Cover

Band 1

Prolog

 

 

Natascha deckte gerade den Tisch. Sie stellte zwei Weingläser und eine Weinflasche mitten auf den Tisch. Sie ging zurück in die Küche und holte ein Tablett. Auf dem Tablett standen drei Schüsseln. In einer Schüssel war Salat, in der zweiten etwas Soße und in der dritten waren Kartoffeln. Die Schüsseln stellte sie zu der Weinflasche, in der sich Rotwein befand.

Das Tablett brachte sie in die Küche zurück und brachte eine vierte Schüssel herbei, in der sich etwas Fleisch befand. Als sie sich umdrehte, um zurück in die Küche zu gehen, bemerkte sie einen Mann, der hinter ihr stand. Sie lächelte und küsste ihn. Der Mann stellte dabei zwei Teller auf den Tisch, auf denen sich je ein Messer, eine Gabel und ein Löffel befanden.

„Hallo Frank, schön, dass du endlich Zuhause bist“, lächelte Natascha und drehte sich um. Sie stellte die Teller mit dem Besteck auf den richtigen Platz auf dem Tisch.

„Da bin ich auch froh, Natascha“, antwortete er und küsste ihre Schulter. Natascha genoss die Zuneigung ihres Mannes.

Wenig später saßen sie bei Tisch und aßen zusammen. „Wie war es in der Firma?“, fragte Natascha und trank einen Schluck Wein.

Frank sah sie an und lächelte. „Es war stressig. Die finanziellen Probleme in der letzten Zeit schlagen ein wie eine Bombe.“

Natascha lächelte. „Es werden bessere Zeiten kommen, Schatz. Ich gebe dir nochmal 10.000€. Das wird deiner Firma hoffentlich helfen.“

Frank betrachtete seine Frau nachdenklich. Natascha sah ihn deshalb fragend an. „Das wird hoffentlich helfen. Danke, Natascha.“ Frank aß weiter, aber Nataschas Blick traf ihn trotzdem.

„Ich treffe mich morgen mit Nico. Du brauchst dann nicht auf mich zu warten.“

Plötzlich legte Frank sein Besteck zur Seite. Er sah sie böse an und schrie: „Wie bitte?“

„Ich treffe mich mit Nico. Wir müssen über unsere Arbeit sprechen.“

Frank knallte seine Faust auf den Tisch. „Über eure Arbeit? Glaubst du irgendwie, ich bin ein bisschen blöd? Hast du eine Affäre mit ihm?“

Natascha sah ihn bestürzt an. „Eine Affäre mit Nico? Was denkst du denn, Frank? Sei doch nicht immer so eifersüchtig! Zwischen Nico und mir läuft nichts, warum auch? Ich liebe dich, Frank.“

Das überzeugte Frank keineswegs. Er stand auf und ging. Natascha rief ihm noch hinterher, aber er hörte nicht drauf. Natascha stützte ihre Ellbogen auf den Tisch und legte ihr Gesicht in ihre Handflächen. Langsam aber sicher würde diese Ehe wohl kaputt gehen und das für nichts.

 

 

Kapitel 1

 

 

Es war ein heißer Vormittag. Raw, ein blonder junger Mann saß in einem Café alleine am Tisch und trank einen Schluck von seinem Kaffee. Sein Blick wanderte immer wieder zur gegenüberliegenden Seite der Straße. Dort stand ein Polizeigebäude.

Raw war Kommissar und heute fing er genau in diesem dort stehenden Gebäude neu an. Er sollte sich gegen neun dort melden, aber es war erst viertel neun. Raw war ein überaus pünktlicher Mensch, das hieß, er war ganz gerne mal eine Stunde eher da, nur um nicht zu spät zu kommen.

Nach weiteren zehn Minuten bat er die Kellnerin zu sich und zahlte ihr fünf Euro, der Rest war Trinkgeld. Raw stand auf und hörte noch ihre Dankbarkeit, bevor er das Café verließ und über die Straße ging.

Vor der Eingangstür nahm er seine Sonnenbrille ab und enthüllte seine strahlend blauen Augen, die mit seinen Haaren eine sehr gute Mischung ergaben. Schon einige hatten nur wegen seines guten Aussehens eine Beziehung mit ihm angefangen, aber die gingen sehr schnell in die Brüche, wie man sich denken könnte.

