Henrik Nyman parkte seinen Dienstwagen kurz vor dem blau-weißen Flatterband mit der Aufschrift 'Polis'. Er sah durch das Geflimmer der Regentropfen hinaus auf die herrschaftlichen Wohnungen Östermalms am gegenüberliegenden Ufer. Vor ihm peitschten die Scheibenwischer hin und her. Er seufzte. Schon seit Tagen regnete es in Stockholm ununterbrochen. Er hätte das Diensthandy nicht abnehmen sollen. Er hätte im Bett bleiben sollen, um auszuschlafen und dann später mit seiner Freundin zu frühstücken. Wie sehr er diesen verdammten Bereitschaftsdienst am Wochenende hasste.
Henrik zog den Reißverschluss seines Anoraks hoch und stieg aus. Kalter Regen peitschte ihm sofort von der Seite ins Gesicht und floss seinen Nacken hinunter unter die Regenjacke. Ihm schauderte es.
»Verdammtes Wetter«, schimpfte er. Es war August, da könnte sich die Sonne zumindest für ein paar Stunden am Himmel zeigen.
Henrik schlüpfte unter dem Absperrband hindurch und betrat mit eiligen Schritten die alte, schmiedeeiserne Skeppsholmsbron-Brücke, welche seit 1862 die Insel Skeppsholmen mit Norrmalm verband. Suizid hatte es am Telefon geheißen. Eine männliche Person war gesprungen und auf dem Betonfundament eines Brückenpfeilers aufgekommen.
Wer zur Hölle beging überhaupt hier Selbstmord? Die Brücke lag nicht besonders hoch über dem Wasser. Fünf Meter vielleicht, wenn überhaupt. Ganz in der Nähe der Goldenen Krone, die die Brücke zu einem der Wahrzeichen Stockholms machte, hatte sich eine Traube aus Polizisten und Kriminaltechnikern gebildet. Dort schien es also passiert zu sein.
Als er fast am Tatort angekommen war, sah eine große schlanke Gestalt zu ihm herüber und löste sich dann aus der Gruppe. Andreas Holmberg, sein Vorgesetzter und Kriminalkommissar beim Dezernat für Gewaltdelikte, wie die Mordkommission seit einigen Jahren offiziell hieß.
Holmberg sah ihn finster an, den Mund zu einer dünnen, entschlossenen Linie zusammengepresst. Der sonst obligatorische Handgruß blieb aus. Es lag etwas in der Luft, eine Vorahnung. Noch ehe Holmberg ihn erreichte, wusste Henrik, dass das, was ihn erwartete, nicht der normale Polizeialltag war.
»Wieso bist du hier?«, fragte Holmberg.
Henrik verstand nicht. Was meinte er? Wieso sollte er nicht hier sein.
»Ich wurde angerufen … es gab eine Leiche.«
»Du solltest wieder gehen«, sagte Holmberg.
»Aus welchem Grund?« Ungeduld mischte sich in seine Stimme. Was wurde hier für ein Spiel gespielt?
Der Kollege sah ihn an, dann in Richtung der Goldenen Krone, dann wieder zu ihm. Er atmete tief ein. »Es ist dein Freund … dieser kleine Blonde.« Holmberg schluckte. »Der, der dich vor drei Tagen …«
Henrik sah Holmberg an. Er dachte nichts, fühlte nichts. Für einen Augenblick war da nichts außer Leere. Eine komische Stille trat ein.
»Hast du mich verstanden, Henrik?«
»Er kann nicht tot sein«, murmelte Henrik. Er hatte doch vor zwei Stunden noch mit ihm telefoniert. Elias hatte gelacht, sie hatten sich für den Abend verabredet. Nachdem Elias ihn damit aufgezogen hatte, dass er noch immer im Schlafanzug im Bett lag, hatte er ihm noch einen schönen Tag gewünscht und war joggen gegangen.
»Lass dich vom Regen nicht ärgern, Henrik. Es kann nicht immer die Sonne scheinen«, hallte in seinem Kopf die rauchige, markante Stimme seines besten Freundes wider.
