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Schon immer habe ich die Dunkelheit des Mondes geliebt, wenn die Nacht still und klar ist und man nur die Sterne sehen kann.
Es gibt jene, die den Dunklen Mond als Neumond bezeichnen, doch am Mond ist nichts neu. Er war hier seit Anbeginn der Zeit und wird auch lange nach unserem Tod noch bestehen.
Ich verbringe meine Tage und den Großteil meiner Nächte in einer Steinfestung in der Wildnis Montanas. Von Beruf bin ich Ärztin, allerdings nicht eine von denen, die Impfungen durchführen, Tabletten verschreiben und anschließend Lutscher verteilen.
Stattdessen mische ich ein wenig von diesem mit ein
wenig von jenem, und das immer und immer wieder.
Meine Berufsbezeichnung lautet „Virologin“, und ich besitze sogar einen Doktortitel. Keine Sorge, ich werde nicht vor Aufregung darüber sterben. Schon eher vor Langeweile, falls die Einsamkeit mich nicht zuerst umbringt.
Natürlich bin ich nicht ganz allein. Vor meiner Tür steht ein Wächter, und dann gibt es auch noch meine Versuchs- personen, aber keiner von ihnen ist ein wirklich toller Gesprächspartner.
Seit einiger Zeit habe ich das Gefühl, beobachtet zu werden, was mir ziemlich ironisch vorkommt, wenn man bedenkt, dass ich diejenige bin, die für die Überwachungs- kameras zuständig ist.
Paranoia ist eines der ersten Anzeichen für Demenz; bloß, dass ich mich gar nicht verrückt fühle

. Tut das irgendwer? Ich bin zu dem Schluss gelangt, dass ich öfter rauskommen muss. Aber wo sollte ich hingehen?
An den meisten Tagen macht es mir nichts aus, am sichersten Ort im amerikanischen Nordwesten eingesperrt zu sein. Die Welt da draußen ist ziemlich beängstigend. Beängstigender, als die meisten Menschen auch nur ahnen.
Ihr denkt, Monster seien nicht real? Dass sie nichts weiter sind als die Ausgeburt einer kindlichen Fantasie oder wahnhafter Psychosen? Ihr täuscht euch.
Auf dieser Erde wandeln Kreaturen, die schlimmer sind als alles, was in den Märchen der Gebrüder Grimm zu finden ist.
Unsolved Mysteries

würde der Schlag treffen, wenn sie Einblick in meine X-Akten bekämen. Aber da Lykanthropie ein Virus ist, sind Werwölfe mein Spezialgebiet. Ich habe es mir zur Lebensaufgabe gemacht, nach einem Heilmittel zu suchen.
Ich habe ein persönliches Interesse daran. Schließlich bin ich eine von ihnen.
All die klugen Köpfe behaupten, dass ein Leben geformt wird von Veränderungen, von Entscheidungen, die wir treffen, durch Wege, die wir nicht beschreiten, durch Menschen, die wir hinter uns zurücklassen. Ich tendiere dazu, ihnen zuzustimmen.
An dem Tag, als sich meine ganze Welt veränderte – wieder einmal –, trat der Mensch, den ich hinter mir zurückgelassen hatte, ohne Vorwarnung in mein Büro. Ich saß an meinem Schreibtisch, als das Scharren eines Schuhs auf Zement mich aufblicken ließ. Der Mann, der da in der Tür stand, ließ mein Herz ba-bumm

