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Kooma (finnisch für Koma):  längerer Zustand tiefer Bewusstlosigkeit.

 

 

 

»Bleiben Sie stehen!«, brüllte Mikael Häkkinen. »Bleiben Sie stehen, verdammt noch mal, oder ich werde schießen!«

Der finnische Kommissar war dem fliehenden Mann dicht auf den Fersen, spannte im Laufen den Hahn seiner Pistole und legte den Finger auf den Abzug. Regen fiel in dicken Tropfen zur Erde und durchtränkte die Kleidung der beiden Männer. Sie rannten über den felsigen und vom Regen rutschigen Untergrund in Richtung des Ufers.

Abrupt blieb Jere Taskinen stehen, als er merkte, dass sein Fluchtweg durch einen Steilhang versperrt wurde. Er blickte über die Schulter, dem jungen Hauptkommissar der Mordkommission in die hellblauen Augen. Dessen Atmung war ruhig. Die Hand, die die Waffe hielt, zitterte nicht. Der Regen hatte den hellgrauen Pullover dunkel gefärbt, und die schwarzen Haare klebten ihm am Kopf. Wassertropfen rollten von dem Lauf der Waffe in Richtung Boden.

»Sie haben keine Chance, Taskinen«, erklärte der Mann um die Dreißig. »Sie können dort nicht runter, den einzigen Fluchtweg, den sichert mein Kollege. Sie werden es niemals zu ihrem Boot schaffen!«

»Sie sollten aufgeben, Taskinen!«, rief ein anderer Mann von etwas weiter hinten. Größer, mit kurzen, blonden Haaren. »Selbst wenn Sie hier herunterkommen, dann wartet bereits die Küstenwache auf Sie!«

Jere Taskinen betrachtete erneut die Waffe in der Hand des Polizisten, der direkt vor ihm stand. Er drehte sich nun endgültig herum und hob dabei die Hände ein Stück hoch. Seine blauen Augen fixierten jede Bewegung des Mannes, der nun langsam auf ihn zukam. Schweiß rann ihm das Gesicht hinab, vermengte sich mit den kalten Regentropfen. Bisher hatte er sein Spiel perfekt gespielt, es konnte noch nicht vorbei sein. Es musste einen Ausweg geben, eine Fluchtmöglichkeit.

»Sie würden mich doch nicht wirklich erschießen?«, keuchte Jere Taskinen hervor.

Seine dünnen Lippen umspielte ein unheilbringendes Lächeln.

Mikael Häkkinen zog seine Handschellen aus dem Hosenbund. »Ich nehme Sie fest wegen Mordverdacht in mindestens vier Fällen ...«

Taskinen lachte. »Sie können mir überhaupt nichts beweisen!«

Als der Kommissar den Abstand zwischen sich und dem Tatverdächtigen verkürzt hatte, trafen sich ihre Blicke ein weiteres Mal. »Geben Sie sich keine Mühe, Sie haben genug Beweise hinterlassen!«, sagte Häkkinen in einem monotonen, fast gelangweilt klingenden Ton. »Auch wenn Sie die Zeugin ermordet haben. Sie hat mir alles erzählt.« Dann griff er nach dem Handgelenk von Taskinen.

»Ich werde nicht in den Knast gehen!« Jere Taskinen wirbelte blitzschnell herum und stieß dabei seinen Gegner in Richtung der Steilklippen, welche die kleine Schäreninsel umgaben. Dieser war vollkommen überrascht von dem plötzlichen Angriff, dass er mit dem rechten Fuß auf den nassen Stein wegrutschte und ins Leere trat. Er geriet ins Taumeln, verlor sein Gleichgewicht und stürzte dann, panisch mit den Armen rudernd, rückwärts in die unheilvolle Tiefe. Taskinen sah für einen Augenblick hinunter und seine Mundwinkel zogen sich nach oben. Das hatte der kleine dreckige Bulle verdient. Er sollte verrecken dafür, dass er diese Frau geschützt und vor ihm versteckt hatte!

Dann sah Taskinen auf. Der andere Bulle rührte sich nicht, schien vor Schock keinen klaren Gedanken fassen zu können. Das war seine Chance! Ohne zu zögern, rannte er einfach los, an dem zweiten Polizisten vorbei in Richtung Steg, an dem sein Boot lag. Er lachte bei dem Gedanken daran, dass er der Polizei einmal mehr überlegen war. Niemals würden sie ihn bekommen!

 

Aus einem ersten Reflex wollte Antti Heikkinen dem Flüchtenden folgen, doch dann überwog die Sorge um seinen Kollegen. »Mikael! Bist du okay?«, schrie er, doch er bekam keine Antwort. »Verdammt. Bitte antworte!«

Auch dieses Mal blieb es still.

Einzig das Pfeifen des Windes war zu hören.

Angst machte sich in ihm breit, überkam ihn wie eine plötzliche Flutwelle. Er musste sich dazu zwingen, in Richtung des Abhanges zu gehen und jeder Schritt fühlte sich schwerer an als der zuvor. Zu groß war seine Befürchtung, dass etwas Fürchterliches passiert war. Er rief erneut nach seinem jungen Kollegen. Wieder keine Antwort. Vorsichtig trat er an den Rand der Steilklippen und schaute hinab. Ihm blieb das Herz stehen, auch wenn sein Unterbewusstsein genau mit diesem Bild gerechnet hatte: Mikael lag regungslos und verdreht einige Meter weiter unten am Boden. Seine Augen waren geschlossen.

»Mikael!«

Ohne zu zögern suchte sich Antti über die glitschigen Felsen einen Weg nach unten und rutschte holpernd den Abhang herunter. Sein Herz klopfte wie wild in seiner Brust. Er spürte, wie er am ganzen Körper zitterte. Er hatte Angst, schreckliche Angst. Bitte lass ihn nicht tot sein, betete er immer wieder leise vor sich hin, bitte lass ihn leben.

 

Als er endlich unten angekommen

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 08.03.2016
ISBN: 978-3-7396-8144-3

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