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Mein Todestag begann schon schlecht. Und wurde leider auch nicht besser. Ich kam zu spät zur Arbeit, weil ich die Snooze-Taste meines Weckers wieder einmal zu oft gedrückt hatte. Tut das nicht jeder für ein paar Minuten Extraschlaf? Na, also! Deshalb verschlief ich auch regelmäßig. Wegen der blöden Snooze-Taste. Zeit für ein richtiges Frühstück blieb natürlich nicht mehr, also schlang ich zwei gefüllteKekse hinunter, während ich auf den Bus wartete. Schokoladenfüllung! Mmhhh … Meine Mutter hätte mir applaudiert (von wem sonst stammte wohl meine Vorliebe für das ungesunde Zeug?), mein Ernährungsberater eher die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Der Bus hatte natürlich Verspätung. Den öffentlichen Nahverkehr in Minnesota muss man einfach lieben: gerade mal sechs Busse für eine viertel Million Einwohner! Und wenn sie nicht Verspätung hatten, kamen sie zu früh. Ich wusste schon gar nicht mehr, wie oft mir der Bus vor der Nase weggefahren war. Fahrplan? Was für ein Fahrplan? Als der Bus endlich angezockelt kam, stieg ich ein und setzte mich erst einmal – in Kaugummi. Um zwanzig nach neun erschien ich zu meinem Neun-Uhr- Meeting und musste erfahren, dass die wirtschaftliche Rezession, deren Existenz von den Experten seit Jahren hartnäckig geleugnet würde, nun auch mich erwischt hatte, und zwar mit voller Wucht: Ich wurde entlassen. Was nicht unerwartet kam. Den letzten Gewinn muss Hamton & Sons erwirtschaftet haben, als ich noch auf die Highschool ging. Aber weh tat es trotzdem. Es ist hart, den Job zu verlieren. Plötzlich wird einem klar, dass man nicht mehr gebraucht wird. Egal ob aus persönlichen, wirtschaftlichen oder anderen Gründen. Man will dich nicht mehr. Punkt. Die Idee, Kosten zu reduzieren, kam Hamton & Sons ungefähr ein Jahr zu spät. Und schließlich entschied man sich lieber dafür, Leute zu entlassen, als, sagen wir mal, die sechsstelligen Gehälter der Manager zu kürzen. Die Bürokräfte und Sekretärinnen sah man als entbehrlich an. Aber wir wussten, dass die Trottel ohne uns nicht mal in der Lage waren, ein Fax zu senden, ganz zu schweigen davon, die Firma zu leiten. Sie würden schon sehen, was sie davon hätten! Mit diesem aufmunternden Gedanken packte ich meine Sachen zusammen und versuchte die ausweichenden Blicke meiner Kollegen zu übersehen. Dann ging ich nach Hause. Um mich zu trösten, machte ich Halt bei Dairy Queen auf einen Blueberry-Milchshake. Auf diese Frühlings- vorboten war immer wieder Verlass: Rotkehlchen, frisches Gras und Dairy Queen begrüßen die neue Saison. Milchshake schlürfend kam ich zu Hause an. Mein Anrufbeantworter blinkte Unheil verkündend. Und richtig, die Nachricht war von meinem Stiefmonster, und nach dem Lärm im Hintergrund zu schließen nahm ich an, dass sie beim Friseur war. „Dein Vater und ich werden es leider nicht zu deiner Party heute Abend schaffen…Ich habe neue Medikamente verordnet bekommen und ich … wir … können ganz einfach nicht kommen. Tut mir leid.“ Aber sicher tut es das, blöde Kuh. „Hab viel Spaß, auch ohne uns.“ Kein Problem. „Vielleicht lernst du ja auch heute jemanden kennen.