn aber jedes Mal. Das erste Out. Der zweite Batter schlägt den Ball in Richtung Satoki, der den Ball sauber fängt. Das zweite Out.

Toorus Lächeln wurde breiter. Genau so hatte er sich das vorgestellt! Ihr Konkurrent schien von der Kaltschnäuzigkeit überrumpelt und so hatten sie schnell zwei Outs sammeln können. Eins fehlte noch, dann würden sie wieder in der Offensive sein.

Der dritte Batter stand bereit, doch auch für ihn gab es nichts zu holen. Yamada gelang das zweite Strikeout des Innings und sie hatten drei Outs gesammelt.


Erste Hälfte, neuntes Inning. Ein Out, ein Läufer auf der zweiten Base. Der Pitcher der gegnerischen Mannschaft tat sich immer schwerer und immer wieder landete der Pitch außerhalb der Strike Zone. Sicher würde es nicht mehr lange dauern und der Trainer würde sich dazu entscheiden seinen Ace vom Feld zu holen. Zu groß war das Risiko, dass er zum Ende des Spiels einen wichtigen Run verschenken würde.

Sie waren am Ende der Batter-Reihenfolge angekommen und Yoshida stand in der Battersbox. Der Pitcher holte kraftvoll Schwung und schleuderte einen Fastball in Richtung des Yoshida.

Noch ehe der Ball an der Plate ankam, setzte Toorus Herzschlag aus. Der Pitch war viel zu weit außerhalb, steuerte direkt auf den Körper des Catchers zu. Yoshida wollte ausweichen, doch es schien ihm nicht zu gelingen und ein Schmerzensschrei hallte durch das Stadion. Es gab eine Spielunterbrechung und der Trainer eilte zur Home Plate. Tooru konnte nicht ausmachen, was sie sagten, doch Yoshida schien weiterspielen zu wollen und wurde unmittelbar darauf auf die erste Base geschickt.

Als Okada zurückkam, war seine Stirn in Falten gezogen.

„Wie schlimm ist es?“, fragte Kawashima. „Wo hat er ihn getroffen?“

„Am Handgelenk. Er will diese Hälfte noch beenden, doch die Schmerzen sind wohl zu groß, als dass er noch die zweite Hälfte des Innings spielen kann“, gab der Trainer Antwort und sah dann Tooru an. „Kannst du das Inning zu Ende bringen?“

Er nickte selbstbewusst. Für dieses eine Spiel könnte er sich noch zusammenreißen. Das Team war jetzt wichtiger. Heute ging es um alles. Sie waren so nah dran, den Titel zu holen, da würde er noch einmal alles aus seinem geschundenen Körper herausholen können.

„Dann wärm dich bitte auf.“ Der Trainer drückte seine Schulter. „Ich zähle auf dich!“

Als Tooru in der zweiten Hälfte des neunten Innings auf das Feld kam, stand es 5:4 zu ihren Gunsten. Jetzt galt es, diesen Stand abzusichern und das Spiel sicher nach Hause zu bringen. Bevor der erste Batter an die Plate trat, hatte man ihnen einige Probewürfe gewehrt. Es war lange her, seit Tooru gemeinsam mit Yamada eine Battery gebildet hatte und dementsprechend nervös war er. Doch wenn der Trainer vertrauen in ihn hatte, wollte er ihn nicht enttäuschen.

Tooru lächelte Yamada zu und zog dann die Geschichtsmaske hinunter, um sich hinter die Home Plate zu hocken. Alles, was ihnen zum Titel noch fehlte waren drei Outs. Er zeigte seinem Pitcher an, dass er wie im vorherigen Inning genau in die Mitte werfen sollte und Yamada kam seiner Bitte nach. Der ersten beiden Pitches waren Strikes ohne dass der Batter schlug. Im dritten Pitch holte ihr direkter Konkurrent aus und knallte den Ball weit bis ins Outfield, wodurch es schaffte gleich zur zweiten Base vorzudringen. Nicht optimal, aber noch hatten sie alles im Griff. Er hatte damit gerechnet, dass man in diesem Inning die Fastballs angehen würde, wo sie doch nur in die Mitte warfen. Doch er hatte von Anfang an nicht geplant, diese Taktik beizubehalten.