machen. Das war immer so gewesen.
„Nic“, murmelte ich und hörte in meiner Stimme mehr, als ich hören wollte.
Die markante Nase, die vollen Lippen, die breite Stirn waren noch genau so, wie ich sie in Erinnerung hatte. Doch die Falten um Mund und Nase, die dunklere Tönung seiner Haut deuteten darauf hin, dass er viel Zeit unter freiem Himmel verbrachte.
Der silbrige Schimmer in seinem kurzen Haar war fast so schockierend Weder lächelte er, noch erwiderte er meine Begrüßung. Ich konnte es ihm nicht verdenken. Ich hatte ihm Liebe geschworen, dann war ich verschwunden. Wir hatten seitdem nie wieder miteinander gesprochen.
Sieben Jahre. Wie hatte er mich gefunden? Und warum?
Die Neugierde wurde von Besorgnis verdrängt, und ich schob meine Hand verstohlen zu der Schublade, in der ich meine Pistole aufbewahrte. Der Wachmann hatte nicht angerufen, um einen Besucher anzukündigen, deshalb sollte ich eigentlich erst schießen und anschließend Fragen stellen. In meiner Welt konnte hinter jedem Gesicht der Feind lauern. Aber es war mir schon immer schwer- gefallen, Menschen zu erschießen. Was einer der vielen Gründe dafür war, warum mein Boss mich hier im Wald isolierte.
Ich hatte schon vor langer Zeit gelernt, ein Schulterholster unter einem Anzug zu erkennen. Nic trug eins. Eine verstörende Veränderung an einem Mann, der früher gleichermaßen gelehrt wie verträumt gewesen war, der das Gesetz geliebt hatte und mich, wenn auch nicht notwendigerweise in dieser Reihenfolge.
Warum trug er eine Waffe bei sich?
Da er sie noch nicht gezogen hatte, kam ich ihm zuvor, indem ich meine auf seine Brust richtete. Sie war mit Silberkugeln geladen, damit war ich auf alles vorbereitet. Nur nicht auf den durchdringenden Blick seiner tiefblauen Augen und das vertraute Timbre seiner Stimme. „Hallo, mein Engel.“
Am College hatte mir dieser Kosename stets einen wohligen Schauder über den Rücken gejagt. Ich hatte Dinge versprochen, die zu versprechen ich kein Recht gehabt hatte. Jetzt machte mich dasselbe, vor kaltem Sarkasmus triefende Wort wütend.
Ich hatte ihn zu seinem eigenen Besten verlassen. Allerdings wusste er das nicht.
Ich stand auf, schlenderte um den Schreibtisch herum, kam ihm ein wenig zu nah. „Was tust du hier?“
„Ich hatte mir schon gedacht, dass du nicht gerade begeistert sein würdest, mich zu sehen, aber mit einem solchen Empfang hatte ich trotzdem nicht gerechnet.“
Er richtete den Blick auf meine Pistole, und ich wurde von seinem Duft abgelenkt. Frischer Schnee, Bergluft, meine Vergangenheit.
Nic packte die Waffe, entwand sie meinen Fingern, legte von hinten einen Arm um meine Kehle und drückte mich an sich. Ich war nicht gut im Umgang mit Schusswaffen. War es nie gewesen.
Ich würgte, und er lockerte den Klammergriff um meine
Luftröhre, ließ mich jedoch nicht los. Aus den Augen- winkeln erhaschte ich einen Blick auf etwas Metallisches auf dem Schreibtisch.
Er hatte meine Pistole dort abgelegt. Eine Sorge weniger.
„Was willst du?“, keuchte ich.
Anstatt zu antworten, vergrub er die Nase in meinem Haar, und sein Atem strich an meinem Ohr entlang. Meine Knie zitterten; meine Augen brannten. Nic so nah zu spüren rief Erinnerungen wach, die ich seit Jahren zu vergessen versuchte. Sie taten weh. Verdammt, ich liebte ihn noch immer.
Eine ungewohnte Woge von Emotionen überschwemmte
meine Muskeln und versetzte meinen Magen in Aufruhr. Ich war es nicht gewohnt, irgendetwas zu empfinden. Ich hielt mich selbst für kühl, überlegen, selbstbeherrscht: Dr. Elise Hanover, die Eiskönigin. Wenn ich meinem Zorn freien Lauf ließ, geschahen schlimme Dinge.
Doch niemand hatte je so eine Wirkung auf mich gehabt wie Nic. Niemand hatte mich je so glücklich und so traurig gemacht.
Niemand konnte mich wütender machen.
Ich trat mit meinem Pfennigabsatz auf seinen glänzenden, schwarzen Schuh und stemmte mich mit meinem ganzen Gewicht darauf. Nic zuckte zusammen, und ich rammte ihm den Ellbogen in den Bauch. Ich vergaß, die Wucht meines Schlages abzumildern, sodass er gegen die Wand flog. Ich schoss herum und sah zu, wie er mit geschlossenen Augen zu Boden sackte.
Ups

