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Donnerstag, 11. September.

„Rachel schwört, dass sie in ihrem ganzen Leben keinen Sarg mehr sehen will.“
Auf diese Bemerkung seiner Mutter antwortete Lucern nur mit einem Knurren, während er und sein jüngerer Bruder Bastien den Sarg auf den Kellerboden stellten. Er wusste alles über die Aversion seiner künftigen Schwägerin: Etienne hatte ausführlich darüber berichtet. Deshalb brachte er das Ding auch bei Lucern unter. Etienne hatte nichts dagegen, den Sarg aus seinem Haus zu schaffen, damit seine Verlobte sich nicht mehr darüber aufregte, aber aus sentimentalen Gründen konnte er sich nicht dazu durchringen, sich endgültig von ihm zu trennen. Etienne schwor, er hätte seine besten Ideen gehabt, wenn er im stillen Dunkel dieses Sargs lag. Er war eben ein wenig exzentrisch. Er war die einzige Person, an die Lucern sich erinnern konnte, die je einen Sarg zur Generalprobe ihrer eigenen Hochzeit mitgebracht hatte. Der Geistliche war entsetzt gewesen, als er zufällig Zeuge wurde, wie die drei Brüder ihn von Etiennes Pick-up in Bastiens Van luden.
„Danke, dass du ihn hierher gefahren hast, Bastien“, sagte Lucern, als er sich wieder aufrichtete.
Bastien zuckte die Achseln. „Er hätte wohl kaum in deinen BMW gepasst. Außerdem“, fügte er hinzu, als sie die Treppe hinaufgingen, „ist es mir lieber, ihn zu transportieren, als ihn aufbewahren zu müssen. Meine Haushälterin würde Zustände kriegen.“
Lucern lächelte nur. Er hatte keine Haushälterin mehr, um die er sich Gedanken machen musste, und die Reinigungsfirma, die er engagiert hatte, um einmal in der Woche vorbeizukommen, säuberte nur das Erdgeschoss. Er brauchte also nicht zu befürchten, dass sie den Sarg entdecken würden.
„Geht alles klar mit der Hochzeitsplanung?“, fragte er, als er seiner Mutter und Bastien in die Küche folgte. Er knipste das Licht im Keller aus und schloss die Tür hinter sich, schaltete aber keine anderen Lampen ein. Die schwache Beleuchtung durch das Nachtlicht am Herd genügte, dass alle sicher zur Haustür gelangten.
„Ja. Endlich.“ Marguerite Argeneau klang erleichtert. „Und trotz Mrs. Garretts Bedenken, dass die Hochzeit übereilt stattfindet und Rachels Verwandte nicht genug Zeit hatten, ihre Teilnahme zu organisieren, werden sie alle kommen.“
„Wie groß ist denn die Familie?“ Lucern hoffte ehrlich, dass es nicht so viele Garretts gab, wie Hewitts auf Lissiannas Hochzeit erschienen waren. Die Vermählung seiner Schwester mit Gregory Hewitt war ein Albtraum gewesen. Der Mann hatte eine riesige Familie, und die Mehrheit seiner Verwandten schien aus Frauen zu bestehen – alleinstehenden Frauen, die Lucern, Etienne und Bastien betrachtet hatten, als wären sie der Hauptgang der Mahlzeit. Lucern konnte aggressive Frauen nicht ausstehen. Er war zu einer Zeit aufgewachsen, als ausschließlich Männer die Aggressoren gewesen waren und Frauen nur gelächelt und geschmachtet und ihren Platz gekannt hatten. An die Veränderungen der letzten Jahrzehnte hatte er sich noch nicht so recht gewöhnt und sehnte sich daher nicht gerade nach einem weiteren Debakel wie Lissiannas Hochzeit, wo er den größten Teil der Veranstaltung damit verbracht hatte, den weiblichen Gästen aus dem Weg zu gehen.
Zum Glück konnte Marguerite einige dieser Befürchtungen zerstreuen, indem sie zu berichten wusste: „Ziemlich klein, verglichen mit Gregs Familie, und nach der Gästeliste zu schließen überwiegend Männer.“
„Gott sei Dank“, murmelte Bastien und wechselte einen Blick mit seinem Bruder.