“ Was so viel hieß wie: Vielleicht heiratet dich irgendein armer Irrer. Vom ersten Tag an hatte mein Stiefmonster mich als Rivalin um die Gunst meines Vaters betrachtet. Schlimmer noch: Wann immer mir etwas wirklich wichtig gewesen war, hatte sie die Depressionskarte ausgespielt, um sich zu drücken. Doch schon eine Woche nach unserem ersten Kennenlernen hatte mir das nichts mehr ausgemacht und war mir eigentlich auch ganz recht gewesen. Ich ging in die Küche, um meine Katze zu füttern, und stellte fest, dass sie schon wieder abgehauen war. Sie war sehr abenteuerlustig, mein kleiner Mitbewohner Giselle, obwohl ich manchmal den Eindruck hatte, ich wäre ihr Mitbewohner. Ein Blick auf die Uhr – oje, noch nicht einmal Mittag. Genug Zeit, um die Schmutzwäsche zu versorgen und sich die Augen aus dem Kopf zu heulen. Ein perfekter Tag. Alles Gute zum Geburtstag. Wie das Leben so spielt: Ein Schneesturm kam auf (eher ungewöhnlich für April), und meine Party fiel aus. Auch gut. Ich hatte ohnehin keine Lust gehabt, auszugehen, ein gut gelauntes Gesicht aufzusetzen und zu viele Daiquiris zu trinken. Das Einkaufszentrum ist toll, aber für überteuertes Zeug, streitlustige Wochenendbesucher und Sechs-Dollar-Drinks muss ich in der richtigen Stimmung sein. Mein einziger Lichtblick an diesem Tag war Nicks Anruf um acht Uhr. Nick Berry war ein super Detective drüben in St. Pauls. Vor einigen Monaten war ich Opfer eines Überfalls geworden und … Na ja, „Überfall“ war vielleicht untertrieben. Etwa so, als fände man den Zweiten Weltkrieg „bedauerlich“. Ich möchte nicht gerne darüber sprechen – noch nicht einmal daran denken. Eines Tages hatte sich nämlich ein Haufen Irrer auf mich gestürzt, als ich gerade aus Khans Mongolischem Grill gekommen war. Dort gab es ein „All you can eat“-Buffet für elf Dollar fünfundneunzig, Salat, Dessert und Getränke inklusive – kein schlechter Deal, wenn es einen nicht störte, dass die Klamotten anschließend für einige Stunden nach Knoblauch rochen. Ich habe immer noch keine Ahnung, was meine Angreifer eigentlich von mir wollten. Kein Raub, kein Vergewaltigungsversuch, kein wirres Gequatsche von irgendwelchen Verschwörungen auf höchster Ebene. Sie waren buchstäblich aus dem Nichts aufgetaucht, als ich noch gähnend nach meinen Schlüsseln gesucht hatte. Sie umzingelten mich, kratzten und bissen wie ein Haufen tollwütiger Eichhörnchen, während ich sie mit den Absätzen meiner Manolo Blahniks zurücktrieb und so laut ich konnte um Hilfe schrie. Danach hatte ich drei Tage lang nur noch flüstern können. Zu allem Überfluss stanken sie furchtbar, etwa so wie meine Küche, wenn ich vor der Urlaubsfahrt nach Cape Cod vergessen hatte, den Müll zu entsorgen. Alle hatten lange Haare und unheimliche, farbige Augen. Und die ganze Zeit über sprachen sie kein Wort mit mir. Hilfe war nicht aufgetaucht, aber die Typen hatten schließlich trotzdem den Rückzug angetreten. Vielleicht hatte sie meine Stimme nervös gemacht. Wenn ich schreie, heulen die Hunde. Oder sie mochten den Knoblauchgeruch nicht. Was immer es war – sie flohen, Hals über Kopf. Als ich an meinem Auto lehnte und versuchte, nicht in Ohnmacht zu fallen, sah ich, dass einige sogar auf allen vieren krabbelten. Ich kämpfte tapfer darum, das Buffet, den Ingwertee und das Sesambrot bei mir zu behalten. Zu schade, wenn auch noch die elf fünfundneunzig zum Teufel gewesen wären! Dann nahm ich mein Handy und rief die 911.
