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„Mhm. Dein Haar riecht so gut.“
„Äh, danke, Bob.“ Lissianna Argeneau sah sich auf dem dunklen Parkplatz um, den sie gerade überquerten, und war erleichtert, dass sie hier offenbar allein waren. „Aber glaubst du, du könntest vielleicht die Hand von meinem Po nehmen?“
„Dwayne.“
„Bitte?“ Sie blickte verwirrt zu seinem hübschen Gesicht hoch.
„Ich heiße Dwayne“, erklärte er grinsend.
„Oh.“ Sie seufzte. „Also gut, Dwayne, könntest du die Hand von meinem Po nehmen?“
„Ich dachte, du magst mich.“ Seine Hand blieb fest auf ihrem Hinterteil und drückte es auf eine mehr als freundschaftliche Art.
Sie widersetzte sich dem Bedürfnis, ihm eins überzuziehen und ihn in die Büsche zu zerren wie den Neandertaler, als der er sich aufführte, und zwang sich zu einem Lächeln. „Das tue ich auch, aber warten wir doch, bis wir in deinem Auto sind, um …“
„O ja. Mein Auto“, unterbrach er. „Was das angeht …“
Lissianna blieb stehen und schaute ihm ins Gesicht. Sie kniff ihre Augen argwöhnisch zusammen angesichts des Unbehagens, das sich plötzlich auf seiner Miene spiegelte. „Ja?“
„Ich habe kein Auto“, gab Dwayne zu.
Lissianna blinzelte; ihr Verstand tat sich schwer, das Gesagte zu begreifen. In Kanada hatte jeder, der älter war als zwanzig, ein
Auto. Nun ja, so gut wie jeder. Vielleicht war das auch übertrieben, aber die meisten alleinstehenden Männer, die alt genug für
Verabredungen waren, hatten ein Auto. Es war so etwas wie ein ungeschriebenes Gesetz.
Bevor sie noch eine Bemerkung dazu machen konnte, fügte Dwayne hinzu: „Ich dachte, du hättest eins.“
Es klang beinahe wie ein Vorwurf, stellte Lissianna bei sich fest und runzelte die Stirn. In mancher Hinsicht hatte die Frauenbewegung ihnen wirklich keinen Gefallen getan. Es hatte eine Zeit gegeben, in der er als Mann das Fahrzeug gehabt oder, ohne zu zögern, einen Weg gefunden hätte, sie an einen Ort zu bringen, an dem sie hätten allein sein können. Doch er schaute nur verärgert drein, als habe sie ihn dadurch, dass sie kein Auto hatte, irgendwie enttäuscht.
„Ich habe eins“, sagte sie defensiv. „Aber heute bin ich mit Verwandten gekommen.“
„Die Tussie mit dem rosa Haar?“
„Nein. Das ist meine Freundin Mirabeau. Thomas ist gefahren“, antwortete Lissianna abwesend, während sie über die Situation nachdachte. Er hatte kein Auto, und Thomas hatte den Jeep abgeschlossen, als sie gekommen waren. Sie konnte vielleicht zurück in die Bar gehen, Thomas suchen und sich den Schlüssel geben lassen, aber sie hatte wirklich nicht vor, seinen Jeep zu benutzen, wenn sie –
„Schon gut. Ich habe nichts dagegen, es im Freien zu tun.“
Lissianna wurde jäh aus ihren Überlegungen gerissen, als er sie an den Hüften packte und an sich zog. Instinktiv lehnte sie sich zurück und brachte damit eine gewisse Distanz zwischen ihre beiden Oberkörper, aber das half nicht dagegen, dass ihre Unterkörper sich umso mehr aneinanderdrückten. Plötzlich wurde ihr klar, dass der Gedanke daran, „es im Freien zu tun“, Dwayne wirklich nicht störte. Wenn überhaupt, legte die Härte, die sich gegen sie drückte, nahe, dass der Gedanke ihn erregte. Offenbar ein leicht erregbarer Bursche, dachte Lissianna. Sie selbst konnte nicht begreifen, was es draußen so anziehend machen sollte, besonders in einer Nacht des kanadischen Winters.
„Komm schon.“ Dwayne ließ ihre Hüfte los, ergriff ihre Hand und zog sie eilig auf die andere Seite des Parkplatzes. Erst als er sie hinter den großen metallenen Abfallcontainer in der dunkelsten Ecke bugsierte, wurde ihr klar, was er vorhatte.
Lissianna verkniff sich eine sarkastische Bemerkung über sein romantisches Wesen und kam zu dem Schluss, dass sie einfach dankbar sein sollte, dass es Winter war. Es hatte zwar noch nicht geschneit, war aber kalt genug, dass die vergammelnden Lebensmittel in dem großen Container nicht stanken.
