Cover

1. Kapitel

Emil stellte seinen Wagen ab und stieg aus. Vor ihm lag ein schmaler Weg, der zum Tor eines Friedhofs führte. Er hielt Ausschau, konnte aber nichts entdecken.
Ein letztes Mal holte er tief Luft, dann drückte er auf den Schlüssel und verriegelte seinen Wagen. Mit großen schnellen Schritten ging er durch das imposante und kunstvoll gestaltete Friedhofstor. Vor ihm breiteten sich lange Grabreihen aus. Nebel lag dicht über der Erde, Nieselregen begleitete ihn auf seinem Weg über den Totenacker. Der Wind ließ die Äste der kahlen Bäume, wie die Gebeine von Toten, klappernd aneinanderschlagen. Ein in kalter Schauer überfiel ihn – unheimlicher konnte ein Friedhof wohl nicht sein.
Neblig, kalt und feucht.
Der Kies knirschte unter seinen Turnschuhen. Die linke Hand hatte er in der Manteltasche vergraben, die rechte Hand umgriff die Taschenlampe. Der Herbst hatte Einkehr gehalten und in der Nacht war es bereits bitterkalt. Ein Zeichen, dass der Winter auch kalt werden würde, hatte seine Schwester ihm bei Kaffee und Kuchen erzählt. Er selbst war davon nicht überzeugt. Auf einen kalten Herbst, waren auch in der Vergangenheit oft milde Winter gefolgt.
Emil bog an der nächsten Gablung rechts ab. Noch immer war ihm nicht ganz klar, wer ein Treffen auf einem Friedhof vorschlagen würde. Er konnte sich aus der Nachricht, die er vor wenigen Stunden erhalten hatte, keinerlei Reim machen. Es waren zwei Kurznachrichten gewesen. In der ersten wurde um ein Treffen gebeten, in der zweiten Nachricht hatte er die Grabreihe und die Nummer erfahren. Direkt neben der großen Engelsstatue hatte darin gestanden. Ohne den Hinweis der Statue hätte er den Treffpunkt vermutlich in der Nacht auch nicht gefunden.
Der Weg führt zu einem Kriegsmahnmal. Emil hielt kurz inne, überlegte, welchen der Wege er nun nehmen musste und setzte seinen Gang dann fort.
Vielleicht hätte er doch Mats darüber informieren sollen? Er verneinte die Frage innerlich. Das wäre albern gewesen, denn vermutlich war es einfach einer seiner Informanten und was war ein geheimerer Treffpunkt als ein Friedhof?
Emil bog nach links ab. Die große Engelsstatue konnte er bereits im Licht der Taschenlampe sehen. Der Treffpunkt musste also hier ganz in der Nähe sein.
Er wurde langsamer, zählte in Gedanken die Gräber durch, während der den schmalen Kiesweg entlangschritt. Als er bei Nummer vierzehn angekommen war, hielt er an.
Er sah sich um, leuchtete die Umgebung aus, konnte aber niemanden erkennen. Emil atmete durch die Nase aus und zog sein Handy heraus, um auf die Uhr zu sehen. 21:05 Uhr. Er war pünktlich auf die Minute am genannten Treffpunkt angekommen.
»Kann man nichts machen«, murmelte er leise und ließ sein Handy wieder in der Tasche verschwinden. Seine Augen scannten die Umgebung abermals. Er drehte sich um die eigene Achse und dann sah er im Schein der Taschenlampe etwas, das er zunächst für ein Trugbild seines Verstandes hielt, für etwas, das es in Wirklichkeit nicht geben konnte.

Emil Brenne
Geboren am 10. November 1984. Gestorben 18. Oktober 2016
Zutiefst geliebt.

Emil starrte den Grabstein vor sich an. Ihm wurde heiß und kalt zugleich. Das konnte nicht sein! Adrenalin pumpte durch seinen Kreislauf. Er versuchte, ruhig zu bleiben und nachzudenken – doch versagte.
Übelkeit übermannte ihn. Sein Herzschlag beschleunigte sich und er spürte, wie sich in ihm Panik ausbreitete. Die Gedanken zogen in seinem Gehirn Kreise. Warum hatte jemand seinen Namen auf den Grabstein geschrieben? Wer wollte seinen Tod? Oder war es nur ein schlechter Scherz? Nein, das konnte er nicht glauben. Da gab es weitaus leichtere Methoden.

