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Freundschaft bis über den Tod hinaus

Niklas betrachtete den Grabstein. Granit, roh behauen. Die Buchstaben waren eingemeißelt. Es gab keinen Spruch, nur den Namen des Toten und die Lebensdaten. Er blickte stumm auf das Grab, wusste nicht ob er über die Zeit, die sie miteinander verbringen konnten, lachen oder ob er weinen sollte, dass er seinen Freund so früh verloren hatte.

„Ich hab’s geschafft“, brachte er schließlich nach einer halben Ewigkeit heraus. „Ich habe es geschafft. Ich habe die Kommissarsausbildung abgeschlossen.“

Er schluckte unbehaglich und spürte, wie sich Tränen ihren Weg bahnten. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als das sein Freund ihn die letzten Jahre begleitet hätte. Mit ihm über den Prüfungsunterlagen büffelte, die Mitschülerinnen begutachtete, lachte und die langweiligen Vorlesungen etwas Spannender gestaltete.

„Ich hätte dich gerne bei mir gehabt“, murmelte er leise, „dich an meiner Seite gewusst.“ Er stellte sich vor, wie er irgendwo saß und seinen Worten lauschte.

Niklas war nicht besonders gläubig, dennoch hielt er an der Vorstellung fest, dass es nach dem Tod noch etwas geben würde. Es konnte doch nicht einfach so vorbei sein, da musste noch etwas kommen. Außerdem half diese Vorstellung dabei, die Trauer in Schach zu halten. Es war ein schöner Gedanke, dass irgendwo da oben sein Freund auf ihn herabsah und seine Schritte verfolgte.

Er machte einige langsame Schritte über das herbstliche Laub, das unter den Füßen leise knisterte, und setzte sich auf eine der Bänke, die nur unweit von dem Grab standen.

Stumm beobachtete er, wie die Blätter vor ihm im Rhythmus des Windes tanzten. Sie flogen leicht durch die Luft in die Richtung, wie der Wind sie wehte.

 

Du bist kein Blatt im Wind, Niklas, du kannst deinen eigenen Weg bestimmen. Du musst nicht machen, was dir andere vorgeben.

 

Niklas lächelte. Er war mehr als froh darüber, dass er den Ratschlag seines Freundes befolgt hatte. Er konnte sich nicht vorstellen, dass er hinter einem Schreibtisch in der Firma seines Vaters saß. Natürlich war sein Vater über seinen gewählten Weg nicht glücklich gewesen, doch inzwischen hatte er sich damit arrangiert.

Niklas schnappte eines der Blätter aus der Luft und ließ es in seiner Hand zerbröseln. 

Alles war vergänglich. 
Nichts war für die Ewigkeit.

Und doch spürte er, dass ihre Freundschaft noch nicht vorbei war. Er spürte sie in seinem Herzen. Es fiel ihm zwar immer schwerer, sich das Gesicht seines Freundes vorzustellen, doch er war immer noch bei ihm und gab ihm Ratschläge, half ihm wichtige Entscheidungen in seinem Leben abzuwägen. Er war Polizist geworden, wegen ihm. Das war ihr gemeinsamer Traum gewesen und Niklas hatte sich vorgenommen, dieses Ziel für sie beide zu verfolgen.

Sicher, er hatte diesen Weg nach seinem Tod für einige Jahre aus dem Blick verloren, doch dann, nach dem Abitur war ihm klar, dass es seine Zukunft war. Er alles für diesen einen Traum geopfert. Am Ende hatte es immerhin dazu gereicht, dass er seine Kommissarsausbildung beim LKA machen konnte und das war doch was. 

Wo ihn sein Leben wohl noch hintragen würde? In den letzten Tagen hatte er sich verschiedene Dienststellen angeschaut und sich informiert. Mord und Drogen klangen spannend, aber waren auch die beliebtesten Ziele vieler Absolventen. Vielleicht das BKA? Oder er könnte beim LKA bleiben? Mit seinem Ausbilder war er eigentlich gut zurechtgekommen und auch zu den Kollegen hatte er ein gutes Verhältnis entwickelt.

Er schloss die Augen und genoss den warmen Wind, der ihm durch das Haar fuhr. Er atmete tief durch die Nase ein und sog den unverkennbaren Duft des Herbstes ein.

Es würden sicher nur noch ein paar schöne Tage sein, bis der Winter die Stadt mit seinen eisigen Krallen umklammerte und erst nach wenigen Tagen wieder losließ.

Niklas konnte dem Winter nicht viel abgewinnen, für seinen Freund war es die schönste Zeit im Jahr gewesen.

Er hatte den Schnee und die kühle Luft geliebt. 

Er dachte an die schöne Zeit zurück, die er mit seinem Freund hatte. All die schönen, unbeschwerten Stunden im Kindes- und Jugendalter.

Das obligatorische Schneemann bauen, Eishockeyspiele auf dem gefrorenen See auf dem Grundstück seines Vaters. Schneeballschlachten.

Im Sommer Radrennen, bei denen Niklas sich nicht nur einmal das Knie aufgerissen hatte. Einmal war er mit vollem Tempo in einem Baum gelandet. Er hatte zum Nähen ins Krankenhaus gemusst und für eine Nacht dortbleiben müssen.

Die Stimme seines Freundes hallte in seinem Kopf wieder.

Er wird es nicht merken, wenn wir ein paar Äpfel stehlen! 
Sei kein Frosch Niklas, es wird ein toller Spaß werden. 
Wir werden beste Freunde bleiben. Für immer!
 

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Tag der Veröffentlichung: 03.06.2017

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