„Hier ist es genau richtig.“ Dwayne drückte sie mit ihrem Rücken an das kalte Metall des Containers und drängte sich gegen sie.
Lissianna seufzte innerlich und wünschte sich, sie hätte ihren Mantel nicht drinnen gelassen. Sie kam mit der Kälte besser zurecht als ein Durchschnittsmensch, aber sie war nicht gänzlich vor ihr geschützt. Das kalte Metall, an dem sie lehnte, zog die Wärme aus ihr heraus und zwang ihren Körper, schwerer zu arbeiten, damit sie warm bleiben konnte. Sie war hungrig und ihr Körper so dehydriert, dass sie ihm im Augenblick wirklich keine Mehrarbeit zumuten wollte.
Der plötzliche Angriff seines Mundes auf den ihren zwang Lissiannas Gedanken wieder in die Gegenwart zurück und machte ihr klar, dass es Zeit war, die Kontrolle über die Situation zu übernehmen. Sie ignorierte die sondierende Berührung seiner Zunge an ihren geschlossenen Lippen, packte ihn vorn am Sakko und drehte ihn mit sich um. Dann drückte sie ihn ein bisschen fester gegen den Container, als sie eigentlich beabsichtigt hatte.
„Junge, Junge“, lachte er, und seine Augen begannen zu blitzen.
„Eine wilde Frau.“ „Das gefällt dir, wie?“, fragte Lissianna trocken. „Dann wirst du das hier ganz sicher großartig finden.“
Sie ließ seine Jacke los, krallte sich in seine Haare und riss seinen Kopf zur Seite. Jetzt bewegte sie ihren Mund auf seinen Hals zu.
Dwayne stieß kleine entzückte Laute aus, als sie die Lippen leicht an seiner Halsschlagader entlangzog. Sobald sie die beste Stelle für ihren Zweck gefunden hatte, öffnete Lissianna den Mund, atmete durch die Nase, und ihre Eckzähne fuhren zu ihrer ganzen scharfen Länge aus und senkten sich in seinen Hals.
Dwayne gab ein leises Keuchen von sich und erstarrte, seine Arme schlossen sich noch fester um sie, aber nur einen winzigen Moment lang. Schon lehnte er gelöst an dem Container, als Lissianna ihm die Gefühle sandte, die sie empfand: Die Zufriedenheit, als Blut durch ihre Zähne floss und direkt in ihren Organismus ging, und den ein wenig schwindelig machenden Rausch, als ihr Körper sich gierig und wollüstig auf die flüssige Gabe stürzte.
Das einzige Bild, das ihr als Vergleich für die Reaktion ihres Körpers einfiel, war die erwartungsvolle Spannung, die ausgelöst wurde beim Anblick eines Bootes, das kurz vor dem Umschlagen stand, nachdem es nur auf einer Seite belastet worden war.
Lissiannas Körper reagierte genauso, als ihr hungriges Blut sich beeilte, das neue Blut zu absorbieren, während ihre Zähne einsaugten,
was ihr Körper so unbedingt brauchte. Es bewirkte einen nicht unangenehmen Rausch. Sie stellte sich vor, dass es ähnlich sein musste wie das, was Leute erlebten, wenn sie Drogen nahmen. Nur, dass es hier nicht um Drogen ging; das hier war Lissiannas Leben.
Sie hörte, wie Dwayne ein leises, erfreutes Geräusch von sich gab. Es war ein Echo ihrer lautlosen Bekundung des Vergnügens, das sie erlebte, weil die Krämpfe in ihrem Körper langsam nachließen.
Zu langsam, erkannte Lissianna plötzlich. Irgendetwas stimmte hier nicht.
Sie behielt die Zähne tief in seinem Hals, fing aber an, seine Gedanken durchzugehen. Sie brauchte nicht lange, um das Problem zu finden. Dwayne war nicht das gesunde Exemplar, das er zu sein schien. Tatsächlich war nur wenig an ihm, was es zu sein schien. Aus seinen Gedanken erfuhr sie, dass die Schwellung, die sich gegen ihren unteren Bauch drückte, keine Schwellung, sondern eine Gurke war, die er in die Hose gesteckt hatte, seine Schultern waren unter der Jacke dick gepolstert, und die attraktive sportliche Bräune kam aus der Tube. Sie sollte wohl die natürliche Blässe verdecken, die durch … nun ja, Blutarmut bewirkt wurde.
Lissianna riss den Mund mit einem Fluch weg; ihre Zähne glitten schnell wieder in die Ruheposition zurück, und dann starrte sie den Mann wütend an. Nur der Instinkt ließ sie in seine Gedanken gleiten, um seine Erinnerungen neu zu formen. Sie war so wütend auf diesen Kerl …
Und auf Mirabeau auch. Immerhin war es die Idee ihrer Freundin gewesen, diesen Kerl zu einem kurzen Biss mit nach draußen nehmen. Lissianna wusste, dass ihre Mutter ein Geschenk für sie vorbereitet hatte, und hatte bis zu ihrer Geburtstagsfeier warten wollen, um sich zu nähren, aber Mirabeau – und ihre Cousine Jeanne – hatten befürchtet, Lissiannas Blässe würde Marguerite Argeneau veranlassen, ihr eine Infusion zu verabreichen, sobald sie wieder zu Haus waren.
Als Dwayne begonnen hatte, sie anzubaggern, hatte sie sich von Mirabeau zu einem kleinen Imbiss überreden lassen. Und jetzt würde die Sache vielleicht kompliziert werden. Sie hatte einige Zeit gebraucht, um zu erkennen, dass etwas nicht stimmte, und dann noch ein wenig länger, um die Information zu finden, dass er anämisch war. Sie konnte nur hoffen, dass sie ihm in der kurzen Zeit nicht zu viel Blut abgenommen hatte.
Als sie mit seinem Gedächtnis fertig war, sah Lissianna ihn mit einer Mischung aus Verärgerung und Sorge an. Trotz seiner künstlichen Bräune sah er blass aus, doch stand er zumindest noch fest auf den Beinen. Sie ergriff sein Handgelenk, fühlte seinen Puls und war beruhigt. Er war etwas beschleunigt, aber stark. Am kommenden Abend würde es ihm wieder gut gehen.
Dwayne würde sich ein Weilchen nicht so toll fühlen, aber am Ende war es kaum mehr, als er dafür verdiente, dass er hier aufgepolstert und aufgegurkt herumrannte, um ein Mädchen anzumachen. Idiot.
Leute konnten so dumm sein, dachte sie gereizt. Wie Kinder, die sich verkleideten und so taten, als seien sie älter, als sie wirklich
waren, liefen Erwachsene nun mit Push-ups, in Korsetts oder silikongefüllt herum, um etwas vorzugeben, was sie gar nicht waren oder was sie für attraktiv hielten. Und es wurde immer schlimmer. Sie fragte sich, warum die Menschen nicht verstanden, dass sie gut waren, so wie sie waren. Und dass nur diejenigen, die an anderen herummäkelten, ein Problem hatten.
Lissianna gab Dwayne den Gedanken ein, dass er herausgekommen war, um Luft zu schnappen, weil er sich nicht wohlgefühlt hatte. Sie wies ihn an, so lange draußen zu bleiben, bis er sich besser fühlte, und dann ein Taxi nach Hause zu nehmen.
Dann ließ sie ihn die Augen schließen, während sie sich langsam ganz aus seiner Erinnerung löschte. Sobald sie sicher war, dass sie das erledigt hatte, ließ sie ihn schwankend stehen, wo er war, umrundete den Container und machte sich auf den Rückweg.
„Lissi?“ Eine Gestalt kam über den dunklen Parkplatz auf sie zu.
„Vater Joseph.“ Lissianna änderte überrascht ihren Kurs, umihm entgegenzugehen. Der alte Priester war ihr Boss im Obdachlosenheim,
in dem sie arbeitete. Sie hatte dort die Nachtschicht übernommen. „Was machen Sie denn hier?“
„Bill sagte, es sei ein neuer Junge hier in der Gegend aufgetaucht.
Er glaubt nicht, dass der Junge älter ist als zwölf oder dreizehn, und er ist ziemlich sicher, dass er sein Essen in den Abfallcontainern dort hinten zusammensucht. Ich wollte mal sehen, ob ich ihn finden und überreden kann, zu uns ins Heim zu kommen.“
„Oh.“ Lissianna sah sich auf dem Parkplatz um. Bill war einer der Stammgäste im Obdachlosenheim. Er wies sie oft auf Leute hin, die vielleicht ihre Hilfe brauchen konnten. Und wenn er sagte, dass ihm ein neuer Junge hier aufgefallen war, dann stimmte das. Bill war sehr zuverlässig, was diese Dinge anging.
Und Vater Joseph war ebenso zuverlässig, wenn es darum ging, Ausreißer zu suchen, in der Hoffnung, sie zu erwischen, bevor
sie etwas Verzweifeltes oder Dummes taten oder zu Drogen oder zur Prostitution verleitet wurden.
„Ich helfe Ihnen“, bot Lissianna an. „Er ist wahrscheinlich irgendwo hier. Ich …“
„Nein, nein. Heute ist Ihr freier Abend“, sagte Vater Joseph und sah sie dann stirnrunzelnd an. „Außerdem tragen Sie nicht einmal einen Mantel. Was machen Sie denn überhaupt hier draußen ohne Mantel?“
„Oh.“ Lissiannas Blick flog zu dem Abfallcontainer hinüber, als es auf einmal dahinter polterte. Eine schnelle Sondierung von Dwaynes Gedanken sagte ihr, dass er dieses Geräusch verursacht hatte, als er den Kopf gegen den Container gelehnt hatte. Idiot.
Sie schaute zurück und stellte fest, dass Vater Joseph ebenfalls die Container betrachtete, und sagte schnell, um ihn abzulenken.
„Ich hatte etwas im Auto meines Vetters vergessen.“
Das war eine so offensichtliche Lüge, dass Lissianna nur inständig hoffen konnte, dass der Priester nicht bemerkt hatte, wo sie wirklich hergekommen war, sondern annehmen würde, dass es der kleine schwarze Mazda gewesen war, der neben den Containern stand. Sie wollte nicht mehr lügen als nötig, also rieb sie sich fröstelnd die Arme und fügte hinzu: „Aber Sie haben recht, es ist wirklich kalt hier draußen.“
„Ja.“ Er sah sie besorgt an. „Sie sollten lieber wieder reingehen.“
Lissianna nickte, wünschte ihm eine gute Nacht und floh. Sie eilte über den Parkplatz, dann um die Hausecke und wurde erst langsamer, als sie in die laute, überfüllte Bar kam.
Thomas war nirgendwo zu sehen, aber Lissianna hatte aufgrund der fuchsienfarbenen Spitzen von Mirabeaus tiefschwarzem Haar keine Schwierigkeiten, diese mit Jeanne zusammen an der Bar zu entdecken.
„Oh, du siehst …“ Mirabeau zögerte, als Lissianna vor ihr stand, und schloss schließlich mit „… genauso aus wie vorher.
Was ist denn passiert?“
„Blutarm.“ Sie spuckte das Wort verärgert aus.
„Aber er sah so gesund aus!“, protestierte Jeanne.
„Gepolsterte Schultern und Bräune aus der Tube“, sagte sie.
„Und das war noch nicht alles.“
„Was kann er denn sonst noch auf die Schnelle verbessert haben?“, fragte Mira trocken.
Empört antwortete Lissianna. „Er hatte eine Gurke in der Hose.“
Jeanne kicherte ungläubig, aber Mirabeau stöhnte und sagte:
„Es muss eine von diesen Salatgurken gewesen sein; es sah gewaltig aus.“
Lissianna starrte sie verdutzt an. „Du hast tatsächlich nachgesehen?“
„Du etwa nicht?“, konterte sie. Jeanne fing an zu lachen, aber Lissianna schüttelte nur missbilligend den Kopf und sah sich an der Bar um. „Wo ist Thomas?“
„Hier!“
Sie fuhr herum, als er die Hand auf ihre Schulter legte.
„Habe ich richtig gehört? Dein Romeo hatte eine Gurke in der Hose?“, fragte er amüsiert und drückte ihre Schulter liebevoll.
Lissianna nickte angewidert. „Kannst du dir das vorstellen?“
Thomas lachte. „Das kann ich leider wirklich. Erst polstern Frauen ihre Büstenhalter, jetzt polstern Männer ihre Shorts.“ Er schüttelte den Kopf. „Was für eine Welt.“
Lissianna spürte, dass ein widerwilliges Lächeln um ihre Mundwinkel spielte, als sie seine Miene sah, dann gab sie auf und vergaß ihren Ärger. Es hatte sie gar nicht verstimmt, dass Dwayne sie mit einer Gurke getäuscht hatte; was er in der Hose hatte, hatte sie sowieso nicht interessiert. Sie war ja nur zu einem kurzen Biss mit ihm nach draußen gegangen. Die Zeitverschwendung ärgerte sie jedoch, und die Tatsache, dass sie mehr Energie verbraucht hatte, um sich in der Kälte warm zu halten, als das Blut des Mannes schließlich geliefert hatte. Sie hatte jetzt sogar noch mehr Hunger als zuvor. Die ganze Sache hatte ihren Appetit nur noch vergrößert.

Copyright © 2009 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH.


Impressum

Texte: Egmont LYX Verlag ISBN: 978-3802581830
Tag der Veröffentlichung: 05.08.2011

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