Lucern nickte zustimmend. „Ist Etienne nervös?“
„Überraschenderweise nicht.“ Bastien grinste schief. „Es macht ihm einen Riesenspaß, alles zu arrangieren. Er schwört, dass er die Hochzeit kaum erwarten kann. Rachel scheint ihn wirklich glücklich zu machen.“ Darüber wirkte er eher verwundert.
Lucern teilte die Ansicht seines Bruders. Er konnte sich ebenfalls nicht vorstellen, seine Freiheit für eine Ehefrau aufzugeben. An der Haustür blieb er stehen, drehte sich um und sah, wie seine Mutter die Post auf dem Flurtisch untersuchte.
„Luc, du hast hier Wochen alte, ungeöffnete Post! Liest du sie denn nicht?“
„Warum so überrascht, Mutter? Er geht doch auch nie ans Telefon. Wir können schon von Glück sagen, dass er sich manchmal dazu herablässt, die Tür zu öffnen.“
Bastien sagte das durchaus gutmütig, aber der Blickwechsel zwischen ihm und ihrer Mutter entging Lucern nicht. Sie machten sich Sorgen um ihn. Er war schon immer ein Einzelgänger gewesen, aber in der letzten Zeit hatte das geradezu extreme Formen angenommen, und alle schienen sich Gedanken zu machen. Sie wussten, dass er das Leben inzwischen gefährlich langweilig fand.
„Was ist in diesem Karton?“
„Keine Ahnung“, gab Lucern zu, als seine Mutter einen großen Karton vom Tisch nahm und ihn schüttelte, als wäre er federleicht.
„Denkst du nicht, es könnte vielleicht eine gute Idee sein, es heraus- zufinden?“, fragte sie ungeduldig.
Lucern verdrehte die Augen. Ganz gleich, wie alt er inzwischen sein mochte – seine Mutter mischte sich ein und nörgelte. Er hatte schon lange resigniert, was das anging. „Ich komme schon noch dazu“, murmelte er. „Es ist überwiegend lästiges Zeug von Leuten, die etwas von mir wollen.“
„Was ist mit diesem Brief von deinem Verlag? Der ist vielleicht wichtig. Sie würden ihn wohl kaum per Kurier schicken, wenn er nicht wichtig wäre.“
Lucern schaute verärgert drein, als seine Mutter nach dem FedEx- Umschlag griff und ihn neugierig hin und her drehte. „Nein, der Brief ist unwichtig. Sie gehen mir nur auf die Nerven. Der Verlag will, dass ich eine Lesereise unternehme.“
„Edwin will, dass du auf eine Lesereise gehst?“ Marguerite verzog das Gesicht. „Ich dachte, du hättest ihm von Anfang an klargemacht, dass Publicity dich nicht interessiert.“
„Nicht Edwin. Nein.“ Es überraschte Lucern nicht, dass seine Mutter sich an den Namen seines alten Lektors erinnerte; sie hatte ein hervorragendes Gedächtnis, und er hatte Edwin in den zehn Jahren, in denen er für Roundhouse Publishing schrieb, mehrmals erwähnt. Lucerns erste Werke waren als historische Fachbücher veröffentlicht und überwiegend an Universitäten gelesen worden. Diese Bücher wurden immer noch benutzt und waren vor allem deshalb beliebt, weil sie geschrieben waren, als hätte der Autor jedes Zeitalter, mit dem er sich beschäftigte, tatsächlich selbst erlebt. Was in Lucerns Fall selbstverständlich auch zutraf. Aber davon wusste die Öffentlichkeit nichts.
Lucerns letzte drei Bücher jedoch waren autobiografischer Natur gewesen. Eines von ihnen erzählte die Geschichte, wie seine Mutter und sein Vater sich kennengelernt hatten, eines berichtete, wie seine Schwester Lissianna ihrem Therapeuten- Ehemann Gregory begegnet war und sich in ihn verliebt hatte, und in einem anderen, das erst vor ein paar Wochen veröffentlicht worden war, ging es um seinen Bruder Etienne und Rachel Garrett. Lucern hatte die Bücher eigentlich nicht schreiben wollen, sie waren einfach irgendwie aus ihm herausgeflossen. Aber sobald er die Manuskripte vollendet hatte, war er zu dem Schluss gekommen, sie sollten für die Zukunft erhalten bleiben. Er hatte die Erlaubnis seiner Familie eingeholt und sie zu Edwin geschickt, der sie für brillante Romane hielt und als solche veröffentlichte. Und nicht nur als Romane, sondern als „paranormale Liebesromane“. Lucern war plötzlich Autor von Liebesromanen geworden. Das alles fand er eher peinlich, also tat er im Allgemeinen sein Bestes, nicht daran zu denken.