Raw betrat die Eingangshalle und schloss die Tür hinter sich. An einer Bedienungstheke stand eine ziemlich lange Schlange, in die Raw sich nicht einordnen wollte. Deshalb setzte er sich auf eine Bank, die an einer Wand stand und wartete.

Wenig später sah er wieder auf seine Uhr und seufzte. Es war erst halb neun. Pünktlichkeit hatte anscheinend auch seinen Preis. Raw stand auf, da er nicht mehr warten konnte und ging in einen Gang hinein. Als er um die Ecke ging, sah er nur noch, wie etwas Schwarzes ihm näher kam und im nächsten Moment fiel ein Becher nach unten und verschüttete den drinnen sich befindenden Kaffee.

Raw entschuldigte sich sofort. Da sich der Kopf des Mannes, mit dem er zusammengestoßen war, gesenkt hielt, sah Raw sein Gesicht nicht.

„Das tut mir Leid“, entschuldigte er sich noch einmal. „Ist alles in Ordnung?“ Raw bemerkte sofort den großen Kaffeefleck auf seinem weißen Oberteil. Verdammt, das konnte man garantiert nicht so leicht waschen.

„Alles, okay. Ist schon gut.“ Der Mann sah Raw an und dabei weiteten sich Raws blaue Augen. Sein Gegenüber hatte stechend gelbe Augen. Seine Haare waren schwarz und reichten etwas weiter, wie nur bis zu den Schultern. Sie waren auch leicht gewellt.

Er lächelte und hob den Becher auf. „Das kann ja vorkommen. Ich habe Sie hier noch nie gesehen. Wer sind Sie denn?“

Raw fasste sich durch seine Stimme wieder und antwortete: „Ich bin Raw. Ich werde heute hier neu als Kommissar anfangen.“ Immer noch konnte er seinen Blick nicht von ihm abwenden. Irgendwie fesselte er Raw total.

„Ich bin Gilbert, ich bin Gerichtsmediziner“, berichtete er und hielt ihm die Hand hin. Raw ergriff seine Hand schnell und ein freundliches Händeschütteln folgte. Seine Hand war warm und seine Haut weich. Raw ließ seine Hand wieder los.

„Der Chef hatte schon von dir geredet. Ich darf dich doch duzen, oder?“

„Äh, ja klar“, antwortete er schnell.

„Gut, er erwartet dich. Soll ich dich zu ihm führen?“ Raw nickte leicht. „Ist wirklich alles in Ordnung? Sie sehen mich wirklich seltsam an.“

„Es ist nichts. Sagen Sie, wie alt sind Sie?“ Von seiner Stimmer her war er älter, als wie er aussah, denn von außen sah er etwas älter aus wie zwanzig. Seine Stimme verriet Raw aber, dass er etwas älter war, wie er aussah.

„Wie alt ich bin?“ Er sah Raw prüfend an. „Ich bin 32, warum fragst du?“

Raw sah ihn verwirrt an und lächelte schnell. „Du siehst jünger aus, deshalb.“

Gilbert nickte verstehend. „Wie alt bist du denn?“

„Auch 32“, antwortete er schnell. Gilbert nickte wieder und ging in die Richtung, aus der er kam. „Was ist mit dem Kaffee?“, fragte Raw.

Gilbert deutete in Raws Richtung und da bemerkte er eine Putzfrau, die sich an dem Kaffeefleck zu schaffen machte. Raw ging schnell zu Gilbert und fragte: „Wie konnte sie das wissen?“

Gilbert lachte leise. „Sie wusste es nicht. Hier gehen die Putzfrauen öfter durch die Gänge und Räume und sehen nach, ob sie etwas säubern müssen.“

Raw nickte. Gilbert führte ihn durch die Gänge hindurch zu einem Büro. Er klopfte kurz daran und trat ein. Raw betrat das Zimmer hinter Gilbert und schloss die Tür hinter sich. Als er den Mann sah, staunte er erst einmal. Seine ganzen Chefs waren bisher im mittleren Alter gewesen, aber dieser Mann hatte ja schon graues Haar, oder war das weiß? Seine Haut hatte jedoch kaum Falten. Vielleicht war er ja ein Albino.

