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anne presste seiner Geisel das Messer an den Hals und führe sie in eine alte schäbige Lagerhalle. Zentimeterdicker Staub lag auf dem Fußboden. Es roch nach feuchter, abgestandener Luft und nach Schimmel. Die eingeschlagenen Fenster waren mit losen Brettern vernagelt. In der Mitte war eine LKW-Plane ausgebreitet, auf der ein Stuhl stand.
Vielleicht hatte er sich doch mit den Falschen angelegt. Er schien mitten in ein Wespennest gestochen zu haben in seiner Recherche. Er hatte endgültig den Mörder seiner Jugendfreundin finden wollen. Deren Ermordung war eine schmerzliche Erinnerung, die er nur schwer aus seinem Kopf streichen konnte. Er erinnerte sich noch an jedes Detail. Er erinnerte sich daran, wie er hilflos auf dem Boden gelegen hatte, festgekettet an einem Stahlpfeiler und ihr nicht helfen konnte, als man sie erst vergewaltigte und dann umbrachte. Ihn hatten sie liegengelassen, neben der Leiche seiner Freundin. Wahrscheinlich waren sie davon ausgegangen, dass er an den Drogen verrecken würde, die man ihm verabreicht hatte. Erst nach zwei Tagen wurde er gefunden. Er hatte sich damals geschworen, dass er ihren Mörder finden würde, doch erst nach nun fast siebzehn Jahren war er auf die Russen gestoßen, die die Unterwelt Helsinkis fest im Griff hatten.
»Du willst mich doch wohl nicht ermorden?«, rief er flapsig in die Halle hinein. Es wäre dumm, sich seine Nervosität anmerken zu lassen. »Ich bin doch nur hier, um mit die über ein mögliches Geschäft zu reden.«
Er vernahm Schritte und eine Person trat hinter einer gemauerten Zwischenwand hervor.
»Man kann nie wissen … ich bin auf alle Eventualitäten vorbereitet.«
Ivanov, der laut seinen Informationen der Boss der Russenmafia war, strich sich über die kurzen grauen Haare und zündete sich eine Zigarre an. Er trat auf ihn zu. »Ich würde vorschlagen, als Erstes lässt du Ilja gehen.«
»Was hätte ich davon?« Janne drückte das Messer etwas fester gegen Iljas Hals.
»Nicht viel … aber ich rede lieber in Ruhe über Geschäfte. Ohne Waffen.«
Janne löste das Messer und warf es auf die Erde.
Seine Geisel riss sich sofort los und stand nun neben Ivanov.
»Dir ist doch klar Ilja, dass dich Ivanov nach diesem Fehler, den du heute begangen hast, nicht lange am Leben lassen wird«, sagte Janne mit einem kleinen Lächeln. »Du hast einen Polizisten hierher geführt.«
Sein Gegenüber antwortete mit einigen Schimpfwörtern auf Russisch, doch Janne konnte sehen, dass ihm die Aussage zu denken gab.
Ivanov trat näher, zog an seine Zigarre und blies den Qualm in sein Gesicht.
»Du willst also Geschäfte mit mir machen. Wieso denkst du, dass du mein Geld wert bist?«
»Ich habe ein gutes Gedächtnis und für dieses bin ich bei der Helsinkier Polizei nicht besonders unbekannt«, antwortete er in einer desinteressierten, monotonen Stimmlage.
»Du willst mich also erpressen?«, stellte Ivanov fest, während er zynisch lächelte.
»Erpressen. Das ist so ein böses Wort. Ich möchte nur, dass du dir darüber Gedanken machst … im Augenblick könnte ich mich noch mit etwas Geld zufrieden geben, aber wenn du nicht willst. Ich kann auch eine Aussage machen, die bis ins kleinste Detail geht.«
Der Blick von Ilja wechselte zwischen ihm und seinen Boss. Seinem Boss, der alles andere als begeistert schien, das vor seinen Augen ein Problem stand.
»Er … er war mit Heroin vollgepumpt. Er kann das überhaupt nicht wissen«, kam es nun unsicher von Ilja.