„Edwin ist nicht mehr mein Lektor“, erklärte er. „Er hatte Ende letzten Jahres einen Herzinfarkt und ist gestorben. Sie haben den Posten seiner Assistentin gegeben, und die geht mir seitdem gewaltig auf die Nerven.“ Wieder verzog er unwillig das Gesicht. „Diese Frau will mich benutzen, um Lorbeeren für sich selbst und den Verlag einzuheimsen. Sie ist der festen Überzeugung, dass ich bei ein paar Publicity-Ereignissen für die Romane anwesend sein soll.“
Bastien sah aus, als wollte er etwas sagen, hielt dann aber inne und drehte sich um, als ein Auto in die Einfahrt bog. Lucern öffnete die Haustür, und die beiden Männer sahen – einer überraschter als der andere –, wie ein Taxi neben Bastiens Van anhielt.
„Falsche Adresse?“, fragte Bastien, denn er wusste, dass sein Bruder nicht gerade gastfreundlich war.
„Muss wohl so sein“, bemerkte Lucern. Er kniff die Augen zusammen, als der Fahrer ausstieg und die hintere Tür für eine junge Frau öffnete.
„Wer ist denn das?“, fragte Bastien. Er klang sogar noch überraschter, als Lucern sich fühlte.
„Keine Ahnung“, antwortete Lucern. Der Taxifahrer holte Lucern lächelte nur. Er hatte keine Haushälterin mehr, um die er sich Gedanken machen musste, und die Reinigungsfirma, die er engagiert hatte, um einmal in der Woche vorbeizukommen, säuberte nur das Erdgeschoss. Er brauchte also nicht zu befürchten, dass sie den Sarg entdecken würden. „Geht alles klar mit der Hochzeitsplanung?“, fragte er, als er seiner Mutter und Bastien in die Küche folgte. Er knipste das Licht im Keller aus und schloss die Tür hinter sich, schaltete aber keine anderen Lampen ein. Die schwache Beleuchtung durch das Nachtlicht am Herd genügte, dass alle sicher zur Haustür gelangten. „Ja. Endlich.“ Marguerite Argeneau klang erleichtert. „Und trotz Mrs. Garretts Bedenken, dass die Hochzeit übereilt stattfindet und Rachels Verwandte nicht genug Zeit hatten, ihre Teilnahme zu organisieren, werden sie alle kommen.“ „Wie groß ist denn die Familie?“ Lucern hoffte ehrlich, dass es nicht so viele Garretts gab, wie Hewitts auf Lissiannas Hochzeit erschienen waren. Die Vermählung seiner Schwester mit Gregory Hewitt war ein Albtraum gewesen. Der Mann hatte eine riesige Familie, und die Mehrheit seiner Verwandten schien aus Frauen zu bestehen – alleinstehenden Frauen, die Lucern, Etienne und Bastien betrachtet hatten, als wären sie der Hauptgang der Mahlzeit. Lucern konnte aggressive Frauen nicht ausstehen. Er war zu einer Zeit aufgewachsen, als ausschließlich Männer die Aggressoren gewesen waren und Frauen nur gelächelt und geschmachtet und ihren Platz gekannt hatten. An die Veränderungen der letzten Jahrzehnte hatte er sich noch nicht so recht gewöhnt und sehnte sich daher nicht gerade nach einem weiteren Debakel wie Lissiannas Hochzeit, wo er den größten Teil der Veranstaltung damit verbracht hatte, den weiblichen Gästen aus dem Weg zu gehen. Zum Glück konnte Marguerite einige dieser Befürchtungen zerstreuen, indem sie zu berichten wusste: „Ziemlich klein, verglichen mit Gregs Familie, und nach der Gästeliste zu schließen überwiegend Männer.“ „Gott sei Dank“, murmelte Bastien und wechselte einen Blick mit seinem Bruder. Lucern nickte zustimmend. „Ist Etienne nervös?“ „Überraschenderweise nicht.