Emils Handy klingelte. Einer Explosion gleich durchbrach das Geräusch die Stille. Wie in Trance zog er das Gerät aus der Jackentasche und schaltete das Display an.
Siehst du mich, Brenne?, war die letzte Nachricht, die er erhalten hatte.
Hektisch wirbelte er herum, scannte einmal mehr die Dunkelheit. Ein Mann trat aus den Schutz einer wuchtigen Zeder hervor. Umso näher er kam, desto mehr konnte Emil seine Gesichtszüge erkennen und das, was er erkannte, sorgte dafür, dass seine Angst noch einmal anstieg.
Vor ihm stand Maik Winter. Ein skrupelloser Serienmörder, den er vor einigen Jahren zur Strecke gebracht hatte.
»Was hast du geglaubt?« Winter derbes Gesicht verriet Schadenfreude und hämischen Triumph. »Das ich dich vergessen habe?«
»Was hast du vor Winter?«
»Ich?« Emils Gegenüber lachte laut. »Glaubst du, dass ich dein Grab nur so zum Spaß herrichten lasse?«
Winters rechte Hand glitt in dessen Manteltasche und kurz darauf zog er eine Pistole hervor.
Emil verfluchte sich. Wieso zur Hölle hatte er seine Waffe nicht dabei? Er war Winter ausgeliefert, würde hier und jetzt sterben. Sein Herz pumpte schneller, Schweiß brach aus allen Poren.
Unauffällig sah er sich um, denn seine einzige Chance lag in der Flucht.
Aber er war nicht unauffällig genug. Winter spannte den Hahn seiner Waffe, während ein Lächeln seine Lippen umspielte. »Du willst rennen? Ich gebe dir einen kleinen Vorsprung. Vielleicht hast du ja Glück und kannst entkommen?«

2. Kapitel

Emil rannte los. Ohne den kleinsten Augenblick zu zögern, hastete er querfeldein über den Friedhof. Nur weg, schnell weg! Seine Joggingschuhe sanken tief in den vom Regen aufgeweichten Untergrund, der Schlamm spritzte seine Unterschenkel hoch.
War Winter ihm auf den Fersen? War er vielleicht direkt hinter ihm?
Ein Schuss wurde abgegeben, peitschte neben ihm gegen einen Grabstein. Es war ein scharfer Klang, dessen Echo in dem Nebel verschlugen wurde. Irgendwo in weiter Ferne bellte ein Hund, verstummte aber schnell wieder.
Mit Schrecken registrierte Emil, dass er in seiner Panik fast einen tödlichen Fehler begangenen hatte. Die Taschenlampe in seiner rechten Hand leuchte ihm immer noch den Weg. Er drückte den Knopf, worauf das Licht erlosch und ihn völlige Dunkelheit umgab.
Trotz fehlender Sicht rannte er weiter, rannte um sein Leben.
»Ich finde dich dennoch, Brenne.«, ertönte es hinter ihm. »Du sitzt in der Falle!«
Der blonde Kommissar beschleunigte seinen Schritt abermals, in der Hoffnung Winter endlich abhängen zu können.

Jetzt war Emil zurück auf einem der Hauptwege. Er sah sich um, versuchte, die Richtung auszumachen. Es brachte nichts, er wusste nicht, wo er genau auf dem riesigen Friedhof war. Alles auf das er hoffen konnte, war, dass er etwas Glück haben würde. Ohne noch länger zu zögern, rannte er nach links. Er konnte es zu einem Ausgang schaffen!
Er lauschte in die Dunkelheit. Es schien, als hätte er Winter abhängen können. Da war nichts. Keine Rufe, keine Pistolengeräusche und keine Schritte, außer seine eigenen.
Nur Stille.
Emil hatte keine Ahnung, wie lange es gedauert hatte, bis er endlich ein Tor sah. Erleichterung macht es ihn ihm breit, als er einem der Nebeneingänge des Friedhofs immer näher kam. Wenn er erst einmal von diesem Totenacker herunter war, könnte er irgendwo klingeln und dann würde er in Sicherheit sein. Vielleicht schaffte er es ja sogar bis zu seinem Auto? Endlich angekommen, riss er mit klopfendem Herzen die Klinke herunter und drückte seinen Körper gegen das schmale Tor. Nichts. Das Tor war verschlossen. Er war gefangen!
Angst kroch an ihm hoch. Er drehte sich langsam um und suchte die Dunkelheit ab, konnte jedoch niemanden wahrnehmen. Offenbar hatte ihn Winter tatsächlich verloren.
Erleichtert atmete er aus, doch dann drang ein hämisches Lachen durch die Dunkelheit. Kurz darauf schlug neben ihm eine Kugel ein.
Er kam nicht mehr dazu das Weite zu suchen, der nächste Schuss traf ihn in die Schulter und jagte durch sein Fleisch. Schmerzen breiteten sich in ihm aus und Emil biss die Zähne zusammen.
Ein Schatten kam über den breiten Weg auf ihn zu, umso näher er kam, desto deutlicher wurden Winters Konturen.
»Ich habe keine Lust mehr zu spielen, Brenne«, schnaubte er und richtete dabei die Waffe auf die Brust des blonden Polizisten. »Wer hätte geglaubt, dass du so flink bist!«