Ivanov nickte nachdenklich und musterte ihn mit seinen braunen Augen. »Erzähl Junge, was weißt du?«
»Ich habe dich in der Tür gesehen, als Sina ermordet wurde, ich habe gehört, wie du mit Ilja über eine Lieferstraße von St. Petersburg nach Helsinki geredet hast und ich weiß, dass du nun planst nach Deutschland zu expandieren.«
Janne lächelte, als er dadurch Ivanov in Unruhe versetzen konnte. Die Hälfte davon war ausgedacht. Er hatte weder das erste Gespräch belauscht, noch wusste er, dass Ivanov nach Deutschland expandieren wollte. Es waren Tatsachen, die typisch waren für den russischen Drogenhandel. Der Stoff kam meistens aus St. Petersburg und Helsinki galt als wichtiger Hafen ins Ausland.
Ivanov lief vor ihm auf und ab, wechselte mit Ilja Blicke und sah dann wieder ihn an. »Das ist in der Tat einiges, was du weißt. Aber da du ein schlauer Junge bist und ich weiß, dass du einer der Bullen bei der Drogenfahndung warst, die mir wirkliche Probleme gemacht haben ...«, der Russe deutete mit einer Handbewegung das Halsabschneiden an. »… kann ich dich doch nicht gehen lassen, oder? Wenn ich dich hier und jetzt wegschaffe, wäre mein Leben doch viel leichter.«
Janne legte den Kopf schief. »Wer sagt dir, dass ich die Beweise nicht irgendwo deponiert habe. Eine Lebensversicherung sozusagen.«
»Ich gehe davon aus, dass du das hast«, antworte ihm sein Gegenüber. »An wie viel hast du gedacht Kleiner? Was denkst du wie viel ist dein Schweigen wert?«
Janne blieb lange stumm, um den Eindruck zu machen, dass er wirklich ernstlich über das Angebot nachdachte. »Ich bin ein nette Mensch Ivanov, ich denke ich komme mit 7.000 im Monat klar.«
»7.000?«
»Ja. 7.000 Euro. Mein Vater hat mir leider nicht besonders viel überlassen.«
Ivanov streckte die Hand aus. »Deal«, sagte er in Russisch.
»Deal«, antwortete Janne, während er seine Hand ergriff. Ivanov drückte seine so fest, dass der meinte, die Knochen müssten ihm brechen.
»Du findest alleine nach Hause?«, wollte Ivanov wissen und er nickte, während er ein falsches Lächeln aufzog.
»Ich bin hier aufgewachsen. Ich kenne jeden Winkeln in diesem Viertel«, antwortete er mit einem falschen Grinsen.
Janne atmete tief durch, während er durch die staubige Halle in Richtung Ausgang ging. Er wusste es war noch nicht vorbei. Ivanov würde sich nicht so leicht geschlagen geben, sondern glaubte, dass er ihn in der Falle hatte.
Kurz bevor er die Eisentür erreicht hatte, die in die Freiheit münden würde, gab ihm jemand einen harten Stoß gegen den Rücken. Als der nächste Schlag kam, war er mehr als bereit dafür. Er hatte ein perfektes Bild davon im Kopf. Sein Kopf fuhr herum und er erkannte Ilja. Im selben Moment schlug dieser mit der Faust zu. Er konnte dem Schlag problemlos ausweichen, doch schon wurde die Faust wieder auf ihn zu gestoßen. Er duckte sich unter seinem Arm weg und ließ seine Faust in die Magengrube des Mannes gleiten, woraufhin dieser aufjaulte. Doch er behielt nur kurz die Überhand. Während er mit Ilja beschäftigt war, rammte ihm Ivanov eine Faust heftig in die Rippen. Ihm blieb kurz die Luft weg und er taumelte.
»Es war dumm von dir«, rief ihm Ivanov zu. Er schlug ihm seine Faust ins Gesicht, doch er traf nur die Schläfe. Als Revanche erhielt er von Ivanov einen Schlag gegen die Nieren. Er keuchte auf.
»Eins muss man dir lassen, du hast Stehvermögen«, jauchzte Ivanov, doch dann verzog sich sein Gesicht zu einer unheilvollen Fratze. »Ilja! Sorg dafür, dass der Kleine dieses Mal nicht davon kommt.«
»Du denkst wirklich dein kleiner Gorilla ist ein Gegner für mich«, fauchte Janne und spuckte Blut aus.
Ilja schlug erneut zu und traf diesmal seinen Wangenknochen mit einer solchen Wucht, dass er zu Boden fiel.
Wütend preschte er wieder nach oben. »Ihr kommt nicht davon. Ihr werdet euch für Sinas Tod verantworten müssen!«
»Sina, Sina, Sina … so langsam gehst du mir auf die Nerven. Sie war eine Nutte nichts weiter. Niemand vermisst sie«, zischte Ilja und ließ seine Haare wieder los, worauf er nach vorne auf den Boden sank.
»Du hast sie getötet nur so zum Spaß. Erst hast du sie vergewaltigen lassen, um sie dann aus dem Weg zu räumen!«
Ilja lachte. »Ja und es hat dem Herrn Staatsanwalt Laitinen sogar sehr viel Freude bereitet.« Der narbige Mann hielt sich die Hand vor den Mund. »Ups, nun ist mir doch tatsächlich sein Name rausgerutscht.« Wieder hallte das tiefe Lachen des Russen durch die Fabrikhalle. »Aber was soll’s. Du überlebst die nächsten Stunden ja doch nicht.« Ilja griff nach seinem Kopf und knallte ihn hart gegen den Betonboden. Schwärze breitete sich um ihn aus.
Janne erwachte mit einem klopfenden, stumpfen Schmerz hinter der Stirn. Als er die Augen öffnete, fand er sich gefesselt auf einem Stuhl sitzend wieder. Sein Kopf hing schwer auf seiner Brust, sein Atem ging stockend. Jeder Atemzug tat ihm in der Brust weh. Er hatte zu hoch gepokert und doch war alles glatt gegangen, denn noch lebte er.
»Ivanov, du Arsch«, zischte er.
Ivanov umkreiste ihn, blieb dann stehen und umfasste mit der linken Hand seinen Unterkiefer. »Du dachtest wirklich, dass du eine Chance hast?«
Janne sah sein Gegenüber stumm an und zuckte dann mit den Schultern.
»Du dachtest, dass du mich erpressen könntest?« Ivanov lachte laut und hämisch. »Du bist doch nichts, als ein kleiner Bulle«, sagte er spöttisch. Er sah zu Ilja. »Wie konntest du dich überhaupt von so etwas überrumpeln lassen?«
»Du hältst dich wohl für eine ganz große Nummer«, fauchte Janne und sah den Mann vor sich herausfordernd an. »Glaub mir, was ich herausgefunden habe, werden auch die Kollegen herausfinden. Du wirst untergehen, ob du mich heute tötest oder nicht!«
Das ließ sich der Russe nicht gefallen und schlug dem jungen Kommissar mit der Faust mitten ins Gesicht.
Der metallische Geschmack von Blut lag ihm auf der Zunge. Er hustete und spukte es aus – direkt auf die Stiefelspitze des Russen. Mit einem starren Blick musterte er sein Gegenüber. Dieser sah Janne tief in die Augen und als dieser seinem Blick stand hielt und ihn dabei auch noch überheblich angrinste, holte Ivanov wieder aus und versetzte ihm den nächsten Schlag in das Gesicht. Sein Kopf wurde brutal zur Seite geschleudert und vermutlich wäre er zu Boden gefallen, wäre er nicht an den Stuhl gebunden.
»Es wird Zeit, dass du gehst!« Ivanov zog eine Waffe hervor und drückte sie gegen Jannes rechtes Knie. Das kalte Metall presste sich an seine Haut. Ivanov lächelte, während er den Druck mit der Waffe erneut verstärkte. Er hielt dem Blick stand. Egal was passieren würde, diesen Triumph würde er diesem Mann nicht gönnen. Er würde keine Angst zeigen. Er würde mit hoch erhobenem Kopf in den Untergang gehen.