Detective Nick übernahm den Fall und verhörte mich im Krankenhaus, während die Bisswunden desinfiziert wurden. Alle fünfzehn. Der Assistenzarzt, der sich an mir zu schaffen machte, roch nach Koriander und summte die ganze Zeit über die Titelmelodie von Harry Potter und die Kammer des Schreckens. Und zwar falsch. Was mir tatsächlich mehr auf die Nerven ging als das Brennen des Antiseptikums. Das war im Herbst gewesen. Seitdem waren immer mehr Leute überfallen worden, Männer ebenso wie Frauen, ohne Unterschied. Die beiden Letzten hat man tot aufgefunden. Ich hatte also allen Grund zur Angst – einer Scheißangst sogar –, und schwor, nicht wieder zu Khans zu gehen, bis die schrecklichen Typen gefasst wären. Aber vor allem war ich dankbar, dass mir nicht mehr passiert war. Detective Nick hat dann noch einmal angerufen. Wir quatschten ein bisschen und – lange Rede, kurzer Sinn – ich versprach, noch einmal das Große Buch der Bösen Jungs durchzublättern. Zum einen, weil ich mich dann nicht mehr ganz so hilflos fühlen würde. Vor allem aber, um Nick wiederzusehen. Er hatte exakt meine Größe (ein Meter zweiundachtzig), dunkelblondes Haar, entsprechend der Dienstvorschrift kurz geschnitten, hellblaue Augen, den Body eines Schwimmers und Grübchen! Er sah aus, wie einem Kalender mit Männer-Akten entsprungen. Ich habe gegen das Gesetz verstoßen, Officer, bitte nehmen Sie mich fest! Ich konnte mich kaum daran erinnern, wann ich das letzte Mal Sex gehabt hatte. Aber Nick mit den Augen zu vernaschen kam Sex sehr, sehr nahe. Dass wir uns richtig verstehen: Ich bin nicht prüde. Nur wählerisch. Sehr, sehr wählerisch. Ich verdiene die gleiche Behandlung wie die schönsten und teuersten Schuhe, die ich mir jemals würde leisten können. Was viel heißen will bei meinem mickrigen Sekretärinnengehalt. Ganz egal, wie viel Geld mein Vater mir hinterherwirft, ich würde niemals Schuhe davon kaufen. Es wären nicht meine. Es wären seine. Und so spare ich eben monatelang für die verdammten Dinger, denn sie sollen ja schließlich an meine Füße. Und das bin ich, in wenigen Worten: Elizabeth Taylor lassen Sie stecken! Ich habe jeden Witz über meinen Namen mehr als einmal gehört), Single, einen Job ohne Zukunft (genau genommen nicht mal das), eine Katze als Mitbewohner. Ich bin so langweilig, dass sogar meine Katze jeden Monat dreimal abhaut, auf der Suche nach ein wenig Abenteuer. Wenn man vom Teufel spricht: Kam da nicht ihr verräterisches Miiiiauuuuu von der Straße herüber? Na, toll. Giselle hasste Schnee. Sie hatte sich wahrscheinlich nach einer kleinen Frühlingsliebelei umgeschaut und war in den Schneesturm geraten. Jetzt war sie da draußen und wartete darauf, dass ich sie rettete. Und wenn ich mich ihrer dann endlich erbarmte, wäre sie schrecklich beleidigt und würde mich den Rest des Tages keines Blickes mehr würdigen. Ich schlüpfte also in meine Stiefel und lief in den Hof. Es schneite immer noch, und ich konnte Giselles kleinen Schatten mitten auf der Straße ausmachen. Ich rief zehn Sekunden lang nach ihr, ohne Erfolg (warum rufe ich nach Katzen?),und stapfte dann über den Hof auf sie zu. Normalerweise war das kein Problem, denn ich lebte am Ende einer ruhigen Straße. Aber bei dem Schneetreiben auf der vereisten Straße sah der Fahrer mich nicht rechtzeitig. Und als er mich endlich bemerkte, tat er genau das Falsche. Er trat mit voller Kraft auf die Bremse. Damit war mein Schicksal besiegelt. Sterben tut nicht weh. Das klingt vielleicht wie eine Phrase. Oder wie dummes Geschwafel, um den Menschen die Angst vorm Abkratzen zu nehmen. Aber glauben Sie mir, wenn so etwas passiert, ist Ihr Körper derart traumatisiert, dass er alle Nervenleitungen dicht macht. Ich hatte keine Schmerzen, fühlte noch nicht einmal die eisige Kälte, obgleich es an diesem Abend minus zwölf Grad waren. Ich muss gestehen, dass ich nicht gut reagierte. Der Wagen kam auf mich zugefahren, und ich starrte in die Scheinwerfer wie ein erschrockenes Reh. Ein großes, doofes, blondes Reh, das gerade ein Vermögen für Strähnchen ausgegeben hatte. Ich rührte mich keinen Zentimeter, obwohl es doch um mein Leben ging. Giselle dagegen rührte sich. Das undankbare, kleine Biest machte, dass es wegkam. Ich dagegen wurde durch die Luft geschleudert. Der Wagen traf mich mit einer Geschwindigkeit von sechzig Stundenkilometern, was nicht zwangs- läufig lebensbedrohlich war, und schleuderte mich gegen einen Baum, was totsicher lebensbedrohlich war. Wie gesagt, es tat nicht weh. Aber ich fühlte einen entsetzlichen Druck auf meinem ganzen Körper. Ich hörte, wie etwas brach. Ich hörte, wie mein eigener Schädel zersprang. Es hörte sich an, als würde jemand in meinem Ohr Eis kauen. Ich fühlte, wie ich blutete, fühlte Flüssigkeit aus mir herausrinnen. Meine Blase entleerte sich ungewollt – zum ersten Mal seit sechsundzwanzig Jahren. Mein Blut im Schnee sah in der Dämmerung schwarz aus. Das Letzte, was ich sah, war Giselle, die auf meiner Veranda saß und darauf wartete, dass ich sie hineinließ. Das Letzte, was ich hörte, waren die Hilferufe des Fahrers. Na ja, nicht wirklich das Letzte. Aber Sie wissen, was ich meine.