»Er kann nicht tot sein … habt ihr geprüft, ob er auch wirklich tot ist?« Seine Stimme begann sich zu überschlagen, Tränen rollten über seine Wange, vermischten sich mit den Regentropfen. Das musste ein schlechter Traum sein. Gleich würde er aufwachen und alles war gut. »Ich meine, das ist ja nicht besonders tief.«
»Es tut mir leid, Henrik.«
Elias konnte nicht tot sein. Niemals! Es war ein Irrtum, nichts weiter. Ein makabrer Irrtum.
Er spürte Holmbergs Hand auf seiner Schulter. Der ältere Kollege drückte sanft zu. »Ich wünschte, ich müsste dir das nicht sagen.«
»Ich … er … es kann kein Selbstmord sein!« Henrik stürmte los. Er rannte, so schnell ihn seine zittrigen Beine tragen konnten, in Richtung der Menschtraube, schupste die Leute beiseite und beugte sich über das Brückengeländer.
Er sah in die Tiefe und hatte Gewissheit.
Elias war tot.
Sein Freund lag wenige Meter unter ihm in einer seltsam verkrümmten und verdrehten Haltung. Blut floss unter seinem Körper hervor, lief in einem feinen Rinnsal über das Fundament des Brückenpfeilers ins Wasser, wo es immer dünner wurde und schließlich verblasste.
»Henrik, komm …«
Er wehrte sich anfänglich gegen den Griff des Kollegen, doch dann erstarb alle Kraft in ihm und ließ sich einige Meter mitziehen.
»Wann hat man ihn gefunden?«, fragte er leise.
»Der Notruf kam vor fünfundvierzig Minuten«, sagte Holmberg. »Ich selbst bin seit zehn Minuten hier.«
»Elias würde sich niemals umbringen.« Henrik sah die Brücke hinauf. »Niemals …«, wiederholte er tonlos. »Und wieso hier … diese Brücke, ich meine … schau sie dir an.«
Holmberg nickte bedächtig. Dann griff er nach Henriks Oberarm und zog ihn hinter sich her durch den dichten Regen in Richtung Dienstwagen.
Als sie angekommen waren, öffnete er die hintere Tür und drückte Henrik auf den Rücksitz.
»Elias ist tot«, nuschelte Henrik hervor und fuhr mit den Fingerspitzen durch die nassen Haare.
»Ja.« Holmberg hockte sich vor die geöffnete Beifahrertür. »Wie meintest du das?«
Henrik sah auf. »Was?«
»Dass er sich nie umbringen würde.«
»So, wie ich es gesagt habe … es gab keine Anzeichen, verstehst du.« Henrik sah an Holmberg vorbei auf den Tatort und schluckte schwer. »Heute Morgen, da haben wir uns noch für den Abend verabredet.«
»Hat er angerufen?«
Er nickte. »Elias ruft immer an … ich bin nicht so der große Telefon-Typ.«
»Das ist wirklich komisch.« Andreas Holmberg erhob sich und kratzte sich am Hinterkopf. »So was ist eher untypisch für einen Suizid.«
»Er würde niemals …«
»Warte hier«, unterbrach ihn Holmberg und hatte sich bereits in Bewegung gesetzt, ehe Henrik etwas erwidern konnte.
Der junge Polizist saß in seinem Auto und verfolgte, wie Holmberg in Richtung Tatort ging und sich erst mit dem Rechtsmediziner und danach mit Carlsson von der Spurensicherung unterhielt. Er senkte seinen Kopf und sah in den Fußraum. Ein Wassertropfen löste sich aus seinen nassen Haaren, fiel herab und zog dann in den Teppich vor ihm ein. Kurz darauf folgte ein Weiterer, dann noch einer.
Dann eine Träne.
Es war das zweite Mal in seinem Leben, dass Henrik etwas verlor, das ihm wichtig war. Beim ersten Mal war es seine Mutter gewesen. Krebs. Sieben Jahre war das jetzt her.
Sieben Jahre.
So alt war er gewesen, als er Elias kennengelernt hatte. Es war gar nicht so weit von hier gewesen. Henrik hatte an dem Tag gemeinsam mit seiner Mutter und seinem Vater das Nationalmuseum besucht. Wie der Zufall es wollte, hatte Elias genau das Gleiche gemacht. Später, als sie mit dem Bus wieder nach Hause fuhren, hatten sie sich eine Bank geteilt und Elias hatte sofort begonnen ihm zu erzählen, was er alles gesehen hatte. Ihnen hatten die gleichen Dinge gefallen und schnell hatte sich eine innige Freundschaft entwickelt.