»Du könntest flüchten, denn bald wird alles hier voller Bullen sein.«
Sein Gegenüber zog die Augen zu Schlitzen zusammen. »Das soll ich dir glauben? Ilja hat jeden Winkel von dir nach einer Wanze durchsucht.«
Janne lächelte nur. »Wir können es ja testen, oder nicht?«
Der Druck der Waffe verstärkte sich gegen sein Knie.
»Du hältst dich wohl für besonders schlau! Aber ich muss dich enttäuschen, du bist es nicht! Du bist nichts weiter als ein kleiner Möchtegernbulle. Ein Wurm!«
Ivanov’s Finger näherte sich dem Abzug. Dann durchzog ein Schuss die Luft der Lagerhalle.
Der Russe zuckte zurück, als ein Schuss durch die Fabrikhalle hallte.
»Ganz schnell die Pfoten von meinem Kollegen, oder ihr geht bald als Schweizerkäse durch«, schrie eine Stimme und Janne blickte zur Seite.
Ville stand in der Halle, dahinter einige weitere Polizisten. Alles war nach Plan verlaufen. Er hatte die beiden in eine Falle gelockt, während Ville auf sein Stichwort gewartet hatte.
»Die Hände dahin, wo ich sie sehen kann!«, schrie Ville erneut.
»Ich würde tun was er sagt. Er ist kein besonders guter Schütze … er könnte aus Versehen deinen Kopf treffen«, sagte Janne emotionslos und lächelte dabei leicht.
Kurz darauf hörte er noch einmal Villes Stimme, die die beiden Verbrecher erneut ermahnte, dass sie seiner Forderung nachkamen.
Janne konnte sehen, wie sowohl dieser Ilja als auch Ivanov abwogen, wie ernst ihre Lage wirklich war. Ob es ein Entkommen aus dieser Situation gab. Ivanovs Augen zuckten hin und her. Schließlich schien er einzusehen, dass er keine Chance gegen so viele Polizisten hatte, legte die Waffe auf die Erde und hob die Hände. Kurz darauf tat es ihm Ilja gleich und es dauerte nicht lange und das Klacken von Handschellen hallte in der Fabrikhalle wider.
Ivanov sah zu ihm herunter. ».«
»Ich habe mir damals geschworen, dass ich dich bekomme und ich habe dich bekommen. Du bist über dein eigenes Konzept gefallen. Geldgier kann auch der Polizei von Nutzen sein. Man muss seinen Quellen nur etwas bieten und sie wenden sich gegen dich.« Janne lächelte sein Gegenüber an, der nun wütend durch die Nase ausatmete, ehe er von einem uniformierten Kollegen, ebenso wie Ilja, abgeführt wurde.
»Du bist vollkommen wahnsinnig!« Ville beugte sich herunter und löste das dicke Seil von seinen Händen und Füßen.
Janne konnte ihn über das Surren in seinen Ohren kaum verstehen. Sein Kopf pochte. »Jaja … wir haben ihn doch und mir geht es gut.«
Er stand auf, ignorierte das kurzzeitige Schwindelgefühl, und zog dabei sein Armband von seinem Handgelenk. »Das dürfte ausreichen, damit die beiden die nächsten Jahre hinter Gittern hocken werden.«
Ville hielt seine Hand auf und das Armband landete in seiner Handfläche. »Scheiße, du hättest ruhig etwas früher das Stichwort sagen können. Du wärst fast draufgegangen!« Jannes Mundwinkel zogen sich nach oben. »Man merkt wirklich, dass du in behüteter Umgebung in einem der reichsten Viertel Helsinkis aufgewachsen bist. Ich habe mich doch gut geschlagen.«
Der blonde Kommissar ließ das Armband samt dem kleinen Empfänger, der kaum sichtbar am Anhänger befestigt war, vor seinen Augen baumeln. »Sieh dich im Spiegel an und sage das noch einmal«, murmelte er leise, war sich aber doch sicher, dass Janne ihn verstanden hatte.
»Ein bisschen Wasser und das Gröbste ist ab«, gab Janne Konter.
Tag der Veröffentlichung: 24.06.2017
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