Der Mann trug einen Anzug und war genauso groß, wie Raw, etwa 1,80 Meter. Er stand sofort auf und kam hinter dem Schreibtisch hervor. Vor Raw blieb er stehen und sie schüttelten sich kurz die Hände.

„Hallo, Raw. Mein Name ist Al. Ich bin Ihr Vorgesetzter und Gilbert scheinen Sie ja schon kennen gelernt zu haben. Das ist gut, dass Sie jetzt kommen. Vor einer Stunde hat ein Mann hier angerufen und gesagt, er hätte seine Frau tot aufgefunden. Gilbert wollte gerade dahin. Ihr Dienstwagen, Raw, steht unten in der Garage. Gilbert wird Sie begleiten. Mit Ihrem Berufsfeld kennen Sie sich ja wunderbar aus, oder?“

Raw nickte. „Gut, dann wünsche ich Ihnen erst einmal viel Glück. Ihr Partner ist schon am Tatort.“

Raw nickte wieder und verließ wortlos mit Gilbert das Büro. Gilbert blieb jedoch mitten im Gang stehen und sagte: „Er ist ein Albino und erst 30 Jahre alt.“

Raw sah ihn geschockt an. „Gut zu wissen“, lachte er.

 

Gilbert und Raw hielten nebeneinander auf einem Parkplatz an. Sie stiegen aus und bemerkten auch die Polizeiautos, die hier standen. „Hast du schon nähere Details bekommen?“, fragte Raw Gilbert, der aus seinem Kofferraum einen Koffer nahm.

„Man sagt, sie hätte Selbstmord begangen. Näheres kann ich aber erst sagen, wenn ich sie sehe und untersucht habe.“

„Glaubst du, es war Selbstmord?“

Gilbert stellte den Koffer auf den Boden und klappte den Kofferraum zu. „Ich muss sie mir erst näher ansehen. Dann erfährst du es, versprochen.“ Er bückte sich nach dem Koffer und nahm ihn hoch. Zusammen gingen sie zu dem Einfamilienhaus, das direkt gegenüber vom Parkplatz stand.

Das Haus hatte eine weiße Farbe. Es war umzäunt. Von dem Zaun führte ein Weg zur Eingangstür und einer neben dem Haus nach hinten, wahrscheinlich der Garten. Auf dem Weg zur Haustür befand sich ein gelbes Absperrband, unter welchem sie hindurchgingen. Gilbert sah sich die Tür zuerst an, genau wie Raw, auch wenn sie offen war.

„Also, das erkenne sogar ich, dass hier niemand eingebrochen ist“, meinte Gilbert und ging nach drinnen. Raw betrachtete den ersten Raum, in den sie kamen. Hier standen mehrere Polizisten. Es war das Wohnzimmer. Mitten im Raum lag eine Frau auf dem Boden.

Gilbert legte den Koffer neben ihr hin und kniete sich hin. Während er an der Frau herumhantierte, wandte sich Raw an einen Kommissar, der ihn sofort erkannte, aber er sah Raw ja schon die ganze Zeit lang an.

„Sie sind also der Neue?“, fragte der Kommissar, der genau wie der Chef schon weißes Haar hatte, und schüttelte Raws Hand.

„Und Sie sind?“, entgegnete Raw und nahm seine Hand wieder zurück. Der Mann gab ihm daraufhin seine Marke und seine Dienstwaffe, die Raw entgegennahm und betrachtete.

„Die hat der Chef mir für dich gegeben. Ich bin dein Partner, Gérard Marchand. Nett dich kennen zu lernen.“ Gérard sah Al recht ähnlich, eben nur die jüngere Form des Chefs. Er hatte in etwa die gleiche Größe, zirka 1,80 Meter und die gleiche Augenfarbe.

Raw nickte und sagte: „Ich bin Raw. Was wissen wir denn schon?“ Er steckte die Dienstwaffe und die Marke weg und sah Gérard interessiert an.

„Ihr Name ist Natascha. Ihr Mann, Frank, fand sie vor zwei Stunden hier tot vor. Wir gehen von Suizid aus.“

„Das mit dem Suizid könnt ihr wohl vergessen“, mischte sich Gilbert ein und sah zu ihnen. Gérard und Raw sahen ihn an und kamen zu ihm.