Nur der Tod kann uns trennen, hatte Elias immer gesagt. Schlussendlich war es so gekommen. Der Tod hatte sie getrennt.
»Es gibt Spuren, die passen nicht.«
Mit aller Brutalität wurde Henrik wieder ins Hier und Jetzt gezogen. Er sah zur Seite in das schmale Gesicht von Holmberg. »Wie?«
»Carlsson glaubt, dass einige Spuren am Geländer darauf hindeuten, dass es kein Suizid war.«
»Ja?«
»Unter seinen Fingernägeln haben wir Spuren von Moos gefunden, oben gibt es genau dort eine Kratzspur … und Blutspuren.«
Henrik nickte wie in Trance. Das hieß, jemand hatte seinen Freund umgebracht. Wer sollte Elias töten wollen? Was hatte er verbrochen, das er sterben musste?
»Ich würde es wirklich begrüßen, wenn du jetzt nach Hause fäh…«
»Er war mein Freund.« Das Feuer in Henrik entfachte neu. »Wer immer das getan hat, ich muss ihn finden!«
»Du kennst die Regeln.«
»Scheiß auf die Regeln!« Henrik sprang regelrecht aus dem Auto und scannte die Umgebung. Seine blauen Augen fixierten die Laternenmasten. »Sind nicht seit einiger Zeit Überwachungskameras angebracht?«, fragte er. »Wegen der Krone, die immer wieder abgerissen wurde?«
Henrik rannte los, kannte kein Halten mehr. Er musste das sofort überprüfen. Und tatsächlich. An der Laterne neben der Goldenen Krone war eine kleine Kamera.
»Zur Hölle«, schnaufte Holmberg neben ihm. »Da ist wirklich eine …«
»Wir müssen den Betreiber herausfinden, die Videos ansehen.«
Holmberg nickte. »Ich kümmere mich darum, fahr bitte vor ins Präsidium.«
»Ich kann mitkom …«
»Fahr ins Präsidium«, wiederholte der Ältere mit ernster Stimme. »Das ist eine Anweisung. Entweder das, oder aber du wirst abgezogen.«
»Ja doch, wir sehen uns im Präsidium«, antwortete Henrik tonlos und stampfte dann mit langsamen und bedachten Schritten zurück zu seinem Auto.
***
Henrik saß hinter seinem Schreibtisch und gab sich Mühe, auf seine Kollegen so zu wirken, als sei er Herr der Lage. Dabei zogen in seinem Inneren die Gedanken ihre Kreise, ohne dass er nur einen davon packen konnte. Er versuchte, die Bilder zu löschen, die sich in seinem Gehirn festgesetzt hatten, doch es klappte nicht. Der Moment, in dem er Elias tot gesehen hatte, war für die Ewigkeit eingebrannt.
Wer wollte Elias Tod? Was hatte sein Freund verbrochen, um so sterben zu müssen?
»Henrik.«
Er blickte in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Holmberg war ins Büro getreten, hielt eine DVD-Hülle hoch. »Der Täter ist uns ins Netz gegangen.«
»Du hast es schon angesehen?«
»Ja«, antworte Holmberg. »Eine Frau … von der Statur her.«
»Zeig es mir«, forderte Henrik und streckte die Hand aus.
Holmberg zögerte für einen Moment, reichte ihm dann aber doch die DVD. »Wenn es der Chef mitbekommt, gibt es Ärger.«
»Sag, ich hätte es dir verschwiegen.«
Holmberg hielt den Kopf schief und zog die Augen zusammen. »Sehr überzeugend, so wie du drauf bist, merkt jeder, dass etwas nicht stimmt.«
»Niemand der Kollegen hat es bemerkt«, erklärte Henrik, während er die DVD ins CD-Rom-Laufwerk legte.
»Lars hat mich gerade gefragt, was mit dir los ist.«
»Punkt an dich.«
Holmberg kam hinter den Schreibtisch und griff nach der Maus. »Augenblick, ich springe zu der Stelle, an der es passiert.«
Die Stelle, an der es passiert … es … der Mord an Elias.
Holmberg spulte das Video einige Male vor und zurück, ehe er die richtige Stelle gefunden hatte. Dann löste er seine Hand von der Maus.