“ Bastien grinste schief. „Es macht ihm einen Riesenspaß, alles zu arrangieren. Er schwört, dass er die Hochzeit kaum erwarten kann. Rachel scheint ihn wirklich glücklich zu machen.“ Darüber wirkte er eher verwundert. Lucern teilte die Ansicht seines Bruders. Er konnte sich ebenfalls nicht vorstellen, seine Freiheit für eine Ehefrau aufzugeben. An der Haustür blieb er stehen, drehte sich um und sah, wie seine Mutter die Post auf dem Flurtisch untersuchte. „Luc, du hast hier Wochen alte, ungeöffnete Post! Liest du sie denn nicht?“ „Warum so überrascht, Mutter? Er geht doch auch nie ans Telefon. Wir können schon von Glück sagen, dass er sich manchmal dazu herablässt, die Tür zu öffnen.“ Bastien sagte das durchaus gutmütig, aber der Blickwechsel zwischen ihm und ihrer Mutter entging Lucern nicht. Sie machten sich Sorgen um ihn. Er war schon immer ein Einzelgänger gewesen, aber in der letzten Zeit hatte das geradezu extreme Formen angenommen, und alle schienen sich Gedanken zu machen. Sie wussten, dass er das Leben inzwischen gefährlich langweilig fand. „Was ist in diesem Karton?“ „Keine Ahnung“, gab Lucern zu, als seine Mutter einen großen Karton vom Tisch nahm und ihn schüttelte, als wäre er federleicht. „Denkst du nicht, es könnte vielleicht eine gute Idee einen kleinen Koffer und eine Reisetasche aus dem Kofferraum.
„Ich glaube, das ist deine Lektorin“, verkündete Marguerite. Sowohl Lucern als auch Bastien fuhren herum, um ihre Mutter entgeistert anzustarren. Sie sahen, dass Marguerite den nun geöffneten FedEx-Brief las.
„Meine Lektorin? Was redest du denn da?“ Lucern stapfte zu ihr und riss ihr den Brief aus der Hand.
Seine Mutter ignorierte seine Unhöflichkeit und spähte neugierig nach draußen. „Da die Post so langsam ist und weil das Interesse an Ihren Büchern immer mehr zunimmt, hat Ms. Kate C. Leever beschlossen, persönlich mit dir zu sprechen. Was“, fügte Marguerite spitz hinzu, „dir schon lange bekannt wäre, wenn du dich dazu herablassen könntest, deine Post zu lesen.“
Lucern zerknüllte den Brief. Er beinhaltete tatsächlich all das, was seine Mutter gerade in Worte gefasst hatte. Und die Tatsache, dass Kate C. Leever mit der Abendmaschine um acht aus New York eintreffen würde. Nun war es halb neun. Die Maschine musste pünktlich gewesen sein.
„Sie ist hübsch, nicht wahr?“ Diese Bemerkung und der spekulative Tonfall seiner Mutter genügten, um Lucern in Alarmzustand zu versetzen. Marguerite klang wie eine Mutter, die sich auf den Ehestiftungspfad begeben hatte – ein Pfad, auf dem sie sich nur zu gut auskannte. Sie war schließlich auch als Erste auf die Idee gekommen, Etienne und Rachel zu verkuppeln, und wie das ausgegangen war, wusste man ja: Etienne steckte bis zum Hals in Hochzeitsvorbereitungen.
„Sie denkt schon wieder ans Ehestiften, Bastien. Bring sie nach Hause. Sofort“, befahl Lucern. Sein Bruder brach in Gelächter aus, was Lucern zu der Bemerkung veranlasste: „Vergiss nicht, wenn sie mit mir fertig ist, wird sie sich ganz darauf konzentrieren können, dir

eine Frau zu finden.“


Copyright © 2008 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH.

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Texte: Egmont LYX Verlag ISBN: 978-3802581724
Tag der Veröffentlichung: 03.08.2011

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