Etwa drei Monate nach meinem Tod entschloss ich mich, mir endlich einen Job zu suchen. An meinen alten Arbeitsplatz konnte ich natürlich nicht zurück. Zum einen war ich an meinem Todestag gefeuert worden, zum anderen glaubten sie dort immer noch, dass ich friedlich in meinem Grab läge. Außerdem brauchte ich einen Job, den man nicht bei Tageslicht ausüben musste. Immerhin hatte ich genug zu essen und ein Dach über dem Kopf. Meine beste Freundin Jessica besaß jetzt mein Haus und ließ nicht zu, dass ich Miete zahlte. Obwohl ich Einspruch erhob, beglich ihre Truppe von Superbuchhaltern alle Rechnungen. Außer Teebeuteln, Milch und Ähnlichem brauchte ich keine Lebensmittel. Mein Auto war abbezahlt. Meine monatlichen Ausgaben waren also nicht sehr hoch. Dennoch wollte ich nicht für immer auf Jessicas Großzügigkeit angewiesen sein. Deshalb stand ich jetzt hier, auf den Stufen des Arbeitsamtes des Staates Minnesota. Jeden Donnerstag hatten sie extra lange geöffnet – Gott sei Dank! Beim Durchschreiten der Tür blies mir die kühle Luft der Klimaanlage entgegen, und ich erschauerte. Seit meinem Ableben war mir ständig kalt. Auch darauf – wie auf so vieles – hatte mich keiner vorbereitet. Ganz Minneapolis stöhnte unter einer Hitzewelle, und ich als Einzige fühlte mich pudelwohl. „Hallo“, sagte ich zu der Dame am Empfang. Sie trug einen steifen grauen Anzug und hätte mal wieder ihren Haaransatz nachfärben lassen müssen. Ihre Schuhe konnte ich nicht sehen. Wahrscheinlich war das auch besser so. „Ich wende mich an das Arbeitsamt, weil …“ „Pardon, Miss, es heißt Arbeitsagentur. Arbeitsamt ist ein Anachronismus. Wir sind ein bedarfsorientiertes, modernes Unternehmen des 21. Jahrhunderts.“ „Richtig. Ähem … okay … ich möchte gerne einen Termin mit einem Ihrer Berater.“ Meine dreiste Bitte büßte ich mit dem zwanzigminütigen Ausfüllen von Formularen. Dann wurde endlich mein Name aufgerufen, und ich saß einem Berater gegenüber. Er war ein freundlich aussehender, älterer Herr mit dunklem Haar, einem grau gesprenkelten Bart und schokoladenbraunen Augen. Erleichtert bemerkte ich seinen Ehering und das Bild seiner hübschen Frau und seiner zauberhaften Kinder. Ich wünschte inbrünstig, dass er eine glückliche Ehe führte, damit er sich nicht zum Idioten machen müsste, wenn mein untotes Charisma ihn kalt erwischte. „Hallo, ich bin Dan Mitchell.“ Wir gaben uns die Hand, und ich registrierte, wie er erstaunt die Augenbrauen hochzog, als er meinen feucht-kalten Händedruck fühlte. „Elizabeth Taylor, richtig?“ „Das bin ich.“ „Ist alles in Ordnung mit Ihren Augen?“
Die Sonnenbrille trug ich aus zwei Gründen. Zum einen tat mir das Neonlicht weh. Zum anderen fielen Männer meinem Charme nicht zum Opfer, wenn sie meine Augen nicht sehen konnten. Das Letzte, was ich jetzt gebrauchen konnte, war ein sabbernder, liebeskranker Sach- bearbeiter. „Ich komme gerade vom Augenarzt“, log ich, „der hat mir diese Augentropfen gegeben.“ „Ach ja, das kenn ich. Elizabeth Taylor, wie der Filmstar!“, sagte er begeistert. Offensichtlich kam ihm nicht in den Sinn, dass auch schon andere vor ihm iese Verbindung hergestellt hatten. Und das nicht nur einmal. „Betsy.