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Eskil

Vor vielen, vielen Jahren wurde der Planet von einem großen Krieg, um die wertvollsten Ressourcen, überzogen.
Einem Kampf, in dem die Menschheit, die Grenzen des möglichen überschritt und das Gesetz der Sterblichkeit außer Kraft setzte. In ihrer Gier nach Macht ging eine der Parteien so weit, dass sie aus den Körpern der gefallenen Soldaten menschliche Waffen entwickelten. Eine Kampfmaschine, die nicht getötet werden konnte, es sei denn, man entriss ihr das Herz.
Sie waren die Untersterblichen oder auch Krigsdjöfull.
Unmenschliche Gestalten, deren Herz, laut der Legende, aus schwarzem Stein bestand, welches nur von Haas und Blutlust angetrieben war.
Als der größte Krieg der Menschheit nach mehr als fünfzig Jahren endete, sollte sich für die Untersterblichen alles ändern. Sie wurden von Jägern zu gejagten, da sie den ethischen Grundrechten widersprachen und von Gottes Gnaden überhaupt nicht existieren dürfen.
Seither wurden viele der Ihren getötet und nur wenige hatten es geschafft sich über die letzten siebenundachtzig Jahre vor der Regierung zu verstecken.
Einer von ihnen war Eskil. Äußerlich glich er einem Zwanzigjährigen, doch inzwischen lebte er nun schon über hundert Jahre auf diesem Planeten.
Er war immer auf der Flucht, nie blieb er länger als vier Jahre an einem Ort. Zu groß war die Gefahr, dass man erkennen würde, dass er nicht älter wurde und ihn der Regierung meldete. Immer wieder hieß es für ihn, Lebewohl zu sagen, sich von Freunden zu verabschieden und weiterzuziehen.
Es war Abend. Er stand auf einem felsigen Hügel und sah auf die Stadt unter sich. Der kühle Nachtwind, wehte sein schwarzes Haar immer wieder in sein Gesicht, fand seine Wege durch seine Kleidung und ließ ihn leicht frösteln.
Hólmgarðr, die Stadt, die ihm zu Füßen lag, war seit zwei Jahren sein Zuhause. Er lebte in einer kleinen Wohnung am Stadtrand, gab sich Mühe in seine Umgebung einzutauchen, so unsichtbar wie möglich zu sein. Eskil mochte die Stadt und er mochte die Leute. Den Gemüsehändler, der bereits früh am morgen einen kessen Spruch auf den Lippen hatte, die ältere Dame von Gegenüber, die ihm jedes Mal, wenn er ihre Einkäufe trug, eine Tafel Schokolade mitgab. Er würde nur noch zwei Jahre mit ihnen verbringen können, vielleicht weniger, wenn man ihn bereits zuvor entdeckte. Wie viele Menschen hatte er schon in seinem Leben kennengelernt? Irgendwann hatte er aufgehört zu zählen. Viele Namen verloren über die Zeit ihr Gesicht, waren nur noch eine wage Erinnerung an ein längst vergangenes Leben.
Eskil sah nach oben. Der Mond stand hoch erhoben am sternenklaren Himmel. Sofort schlich sich ein sanftes Lächeln auf meine Lippen. Immerhin einen ständigen Begleiter hatte er. Der Mond würde ihn niemals in seinem Leben verlassen, war die einzige Konstante, die er hatte.
Der Mond und die Sterne.
Vielleicht war das der Grund, weshalb Eskil die Nacht so mochte? Sie strahlte Ruhe aus. Ruhe sowie Entspannung und Stille. Zu keiner Zeit fühlte er sich so sicher wie in der Nacht. Er fischte eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche seiner braunen Lederjacke und klappte sie auf, klopfte eine Zigarette heraus und steckte sie zwischen die Lippen. Dann zog er ein silberfarbenes Feuerzeug aus der Tasche und zündete sich die Zigarette an. Während er genüsslich den ersten Zug machte, drehte er das Feuerzeug mehrmals in der Hand, während sein Blick sich wieder auf Hólmgarðr richtete.
Hólmgarðr war bekannt als eine der Städte, die im Krieg Glück hatten und einer großen Zerstörungswelle entkommen waren. Das zeigte sich auch im Stadtbild. Es gab eine prächtige Altstadt mit prunkvollen Fachwerkhäusern. Solchen, wie man sie in der heutigen Zeit nur noch an wenigen Orten fand. Manchmal glaubte Eskil, dass er kein Recht habe hier zu sein. Hier an diesem Ort, der dem Krieg entkommen war.
Er, der Krigsdjöfull. Noch heute suchten ihn Albträume an jene Zeit heim. Manchmal, an besonders schlechten Tagen, da glaubte er, dass er den Geruch des Blutes auf den Schlachtfeldern riechen konnte und die Schreie der Verwundeten hören. Eskil hatte viele von ihnen getötet, sie von ihrem Leid befreit, weil er gewusst hatte, dass sie sonst an Ort und Stelle verbluten würde. War es da nicht besser sofort zu sterben durch einen gezielten Schwertstoß in das Herz?
Seine Hand fuhr an sein Herz. Würde ein anderer Mensch diese Geste tun, so war er sicher, dass es für ihn vorbei wäre. Sein Herz schlug nicht. Es war ein Klumpen einer hoch entwickelten Antriebseinheit, die die Menschheit in den Hochzeiten des Krieges entwickelt hatte. Dieser schwarze Klumpen in ihm drin war auch der Grund, weshalb er nicht schlafen brauchte. Die Energie der Antriebseinheit war unendlich, verringerte sich nur unter großer Anstrengung, wurde jedoch in Ruhephasen schnell wieder aufgeladen. Auch Essen benötigte er nicht, doch er hatte sich angewöhnt, dennoch zu essen, vor allem in der Umgebung von anderen Menschen. Nur so konnte er weiterhin unentdeckt bleiben. Doch es gab Tage, da fragte er sich, ob er das überhaupt wollte. War es nicht besser, einfach zu sterben? Wollte er dieses Leben auf der Flucht wirklich? Immer wieder weiterziehen, niemals heimisch sein können … es war ein Fluch, dem er nur durch seinen Tod entkommen konnte.
Als er das letzte Mal entdeckt wurde, da hatte er sich für wenige Sekunden diesem Gedanken hingegeben. Er war nicht gerannt, sondern stehen geblieben. Sie hatten auf ihn geschossen, ihn an der rechten Schulter erwischt. Der daraus resultierende Schmerz hatte ihn zurückgebracht ins Hier und Jetzt und Eskil war losgerannt. Am Ende hing dann wohl auch er an seinem Leben, wie erbärmlich es auch sein mag.
Er nahm den letzten Zug aus seiner Zigarette und trat sie anschließend auf dem Boden aus. Eskil blickte auf seine Armbanduhr und sah nach, wie lange die Nacht noch andauern würde. Er hatte versprochen am morgen dem Obsthändler dabei zu helfen seine Ware vom LKW in den Kühlraum zu bringen und er wollte auf keinen Fall zu spät kommen. Immerhin war er es ein sympathischer Kerl. Er dachte anders als seine Mitmenschen, sah die Unsterblichen nicht als große Gefahr. Er hatte in einmal erzählt, dass er vor vielen Jahren als Jugendlicher einen Unsterblichen gekannt habe. Sie seien befreundet gewesen, bis dieser weiterzog. Zu gerne hätte Eskil ihm daraufhin erzählt, dass auch er ein Unsterblicher war, doch die Erfahrungen in der Vergangenheit hatten es ihm eines Besseren belehrt. Einmal hatte er in seinem Leben einem Menschen erzählt, wer oder was er war und nur einen Tag später stand die Sondereinheit der Regierung vor seiner Tür. Geradeso war ihm die Flucht gelungen.
Eskil hielt inne, als er etwas in dem Gebüsch hörte. Leise Stimmen. Jemand flüsterte. War er entdeckt worden?
War es bereits wieder vorbei?