„Warum?“, fragte Gérard.

Gilbert sah ihn an. „Denk nach, Gérard. Ich kann davon ausgehen, dass es eine Überdosis Schlaftabletten waren. Wenn du dich umbringen wolltest, dann würdest du nicht noch Hausarbeit machen, oder?“

„Hausarbeit?“, fragte Gérard. Raw sah sich um und entdeckte ein Staubtuch auf einem Tisch. An einer Wand stand eine Couch, gegenüber der Eingangstür. Vor der Couch stand ein Tisch und genau daneben lag Natascha.

„Sie muss bei dem Sturz mit dem Kopf an den Tisch gekommen sein“, sagte Gilbert und drehte ihren Kopf ganz leicht zur Seite. Dabei sah man eine Platzwunde. An dem Tisch befand sich auch Blut. Die Spurensicherung war gerade dabei, dies zu untersuchen.

„Das heißt, man hat ihr die Schlaftabletten in ein Getränk getan?“, fragte Raw nach.

„Wahrscheinlich, aber die Spurensicherung hat noch kein Glas entdeckt“, antwortete Gilbert.

Ein Polizist und ein Mann gesellten sich zu ihnen. „Gérard, das ist Frank, Nataschas Mann.“ Gérard und Raw sahen zu Frank. „Wir warten dann auf neue Ergebnisse“, sagte Gérard.

„Warte noch, sie verstarb zwischen sieben und halb acht“, berichtete Gilbert noch, wobei er auf seine Armbanduhr sah. Raw und Gérard nickten und gingen mit Frank in die Küche, wo dieser sich erst einmal setzte und sich ein Glas Wasser nahm, das auf dem Tisch stand.

„Als was arbeitete Natascha?“, fragte Gérard.

„Sie war Sekretärin in einer Schule“, antwortete Frank kurz und trank einen Schluck Wasser.

„Welche Schule?“, fragte Raw weiter.

„Es ist das Gymnasium“, antwortete Frank und sah zu Raw. Beide Kommissare bemerkten seinen leidenden Blick.

„Wann hätte sie heute bei der Arbeit anfangen sollen?“, fragte Gérard.

„Sie wäre heute gegen halb sieben zur Schule gefahren, aber sie war krank geschrieben.“

„Wegen was?“

Frank sah zu Gérard. „Sie hatte eine Erkältung.“

„Der Winter endet jetzt erst einmal, da ist es wohl normal.“ Gérard sah zu Raw, der nickte und wieder zu Frank sah. „Als was arbeiten Sie?“, ergriff Gérard wieder das Wort.

„Ich habe eine eigene kleine Firma, eine, die Spielzeug herstellt. Wieso interessiert Sie das?“

„Reine Routine. Ihr wart doch verheiratet. Irgendwelche Probleme oder mit anderen irgendwelche Probleme?“

Gérard konnte sich die Reaktion des Mannes auf seine Frage schon denken. Er sprang auf und wollte Gérard am Kragen packen, aber dieser machte einen Satz zur Seite und drückte ihn auf den Stuhl zurück. Während Gérard seinen Satz zur Seite gemacht hatte, trat auch Raw einen Schritt zur Seite, immerhin konnte auch er sich die Reaktion denken.

Frank ließ sich auf den Stuhl drücken, sah Gérard aber feindselig an. „Wollen Sie mir unterstellen, dass ich meine eigene Frau umgebracht habe?“, schrie er los.

Gérard stellte sich an seinen alten Platz, wie auch Raw, und beantwortete seine Frage: „Wie ich schon sagte, reine Routine. Also, was ist nun?“

„Wir hatten jedenfalls keine Probleme. Keine Ahnung, ob sie auf ihrer Arbeit Probleme hatte. Sie sagt ja nie etwas über ihre Arbeit.“

„Na gut“, sagte Raw, denn wenn sie jetzt weiter fragen würden, dann würde dieser Frank noch durchdrehen. Gérard verstand das und zusammen ließen sie ihn in der Küche zurück. Raw und sein Partner gingen ins Wohnzimmer, wo die Leiche bereits verschwunden war.