.
Ich widerstand dem Drang, zu ihm zu laufen, sein Gesicht zu berühren, seine Stirn zu küssen. Wir durften nicht noch einmal mit alldem anfangen.
Nics Lider flatterten, und er murmelte irgendetwas Unflätiges.
Ich ließ den Atem entweichen, den ich angehalten hatte.
Ich bezweifelte, dass er bei einem Kampf oft auf der Verliererseite stand. Er hatte Muskeln aufgebaut, seit ich ihn zuletzt gesehen hatte – die Kombination aus Lebens- jahren und ein paar tausend Stunden an Kraftgeräten.
Was hatte er sonst noch in der Zeit seit unserer Trennung getan? Er hatte vorgehabt, Anwalt zu werden, nur dass er kein bisschen wie ein Anwalt aussah. Der Anzug, ja, aber unter dem steifen dunkelgrauen Gewebe war er mehr als ein bürokratischer Schnellredner. Vielleicht ein Soldat im Sonntagsstaat.
Ich ließ den Blick über ihn gleiten und blieb an der schwarzen Sonnenbrille hängen, die er in seine Sakko- tasche gehakt hatte.
Anzug. Muskeln. Männer mit dunklen Brillen.
„FBI“, murmelte ich.
Jetzt war ich wirklich sauer.
Nic schlug die Augen auf, blinzelte einmal, dann fixierte er mein Gesicht.
„Du warst schon immer klüger, als du aussiehst.“
Ich war so oft das Opfer von Blondinenwitzen gewesen, dass es für eine ganze Ewigkeit reichte. Die stupiden Sticheleien und blöden Bemerkungen waren mir nahe- gegangen, bis ich plötzlich begriffen hatte, dass ich die Einstellung der Leute zu meinem Vorteil nutzen konnte. Solange sie mich für dumm hielten, erwarteten sie nichts anderes von mir.
Deshalb ignorierte ich Nics Provokation. Er war von den großen Jungs hergeschickt worden, und das bedeutete Ärger.
„Ich nehme an, du willst, dass ich dir meine Waffe aushändige“, brummte er.
Ich zuckte die Achseln. „Behalt sie.“ Eine mit normaler Munition geladene Pistole war das geringste meiner Probleme.
Er rappelte sich hoch, und ich durchlebte einen Moment der Besorgnis, als er deutlich schwankte. Ich hatte ihn viel zu hart getroffen.
„Lass mich dir einen Rat geben“, sagte er. „Ich war schon immer der Überzeugung, dass die Menschen, von denen wir am wenigsten erwarten, dass sie auf uns schießen, dies für gewöhnlich tun.“
Witzigerweise war das auch meine Meinung.
„Was tust du hier?“, wiederholte ich.
Er zog die Brauen hoch. „Keine Umarmung, kein Kuss? Du freust dich nicht, mich zu sehen? Wenn ich mich recht entsinne, bin ich derjenige, der sauer sein sollte.“
Er setzte sich unaufgefordert auf einen Stuhl.
„Oh, warte.“ Sein Blick traf meinen. „Das bin ich ja auch.“
Nic hatte jedes Recht, wütend zu sein. Ich hatte mich eines Nachts einfach davongeschlichen, so als hätte ich etwas zu verbergen.
Moment mal. Das hatte ich ja auch.
Trotzdem tat es weh, ihn hier zu sehen. Ich konnte ihm nicht erklären, warum ich ihn verlassen hatte. Ich konnte mich nicht entschuldigen, weil es mir nicht wirklich leidtat. Ich konnte ihn nicht so berühren, wie ich es wollte. Ich konnte nie wieder jemanden auf diese Weise berühren.
„Du bist nicht gekommen, um über die Vergangenheit zu
reden“, fuhr ich ihn an. „Was hat das FBI mit den Jäger- suchern

zu schaffen?“
Ich war nicht die Einzige, die Monster bekämpfte, sondern nur ein sonderbares Mitglied einer Gruppe Auserwählter.
Obwohl von der Regierung finanziert, wurde die Existenz der Jägersucher

vor allen außer jenen, die Bescheid wissen mussten, geheim gehalten. Wenn herauskäme, dass überall Monster frei herumliefen, würde Panik ausbrechen.
Nicht nur das, es würden auch Köpfe rollen. Uneingeschränkte Gelder für eine Monster jagende Spezialeinheit? Ein paar Leute würden definitiv ihren Job verlieren – und wir dabei unsere finanzielle Grundlage. Also gaben wir vor, etwas zu sein, das wir nicht waren.
Ich zum Beispiel war eine Forscherin, die eine neue Form von Tollwut innerhalb der Wolfspopulation untersuchte. Die meisten unserer operativen Agenten trugen Papiere bei sich, die sie als Mitarbeiter verschiedener Natur- schutzbehörden auswiesen.
Bis heute hatten die Vorsichtsmaßnahmen funktioniert. Nie zuvor hatte jemand bei uns herumgeschnüffelt.
Die Frage lautete: Warum jetzt?
Und warum er?

Copyright © 2009 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH

Impressum

Texte: Egmont Lyx ISBN: 978-3802582073
Tag der Veröffentlichung: 27.08.2010

Alle Rechte vorbehalten

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