Im nächsten Pitch forderte er einen Curveball an den linken Rand der Strike Zone. Als der Ball in seinem Handschuh landete, wartete Tooru gespannt auf das Urteil des Schiedsrichters an der Plate.

Komm schon, sag es, sag es …

„Strike!“

Ein schiefes Lächeln schmückte sein Gesicht, als er den Baseball zurück zu Yamada warf. Genau darauf hatte er gehofft. Der Schiedsrichter stand Yamada nach der Reihe von Strikes nun wohlgesonnener gegenüber und so entschied er auch bei knappen Bällen zu Strikes. So was hatte er schön öfter erlebt und zum Glück hatte es auch heute zugetroffen. So hatten sie nun deutlich mehr Möglichkeiten. Im nächsten Pitch forderte er einen Fastball ganz nah an den Körper des Batters.

„Strike!“, ertönte es hinter ihm.

Den nächsten Pitch konnte der Schlagmann wegschlagen, er landete jedoch hinter der Foul-Linie. Die At-Bat lief weiterhin zu ihren Gunsten. Tooru dachte über den nächsten Spielzug nach, ohne den Batter auf der zweiten Base außer Acht zu lassen. Allerdings schien der im Augenblick auch nicht gewillt, zu versuchen die dritte Base zu stehlen.

Für den nächsten Wurf forderte er einen weiteren Fastball. Yamada wirft hart, allerdings nicht sauber. Schon im Flug, ahnte er, was als nächstes passieren würde. Der Batter schwang, traf den Ball sauber und schlug einen Ground Ball zwischen die zweite und dritte Base. Satoki fing den Ball mit den Handschuh, ging in Wurfposition und warf den Ball zu ersten Base, wo der ersten Baseman schon darauf wartete.

Der Spieler war schnell und bevor der Ball im Handschuh des ersten Baseman landete, erklärte ihn der Schiedsrichter für „Safe!“.

Ein Out, Läufer auf der dritten und ersten Base.

Tooru entschied sich, die nächste At-Bat abermals mit einem Fastball zu beginnen, den Yamada in der Mitte platzieren sollte. Der Pitcher nickte ihm zu und hämmerte ihm einen sauberen und schnellen Pitch hin. Sein Blick ging in Richtung Anzeigetafel und er Wert bestätigte, was er vermutet hatte, dass war der schnellste Pitch, den Yamada in diesem Spiel gezeigt hatte. Er warf den Ball zurück und hockte sich wieder hin. Mit einem Blick nach oben, prüfte er, ob der Fastball das erreicht hatte, was er sollte. Zufrieden stellte er fest, dass der Batter ein paar Schritte zurück wich.

Für den zweiten Wurf forderte er einen ebenso schnellen Fastball weit außen.

Ein Ball, ein Strike.

Er hatte gedacht, dass der Batter diesen Pitch niemals erreichen würde, doch da hatte er sich geirrt. Der Schlagmann sprang regelrecht zum Ball, erwischte ihn sauber und schlug ihn bis ins Outfield. Tooru fürchtete schon das schlimmste, doch der Ball landete im Handschuh seines Mitspielers und flog schnell zurück in Richtung Home Plate und landete butterweich in Toorus Handschuh.

Drei Outs. Das Spiel war zu Ende.

Sie hatten gewonnen. Die Erkenntnis sickerte nur langsam in sein Bewusstsein, als wäre der Gedanke einfach zu bizarr, um ihn zu akzeptieren. Sie hatten gewonnen. Sie hatten die Koshien gewonnen!

Die Spieler fielen sich um den Hals, nahmen sich Huckepack oder hüpften kurzerhand auf den Pulk von feiernden Körpern.