Gilbert stand an der Eingangstür und sah zu ihnen zurück. Raw ging zu ihm und sagte: „Nochmals sorry wegen dem Kaffee. Wenn du uns zu dir rufst, wegen dem Bericht, spendiere ich dir einen Kaffee.“

Gilbert lächelte. Nachdem sie das Polizeigebäude verlassen hatten, hatte er sich eine weiße Jacke übergezogen, weshalb der Kaffeefleck nicht mehr zu sehen war. „Darauf komme ich dann zurück. Spätestens morgen früh um neun kannst du in die Pathologie kommen.“

Raw nickte. Gilbert ging und Gérard kam zu dem neuen Kommissar. „Komm, lass uns zu der Schule gehen, wo Natascha arbeitete.“

„Bist du mit dem Auto da?“, wollte Raw wissen.

„Nein, Al sagte, dass du mit dem Auto kommst.“ Raw nickte. Zusammen gingen sie und ließen die Spurensicherung ihre Arbeit machen.

 

Als Raw und Gérard in der Schule ankamen, klingelte es gerade zur Pause. Sie fragten kurz eine junge Schülerin, wo sie den Schuldirektor finden könnten und standen schließlich kurz darauf im Sekretariat. Dort saß eine Frau und sah skeptisch zu ihnen.

„Wer sind Sie?“, fragte die Frau. Sie war kleiner, wie Raw, aber sie hatte einen sehr wohl geformten Körper. Ihre blonden Haare umkräuselten ihre eisblauen Augen. Die Frau trug eine rote Brille mit breitem Rahmen, die natürlich aufgrund der blassen Haut sehr gut herausstach.

Die Frau trug eine rote Bluse, dessen obere zwei Knöpfe offen standen und einen blauen Jeansrock, der ihr bis zur Hälfte der Oberschenkel reichte. Ihre dazu knallroten Lederstiefel reichten ihr bis zu den Knöcheln und besaßen einen Trichterabsatz, der 4 cm hoch war.

Sie betrachtete natürlich zuerst Raw, was dieser sich schon denken konnte, denn auf Frauen wirkte er bis jetzt schon immer attraktiv. Das war keine eigene Einschätzung, sondern das sagten ihm sehr viele. Dummerweise spielten für Raw Frauen keine große Rolle, wenn sie überhaupt eine Rolle spielten.

Gérard holte seinen Dienstausweis vor, hielt ihn der Frau hin und meinte: Mein Name ist Marchand, das ist le Klueze.“ Als er Raws Namen sagte, zeigte er auf ihn und packte den Dienstausweis samt Portemonnaie wieder in die Innentasche seines langen braunen Mantels.

„Was wollen Sie hier?“, fragte die Frau.

„Wir sind zu einem guten Grund da, Miss...“, Raw sah sie fragend an.

„Mein Name ist Bella Rosaria. Ich bin hier die stellvertretende Schuldirektorin. Deshalb geht mich der Grund etwas an.“ Sie besah Raw mit einem siegreichen Lächeln.

„Wir wollen trotzdem gerne den Schuldirektor sprechen. Sie können ja dabei sein, wenn Sie wollen“, meinte Gérard.

Bella lächelte bitter und wies die beiden mit einer Geste an, sich auf die Stühle vor dem Schreibtisch zu setzen. Danach verließ sie das Sekretariat.

„Was für eine Frau“, sagte Gérard, als er neben Raw saß und ihn ansah. „Ich könnte schwören, die hat sich in dich verguckt.“

„Solche Frauen sind einfach nur nervig“, antwortete Raw.

„Bitte was?“ Gérard sah Raw fragend an. „So eine Frau lässt du dir entgehen? Als ich dich das erste Mal sah, da dachte ich, du wärst ein totaler Frauenheld und hättest in deinem Leben an die zwanzig Freundinnen gehabt.“

Raw sah ihn verwirrt an. „Ich hatte bisher keine einzige Freundin, Gérard.“ Gérard sah ihn irritiert an, lachte dann aber darüber.

Kurz darauf betraten Bella und ein anderer Mann das Sekretariat. Der Mann war ein hagerer großgewachsener Mann, der garantiert an die 1,90 Meter groß war. Er hatte kein volles braunes Haar mehr, aber seine stechend grünen Augen sagten seinem Gegenüber, dass er trotzdem noch voll funktionsfähig war. Der Mann trug einen schwarzen Smoking. Bella setzte sich auf einen Stuhl, der am Fenster war und rückte damit neben den Schuldirektor.