Henrik sah gespannt auf den Monitor. Nervös wippte sein Fuß auf und ab. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in seinem Inneren aus, als Elias im Bild auftauchte. Er joggte die Skeppsholmsbron-Brücke entlang, Henrik konnte ihn ganz genau an seinem Laufstil erkennen. Dann blieb er stehen und drehte sich herum. Henrik versuchte, die Gesichtszüge auszumachen. Lächelte er?
»Verdammt, das Bild ist zu pixelig!« Seine Faust knallte auf den Schreibtisch.
»Das ist alles, was wir haben.« Holmberg blieb wie immer ruhig, war Herr seiner Emotionen. Es war schwer, den älteren Kollegen um die Fünfzig wirklich aus der Fassung zu bringen. Am Tatort war Holmberg überrascht worden, doch nun war er wieder Herr seiner selbst und strahlte beängstigende Ruhe aus.
Eine weitere Person kam ins Bild. Kleiner, schmächtiger als Elias. Sie trug eine Jacke, die etwas zu groß schien. Lange Haare, schmales Gesicht.
Eine Frau. Doch mehr war nicht zu erkennen.
»Das kann jede Frau in Stockholm sein«, fluchte er. »Dieses schlechte Bild..“
»Bleib ruhig«, ermahnte Holmberg.
»Ruhig?! Es geht um meinen Freund, Andreas! Elias wurde ermordet und wir haben nur dieses schlechte Vid…«
Henrik brach ab, als die Frau ihren Rücken in die Kamera drehte und er ein großes Logo erblickte, welches auf die Jacke gedruckt war. Das Logo eines Segelvereins. Seines Segelvereins.
Seine Wut wuchs, sein ganzer Körper zitterte: »Das kann nicht sein! Unmöglich, das kann nicht sein!« Abgehackt, mit schwacher Stimme, wiederholte er es immer wieder. Er klammerte sich an dieses Das-kann-nicht-sein wie an einen Rettungsanker.
Die bewegten Bilder vor ihm endeten im Streit, dann bekam Elias einen Stoß, verlor vor lauter Überraschung den Halt und stürzte gegen das Brückengeländer. Danach erhob sich der kleine blonde Mann schwankend, wurde gepackt und über die Brücke in den Tod geworfen. Die Frau rannte weg …
Henrik starrte den Bildschirm vor sich an. In seinem Inneren herrschte eine Mischung aus Wut und Unverständnis.
»Ich muss los!« Henrik sprang auf, doch Holmberg hatte seinen Arm bereits fest umgriffen. »Du gehst nirgendwo alleine hin«, erklärte er mit ruhiger Stimme. »Deine Reaktion … du glaubst, du kennst die Frau?«
»Ja.«
»Gut … wer ist sie?«
»Liv Larsson.«
»Das kann nicht dein Ernst sein«, sagte Holmberg zweifelnd.
»Die Jacke … das Aussehen. Es gibt nur diese Möglichkeit.«
Zwanzig Minuten später stand er vor einer Tür, steckte den Schlüssel in das Schloss und drehte ihn um. Von einem Quietschen begleitet trat er gemeinsam mit Holmberg in den Hausflur. Ein schmaler langer Raum mit hohen Decken und weißen Wänden, von einigen Fotografien geschmückt. Nur wenige Zentimeter von ihnen entfernt war die Garderobe angebracht, daran hing eine hellblaue Regenjacke, die mit einem großen Logo bedruckt war.
Es war sein Flur, sein Zuhause. Es war seine Jacke.
Er hörte Schritte, kurz darauf trat eine Frau in den Raum. Lange blonde Haare, blaue Augen, lange Beine, schlank. Sie lächelte unsicher. »Henrik, was machst du denn schon hier?«
Als sich ihre Blicke trafen, da brauchte sie keine Antwort mehr. Beide wussten, dass der jeweils andere die Wahrheit kannte.
»Wieso?« Mehr brachte er nicht heraus. Nur ein leises, klägliches wieso.
»Er wollte alles zerstören.« Sie machte ein paar Schritte auf ihn zu. »Dir alles sagen.«
»Was sagen?« Liv streckte ihre Hand nach seiner aus, doch er schlug sie weg. »Sag!«
»Er … wir hatten eine Affäre.«
»Eine Affäre?« Er lachte laut. »Sei nicht albern … er würde niemals!«
»Das Midsommarfest vor zwei Jahren.«
Stille umklammerte den Flur der kleinen Wohnung. Henrik wusste nicht, was er erwidern sollte. Es war die Zeit gewesen, in der sich Liv plötzlich von ihm distanziert hatte, er geglaubt hatte, dass ihre Beziehung nun vorbei war. Er schluckte schwer. »Wie lange?«
»Einige Monate, dann habe ich Schluss gemacht … er wollte es dir sagen. Er meinte, dass er es dir schuldig sei, als dein Freund.« Sie begann zu weinen. »Aber das konnte ich doch nicht zulassen! Ich … ich wollte dich nicht verlieren!«
»Du hast ihn umgebracht.«
»Ich wollte das doch nicht!«, wehrte sie sich. »Ich wollte das nicht …«
»Aber du hast es getan.«
»Er hat sich nicht umstimmen lassen! Er meinte, dass er keine Angst hätte, dass eure Freundschaft es überstehen würde …« Liv fuhr sich mit dem Handrücken über die Wangen. »Aber hätte unsere Liebe das auch?! Ich liebe nur dich, Henrik. Du bist alles für mich … ich konnte dich doch nicht verlieren!«
»Ich … Es tut mir leid, ich kann das nicht …« Er schüttelte den Kopf und verließ fluchtartig die Wohnung, ohne das er wusste, wohin er rannte. Er wollte einfach nur weg, weg aus diesem Raum, weg von der Wahrheit, weg von ihr.
Stunden später saß Henrik auf einer Bank im Djurgården und betrachtete still die Lichter der Stadt. Seine Finger strichen gedankenverloren über einen Stein, den er vor wenigen Metern am Wegesrand aufgesammelt hatte. Die Oberfläche war ganz glatt. Er warf ihn ins Wasser, wo er dreimal über die Oberfläche hüpfte und kleine Wellen schlug, ehe er schließlich versank.
»Brauchst du jemanden, Henrik?«
Andreas Holmberg setzte sich neben ihn auf die Bank.
»Es ist fast 23 Uhr, solltest du nicht ohnehin bei deiner Familie sein?«, antwortete er.
»Ich bin mir sicher, meine Frau wird das verstehen.«
»Es ist komisch, wie sich in wenigen Stunden alles ändert, woran du geglaubt hast«, murmelte Henrik hervor.
»Es ist ein Spiel mit dem Feuer …« Holmberg lehnte sich zurück und sah in den Himmel. »Ich meine, wenn aus Freundschaft Liebe wird …«
»Oder aus Liebe Freundschaft«, fügte Henrik hinzu.
»Oder das.«
»Das alles nur, weil er mir die Wahrheit sagen wollte … nur deshalb ist er nun tot.«
Holmberg legte seine Hand auf Henriks Schulter. »Die Angst vor dem Verlust, lässt uns komische Dinge tun. Sie … Liv, ich denke, dass sie dich wirklich geliebt hat und dich nicht verlieren wollte.«
»Ich wollte morgen um ihre Hand anhalten«, erzählte Henrik. »Beim Sonntagsbrunch in einem kleinen Restaurant in Östermalm.«
Er sah wieder auf das Wasser. Jetzt, wo er darüber nachdachte, wurde ihm bewusst, dass es fast gegenüber von dem Ort lag, an dem Elias gestorben war.
Holmberg nickte. »Elias wusste es, was?«
»Ja. Wir waren gemeinsam den Ring aussuchen.«
»Vermutlich hat er ein schlechtes Gewissen bekommen, wollte nicht weiter mit diesem Betrug leben«, erklärte Holmberg. »Immerhin wart ihr ja gute Freunde.«
»Ja … vermutlich.«
Holmberg stand auf. »Komm, lass uns irgendwo ein Bier trinken gehen … ich bezahle.«
»Du denkst wohl, dass du mich nicht alleine lassen kannst«, antwortete Henrik mürrisch.
»Ich weiß es«, erwiderte der Ältere. »Du hast an einem Tag deinen Freund und deine große Liebe verloren.«
Texte: Kerstin Sjöberg
Bildmaterialien: Kerstin Sjöberg
Tag der Veröffentlichung: 28.07.2016
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