Bevor Winters Finger den Abzug betätigen konnten, handelte Emils Körper automatisch. Er rollte sich zur Seite, stieß sich vom matschigen Boden ab, um sich in die Höhe zu katapultieren und schaffte es gut einen Meter entfernt zu sein, als die Kugel die Stelle traf, an der er zuvor gestanden hatte. Weitere Schüsse knallten in rasche Folge hintereinander, verfehlten ihn aber.
Emil hatte wieder begonnen zu rennen, in die komplett andere Richtung. War das Haupttor auch bereits zu? So langsam befürchtete er schon. Winter hatte die Falle perfekt konstruiert, sicherlich den Zeitpunkt so gesetzt, dass es für ihn kein Entkommen mehr geben würde. Links, rechts, links, rechts. So oft er konnte, änderte Emil die Richtung, rannte über die Gräber und entschuldigte sich dabei innerlich bei jedem der Verstorbenen, die in einiger Tiefe ruhten.
Seine Schulter pochte, blutete und er merkte, wie ihn das ganze Gerenne langsam an die körperlichen Grenzen brachte. Sein Herz trommelte in seinem Brustkorb. Die Atemzüge begannen immer mehr zu schmerzen. Er hatte das Zeitgefühl komplett verloren. Wie lange rannte er schon? Fünf Minuten. Fünfzehn Minuten? Vermutlich eher fünf.
Ein Schuss knallte hinter ihm, kurz darauf schlug eine weitere Kugel neben ihn ein. Würde er dadurch vielleicht sogar gerettet? So ein Schuss, den mussten die Anwohner in der Nähe des Friedhofs sicher hören.
»Brenne!« Winter Stimme wurde immer lauter, halte zwischen den Gräbern wieder. »Brenne, zeig dich!«
Sein Herz hämmerte in lauten rhythmischen Schlägen.
Ich habe keine Angst. Ich habe keine Angst. Es war eine Lüge, die er sich selbst nicht glauben konnte. Er hatte Angst, und zwar verdammt Große!
Er triefte vor Schweiß, seine Beine fühlten sich furchtbar schwer an. Der Regen hatte ihn bis auf die Knochen durchnässt und er fror erbärmlich. Am liebsten würde er sich einfach fallen lassen, doch er wusste, dass dann alles vorbei war, also riss er sich zusammen und hetzte weiter.
Wieso war er nur alle hergekommen? Aus welchem Grund hatte er nicht einfach Mats Bescheid gegeben?
Von seinen Gedanken abgelenkt stolperte er über eine Grabbegrenzung und schlug hart auf den Boden auf. Sein Oberkörper landete im tiefen Matsch und für einen Augenblick blieb ihm die Luft weg. Er riss den Kopf herum, konnte aber Winter nicht erkennen. Hatte er ihn endlich abgehängt? Schwer atmend drückte sich Emil an den Grabstein und lauschte in die Finsternis.
Sein Herz zitterte in seiner Brust. Noch nie in seinem Leben hatte er solche Angst verspürt.
Wo war Winter? Wo hatte sich das Schwein nur versteckt?
Er ärgerte sich, dass er so naiv gewesen war. Mats wäre so etwas nie passiert. Sein Partner und Mentor hätte sicherlich schon bei der SMS die Falle erkannt. Doch er war leichtgläubig hineingetappt, war gefangen in einem Katz-und-Maus-Spiel und zu allen Übel war er die Maus.
»Komm schon Brenne, wo versteckst du dich?«, säuselte eine Stimme. »Lass‹ es uns beenden. Komm raus …«
Unbewusst drückte sich Emil enger an den Grabstein und schob sich hinter einen wuchtigen runden Buchsbaum. Er traute sich kaum zu atmen – zu groß war die Angst, dass er dann entdeckt wurde. Denn eins wusste er: Er wollte nicht sterben.
Maik Winter ging in nur wenigen Metern Entfernung an seinem Versteck vorbei, bog nach einer Weile nach links ab, um seine Suche fortzusetzen.
Emils Körper begann angesichts der zunehmenden Unterkühlung an zu zittern. Er drückte die Knie an seinen Körper und versuchte sich so klein wie möglich zu machen, während er der Stimme von Winter lauschte, die sich immer mehr entfernte.
Was sollte er tun? Er war gefangen auf diesem verdammten Friedhof. Vielleicht konnte er sich wegschleichen? Auch Winter hatte in der Nacht kaum Sicht. Diese Tatsache konnte er sicherlich auch zu seinem Vorteil nutzen.
»Brenne … komm raus!«, hallte es dumpf in der Nähe und sorgte dafür, dass Emil seinen Gedanken wieder verwarf. Wenn er jetzt sein Versteck verließ, dann würde ihn Winter bemerken.
Er zog sein Handy hervor, schirmte es so gut es ging ab, und schickte Mats eine SMS: »Hilfe, werde beschossen. Melaten-Friedhof.«

3. Kapitel




Emil hockte in der kaltfeuchten Luft und lauschte in die Dunkelheit. Blindlings weiterzulaufen wäre reiner Selbstmord gewesen. Denn anders als Winter, besaß er keine Waffe. Er sah auf sein Handy. »Komme sofort«, hatte Mats ihm vor wenigen Minuten geantwortet. Er konnte nur hoffen, dass sofort auch wirklich in ein paar Minuten hieß.
Emil hatte Maik Winter schon lange nicht mehr gehört. Vielleicht hatte er ja aufgegeben? Nein, das konnte er nicht glauben. Winter war skrupellos, würde nicht aufgeben, bis vor er ihn gefunden hatte. Doch es war ganz still auf dem Friedhof. Kein Geräusch, noch nicht einmal das Rascheln einer Maus im Herbstlaub war zu hören. War das Winters neue Strategie? Ihn in Sicherheit wiegen und in einen Fehler zu treiben? Hielt er ihn wirklich für so dumm?