Er lauschte. Da, da waren sie wieder! Tiefe Stimmen. Drei Männer oder mehr.
Lauf, schrie sein Unterbewusstsein.
Und er rannte los. Er rannte so schnell, wie er selten in seinem ganzen Leben gerannt war, rannte mit großen Schritten den Felsvorsprung hinunter und hechtete in Richtung Wald. Aus dem Augenwinkel konnte er sehen, wie hinter ihm einige Männer aus dem Gebüsch sprangen und hinter ihm her rannten, doch durch seine schnelle Reaktion hatte er sich einen kleinen Vorsprung erarbeiten können.
Dann fiel der erste Schuss. Die Kugel traf einen Stein und zischte als Querschläger davon.
Weiter … lauf einfach weiter, befahl er sich. Bleib nicht stehen. Du musst sie abhängen.
Weiter, weiter, weiter …
Schüsse waren zu hören, Schreie. Ein stechender Schmerz bohrte sich in seinen Bauch und er wusste, dass er getroffen war. Seine rechte Hand ging an die Stelle, von der der Schmerz sich ausbreitete und er spürte etwas Warmes unter seinen Fingerkuppen. Blut.
Er ignorierte die Schmerzen und rannte einfach weiter. Inzwischen hatte er den Wald erreicht. Die Bäume standen dicht an dicht, der Mond brach nur vereinzelt durch die Baumkronen. Er hörte ein entferntes Rufen eins Käuzchens und ab und an mal ein Rascheln im Gebüsch. Der dünne Weg, auf dem er lief, war verwachsen und deutete darauf hin, dass hier nicht besonders viele Menschen hinfanden.
Doch lange hielt sich die Ruhe nicht.
Die Stille des Waldes wurde durch gellende Schreie und donnernden Schüsse abgelöst. Eskil wich von dem schmalen Weg ab und rannte ins Unterholz. Er wusste, dass es die einzige Möglichkeit war, die er jetzt hatte.
Er hörte die Schritte hinter sich näher kommen, traute sich jedoch nicht, sich umzusehen. Sein Blick war starr nach vorne gerichtet. Eskil spürte die Gefahr in jeder einzelnen Zelle seines Körpers. Ein Zweig streifte seine rechte Gesichtshälfte und hinterließ einen tiefen Kratzer.
Unachtsam stolperte er über eine Wurzel und schlug hart auf den Waldboden auf. Als sein Oberkörper auf dem harten Boden aufkam, blieb ihm die Luft weg. Die Todesangst trieb seinen Körper hoch und er rannte weiter. Mit Erleichterung stellte er fest, dass er seine Verfolgung langsam abschütteln konnte. Immerhin konnte der Körper eines Unsterblichen deutlich länger durchhalten, als der eines normalen Menschen. Trotzdem rannte er weiter.
Eskil war außer Atem. Der Schweiß lief ihm über die Stirn und einzelne Strähnen klebten nass daran. Er wusste nicht mehr, wie weit er gelaufen war, doch irgendwann fiel er erschöpft auf die Knie. Seine Beine wollten ihn nicht mehr tragen.
Er war am Ende!
Er drückte sich unter eine Baumwurzel und hoffte, dass man ihn hier nicht entdecken würde. Mit der linken Hand fuhr er über seine rechte Seite. Das Blut sickerte zwar langsam aber stetig durch seine Finger.
Es schmerzte, doch er wusste, dass der Schmerz nicht lange andauern würde. Bald würde die Wunde sich selbst verschließen. Bereits in wenigen Stunden würde von der Verletzung nichts mehr zurückbleiben, außer dem Blut, welches sich in seinen Pullover gesogen hatte.
Er wartete ab. Sekunden? Minuten oder Stunden? Er wusste es nicht. Er wartete ab, bis alles um ihn herum still war und die Sonne sich am Horizont zeigte. Erst dann richtete er sich langsam auf. Es war Zeit in die nächste Stadt weiterzuziehen …

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Tag der Veröffentlichung: 12.06.2017

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