“ „Betsy dann also.“ Er blätterte durch die zahllosen Formulare, die ich ihm überreicht hatte. „Das sieht alles sehr gut aus …“ „Das hoffe ich. Ich wende mich an das Arbeitsamt, weil …“ „Wir sind eine Arbeitsagentur“, sagte Mitchell geistesabwesend und blätterte weiter. „Richtig, richtig. Wie auch immer, ich brauche einen neuen Job, und bis es so weit ist, brauche ich Arbeitslosengeld. Und dazu hätte ich eine Frage …“ Mitchell schaute alarmiert auf. „Ähm … da muss ich leider einhaken. Dafür sind wir nicht zuständig.“ Ich blinzelte. Das konnte er hinter meiner Foster-Grant- Brille aber nicht sehen. „Pardon?“ „Wir sind eine Arbeitsagentur. Das ist unsere Aufgabe.“ „Sicher. Schon verstanden. Aber was ist mit …?“ „Wenn Sie Arbeitslosenunterstützung beantragen wollen, müssen Sie die Hotline anrufen. Oder ins Internet gehen. Es tut mir leid, aber hier können wir Ihre Frage leider nicht beantworten.“ „Verstehe ich das richtig: Dies ist der Ort, an den ich mich wende, wenn ich arbeitslos bin.“ „Ja.“ „Und hier gibt es Anträge auf Arbeitslosengeld.“ „Aber natürlich!“ „Aber es gibt hier keine Person, an die ich mich wenden kann, um Arbeitslosengeld zu beantragen.“ „Ja, das ist korrekt.“ „Oh, okay.“ Das war seltsam, aber ich wollte kooperativ sein. Möglicherweise. Ich lehnte mich in meinem unbequemen Plastikstuhl zurück. „Nun gut. Könnte ich bitte Ihr Telefon benutzen, um die Hotline anzurufen?“ Mitchell streckte mir entschuldigend die Hände entgegen. „Ach je, wissen Sie, früher war das noch möglich, aber manche Leute haben unsere Hilfsbereitschaft ausgenutzt, also …“ „Sie sagen mir also, dass ich die Hotline des Arbeitsamtes nicht von einem Arbeitsamt aus anrufen kann?“ „Nun ja, technisch gesehen sind wir kein Arbeitsamt mehr. Das sagte ich ja bereits.“ Ich begann mich zu fragen, ob sich ein Vampir betrinken könnte, und beschloss, es herauszufinden, sobald ich der bürokratischen Hölle entronnen wäre. „Und deshalb kann ich es Ihnen leider nicht erlauben.“ Er zuckte mit den Achseln. „Sorry.“ Ich zog meine Sonnenbrille ab, lehnte mich vor und durchbohrte ihn mit meinem bösen, untoten Blick. Ich fühlte mich scheußlich dabei, aber ich war verzweifelt. „Ich. Muss. Ihr. Telefon. Benutzen.“ „Nein!“ Er griff nach dem Apparat und drückte ihn schützend gegen seine Brust. „Das ist nicht erlaubt!“ Erstaunlich. Eigentlich hätte er jetzt, nachdem ich meine besonderen Vampirkräfte eingesetzt hatte, Wachs in meinen Händen sein sollen, aber sein Beamtenethos widerstand dem Bösen. „Sie müssen nach Hause gehen und den Anruf auf Ihre eigenen Kosten machen“, schnappte er. Ich stampfte zurück in den Warteraum. Empörend! Ich war nicht irgendeine dahergelaufene Untote, ich war die Königin der Vampire! „Vergessen Sie nicht, einen Fragebogen zur Kundenzufriedenheit auszufüllen, bevor Sie gehen!“, rief Mitchell mir hinterher. Lieber Gott, töte mich. Jetzt sofort. Noch einmal, meine ich.


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Texte: Egmont LYX ISBN: 978-3802584336
Tag der Veröffentlichung: 30.05.2011

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