Emil betastete die Wunde an seiner Schulter. Sie schmerzte höllisch und er konnte das warme Blut unter seinen Fingerkuppen spüren. Aber es hätte noch schlimmer kommen können. Bisher hatte er viel Glück gehabt. Wäre Winter diese Treibjagd nicht in den Sinn gekommen, dann läge er jetzt sicherlich schon in seinem eigenen Grab. Ein Schauer überfiel ihn bei dem bloßen Gedanken an den Grabstein. Winter hatte sich viel Mühe gegeben, damit seine Rache an ihm perfekt war und dennoch war ihm ein Fehler unterlaufen, der dazu geführt hatte, dass er trotz allem noch lebte.
Aber natürlich hatte es ausgerechnet der Melaten-Friedhof sein müssen. Der größte städtische Friedhof überhaupt! Mit einem Mal fragte sich, wie Mats ihn hier überhaupt finden würde. Das Handysignal konnte doch so präzise auch nicht sein und eine genauere Ortung würde sicher lange dauern.


Etwas erhaschte Emils Aufmerksamkeit. Der Lichtkegel einer Taschenlampe tanzte zwischen den Gräbern umher und kam auf ihn zu. Emil hielt den Atem an. Das konnte nicht Mats sein. Noch war nicht genug Zeit seit der SMS vergangen. Außerdem wäre Mats niemals so dumm und würde mit einer Taschenlampe so offensichtlich seine Position preisgeben.
Das musste Winter sein. Sicher hatte der Kerl seine Taschenlampe gefunden, die er bei seiner Flucht am Nebentor fallen gelassen hatte.
Das Licht kam immer näher und Emil begann damit in seinem Kopf die möglichen Optionen durchzuspielen, die er jetzt noch hatte. Am Ende gab es nur eine Möglichkeit: Er musste versuchen Winter im Zweikampf zu überwältigen. Wenn er sich schnell genug auf ihn stürzte, konnte er Winter vielleicht die Pistole aus der Hand reißen.
Emil sammelte sich für den einen Moment und wartete geduldig auf den richtigen Augenblick. Der Lichtkegel der Taschenlampe wurde immer heller.
Noch nicht, noch nicht, noch nicht.
Jetzt!
Der Blonde schnellte nach oben, wirbelte blitzschnell herum und riss Winters Arm mit der Waffe nach oben. Dieser verlor durch den überraschenden Angriff den Halt um die Pistole, die in hohen Bogen wegflog und zu Boden fiel. Dann ließ Emil die Faust nach vorne preschen. Das Licht der Taschenlampe blendete, Emil sah kaum etwas, aber dennoch traf er irgendwie seinen Gegner und das ziemlich wirkungsvoll. Er hörte, wie Winter laut aufstöhnte. Noch ehe sich der Serienmörder berappeln konnte, schlug Emil abermals mit voller Wucht zu. Das sendete zwar eine Schmerzwelle von seiner Schulter durch den ganzen Körper, aber das Gefühl der Genugtuung war es ihm wert. Winter taumelte und verlor an einem der Grabbegrenzungen das Gleichgewicht, woraufhin er zu Boden fiel. Die Taschenlampe schlug auf dem matschigen Boden auf, das Glas zersprang, das Licht erlosch jedoch nicht.
»Du kleiner Wicht!« Winter rappelte sich auf und Emil wich ein paar Schritte zurück, um den bevorstehenden Angriff besser parieren zu können.
Winters Blick ging in Richtung der Pistole.
»Vergiss es!«, zischte Emil. »Du glaubst doch nicht, dass ich dich auch nur in die Nähe lasse!«
Doch Winter ließ sich nicht von seiner Warnung beeindrucken und hechtete bereits in Richtung der Waffe. Emil seinerseits zögerte nicht lange und stürzte sich auf sein Gegenüber.
Dieses Mal jedoch, war Winter vorbereitet auf seinen Angriff. Er stoppte, griff nach Emils Schultern und rammte ihm das Knie in den Unterleib. Emil stieß vor Schmerz rasselnd die Luft aus. Doch ehe er sich wieder erholen konnte, traf ihn der nächste Schlag von Winter, der den jungen Polizisten vollkommen aus dem Gleichgewicht brachte. Emils Lippe platzte auf, Blut lief über ihr Kinn. Winter ließ ihm keine Verschnaufpause und ließ einen Hagel gnadenloser Schläge folgen, bis er Emil schließlich mit einem Kinnhaken zu Boden schickte. Dann packte er ihn am Kragen und riss ihn wieder hoch, bis ihre Gesichter nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt waren.
»Ich habe die Schnauze voll, Brenne!«
Winter ließ ihn wieder auf den nassen Boden fallen. Emil hustete und schnappte keuchend nach Luft, jeder Atemzug brannte in seiner Brust. Auf seinen Lippen war der metallische Geschmack von Blut präsent.
Sein Angreifer schenkte ihm jetzt keine Aufmerksamkeit mehr und entfernte sich.
Die Pistole! Auch wenn jeder Zentimeter seines Körpers fürchterlich schmerzte, schaffte Emil es, sich noch einmal aufzurappeln. Er hechtete los, sprang auf Winters Rücken und riss den Kerl mit sich zu Boden. Wasser und Schlamm spritze auf, vermengte sich mit dem Blut auf Emils geschundenen Körper.
»Du Aas!«, knurrte Winter unter ihm hervor und warf ihn dann mit einer kräftigen Bewegung von sich runter und wendete das Blatt zu seinen Gunsten. Er dreht Emil auf den Rücken und rammte ihm das Knie gegen den Brustkorb.
Emil stemmte seine Arme gegen die Schultern seines Gegners, doch Winter rührte sich nicht einen Zentimeter. Die ganze Rennerei, die Verletzung und der Faustkampf hatten ihm alle Kraft geraubt. Er war am Ende, vollkommen erschöpft.
»Was glaubst du, mit wem du dich angelegt hast!«, säuselte Winter überlegen.
Winter lächelte ihn verstohlen an, und streckte den Arm aus, um die Waffe in die Hand zu bekommen. Noch einmal mobilisierte sich Emil, doch dieses Mal war er zu spät. Zwar gelang es ihm, Winter von sich zu stoßen, so dass er rücklings im Dreck landete, doch hatte dieser tatsächlich die Waffe in die Finger bekommen.
»Schönes sterben, Brenne.« Winter lachte und richtete den Lauf der Waffe auf den blonden Kriminalkommissar.
Dann fiel ein Schuss, der ein dumpfes Geräusch über den in dichten Nebel gehüllten Friedhof legte.