Satoki klopfte ihn auf die Schulter.

„Und Kapitän, wie fühlt es sich am Ziel angekommen zu sein?“

„Ich … ehrlich gesagt, ist es noch nicht in meinem Schädel angekommen“, antwortete er ohne Stimme.

Satoki lachte laut und zog ihn mit sich in Richtung der Teamkollegen.

„Wer hätte das gedacht, was? Das du hier stehen würdest und mit mir die Meisterschaft feiern?“

Tooru lächelte. Ja, wer hätte nach den schweren, letzten Monaten damit gerechnet, dass er es bis zu den Koshien schaffen würde? Und nicht nur das, sondern, dass er auch den Titel holen würde.

Die Siegerehrung nahm er wie im Rausch wahr und auch als zahlreiche Journalisten auf sie einstürmten, fehlten ihm die Worte. Er wusste nicht, was er antwortete, doch es schien die Pressemeute zufriedenzustimmen.

Erst Stunden später, als er im Hotel unter der Dusche stand, da begriff er, was heute geschehen war. Ihm war das gelungen, von dem viele Jugendliche in seinem Alter träumten. Er lehnte den Kopf gegen die Fliesen und ließ das kalte Wasser über seinen Kopf fließen.

Er hatte mit seinem Team die Koshien gewonnen.

 

55

31. März


Tooru schulterte seine Tasche und sah zu Kawashima hinüber. Der Jüngere drehte einen Baseball zwischen den Fingern und strahlte über beide Ohren. Die Wut über seine Fehler in dem letzten Spiel, die in bei der Siegesfeier in der letzten Nacht geplagt hatten, schienen endlich verflogen.

Er drehte sich zu dem Jüngeren um.

„Habe ich dir eigentlich schon gedankt?“, fragte er flapsig.

Kawashima zog die Augen zusammen. „Wofür solltest du mir danken?“

„Für die letzten Monate. Ohne dich und Satoki hätte ich es sicher nicht hierher geschafft. Ich bin froh, dass du in den meisten Koshien-Spielen mein Battery-Partner warst.“

Kawashima sah verlegen zur Erde. „Quatsch! Du hättest es sicher auch ohne uns hierher geschafft und es gibt sicherlich auch leichtere Aufgaben, als so einen Pitcher wie mich zu führen und …“

„Es ist mein erst“, unterbrach ihn Tooru. „Ich bin euch wirklich dankbar.“

Tooru schubste den Pitcher sanft in Richtung Mannschaftsbus. „Und nun komm, die warten sicherlich nicht ewig.“

„Ist ja gut, ist ja gut.“

Die Rückfahrt nach Tokio verlief ruhig. Kawashima saß gemeinsam mit Yamada in der drittletzten Sitzbank, Satoki und Tooru in der vorletzten. Tooru hatte den Kopf an die Scheibe gelehnt und die Augen geschlossen. Es waren etwas mehr als drei Stunden bis Tokio, vielleicht könnte er ja etwas Schlaf finden. Er war verdammt erschöpft. Als er am morgen aufgestanden war, hatte er jedes Spiel der letzten Tage in den Knochen gespürt und war sich sicher, dass wenn ein weiteres Spiel anstehen würde, er es nicht einmal über ein Halbinning schaffen würde.

„Hast du in den letzten Tagen eigentlich mit Ayano gesprochen?“

Satoki hielt nichts von seinem Plan.

Tooru öffnete die Augen und sah nach rechts. „Sicher, als würde sie mich für nur einen Tag in Ruhe lassen.“

„Und?“

„Wie und?“ Tooru zuckte mit den Schultern. „Ich habe ihr gesagt, wie die Spiele gelaufen sind und sie hat mir viel Glück für das nächste Spiel gewünscht.“

„Das ist alles?“

„Was sollte da sonst noch sein?“

„Nakamura-Senpai!“ Kawashima lehnte sich über die Sitzlehne. „So blind bist doch nicht einmal du. Komm schon, du und Yui ihr habt doch in den letzten Wochen immer zusammengehangen. Da ist doch mehr!“

„Psst, es muss nicht der ganze Bus mitbekommen!“

„Wir sind ein Team! Einer für alle, alle für einen – verstehst du!?“

Tooru hielt Kawashima die Hand vor den Mund. „Sei ruhig!“

Kawashima griff nach seinem Handgelenk und zog sie zurück. „Bäh, Nakamura-Senpai, so bekomme ich keine Luft!“

„Hahaha, nicht das der beste Pitcher Komaes erstickt!“ Tooru kicherte und lehnte sich dann wieder in seinem Sitz zurück und schloss die Augen.

„Immer bist du am schlafen!“, ertönte es von vorne. „So langweilig!“

„Beschäftige dich mit Yamada“, grummelte Tooru zurück.

„Sehr lieben Dank auch“, beschwerte sich der Genannte. „Ich weiß überhaupt nicht, womit ich diese Strafe verdient habe.“

„Du warst drei Minuten zu spät“, stellte Satoki fest und lachte laut auf.

„Oi, Ruhe!“ Tooru gab Satoki einen Schlag in die Seite. „Ich möchte schlafen.“

„Ist ja gut, ist ja gut.“


Tooru versuchte zu schlafen, doch ihm schien die Erholung nicht vergönnt. Immer und immer wieder vibrierte in seiner Hosentasche das Smartphone unangenehm und schließlich gab er auf die lästigen Mitteilungen zu ignorieren und zog das Gerät aus der Tasche.

Drei SMS von Yui. Hätte er sich ja denken können, dass sie nicht abwarten könnte, bis er wieder zu Hause war. Sie fragte, wie die Busfahrt war und wie lange das Team noch brauchen würde, bis sie in Komae ankamen. Er tippte schnell eine Antwort und stellte dann das Vibrieren des Smartphones aus. Sein Blick ging aus dem Fenster.

In ihm breitete sich ein flaues Gefühl aus. Plötzlich konnte er es gar nicht erwarten, dass sie wieder an der Schule waren. Eine plötzliche Sehnsucht nach Yui überkam ihn und er wünschte sich, dass er Bus schneller fahren würde. Wie lange dauerte es noch, bis sie wieder in Tokio waren? Er schätze drei Stunden.

Tooru öffnete erneut das Postfach und tippte eine neue SMS.

Ich freue mich auf dich.

Sein Herz klopfte schneller, während er das Handy umklammerte und auf Yuis Antwort wartete.

Endlich!

Ich mich auch, Champ. Ich warte in der Bullpen auf dich.

Er konnte sich das Lächeln nicht verkneifen. So eine Antwort war wirklich typisch für Yui.


Es hatte knapp sechs Stunden gedauert, dann machte der Bus vor ihrer Schule halt. Der Empfang war groß, doch gerade in diesem Augenblick interessierte ihn das nicht. Er kämpfte sich durch die Menschenmassen und stahl sich in die Bullpen hinein.

Yui stand da und lächelte verlegen.

„Hallo, Yui.“

„Hallo“, erwiderte sie, während er auf sie zuging.

Sie standen sich schweigend gegenüber und er spürte die Nervosität in sich aufsteigen.

„Du bist doch sonst nicht so schüchtern, komm her!“

Yui machte einen Schritt auf ihn zu, legte ihm die Arme um den Hals und drückte ihn an sich. Er konnte ihr Parfüm riechen. Süßlich und weich.

„Ich habe dich vermisst! “, flüsterte sie ihm ins Ohr.

„Ich dich auch“, brachte er leise hervor und spürte kurz darauf Yuis zarten Lippen auf den seinen.

„Bei den nächsten Koshien werde ich dabei sein“, hauchte sie und gab ihm einen weiten Kuss.




-FIN-




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Tag der Veröffentlichung: 01.08.2017

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