„Mein Name ist Rick Müller. Was kann ich für Sie tun?“ Er sah die beiden Kommissare mit einem scharfen Blick an.

„Wir möchten wissen, ob Natascha Fiordel hier irgendwelche Probleme hat“, antwortete Gérard.

„Hat sie sich denn über irgendjemanden beschwert?“, erwiderte er.

„Beantworten Sie bitte die Frage“, bat Raw noch höflich.

Rick sprang auf. „Was bilden Sie sich ein? Ich will sofort wissen, was hier los ist. Ich werde es doch nicht hinnehmen, wenn dieses Miststück schlecht über unsere Schule redet.“

Gérard bedachte Raw mit einem Blick und beide standen auf. „Sie begleiten uns bitte aufs Präsidium“, bat Gérard.

„Einen Mist werde ich tun. Ihr könnt doch nicht einfach herkommen und irgendjemanden mitnehmen, wie es euch gefällt.“ Ricks Wangen wurden rot vor Ärger.

„Doch, das dürfen wir in diesem Fall, Herr Müller“, widersprach Gérard.

„Verlassen Sie auf der Stelle meine Schule!“ Rick zeigte mit dem Zeigefinger zur Tür. „Wenn Sie zu Natascha zurückgehen, sagen Sie ihr, dass sie fristlos gekündigt ist.“

„Das können Sie nicht!“, mischte sich Raw ein.

„Und warum nicht?“ Ricks Augen funkelten Raw regelrecht an. Der Schuldirektor wurde immer laute.

„Sie ist tot“, antwortete Gérard. Plötzlich Stille. Bella und Rick sahen sich hilfesuchend an. Das bemerkten natürlich die Kommissare. „Ich habe eine bessere Idee. Sie beide folgen uns aufs Präsidium.“

„Das... können Sie nicht, wir haben Unterricht“, stotterte Rick.

„Der Unterricht fällt dann wohl erst einmal aus“, antwortete Gérard und ging zur Tür. Er öffnete sie und machte eine einladende Handbewegung. Rick und Bella sahen sich wieder bestürzt an, fügten sich den Kommissaren aber und gingen mit ihnen zum Auto.

 

Bella wurde in einem Büro von Raw verhört und Gérard übernahm in einem Verhörraum Rick. Raw legte eine Akte auf den Tisch.

„Sie mussten mal wegen Betrug eine hohe Summe zahlen, oder?“, fragte Raw scharf nach.

„Was hat das mit dem Mord zu tun?“, fragte Bella und verdrehte die Augen.

„In der Akte steht, dass sie gegen den Polizisten, der sie festnehmen sollte, körperliche Gewalt anwendeten. Der Polizist war drei Wochen im Krankenhaus und sein Partner konnte sie nur schwer festnehmen. Jetzt frage ich mich, wie eine Frau dazu in der Lage ist.“ Raw sah sie direkt an.

„Frauenhasser?“, fragte sie.

„Keineswegs, aber ich habe in meiner Berufserfahrung noch nie gehört, dass eine Frau so gegen einen Polizisten vorgeht.“ Raw legte die Akte beiseite.

„Das kann ich Ihnen sagen, Herr le Klueze. Ich habe in meiner Jugend Kampfsport betrieben und lasse mich daher von niemandem anfassen.“ Bella schlug das rechte Bein auf das linke.

„Kampfsport also. Wie viel haben Sie denn damals unterschlagen?“

„Ein paar Euro“, sagte sie und sah Raw verführerisch an, aber Raw störte das keinesfalls.

„Ein paar Euro?“, wiederholte Raw fragend und sah sie forschend an. „Waren es nicht eher ein paar Tausend Euro? Noch dazu kam, dass der Polizist Sie wegen schwerer Körperverletzung anzeigte. Sie mussten Schmerzensgeld bezahlen. Langsam verstehe ich aber, warum Ihnen keine Haftstrafe blühte.“

„Warum nicht?“ Sie drehte eine Strähne ihres Haares um ihren Finger.

„Haben Sie den damaligen Richter auch so angeflirtet?“

Sofort sprang Bella auf und wütete Raw an. „Was nehmen Sie sich eigentlich heraus?“, schrie Bella.

Raw blieb ganz ruhig und lächelte. „Anscheinend habe ich direkt ins Ziel getroffen.“

Bella biss sich auf die Zähne, atmete tief durch und nahm ihre ursprüngliche Sitzposition von vor dem Aufspringen wieder an. Auch drehte sie ihre Haarsträhne um den Finger. „Und wenn es so wäre? Was wollen Sie tun? Den Richter verklagen? Verklagen, weil er eben auch nur ein Mann ist?“

„Sie sind sich ihrer Sache sehr sicher, oder? Sagen Sie mir doch, was Sie für ein Verhältnis zur Natascha hatten.“

Bella ließ ihre Haare los. „Was sollte ich denn für ein Verhältnis zu ihr haben? Wir haben ein paar Mal geredet, mehr nicht. Leider ist sie ja unsere Sekretärin und daher muss ich ja mit ihr reden. Ansonsten hatten wir nichts miteinander zu tun gehabt. Kann ich jetzt gehen?“

„Ihr Glück, dass unser Gerichtsmediziner noch nicht fertig ist. Sie können gehen.“ Bella erhob sich sofort, nahm ihren schwarzen Ledermantel vom Kleiderständer und verließ das Büro. Raw schüttelte ungläubig den Kopf.

 

Gérard und Rick befanden sich in einem Verhörraum. Die beiden saßen sich gegenüber. Rick sah nervös zu dem Kommissar, der eine Akte einsah.

„Sie sind mehrmals wegen Beleidigungen und einmal wegen Körperverletzung aufgefallen. Ich frage mich, wie Sie Schuldirektor geworden sind.“ Gérard sah Rick scharf an.

„Hören Sie, das ist alles Vergangenheit. Das, was ich im Sekretariat sagte, tut mir Leid. Das war nicht so gemeint. Wir alle mochten Natascha, weil sie so aufgeschlossen und freundlich war, auch zu den Schülern und Lehrern. Ich hatte einfach nur Panik bekommen, dass unsere Schule den Ruf verliert.“

Gérard nickte. „Sind Sie sonst auch so, wenn es um Ihre Schule geht?“

Rick sah ihn empört an. „Natürlich, ich lasse nichts auf diese Schule kommen.“

Gérard nahm seinen Stift und schrieb etwas auf den Zettel. „Hatte Natascha schon einmal etwas auf die Schule kommen lassen?“ Rick schüttelte leicht den Kopf und Gérard nickte wieder verstehend.

„Hatten Sie heute Morgen Unterricht?“

„Natürlich, ich war gegen halb sieben in der Schule. Das kann unser Vertrauenslehrer Nico Wallbach bestätigen. Wir haben wegen einer Sitzung am Montag diskutiert.“

„Einer Sitzung? Was für eine Sitzung?“

Rick lächelte. „Herr Wallbach ist für jeden in seinem Büro ansprechbar, für jeden Lehrer und Schüler und auch für Eltern. Einige Schüler und Eltern haben ein Problem mit meiner Stellvertreterin gemeldet. Daher wollten diese Schüler und Eltern am Montag eine Sitzung haben, welche auch Herr Wallbach kontrolliert. Brauchen Sie seine Handynummer?“

Gérard nickte.

 

Raw und Gérard saßen in ihrem Büro und tranken etwas Kaffee. „Was kam bei dir heraus?“, war Raw neugierig.

Gérard grinste. „Na ja, der Schuldirektor war tatsächlich heute Morgen gegen halb sieben in der Schule, aber das heißt ja nicht, dass er es nicht war. Wenn es wirklich Schlaftabletten waren, hieß das ja nicht, dass der Mörder die Tabletten zwei Minuten vor dem Trinken der Frau hineingab. Also sollten wir die Zeitspanne etwas vergrößern.“

Raw lehnte sich zurück. „Diese Bella ist ja richtig faustdick hinter den Ohren. Die Kleine betreibt Kampfsport. Wenn sie damals dem Polizisten schon solchen Schaden zufügen konnte, dann hätte sie wohl Natascha ganz anders aus dem Weg schaffen, wenn man mal beiseite lässt, dass es wie ein Selbstmord aussehen sollte.“

„Wir werden Nico Wallbach morgen einladen. Für heute haben wir Schluss.“

Als Raw auf seine Armbanduhr sah, bemerkte er erst einmal, wie spät es war und nickte. „Soll ich dich nach Hause fahren, Raw?“

Raw zog eine Augenbraue hoch und gähnte. Draußen war es auch schon dunkel. „Nein, ich fahre selbst. Außerdem wohne ich doch nur drei Straßen weiter.“ Gérard legte ihm einen Zettel auf den Schreibtisch und wollte gerade gehen, als Raw ihn zurückhielt mit seinen Worten: „Sag mal, Gérard, wieso durftest du mir eigentlich meine Marke und meine Dienstwaffe geben?“ Raw stand auf, nahm seinen Mantel vom Kleiderständer und zog den Mantel über.

Gérard jedoch blieb abrupt stehen. Nach etwa fünf Sekunden drehte er sich zu Raw um, der ihn verwirrt ansah. „Hab ich was Falsches gesagt?“, fragte Raw nach, aber Gérard winkte ab.

„Nein, hast du nicht. Weißt du, Al und ich sind Brüder. Ich habe Sondererlaubnisse bei ihm, da er mir vollkommen vertraut.“ Raw lächelte. „Das ist doch toll, Gérard. Seid ihr etwa eine Polizistenfamilie?“

„Ich will nicht darüber reden“, murmelte Gérard, zog seinen Mantel über und ging. Raw sah ihm noch etwas hinterher, ging dann aber auch. Anscheinend hatte Gérard kein richtig gutes Verhältnis zu seiner Familie. Jedenfalls schien es so und daher wollte Raw auch nicht weiter nachhaken. Er ging etwas schneller, um Gérard noch einzuholen und sich zu entschuldigen, aber er fand ihn nicht mehr. Anscheinend war er wohl woanders herausgegangen.

Als Raw das Polizeigebäude verließ, stieg er in sein Auto, welches in der Tiefgarage stand und fuhr raus. Er fuhr jedoch nur bis auf den Parkplatz neben dem Polizeigebäude, denn er bekam gerade eine SMS. Raw zündete sich eine Zigarette an und nahm sein Handy.

Als er darauf sah, stutzte er. Da stand: „Hey, Raw, ich bin's, Gérard. Tut mir Leid, wenn ich irgendwie verletzt oder sauer klang, aber ich rede nicht gerne über meine Familie. Ich habe schlechte Erinnerungen daran. Vielleicht erzähle ich es dir ja mal. MFG Gérard“

Woher hatte er seine Handynummer? Al! Natürlich, er hatte Al seine Handynummer gegeben, weil er ihn kontaktieren wollte. Raw speicherte sich Gérard sofort in die Kontaktliste ein.

Danach fuhr er vom Parkplatz herunter und an der nächsten Kreuzung nach rechts. Irgendwie hatte er noch gar keine Lust nach Hause zu fahren. Raw hielt an und sah in die Kneipe rein. Vielleicht sollte er ja mal was essen gehen. Raw parkte sein Auto auf dem vorgesehenen Parkplatz der Kneipe und stieg aus.

Danach steuerte er direkt die Kneipe an und bestellte sich eine Portion Obstsalat. Der Bedienstete sah Raw fragend an, gab ihm dann aber eine Obstschale in die Hand für 2,30€. Raw seufzte, ganz schön teuer. In seiner damaligen Stadt hatte er gerade mal 1,50€ bezahlt.

Die Schale nahm er sich mit ins Auto und aß sie dort. Nach einer halben Stunde schaltete er den Motor wieder an und fuhr dieses Mal direkt nach Hause. Sein rotes Auto parkte er auf dem reservierten Parkplatz und stieg dann aus. Raw ging zur Haustür, schloss sie auf und betrat das Treppenhaus. Seine Wohnung befand sich im zweiten Stock. Er kramte aus seiner Tasche seine Wohnungsschlüssel heraus und schloss seine Wohnung auf.

Er konnte ja nicht ahnen, dass er in seiner Wohnung bereits erwartet wurde.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 30.11.2014

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /