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Der verwundete Engel

Aja schritt den langen, dunklen Gang hinab, der sich in die Erde hinunter wand. Die Decke war niedrig und das Licht der Lampen, die an den Steinwänden hingen, war nur schwach und so musste sie aufpassen, dass sie nicht ausrutschte und fiel. Als sie am Ende der Treppe angelangt war, bog sie nach rechts ab und trat in einen Raum, in dem zwei Männer an einem rustikalen Holztisch saßen.

»Guten Abend«, grüßte sie.

Die Männer blickten zu ihr hinüber und sprangen auf, als sie erkannten, wer ihr Besucher war. Sie beugten sich tief hinunter.

»Guten Abend, Prinzessin«, sagte der Ältere der Beiden.

»Erhebt euch«, befahl sie.

Die beiden Männer richteten sich wieder auf und sie lächelte. »Darf ich die Schlüssel haben?«

»Natürlich, Prinzessin.«

Aja umgriff den großen Schlüsselbund mit ihren Fingern und nickte den Männern dann zu. »Ich möchte die nächste Stunde nicht gestört werden.«

»Solltet Ihr Hilfe benötigen …«

»Dann weiß ich, wo ich Euch finde«, beendete sie den Satz.

Ohne auf die Antwort der Wachen zu warten, verließ sie den Raum und ging in den Kerker hinein. Sie lief den engen Korridor entlang, der zwischen den einzelnen Zellen verlief. Lärm schlug ihr entgegen – Zurufe aus den einzelnen Zellen. Dazu der Gestank nach verbrauchter Luft, Schimmel und Fäkalien. Auch für eine Dämonen-Prinzessin gab es weitaus schönere Orte als diesen. Doch ihre Neugier trieb sie dennoch immer wieder hier hinunter.

Am Ende des Korridors blieb sie stehen und sah durch dicke Gitterstäbe in die letzte Zelle hinein. Verstohlen betrachtete sie die Person, die dort vor ihr saß, angekettet an seinen Fußgelenken. Er schien sie nicht zu bemerken, oder aber er wollte sie nicht bemerken. Der Häftling saß zusammengekauert auf einer Matratze, hatte den Kopf auf den Armen abgelegt. Die Flügel hingen schlaff auf seinem Rücken, die weißen prächtigen Federn von Dreck und Blut verschmutzt.

Aja rührte sich nicht, starrte ihn einfach nur an. Das hatte sie schon oft getan in den letzten Wochen. Sie hatte einfach nur dagestanden und ihn angesehen. Zu Beginn hatte er sie noch beschimpft, doch inzwischen war durch die Folter ihres Vaters und den Entzug von Nahrung jede Gegenwehr erstorben.

Er war geschlagen.

Ajas Hand glitt in die Tasche ihrer Jacke und sie umklammerte die Hühnerkeule, die sie vor drei Stunden beim Abendessen eingesteckt hatte. Das ist falsch, hatte ihr Gehirn sofort geschrien, doch ihr Herz hatte nicht anders gekonnt. Sie hatte Mitleid mit dem jungen Mann, der hier vor ihr saß.

Wie konnte er der Feind sein? Ihr Vater, der König der Dämonen, versprach sich von seiner Gefangenschaft Informationen über den Kriegsgegner, doch er schwieg eisern und Aja befürchtete, dass, wenn er weiter schwieg, es sein Untergang werden würde.

Wie lange würde er die Folter noch unbeschadet überstehen? Dieser dumme Krieg! Schon lange hatten die beiden Völker vergessen, worüber sie überhaupt Krieg führten und doch schien es nicht, als würde der Kampf zwischen Himmel und Hölle bald ein Ende zu nehmen.

Aja atmete einige Male tief ein und aus, dann steckte sie den Schlüssel in das Schloss und zog die Tür auf. Sie zögerte einige Sekunden, dann übertrat sie die Türschwelle und ging in die Zelle. Zur Sicherheit drückte sie die Tür hinter sich wieder zu, obwohl sie nicht daran glaubte, dass er fliehen würde. Er sah nicht auf, rührte sich keinen Millimeter. Umso näher sie kam, desto deutlicher nahm sie den Geruch von Schweiß, Blut und Dreck wahr.

Als sie direkt vor ihm stand, hockte sie sich vor ihm hin. Noch immer zeigte er keinerlei Anzeichen dafür, dass er sie bemerkt hatte. Sie griff nach seinem knochigen Arm, umschlang ihn sanft.

»Hey«, sagte sie leise und rüttelte ihn vorsichtig. »Hey, Ihr seid doch nicht tot, oder?«

Endlich zeigte er eine Regung. Er schaute hoch und sah in ihre Augen. »Ich wünschte, ich wäre es«, flüsterte er.

Seine Augen waren eisblau, leuchtend hell. Eine solche Farbe hatte sie in der Hölle noch nie gesehen. Einige schweißnasse, schwarze Strähnen hafteten auf seiner Stirn und verkrustetes Blut klebte an seiner Wange.

Er bäumte sich ein letztes Mal auf und griff nach ihrer Hand. Überrascht zuckte Aja zusammen und wollte zurückweichen, doch er hatte sie fest umklammert.

»Was willst du?«, raunte er. »Dich über den Feind lustig machen?«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich … ich habe Euch Essen gebracht. In meiner Tasche …«

Aja spürte, wie sich sein Griff lockerte und er schließlich von ihr ließ.

»Essen?«

Sie nickte eifrig. »Ja!« Aja griff in ihre Tasche und zog die Hühnerkeule hervor. »Hier, Hühnchen.«

Er beäugte das Fleisch kritisch, zögerte. Er dachte doch wohl nicht? Aja nahm einen Bissen von dem Hühnerbein.

»Ist nicht vergiftet, schau«, erklärte sie mit vollem Mund und hielt ihm die Keule erneut hin.

Zögernd nahm er das Essen entgegen und sie beobachtete, wie er kurz darauf einen gierigen Bissen nahm, dann noch einen und noch einen, bis nur noch ein blank geputzter Knochen übrig war, den sie wieder einsteckte.

»Wie ist Euer Name?«, fragte sie.

»Ist das von Bedeutung?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Es wäre besser, als mit Gefangener Nr. 353 angesprochenen zu werden, oder?«

»Eythor, mein Name ist Eythor.«

»Eythor«, wiederholte sie. Sie lächelte. »Ich heiße Aja.«

Er nickte nur, antwortete ihr jedoch nichts darauf und schnell stellte sich zwischen ihnen wieder Schweigen ein. Aja hockte weiterhin vor ihm und scannte jeden Zentimeter seines Körpers. Seine Kleidung war an vielen Stellen zerrissen, sie konnte die Schlieren sehen, die die Peitsche auf seiner Haut hinterlassen hatte. Einige der Wunden waren entzündet. Ihr Blick ging nach oben, blieb an den Flügeln hängen. Noch nie hatte sie die Flügel eines Engels von so nah gesehen. Sie waren groß, so majestätisch. Wie sie sich wohl anfühlten? Unbewusst strecke sie ihre Hand aus.

»Was hast du vor?!« Eythor wich zurück. »Komm mir bloß nicht zu nahe, Dämon!«

Ihre Hand stoppte. »Deine Flügel, sie sind schön«, sagte sie nun. »So prachtvoll.«

»Er ist gebrochen«, antwortete er. »Mein linker Flügel … ich fürchte, da ist wenig prachtvolles dran.«

Nun fiel es Aja auf. Die Tatsache, dass der linke Flügel eine deutlich andere Stellung hatte als der rechte Flügel. Er hing deutlich weiter unten.

»Wie ist es passiert?«

Er lachte spöttisch auf, hielt den Kopf schief. »Was denkst du? Bei euren Foltern, natürlich!«

Sie schluckte. »Ja, sicher …«

»Wer bist du eigentlich?«

»Aja.«

»Das weiß ich. Ich meine, was willst du hier? Was ist deine Position?« Seine Augen zogen sich zusammen. »Versucht ihr es nun mit Zuckerbrot und Peitsche? Ich werde nichts sagen. Ich werde weiterhin schweigen! Da kann er König sich noch so ins Zeug legen!«

»Nicht alle Dämonen sind böse«, antwortete Aja. »Und nicht alle Engel sind gut. Habt nicht ihr genauso viel Schuld an diesem Krieg wie wir? Wie viele habt ihr von den Unseren getötet?«

Ihre Antwort schien ihn zum Denken zu bewegen. Er sagte nichts darauf und war wieder in schweigen verfallen.

Aja schlank die Arme um ihre Knie. »Vor drei Monaten ist mein Bruder gefallen, mein Vater hat es noch immer nicht verkraftet.«

»Das tut mir leid.« Seine hellblauen Augen sahen in ihre. »Vor zwei Jahren ist mein Bruder im Krieg gestorben, ich weiß, wie es sich anfühlt.«

»Wieso hast du im Krieg gekämpft?« Sie sah ihn voller Erwartung an, merkte nicht, wie sie die höfliche Anrede fallen ließ und in eine persönliche überging. »Wieso, wenn du doch wusstest, wie viel Leid er mit sich bringt?«

»Ich weiß nicht, ich hatte wohl keine andere Wahl …« Eythor begann zu husten. Ein trockenes, raues Husten, was alles andere als gesund klang. Seine Hand ging an die Brust und grub sich tief in den Stoff seines Oberteils. Das Gesicht verzog sich und Aja konnte ein leises Stöhnen zu vernehmen.

Doch so schnell es begonnen hatte, so schnell war es auch wieder vorbei.

Aja sah sich um, konnte aber nirgends Wasser erkennen. »Hat man dir kein Wasser gebracht?«, fragte sie.

»Ich bekomme zwei Tasse am Tag«, nuschelte er hervor.

»Ich werde dafür sorgen, dass du mehr Wasser bekommst.«

Er schien zu begreifen. Er sah sie lange an, ehe er antwortete. »Du bist die Prinzessin«, stellte er fest. »Deshalb kommst du alleine hier hinein, ohne dass keine Wache Verdacht schöpft.«

»Ja, ich bin die Prinzessin«, bestätigte sie ihm. Aja stand auf und ging zur Tür. »Warte einen Moment, ich werde gleich Wasser holen.«

»Ich habe nichts Besseres zu tun«, gab er ironisch zurück.

Als Aja nur wenige Minuten später mit einem Wasserkrug zurückkehrte, den sie von den Wochen angefordert hatte, stelle sie fest, dass Eythor eingeschlafen war. Er lag in Embryostellung auf der Matratze und hatte die Augen geschlossen. Alles, was zu vernehmen war, waren schwere Atemgeräusche. Aja kniete sich vor ihm hin, rüttelte ihn sanft. Mühselig öffneten sich seine Augen.

»Ich habe Wasser geholt, komm, trink etwas.«

Sie hielt ihm den Krug an die Lippen und er trank gierig mit großen Schlucken. Dann sank er wieder auf die Matratze und schon hatten sich seine Augen wieder geschlossen.

Aja stand auf. »Ich komme morgen wieder«, versprach sie, ehe sie wieder in der Dunkelheit verschwand.

 

*

 

Aja fühlte sich bei jedem Besuch in der Zelle unwohler. Eythor ging es über die letzten Tage immer schlechter. Die Wunden hatten sich entzündet und er hatte hohes Fieber bekommen. Ihr Gefangener hatte immer mehr die Verbindung zur Realität verloren. Er begann Personen zu sehen, wurde von Albträumen heimgesucht und lag anteilnahmslos in einer Ecke der Zelle. Doch das schlimmste waren seine Augen. Von der Wärme und Entschlossenheit bei seiner Ankunft war nichts mehr sichtbar. Stattdessen sah sie nun in emotionslose, matte Augen. Er hatte einen völlig leeren Blick.

 

Aja füllte etwas Wasser aus einem Eimer, den sie mitgebracht hatte, in eine Tasse und kniete sich vor ihm hin. »Du musst etwas trinken, bitte«, sagte sie leise und hielt ihm eine Tasse mit Wasser hin.

Er reagierte nicht, starrte sie weiter mit seinen leeren Augen an.

»Ist das wirklich alles, was das Volk der Engel aushält?« Sie lachte auf, doch Tränen in ihren Augen verrieten, dass sie um den Mann vor sich besorgt war.

»Wie … lange?«, brachte ihr Gefangener brüchig heraus.

»Du bist seit vier Wochen und zwei Tagen hier.«

Sie hielt die Tasse an seine Lippen, versuchte erneut ihn dazu zu bewegen etwas zu trinken. »Du musst trinken«, sagte sie leise und kippte das Wasser langsam in seinen Hals. Eythor verschluckte sich und musste mit schmerzverzerrtem Gesicht husten. Aja wusste nicht, wie viel Wasser letztendlich überhaupt seinen Weg in den Körper fand, aber ihr war klar, dass es in seinem derzeitigen Zustand ohnehin zu wenig war.

Sie lehnte sich an die gegenüberliegende Wand und starrte ihn an. Schuldbewusstsein zeichnete ihr Gesicht. Sie zog die Knie näher an sich heran und beobachtete Eythors schweren und ungleichmäßigen Atemzüge. Über die täglichen Besuche hatte sie ihn immer mehr verstehen können und langsam begriff sie, wieso er in den Krieg gezogen war. Er hatte ihr erklärt, dass er seinen Bruder rächen wollte. Er wollte diejenigen bestrafen, die ihn getötet hätten. Doch schon bald hätte er gemerkt, was er wirklich hieß auf dem Schlachtfeld zu stehen. Und inzwischen wusste sie, dass es keine Lüge war. Nun, wo ihn die Fieberträume heimsuchten, da hörte sie ihn oft genug wimmern über die Gräuel des Krieges.

Nicht selten war sie in den letzten Tagen mit ihrem Vater aneinandergeraten. Es interessierte ihn nicht, wie es Eythor ging. Er wollte nur Antworten auf seine Fragen und er hatte die Hoffnung, dass er sie schneller bekommen würde, wo Eythor sich in diesem Zustand befände. Er hatte es ihr strikt verboten hierherzukommen, doch Aja hatte sich seinen Befehl widersetzt und war dennoch hinunter in den Kerker.

Aja war wieder an den Gefangenen herangetreten, der in seinen tiefen Träumen gefangen war. Langsam streckte sie die Hand aus und berührte seine Federn. Er zeigte keine Reaktion, dass er es mitbekam. Sie fühlten sich weich an, doch an einigen Stellen fühlte sie auch das verkrustete Blut. Als sie die Stelle berührte, die gebrochen schien, erzitterte der mächtige Flügel unter ihr und Eythor stöhnte leise auf. Schnell zog sie die Hand zurück, doch Eythor wachte nicht auf. Sie blickte in sein Gesicht. Das schmale, jugendliche Gesicht war von Schmerzen gekennzeichnet. Sie würde schätzen, dass er nicht viel älter war als sie. In so einem Alter, da sollte man nicht in den Krieg ziehen, fand sie.

»Ich werde dich hier raus holen«, flüsterte Aja. »Halte noch durch, Eythor.«

 

In den Folgetagen stelle sich heraus, dass es alles andere als ein leichtes Unterfangen werden würde. Nicht nur setzte Eythor die Krankheit zu, auch ihr Vater machte Druck. Er wurde ungeduldiger, dass ihm der Engel immer noch nichts verraten hatte und zeigte kein Erbarmen bei seiner Folter. Sie begriff immer mehr, dass sie keinerlei Chance haben würde, ihn zu befreien. Es würde sich keine Möglichkeit ergeben.

Aja hockte sich vor ihn und hob seinen Kopf ein Stück, um ihm Wasser einzuflößen. Das Fieber hatte über die letzten Tage nachgelassen und er hatte an Kraft gewonnen, doch noch stellte er keinerlei Gefahr dar.

Seine blauen Augen sahen in ihre. »Wie … lange?«, flüsterte er, als sie den Wasserbecher für einen Moment von seinen Lippen nahm.

»Es sind genau fünf Wochen … du solltest noch etwas trinken.«

Aja hielt ihm den Becher wieder an die Lippen. Er trank vorsichtig, bedacht darauf so wenig wie möglich zu verschütten. Dann packte er plötzlich nach ihrem Arm. Aja zuckte erschrocken zusammen, wich aber nicht zurück. In seinem derzeitigen Zustand würde er nicht die Kraft haben, um gegen sie anzukommen.

»Bleib heute Nacht hier«, hauchte er. »Geh nicht weg.«

»Wieso?«

Er lehnte sich vor und schlang seine dünnen Arme um sie. »Bleib hier«, wiederholte er.

Sie zögerte, nickte dann jedoch. Sie würde ihm den Gefallen tun und hierbleiben. Zumindest, bis er eingeschlafen war. Dann würde sie gehen.

Doch Eythor schlief nicht ein. Immer, wenn seine Lider sich fast geschlossen hatten, riss er sie wieder auf. Aus irgendeinem Grund versuchte er, wach zu bleiben und sich nicht der Müdigkeit hinzugeben.

 

Als sie sich Mitternacht nährten, begriff sie wieso. Plötzliches Geschrei ertönte in den Fluren.

»Wir werden angegriffen! Wir werden angegriffen!«, riefen die Wachen.

Sie hörte laute Schritte, eine der Wachen stand vor der Zelle.

»Prinzessin, kommt. Ich bringe Euch in Sicherheit.«

»Wer greift uns an?«, fragte sie, obwohl sie es sich bereits denken konnte. Die Engel. Es waren die Engel.

»Der Himmel!« Die Wache öffnete die Tür. »Kommt, schnell!«

Plötzlich ging alles ganz schnell. Eythor war aufgesprungen, packte sie, legte seinen Arm um ihren Hals und presste sie an sich.

»Macht mich los oder ich werde eurer Prinzessin hier und jetzt den Hals umdrehen!«, zischte er in einer Stimmlage, die ihr Angst bereitete. War sie die ganze Zeit über auf ihn hereingefallen? Brachte er tatsächlich noch so viel Kraft auf.

»Ihr solltet keine Dummheit machen!«, raunte die Wache.

»Wollt Ihr es wirklich darauf ankommen lassen?«

Aja spürte, wie sich der Druck um ihren Hals verstärkte. Sie blickte in die Augen des Wachpostens, der mit der Entscheidung zu kämpfen hatte.

»Sag ihm, er soll mich losmachen«, flüsterte Eythor ihr ins Ohr. »Dir wird nichts passieren, keine Angst.«

Aja zögerte. Wollte sie dem Feind wirklich geben, was er verlangte?

Er drückte fester zu. »Komm schon, sag es ihm.«

»Macht ihn los«, presste sie unter dem Druck, der auf ihre Luftröhre lastete, heraus. »Schließt die Ketten auf.«

»Sehr wohl, wie Ihr es befiehlt., Prinzessin.«

Der Wachmann kam mit langsamen Schritten näher, beugte sich herunter und öffnete eine Fußfessel nach der anderen. Als er fertig war, spürte Aja wie sich der Druck um ihren Hals verringerte, dann sah sie, wie Eythor auf die Wache zusprang, sie in den Schwitzkasten nahm und dessen Schwert aus der Scheide zog.

»Geht in die Ecke!«, forderte er. Als sie sich nicht sofort rührten, wurde seine Stimme lauter und ungehaltener. »In die Ecke oder ihr werdet beide den Tod finden!«

Aja nickte und machte einige Schritte rückwärts in die hintere Ecke der Zelle, während sich Eythor in die andere Richtung zum Ausgang bewegte.

»Wieso?«, flüsterte sie. »War das der Grund, weshalb ich heute Nacht hierbleiben sollte?«

»Nicht alle Dämonen sind böse«, wiederholte er ihre Worte und zog dann die Mundwinkel hoch, »und nicht alle Engel sind gut.«

Dann war in den Gang getreten und hatte die Zelle hinter sich geschlossen.

»Ihr solltet die Kämpfe in der Zelle abwarten, wenn Euch das Leben lieb ist«, sagte er noch, ehe er sich wegdrehte.

Aja war nach vorne gehastet, drückte sich gegen die Gitterstäbe und sah, wie er den Korridor hinunterlief und dann verschwand. Sein Gang war unsicher und wackelig, vielleicht war es einzig seine Willenskraft, die ihn auf den Beinen hielt. Als er um die Ecke verschwand, da wusste Aja, dass es wohl der letzte Moment war, an dem sie ihn sehen würde.

 

Die Kämpfe dauerten noch bis spät in den Mittag des folgenden Tages an. Erst dann waren die Truppen der Engel unter Kontrolle gebracht und aus dem Höllenreich vertrieben worden. Viele Soldaten beider Reiche waren in dem Kampf gefallen und der König hatte vier Tage Trauer angeordnet. Aja stand am Fenster und blickte auf eine kleine Feder, die sie am Schaft zwischen den Fingern drehte. Noch immer konnte sie nicht glauben, dass Eythor sie in jener Nacht nur benutzt hatte, um freizukommen. Hatte er ihr wirklich in all den Wochen nur etwas Vorgemacht und ihre Gutherzigkeit ausgenutzt?

Sie hielt die Feder aus dem Fenster. Als der nächste Windstoß kam, ließ sie los und sah zu, wie die Feder mit dem Wind davontrieb.

 

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Tag der Veröffentlichung: 21.06.2017

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