4. Kapitel

Ein dumpfer Schlag und ein brennender Schmerz in der linken Brust war alles, was Emil im Fallen registrierte. Dann lag er im Schlamm, warmes Blut lief über seine Haut und sammelte sich auf der feuchten Erde. Er rang nach Luft, doch seine Lunge versagte ihm den Dienst.
Winter beugte sich herunter, tätschelte seine Wangen und lachte. »Ich überlege gerade, welche Variante mir besser gefällt«, flötete er. »Dich mit einem zweiten gezielten Schuss erledigen oder dich leiden zu sehen … tut es sehr weh?«
Emil erwiderte nichts. All seine Konzentration lag darauf, seinen panischen Körper zu beruhigen, sich dazu zu zwingen, ruhig zu atmen. Er musste um jeden Preis wach bleiben. Zugleich spürte er, wie er immer müder wurde. Bei jedem Atemzug schien wenig Sauerstoff in seinem Körper anzukommen. Dumpf, als wäre es Meter entfernt, hörte er das Lachen von Winter, das immer intensiver wurde.
Bleib wach. Bleib wach.
Emil rang verzweifelt nach Luft. Es fühlte sich an, als würde er ertrinken. Sein Sichtfeld begann sich immer mehr zu verdunkeln.
Bleib wach. Bleib …
»Hey! Komm schon, Brenne. Ist das alles?« Zwei harte Schläge gegen die Wange, die sich wie Peitschenhiebe anfühlten, holten ihn unsanft zurück.
Emils braunen schmerzverzerrten Augen sahen in das verschwommene Gesicht von Winter.
»So macht es doch keinen Spaß … du musst dir schon etwas mehr Mühe geben.« Der Pistolenlauf glitt über Emils Brust, berührte die Einschusswunde und sendete abermals einen brennenden Schmerz durch den geschundenen Körper. Emils blutverschmierten Lippen öffneten sich zu einem lautlosen Schrei. Vielleicht war es das Beste, wenn er einfach aufgeben würde? Emil quälte seinen Körper dazu immer wieder Luft zu holen, während er abermals die schweren Lider schloss.
»Brenne, komm!« Winter ließ keine Ruhe, wollte jeder Sekunde seines Leidens in vollen Zügen genießen.
Ein plötzlicher stechender Schmerz sorgte dafür, dass Emils Augen weit aufrissen. Winter beugte sich tiefer zu ihm herunter.
»Lass dir etwas mehr Zeit … ich will es auskosten.« Die Pistole tauchte in Emils Sichtfeld auf. Der blutverschmierte Lauf glitt über seine Wange. »Ich werde sie immer wieder hineinbohren, Brenne … sobald du nur daran denkst die Augen zu schließen.«
Erneut hallte ein Lachen über den Friedhof. »Ich habe dir Rache geschworen Brenne. Ich habe dich gewarnt … du sollst den Großen nicht ans Bein pinkeln, habe ich gesa …«
Maik Winter brach ab und Emil hörte Wortfetzen, einen Schuss. Etwas Schweres landete auf ihm, nahm ihm all die verbliebene Luft und schickte ihn zurück ins schwarze Nichts.

Dann wieder Schläge auf seiner Wange, seichter als zuvor. Das schwere Gewicht war verschwunden, dennoch fiel es ihm das Atmen unglaublich schwer.
»Aufwachen Emil, aufwachen«, sprach eine bekannte Stimme.
Emil bemühte sich, die Dunkelheit zu durchwandern. Die Schläge wurden immer härter, hektischer.
»Tu mir das nicht an!«
Der blonde Kommissar nahm all seine verbliebene Kraft zusammen und öffnete die Lider. Jemand kniete über ihm und sah ihm direkt in das Gesicht. Die Züge der Person waren fließend, vollkommen unscharf und doch konnte er sie erkennen. »Mats«, flüsterte er. Der Geschmack von Blut füllte seinen Mund, und er hustete.
»Halt durch … Elif zeigt der Rettung den Weg. Hilfe kommt …«
»Ich … war … dumm«, presste Emil unter Schmerzen hervor und wollte die Augen wieder schließen.
Doch Mats ließ das nicht zu. »Wach bleiben, Emil. Mehr musst du nicht tun, okay?!«
»Ist es ... sehr schlimm?«
»Nein. Es geht.« Emil spürte, wie Mats seine Hand umgriff und seicht drückte. »Nur ein Kratzer … nichts, was einen Polizisten umhauen würde.«
»Ich bin … müde …«
»Ich weiß, aber noch musst du etwas wach bleiben, ja?«
Emil bemühte sich, dieser Aufforderung nachzukommen. Es schien, als sei seine Lunge mit tausenden von Glasscherben gefüllt, die bei jedem Atemzug seine Lunge aufschlitzten. Dennoch hob und senkte sich sein Brustkorb weiterhin, obgleich jeder Atemzug schmerzte.
Wieder verschluckte er sich an dem Blut und musste husten. Dabei verschluckte er sich noch mehr.
»Nur noch ein bisschen. Die Rettung ist unterwegs …«

Jeder Atemzug schien plötzlich größte Anstrengungen von ihm zu erfordern. Er konnte nicht mehr. Er hatte das Gefühl, als würde ein tonnenschwerer Laster auf seiner Brust parken und allen Sauerstoff aus den Lungen pressen. Die Atemnot versetzte ihn in Todesangst. Panisch wurde sein Druck um Mats‹ Hand fester. »Ich bekomme … keine Luft …«
»Du musst ruhig bleiben, Emil. Alles wird gut … es ist nur eine kleine Verletzung. Du wirst das schaffen …«
Pfeifend sog Emil die spärliche Luft in seine Lungen. »Ich … habe … Angst.« Eine Träne rann über seine Wange. »Ich will nicht st …«
Mats ließ ihn diese Worte nicht aussprechen. »Alles wird gut, glaub mir. Bald hast du es geschafft«, sprach er ihm mit ruhiger Stimme Mut zu.
Doch schließlich erlag Emil der Erschöpfung. Seine Lider schlossen sich. So sehr er es auch versuchte, er konnte sich nicht mehr ihm Hier und Jetzt halten. Sein Bewusstsein verschwamm und er versank im dunklen Nichts.

5. Kapitel

Noch bevor Emil die Augen öffnete, wusste er, dass er sich in einem Krankenhaus befand. Mit den ersten klaren Strömungen des Bewusstseins nahm er Geräusche wahr: Das gleichmäßige Piepen der Geräte, das Blubbern des Sauerstoffgeräts. Dieses Quietschen von Schuhen auf Linoleum.
Mit Mühe hob er die schweren Lider. Seine Pupillen zogen sich unter dem grellen Licht augenblicklich zusammen und er kniff die Augen wieder zu. Er blinzelte einige Male und startete einen neuen Versuch. Er sah an die weiße Decke.
Wie war er hierher gekommen? Langsam kämpft sich die Erinnerung zurück in sein Gehirn. Winter hatte auf ihn geschossen. Er hatte im Schlamm gelegen, mit jedem Atemzug gekämpft.
Emil senkte den Blick und hob den linken Arm ein Stück nach oben. Überall erkannte er Schläuche. Kraftlos ließ er ihn wieder fallen, woraufhin ein stechender Schmerz sich ausbreitete. Er stöhnte leise auf.
»Na, sind wir aufgewacht?«, fragte eine Stimme zu seiner Rechten, die er sofort unter tausenden erkennen würde.
Er drehte den Kopf zur Seite. Sein Blick fiel auf Mats, der auf einem Stuhl saß und ihn anlächelte.
»Erinnerst du dich, was passiert ist?«, wollte sein Freund wissen.
»Erinnern?« Emils Gesicht verdunkelte sich. »Und ob!«
»Winter ist tot«, erklärte Mats. »Wir hatten keine andere Wahl … er hatte auf dich gezielt …« Der ältere Kollege lächelte. »Ich glaube nicht, dass du es noch mitbekommen hast, oder?«
Emil schüttelte leicht den Kopf und schloss für einen Moment die Augen.
»Zu allen übel ist er natürlich auf dich drauf gefallen«, fügte Mats an.
Das plötzliche schwere Gewicht. Daran erinnerte Emil sich, wenn auch nur dumpf und verschwommen.
Emil öffnete die Augen wieder ein Stück und sah zu Mats. »Wie hast du mich so schnell gefunden?«, nuschelte er müde hervor.
»Glück.« Mats lächelte und lehnte sich etwas in dem Stuhl zurück. »Ich habe ein großes Team angefordert, dann hatten wir uns auf die verschiedenen Zugänge aufgeteilt … Dann war da ein schwaches Leuchten.«
»Leuchten?«
»Die Taschenlampe«, sagte Mats.
Emil brauchte einige Zeit, ehe er die Taschenlampe in das Geschehen der letzten Nacht zuordnen konnte. Stimmt, sie war im Kampf heruntergefallen … aber weiter geleuchtet.
»Wieso bist du nur alleine dahin?« Der Ältere blickte ihn vorwurfsvoll an. »Noch dazu ohne Waffe oder irgendeinen Schutz?«
»Ich dachte … es wäre ein Informant«, murmelte Emil hervor.
»Und mit dem trifft man sich auf dem Friedhof?« Mats verschränkte die Arme vor der Brust. »Ist dir eigentlich klar, dass du verdammt viel Glück hattest?«
»Du sagtest, es wäre nur ein Kratzer …«
Diese Aussage brachte Mats zum Grinsen. »Ja, ein verdammt großer Kratzer«, antwortete der Deutschtürke.
»Ich weiß nicht … ich war dumm, übermotiviert …«
Mats nickte. »Nie wieder, hörst du? Nie wieder triffst du einen Unbekannten alleine! Ich habe keine Lust, mir schon wieder einen neuen Partner zu suchen …«
»Ja doch …«
»Nicht, ja doch … das hört sich an, als wärst du dein trotziger Teenager, der später doch wieder Unfug treibt!«
Emil hob die rechte Hand ein Stück und kreuzte Zeige- und Mittelfinger. »Versprochen.«
»Dabei überkreuzt man die Finger nicht«, sagte Mats.
»Nicht?« Emil spreizte die Finger der rechten Hand ein Stück auseinander. »Dann eben anders. Ich schwör’s.«
»Schon besser …«
Mats bückte sich und hob eine Reisetasche auf den Schoss. »Ich habe mir erlaubt, dir ein paar Sachen zu holen …« Der Reißverschluss der Tasche wurde aufgezogen. »Da haben wir ein paar Klamotten, Duschzeug, Zahnpasta und Zahnbürste … diese Zeitschrift, die auf deinem Tisch lag …«
»Das Skate-Magazin?«, unterbrach Emil flüsternd.
»Ja … genau.«
»Perfekt.«
Mats lachte leise. »Dir fallen doch gerade schon fast die Augen zu … ich glaube, vor morgen kommst du nicht dazu die zu lesen. Und dabei hast du schon ewig geschlafen …«
Die letzten Worte seines Kollegen erhaschten Emils Aufmerksamkeit. Die Müdigkeit, die sich in den letzten Minuten eisern über ihn gelegt hatte, war vergessen.
»Wie lange war ich weg?«
»Knapp dreißig Stunden.«
»Dreißig …« Emil schloss die Augen. Dreißig Stunden, das war eine ganze Menge. Wie viel Uhr war es dann? »Wie spät ist es?«
»Etwas später als drei Uhr … wir haben Freitag.«
»Es ist Nacht?« Emil konnte es nicht fassen. Er war der Überzeugung gewesen, dass es vielleicht früher Morgen war.
»Ja …«
»Und du warst … die ganze Zeit hier?«
Mats lachte. »Wo denkst du hin? Ich habe mich mit deiner Mutter und deiner Schwester abgewechselt … ich kann sie anrufen, wenn du magst.«
Emil schüttelte seicht den Kopf. »Lass mal … ich möchte noch etwas Ruhe haben … und wenn es ohnehin in der Nacht ist …«
»Das ist verständlich.« Mats war aufgestanden und drückte sanft seine unverletzte Schulter. »Ich werde dann jetzt den Ärzten Bescheid geben, dass du wach bist und danach nach Hause. Habe morgen Dienst.«
»Die Verbrecher machen schließlich keine Pause«, erwiderte Emil mit leiser Stimme und verfolgte, wie Mats das Zimmer verließ.


Nachdem der Arzt noch kurz bei ihm gewesen war, fand Emil keine Ruhe mehr. Er starrte an die Decke und versank in Gedanken. Er hätte tot sein können, verflucht! Winter hätte sich nur entscheiden müssen, nicht mit ihm zu spielen und dann wäre er jetzt nicht mehr am Leben. Auch ohne das Spielchen von Winter hatte er verdammt viel Glück gehabt. Hätten Mats und Elif ihn nur wenige Minuten später gefunden, dann wäre er ebenfalls tot.
Zu seinem Glück war die einzige Folge, die von seiner Dummheit bleiben würde, die Tatsache, dass er die nächsten Wochen nicht auf die Straße konnte. Seine linke Lunge war durch den Schuss verletzt worden, musste sich nun erst wieder erholen. Doch dann, dann könnte er wieder ganz normal seinen Job nachgehen. Einem Job, in dem er noch immer viel zu lernen hatte …

6. Kapitel

Emil ging langsam den Kiesweg hinauf. Erinnerungen an die Nacht, in der er fast sein Leben verloren hatte, kehrten bruchstückhaft zurück. Es war, als wüsste sein Unterbewusstsein plötzlich ganz genau, welche Wege er in der Dunkelheit genommen hatte. Doch anders als jener Nacht, war der Friedhof heute voller Leute. Auf den Kieswegen traf er Menschen aller Altersklassen: Menschen, die eine Abkürzung nahmen. Touristen, die eines der Prominentengräber besuchten und Menschen, die ihren Angehörigen einen Besuch abstatteten.
Auf der Fahrt hierher hatte Mats für ihn angehalten und er hatte Blumen gekauft. Nun wartete sein älterer Kollege im Auto. Dazu hatte Emil ihn nach langer Unterredung immerhin überreden können, denn natürlich wäre Mats am liebsten mit hierher gekommen und hätte ihn keinen Moment aus den Augen gelassen.
Emil umgriff den Blumenstrauß fester. Er kam an einem Wasserhahn vorbei, unter dem eine blaue Gießkanne stand. Für einen Augenblick blieb er stehen. War er hier auch in der Nacht vorbeigekommen? Bewusst konnte er sich daran nicht erinnern, aber in ihm war dieses nagende Gefühl.
Er atmete tief durch und ging weiter, bis er das Grab gefunden hatte, an dessen Grabstein er sich in jener Nacht versteckt hatte. Unmittelbar hier musste er auch im Schlamm gelegen haben und um sein Leben gekämpft.
Seine Augen fuhren über den eingelassenen Schriftzug.
Eine liebende Familie, stand dort geschrieben. Darunter einige Namen und Daten. Einige der Familienmitglieder waren alt geworden, andere nicht. Drei der Menschen, die hier lagen, waren am gleichen Tag gestorben. Eltern und ihr Kind, vermutete er.
Emil kniete sich herunter und stellte die Blumen in die Vase. Ihm fiel auf, dass die Erde an einigen Stellen immer noch platt war und Unkraut nur so sprießte. Er bekam ein ungeheuer schlechtes Gewissen. Für das Unkraut konnte er nichts, aber doch für den Rest.
Er entfernte Blätter und Zweige, zupfte einige der langen Gräser heraus und pflügte mit den Fingern durch die feuchte Erde.
Er lächelte. So war es schon viel besser.

»Du sagtest fünfzehn Minuten.«
Emil fuhr erschrocken zusammen. Er war so vertieft in seine Tätigkeit gewesen, so dass er Mats überhaupt nicht gehört hatte.
»Nun sind es schon fast Dreißig«, fügte Mats hinzu.
»Ich … wirklich?« Emil konnte sich nicht vorstellen, dass schon so viel Zeit vergangen war. Was hatte er in den letzten dreißig Minuten getrieben?
Er sah auf den Grabstein. »Es ist mehr als drei Wochen her«, sagte er traurig, »und niemand hat sich um das Grab gekümmert.«
Der blonde Polizist stand auf. »Ein Familiengrab … denkst du, es gibt niemanden mehr? Das die Familie einfach ausgelöscht ist? … Als letztes ist ein alter Mann gestorben, vielleicht war er der Einzige, der noch übrig war … er muss einsam gewesen sein.«
Mats stellte sich neben Emil und blickte auf den Grabstein. Im Gesicht seines Partners sah Emil etwas, dass er nicht zuordnen konnte. Etwas, dass er bei Mats noch nie gesehen hatte. Eine Mischung aus Trauer und Wut.
»Was ist?«, hakte er nach.
»Nichts, nichts …«
»Und das soll ich dir abnehmen?«, fragte Emil skeptisch, während er den Grabstein und seinen Kollegen abwechselnd musterte.
»Der Spruch auf dem Grabstein, er stimmt nicht.«
Emil sah zum Grab. Eine liebende Familie. »Was stimmt daran nicht?«
»Alles … die Hansens waren keine liebende Familie. Sicher auch der Grund, weshalb sich niemand mehr um das Grab kümmert.«
Emils Augen weiteten sich. »Du kennst die Menschen, die dort liegen?«
»Georg, Henning und Andreas Hansen. Größen der Kölner Unterwelt.« Mats lächelte. »Allerdings vor deiner Zeit.«
»Mhm.« Emil ließ die Hände in seine Hosentaschen sinken. »Na dann … die hätten sicherlich nicht gedacht, dass sie einmal einem Polizisten Schutz gewähren. Was?«
»Sicher nicht. Nein.«

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 09.06.2017

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /