Prolog
Nur langsam begriff Rob, was hier gerade passiert war und eine Welle des Glücks und der Euphorie durchfuhr seinen Körper. Er hatte einen Agentenvertrag angeboten bekommen! Glücklich und dennoch leicht verwirrt schaute er Tanya an und sah, wie sich auch bei ihr ein Lächeln in ihrem Gesicht breitmachte. Vor lauter Begeisterung schnappte er sie, hob sie hoch und drehte sich, mit ihr, im Kreis.
„Ich glaub es nicht! Heute ist ein wunderbarer Tag, und danke, du hast mir so geholfen!“, schrie er vor Freude aus und setzte sie anschließend sanft wieder auf dem Boden ab. Er löste seine Arme um ihre Taille und merkte, wie sie leicht schwankte, woraufhin sie sich jedoch wieder fing. Plötzlich und völlig unerwartet spürte er ihre Lippen auf seinen. Überrascht, aber dennoch fest entschlossen, drückte er Tanya augenblicklich von sich weg. Er mochte sie sehr als Freundin, doch küssen wollte er sie unter keinen Umständen! Er hatte Emma, sie war seine Freundin und er liebte sie.
„Nein, Tanya“, flüsterte er ihr zu, „das ist nicht richtig!“ Dabei sah Rob ihr in die Augen und einen Moment lang verharrten ihre Blicke ineinander. In ihm tobten die Gefühle, er liebte seine Emma und er freute sich darauf, sie endlich wieder in seinen Armen zu halten. Und nun stand Tanya vor ihm, mit der er viel Zeit verbracht hatte und die ihm auch wichtig geworden war. Beide waren sich näher gekommen, aber trotzdem sah er in Tanya nicht mehr als eine gute Freundin.
Doch als er jetzt ihren Atem an seiner Wange spürte und ihren schnellen Herzschlag an seiner Brust, fuhr ein leichter Schauer durch seinen Körper. Noch während Tanya erneut ihre warmen, weichen Lippen auf die seinen legte, traf ihn zum wiederholten Male ihr Duft, der ihm nun jegliche Sinne rauben sollte. Er schlang seine Arme fest um ihre Taille, zog sie mit einem Ruck an sich heran und erwiderte ihren Kuss. Ganz gleich, was sein Verstand, ihm versuchte mitzuteilen.
Völlig von seinen Gefühlen überrannt, traf seine Zunge auf ihre und aus dem anfänglich sanften Kuss entwickelte sich eine wilde Knutscherei. Rob spürte, wie Tanyas Hände langsam von seinem Rücken hinauf zu seinem Nacken wanderten, was ihn erneut erschauern ließ. Von einem plötzlich aufkommenden Windhauch ließen beide hastig voneinander ab und starrten erschrocken auf die Tür. Ihm wurde schlagartig schlecht und kalter Schweiß brach aus ihm, als er erkannte, wer dort in der Tür stand.
EMMA!
Sie stand mit weit aufgerissen Augen im Türrahmen und beim Anblick des Geschehens traten Tränen in ihre Augen.
Sofort riss Rob sich von Tanya los, als ihm bewusst wurde, was er gerade getan hatte und wollte auf sein Mädchen zugehen, doch Emma drehte sich um und stürmte aus der Tür.
„Emma warte! Warte doch! Scheiße, verdammte Scheiße!“, fluchte er und rannte ihr hinterher…
Kapitel 1
Urlaub in Cornwall
Emma stand wie jeden Morgen genervt vorm Spiegel im Bad des Feriencottages in Cornwall, wo sie zusammen mit ihren Eltern und ihrer jüngeren Schwester Charlotte Urlaub machte. Ihre langen, brünetten Haare, hatte sie gerade zu einem Zopf zusammengebunden, als sie ihre Mutter rufen hörte.
„Emma, bist du jetzt soweit? Wir wollen los, zum Strand.“
„Bin gleich fertig, Mum, nur noch einen Moment!“, rief sie durch die geschlossene Tür zurück und klemmte sich eine Haarsträhne hinters Ohr.
„Warum muss denn jeden Morgen so ein Stress gemacht werden?“, murmelte Emma, als sie das Badezimmer verließ und Richtung Schlafzimmer ging, denn eigentlich hatte sie keine Lust mehr zusammen mit ihren Eltern in den Urlaub zu fahren. Welches 16 - jährige Mädchen verbrachte denn noch die Ferien mit seiner Familie und nicht mit ihren Freundinnen? Niemand! Aber ihre Eltern bestanden auf den alljährlichen Familienurlaub und so saß sie samt ihrer nervigen kleinen Schwester in dieser Hütte fest, um sich Tag für Tag zu Tode zu langweilen. Nachdem Emma ihr Zimmer betreten hatte, ging sie direkt zu ihrem Schrank und wühlte in der Schublade nach ihrem Bikini.
„Mum“, rief sie durchs gesamte Haus, „hast du meinen Bikini gesehen?“ Mit einem kräftigen Ruck schob sie die Schublade zu, als ihre Mutter gerade das Zimmer betrat.
„Ja, ich habe alles bereits eingepackt. Wir warten nur auf dich, Schatz.“ Ihre Mutter schaute sie liebevoll und mit einem Lächeln an.
„Das hätte mir auch mal einer sagen können“, meckerte Emma leise vor sich hin und schnappte sich ihren Mp3 - Player vom Nachttisch, damit sie ihn in die Strandtasche stopfen konnte.
„So, wir können, wo ist Dad?“
„Charlotte und er warten auf der Veranda“, antwortete Clara, legte einen Arm um sie und gemeinsam gingen sie nach draußen.
„Na, da ist ja unsere Schnecke“, spaßte ihr Dad herum. Emma ging an ihm vorbei, seufzte leicht auf und verdrehte genervt die Augen.
„Oh, die Laune von dir wird von Tag zu Tag besser, Kleines. Wir haben den schönsten Sonnenschein und du ziehst ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter.“ Man merkte am Ton seiner Stimme, dass er sich über ihr Verhalten ärgerte. Charlotte hingegen, die direkt neben ihm stand, grinste, sagte aber nichts zu der kleinen Auseinandersetzung.
„Emma, nimmst du bitte auch eine Tasche?“ Sie drehte sich um, nahm wortlos und gereizt die Tasche an, die ihr Vater ihr entgegenstreckte und gemeinsam machten sie sich auf den Weg zum nahegelegenen Strand.
Das Verhältnis zwischen Emma und ihrem Vater, William, war etwas schwierig, denn meist hatte sie das Gefühl etwas falsch oder nicht gut genug zu machen, sodass zwischen ihnen beiden immer eine gewisse Art von Spannung lag. Mit Clara war es einfacher, denn mit ihr konnte sie über alles reden, deshalb gehörte ihre Mum mit zu ihren Vertrauten. Manchmal gehörte ihre zwei Jahre jüngere Schwester Charlotte auch dazu, aber wie bei Geschwistern üblich, konnten auch bei den beiden die Fetzen fliegen. Der Strandabschnitt, den sie erreichten, war eingefasst von Klippen und Felsen, und die Promenade mit ihren kleinen Geschäften war schon sehr gut besucht. Es dauerte daher eine Weile, bis sie ein wirklich schönes und schattiges Plätzchen gefunden hatten.
Emma liebte das Meer, sie fühlte sich gleich viel wohler und ihre Stimmung heiterte augenblicklich auf. Mit einem tiefen Atemzug sog sie die frische, salzige Luft ein, ließ die Taschen in den Sand fallen und breitete das Badetuch aus. Charlotte tat es ihr gleich und ließ sich direkt neben ihr in den Sand fallen, wobei sie laut aufstöhnte.
„Mensch, ist das warm! Gleich erstmal ins Meer gehen. Kommst du mit, Schwesterchen?“
„Ich gebe dir gleich Schwesterchen, du bist zwar etwas größer als ich, aber ich bin trotzdem die Ältere.“ Mit gespielt verletzter Eitelkeit streckte sie Lotte die Zunge heraus und ließ sich mit voller Wucht aufs Badetuch fallen. Ihre Schwester sah sie spitzbübisch an, zwickte sie in die Seite und Emma zuckte quietschend zusammen. Lachend setzte sie sich auf und warf ihrer persönlichen Tyrannin einen warnenden Blick zu.
„Nein, ich werde mich erstmal umziehen, und ein wenig in der Sonne brutzeln“, sagte sie immer noch lachend und wandte sich zu Clara.
„Mum, in welcher Tasche ist mein Bikini?“
„Oh Schatz, ich glaub in der hier.“ Clara schaute ratlos zwischen den vier Taschen hin und her, während sie sich mit Sonnenmilch eincremte.
„Schon gut, Mum, ich werde ihn schon finden“, antworte Emma amüsiert und bereits in der ersten Tasche, die sie durchwühlte, fand sie ihren Bikini.
„Ich geh mich dann eben umziehen“, informierte sie ihre Mutter, drehte sich um und lief über den heißen Sand zu den Umkleiden.
Kaum war sie dort angekommen, huschte sie in eine der Kabinen und zog sich um. Eigentlich war sie kein Fan von Bikinis, doch heute blieb ihr nichts anderes übrig, als ihn anzuziehen. Denn vor ein paar Tagen hatte sich ihr Badeanzug gänzlich in all seine Einzelteile aufgelöst. Nervös und unsicher zupfte sie ein paar Mal an ihrem Oberteil und Höschen herum, wobei sie skeptisch an sich herunterschaute.
„Ach, verdammt! Ich weiß nicht“, stöhnte sie und fühlte sich unwohl in ihrer Haut. „Okay, es muss gehen. So schlimm sieht es doch nicht aus, also nur Mut, Misses Hillington“, redetet sie sich Mut zu und atmete einmal tief durch, als sie sich ihr Tuch um die Hüfte warf. Mit vollem Tatendrang öffnete sie die Tür und rannte fast einen Jungen um, als sie die Kabine verließ.
„Oh entschuldige bitte, das tut mir leid“, stotterte sie, während ihr die Röte ins Gesicht stieg. Beschämt senkte sie ihren Blick, als sich der Junge zu ihr umdrehte und ihr direkt in die Augen blickte.
„Ist ja nichts passiert, also kein Grund sich zu entschuldigen“, sagte er und ging weg, während Emma noch einen Moment wie angewurzelt da stand.
Musste das jetzt passieren? Das ist wieder so typisch für mich, einfach nur peinlich, peinlich, peinlich!, schimpfte sie sich in Gedanken aus und ging langsam sowie leise vor sich hin meckernd zurück zu den anderen.
„Sag mal, hast du schon einen Sonnenbrand in der Kabine bekommen?“, flachste ihr Vater sie an, „oder warum bist du so rot im Gesicht?“
„Witzig, Dad, wirklich witzig“, gab Emma nur kurz und schnippisch zurück, wobei sie sich mit dem Bauch aufs Badetuch schmiss, ihren Mp3 - Player aus der Tasche zog und sich die Kopfhörer aufsetzte. Sie hatte keine Lust mehr, sich noch weitere Bemerkungen und Späße von irgendwem anzuhören, sie wollte einfach nur abschalten. Deshalb drehte sie die Lautstärke auf und ließ sich von den Klängen berauschen. Gerade als Emma fast eingedöst war, spürte sie ein Tippen auf ihren Rücken, welches sie zu ignorieren versuchte, doch Charlotte tippte wie verrückt und unbeirrt auf sie ein.
„Okay, Lotte, was ist?“, brach es genervt aus ihr raus und schmunzelnd schaute das nervige Etwas sie an.
„Der Junge da, der schaut die ganze Zeit zu dir herüber!“
„Ja klar, bestimmt, lass mich in Ruhe.“ Mit einem ungläubigen Blick setzte sich Emma wieder ihre Kopfhörer auf und die Stimme von Michael Jackson dröhnte in ihre Ohren. Doch die Kleine gab nicht auf und huschte direkt vor Emmas Blickfeld, wo sie sich auch noch niederließ.
„Schau doch mal. Der da“, zeigte Lotte in Richtung Meer, „ der schaut schon ´ne ganze Weile zu dir und spricht mit dem anderen Jungen. Jetzt schau doch mal!“ Mit einem Ruck drehte Emma sich um und funkelte ihre Schwester gereizt an.
„Okay, welchen meinst du, Lotte?“
„Na, den da hinten, mit den schwarzen Badeshorts und den blonden verwuschelten Haaren“. Immer noch in seine Richtung zeigend sprach Lottchen weiter. Die ältere Schwester von beiden ließ ihren Blick über den Strand schweifen und erstarrte fast, als sie erkannte, auf wen Lotte da zeigte.
„Oh!“, war das Einzige, was sie herausbrachte, und wandte schnell den Blick von ihm ab, als sie merkte, wie ihr erneut die Röte ins Gesicht stieg. Charlotte hingegen schien ihr Verhalten gar nicht zu bemerken und redete weiter fröhlich auf sie ein.
„Emma, der sieht echt toll aus, und er scheint dich auch „nett“ zu finden.“
„Er findet es bestimmt nur interessant seinen Freund zu zeigen, wer ihn vorhin fast umgerannt hat. Mehr nicht! Und hör auf damit so blöde zu grinsen“, mahnte sie ihre Schwester und rollte mit den Augen.
„Du hast was?“
„Du hast richtig gehört, ich hab` ihn fast umgerannt, als ich aus der Kabine kam“, sprach sie schon fast wütend über sich selber aus und sah den Unglauben in Lottes Augen. Einen Moment lang herrschte Stille zwischen den beiden und in Emma breitete sich die Hoffnung aus endlich ihre Ruhe zu haben, bis sie erneut die penetrante Stimme ihrer Schwester hörte.
„Er schaut immer noch, Emma!“
„Hör endlich auf dahin zu gaffen“, fuhr Emma sie an, „Verdammt ich bin doch auch kein Affe im Zoo!“ Mit einem Ruck sprang sie auf, schnappte sich die Luftmatratze und stolzierte genervt Richtung Meer. Für einen Moment saß Charlotte mit offenem Mund und absoluter Verwirrung auf ihrem Badetuch und schaute ihrer großen Schwester hinterher, bis sie schließlich rief: „Hey! Nun warte doch! Nicht so schnell!“, hastig zog sie ihr Shirt aus und ließ es achtlos in den Sand fallen, während sie ihrer Schwester eilig ins Wasser folgte.
Emma schwamm derweil ein Stück weit hinaus aufs Meer, zog sich auf die Luftmatratze, um sich schließlich darauf auf dem Wasser treiben zu lassen. Es war ein leichter und ruhiger Wellengang, die frische und salzige Luft tat ihr gut und half ihr ihren Ärger zu vergessen. Sie schloss die Augen und lauschte dem beruhigenden Wellenrauschen, als sie plötzlich jemand in das Wasser schubste. Empört über das vermeintliche Verhalten ihrer Schwester tauchte sie auf und schimpfte laut aber halb vom Wasser erstickt aus: „Lotte, verdammt noch mal, hast du keine anderen Hobbys?!“
„Nein, hab` ich nicht“, sagte eine männliche Stimme, „ich dachte nur, du könntest eine Abkühlung gebrauchen.“Emma wischte sich das Wasser aus den Augen und schaute direkt in das Gesicht des Jungen, der sich gerade köstlich und vollkommen offensichtlich über sie amüsierte.
„Ähm, warst... warst du das?“, stotterte sie und merkte sofort, wie die Hitze in ihren Wangen empor kroch, als sie den Jungen erkannte. Er wiederum grinste sie verschmitzt an.
„Ja, ich dachte, bevor du uns noch abtreibst, weck ich dich mal.“
Emma konnte nicht anders als ihn weiterhin anzustarren, denn sie war wie gefangen in dem Blick der tiefgrün - blauen Augen.
„Emma könntest du dir das vielleicht mal abgewöhnen und auf mich warten?! Ich habe dich überall gesucht!“ Charlotte kam leicht außer Atem auf sie zu geschwommen und blieb schließlich direkt neben dem Jungen stehen.
„Emma…? Was ist mit dir los?“
„Ich glaube, sie hat ihre Sprache verloren“, scherzte der Unbekannte erneut.
„Nein, mir geht’s gut, ähm... wenn du mich nicht ins Wasser geschubst hättest, dann...“
„Was dann?“ Er funkelte Emma mit einem amüsierten Grinsen an, dabei schien es ihm sichtlich Spaß zu machen, sie so aus der Fassung zu bringen. Und es funktionierte auch. Sie stand da und wusste nicht, wie sie sich nun verhalten sollte. So etwas war ihr noch nie passiert, und sie merkte erneut, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. Am liebsten hätte sie sich jetzt unsichtbar gemacht.
„Warum bin ich nicht einfach unter Wasser geblieben?“, murmelte sie leise vor sich hin und überlegte angestrengt, was sie ihm antworten sollte.
„Aber anstupsen hätte es auch getan.“ Doch kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, bereute sie diese auch schon wieder.
Was rede ich denn da?
„Das wäre aber nicht so lustig gewesen“, grinste er, „und außerdem siehst du nass echt niedlich aus. Ich bin übrigens Robert.“
Trotz der Tatsache, dass er seinen Sarkasmus ein wenig beiseitegelegt und sich ihr vorgestellt hatte, stand Emma wie angewurzelt da und bekam keinen Ton heraus. „Ich bin Charlotte und das ist Emma, meine Schwester“, brach es aus Lotte heraus und übernahm so den eigentlichen Part ihrer Schwester.
„Nett euch kennenzulernen, deine Schwester scheint aber nicht so gesprächig zu sein.“
„Eigentlich ist sie gar nicht auf den Mund gefallen“, schmunzelte Lotte und runzelte die Stirn. „Alles okay bei dir?“ Noch immer stand Emma wie angewurzelt da und versuchte ihre Nervosität unter Kontrolle zu bekommen.
Herrgott, was hat der Typ nur an sich, dass ich mich hier wie ein Volldepp benehme? Reiß dich jetzt zusammen, Emma! Sprach sie in Gedanken zu sich und hob ihren Kopf. Das Erste, was sie sah, waren wieder diese atemberaubenden Augen, die ihr fast die Stimme nahmen. Doch diesmal ließ sie sich nicht aus der Fassung bringen.
„Ja, alles okay bei mir, ich mag nur aus dem Wasser raus, mir wird kalt.“ Kaum hatte sie die Worte über ihre Lippen gebracht, kam ein weiterer, dunkelhaariger aber eher schlaksiger Junge ins Wasser gerannt.
„Hey Rob! Rob! Man, wo treibst du dich denn rum?“ Rief er im Laufen, ehe er neben Lotte zum Stehen kam. „Patty macht deine Eltern schon verrückt!“
„Ach du Schreck, Patty hab ich ganz vergessen, macht sie denn viel Theater?“
„Nein, sie ist nur etwas unruhig und winselt“, sagte der Junge zu Rob. „Aber hey, was sind das denn für Schönheiten hier?“
Emma schaute zu Lotte und spürte, wie sie begann sich genauso unwohl zu fühlen, wie sie selbst.
„Oh, entschuldigt Mädels. Das ist Tom, mein bester Freund. Und das hier…“ Rob zeigte auf die beiden Schwestern und Emma bemerkte, wie auch er nervös wurde. „…sind Lotte und Emma.“ Toms Blick traf auf Lottes und seine Mundwinkel verzogen sich zu einem schelmischen Lächeln.
„Was macht ihr hier eigentlich im Wasser?“, fragte er schließlich, als er sich endlich von Lottes Anblick lösen konnte.
„Dein Freund hat mich gerade ins Wasser gestoßen, weil er dachte, ich bräuchte eine Abkühlung.“ Tom schaute irritiert zu seinem Freund, der nur mit einem Schulterzucken seine stumme Frage beantwortete, bevor er sie überhaupt aussprechen konnte.
„Du hast was?“
„Na ja, Emma lag da so schlafend auf der Luftmatratze und wäre beinah abgetrieben.“ Robs Blick war aufs Wasser gerichtet, während er mit immer leiser werdender Stimme weitersprach: „Ich musste sie doch retten.“ Emma begann laut zu lachen und auch die anderen stimmten mit ein.
„Du wolltest mich retten, indem du mich ins Wasser wirfst und riskierst, dass ich absaufe?“, sagte sie mit einer vom Lachen erstickter Stimme. Dabei spürte sie, wie allmählich die Anspannung aus ihr und aus der gesamten Situation wich.
„Also, du hattest keine Schwimmflügel an, da war das Risiko gering, dass du nicht schwimmen kannst!“ Rob schmunzelte, wobei er Emma dabei sowohl verlegen als auch unsicher anschaute.
„Ja, und den Schwimmreifen hast du am Strand liegen lassen“, prustete ihre Schwester los. Tom und Rob stimmten mit ein, woraufhin Emma ihrer kleinen Schwester einen bitterbösen Blick zuwarf.
„Besonders tief ist das Wasser hier auch nicht“, bemerkte Tom und schaute zwischen Rob und Emma hin und her. Dabei beobachtete er, dass die Beiden sich gegenseitig immer wieder verlegen musterten. Auch Lotte sah die verstohlenen Blicke, die sie sich zuwarfen und wusste nicht so recht, wie sie mit der geraden entstandenen Situation umgehen sollte. Einen Moment lang entstand eine seltsame Stille, bis plötzlich Lotte das Wort ergriff: „Emma, sag mal wolltest du nicht aus dem Wasser? Mum und Dad werden anfangen sich Sorgen zu machen.“
„Und du solltest mal nach Patty schauen“, brachte sich Tom nun mit ein und versetzte Rob mit seinem Ellenbogen einen leichten Schlag in die Rippen. Dieser zuckte kurz zusammen, warf seinem Kumpel einen irritierten Blick zu, während er sich mit der Hand über die schmerzende Stelle strich und dabei nur: „Ähm ja, sollte ich wirklich“, murmelte.
„Okay Robert, würdest du mir dann bitte meine Luftmatratze geben?“ Emma schaute ihn direkt an und wartete geduldig darauf, dass er ihr das aufgeblasene Ding überreichte.
„Ja klar“, brachte er nur zögerlich hervor und hielt ihr mit einer schnellen Handbewegung die Matratze vor die Nase. „Hier bitte.“
„Äh ja, danke dir“, sagte sie leicht verlegen, als seine tiefgrün – blauen Augen die Ihren fanden. Ihr Herzschlag schien für einen Bruchteil einer Sekunde auszusetzen, als sie sich die Matratze schnappte und dabei ihre Fingerspitzen seinen Handrücken streiften. „Ja,… Danke, wir werden dann gehen“, flüsterte sie schon fast und wandte sich dann zu ihrer Schwester: „Kommst du Lotte?“
„Ja, ich... werde auch nach Patty schauen“, murmelte Rob und versuchte sich an einem Lächeln. Emma ging langsam an ihm vorbei und in Richtung Strand, aber im Grunde wollte sie nicht gehen. Irgendetwas hatte er an sich, was ihre Neugierde weckte, aber sie auch gleichzeitig unheimlich nervös machte.
Emma konnte diese Gefühle nicht deuten, die er in ihr hervorrief und die sie so sehr verwirrten. In ihr tobte regelrecht ein Gefühlschaos und sie war kaum in der Lage einen klaren Gedanken zu fassen. Sie hatten den Strand schon beinah wieder erreicht gehabt, als Emma all ihren Mut zusammennahm und sich zu Rob umdrehte.
„Wer ist denn Patty?“, schoss es ohne Umschweife aus ihr raus. Rob blieb abrupt stehen, sodass sein Kumpel fast in ihm reingestolpert wäre.
„Patty?“, fragte er und schaute Emma überrascht an. Mit einem Schlag war ihr ganzer Mut wieder ihrer anfänglichen Unsicherheit sowie Nervosität gewichen und sie bemühte sich hastig nach Worten: „Entschuldige, das geht mich ja gar nichts an, du...“
„Patty ist mein Hund und immer recht nervös, wenn ich nicht da bin“, unterbrach Rob ihren Wortschwall.
„Oh, also scheint sie sehr an dir zu hängen.“
„So wie ich an ihr.“ Seine Augen leuchteten und ein Lächeln stahl sich in sein Gesicht, als er von seiner Hündin erzählte.
„Kann ich verstehen. Ich hatte auch einen Hund. Tessy musste ich letztes Jahr gehen lassen, sie hatte Krebs.“ Bei ihren Worten bildete sich augenblicklich ein Knoten in ihrem Magen, als die schrecklichen Bilder über den bislang schlimmsten Tag ihres Lebens wieder in ihr aufkeimten.
„Oh, das tut mir leid.“
„Ist schon okay, es war wirklich das Beste für sie.“
Für einen kurzen Moment brach erneut eine unangenehme Stille über sie herein, bis Rob diese plötzlich mit seiner Frage unterbrach: „Möchtest du vielleicht mitkommen und Patty kennenlernen?“ Und da war´s wieder - das Lächeln und dieser Blick -, was sie so sehr aus der Fassung brachte. Sie quasi lähmte und ihr nichts anderes möglich war, als ihn nur völlig fasziniert anzustarren.
Warum muss er mich auch so anschauen? Mein Herz rast unaufhörlich und ich kriege keinen einzigen Ton raus. Er muss mich für besonders bescheuert halten!
Während sie in ihren Gedanken vertieft war, versuchte Emma ihre Nervosität und ihr wild pochendes Herz unter Kontrolle zu bringen. Mit zittriger aber zugleich freudiger Stimme antwortete sie ihm: „Ja, sehr... sehr gerne. Aber ich bring noch eben die Sachen zu unserem Platz.“
„Das kann ich doch machen, Emma, ich sag auch Mum und Dad Bescheid.“, hörte sie nun völlig unerwartet ihre Schwester sagen.
„Echt Lotte? Das machst du?“ Die Verwunderung stand ihr ins Gesicht geschrieben. „Klar, kein Thema.“ Lotte kam einen Schritt auf sie zu, stellte sich auf ihre Zehenspitzen und flüsterte ihr ins Ohr: „Kann dich doch nicht von dem Typen trennen, das wäre unverantwortlich. Wo er dich doch schon so sprachlos macht.“ Sie trat wieder zurück, zwinkerte und lächelte ihrer großen Schwester zu.
„Na, gib schon die Matratze her! Ich geh dann mal.“ Ohne auf eine Reaktion von ihr zu warten, riss ihr das freche Ding die Matratze aus der Hand und machte sich schnurstracks auf den Weg.
„Warte Charlotte, ich begleite dich!“, rief Tom und hechtete sofort hinter ihrer kleinen Schwester her.
Rob und Emma wussten nicht wie ihnen geschah. Da standen sie plötzlich beide irritiert sowie nervös und dennoch vollkommen allein im Wasser.
„Was... war... das?“, stammelte Rob verwundert.
„Na, das waren Charlotte und Tom“, stellte Emma nüchtern fest und blickte ihm in seine wundervollen Augen. Und zum wiederholten Male schien sich ihr Herz zu überschlagen. Emma musste schlucken, als sie die Erkenntnis traf, dass sie jetzt völlig allein mit ihm war.
Kapitel 2
Ein aufregender Tag
Emma biss sich nervös auf die Unterlippe, während sie im Augenwinkel erkennen konnte, wie Rob ebenfalls ins Wasser starrte. Ihr Herz begann wie wild in ihrer Brust zuschlagen, als sie langsam ihren Kopf hob und unerwartet in seine strahlend grün-blauen Augen schaute.
Sie schluckte, bevor sie spürte, wie ihre Knie unter seinem Blick weich wurden und ihr für ein paar Sekunden die Luft wegblieb, als er sie schüchtern anlächelte.
Was geschah hier mit ihr?
„Wollen wir?“, flüsterte er ihr beinahe zu, ohne seine Augen von den Ihren zunehmen. Und das, obwohl ihm sein Herz selbst bis zum Hals schlug.
Emma brachte jedoch kein Wort heraus und nickte nur stumm, woraufhin Rob sich umdrehte und Richtung Strand marschierte. Nervös folgte sie ihm zurück ans Ufer, wo er ihr etwas zögerlich ein Badetuch reichte.
„Wenn du magst, kannst du Dich abtrocknen“, sagte er mit einer leisen sowie schüchternen Stimme, wobei Emma ihm leicht verlegen das Handtuch abnahm und sich begann abzutrocknen. Augenblicklich fühlte sie sich wieder unwohl in ihrem Bikini, als sie seine Blicke auf ihren Körper spürte.
„Danke Robert, darf ich es mir ausleihen?“, fragte sie unsicher, während sie sich mit einer schnellen Handbewegung das Tuch um ihre Hüften wickelte.
„Natürlich, aber bitte, sag doch Rob, denn ich mag den Namen Robert nicht wirklich.“ Mit einem schüchternen Lächeln beobachtete er, wie Emma sich noch immer unsicher am Bikini-Oberteil herumzupfte, bis sie sich schließlich wieder zu ihm wandte.
„Mach ich gerne, wo ist denn Patty?“ Neugierig schaute sie sich am Strand nach einem Hund um, bis Rob ihr schließlich antwortete: „Sie ist bei meinen Eltern, an einer etwas abgelegenen Stelle. Komm´ gehen wir, sie ist bestimmt schon ganz unruhig.“ Spontan griff er nach ihrer Hand, doch Emma erschrak bei der unerwarteten Berührung und zog reflexartig ihre Hand zurück.
„Oh tut mir leid“, entschuldigte sich Rob direkt und Emma sah, wie er verlegen auf den Sand schaute. Er schien von seiner Aktion selbst überrascht gewesen zu sein und befürchtete einen großen Fehler gemacht zu haben.
„Nein, ist schon in Ordnung“, versuchte sie ihn sofort, mit einer zaghaften Berührung an seinen Arm und einem Lächeln, zu beruhigen. Sie war zwar selbst mit der Situation überfordert gewesen, weil sie so etwas noch nie erlebt hatte. Doch sie versuchte sich auf ihre Intuition zu verlassen, auch wenn ihre Gefühle gerade das reinste Chaos waren.
„Nun, lass uns gehen. Ich bin schon ganz neugierig“, sagte sie schließlich, während sie langsam an ihm vorbei ging. Ohne weiter ein Wort zu verlieren, setzte sich auch Rob in Bewegung und zeigte ihr den Weg zu seinen Eltern. Emma spürte die gleiche Unsicherheit an ihm, die auch sie umgab, als sie gemeinsam den Strand verließen.
Während sie die Promenade kreuzten und in einem kleinen Trampelweg einbogen, erzählte Rob, dass er ebenfalls mit seinen Eltern Urlaub machte und aus London kam. Es wurde ein lockeres sowie schönes Gespräch zwischen den beiden, wobei Emma erfuhr, dass er 17 Jahre alt war, noch zwei ältere Schwestern hatte und gerne Gitarre spielte. Sie hingegen erzählte ihm, dass sie in Manchester lebte, sich gerne mit Freunden traf und ein wenig zeichnete. Je länger sie sich unterhielten umso wohler und sicherer fühlte sie sich in seiner Nähe.
Emma wusste nicht, wie lange sie schon mit ihm unterwegs war, als sie bei einem, mit grasbewachsenen, großen Felsen, der mit einem kleinen Zaun, vor den Klippen, abgesichert war, ankamen. Ohne darüber nachzudenken, blieb sie stehen und bewunderte die wunderbare Aussicht aufs Meer.
„Wow, ist das schön hier. Ich liebe das Meer“, sagte sie mit einer echten Begeisterung in ihrer Stimme, denn es war einfach wunderschön. Rob hatte sich direkt neben ihr gestellt und aus dem Augenwinkel sah sie, wie er sie grinsend beobachtete.
„Deshalb ist es auch eine meiner Lieblingsstellen. Hier kann ich das Meer richtig genießen“, gab Rob stolz preis, denn es gefiel ihm sichtlich, dass sie seine Liebe zum Meer teilte. Hier konnte er entspannen und seine Seele baumeln lassen. Noch während er sprach, hörte Emma bereits ein leises Winseln und Jaulen, welches sie etwas weiter hinter sich vernahm.
„Ich glaube du wirst vermisst“, sagte sie daraufhin schmunzelnd und folgte Rob, der mittlerweile den Lauten seines Hundes folgte. Kaum waren sie über die Erhöhung gelangt, stürmte ein kleiner weißer West Highland Terrier auf Rob zu.
Sofort kniete er sich hin, um seine Hündin in die Arme zu schließen. Patty schleckte ihm sein Gesicht schwanzwedelnd und mit Wonne ab, während er vergebens versuchte sie davon abzuhalten.
„Patty, ich hab´ dich auch vermisst …, nein nicht lecken. Lass das ... nein …!“, stammelte er vor sich hin, aber das kleine Fellknäuel war völlig unbeeindruckt von seinem Betteln und dachte gar nicht daran von ihm abzulassen. Emma musste sich krampfhaft ein Lachen verkneifen, denn es sah einfach zu süß aus, wie die kleine Hundedame ihr Herrchen im Griff hatte.
„Aus! … Patty ... Aus jetzt! Nein…!“, versuchte er etwas lauter und strenger seine Bitte zu verdeutlichen. Woraufhin aber seine Hündin nur erneut ihre Zunge durch sein Gesicht zog. Emma konnte ihr Lachen nicht länger zurückhalten und prustete laut los. Es war einfach ein göttlicher Anblick, wie wehrlos er wirkte. Dennoch hatte sie ein wenig Mitleid mit ihm, hockte sich gegenüber von den beiden hin und sprach die Hündin an: „Hey, Patty komm mal her…“ Ohne zu zögern ließ Patty sofort von Rob ab und schaute sie mit schief gelegtem Kopf sowie gespitzten Ohren an.
„Komm doch mal zu mir ...“, wiederholte Emma und klatschte mit den Händen auf ihre Oberschenkel, woraufhin die Hundedame langsam auf sie zu geschlendert kam.
„Du bist ja eine Süße“, sprach sie weiter, während sie ihre Hand ausstreckte und die Kleine zaghaft begann, an ihren Fingern zu schnuppern. Anschließend kuschelte sie sich an ihre Knie, als Emma kräftig durch ihr Fell strich. Rob hingegen hatte sich wieder hingestellt und genoss sichtlich den Anblick, der sich vor ihm bot.
„Das gefällt ihr, du musst sie leicht hinterm Ohr kraulen.“, warf er kurz ein und fasste an Pattys Kopf.
„Schau, genau so! Das liebt sie.“ Dabei lächelte er sie schief an und Emma spürte augenblicklich, wie ihr Herz für einen Bruchteil einer Sekunde aussetzte.
Was macht er nur mit mir?
Mit seinem Lächeln und den strahlenden Augen brachte er sie absolut durcheinander. Diese Gefühle, die in ihr aufkeimten, kannte sie nicht und verwirrten sie. Noch nie hatte ein Junge sie so aus dem Konzept gebracht. Wie konnte das sein? Wie schaffte er das nur? Ihre Gedanken wurden jäh unterbrochen, als sie plötzlich hinter sich eine Männerstimme vernahm. Sofort stand sie auf, drehte sich um und sah einen Mann, mit leicht grauschimmernden Haaren, auf sie zukommen.
„Da bist du ja Rob. Patty hat uns schon verrückt gemacht. Deine Mutter wollte schon eine Vermisstenanzeige aufgeben.“
„Sorry, Dad, aber ich hab´ irgendwie die Zeit vergessen.“
„Na ist schon gut, aber du kennst deine Mutter und vor allem Patty.“ Der Mann klopfte Rob auf die Schulter, während er einen freundlichen aber fragenden Blick auf Emma warf. „Und wen hast du uns da mitgebracht?“
„Ähm, das ist Emma“, stotterte Rob. „Sie macht hier auch Urlaub mit ihrer Familie.“ Emma spürte plötzlich wieder seine Nervosität, die ihn umgab, als er seinem Vater antwortete.
„Nett dich kennenzulernen, ich bin Richard?“ Stellte er sich, mit einem Lächeln auf den Lippen, vor und reichte ihr die Hand, die sie zaghaft ergriff, als sie ihm schüchtern antwortete: „Danke freut mich auch.“
„Kommt ihr mit, deine Mutter begrüßen, sie wird sich bestimmt freuen.“
„Magst du?“, fragte Rob sie etwas verlegen und gleichzeitig verunsichert, woraufhin Emma ohne zu zögern antwortete: „Ja, klar.“
Rob nahm Patty auf den Arm und gemeinsam mit Emma folgten sie seinem Vater. Seine Mutter, eine hübsche blonde Frau, lag auf der Liege und las ein Buch. Als sie allerdings die Drei erblickte, setzte sie sich auf und legte ihre Lektüre auf ihren Schoß.
„Oh mein Herr Sohn, lässt sich auch mal blicken“, sagte sie mit einem leichten Hauch von Ironie in ihrer Stimme.
„Ja Mum, ich hab´ die Zeit vergessen.“
„Ich hab´ mir schon wer weiß was gedacht. Bei dir weiß man ja nie, was du so anstellst.“
„Mum, ist gut...bitte!“ Seine Bitte klang genervt und leicht flehend, denn die Szene schien ihm äußerst unangenehm zu sein und Emma konnte ihm gerade sehr gut nachempfinden. Eltern konnten schon ganz schön peinlich sein.
„Clare, Rob hat jemanden mitgebracht“, unterbrach Richard das Gespräch zwischen den beiden und deutete dabei freundlich auf Emma.
„Hallo, ich bin Emma“, begrüße sie seine Mutter, ging ein Schritt auf sie zu und streckte ihr die Hand entgegen.
„Hallo Emma, ich bin Clare. Robs nervende Mum.“ Mit einem Augenzwinkern und Lächeln, schüttelte sie Ihr die Hand, wobei Emma ein wenig Schmunzeln musste. Seine Eltern machten einen sympathischen und lockeren Eindruck, was ihre Nervosität langsam in Wohlgefallen auflösen ließ. Nur Rob schien sich noch immer ein wenig unwohl zu fühlen, denn sie sah aus dem Augenwinkel, wie er nervös mit einem Fuß wippte.
„Sag mal Rob, wo hast du eigentlich Tom gelassen?“, fragte Clare leicht verwundert und schaute suchend an ihnen vorbei.
„Er ist mit Charlotte zusammen“, antwortete Rob nur knapp, während er noch immer unruhig mit dem Fuß wippte.
„Lotte ist meine Schwester und Tom begleitet sie, um meinen Eltern Bescheid zu geben“, meldete sich Emma zu Wort, um seine Eltern, die nun beide fragend ihren Sohn anschauten, aufzuklären.
„Okay, gut zu wissen. Nicht das uns der Nächste abhanden kommt.“ Beruhigt legte sich seine Mutter wieder auf die Liege und setzte sich ihre Sonnenbrille auf, während Richard sich neben sie gesellte.
Rob nutze die Chance, des ruhigen Momentes, schaute Emma an und ging auf sie zu.
„Magst du noch ein wenig Spazieren gehen?“ flüsterte er ihr zu und hoffte, dass er so aus den Fängen seiner Eltern entkommen konnte.
„Gerne. Nehmen wir Patty mit?“, antwortete sie ihm prompt und sah ein erleichtertes Lächeln in seinem Gesicht.
„Wir gehen noch mit Patty etwas spazieren, Mum“, rief er daraufhin schnell seiner Mutter zu, streifte dabei Emmas Arm und nickte mit dem Kopf in Richtung Klippen. Seiner Hündin pfiff er zu und die kleine Dame reagierte direkt darauf, sie lief auf ihn zu und folgte ihm erwartungsvoll.
„Noch einen schönen Tag“, wünschte Emma seinen Eltern, bevor sie gemeinsam mit Rob über den Hügel lief.
„Viel Spaß euch beiden“, hörten sie noch Clare hinter ihnen herrufen, als sie bereits um die Kurve gingen. Augenblickich spürte Emma seine Erleichterung, sich endlich aus den Fängen seiner Eltern befreit zu haben, als er fragte: „Wo magst du hingehen?“
Ihre Blicke trafen sich und für einen Moment verharrten diese ineinander, während die Hündin ohne Unterlass aufgeregt zwischen ihnen hin und her flitzte.
„Ich würde gerne zu deiner Lieblingsstelle gehen.“, antwortete Emma, wobei sie sich verlegen auf die Unterlippe biss.
„Na dann gehen wir dahin!“ Irgendetwas schien gerade mit ihm geschehen zu sein, denn er wirkte mit einem Mal deutlich gelassener als noch vor wenigen Sekunden. Erneut grinste er sie mit seinem schiefen Lächeln an, was Emma augenblicklich ein Kribbeln im Bauch bescherte und gemeinsam gingen sie weiter den Hügel hinauf. Währenddessen versuchte Rob, so viel wie nur möglich von Emma zu erfahren, und stellte ihr eine Frage nach der anderen, die sie zwar gerne aber leicht verlegen beantwortete. Dabei genoss sie seine Nähe und dass die anfängliche Unsicherheit zwischen ihnen fast wie weggeblasen schien. Auch, wenn er sie, weiterhin und öfter als ihr lieb war, aus der Fassung brachte. Dennoch schaffte er es zeitgleich, ihr das Gefühl von einer gewissen Art der Vertrautheit zu geben. Das Gefühlschaos in Emma war damit perfekt.
Als sie schließlich seinen Lieblingsort erneut erreichten, ließen sie sich auf einem Felsvorsprung nieder und begannen mit Patty zu spielen, die sich immer wieder zwischen den beiden fallen ließ und sich eine Streicheleinheit nach der anderen abholte. Den gesamten Nachmittag unterhielten sie sich über – dieses und jenes – lachten und alberten herum. Rob hatte einen wunderbaren Humor, der Emma kaum aus dem Lachen rauskommen und sie die Zeit vergessen ließ. Er hatte aber auch eine ernste und nachdenkliche Seite. So erzählte er ihr, dass er diesen Ort vor ein paar Jahren bereits für sich entdeckt hatte. Hier könnte er sich komplett zurückziehen, wenn er einfach mal nur für sich sein wollte. Oft genieße er die Stille und die wunderschöne Aussicht aufs offene Meer. Doch meist kommt er hier hoch, um Gitarre zu spielen. Emma lauschte völlig fasziniert seinen Erzählungen und dem Klang seiner Stimme, die ihr ab und an einen kleinen Schauer über die Haut jagte. Jede seiner Gesten, Mimik aber auch sein gesamtes Wesen brachte das Herz der 16-jährigen ins Stolpern und die Schmetterlinge in ihrem Bauch schienen währenddessen ein Wettrennen zu veranstalten, so sehr kribbelte es dort.
„Hier oben kann ich mich beim Spielen völlig treiben lassen und habe die besten Einfälle“, hörte Rob sich sagen und war von sich selbst überrascht, dass er so viel von sich preisgab. Er konnte es sich selbst nicht erklären, denn so etwas hatte er noch nie erlebt. Emma brachte ihn wahrhaftig komplett aus dem Konzept, wenn sie ihn mit ihren schokobraunen Augen anschaute und gleichzeitig unsicher auf ihrer Unterlippe biss. Dann plapperte er völlig unüberlegt los und hoffte inständig, nicht irgendein Schwachsinn von sich zu geben. Aber anscheinend war bis hier her noch alles gut gegangen, auch wenn er sich im Nachhinein nicht sicher war, was er ihr alles erzählt hatte. Denn er war viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, seine aufkommenden wirren und noch nie da gewesenen Gefühle unter Kontrolle zu bekommen. Wenn sie ihn, wie in diesem Moment auch, so unschuldig anschaute, konnte er keinen klaren Gedanken mehr fassen. Sein Herz raste wie wild in seiner Brust und er befürchtete, es könnte jeden Moment seinen Dienst quittieren. Aber er konnte auch nicht seinen Blick von ihrem Gesicht lösen, zu sehr genoss er jeden einzelnen Wimpernschlag, jedes Lächeln was sie ihm schenkte und jedes Wort, was ihre süßen Lippen formten. Er hatte keinerlei Ahnung, was mit ihm geschah, wohin es ihn führte und wie er damit umgehen sollte, aber eins wusste er - es sollte auf keinen Fall aufhören!
Doch als völlig überraschend die Dämmerung hereinbrach, wurde die unbeschwerte Stimmung jäh unterbrochen und Emma sprang erschrocken auf.
„Oh Gott, weißt du, wie spät wir haben?“
„Nein, ich hab´ auch keine Uhr“, antwortete Rob ruhig, während er auf stand und Patty zu sich pfiff, die sich seelenruhig gegenüber von Ihnen an auf einen Fleck Gras wälzte. Spitzte die Hundedame ihre Ohren und lief schnurstracks zu ihm.
„Ich muss gehen, meine Eltern machen sich bestimmt schon Sorgen“, sagte Emma mit einem besorgten Unterton in ihrer Stimme, während sie sich, ohne auf Robs Reaktion zu warten, umdrehte und zum Gehen aufmachte. Rob, der leicht überrumpelt von ihrer Reaktion war, schnappte sich Patty unterm Arm und rief: „Ja, natürlich, warte…. Darf ich dich begleiten? “, während er bereits hinter ihr herlief. Emma nickte und lächelte ihn nur als Antwort an, als er sie eingeholt hatte. Er setzte seine Hündin wieder auf die Wiese ab und gemeinsam machten sie sich auf den Rückweg.
Als Beide den Strand erreichten, kam ihnen Lotte bereits ungeduldig entgehen, und zog ihre Schwester am Arm beiseite. Rob blieb, ungeachtet mit seiner Hundedame etwas abseits stehen.
„Mann, endlich bist du da, hat ja eine Ewigkeit gedauert.“ Ihre Erleichterung, dass Emma endlich zurück war, war kaum zu überhören.
„Hast du mich etwa vermisst?“, erwiderte Emma leicht überrascht und schaute ihre Schwester skeptisch an.
„Ich bin einfach erleichtert, dass du wieder da bist. Das darf ich doch noch, oder? Und außerdem bin ich froh, dass du mich jetzt von diesem Typen da erlöst.“ Lotte deutete augenrollend zu Tom, der sich gerade angeregt mit ihrem Vater unterhielt.
„Etwa so schlimm?“, flüsterte sie ihrer Schwester zu, während sie näher an sie herantrat, damit Rob sie nicht hören konnte.
„Er redet die ganze Zeit nur von sich und seiner Gitarre. Das Schlimmste ist, Dad findet das alles auch noch interessant. Wir waren den gesamten Nachmittag hier.“ Frustriert schnaufte sie leise auf und ihre Lippen verformten sich zu einem Schmollmund. Emma konnte sich bei dem Anblick nur mit Mühe ein Lachen verkneifen, drückte Ihre Schwester an deren Schultern an sich und flüsterte ihr: „Ach du Arme. Komm, dann lass uns mal rübergehen“, ins Ohr.
„Ja, mach DU dich nur lustig. Wie es ja ausschaut, war dein Tag ganz bezaubernd, so wie du strahlst“, schnappte sie zurück und löste sich ruckartig aus Emmas Umarmung.
„Ja, er war wirklich toll, aber das erzähl ich dir später. Komm jetzt.“ Währenddessen schweifte ihr Blick zu Rob und beide lächelten sich liebevoll an. Mit einem dezenten Kopfnicken gab sie Rob zu verstehen, sie zu ihren Eltern zu begleiten, wo Tom sich weiterhin angeregt mit ihrem Vater unterhielt. Kaum angekommen sprintete Patty auch schon direkt zu Tom, wo sie schwanzwedelnd und freudig seine Beine hochsprang. Ihre Mutter war die Erste, die die Drei freundlich begrüßte.
„Emma schön, dass du auch wieder da bist. Wir wollen gleich gehen.“ Sie wandte sich zu Rob und reichte ihm zur Begrüßung die Hand, welche er direkt ergriff.
„Hallo, ich bin Clara, du musst Robert sein. Dein Freund hat schon viel von dir erzählt.“
„Ja … der bin ich … freut mich Sie kennenzulernen“, antwortete er etwas schüchtern, während er den Griff des Handschlags langsam löste. Emma blieb seine Unsicherheit nicht verborgen und sprach direkt ihren Vater an, um ihn aus der Situation zu befreien: „Dad, darf ich dir Rob vorstellen?“ William unterbrach das Gespräch mit Tom und drehte sich zu ihr.
„Hallo Liebes, haben dich schon vermisst“, sagte er und auch er reichte Rob die Hand.
„Schön dich auch kennenzulernen. Ich bin William, aber alle nennen mich Will.“
„Danke … Will“. Rob erwiderte den kräftigen Handschlag und Emma merkte, dass seine Unsicherheit kurzzeitig verflog.
„Schatz, kannst du bitte deine Sachen einpacken, wir müssen langsam los.“ Ihre Mutter reichte ihr die Tasche und nickte sie auffordernd an.
„Jetzt schon Mum? Können wir nicht noch ein bisschen bleiben?“
„Nein, wir haben doch für heut Abend Kinokarten und wenn wir noch vorher etwas essen wollen, müssen wir jetzt wirklich los.“ Clara schaute ihre Tochter schmunzelnd, aber auch verstehend an. Sie spürte genau, dass ihrer Tochter überhaupt nicht mehr der Sinn nach Kino stand, sondern viel lieber noch Zeit mit dem Jungen verbringen wollte. Sie hatte Emma noch nicht so nervös anderen gegenüber verhalten sehen, wie bei diesem Rob. Ihr Herz fühlte sich plötzlich so schwer an, als ihr bewusst wurde, dass ihr kleines Mädchen begonnen hatte aus ihren Kinderschuhen herauszuwachsen. Leicht wehmütig drehte sie sich zu ihrem Mann um, dem augenscheinlich die gleiche Erkenntnis traf, während er ihr tröstend die Hand drückte.
Emma hingegen bekam von der elterlichen Wehmut nichts mit, denn sie war ganz und gar damit beschäftigt, ihre Enttäuschung vor Rob zu verbergen. Woran sie aber kläglich scheiterte, denn ihr war die Traurigkeit in den Augen abzulesen. Auch Robert fühlte sich noch nicht bereit, sich von dem wunderschönen Mädchen zu verabschieden. Für seinen Geschmack war die Zeit mit ihr viel zu schnell vorbeigegangen.
„Wie lange seid ihr noch hier?“, unterbrach er schließlich die beklemmende Stimmung, während er nervös mit dem Fuß wippte.
„Noch zwei Wochen“, schoss es augenblicklich aus Emma raus, wobei er meinte, ein kleines Funkeln in ihren schokobraunen Augen zu sehen. Trotz seiner wieder aufkeimenden Unsicherheit, nahm er nun all seinen Mut zusammen und fragte Emma schließlich: „Also … Wir könnten doch die Nummern tauschen… also nur, wenn du magst.“
„Oh, Ja gerne.“, schleuderte sie ihm aufgeregt um die Ohren und begann nervös in ihrer Tasche nach etwas Schreibbaren zu suchen. In ihrer Hektik rutschte ihr das Handtuch von der Hüfte, und ihr zarter Popo streckte sich Rob direkt entgegen. Erschrocken und peinlich berührt schoss sie augenblicklich mit dem Oberkörper hoch, während ihr die Schamesröte in die Wangen stieg. Ach du Scheiße, fluchte sie stumm in Gedanken, als sie sich zu ihm umdrehte. Der 17 - Jährige stand völlig reglos vor ihr und lächelte sie scheinbar seelenruhig an. Sie hoffte inständig, dass ihm ihre unfreiwillige Einlage doch entgangen war, und lächelte verunsichert zurück. Noch im selben Moment trat ihre Schwester neben sie und reichte ihr kichernd einen Zettel sowie Stift.
„Danke … Lotte“, sagte sie mit verengten Augen und nahm den Fetzen Papier entgegen.
„Rob, könntest du bitte deine Nummer schon mal aufschreiben? Ich würde mich dann anziehen und schnell den Kram zusammenpacken.“ Immer noch mit leicht geröteten Wangen und auf die Unterlippen beißend, hielt sie Rob das Schreibzeug hin und vermied tunlichst ihm dabei in die Augen zu schauen. Am liebsten wäre sie im Boden versunken und wollte gerade nichts mehr, als sich nur ihre Klamotten über den Leib schmeißen.
„Ja, Okay mach ich gern. Tom, hey…lass mal Patty in Ruhe und leih mir mal deinen Rücken.“ Er drehte sich um und wartete darauf, dass Tom sich langsam zu ihm in Bewegung setzte. Währenddessen schnappte sich Emma ihren knielangen Rock sowie ihr weißes Top und zog es schnell über ihren Bikini. Kaum hatte sie sich angezogen, wich ihr Unbehagen dem Gefühl des Wohlbefindens und sie stopfte ihre restlichen Sachen ungeduldig in die Tasche, während ihre Mutter zu ihr herantrat.
„Liebling, wir gehen schon mal vor, beeil dich, wir haben nicht mehr so viel Zeit.“
„Okay Mum, bis gleich.“, antwortete sie sichtlich erleichtert, denn sie war froh, dass sie sich nicht vor den Augen ihrer Eltern von Rob verabschieden musste. Wie peinlich wäre das denn, bitte?
„Und euch noch einen schönen Urlaub, Jungs“, verabschiedete sich Clara auch von ihnen, drehte sich um und ging mit den anderen fort. Tom lief bei den Worten zu Lotte, um sich persönlich von ihr zu verabschieden, und die kleine Hundedame folgte ihm auf dem Fuße.
Erneut waren sie alleine und Rob hielt den Zettel mit seiner Nummer noch immer in seiner Hand fest umklammert. Beide starrten wortlos auf den Sand und wussten nicht, wie sie sich nun so recht verhalten sollten. Keiner wollte sich von dem Anderen verabschieden. Es schien, als wollten sie die Zeit mit ihrem Schweigen anhalten.
„Hier ist meine“, unterbrach Rob schließlich die Stille und reichte Emma gleichzeitig das Stück Papier. Langsam hob sie ihren Kopf und schaute ihn mit traurigen Augen an, als sie seine Nummer entgegennahm.
„Ach, ich schreib dir auch noch schnell meine Nummer auf“, sagte sie, riss ein Stück Papier ab und notierte fix ein paar Zahlen darauf.
„Bitte, das ist sie. Ich würde mich freuen, wenn wir uns noch mal treffen.“ Bei ihren Worten spürte sie, wie ihr wieder die Hitze in ihre Wangen stieg und schaute verlegen an ihm vorbei.
„Es würde mich auch freuen“, antwortete Rob genauso verlegen und ging ein Stück auf sie zu. Emma hingegen lächelte und senkte dabei ein wenig schüchtern ihren Kopf.
„Ich rufe dich an, versprochen. Aber ich glaube du solltest jetzt gehen, bevor du noch Ärger bekommst.“ Rob wusste nicht, was ihn dazu bewegte, den Mut aufzubringen, aber plötzlich hob er mit einem Finger ihr Kinn an und schaute in die wunderschönsten Augen, die er je gesehen hatte. Sein Herz begann in seiner Brust wie wild zu schlagen, als sie dabei erneut auf ihre Unterlippe biss. Emma war wie gebannt von seinen Augen, die sie völlig aus der Fassung brachten - so sehr, dass ihre Knie unter diesem intensiven Blick nachgaben und sie rein gar nichts dagegen tun konnte.
„Du hast recht, ich muss gehen“, hauchte sie fast, als sie sich schließlich von seinem Blick lösen konnte um ihm zögerlich sein Handtuch zureichen.
„Ich wünsch dir einen schönen Abend.“ Rob senkte den Kopf, kam ihrem Gesicht langsam näher und gab ihr schließlich einen zaghaften Kuss auf die Wange. Dabei pochten ihrer beider Herzen wie wild in ihren Brustkörben, so sehr, dass Emma befürchtete, dass ihres aufhören wollte zu schlagen.
„Und ich melde mich, versprochen“, hörte sie nur dumpf Robs Stimme zu ihr hindurchdringen, während sie sprachlos und völlig bewegungsunfähig dastand und ihn anstarrte.
Er hat mich geküsst! Er hat mich geküsst!, war das Einzige, was wie ein Mantra in ihrem Kopf widerhallte.
„Ähm, Danke ... wünsch ich dir auch“, stammelte sie, als sie endlich ihre Sprache wiederfand, „aber jetzt muss ich echt gehen.“
„Ich auch“, antworte Rob mit einem schiefen Lächeln, drehte sich um und ging zu Tom, der an der Strandpromenade auf ihn wartete. Emma schaute ihm noch einen Moment gedankenverloren nach, bis auch sie sich schließlich auf dem Heimweg machte.
Patty empfing ihr Herrchen freudig mit dem Schwanz wedelnd, doch Rob begrüßte seine Hundedame nur beiläufig. Tom klopfte ihm zwinkernd auf die Schulter und gemeinsam machten sie sich schweigsam auf den Weg zu seinen Eltern. Den gesamten Heimweg kreisten seine Gedanken mit einem verträumten Lächeln nur um Emma.
Wie süß und leicht tollpatschig sie ist. Ich hoffe, ich sehe sie bald wieder, dachte er und rief sich wieder ihre wunderschönen Augen ins Gedächtnis...
******
Emma lag schlaflos in ihrem Bett und wälzte sich von einer Seite auf die andere. Ihre Gedanken überschlugen sich und jedes Mal, wenn sie ihre Augen schloss, sah sie Rob und seine wunderschönen grün-blauen Augen vor sich. Heute Morgen dachte sie noch, es wäre der langweiligste Urlaub ihres Lebens, doch jetzt lag sie hier und ihre Gedanken kreisten um diesen süßen Typ, der ihr bereits den Kopf verdreht hatte. Seid sie den Strand verlassen hatte, konnte sie an nichts anderes mehr denken. War das alles wirklich passiert, oder war es nur ein Traum, aus dem sie bald aufwachen würde? Wieder tauchte sein Lächeln vor ihrem inneren Auge auf und ihr Herz machte einen Satz. Sie setzte sich auf, schlang ihre Arme um die Beine und legte ihr Kinn auf die Knie. Noch immer sah sie ihn vor sich und sie spürte seinen zaghaften Kuss auf ihre Wange.
„Was passiert hier mit mir? Hat er mich wirklich geküsst?“, flüsterte sie und vergrub ihr Gesicht in ihre Decke. In ihrem Bauch kribbelte es wie verrückt, sie fühlte sich glücklich und doch schlich sich eine Unsicherheit in ihre Gedanken.
„Ob er sich wirklich meldet? Geht es ihm genauso? Oh, lass es bitte wahr sein“, murmelte sie in die Decke.
„Kannst du bitte ruhig sein? Ich versuche zu schlafen“, erklang Lottes genervte Stimme im Zimmer. Emma hatte ganz vergessen, dass ihre Schwester auch im Raum war.
„Ja … ja klar“, sagte sie ertappt, legte sich hin und zog sich die Decke über den Kopf. Es dauerte lange, bis sie endlich in den Schlaf gefunden hatte und sie träumte von dem wunderbaren Stunden mit ihm.
Am nächsten Morgen wurde Emma von den Sonnenstrahlen, die sanft durch den Vorhang strahlten, geweckt. Diese kitzelten sie auf ihrer Nase, sie öffnete die Augen, streckte sich ausgiebig und sprang fröhlich aus dem Bett. Sie fühlte sich einfach super, denn sie hatte wunderbar geträumt, und konnte es kaum erwarten, wieder zum Strand zu gehen.
Vielleicht war er heute auch da, schoss es wie ein Geistesblitz durch ihren Kopf und ein Lächeln umspielte ihre Lippen.
„Guten Morgen, Schatz auch schon wach?“ Ohne anzuklopfen, marschierte ihre Mutter in ihr Zimmer und öffnete mit einer schnellen Handbewegung den Vorhang. „Das Frühstück ist fertig.“
„Guten Morgen Mum, ja, ich komm sofort frühstücken. Ich husche nur schnell ins Bad.“ Sie schnappte sich Ihre Shorts und das fliederfarbene Top aus dem Schrank und verschwand Richtung Badezimmer, wobei Clara wie angewurzelt und verwundernd im Zimmer zurückblieb. Emma schmiss vor der Dusche ihre Klamotten auf den Boden, putze sich im Eilflug die Zähne und huschte danach unter die Brause. Das warme Wasser prasselte sanft auf ihren Kopf, sie schloss die Augen, legte den Kopf in den Nacken und ließ sich das warme Nass übers Gesicht laufen. Dabei summte sie fröhlich ihr derzeitiges Lieblingslied und dachte an den gestrigen Tag.
“I'll never be the same - if we ever meet again
Won't let you get away-ay - say, if we ever meet again
This free fall's, got me so”, begann sie mit mitzusingen, während sie sich wusch und anschließend die Brause abstellte. Singend stieg sie aus der Dusche und trocknete sich ab.
“Kiss me all night, don't ever let me go
I'll never be the same
if we ever meet again“
Immer noch trällernd kämmte sie sich ihr feuchtes Haar, entschied diese an der Luft trocknen zu lassen, und betrachtete sich im Spiegel. Sie zupfte hier und da noch mal an ihren Haaren und ging dann selbstsicher und lächelnd in die Küche. Die Familie saß schon am liebevoll und reichlich gedeckten Frühstückstisch und wartete nur noch auf sie. Clara hatte wie immer an alles gedacht. Es duftete nach Kaffee, frische Brötchen sogar frisch gepresste Orangensaft hatte sie besorgt. Will saß am Kopfende des Tisches, war hinter der Sonntagszeitung verschwunden und brabbelte etwas Unverständliches vor sich hin. Lotte und Clara saßen sich gegenüber und diskutierten über den Tagesablauf. Sie bekam mit, dass ihre Eltern anscheinend einen Ausflug ins Royal Cornwall Museum geplant hatten. Lotte gefiel dies anscheinend gar nicht, denn sie versuchte ihre Mutter mit Biegen und Brechen davon abzubringen und diskutierte wildgestikulierend.
„Mum, was soll ich denn in einem Museum? Ich hab´ da gar keine Lust drauf!“, hörte sie ihre Schwester sagen.
„Lotte, wir sind nicht hier im Urlaub, um nur am Strand zu liegen. Wir möchten auch etwas von der Umgebung sehen.“ Claras Stimme klang recht genervt, obwohl sie äußerlich noch gelassen wirkte. Emma setzte sich auf den freien Stuhl direkt neben ihrer Schwester und unterbrach das Gespräch, als sie ihren Vater ansprach.
„Guten Morgen Dad, na gibt es keine guten Nachrichten?“ Sie grinste ihn an und Will schaute sie leicht irritiert über den Zeitungsrand an.
„Morgen Emma, ach das Übliche. Du scheinst aber heut` gut gelaunt zu sein. So wie du unter der Dusche gejault hast.“ Mit einem schelmischen Grinsen zwinkerte er ihr zu und Emma lächelte einfach zurück, was Will noch mehr irritierte.
„Ja, ich habe einfach gut geschlafen und bei dem Wetter muss man doch gute Laune haben, Dad.“
„Ob das „nur“ am Wetter liegt, glaub ich kaum“, trug nun Lotte kichernd zur Unterhaltung bei.
„Schon klar, Lotte“, fuhr es gereizter aus Emma aus, als es von ihr beabsichtigt war. Es nervte sie, dass ausgerechnet ihre kleine Schwester ihren Senf überall dazu beitragen musste. Doch sie beschloss, sich nicht aus der Reserve locken zu lassen, dafür war es einfach ein viel zu schöner Tag. „Reich mir lieber mal bitte die Brötchen, Schwesterchen“, singsangte sie ihr fast schon zu und Lotte reichte ihr stirnrunzelnd den Korb.
Am Frühstückstisch entspannte sich die Lage sichtlich und gemeinsam frühstückten sie, unterhielten sich und spaßten das ein und andere Mal rum. Die meiste Zeit war Emma das Opfer von ihren Spaßattacken, aber heute störte sie das gar nicht, sie machte einfach ausgelassen mit. Denn sie konnte auch herrlich über sich selbst lachen. Außerdem war sie nicht schlecht im Kontern, sodass auch ihre Eltern nicht immer von ihren Sprüchen verschont blieben.
Als Emmas Blick einige Zeit später beiläufig zur Uhr schweifte, wurde sie im selben Moment ungeduldig. Sie hatte doch vor, zum Strand zugehen und hoffte sehr, dort noch mal auf Rob zu treffen. Bei dem Gedanken an ihm wurde ihr ganz schwer ums Herz und ein verträumtes Lächeln umspielte ihre Lippen.
„Kann ich an den Strand gehen?“ fragte sie aufgeregt ihre Mutter, die gerade dabei war den Deckel auf die Marmelade zu schrauben.
„Hmm, Schatz, wir möchten heute in die Stadt fahren und dort das Museum besuchen. Heute eher nicht“, war ihre Antwort und Emmas euphorische Stimmung schwächte augenblicklich ab.
„Hm, muss das bei dem Wetter sein? Es ist doch jetzt schon so warm und dann im Museum oder Stadt rumlaufen, macht dann echt keinen Spaß, Mum.“
„Das hab´ ich auch schon gesagt, aber sie lässt einfach nicht von ihrem Plan ab“, beteiligte sich Lotte augenrollend an dem Gespräch.
„Okay Mädels, ihr macht uns grad mehr als deutlich, dass euch die Idee nicht gefällt,“ warf unerwartet ihr Dad ein und legte die Tageszeitung neben sich auf den Tisch. „Was schlagt ihr also vor?“
Die beiden Schwestern schauten sich lächelnd an, denn wenn sich jetzt ihr Vater an ihrer Diskussion beteiligte, stiegen ihre Chancen das Museum zu umgehen. Ihren Daddy konnten sie definitiv leichter um ihre Finger wickeln.
„Strand!“, schoss es gleichzeitig aus ihren Mündern, wobei sie gekonnt ihren Charme spielen ließen. Was jedoch keinerlei Wirkung auf Clara zeigte. Leicht genervt packte sie die übrig gebliebenen Brotscheiben in die Tüte, als sie augenrollend antwortete: „Och, Mädels, habt ihr nicht mal einen anderen Vorschlag?“
„Nein!“, sagten sie wieder gleichzeitig und in Emmas Kopf kreisten die Gedanken, wie sie ihre Eltern doch noch von ihrem Vorhaben überzeugen konnte. Sie wollte heute unbedingt an den Strand. Alles andere war keine Option.
„Wir können es auch anders machen“, sagte sie aufgeregt, als ihr eine Idee in den Sinn kam.
„Wie denn?“, kam es wie aus der Pistole geschossen von allen dreien und alle Augen waren gespannt auf sie gerichtet.
„Also, Mum und Dad, ihr könnt doch die Stadt und das Museum besichtigen fahren und wir gehen an den Strand.“
„Oh Ja, Mum … Dad. Die Idee ist super, bitte.“ Lottes Augen waren voller Begeisterung weit aufgerissen und sie rutschte ungeduldig auf den Stuhl rum. Ihre Mutter schien von der Idee weniger begeistert zu sein und schaute fragend ihren Mann an, der wiederum nur dezent mit den Schultern zuckte.
„Na, ich weiß nicht“, brachte sie zögerlich hervor. „Das ist mir nicht so Recht.“
„Ach Mum, ich bin doch schon alt genug. Ich pass auch auf Lotte auf. Und ihr beiden macht euch mal einen richtig tollen Nachmittag ohne uns.“
Emma lächelte ihr schönstes Lächeln und schaute erwartungsvoll zwischen ihren Eltern hin und her. Die beiden schauten sich nur stumm an, wobei ihre Tochter deren Blicke nicht deuten konnte.
„Daddy, bitte! Wir passen wirklich auf, sind vorsichtig und sind garantiert auch pünktlich zu Hause“, singsangte seine Jüngste mit einem unschlagbar bittenden Augenauflag, dem wohl kaum ein Vaterherz widerstehen konnte. Er war seinen Töchtern schutzlos ausgeliefert. Aber in einem Punkt hatten die beiden kleinen Teufelinnen recht. In den bislang vergangenen Urlaubstagen hatte er keine Unternehmung oder viel Zeit mit seiner Frau allein verbringen können. Er sehnte sich nach ein paar Stunden Zweisamkeit mit seiner Herzdame. Warum auch nicht?
„Clara, ich denke sie haben recht“, hörte er sich plötzlich zu seiner Frau sagen und wusste im Grunde, was sie erwidern würde.
„Aber alleine? Will, wenn da was passiert?“
„Liebling, Emma ist 16 Jahre alt und Lotte 14, was soll da passieren?“ Ich denke doch wir können ihnen Vertrauen“, er wandte den Blick von Clara ab und schaute seiner Ältesten direkt in die Augen. „Das können wir doch?“
„Ja klar Dad, ganz sicher.“ Versicherte sie ihrem Vater nickend, während sie ungeduldig und aufgeregt auf die Reaktion ihrer Mutter wartete. Alle Augen waren auf Clara gerichtet, die innerlich immer noch mit sich haderte. Natürlich hatten sie alle recht mit dem was sie sagten, aber es war gar nicht so einfach, ihre kleinen Mädchen loszulassen. Doch ein paar ruhige, gemeinsame Stunden mit ihrem Mann waren verlockend. Die Mädels waren wirklich alt genug.
„Okay“, sagte sie schließlich lächelnd, „aber nur unter einer Bedingung. Du Emma, nimmst dein Handy mit und lässt es an, damit wir euch erreichen können. Und wenn was ist, rufst du uns sofort an, verstanden?“
„Ja, Ja … Mum, versprochen. Ganz bestimmt!“, platzte es freudig aus Emma heraus.
„Und du junge Dame, hörst auf Emma. Das ist heut ein Probelauf, funktioniert es nicht, dann war es vorerst das letzte Mal, Okay?“, erklärte ihr Vater mit einem ernsten Ton. „Ja, verstanden Dad,“ preschte es aus beiden heraus, während Lotte strahlend Emma anschaute und beide mit dem Grinsen nicht aufhören konnten. Sie hatten es tatsächlich geschafft. Gemeinsam sprangen sie auf, um in ihr Zimmer zu hetzten, damit sie ihre Tasche packen konnten. Doch sie wurden jäh von ihrer Handlung abgehalten, als sie ihre Mutter hörten: „Halt ihr beiden! Bevor ihr zum Strand losrennt, macht ihr bitte noch den Abwasch.“
Emma hörte, wie ihre Schwester laut aufschnaufte, kam ihr aber mit ihrer Antwort zuvor, bevor diese lospoltern konnte.
„Ja, machen wir.“ Mit einem leichten Stoß mit dem Ellenbogen in Lottes Seite, gab sie ihr zu verstehen, kein Kommentar abzugeben, denn sie wollte auf gar keinen Fall, dass ihr alleiniger Ausflug wieder gecanceled wurde. Den Abwasch würde sie zu zweit doch mit links erledigen, also kein Grund sich zu ärgern. Emmas Vorfreude wuchs mit jeder Sekunde, denn gleich würde sie ans Meer gehen und wenn sie Glück hatte, würde sie ihn auch wiedersehen. Ihr Herz kam bei dem Gedanken ins Stolpern und gleichzeitig breitete sich ein wohliges Glücksgefühl in ihr aus. Heute war eindeutig der schönste Tag in diesem Urlaub. Sie fasste ihrer Schwester am Arm und zog sie in ihr Zimmer.
„Hör zu, wir machen das schnell, und dann haben wir den ganzen Nachmittag für uns. Okay? Keine Eltern. Nur wir und der Strand.“
„Ja, Okay, dann lass uns anfangen,“ moserte Lotte leise vor sich hin, denn der Abwasch behagte ihr gar nicht, dennoch fügte sie sich ihrer großen Schwester. Sie hatte recht. Leider!
Also machten sie sich gemeinsam zurück in die Küche, räumten den Tisch ab und spülten das Geschirr. Ihre Eltern packten derweil die Sachen für ihren Ausflug zusammen und verabschiedeten sich anschließend von ihnen. Clara nahm sie beide feste in den Arm und flüsterte ihnen ins Ohr, dass sie auf sich aufpassen sollten. Ihr Dad hingegen war ganz sachlich und erklärte ihnen nur, dass sie pünktlich zum Abendessen zuhause sein sollten. Ansonsten war ihr alleiniger Tag anscheinend kein weiteres Thema für ihn. Als ihre Eltern das Cottage schließlich verließen, rannten die beiden Schwestern zum Fenster und schauten zu, wie das Auto die Ausfahrt herunterfuhr.
„Na endlich“, fuhr es aus Lotte erleichtert raus, „Ich dachte, Mum kann sich gar nicht lösen.“
„Na komm, wir packen alles ein und dann ab zum Strand“, sagte Emma beiläufig, als sie eilig ins Zimmer Schritt und dort alles Benötigte in die Tasche stopfte. Jetzt wollte sie nur raus ans Meer und sich nicht mehr mit anderen Dingen aufhalten. Als sie schließlich auf dem Weg waren, war Emma so tief mit ihren Gedanken versunken, dass sie nicht hörte, was Lotte alles brabbelte. Ihre Gefühle spielten jetzt schon verrückt, obwohl sie Rob noch gar nicht gesehen hatte. Das könnte ja was werden, wenn er wirklich vor ihr stand. Sie war so aufgeregt, nervös und so voller Spannung, dass ihre Gedanken nur um ein mögliches Aufeinandertreffen kreisten, während ihr Herz unaufhörlich raste.
Wird er da sein? Werde ich ihn sehen? Wie wird er reagieren? Wie werde ich reagieren. Oh, bitte lass ihn da sein!
Kapitel 3
Hoffnung
Als die Schwestern kurze Zeit später den Strand erreichten, suchte Emma voller Erwartung diesen nach Rob ab. Doch sie konnte ihn unter der, doch großen, Menschenmasse nicht entdeckten. Leicht enttäuscht wandte sie sich zu Lotte, die gerade erfolglos versuchte, ihr etwas widerspenstiges Haar zu einem Knoten zu binden.
„Wo sollen wir uns hinlegen?“, fragte sie beiläufig, während sie ihren Blick erneut über den Strand schweifen ließ - erfolglos!
„Hmm, vielleicht an der Stelle von gestern? Der war ganz schön. Ach, verdammt!“ Lottes Haarband flog nur haarscharf an Emmas Nase vorbei und landete vor ihren Füßen direkt in den Sand.
„Entschuldige! Mann, ich gebe es für heute auf. Ich habe eher einen Knoten in den Fingern, als im Haar“, ratterte Lotte runter, als sie dabei das Band aus dem Sand fischte und sich anschließend einen gewöhnlichen Pferdeschwanz band. Emma sah sie dabei nur mit einer hochgezogenen Augenbraue an. Im Grunde war es ihr jetzt völlig egal, wo sie sich niederließen. Ihre Stimmung war eh leicht betrübt, denn sie hatte die Hoffnung gehabt Rob hier zu begegnen.
„Von mir aus“, antwortete sie schließlich. „Dann lass uns gehen!“, kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, hatte ihre Schwester sie schon an den Arm gepackt und zog sie ein Stück hinter sich her. Doch weil der Strand heute sehr gut besucht war, gestaltete es sich gar nicht so einfach, sich einen Weg durch die Menschenmassen zu bahnen. Als sie es schließlich, an der etwas abgelegenen Stelle von gestern geschafft hatten, breiteten sie ohne lange zu zögern ihre Badetücher aus und ließen sich erleichtert darauf fallen. Hier waren zwar auch einige Strandbesucher, aber es war deutlich ruhiger als am Hauptstrand.
Emma hatte sich mit den Armen hinterm Rücken auf der Decke abgestützt und suchte immer noch vergebens nach dem ihr so bekannten Gesicht. Mit jeder Minute, die sie Rob nicht erblicken konnte, sank ihre Lust auf den Strand immens. Wie konnte sie auch glauben, dass er gleich zwei Tage hintereinander zum selben Ort kommt. Wie naiv bist du denn?
„Sag mal, suchst du wen?“, drang plötzlich die Stimme ihrer Schwester zu ihr durch und sie zuckte leicht ertappt zusammen.
„Wer, ich?“
„Nein, ich mein die Person hinter dir.“
Emma drehte den Kopf herum, aber konnte niemanden hinter sich ausmachen.
„Natürlich meine ich dich. Sag mal, bist du heut etwas verwirrt?“ Lotte kreiste mit dem Zeigefinger neben ihren Kopf, während sie belustigt die Augen verdrehte.
„Ach, ich bin nicht verwirrt, alles in Ordnung.“
„Du schaust, ob er da ist. Hab´ ich Recht?“
Mit einem verlegenen und ertappten Blick schaute Emma ihre Schwester seufzend an. „Ja…! Aber siehst du ihn hier irgendwo?“
„Na, du bist lustig. Hier wimmelt es doch nur so vor Menschen. Da kannst du gleich nach der Nadel im Heuhaufen suchen.“
„Du hast ja recht.“ Noch während sie sprach, ließ sich Emma enttäuscht auf ihr Strandtuch zurückfallen. Was hatte sie sich bloß gedacht? War doch von vorneherein klar, dass sie nur enttäuscht werden konnte. Wie kam sie bloß auf die Idee heute noch mal hier her zu wollen?
„Er hat es dir ganz schön angetan“, riss ihre Schwester sie aus ihren Gedankenwirrwarr, wobei sie unterbewusst immer noch mit den Augen den Strandabschnitt absuchte.
„Emma, was hat er mit Dir gemacht? Ich kenne dich so gar nicht. Du scheinst seit gestern Abend förmlich zu schweben. Aber erzählt hast du mir noch rein gar nichts.“ Die offenkundige Beschwerde von Lotte ließ sie sich wieder ihrer Schwester zuwenden. War das denn so offensichtlich, dass Rob ihr den Kopf verdreht hatte?
„Ich weiß es nicht, was er gemacht hat. Er hat mich angeschaut und es war um mich geschehen. Ich versteh es ja selber nicht.“ Ihr Herz raste und sie befürchtete es würde jeden Moment aussetzen, als sich bei ihren Worten, sein Bild vor ihr inneres Auge schob.
Verdammt! Sie hatte so sehr gehofft, dass sie Rob hier wiedertreffen würde und nun saß sie hier und konnte ihn nirgends entdecken. Völlig resigniert und traurig schnappte sie sich ihre Tasche und kramte nach ihrem MP3-Player, während Lotte sie nur fragend abschaute.
„Magst du Dich nicht umziehen?“
„Nein, ich hab keine Lust ins Wasser zu gehen, ich bleib hier.“, das kam ihr viel schmollender über die Lippen als gewollt, was Lotte nicht entging. Abrupt schnappte diese ihr Badezeug, stand auf und zog in Richtung Kabinen ab.
„Na gut, dann eben nicht. Ich geh mich umziehen!“ Die Enttäuschung und der Ärger waren ihr deutlich anzuhören. Aber Emma nahm dies gar nicht wahr, sondern rief ihrer kleinen Schwester nur schnell ein: „Aber beeil dich, und lass dich nicht blöd anlabern“, hinterher, während sie die Suche nach ihrem MP3-Player aufgab. Und obwohl sie es eigentlich besser wissen sollte, scannte sie erneut die Menschenmasse nach dem so ersehnten Gesicht ab. Denn egal wie enttäuscht sie auch gerade war, ein Funken Hoffnung blieb ihr immer noch. Schließlich war der Tag noch jung. Sie fuhr erschrocken hoch, als plötzlich ihr Handyklingelton ertönte.
Rob, oh lass es Rob sein!, war ihr erster Gedanke, während sie aufsprang und in der Tasche nach ihrem Handy kramte. Doch sie konnte es nicht finden. „Verdammt, warum muss die Tasche so groß sein?“, fluchte sie, drehte dabei den Beutel auf den Kopf, woraufhin sich der gesamte Inhalt auf den Sand verteilte. Ihr Telefon klingelte unaufhörlich weiter, während sie sich hektisch auf Knien durch den Wäscheberg wühlte. „Wo bist du blödes Handy?“, schimpfte sie laut und flehte: „Nicht auflegen, bitte, bitte nicht auflegen!“, als sie endlich das klingelnde Etwas unter einem Handtuch hervorzog. Zitternd klappte sie es auf, ohne dabei auf das Display zu achten und preschte hastig ein „Hallo, Emma hier “, hervor.
„Hallo Emma, Mum hier, alles okay bei euch?“ Enttäuscht sackte Emma erneut zurück auf ihr Strandtuch, als sie die Stimme ihrer Mutter erkannte. Die ganze Hektik war für die Katz gewesen. Ganz toll!
„Ach, du bist es Mum. Ja, alles okay bei uns“, antwortete Emma zögerlich und rollte dabei mit den Augen.
„Hast du jemand anderen erwartet?“ Clara wurde misstrauisch und sie fragte sich, warum ihre Tochter plötzlich so enttäuscht klang.
„Nein, Nein Mum.“
„Ist wirklich alles in Ordnung, Schatz?“
„Ja, es ist alles in Ordnung. Ich bin nur etwas außer Atem, weil ich das Handy gesucht habe. Lotte ist sich grade umziehen und ich genieße die Sonne.“ Versuchte sie sich schnell zu erklären, damit ihre Mutter nicht weiter nachfragte. Sie wollte unter keinen Umständen jetz mit ihr darüber sprechen. Es schien zu klappen, denn Clara bat nur noch darum, dass sie sich bitte meldet, wenn etwas wäre, wünschte ihren Töchtern noch einen schönen Tag und legte schließlich auf. Erleichtert, dass Emma einem ausführlichen Gespräch entkommen war, ließ sie sich mit dem Rücken aufs Tuch zurückfallen und starrte in den Himmel. „Wie konnte ich nur glauben, dass er mich anruft. So toll bin ich nun auch wieder nicht“, murmelte sie enttäuscht in sich hinein und bemerkte dabei nicht, wie Charlotte wieder zurück zum Platz kam.
„Was ist denn hier passiert?“ Erschrocken fuhr Emma hoch und maulte ihre Schwester an: „Mann, musst du dich so anschleichen?“, doch kaum hatte sie den Satz ausgesprochen, bereute sie ihren Ausbruch auch schon wieder, als sie zudem noch in das überraschte Gesicht von Lotte sah. „Tut mir leid. Ich hab mich nur so erschrocken.“
„Schon gut, nu sag schon was ist passiert? Wurdest du angegriffen, überfallen oder hattest du nur einen Wutanfall?“
„Nein, Mum hat angerufen und ich hab`das Handy gesucht.“
„Ah Okay“, gab sich Lotte mit der Antwort zufrieden, legte sich auf ihr Badetuch und schloss die Augen. Emma hingegen blieb sitzen und zweifelte erneut an ihrem Handeln und Urteilsvermögen. Wie konnte sie nur annehmen, dass ausgerechnet ein Junge wie Rob auch nur einen Hauch von Interesse an ihr haben könnte. Ihre ganze Euphorie von heute Morgen war wie weggeflogen und nur noch das Gefühl der Unsicherheit nagte an ihr, während sie gedankenverloren ihr Hab und Gut wieder in die Tasche verstaute. Doch einen Augenblick später keimte erneut Hoffnung in ihr auf, als ihr seine Lieblingsstelle wieder ein fiel. Vielleicht war er gar nicht am Strand, sondern war genau da und sie nur am falschen Ort. Natürlich, wie konnte sie das nur vergessen? Das erklärte auch, warum sie ihn hier nirgends fand. Emma drehte sich mit neu gefassten Mut zu ihrer Schwester um und tippte ihr aufgeregt auf der Schulter. „Hey Lotte, hast du Lust eine Runde spazieren zugehen? Ich kenn` da `ne ganz tolle Stelle?“
„Och, eigentlich lieg` ich gerade so schön.“
„Ach Schwesterchen, komm schon, die Stelle ist wirklich schön und unterwegs erzähl` ich dir alles. Okay?“ Ungeduldig und völlig zappelig versuchte sie Lotte zu einem Ortswechsel zu bewegen – und wenn es bedeutete ihr Herz offen zu legen. Dann war das halt so. Es funktionierte. Lotte setzte sich mit einem breiten Grinsen auf.
„Alles?“
„Ja, alles was du wissen willst.“
„Na gut, aber ich will alles haarklein wissen.“ Die beiden Schwestern standen gemeinsam auf. Während Lotte schnell in ihren Rock sprang, zog Emma das Handy wieder aus dem Beutel und stopfte es in ihre Hosentasche. Für den Falls, dass Rob doch noch anrufen sollte, wollte sie es nicht verpassen. Die Euphorie hatte sie erneut gepackt und sie konnte es kaum erwarten, zur Klippe zu kommen, um ihn zu sehen.
Auf dem gesamten Weg löcherte Lotte sie mit all ihren Fragen zu Rob. Emma erzählte ihr, wie versprochen alles, was gestern geschehen war und was in ihr seitdem vorging. Sie schwärmte regelrecht von seiner Familie, Patty, seinem Humor, doch am meisten von ihm und seinem Abschiedsküssen. Je mehr sie erzählte, desto mehr geriet ihr Herz ins Stolpern und ein wohliges Kribbeln breitete sich in ihrem Bauch aus. Charlotte hingegen hing fasziniert an ihren Lippen und bombardierte sie mit immer mehr Fragen, sodass Emma fast zu spät bemerkte, dass sie angekommen waren.
„Wow, was für eine Aussicht.“ Völlig begeistert schritt Lotte weiter auf die Klippen zu, während ihre große Schwester nur abwesend ein: „Ja, sie ist traumhaft“, vor sich hin murmelte. Denn sie war bereits dabei den gesamten Bereich nach Rob oder seiner Familie absuchen – immer noch erfolglos. Aufmerksam lauschte sie auf jedes kleinste Geräusch, dass sich nach einer kleinen quirligen Hundedame anhören könnte. Doch außer dem seichten Wellenrauschen und den Möwen war nichts zu hören. Es war fast schon zu ruhig. Aber Emma hielt sich an ihre, wenn auch nur noch winzige, Hoffnung fest, denn eine Möglichkeit gab es noch. Langsam und innerlich flehend ging sie die kleine Erhöhung entlang, um an die abgelegene Stelle von gestern zu gelangen. Doch als sie dort ankam und vorsichtig um die Ecke lugte; auf die Stelle, wo seine Eltern gestern noch gelegen hatten, fiel all ihre Hoffnung wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Hier war niemand! Sie hatte sich vollkommen zum Affen gemacht – sich etwas vor gemacht und stand jetzt erneut enttäuscht da. Verärgert über sich selbst, drehte Emma sich um und ging schnellen Schrittes zurück zu ihrer Schwester, die noch immer den Ausblick aufs Meer in sich aufsog.
„Komm Lotte, wir gehen unsere Sachen holen und dann nach Hause“, sagte Emma entschlossen und die Traurigkeit in ihrer Stimme entging auch Charlotte nicht.
„Was? Wieso das denn? Wir haben doch noch 2 Stunden bis wir zuhause sein müssen“, protestierte diese verwundert, doch Emma wollte einfach nur noch weg von diesem Ort. Ihr war gänzlich die Laune auf Sommer, Sonne und Meer vergangen und wollte nur noch nach Hause sich die Decke über den Kopf ziehen.
„Ach bitte Lotte, ich mag einfach nicht mehr. Lass uns doch gehen.“ Wortlos folgte Lotte ihr zurück zum Strand, um dort nur schnell ihre Sachen in die Tasche zu stopfen und sich weiter auf den Weg zum Cottage zu machen. Ihre kleine Schwester schien zu spüren, wie Emma sich momentan fühlte und ließ ihr die Ruhe und den Abstand, den sie gerade brauchte.
Rob saß auf der Veranda, vor dem Ferienhaus seiner Eltern, und spielte gedankenverloren ein paar Akkorde auf seiner Gitarre, während Patty an seinen Füßen gekuschelt vor sich hin döste. Heute fühlte er sich nicht besonders gut, er hatte Kopfschmerzen und die Hitze machte ihm zu schaffen. Daher hatte er beschlossen zuhause zu bleiben, als seine Eltern auf die Idee gekommen waren einen Ausflug in die Stadt zu machen. Tom hatte sich ihnen angeschlossen, was auch besser war, denn Rob war nicht nach Reden oder Späßen zu Mute. Viel mehr war er schon den ganzen Tag in seinen Gedanken vertieft. Er zupfte an einer Saite und zum wiederholten Mal an diesem Tag, sah er das wundervolle Mädchen vor seinen Augen, das ihn so sehr verwirrte. Ihr Wesen, ihr Lächeln, ihre schokobraunen Augen. All jenes faszinierte ihn so sehr, dass er seit gestern Abend keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Er spürte dieses warme Kribbeln, welches seinen ganzen Körper durchfuhr, als er ihre sanfte Stimme in seinen Ohren hörte. „Würde mich freuen, wenn wir uns noch mal treffen“, hatte sie zu ihm gesagt. Bei der Erinnerung verfehlte er die Saite, und ein hoher schiefer Ton erklang. Patty sprang auf, stand vor ihm und bellte ihn an. „Ist ja gut, ich lass es besser“, murmelte er zu seiner Hündin und stellte die Gitarre zur Seite. Die kleine Hundedame schaute sein Herrchen mit schief gelegten Kopf argwöhnisch an. „Ach, Kleine“, seufzte er, nahm Patty auf seinen Schoss und strich durch ihr Fell. „Was sie wohl macht? Ob sie am Strand ist? Wieso geht sie mir nicht aus dem Sinn?“ Die kleine Hundedame hob ihren Kopf und schaute Rob neugierig an, als er die Worte eigentlich mehr zu sich selbst als zu ihr sprach. „Ob es ihr genauso geht? Ich habe gesagt, ich rufe sie an, aber wie soll ich das machen? Was soll ich sagen? Ich werd keinen Ton raus bekommen, wenn ich nur ihre Stimme höre.“ Rob sah seine Hündin fragend an, als er leise seinen Monolog weiterführte: „Ach Patty, warum kannst du nicht sprechen? Du bist doch eine kleine Dame, du weißt doch wie die Mädels ticken.“, während er sie dabei hochhob und in ihr Gesicht schaute, was sie wiederum direkt animierte seines mit Wonne abzuschlecken. „Komm, wir gehen rein und ich mach uns was zu essen“, sagte er lachend, setzte sie auf den Boden und ging ins Haus.
In der Küche angekommen öffnete er den Kühlschrank und nahm alle Zutaten für ein Sandwich raus. Patty stand schwanzwedelnd und bettelnd vor ihm. Er warf ihr eine Scheibe Truthahnbrust zu, machte das Radio an und legte alles auf die Küchenanrichte. Im Radio lief gerade das Lied „Tell Her“ von Jesse McCartney und er stimmte mit ein als er sich das Essen zubereitete.
If you see my girl
Just tell her I miss her smile
Tell her I'm counting the minutes
Gonna see her in a little while
I know when she
Holds on to me
She's the one thing that I could never live without....
Bei jeder Zeile, die er mitsang, dachte er an Emma und an ihre Art zu lachen. Nur allein die Vorstellung an sie, brachte schon sein Herz ins Stolpern. Er klappte sein Sandwich zu und wollte gerade hinein beißen, als ihm jemand kräftig auf die Schulter klopfte.
„Hey Alter, was hörst du denn hier für eine Schnulze?“ Tom stand plötzlich neben ihm und schaute ihn, mit einer hochgezogenen Augenbraue, verwundert an.
„Mann, jetzt hätte ich mir vor Schreck beinah auf die Zunge gebissen. Kannst du nicht aufpassen?“, entfuhr es Rob leicht angesäuert, doch Tom stand nur da und lachte.
„Heute etwas empfindlich, Mr. Pattinson?“ Sein Sarkasmus schwang unüberhörbar mit jedem einzelnen Wort in seiner Stimme mit. Was Rob gekonnt ignorierte, indem er sich umdrehte, das Radio ausmachte und sich im Wohnzimmer aufs Sofa fallen ließ. Tom und Patty folgten ihm. „Mensch, was ist dir denn heut über die Leber gelaufen? Du bist schon seit gestern Abend so abwesend.“
„Nichts“, brachte er nur knapp über seine Lippen, bevor er in sein Sandwich biss.
„Das kannst wem anderes erzählen, aber nicht mir.“ Tom ließ sich schwungvoll neben seinem genervten Kumpel aufs Sofa fallen.
War es hier nicht mal möglich, in Ruhe ein Sandwich zu essen?
„Wo sind denn meine Eltern?“, versuchte Rob das Thema zu wechseln, in der Hoffnung, dass ihm die Ablenkung gelang.
„Sie machen noch einen Spaziergang am Strand, bevor es dunkel wird.“
„Wie spät ist es denn?“
„Kurz nach 18 Uhr.“ Rob blieb vor Schreck fast sein Stück Brot im Hals stecken, als ihm bewusst wurde wie viel Zeit bereits vergangen war. Er hatte den lieben langen Tag nur damit verbracht, auf der Veranda zu sitzen und seinen Gedanken an Emma hinterher zu hängen, während er dabei völlig die Zeit vergessen hatte. Verlegen biss er erneut in sein Sandwich, als Tom ihm mit seiner Frage aus der Bahn warf. „Es ist wegen Ihr! Habe ich recht? Alter, hat sie dir so den Kopf verdreht?“
Rob spürte den wissenden und erwartungsvollen Blick von seinem Freund auf ihn Ruhen, was ihn unsicher auf seine Beine schauen ließ, als er ihm kaum hörbar antwortete: „Ja, irgendwie schon. Sie ist … einfach toll.“
„Ja Mann! Ich glaub es nicht, es hat dich erwischt“, grinsend aber auch zeitgleich verwundert darüber, wie Rob neben ihm saß, haute er direkt die nächste Frage raus: „Und warum sitzt du dann so bedröppelt hier rum?“
„Wo sollte ich denn sein?“
„Na bei Ihr, vielleicht?!“
„Ich weiß ja nicht mal, ob sie genauso denkt oder empfindet“, er hob unsicher den Kopf, zuckte mit den Schultern und schaute das erste Mal im Laufe des Gesprächs seinen Kumpel an.
„Indem du hier sitzt und an deinem Sandwich mümmelst, wirst du es wohl kaum erfahren.“ Tom verdrehte die Augen. So schwer von Begriff konnte er doch jetzt nicht sein.
„Glaubst du denn, sie empfindet nicht so?“
„Ich weiß nicht. Sie sagte, sie würde sich freuen, wenn sie mich wiederzusehen könnte ...“ Es trat eine kurze Pause ein, bevor Rob murmelnd weitersprach: „...und wir haben die Nummern ausgetauscht“.
Fassungslos sprang sein bester Kumpel auf und preschte, voller Unglauben darüber was ihm gerade zu Ohren gekommen war, los:
„Alter, auf was für einem Mond lebst du? Sie findet dich auch toll, sonst hätte sie Dir ihre Nummer nicht gegeben. Sie sitzt bestimmt zuhause und hypnotisiert schon das Telefon.“
„Meinst du wirklich?“, fragte er verunsichert darüber, ob Tom vielleicht doch recht hatte, als ihm ein weiteres Detail von gestern einfiel. „Ich hab auch noch gesagt, dass ich mich melde.“ Langsam überfiel ihn ein schlechtes Gewissen, weil er sein Wort nicht gehalten hatte und er begann zu befürchten, dass es jetzt zu spät sein könnte. Er war so ein Idiot!
„Mann, klar sitzt sie davor und wartet. Mädels sind so. Hab ich mal gehört.“ Tom zwinkerte ihm mit einem frechen Grinsen zu.
„Tom, ich kann das nicht. Was soll ich denn überhaupt sagen?“
„Lad sie ein. Zum Eis essen, Kino oder einfach zum Schwimmen. Sie wird sich freuen. Da bin ich mir sicher. Die verpasst dir keinen Korb.“ Zweifelnd sowie schweigend saß Rob auf dem Sofa und wusste nicht, was er von all dem halten sollte – schon gar nicht, wie er jetzt handeln sollte. Hatte er den Mut, sie anzurufen, oder sollte er es lieber doch sein lassen? Ach, wenn er es nicht täte, würde er es sicher bereuen. Aber wie sollte er es anstellen? Ohne Vorwarnung riss Tom ihn aus seinen Gedanken und an seinem Arm hoch, dabei hielt er ihm sein Handy unter die Nase.
„Du nimmst jetzt das Ding und ruf sie an! Du wirst es sonst noch bitter bereuen. Und ich erst, wenn ich mir die nächsten Tage dein Gejammer anhören muss. Verstanden?!“
Rob stand völlig überrumpelt da und schaute seinen Freund mit aufgerissen Augen an. Die Ansage war deutlich, aber er hatte recht - Er würde sich definitiv in den Hintern beißen, wenn er jetzt nicht seinen inneren Schweinehund überwand. Entschlossen nahm er das Handy, legte sein angeknabbertes Brot auf den Tisch und ging Richtung Tür.
„Na gut, ich bin dann draußen.“
Als er auf die Veranda trat, zog er den Zettel aus seiner Tasche, klappte das Handy auf und wählte zitternd Emmas Nummer. Nervös und tief durchatmend hielt er sich das Telefon ans Ohr, als das erste Freizeichen ertönte.
Auf dem Weg zurück zum Haus, sah Emma immer wieder auf ihr Handy, ob Rob sich nicht doch noch meldete. Leider gab das dumme Teil keinen einzigen Ton von sich und blieb stumm wie ein Fisch.
Mittlerweile waren ihre Eltern auch wieder zuhause angekommen und tauschten sich mit Lotte über die Erlebnisse des Tages aus. Aber nach einem fröhlichen Miteinander war ihr so gar nicht zu Mute. Also begrüßte sie ihre Eltern nur mit einen knappen „Hallo“ und zog sich dann zügig in ihr Zimmer zurück und ließ sich auf ihr Bett fallen. Mit angezogen Beinen, die von ihrem Armen umschlossen waren, saß sie stumm auf der Matratze und lauschte niedergeschlagen der Musik, die sie sich angemacht hatte.
Warum war er nicht da gewesen? Warum rief er sie nicht an? Hatte sie sich alles nur eingebildet? War es von ihr Wunschdenken? Ihre Gedanken fuhren Achterbahn in ihrem Kopf und zogen ihre Stimmung immer weiter in den Keller.
"Wäre ja auch zu schön gewesen, um wahr zu sein", murmelte sie frustriert in ihren Schoß, als sie ihr Gesicht in ihre Beine vergrub. Immer wieder schob sich sein Gesicht vor ihr inneres Auge und sie spürte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. Das durfte doch jetzt nicht wahr sein. „Jetzt mach mal kein Drama daraus. Er hat sich nicht gemeldet, na und? So schlimm ist das jetzt auch wieder nicht“, sagte sie entschlossen zu sich selbst, rieb sich kurz mit den Händen übers Gesicht und versuchte so gegen die aufkommenden Tränen anzukämpfen. Genau in diesem Moment sprang mit voller Wucht die Tür auf und Charlotte kam wild wedelnd mit ihrem klingelnden Handy in der Hand ins Zimmer gestürmt.
„Es ist Rob, es ist Rob“, quietschte sie vor Aufregung, während sie weiterhin das läutende Etwas vor Emmas Nase hin und her schwang. Hektisch und nervös sprang Emma vom Bett auf und lief auf ihre Schwester zu. „Nun gib schon her!“, schrie sie vor lauter Euphorie fast ihre Schwester an, während sie ihr das vibrierende Teil aus der Hand riss. Sie atmete noch einmal tief ein und aus, klappte es dann hastig auf, wobei sie befürchtete, dass ihr Herz jeden Moment den Dienst quittieren würde. Mit leiser und zittriger Stimme sprach sie schließlich ins Mikrofon: „Hallo, Emma hier“. Für einen kurzen Moment war es still und sie konnte nur ein schweres Atmen am anderen Ende der Leitung wahrnehmen, während sie im Zimmer unruhig umher lief. Lotte stand wie angewurzelt auf demselben Fleck und beobachtete neugierig die Szenerie.
“Hey, ich bins, Rob." Seine Stimme war genauso leise und unsicher wie die ihre und ließ ihr Herz für einen Bruchteil einer Sekunde ausfallen.
„Ähm, Hallo Rob, schön dass du dich meldest“, stotterte sie und gab, winkend, Lotte das Zeichen den Raum zu verlassen. Doch diese dachte gar nicht daran und machte es sich auf ihrem Bett bequem.
„Wie geht es dir? Hattest du einen schönen Tag?“, fragte er, während sie mit den Armen wild gestikulierend versuchte, Lotte aus dem Raum zu bewegen. Ihre Schwester grinste sie jedoch nur frech an.
„Ähm, ja gut“, antwortete sie knapp und abwesend, als die den Hörer vom Ohr nahm, das Mikrofon zu hielt und mit verengten Augen sowie drohender Stimme Lotte ansprach: „Geh jetzt endlich raus und lass mich in Ruhe!“ Ihre Schwester verzog ihre Lippen zu einem ausgewachsenen Schmollen und verließ augenrollend das Zimmer, wobei sie die Tür laut ins Schoss fallen ließ. Erleichtert den kleinen Quälgeist los zu sein, nahm Emma wieder das Handy ans Ohr und hörte Rob direkt sagen: „Oh, ich störe wohl?“ Seine Frage klang traurig und sie bekam Angst, er würde wieder auflegen.
„Nein, Nein, gar nicht. Ich hab nur zu meiner Schwester gesprochen“, erklärte sie schnell, während sie immer unruhiger im Raum umherlief.
„Ach so … na dann.“ Rob lachte leise und ihr fiel vor Erleichterung ein Stein vom Herzen.
„Wie war denn dein Tag?“, unterbrach Emma die unangenehme Stille, die wieder kurzzeitig hereingebrochen war. Man merkte, wie beide versuchten, die richtige Worte zu finden und nicht wussten, was sie sagen sollten.
„Er war ruhig aber schön. Ich hab ein bisschen Gitarre gespielt und mich ein wenig entspannt."
„Oh, das hört sich sehr schön an. Ich war mit Lotte am Strand...und dann...dann waren wir an den Klippen."
„Bei meiner Lieblingsstelle?", hakte Rob aufmerksam nach.
„Ja...genau dort." Emma war froh, ihm jetzt nicht gegenüberzustehen, denn ihre Wangen liefen vor Verlegenheit rot an und sie senkte automatisch den Blick zu Boden. Völlig idiotisch, dachte sie.
„Hör mal, Emma“, Robs Stimme zitterte, als er sich endlich ein Herz fasste, um sie fragen: „Hast du vielleicht Lust dich morgen mit mir zu treffen?“
„Ja, … ja sicher“, schoss es, ohne zu überlegen aus ihr raus und sie spürte, wie eine Horde Schmetterlinge in ihrem Bauch begannen wie wild zu flattern.
„Okay, worauf hast du denn Lust?" Seine Erleichterung war ihm deutlich anzuhören und plötzlich fiel ihm das Plaudern mit ihr ganz leicht. Seine Freude über ihre Zusage überdeckte schlagartig seine Nervosität.
„Hm, weiß nicht...“ Super Antwort Frau Hillington. Geht’s nicht noch bescheuerter? Während sie sich in Gedanken selbst beschimpfte, schlug sie sich die Hand vor die Stirn. Autsch! Sein Kichern holte sie direkt aus ihrem inneren Monolog und erneut lief sie schlagartig rot an. Ganz toll!
„Magst du zum Strand, … Eis essen … oder ins Kino gehen?“
Jetzt war es an ihr zu schmunzeln. So süß wie er sie fragte, machte ihr Herz erneut einen Hüpfer und ihr Puls begann zu rasen. Wie war das nur möglich, dass er allein am Telefon, ihre Gefühle so durcheinanderbringen konnte. Ihr war völlig egal, was sie mit ihm unternehmen würde. Die Hauptsache war, sie würde die Zeit mit ihm verbringen. Ganz gleich wie.
„Bist du noch da?“ Emma war nicht bewusst gewesen, wie lange sie still war – zu still, sodass Rob fast schon befürchtet hatte, sie hätte aufgelegt gehabt.
„Ähm, ja, ich bin noch da. Eis essen hört sich gut an.“
„Okay, dann machen wir das.“
„Ich freu mich“, sagte sie, während sie übers ganze Gesicht strahlte.
„Hast du Lust auch auf einen Ausflug? Dann zeig ich dir, wo man das beste Eis essen kann!“
„Einen Ausflug?“ Überrascht, was er mit Ausflug meinte, setzte sie sich aufs Bett und wartete auf seine Erklärung.
„Hier im Ort gibt es keine Eisdiele, aber in Mousehole gibt es das beste Eis. Wenn du magst, können wir dort mit dem Fahrrad hinfahren.“ Oh, damit hatte sie nicht gerechnet. Eine richtige Fahrradtour hatte sie schon ewig nicht mehr gemacht. Das wäre wirklich was. Zudem es sehr wahrscheinlich war, dass sie dadurch viel Zeit mit Rob verbringen würde.
„Das hört sich toll an, da bin ich dabei. Aber ich muss das nur kurz mit meinen Eltern absprechen. Kannst du eben dran bleiben?“
„Ja klar, mach nur, … ich warte“, antwortete er völlig gelassen, als Emma ihr Handy vom Ohr nahm und gleichzeitig die Tür öffnete. Beim Herausrennen blieb sie mit dem Top an der Türklinke hängen und fluchte wie ein kleiner Rohrspatz.
„Aua, verdammt“, hörte Rob sie durchs Telefon schimpfen, worauf ein hektisches Rascheln folgte. Er grinste in sich hinein, als er sich auf den Stuhl setzte und sich relativ entspannt, zurücklehnte. Er war zwar noch nervös, aber er freute sich sehr, dass es Emma offenbar genauso erging.
Emma rannte, nach ihren Eltern rufend, durchs Cottage bis sie sie schließlich im Wohnzimmer auffand.
„Da seid ihr ja“, japste sie atemlos und schaute in drei verwunderte Gesichter.
„Was ist denn mit dir los, du bist ja total aufgeregt?" Ihr Vater klang schon ein wenig besorgt, als er seine Tochter völlig von der Rolle vor sich stehen sah.
„Mum, Dad, darf ich morgen mit Rob einen Ausflug nach Mousehole machen?“ Ihr Herz raste vor Aufregung und ihre Eltern schauten sich überrascht an, bevor sie zeitgleich fragten: „Alleine?“
„Ja, Rob möchte mit mir das beste Eis in Cornwall essen. Wir würden mit dem Fahrrad fahren. Bitte!“ Die letzten Worte glichen einem Flehen, während sie voller Ungeduld zwischen ihren Eltern hin und her schaute.
„Wann wollt ihr euch denn treffen?“, fragte Clara ihre Tochter.
„Weiß ich gar nicht. Moment.“ Das war ihr total entfallen. Sie hatten noch gar keine Zeit und Treffpunkt vereinbart gehabt. Sie nahm direkt das Handy ans Ohr, drehte sich um und hoffte, Rob war noch dran.
„Ähm, Rob bist du noch da?“
„Ja“.
„Wann wollen wir uns denn treffen und wo?“
„Hm, was hältst du davon, wenn wir uns um 12 Uhr am Strand treffen, da gibt es einen Fahrradverleih. Wir haben dann genug Zeit.“ Beim Klang seiner Stimme begannen augenblicklich die Schmetterlinge in ihrem Bauch wieder lebendig zu werden. Es war ein so unbekanntes aber auch wunderschönes Gefühl.
„Ja, okay. Ich klär das eben mit meinen Eltern. Bin gleich wieder da.“ Ohne auf seine Antwort zu warten, drehte sie sich wieder zu Will und Clara um und erklärte ihnen alles Weitere. Sie versicherte ihnen vorsichtig und auch pünktlich wieder daheim zu sein. Sie wollte unbedingt den morgigen Tag mit Rob verbringen. So komme was wolle. Unendliche Sekunden – Minuten- vergingen, während ihre Eltern untereinander diskutierten. Clara war besorgt sie allein fahren zu lassen und Will war der Meinung, dass sie ihr ruhig weiter vertrauen könnten. Schließlich hatte es heute auch gut geklappt. Lotte würdigte derweil Ihre Schwester keines Blickes, sie schien wirklich eingeschnappt zu sein, während Emma immer ungeduldiger auf die Antwort ihrer Eltern wartete, bis endlich die erlösenden Worte ihres Vaters kamen: „Okay, Emma du darfst morgen gehen.“ „Oh, Danke, danke“, freute sie sich, drehte sich auf den Absatz um und rannte freudig zurück in ihr Zimmer.
„Rob, es geht klar, meine Eltern haben ihr Okay gegeben." Ihre Begeisterung und Freude schrie sie förmlich in den Hörer, was Rob zum Lachen brachte.
„Toll, ich freu mich“, erwiderte er ebenfalls mit einem Grinsen auf den Lippen.
„Ich mich auch. Hach, das wird bestimmt toll. Ich bin schon ganz aufgeregt." Erschrocken über ihren Gefühlsausbruch, schüttelte Emma augenrollend den Kopf. Das durfte doch nicht wahr sein. Wie blöd musste man denn sein, sich zu dieser unüberlegten Aussage verleiten zu lassen? Sie ärgerte sich maßlos über sich selbst. Doch Rob schien ihre Äußerung nicht ganz mitbekommen zu haben – oder er ignorierte es einfach, als er ihre Gedankengänge erneut unterbrach.
„Das wird es bestimmt. Kennst du an der Strandpromenade den kleinen Souvenirladen?“
„Ja, den an der Ecke meinst du? Den kenne ich.“
„Genau, dann treffen wir uns morgen da, Okay?“
„Gerne, den finde ich auch“, antwortete Emma mit einem Lachen in ihrer Stimme und ließ sich erleichtert auf ihr Bett fallen. Rob stimmte mit ins Lachen ein, bevor er abrupt das Gespräch beenden wollte.
„Du Emma, tut mir leid, aber ich muss jetzt Schluss machen. Meine Eltern kommen gerade nach Hause", sagte er traurig und wirkte auf Emma wieder recht angespannt. Anscheinend wollte er nicht, dass seine Eltern das Gespräch mitbekamen, was sie wirklich verstehen konnte. Auch wenn sie sich nur schweren Herzens von ihm verabschieden konnte. Denn sie hätte noch ewig mit ihm telefonieren und seiner sanften Stimme zuhören können.
„Ist okay, ich muss auch so langsam auflegen. Ich wünsch dir noch einen schönen Abend und ich freue mich auf morgen.“
„Das wünsche ich dir auch und ich freue mich auch. Bis morgen“.
„Bis morgen“ wiederholte sie und klappte das Handy zu.
Einen Moment saß Emma wie erstarrt auf ihrem Bett und konnte nicht fassen, was gerade passiert war. Es war alles so surreal, bis sie plötzlich aufsprang und; Er hat mich angerufen, er hat mich wirklich angerufen – tanzend durchs Zimmer sang. Sie genoss das Glücksgefühl und vergessen waren die vorangegangen Stunden der Enttäuschung und der Zweifel. Emma zog ihren MP3-Player aus der Tasche, die neben ihrem Bett stand, steckte die Stöpsel in die Ohren und drehte die Musik laut auf. Wobei sie noch immer tanzend im Raum umherwirbelte, bis sie sich bäuchlings auf die Matratze schmiss und sich zu Rob träumte.
Den ganzen Abend war sie bester Stimmung. Sie spaßte mit ihrer Familie rum und bekam ihr Strahlen nicht mehr aus dem Gesicht. Ihren Eltern wurde es langsam unheimlich, sie so ausgelassen zu sehen. Lotte hingegen schaute sie immer nur missmutig an und sprach kein Wort mit ihr. Sie wollte nicht einmal wissen, was genau die beiden sich zu erzählen hatten. Anscheinend war ihre Schwester noch immer sauer auf sie, weil Emma sie aus dem Zimmer geschmissen hatte. Doch das war ihr gerade egal, sie wollte sich ihre gute Laune und Vorfreude auf morgen, nicht verderben lassen.
Als sie endlich im Bett lag, fand sie vor lauter Aufregung nicht in den Schlaf, während Charlotte bereits tief und fest im Land der Träume war und leise vor sich hin schnarchte. Seufzend drehte sie sich um und versuchte abermals in den Schlaf zu gleiten.
Morgen werde ich ihn wiedersehen, dachte sie und schlief mit seinem Gesicht vor Augen, endlich ein.
Kapitel 4
Erstes Date
Rob stand vorm Badezimmerspiegel und kämpfte mit seinen blonden, etwas zu lang geratenen und strubbeligen Haaren.
Er wusste einfach nicht, was er mit ihnen anstellen sollte. Immer wieder kämmte und zupfte er daran herum, aber sie wollten einfach nicht so liegen bleiben, wie es ihm gefiel.
„Mann, so sehe ich doch wie ein Volldepp aus“, schimpfte er und schmiss die Bürste frustriert ins Waschbecken. In einer Stunde würde er Emma treffen, und jetzt wollten die verdammten Haare einfach nicht so, wie er wollte. Genervt griff er zum Wäschekorb, zog eine schwarze Wollmütze heraus und zog sich diese über den Kopf.
„Dann halt so!“ Unzufrieden betrachtete er sich noch einmal im Spiegel, bevor er schließlich seufzend das Bad verließ. Auf dem Weg in sein Zimmer lief ihm seine Mutter über den Weg, die ihn verwundert über sein Erscheinungsbild anschaute.
„Morgen Rob.“ Mit einem eingehenden Blick betrachtete sie ihren Sohn von oben bis unten, bevor sie vorsichtig fragte: „Hmm Schatz, du willst doch nicht so gehen, oder?“
„Morgen. Natürlich will ich so gehen. Was gibt es denn daran zu beanstanden?“, antwortete er, als er an ihr vorbeirauschte und durch seine Zimmertür huschte.
„Draußen sind fast 30 Grad und du setzt eine Beanie auf? Und schau dir doch mal deine Hose an.“ Rob blieb abrupt stehen, schaute an sich runter und zuckte nur mit den Schultern.
„Was?“ Er verstand den Einwand seiner Mutter nicht. Es war doch alles wie immer, bis auf seine verfluchten Haare. Außerdem trug er seine Mütze nicht zum ersten Mal bei der Wärme. Also war das nichts Neues für sie.
„Die ist doch total löchrig, dass macht doch keinen guten Eindruck aufs Mädchen.“ Clare, die mittlerweile auch sein Zimmer betreten hatte, stand direkt neben ihm und schüttelte den Kopf.
„Ach Mum, … das ist heute modern.“ Mit den Augen rollend wandte er sich von seiner Mutter ab und marschierte Richtung Schrank.
„Na dann. Dann lass ich dich mal in Ruhe weiter kramen. Vielleicht solltest du aber wenigstens die Mütze absetzen?“, sagte sie mit einem Schmunzeln auf ihren Lippen, während sie den Raum verließ und die Tür hinter sich zu zog. Sie spürte genau wie angespannt ihr Sohn war und beschloss ihn seine Ruhe zu lassen. Es war für sie ungewohnt ihn so nervös wegen eines Mädchens zu sehen.
„Mütter, immer diese Mütter“, murmelte Rob und öffnete seinen Schrank. Obwohl seine Mutter ihn gerade ziemlich genervt hatte, hatte sie ihn gleichzeitig auch verunsichert. Nervös wühlte er in der Schublade rum, während sich seine Gedanken überschlugen. Was wenn er ihr nicht gefiel? Was, wenn ihr der ganze Ausflug mit ihm nicht gefiel? Was, wenn all seine Bemühungen umsonst wären? Je mehr er nachdachte, desto unsicherer wurde er. Mittlerweile flog eine Hose nach der anderen auf den Boden, die er aus dem Schrank zog, kurz betrachtete und die seiner Bestandsprobe nicht standhielt.
„Hey, Alter, was´n bei Dir los?“ Tom kam, mit Patty im Schlepptau, ins Zimmer und schaute irritiert zwischen dem Stapel Hosen und Rob hin und her. Die Hundedame setzte sich zu seinen Füßen und blickte Rob mit schiefgelegtem Kopf fragend an.
„Ich suche ´ne andere Hose. Mann Alter, ich bin total nervös“, platzte es aus ihm raus und resigniert schmiss er, auch noch die letzte verbliebende, Hose auf den Wäscheberg. Sein bester Kumpel der völlig überrascht von der Stimmungslage von ihm war, griff zielsicher in den Textilhaufen und zog eine Jeans heraus.
„Ey, bleib mal ganz ruhig“, sagte er total entspannt und hielt Rob die Hose direkt vor die Nase. „Nimm einfach die. Die passt zu deinem Shirt.“
„Meinst du wirklich?“
„Nimm sie einfach. Das passt!“
„Okay, danke.“ Während sich Rob umzog, versuchte Tom ihn ein wenig zu beruhigen. Er konnte ja nicht zulassen, dass sein Kumpel vor lauter Nervosität fast durchdrehte.
„Es wird schon alles toll werden. Wirst schon sehen, sie wird hin und weg sein.“
„Und was ist, wenn es Ihr nicht gefällt, oder ich sie zu Tode langweile?“ Nervös zupfte er an der Jeans herum, damit bloß alles perfekt saß – zumindest hoffte er das.
„Du und langweilig? Du haust doch eh einen Spruch nach dem anderen raus. Glaub mir, sie wird aus dem Lachen schon nicht rauskommen. Jetzt mach dich doch nicht so verrückt. Sie ist bestimmt genauso aufgeregt wie du. Ihr solltet vielleicht besser aufpassen, dass ihr nicht mit den Fahrrädern ineinander kracht.“ Tom kam auf ihn zu, legte seinen Arm um seine Schulter und zwinkerte ihm spielerisch zu. Bei dem Anblick konnte Rob sein Lachen nicht verkneifen und schüttelte dabei den Arm seines Freundes von seinen Schultern.
„Na, so gefällst du mir schon besser“, antwortete dieser schmunzelnd und ließ sich dabei aufs Bett fallen. „Wann wollt ihr euch treffen?“
„Um zwölf an der Strandpromenade.“
„Dann halt dich mal ran, Mann. Sonst kannst du alleine los radeln.“
„Verdammt“, fluchte Rob, als sein Blick auf die Uhr fiel. Hastig griff er nach seinem karierten Hemd und lief in den Flur. Die kurzweilig eingesetzte Entspannung war mit einem Schlag verrauscht und wich der neu aufkommenden Nervosität – mit voller Wucht. Dazu gesellte sich nun auch die Hektik, da es bereits schon viertel vor zwölf war. Er musste sich schleunigst beeilen, damit er nicht zu spät kam. An der Tür angekommen schlüpfte er eilig in seine schwarzen Sneaker und schnappte sich seine Geldbörse von der Kommode. Patty war ihm neugierig hinterhergerannt und schaute ihn erwartungsvoll und schwanzwedelnd an, während Tom langsam hinterher schlurfte.
„Patty, heut kann ich dich nicht mitnehmen. Du bleibst brav bei Tom.“ Er strich ihr schnell übers Fell, wobei er sie ermahnte artig zu sein. Mit einem flüchtigen „Bye“ verließ er hektisch das Haus und ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen.
Als Rob völlig außer Atem am Treffpunkt ankam, war von Emma noch nichts zu sehen. Ungeduldig hielt er über die gesamte Strandpromenade nach ihr Ausschau. Ob er sie irgendwo erblicken konnte – doch nirgends war sie zu sehen. Wiederholt ertappte er sich, wie er auf seine Uhr und erneut den Blick über den Strandabschnitt schweifen ließ. Sie würde ihn doch nicht versetzen? Sie hatte es sich doch wohl nicht anders überlegt? Es war mittlerweile kurz nach zwölf und noch immer war Emma nicht da. Wo sie bloß blieb? Rob spürte, wie sich unter seiner Nervosität immer mehr die Unsicherheit mischte und er begann mit den Fuß auf den Bordstein zu wippen.
Bitte lass sie kommen ... Bitte, begann er sein gedankliches Mantra herunterzubeten, bis er plötzlich ein zaghaftes Tippen auf seiner Schulter spürte. Augenblicklich drehte er sich um und sein Atem stockte, als er direkt in Emmas schokoladenfarbenen Augen schaute. Ihre Blicke verharrten ineinander und Rob war nicht in der Lage irgendetwas zu sagen, geschweige denn sich zu rühren. Er musste gerade wie ein kleiner grenzdebiler Junge auf sie wirken, doch er war zu keinerlei Reaktion fähig. Ihr Anblick überwältigte ihn und traf ihn mitten in sein Herz. Emma war wunderschön und ihr Lächeln war das Schönste, was er je gesehen hatte. Verlegen und unsicher lächelte er zurück, doch zu mehr Regung war er nicht fähig. Sein Kopf war wie leer gefegt und sein Körper blieb weiter erstarrt an Ort und Stelle stehen.
„Hallo Rob“, drang ihre sanfte Stimme zu ihm durch und unterbrach die unangenehme Stille.
„Hallo Emma, … Öhm …, ja schön, dass du da bist“, brachte Rob nur stotternd über seine Lippen und kam sich dabei wie der letzte Depp vor.
Das lief ja super – nicht!
Während er sich über sich selbst ärgerte, sah er aus dem Augenwinkel, wie sich Emmas Wangen röteten und sie rasch ihren Kopf senkte. Es schien ihr genauso zu ergehen wie ihm. Sie war verlegen und wirkte verunsichert. Eine kleine Welle der Erleichterung breitete sich in ihm aus - vielleicht war sein Auftritt ja gar nicht so schlimm? Für einen kurzen Moment schauten sie beide hilflos, wie sie nun mit der Situation umgehen sollten, auf den Boden, bis Rob seinen Mut zusammennahm: „Du schaust toll aus.“
Seine Worte ließen Emma erneut die Hitze in ihre Wangen steigen. So ein Mist – war das peinlich. Sicherlich war ihm aufgefallen, dass ihr Gesicht wie ein Leuchtturm begann zu glühen. Vergebens versuchte sie ihre roten Wangen vor ihm zu verbergen, denn solche Gefühle hatte noch kein Junge bei ihr ausgelöst und sie hatte keine Ahnung, wie sie damit umgehen sollte. Und ausgerechnet jetzt machten sich auch noch die kleinen Flattermänner in ihrem Bauch bemerkbar.
Na, wunderbar.
Ihr war klar, dass sie langsam mal reagieren oder etwas erwidern sollte, bevor er noch den Eindruck bekam, sie wäre nicht mehr ganz bei Sinnen. Also schloss sie für einen Bruchteil einer Sekunde die Augen, atmete kurz durch, um ihr rasendes Herz etwas zu beruhigen, und lächelte ihn schüchtern an: „Oh, danke, du aber auch.“ Und wie er das tat.
Da war es – Ihr Lächeln – was Robs Herz wieder einmal ins Stolpern brachte. So sehr, dass er befürchtete, es würde jeden Moment aussetzen. Er verspürte plötzlich das Bedürfnis, sie in den Arm nehmen zu wollen, doch er traute sich nicht. Vielleicht wollte Emma das auch gar nicht. Vielleicht würde sie es als zu forsch oder unangebracht empfinden. Also entschied er sich, es bei einem Lächeln zu belassen. Aber eigentlich ärgerte er sich darüber, dass er so schüchtern und unsicher war.
„Was machen wir denn jetzt als Erstes, Rob?“
„Ich dachte, wir leihen uns jetzt zwei Fahrräder aus und fahren dann nach Mousehole. Ich kenne eine schöne Strecke, die am Strand entlang führt. Es ist zwar ein wenig hügelig, aber macht Spaß.“
„Ja, dann lass uns gehen, bevor alle Räder weg sind und wir noch Inline Skaten müssen.“ Schelmisch zwinkerte Emma ihm zu und er merkte, wie seine Anspannung langsam von ihm abfiel.
„Oh, da breche ich mir nur die Beine, das kann ich gar nicht“, antwortete er und grinste sie mit seinem schiefen Lächeln an.
„Ich auch nicht, dann würden wir wohl eher den Weg vermessen als Eis zu essen.“ Lachend machten sie sich auf den Weg zum Verleih, der nur ein paar Läden von ihrem Treffpunkt entfernt war.
Unterwegs besorgte Rob noch ein paar Sandwiches und Getränke, wobei er sich es nicht nehmen ließ, diese zu bezahlen. Für ihn kam es gar nicht infrage, dass Emma etwas beisteuerte, auch wenn sie das anders sah. Als sie schließlich den Fahrradladen betraten, hatten sie Glück, denn es waren nur noch zwei Mountainbikes da. Nur ein einsames Tandem stand noch in der hinteren Ecke, welches Emma sofort entdeckte. „Schau mal Rob, mit so eines wollt ich schon immer mal fahren.“ Begeistert stupste sie Rob am Arm an, der gerade dabei war nach dem Inhaber Ausschau zu halten. „Das ist nicht dein Ernst“, antwortete er verblüfft, während er skeptisch auf das Gefährt starrte.
„Doch, das muss total lustig sein.“
„Öhm, ja, aber du weißt nicht, was du dir mit mir da antust.“
„Wieso?“ Emma schaute ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue fragend an.
„Na ja, ich bin manchmal etwas, sagen wir so, ungeschickt. Ich würde dir davon abraten.“
„Ach, du meinst, es ist für mich sicherer mit einen eigenen zu fahren? Dann will ich das Risiko mal lieber nicht eingehen.“ Ohne darüber nachzudenken knuffte sie ihm spielerisch in die Seite, was Rob zusammenzucken und auflachen ließ. Wo kam denn plötzlich diese Leichtigkeit her? Langsam schien die Unsicherheit der Ausgelassenheit zu weichen und beide begannen sich in der Gegenwart des anderen so leicht und pudelwohl zu fühlen.
„Hallo, kann ich euch helfen?“, unterbrach eine raue Stimme ihr kleines Geplänkel und beide drehten sich um.
„Ja, Hallo. Wir hätten gerne die beiden Räder ausgeliehen“, übernahm Rob das Gespräch, während er auf den kleinen kahlköpfigen Mann, der hinter der Theke stand, zuging und alles Weitere besprach.
Nur wenige Minuten später standen sie mit beiden Fahrrädern auf der Strandpromenade. „So, auf gehts. Bist du bereit?“, fragte Rob aufgeregt, nachdem er endlich die Verpflegung in den Satteltaschen verstaut hatte.
„Von mir aus kanns losgehen.“
„Okay, auf zum besten Eis der Insel. Folgen sie mir bitte unauffällig.“ Noch während er die Worte aussprach, schwang er sich aufs Rad und trat kräftig in den Pedalen. Emma hatte Mühe mit ihm mitzuhalten, als er unvermittelt los düste und ihm schmunzelnd: „Hey, Moment!“, hinterherrief, während sie ihm versuchte zu folgen.
„Na, los du Schneckchen…“, witzelte er, als er kurz zurückblickte und sah, dass Emma ein Stück weit hinter ihm war. Und erneut brachte ihr Lächeln sein Herz ins Stolpern. Emma hingegen spornte seine freche Aufforderung an und sie legte kräftig an Tempo zu. „Das wollen wir mal sehen, wer hier das Schneckchen ist. Nimm dich in Acht!“
Eine ganze Weile boten sie sich ein Wettrennen mit einem ausgelassenen Schlagabtausch, wobei sie viel lachten. Emma schaffte es aber nicht, Rob zu überholen. Jedes Mal, wenn sie fast auf seiner Höhe war, legte er noch mal einen Zahn zu. Woher nahm er nur die Energie? Ihre schien derweilen abhandengekommen zu sein und langsam ging ihr die Puste aus. Gerade als sie kapitulieren wollte, verließ Rob den befestigten Weg und bog in einen kleinen Trampelpfad ein, der direkt auf die, mit Moos und grasbewachsenen, Klippen führte. Die Strecke hatte es in sich. Der Weg war ziemlich uneben und durch den Anstieg schwer zu befahren. Aber der Ausblick auf die Landschaft entschädigte für jede Anstrengung, die sie dafür in Kauf nehmen mussten. Rob ließ sich langsam zurückfallen, sodass Emma auf seiner Höhe anschließen konnte. Sie unterhielten sich und bestaunten die Natur, bis er an einer kleinen Bucht zum Stehen kam.
„Was hältst du davon, wenn wir hier eine Rast machen“, fragte er Emma außer Atem, die direkt neben ihm anhielt.
„Da bin ich eindeutig für“, japste sie und stieg keuchend vom Rad. Ihre Beine waren wie Gummi, denn sie hatte kaum noch Kraft in ihnen und war froh eine Pause zu bekommen. Zumal ihre Kehle völlig ausgetrocknet war und sie befürchtete wieder ein Gesicht, wie eine Tomate zu haben. Diesmal aber nicht vor lauter Scham, sondern einfach nur wegen der Anstrengung. Zu ihrer Erleichterung sah Rob auch nicht viel besser aus, als er vom Rad stieg und dieses ins Gras fallen ließ.
Robs Waden schmerzten, denn er war wohl doch ein wenig zu übereifrig gewesen, als er sich auf das Wettrennen mit Emma eingelassen hatte. Er hätte seine Kraft besser aufteilen müssen, aber es hatte so viel Spaß gemacht Emma herauszufordern. Außerdem hatte sich dadurch die Stimmung zwischen ihnen merklich entspannt und er konnte seine Schüchternheit etwas ablegen. Doch Emma machte es ihm auch einfach – denn, sie teilte den gleichen Humor mit ihm. Als er sich zu ihr umdrehte, um ihr das Bike abzunehmen, berührte er unabsichtlich ihre Hand und augenblicklich begann es in seinem Bauch zu kribbeln. Doch diesmal zog Emma ihre Hand nicht zurück, obwohl Rob meinte zu sehen, wie sich ihre Wangen noch eine Spur roter verfärbten. Zum zweiten Mal an diesem Tag schien die Welt für einen Moment still zu stehen, als ihre Blicke aufeinandertrafen.
„Wo, ...wo magst du dich hinsetzen?“, unterbrach Rob diesen wunderbaren Augenblick zwischen ihnen und konnte sich nur zögerlich von ihren schokoladenfarbenen Augen lösen. Emma biss sich verlegen auf die Unterlippe und brachte nur stotternd: „Äh, da drüben sieht´s gut aus“, hervor, wobei sie schnell auf eine flache Stelle aus Gras und Steinen zeigte. Rob nickte stumm und nahm die Getränke aus der Fahrradtasche. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Emma schon an der Bucht stand und verträumt in die Ferne schaute. Wie schön sie doch ist, dachte er, als er langsam auf sie zuging. Immer mehr breitete sich dieses Kribbeln, wie tausend flatternde Schmetterlinge, in seinem Körper aus und je länger er sie betrachtete, desto mehr verdrehte sie ihm den Kopf.
„Was macht sie nur mit mir?“, murmelte er leise vor sich hin, als er sich gerade zu Emma gesellte. Anscheinend nicht leise genug, denn sofort wandte sie sich lächelnd zu ihm um.
„Was hast du gesagt?“
„Äh, ich, ... ich … ja, … wollte Dich fragen, ob du auch was trinken magst.“ Überrascht, dass sie ihn gehört hatte, hielt er ihr rasch die Flasche Wasser vor ihre Nase.
Oh Mann, wie peinlich!
Emma schnappte sich sofort das Wasser und nahm einen kräftigen Schluck, während Rob sich bereits auf einen Stein niederließ und ebenfalls einen Hieb aus seiner Flasche nahm.
„Cornwall ist eine so schöne Insel“, sagte sie gedankenverloren, als sie sich neben ihm niederließ und dabei die Weite des Ozeans bewunderte. „Ich könnte hier immer sein. Ich liebe das Meer, die Ferne und die wunderschöne Natur.“
„So gehts mir auch. Bist du das erste Mal auf der Insel?“
„Ja, wir machen zum ersten Mal hier Urlaub, sonst waren wir immer bei meiner Oma in Clare.“
„Wir kommen jedes Jahr hier hin. Die gesamte Familie, aber dieses Jahr sind meine Schwestern nicht mitgefahren. Dafür hab` ich Tom mitgenommen. Ist auch mal schön, ohne die beiden.“ Für einen kurzen Moment meinte Rob, ein Funkeln in ihren Augen gesehen zu haben, als sie ihm ihr süßes Lächeln schenkte, noch bevor sie sich wieder den Wellen zugewandt hatte, die sich an der Bucht brachen. Rob war nicht in der Lage seinen Blick von ihr abzuwenden und beobachtete wie ihr Haar sanft vom Wind durch die Luft getragen wurde. Bei dem Anblick überkam ihm erneut das starke Bedürfnis, sie in den Arm nehmen zu wollen – sie zu spüren und ihr ganz nah sein zu wollen. Sein Herz raste, als er den Mut fasste, den ersten Schritt zu wagen. Ganz langsam, zittrig und nervös kam er ihrer Hand mit seiner immer näher, bis er sie schließlich ganz zart berührte. Sein Atem stockte und er musste schlucken, als er ihr Zusammenzucken spürte. Er hielt inne und fürchtete ihre Reaktion, doch sie zog die Hand nicht weg, als sie sich zu ihm umdrehte und ihre Blicke aufeinandertrafen.
„Darf ich?“, flüsterte er, während sein Herz drohte aus seiner Brust zu springen. Emma nickte nur stumm und schaute verlegen zu ihren Füßen. Ihre Wangen nahmen einen zarten Rosaton an, als Rob ihre Hand mit seiner sanft umschloss. Eine Welle des Glücks durchfuhr seinen gesamten Körper. Er hatte sich getraut und es war ein unbeschreiblich großartiges Gefühl. Er saß mit dem tollsten Mädchen händchenhaltend auf der Klippe, beobachtete die Aussicht und genoss jeden einzelnen Moment ihrer Nähe.
„Darf ich dich was fragen?“, unterbrach Emma nach einer Weile die Stille und schaute ihn mit ihren Kulleraugen so zuckersüß an, dass sein Puls unaufhörlich weiter raste.
„Natürlich.“
„Wieso hast du eigentlich eine Mütze auf? Du musst doch wie verrückt schwitzen.“
„Äh, ja … also … ist schon warm“, stotterte er vor sich hin und überlegte, wie er das jetzt erklären sollte. Ach verdammt, seine Mutter hatte recht gehabt. Es war einfach zu warm für das Teil und jetzt war es nur peinlich. „Na ja, meine Haare wollten sich heute Morgen nicht bändigen lassen.“ Mann, er hatte sich heute schon genug über seine Mähne geärgert, aber jetzt wollte er nur noch im Erdboden versinken. Warum musste Emma ihn ausgerechnet danach fragen?
„Ach so, und dann hast du einfach die Mütze aufgesetzt. Das muss ich mir merken, denn wenn meine Haare mal nicht so wollen wie ich, setz ich mir auch eine auf“, war ihre lapidare Antwort, grinste Rob dabei an und dessen aufgekommene Scham löste sich in Luft auf.
„Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass deine Haare so schlimm aussehen.“ Sie hatte ihren Kopf leicht zur Seite geneigt und betrachtete ihn eindringlich, so, als wenn sie sich ihn ohne Kopfbedeckung versuchte vorzustellen. Im selben Moment spürte Rob, wie sich ihre Hand aus seiner zurückzog.
„Darf ich, bitte?“ Ihre niedliche Bitte konnte er nicht ausschlagen, als sie mit ihrer Hand auf sein Gesicht zukam. Er nickte verlegen, während er seinen Blick auf seine Knie richtete. Keine Sekunde später, spürte er bereits ihre sanfte sowie vorsichtige Berührung an seinem Kopf und wie sie langsam seine Mütze herunterzog. Noch während Rob versuchte seine Nervosität durch ein tiefes Durchatmen zu kontrollieren, fühlte er ihre Finger durch sein Haar gleiten. Augenblicklich schloss er seine Augen und genoss jede Sekunde ihrer Berührung, bis ihre Finger nicht mehr zu spüren waren.
„So sieht es cool aus. Du hast so tolle Haare.“ Rob öffnete seine Augen und sah als erstes ihr strahlenden Lächeln und ihren erwartungsvollen Blick.
„Lässt du die Mütze jetzt ab?“, fragte sie aufgeregt, während er noch damit beschäftigt war, sich wieder einigermaßen zu fangen. Denn noch immer brachten ihre Nähe und ihre Berührungen ihn ganz durcheinander.
„Wenn es dir so gefällt“, war das Einzige, was er rausbrachte und versuchte sich nichts anmerken zu lassen, doch er hatte das Gefühl, dass es ihm nicht gelang. Emma blinzelte ihn an. „Ja, es gefällt mir total. Bitte … Bitte“, bettelte sie schon fast, wobei sie einen gespielten Schmollmund zog. Oh Mann, was machte sie mit ihm? Sein Herz machte bei dem Anblick einen kleinen Hüpfer und erneut war er nicht in der Lage, ihr den Wunsch abzuschlagen.
„Okay, dann lass ich es so“, antwortete er etwas verlegen und stopfte dabei seine Beanie in seine Hosentasche, bevor er aufsprang und sie an der Hand hochzog. „Weißt du was? Ich hab` jetzt Hunger auf ein Eis, du auch?“
„Und wie!“ Sie lächelte ihn an.
„Dann lass uns weiterfahren.“ Händchenhaltend gingen sie zurück zu ihren Rädern, wo Rob schnell die Flaschen in die Fahrradtasche verstaute, bevor sie sich schweigend weiter auf den Weg machten. Auf der Fahrt schweifte Rob immer wieder in Gedanken an den Szenen an der Bucht mit Emma ab. Es war ein so überwältigendes Gefühl, was er bei noch keinem anderen Mädchen empfunden hatte.
Es dauerte nicht lange, bis sie einen Abhang herunter fuhren, wovon man schon den kleinen Hafen von Mousehole sehen konnte. Rob hörte hinter sich nur ein verträumtes Seufzen, als sie anschließend ins Dorf hineinfuhren. Mousehole war ein kleines verschlafenes, aber wunderschönes, Küstendorf. Die Häuser sowie die kleine Einkaufspassage waren allesamt direkt am Hafen. Es hatte einen leichten mediterranen Flair.
„Wow, sieht das schön aus“, hörte er Emma hinter sich rufen, als er unten langsam zum Stehen kam und sich zu ihr umdrehte. Sie war noch ein stückweit von ihm entfernt, hatte aber ein ordentliches Tempo drauf und fuhr direkt auf ihn zu. Doch Emma sah nicht, wo sie lang fuhr, da sie ihren Kopf zur Seite gewandt hatte und die kleinen Boote, die im Hafen angelegt waren, bestaunte, während sie ihm gefährlich nahekam.
„Halt! … Emma, stop!“ Rob sprang schreiend vom Rad und ließ es achtlos auf den Asphalt knallen, während er hektisch versuchte, den Zusammenprall mit den Armen abzuwenden. Emma, die durch seinen Aufschrei erschrocken wieder den Blick nach vorne richtete, hatte keinerlei Chance rechtzeitig zu reagieren. Erst als Rob den Lenker zu fassen bekam, konnte sie gerade noch so eben auf die Bremse treten. Mit weit aufgerissenen Augen und rasenden Puls starrte sie ihn erschrocken an, als sie vor ihm zum Stehen kam. „Entschuldige, entschuldige bitte“, stammelte sie - es war ihr so schrecklich unangenehm. „Oh Gott, ich hab` nicht aufgepasst. Es tut mir leid.“
„Ist nichts passiert, alles gut“, antwortete er und atmete erleichtert aus, dass es noch mal gut gegangen war, obwohl seine Finger immer noch krampfhaft den Lenker umklammerten.
„Hab ich dich verletzt?“, fragte sie besorgt und schaute ihn immer noch mit weit aufgerissen an, während sie regungslos auf den Sattel saß. Sie konnte sich einfach nicht rühren. Zu sehr saß ihr der Schock in den Knochen.
„Nein, geht schon. Alles in Ordnung. Aber Emma, du solltest erst mal absteigen. Du bist ganz blass um die Nase.“ Er nahm seine rechte Hand vom Lenker, reichte sie ihr und bot ihr so seine Hilfe an. Emma legte ihre linke Hand sofort in seine und stieg langsam vom Rad, wobei sie ihn nicht länger anschaute. Viel mehr hatte er das Gefühl, dass sie seinem Blick versuchte auszuweichen.
„Danke, es geht schon wieder. Ich bin froh, dass ich dir nichts getan habe,“ sagte sie leise, während sie eher unsicher mit beiden Füßen auf den Boden trat.
„Gehts dir gut?“ Robs Stimme klang besorgt und er beobachtete skeptisch, wie sie leicht schwankend Richtung Hafen ging.
„Ja, alles gut. Wirklich. Es geht schon. Gib mir nur einen Moment.“
„Okay, dann stell ich eben die Räder an die Seite.“ Rasch hob er sein Bike auf und schob beide an den Wegesrand, wo er sie an einer Halterung, die aus der Wand ragte, befestigte. Als er sich umdrehte, sah er, wie sich Emma gerade auf die Hafenmauer setzte. „Hoffentlich geht es ihr wirklich gut“, murmelte er, während er zu ihr herüberging und sich neben ihr gesellte. Als sie ihn bemerkte, hob sie ihren Kopf und lächelte ihn verunsichert an. Ihm war bewusst, wie unangenehm und peinlich ihr die Situation gewesen war, denn ihm würde es an ihrer Stelle nicht anders ergehen. Als er zu seiner Erleichterung sah, wie ihre Wangen wieder den sanften Rosaton angenommen hatten und auch sonst ihr Gesicht nicht mehr so blass wirkte, beschloss er, den Vorfall einfach zu vergessen und sie auf andere Gedanken zu bringen. Schließlich waren sie doch hier, um eine schöne Zeit zu haben. Er sprang von der Mauer, stellte sich genau vor sie und setzte bewusst sein schiefes Lächeln ein. „Hast du noch Lust auf ein Eis?“
„Klar bin schon ganz gespannt. Wo gibt es denn dieses berühmte Eis?“ Sie ließ sich langsam von der Mauer gleiten und wartete erwartungsvoll auf seine Antwort.
„Nicht weit von hier. Nur ein Stück weiter den Hafen entlang.“ Rob zeigte in die Richtung und wollte gerade losgehen, als Emma sich seine Hand schnappte und ihn mit sich zog. „Dann lass uns gehen. Zu Fuß kann ich auch keine Unfälle bauen.“ Vollkommen von ihrer Reaktion überrumpelt, brachte er kein Wort heraus und folgte ihr stumm, als sie händchenhaltend am Ufer entlangliefen.
„Na, bist du jetzt sprachlos? Oder warum bist du so still?“, fragte Emma einige Sekunden später, während er einfach nur ihre Nähe genoss.
„Was ich? Nein ich bin nur froh, dass es dir wieder besser geht.“
„Hm, ich weiß nicht, ob ich dir das glauben soll.“ Sie grinste ihn frech an und in ihren Augen blitzte der Schalk auf, als Rob ihr in die Seite knuffte. Emma hüpfte quietschend ein Stück zurück, was beide zum Lachen brachte. Über den gesamten restlichen Weg, spaßten, neckten und lachten sie ausgelassen. Immer wieder zog Rob sie mit ihrer Ungeschicklichkeit auf, doch Emma ließ sich nicht ärgern - ganz im Gegenteil. Sie spielte den Ball zurück und zog ihn ebenso auf. Die Stimmung war mittlerweile so vertraut und normal zwischen ihnen, dass Rob beinahe am Eiscafé vorbei gelaufen wäre.
„Halt! Hier ist es.“ Er blieb stehen und zog Emma leicht an der Hand zurück, die sich direkt umdrehte und auf das kleine, aber romantische Café schaute.
„Hier gibt es also die beste Eiscreme?“
„Ja, um ganz genau zu sein, ist es die beste Cornish Ice Cream.“
„Ah, Klugscheißer!“, neckte sie ihn, als er sie sanft in Richtung Eingang zog.
„Du Rob, was hältst du davon, wenn wir ein Eis in der Waffel nehmen? Ich würde gerne am Hafen noch etwas spazieren gehen.“ Ihr bezauberndes Lächeln brachte die winzigen Schmetterlinge in Robs Bauch wieder zum Flattern und er spürte, wie sich das Gefühl im gesamten Körper ausbreitete. „Was immer sie möchten, Misses Hillington“, antwortete er, als sie bereits vor der Theke standen. Er bestellte bei der netten Dame zwei Kugeln Eis im Hörnchen, bezahlte und reichte Emma ihres. Sie bedankte sich und wollte ihm das Geld geben, doch das kam für Rob gar nicht infrage. Bevor Emma mit ihm darüber diskutieren konnte, ergriff er wieder ihre Hand und spazierte mit ihr am Hafen entlang, während er alles von ihr erfahren wollte. So erzählte sie ihm vieles über ihr Leben in Manchester, über ihre Freunde und wie ihr Verhältnis zu ihren Eltern war. Im Gegenzug fragte Emma ihn ebenfalls aus, und so erfuhr sie, dass seine Schwester Lizzy Musik macht und er selbst in einer Theatergruppe in der Schule war. Ihr Interesse schien geweckt worden zu sein, denn er musste ihr alles ausführlich berichten. Rob genoss jeden einzelnen Moment mit ihr und sog jede Art ihrer Gestik sowie Mimik in sich auf. Er liebte das kleine Grübchen an ihrem linken Mundwinkel, wenn sie ihn anlächelte und das Leuchten in ihren Augen, wenn sie im ganz begeistert zuhörte. Je mehr Zeit er mit ihr verbrachte, desto bewusster wurde ihm, wie sehr er dieses Mädchen schon in sein Herz geschlossen hatte. Sie hatte sich einfach mir nichts, dir nichts da hinein geschlichen - und das mit voller Wucht.
Als sie am Ufer an einer Bank vorbei kamen entschieden sie sich, dort einen Moment Pause zu machen.
„Mhmm, das Eis schmeckt wirklich super“, sagte Emma seufzend, bevor sie von der Waffel erneut abbiss. Rob musste bei dem Anblick schmunzeln, während er selbst an seinem Eis aß.
„Danke für den tollen Ausflug, Rob.“ Verträumt schaute sie auf das offene Meer, als sie unvermittelt ihren Kopf auf seine Schulter legte. Rob war im ersten Moment von ihrer Aktion so überrumpelt, dass er gar nicht wusste, wie er nun reagieren sollte. Wie versteinert und wieder einmal mit rasenden Puls, saß er auf der Bank und haderte mit sich und seinen Gefühlen, bis er schließlich seine Stimme wiederfand. „Danke … danke, dass ich ihn mit dir genießen darf“, antwortete er verlegen und meinte es vom Herzen ehrlich. Zögerlich sowie nervös legte er zaghaft seinen Arm um sie, wobei sie bei seiner Berührung ihren Körper noch enger an seinen schmiegte. Eine erneute Welle des Glücks durchströmte seinen Körper und es schien für den Moment die Zeit stehen geblieben zu sein, als sie so aneinander gekuschelt auf der Bank saßen. Er wünschte, dieser Moment würde nie zu Ende gehen, doch ihm war klar, dass sie irgendwann wieder nach Hause mussten. Also sog er jede einzelne Sekunde ihrer Nähe wie ein Schwamm auf, bis schließlich sein Blick auf seine Armbanduhr fiel. Verdammt! – Er hatte völlig die Zeit aus den Augen verloren.
„Du Emma, wir müssen langsam los. Der Fahrradverleih macht bald zu.“ Obwohl er überhaupt keine Lust hatte, sich von ihr zu lösen, nahm er langsam dem Arm von ihr und setzte sich auf, während sie ihn traurig anschaute.
„Ach schade. Es war grad so schön hier… mit dir.“ In ihrer Stimme schwang ein wenig Wehmut mit, als sie zusammen aufstanden und Rob ihre Hand in seine nahm. „Ja, das war wirklich sehr schön“, stimmte er ihr zu, während sie zurück zu ihren Mountainbikes gingen.
Der Rückweg war zu Beginn sehr beschwerlich und erneut mussten sie ordentlich in den Pedalen treten, um die Steigung zu bewältigen. Robs Lungen begannen bei jedem Atemzug zu brennen und er war heilfroh, als er endlich oben angekommen war. Als er kurz anhielt und sich zu Emma umdrehte, sah er, wie auch sie mit dem Anstieg zu kämpfen hatte, doch schon wenige Augenblicke später stand sie atemlos neben ihm.
„Puh, ich brauch dringend etwas zu trinken“, japste sie nach Luft ringend, während Rob die Trinkflaschen aus der Satteltasche fischte und ihr reichte. Sofort nahm sie einen kräftigen Schluck. Rob tat es ihr gleich, bevor er das Wasser wieder verstaute und sie sich anschließend weiter auf dem Weg zum Fahrradladen machten. Die Strecke gestaltete sich nun nicht mehr so anstrengend, weil es nur noch leicht bergab ging. Daher war es für Emma ein leichtes ihn innerhalb von wenigen Sekunden einzuholen. Sie ließen sich eine Weile den Pfad nebeneinanderfahrend herunterrollen, bis er Emma plötzlich frech von der Seite angrinste. „Na, ob das so eine gute Idee ist, so nebeneinander? Nicht dass du dich noch verletzt.“
„Kommt drauf an, ob du dich mir wieder in den Weg stellst“, konterte Emma und funkelte ihn ebenso keck an.
„Wenn ich es mir recht überlege, hast du es ganz schön auf mich abgesehen.“
„Ich auf dich?“ Emma warf ihm einen unglaubwürdigen Blick zu. Meinte er das jetzt Ernst?
„Ja, erst rennst du mich an den Kabinen um, und dann willst du mich auch noch überfahren.“ Sein freches Grinsen hatte sich über sein ganzes Gesicht ausgebreitet und in seinen Augen blitze gefährlich der Schalk, was Emma nicht im Geringsten entging.
Na gut, was er kann, kann ich schon lange!
„Also, du hast mich auch fast auf dem Gewissen. Wegen dir wäre ich fast abgesoffen, schon vergessen?“, konterte sie gekonnt, während sie ihm kess zuzwinkerte.
„Also ich lebe bei dir eindeutig gefährlicher. Vielleicht sollten wir jegliche Aktionen mit fahrbaren Untersätzen demnächst unterlassen. Ich wollte eigentlich älter werden als 17“, sagte er belustigt, trat in die Pedale und sauste laut lachend davon. Emma reagierte blitzschnell, als sie im hinterherrief: „Hey du Feigling, bleib hier“ und dabei versuchte ihn einzuholen. Über den gesamten restlichen Heimweg lieferten sie sich erneut ein Wettrennen. Im Gegensatz zu heut Mittag, schaffte es Emma jedoch, ihn zwei Mal einzuholen, aber Rob gab nicht auf und radelte ihr immer wieder davon. Er genoss so sehr diese Ausgelassenheit und den Spaß, den er mit ihr hatte, dass sich sein Glücksgefühl noch intensivierte. Kurz vorm Ziel war er sich seines Sieges sicher, so sehr, dass er bereits innerlich am Triumphieren war, als Emma in letzter Sekunde an ihm vorbei rauschte und schlagartig vor ihm zu stehen kam.
„Gewonnen. Ich habe gewonnen, du lahme Ente“, singsangte sie übermütig, stieg vorm Rad und tänzelte siegessicher um ihn herum, als auch er anhielt.
„Herzlichen Glückwunsch, Speedy Gonzales. Und das Ganze, ohne einen Unfall zu verursachen“, verteilte er schelmisch grinsend die kleine Spitze, wobei Emma ihm als Antwort nur die Zunge raus streckte und beide daraufhin laut loslachen mussten.
Nachdem sie die Räder im Geschäft abgegeben hatte, standen sie kurze Zeit später wieder auf der Strandpromenade.
„Was machen wir jetzt? Worauf hast du noch Lust?“, fragte Rob und schaute sie erwartungsvoll an.
„Ich muss eigentlich langsam nach Hause“, antwortete Emma, nachdem sie auf die Uhr geschaut hatte und Rob bemerkte, dass ihr der Gedanke anscheinend nicht gefiel, den Ausflug jetzt zu beenden. Auch er wollte sich noch nicht von ihr trennen, denn es war gerade viel zu schön. Dennoch hatte sie recht. Es war an der Zeit. „Hmm, Ja … Ich sollte wohl auch langsam nach Hause, sonst setzen sie noch eine Vermisstenanzeige auf“, versuchte er die plötzlich angespannte Stimmung wieder aufzulockern.
„Hm, Okay“, murmelte Emma traurig, während sie ihr Gesicht zu ihren Füßen gerichtet hatte. Rob überlegte einen Moment, wie er sich jetzt von ihr verabschieden sollte, als ihm eine Idee kam. „Hast du etwas dagegen, wenn ich dich nach Hause begleite?“
„Oh ja, gerne“ Sie schenkte ihm ihr bezauberndes Lächeln, als ihr bewusst wurde, dass die Zeit des Abschieds noch nicht gekommen war. Ohne weiter ein Wort zu verlieren, nahm Rob ihre Hand und gemeinsam machten sich auf den Weg zu ihrem Cottage.
Als sie den kleinen Feldweg, der zum Haus führte, entlanggingen, sah Rob schon aus der Ferne ihre gesamte Familie auf der Veranda sitzen. Mist! Daran hatte er gar nicht gedacht und augenblicklich stellte sich die Nervosität wieder in ihm ein. Emma hingegen schien die Ruhe in Person zu sein und drückte sanft seine Hand, als sie seine Unsicherheit zu bemerken schien.
„Hallo ihr zwei“, begrüßte ihr Vater die beiden, als sie die Veranda betraten. „Hattet ihr einen schönen Tag?“
„Ja, er war toll“, antworte Emma und wandte sich dann zu Rob, als dieser Will ebenfalls begrüßte. Rob bemerkte aus dem Augenwinkel, wie Lotte sie beide neugierig musterte, weil sie noch immer Händchen hielten. Er drehte sich direkt zu ihr und sprach sie an „Hallo Lotte. Ich soll dir liebe Grüße von Tom bestellen.“ Das entsprach zwar nicht ganz der Wahrheit, aber Lottes Reaktion war die kleine Flunkerei wert gewesen. Ihr Blick sprach einfach Bände und er musste sich ein Schmunzeln unterdrücken.
„Danke sehr, haben mir Mum und Dad schon ausgerichtet. Sie haben ihn gestern in der Stadt getroffen.“ Ihr genervter Tonfall galt nicht ihm, das war ihm bewusst, aber er schien einen gewissen Punkt bei ihr getroffen zu haben.
„Was habt ihr so gemacht?“, unterbrach jetzt Clara, die direkt neben ihrer Tochter saß, ihre Unterhaltung und schaute sie beide an. Diesmal war es Rob, der antwortete: „Wir waren in Mousehole und haben dort Eis gegessen. Unterwegs haben wir eine kleine Bucht entdeckt und dort eine Pause gemacht.“ Bei jedem Wort was er verlor, spürte er, wie seine Nervosität immer mehr von ihm wich. Ihre Eltern machten es ihm leicht - Sie wirkten sowohl sympathisch als auch recht locker auf ihn.
„Mum, Mousehole ist einfach wunderschön und die Bucht traumhaft. Das müsst ihr euch mal anschauen“, sprudelte es währenddessen überschwänglich aus Emma heraus und weckte die Neugier ihrer Eltern. Will holte derweil noch zwei Stühle aus dem Cottage und sie setzten sich zu ihrer Familie. Beide erzählten begeistert, was sie am Tag alles erlebt hatten, wobei Emma den größeren Part dabei übernahm. Rob beobachtete stattdessen, wie bei ihren Erzählungen, ihre Augen vor lauter Schwärmen funkelten. Wie sich bei jedem Lächeln, ihr Grübchen zeigte und sich ihre Wangen zartrosa verfärbten. Es war einfach wunderschön – Sie war wunderschön. Als jedoch überraschend die Dämmerung hereinbrach, stand Rob erschrocken auf. „Entschuldigung, ich habe die Zeit ganz vergessen“, sagte er beunruhigt. „Ich muss leider gehen. Meine Eltern machen sich sicherlich schon Sorgen.“
„Ja, das stimmt. Es ist schon recht spät“, stimmte ihm Will zu, während er mit seiner Frau ebenfalls aufstand. Clara schaute Emma, die nun neben Rob stand, an und bemerkte, wie beide unsicher waren, wie sich verabschieden sollten. Lotte saß weiterhin auf ihren Platz und beobachtete neugierig das Szenario. „Wir gehen schon mal rein das Abendbrot machen, Emma. Dir noch einen schönen Abend Rob“, sagte ihre Mutter, während sie ihrem Mann und Lotte mit ihren Augen zu verstehen gab, sie ins Haus zu begleiten. Wortlos folgte Will ihr, während ihre jüngere Tochter grummelnd hinterher schlurfte.
Eine ungewohnte Stille brach herein, als Rob allein mit Emma auf der Veranda stand und ihr feste in die Augen schaute. Nur das ferne Wellenrauschen war leise zu hören, als es in seinem ganzen Körper zu kribbeln begann. Die Schmetterlinge in seinem Bauch schienen Samba zu tanzen, als er sich direkt vor Emma stellte und ihre Hände in die seinen legte. „Danke für den wirklich tollen Tag Emma“, flüsterte er ihr zu, während er sich, in ihren schokobraunen Augen drohte zu verlieren.
„Ich danke dir! Es war wirklich schön.“, erwiderte Emma leise. „Ich möchte dich nicht gehen lassen.“
Sein Herz schien bei ihren Worten fast aus der Brust springen zu wollen, und er brauchte einen winzigen Moment, bevor er ihr antworten konnte.
„Es geht mir genauso, aber ich muss leider los. Magst du dich morgen wieder mit mir treffen?“ Ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken zu müssen, sprudelte ein: „Ja, klar möchte ich dich morgen wieder sehen“, freudestrahlend aus ihr raus und brachte ihn zum Schmunzeln.
„Okay, dann melde ich mich morgen früh bei dir. Ich werde dann jetzt mal gehen.“ Der Abschied fiel ihm nicht leicht, auch, wenn er wusste, dass er sie morgen wiedersehen würde, konnte er sich nicht von ihr lösen. Unvermittelt zog er Emma vorsichtig näher an sich und schloss sie in seine Arme. Er spürte, wie ihre Arme seinen Oberkörper ebenfalls umschlossen und sie ihren Kopf an seine Brust schmiegte. Sie duftete himmlisch. Es war ein überwältigend schönes Gefühl, sie so in seinen Armen zu halten, und er wollte sie am liebsten nicht mehr loslassen. „Ich werde dich vermissen“, flüsterte er ihr ins Ohr, als er sie noch ein wenig fester umarmte und sie sich noch enger an ihn kuschelte. Er fühlte sich so wohl bei ihr - mit ihr, denn es war alles so leicht und seine Schüchternheit sowie Unsicherheit war wie weggeflogen. Vorsichtig löste Rob, mit einem Arm, die Umarmung damit er wieder in ihre Augen schauen konnte.
„Ich werde dich auch vermissen“, wisperte sie, während sie traurig ihren Kopf senkte.
„Wir sehen uns morgen wieder, Kleines.“ Sanft hob er, mit einem Finger, ihr Kinn an und beugte sich langsam zu ihr hinunter. Mit stolpernden Herzen schloss er die Augen und küsste sie zärtlich auf die Lippen. Emma schmiegte ihre Arme noch fester um seinen Oberkörper und erwiderte seinen Kuss. Robs Puls raste und er spürte, wie ein Feuerwerk in seinem Körper entfachte. Es war wie in einem Rausch. Zögerlich ließ er langsam von ihren Lippen ab und hielt sie noch einmal fest im Arm, bevor er sich endgültig aus der Umarmung löste. Er hasste es, sich jetzt von ihr verabschieden zu müssen, aber er hatte keine andere Wahl. „Ich muss jetzt wirklich gehen“, sagte er traurig, als ihre Blicke wieder aufeinandertrafen. Emma stand regungs-, und wortlos vor ihm und war nicht in der Lage etwas zu erwidern. Eine sanfte Brise wehte durch ihr offenes Haar, als Rob ihr zärtlich eine Strähne aus dem Gesichte strich.
„Bis morgen, Kleines“, hauchte er ihr zum Abschied zu, bevor er sich schweren Herzens umdrehte und die Veranda hinunter ging.
„Bis morgen, Rob“, hörte er sie noch hinter sich sagen und als er sich noch mal zu ihr umdrehte, sah er, wie, sie gerade ins Haus ging.
Auf dem gesamten Heimweg hatte er nur Gedanken für Emma, ihrem Lachen, ihren Augen, ihrem ganzen Wesen, übrig. Immer wieder sah er dieses wunderbare Mädchen vor sich, was ihn – seine Gefühle – auf so wundervollerweise durcheinanderbrachte. Schlagartig wurde ihm bewusst, dass er sich Hals über Kopf in Emma verliebt hatte.
Kapitel 5
Ein Ausflug mit Hindernissen
Es war ein so unbeschreibliches Gefühl, welches Emma durch ihren Körper strömte, als sie das Haus betrat. Jede einzelne Zelle in ihr schien vor Freunde zu hüpfen. Sie fühlte sich glücklich, leicht und doch stand sie völlig neben sich. Ihr Gefühlskarussell war in voller Fahrt und drehte fröhlich seine Runden, während sie Robs Arme noch immer um ihren Körper und seine warmen Lippen auf den ihren spürte. Sie schloss die Augen und sah ihn direkt vor sich - wie er sie schief anlächelte und er ihr mit seiner sanften Stimme ins Ohr flüsterte, während sie seufzend, mit dem Rücken angelehnt, langsam die Tür ins Schloss fallen ließ. Sie hatte – verdammt nochmal – ihren ersten Kuss bekommen und es war noch viel überwältigender und schöner gewesen als sie sich es jemals hatte vorgestellt. Gedankenverloren strich sie vorsichtig mit ihrer Zunge über ihre Lippen.
„Emma, bist du das? Ist alles Okay?“, hörte sie ihre Mutter aus dem Wohnzimmer rufen. Mist!
Ihre Eltern saßen auf der Couch – na ja, Will lag schon mehr oder weniger und seine Augen fielen ihm immer wieder zu – während im Fernsehen ein Krimi lief. „Ja, alles Okay. Wieso?“, antworte sie mit einem verträumten Lächeln, als sie das Zimmer gedankenversunken betrat. Clara lächelte sie an und schien zu spüren, was in Emma vorging oder zumindest zu ahnen, wie die Verabschiedung verlaufen ist, und musste innerlich schmunzeln.
„Schön, dann geh mal ins Bett. Es ist schon spät und du hattest einen langen Tag.“
„Okay, gute Nacht Mum und Dad, dann bis morgen.“ Erleichtert einer Befragung entkommen zu sein, drehte Emma sich auf den Absatz um und ging ins Bad, um sich bettfertig zu machen. Als sie wenige Minuten später ihr Zimmer betrat, saß Lotte schon erwartungsvoll auf ihrem Bett. „Ooooh Emma, du schwebst ja!“, neckte sie ihre Schwester, als diese an ihr vorbeiging, um ihr Handy aufs Nachttischchen zu legen. Lotte wartete gespannt auf ihre Reaktion, - doch es kam keine. Stattdessen ließ sie sich unbeeindruckt aufs Bett fallen und starrte an die Decke.
„Öhm Emma. Erde an Emma! Bitte kommen.“ Wild mit den Händen vor dem Gesicht fuchtelnd, stand die kleine Nervensäge über sie gebeugt, als sie die Bombe platzen ließ: „Der Kuss hat dich ganz schön gedazzled was?“ Mit einem Schlag saß sie kerzengerade auf dem Bett und schaute Lotte ungläubig an. Bitte was? Das durfte doch nicht wahr sein. „Du hast uns beobachtet?“, verärgert sprang sie auf und schaute ihr eindringlich in die Augen. „Gehts noch, Lotte?!“
„Na, ihr beiden saht so niedlich aus, da musste ich einfach schauen.“ Lässig setzte sie sich auf die Matratze und ignorierte gekonnt Emma aufkommenden Ärger. „Na komm schon. Erzähl, wie wars? Ich will alles wissen.“ Lotte zog sie unvermittelt zu sich aufs Bett und wippte mit ihrem Oberkörper ungeduldig auf und ab. „Ich warte, Schwesterchen.“
„Mann, du olle Nerventante. Was soll ich denn noch erzählen. Du hast es doch eh alles schon gesehen, du Spannerin.“ Emmas Ärger war fast schon wieder verraucht, als sie in das neugierige Gesicht ihrer Schwester blickte. Dennoch drehte sie gespielt beleidigt ihren Kopf zur anderen Seite. Sollte sich das kleine Monsterchen nur etwas anstrengen. So einfach wollte sie es ihr dann auch nicht machen.
„Ach komm schon, Schwesterherz, bitte“, bettelte Lotte, die jetzt wimpernklimpernd vor ihr stand. „Mach es doch nicht so spannend, ich bin doch sooo neugierig.“ Es war ihr fast schier unmöglich das Grinsen zu unterdrücken, als ihre Schwester sie so bittend und neugierig anschaute und sie selbst dabei begann zu platzen. Ihre Freude und Aufregung wollten aus ihr raus, sie wollte sie endlich mit ihr teilen und alles erzählen. Vergessen war ihr Ärger über das heimliche Beobachten.
„Es war unbeschreiblich schön, ich dachte, mein Herz bleibt stehen. Als er mich umarmte und ich sein Herz schlagen hörte, kribbelte es schon fast unerträglich in meinem Bauch. Ich kann es dir gar nicht beschreiben wie schön seine Umarmung war, ihn so nah zu spüren. Und als ich dann seine Lippen auch noch auf meinen spürte, wurden meine Knie weich. Ich dachte, ich fall um und sterbe“, sprudelten die Worten nur so aus ihr raus, als sie Lotte an die Hand nahm und sie sich schwärmend auf das Bett zurücksetzten. „Hast du seine Haare gesehen? Wie ein kleiner Wuschelbär. Ich könnte nur darin rumwuscheln. Dann riecht er so gut und seine Lippen, die sind so weich und warm.“ Ein leises Seufzen entfuhr ihr, bis sie ihre Schwester sah, die sie mit weit aufgerissen Augen und offenen Mund anstarrte. „Wow“, sagte sie von Emmas Wortschwall überrannt. „Dich hats aber erwischt. Du bist ja hin und weg. So schnell und viel hab` ich dich noch nie auf einmal reden hören.“
„Ach, es war so schön, er ist einfach ein toller Typ. So gefühlvoll, humorvoll und cute … Hach, es gibt dafür nicht das richtige Wort. Ich glaube, ich hab mich verliebt.“ Ihre Augen strahlten und die Schmetterlinge in ihrem Bauch begannen wieder kräftig zu flattern, als sich sein schiefes Lächeln erneut vor ihr inneres Auge schob. Doch augenblicklich verschwand das beflügelte Gefühl, und die Unsicherheit sowie die Zweifel bahnten sich langsam ihren Weg an die Oberfläche. Was war, wenn er nicht wie sie empfand? Was, wenn sie viel zu viel in seinem Verhalten hineininterpretierte? Was, wenn sie sich was vormachte? Lotte bemerkte ihre nachdenkliche Miene, die den Platz von ihrem Lächeln eingenommen hatte, und unterbrach ihre Gedanken umgehend.
„Du machst dir jetzt doch keinen Kopp, ob es ihm genauso geht?“
„Hmm, irgendwie schon. Was wenn nur ich so fühle?“, unsicher biss sie auf ihre Unterlippe und versuchte, ihre Zweifel zu unterdrücken.
Das war doch einfach nur dämlich.
„Das glaubst du doch nicht selber, was du da sagst, oder? Also, so wie Rob dich den ganzen Abend angeschaut und Händchen gehalten hat, hat er ganz sicher Gefühle für dich. Und der Kuss erst. Mann, oh Mann! Ich glaube, du brauchst da keine Sorgen haben, ganz im Gegenteil“, sagte ihre persönliche Nervensäge und stupste sie liebevoll, mit dem Ellenbogen, in die Seite, während sie sie beruhigend anlächelte. Es wirkte. Lotte schaffte es, ihr die negativen Gedanken zu vertreiben, und sie hatte wohl recht. Sie sollte auf ihr Bauchgefühl vertrauen und das war gerade in helle Aufruhr, sobald sie nur an Rob dachte. Sie hatte aber auch seine anfängliche Unsicherheit sowie Nervosität ihr Gegenüber wahrgenommen. Es war ihm nicht anders ergangen als ihr und je mehr Zeit sie miteinander verbracht hatten und sich nähergekommen waren, umso leichter wurde es zwischen ihnen beiden. Es war wunderschön!
„Ich bin so ein Trottel.“ Unvermittelt nahm sie ihre Schwester fest in die Arme und flüsterte ihr ins Ohr: „Ich bin so glücklich.“
„Öhm, ich merks. Aber Emma … könntest du mich bitte loslassen? Ich bekomm keine Luft mehr“, japste sie, eng an den Oberkörper ihrer Schwester gedrückt.
„Oh, ja klar. Entschuldige.“ Während sie Lotte aus ihrer Umarmung freigab, vibrierte plötzlich ihr Handy auf dem Nachtisch. Keine Sekunde später hatte sie auch schon das Display aufgeklappt und grinste wie ein Honigkuchenpferd, als sie die Nachricht von Rob las:
Hallo Kleines,
danke für den schönen Tag. Ich wollte dir noch gute Nacht sagen und fragen, ob du vielleicht morgen etwas mit Tom und Lotte unternehmen magst.
Ich kann es kaum erwarten, dich wiederzusehen.
Schlaf gut und Traum schön
Rob
Lottchen saß immer noch auf dem Bett und versuchte am Gesicht von Emma abzulesen, was für eine Nachricht sie bekommen hatte. Neugierig wippte sie auf der Matratze rum, und versuchte einen Blick aufs Handy zu erhaschen, bis sie die Ungeduld übermannte: „Na, was ist? Was schreibt er? Das ist doch Rob? … Hallo? …Emma?“
„Ja, du ungeduldige Kröte. Es ist Rob. Er wünscht mir eine gute Nacht“, antwortete sie mit einem strahlenden Lächeln, während sie die SMS noch einmal las.
„Was heißt hier Kröte, du verliebtes Äffchen? Püh.“
„Ach, er fragt übrigens, ob wir morgen zu viert was unternehmen?“
„Mit Tom?“ Ungläubig schaute sie Emma mit gerümpfter Nase an, die ihr immer noch den Rücken zuwandte. „Hmm, also auf ihn hab ich keinen Bock.“
„Wie?“ Sie drehte sich zu ihrer kleinen Schwester um und blinzelte sie an. „Ach komm schon Lottchen, das kannst du mir nicht antun. Das wird sicher lustig. Was hast du denn gegen Tom, er scheint doch ganz nett zu sein?“
„Na, er ist halt nicht mein Typ.“, schmetterte sie direkt ab. „Außerdem ist er echt nervig.“
„Gib ihm noch eine Chance, Süße, lass uns morgen was Schönes machen. Ich bin doch dabei. Vielleicht ist er auch gar nicht so schrecklich. Und außerdem kannst du mich doch nicht mit zwei Jungs alleine lassen.“ Versuchte sie Lotte mit ihrem schönstem Lächeln zu überreden und zwinkerte ihr zu.
„Das Lächeln kannst du dir sparen und dir für deinen Rob aufbewahren. Das zieht nicht.“
„Ach, komm schon, meine Lieblingsherzensschwester. Gib dir einen Ruck, bitte!“
„Argh“, brummelte sie genervt und ließ sich resigniert mit dem Rücken auf die Matratze fallen. „Boah, na gut. Nur für dich. Aber eins sag ich dir, fängt der Typ an zu nerven, bin ich weg.“
„Yeah“, schrie Emma leise auf, haute ihr mit voller Wucht auf den Oberschenkel, bevor sie aufgeregt auf das Handy eintippte.
„Autsch“, rief Lotte auf, während sie ihr einen Schlag auf den Arm verpasste und auflachen musste.
Sogar beim Schreiben war Emma so nervös, als wenn Rob direkt vor ihr stehen würde, dass sie sich kaum auf den Text konzentrieren konnte. Als sie die Nachricht endlich abgeschickt hatte, vibrierte das Teil augenblicklich wieder in ihrer Hand. Rob war fix, so als wenn er nur auf ihre Antworten gelauert hätte. Sie besprachen kurz die morgige Verabredung, aber ohne ihr dabei zu verraten, was er geplant hatte. Bis auf, dass sie morgen gegen 11 Uhr abgeholt werden würden und dass sie sich überraschen lassen sollten, war aus ihm nichts herauszubekommen. Bevor sie ihn noch weiter ausfragen konnte, verabschiedete er sich kurzerhand auch schon wieder und wünschte ihnen eine gute Nacht. Emma konnte es kaum noch erwarten, ihn wieder zu sehen, und er machte sie dann auch noch so neugierig. Mist. Sie hätte zu gerne gewusst, was sie morgen erwartete. An Schlaf war so nicht zu denken, und so saßen die beiden Schwestern, bis spät in die Nacht, auf ihren Betten und quatschten. Lotte wollte alles haargenau wissen und Emma kam aus dem Schwärmen nicht mehr heraus, und gleichzeitig überlegten sie, was morgen auf den Plan stehen könnte, bis sie beide doch noch erschöpft einschliefen.
Am nächsten Morgen frühstückte sie eilig mit ihrer Familie und schaute dabei immer wieder ungeduldig auf ihr Handy. Sie wartete auf eine Nachricht von Rob, aber es kam einfach keine an. Das Dingen blieb schon den ganzen Morgen stumm. Schmunzelnd beobachtete ihre Familie, wie sie immer nervöser darauf starrte, es aufklappte und wieder schloss. Sie war kurz davor es neu zu starten, weil sie befürchtete, es hätte sich aufgehängt, als sie kurzerhand von ihrer Schwester am Arm gepackt und auf die Veranda geschliffen wurde.
„Er wird sich schon gleich melden.“ Genervt ließ Lotte sich auf die Bank fallen. „Also bleib mal ganz gechillt. Er hat dich schon nicht vergessen.“
„Ja, ich weiß. Aber ich kann es kaum erwarten.“ Noch während sie die Worte aussprach, erkannte sie wie Rob und Tom bereits den Weg zum Haus entlangliefen. Da war er - endlich. Auf der Stelle macht ihr Herz vor Freude einen Hüpfer und die Nervosität fiel ein stückweit von ihr herab. Lotte hingegen war nicht ganz so begeistert, als sie Tom sah und verzog für einen Moment das Gesicht, bevor sie von der Bank aufstand. Aus irgendeinem Grund, den sie nicht benennen konnte, konnte sie diesem Jungen nichts abgewinnen. Aber sie war entschlossen, ihrer Schwester zuliebe, sich nichts anmerken zu lassen. Quasi - gute Miene zum bösen Spiel.
Tom steuerte geradewegs auf sie zu, begrüßte sie mit seinem verschmitzten Lächeln und einem kräftigen Handschlag, während Lotte sich ein freundliches Lächeln heraus quälte. Sie hoffte inständig, dass es ihr gelang. Worauf hatte sie sich da nur eingelassen? Emma stand direkt daneben und betrachtete amüsiert das Geschehen, als Rob an ihr herantrat und sie zaghaft an sich zog. „Guten Morgen meine Kleine, hast du gut geschlafen?“, flüsterte er ihr sanft ins Ohr, als er sie umarmte.
Oh mein Gott! Das Kribbeln in ihrem Bauch brachte sie fast um ihren Verstand. Wie machte er das nur? „Ja … wunderbar geschlafen. Und du?“, brachte sie nur langsam über ihre Lippen, als er die Umarmung löste, um sie anzuschauen, und sie fast in seinen topasblauen Augen versank.
„Auch gut, hab dich nur vermisst“, antwortete er, bevor sie unvermittelt seinen Mund auf ihren spürte. Völlig überrascht über den unerwarteten Kuss und seiner lockeren sowie entspannte Art, war sie nur zaghaft in der Lage den Kuss zu erwidern. Irgendetwas war seit gestern Abend mit ihm geschehen. Irgendetwas ließ ihn wesentlich selbstsicherer wirken und ihn eine unheimliche Ruhe ausstrahlen, die auch plötzlich Emma umgab. Sie genoss sichtlich seine Nähe, denn er schaffte es, ihr auch die übrige Nervosität zu nehmen, und sie lächelte ihn liebevoll an. „Ich dich auch“, hauchte sie ihm zu, bevor auch sie ihm einen Kuss gab.
„So ihr Turteltauben, wir sollten mal los. Sonst wird das nichts mehr“, unterbrach Tom abrupt ihre Zweisamkeit, indem er Rob unsanft mit der Hand auf die Schulter klopfte, was ihm einen irritierten Blick von seinem Kumpel beschwerte.
„Wohin soll es denn gehen?“, fragten Emma und Lotte gleichzeitig, die mittlerweile wieder nebeneinanderstanden und die beiden Jungs fragend anschauten.
„Wird nicht verraten“, sagte Rob grinsend.
„Lasst euch überraschen, Mädels. Wir haben für alles gesorgt“, war es nun Tom der antwortete, mit der Hand auf den Rucksack zu seinen Füßen zeigte, und Lotte dabei frech zuzwinkerte. Emma sah ihrer Schwester an, dass ihr das überhaupt nicht gefiel und war verwundert, als Lotte wider erwartend zurücklächelte. Das war neu! Vielleicht wird es ja doch nicht so verkrampft, wie sie befürchtete. Sie hatte heute früh schon kurzweilig bereut gehabt, Lotte überhaupt überredet zu haben, weil sie genau wusste, wie stur sie sein konnte. Aber anscheinend hatte sie sich im Griff. Hoffentlich geht das gut.
Bevor sie sich jedoch auf den Weg machen konnten, gingen die beiden Mädels noch mal ins Haus, um sich bei ihren Eltern zu verabschieden. Clara wünschten ihnen viel Spaß und bat ihre große Tochter ein Auge auf ihre Schwester zuhaben, was Lotte mit einem genervten Augenrollen kommentierte. Als sie schließlich wieder zurück auf die Veranda traten, begrüßte Tom sie mit einem ungeduldigen: „Na dann los“, während er bereits die Stufen hinunterging. Rob nahm Emmas Hand und gemeinsam mit Lotte folgten sie seinem Kumpel.
Nur wenige Meter vom Anwesen entfernt, hatten sie an Tom angeschlossen und Lotte lief schweigend neben ihm, während Rob und Emma ein Schritt hinter ihnen gingen. Erleichtert, dass sich die Stimmung von ihrer Schwester aufgehellt hatte und es doch nicht zu einer Katastrophe beim Aufeinandertreffen mit Tom gekommen war, lächelte sie leicht vor sich hin. „Was ist los?“, riss Rob sie aus ihren Gedanken, als er ihr Lächeln bemerkte und sie neugierig angrinste.
„Ach, ich bin einfach nur froh“, antwortete sie verlegen. „Und ich frage mich die ganze Zeit, wohin wir gehen“, versuchte sie von sich abzulenken.
„Lass dich einfach überraschen, Kleines“, antworte er ganz beiläufig, wobei er ihre Hand sanft drückt und ihr sein schiefes Lächeln schenkte. Doch Emma wollte nicht lockerlassen, auch sie konnte anders. Na warte.
Sie löste ihre Hand aus seiner, ging einen Schritt vor ihm, sodass sie ihn direkt anschauen konnte, während sie rückwärts weiter lief.
„Ach bitte, sags mir doch, bitte!“ Sie verzog ihre Lippen zu einem kleinen Schmollmund und schaute ihm tief, mit den Wimpern klimpernd, in die Augen. „Bitte, ich bin doch sooooooo neugierig.“ Rob musste sich ein Schmunzeln verkneifen, nahm ihre Hand und zog sie wieder neben sich, „Vergiss es, ich sag es trotzdem nicht“, und küsste sie sanft auf den Kopf.
„Hmmpf“, murrte Emma leise vor sich hin, während sie ihrer Schwester einen hilfesuchenden Blick zuwarf, die jetzt direkt neben ihr war. Lotte begriff sofort.
„Also Jungs, ihr wisst aber schon, dass es genauso unfair ist uns nicht zu sagen, wo es hingeht, oder?“, warf sie ein und zwinkerte Emma grinsend zu.
„Hmm, nein. Nein, das ist doch nicht unfair. Das ist genaugenommen eine Überraschung.“ Robs Lächeln wurde breiter und er zog spielerisch eine Augenbraue hoch.
„Nein! Lotte hat recht, das ist wirklich nicht fair. Wollt ihr das wir vor Neugierde sterben?“ Der Zynismus in Emmas Stimme war nicht zu überhören, was Rob kurzerhand zum Lachen brachte und sie ihm einen bösen Blick zu warf.
„Ach, so schnell stirbt es sich nicht“, beteiligte sich Tom an ihrem Gespräch, der weiterhin ein paar Schritte vor ihnen ging und ihnen noch immer den Rücken zugewandt hatte.“ Warum könnt ihr Mädchen euch denn nicht einfach mal nur überraschen lassen?“ Seine genervte Tonlage war genau Lottes Stichwort. Sie beschleunigte ihren Schritt, holte ihn ein und legte direkt los: „Du nennst das Überraschung? Also ich nenn das Entführung. Dir ist schon klar, dass ich dich Anzeigen könnte.“ Mit geschürzten Lippen schaute sie ihn siegessicher an, was ihn aber absolut unberührt ließ. „Lotte, wenn ich dich entführen wollte, hätte ich Dir die Augen verbunden. Damit du die herrliche Landschaft nicht sehen kannst.“ Er drehte sich zu ihr um, kniff das linke Auge zu und grinste sie schelmisch an. Lotte hingegen kniff die Augen zu kleinen Schlitzen und streckte ihm die Zunge raus, während sie fieberhaft überlegte, wie sie kontern konnte. Die Schlacht war noch nicht verloren und der Tag noch lang.
Die Mädels versuchten noch eine ganze Weile, das Ziel aus den Jungs herauszubekommen, doch kein Trick, keine Bestechung ließ sie erweichen. Sie blieben standhaft. Nicht einmal einen Hinweis war ihnen zu entlocken, wohin sie die beiden entführten. Emma hatte das Zeitgefühl absolut verloren, als sie erst am Meer dann über Klippen und über Wiesen entlangliefen. Sie genoss einfach die Aussicht, die Atmosphäre und den Spaß, den sie zusammen hatten. Die meiste Zeit hielten Rob und Emma Händchen, während sie sich immer wieder kleine verstohlene Blicke zuwarfen, was wiederum Lotte und Tom, zu dem ein oder anderen Spruch animierte. Wenn Emma nicht genau gewusst hätte, wie ihre Schwester zum Kumpel von Rob gestanden hätte, hätte sie fast wetten können, dass die beiden ein Pärchen werden könnten. Beiden lag das Herz auf der Zunge und sie verstanden sich herrlich darin, sich gegenseitig aufzuziehen. Immer wieder gab es Situationen, wo sich Emma und Rob köstlich über deren verbalen Schlagabtausch amüsierten. Tom hatte den gleichen Humor wie Rob und sie verstand immer mehr, warum er sein bester Kumpel war. Man konnte mit ihm Pferde stehlen und er hatte immer einen lockeren Spruch auf den Lippen – genauso wie ihre Schwester. Das gefiel ihr besonders an ihm und sie glaubte, dass es eigentlich auch Lotte an ihm mochte, denn ihre Augen funkelten bei jedem Wortgefecht, was sie sich mit ihm bot. Doch irgendwas schien Tom an sich zu haben, was ihre Schwester auf Abstand hielt. Aber Emma konnte nicht ausmachen, woran es lag.
Während Emma weiter über das Verhalten von Lotte grübelte, fand sie sich plötzlich vor einem höheren Felsvorsprung wieder, den es anscheinend zu erklimmen gab. Denn Rob kletterte voran und reichte ihr direkt seine Hand, als er oben angekommen war. Skeptisch, ob sie es schaffte, schaute sie ihn an, als sie ihre Hand in seine legte und er ihr half, die Steigung zu bewältigen. Als sie etwas außer Atem oben angekommen war, stellte Rob sich direkt hinter sie und schlang seine Arme um ihren Oberkörper. „Jetzt bin ich mal gespannt“, sagte er schmunzelnd und deutete nach unten auf den ersten Vorsprung. Emma verstand sofort und kuschelte sich noch enger an ihn, während sie gemeinsam die Szene beobachteten, die ihnen sein Kumpel und ihre Schwester gerade boten. „Nein, ich brauch deine Hilfe nicht“, sagte Lotte bestimmend, während sie versuchte am Felsen Halt zu finden.
„Lass dir doch helfen, die Felsen sind glatt.“, sagte Tom leicht genervt, während er ihr ihr seine Hand hinhielt. Doch sie winkte diese nur mit einer Handbewegung forsch ab, als sie ihn eindringlich anschaute. „Danke, ich brauch keine Hilfe. Wenn Du mal bitte deinen Körper zur Seite schwingen würdest, dann hätte ich auch eine Chance da hochzukommen.“
„Wie du meinst“, sagte er mit einem schelmischen Grinsen auf den Lippen, als er ein Stück zur Seite ging und die Hände entschuldigend nach oben hielt. „Aber eins sag ich dir, wenn du wie eine Schildkröte auf dem Rücken liegst und mit den Armen zappelst, werde ich laut loslachen.“
„Diese Gelegenheit werde ich Dir nicht geben“, konterte sie zickig und versuchte verbissen den richtigen Halt, mit ihrem Fuß, am Felsen zu finden.
Währenddessen flüsterte Rob, Emma ins Ohr „Was sich neckt, das liebt sich“, wobei sie zustimmend nickte und sich noch enger an ihn schmiegte.
Tom stand mit den Armen verschränkt vor Lotte und beobachtete weiter, wie sie unbeholfen versuchte, den Felsen zu erklimmen. Er wartete förmlich darauf, dass sie auf die Nase fiel. Gerade als Lotte sich mit den Händen hochziehen wollte, rutschte sie mit dem Fuß ab und flog rücklings auf ihren Po. Mit verdatterten Blick, saß sie auf, dem mit Moos bewachsenen, Boden und schaute die anderen mit offen Mund an, während sie kein Ton herausbrachte. Tom brach in ein lautes Gelächter aus und auch Rob sowie Emma konnten nicht mehr an sich halten. Das Bild, welches sie ihnen bot, war einfach zu komisch, wie sie so dasaß. Immer noch lachend ging Tom auf sie zu und reichte ihr erneut seine Hand. „Hörst du jetzt auf mich?“, fragte er sie amüsiert. Stumm nickend nahm sie seine Hand und ließ sich von ihm aufhelfen. Als Lotte sich den Dreck von ihrer Jeans klopfte, bemerkte Emma, wie ihrer Schwester eine dezente Röte im Gesicht emporkroch. Konnte es wirklich sein, dass die Situation, ihrer sonst so taffen kleinen Schwester, unangenehm war? Lotte und Tom kletterten weiter den Felsen hinauf, aber diesmal ließ sie sich, ohne weitere Stichelei, helfen.
Langsam löste sich Emma aus Robs Umarmung, als die beiden anderen zu ihnen gestoßen waren. Sie drehte sich um und betrachtete die Umgebung, als es ihr den Atem verschlug. Erst jetzt nahm sie überhaupt wahr, wo sie sich befanden. Sie blickte direkt auf eine Burg, die auf dem Felsen am Meer erbaut wurde. Wieso hatte sie diese nicht schon vom Fuße des Felsens gesehen? War sie so sehr von den anderen abgelenkt gewesen oder hatte sie einfach nur noch Augen für Rob gehabt? Sie hatte keine Ahnung, aber im Grunde war es ihr auch egal, denn sie war jetzt hier und es war einfach fantastisch. Woher wusste er es nur?
„Mädels, wir haben unser Ziel erreicht. Wir dachten, euch könnte es hier gefallen“, unterbrach er ihre Gedanken, während sie noch immer sprachlos die Burg bestaunte.
„Es ist super“, fuhr es begeistert aus Emma raus, während sie sich zu Rob umdrehte und ihn voller Freude anstrahlte. „Das ist eine Wahnsinnsburg.“
„Ich schließ mich meiner Schwester an, es sieht hier einfach toll aus“, teilte Lotte ihre Zustimmung mit, die mittlerweile neben ihr stand und auch die Festung bewunderte. Die beiden Freunde genossen sichtlich ihren Erfolg, indem sie sich gegenseitig auf die Schulter klopften. „Was hab ich dir gesagt?“, murmelte Tom ihm bestätigend zu, wobei Rob nur abwesend den Kopf schüttelte. Er betrachtete immer noch sein Mädchen, die mit dem Funkeln in ihren Augen, sein Herz mal wieder ins Stolpern gebracht hatte.
„Was haltet ihr davon, wenn wir jetzt erstmal ein Plätzchen für ein Picknick suchen?“, fragte er schließlich, ohne seinen Blick von Emma abzuwenden, als er auf eine Antwort wartete. Doch die Mädels zeigten beide keinerlei Reaktion und schauten sich weiter gemeinsam die Umgebung an. Rob warf seinem Kumpel einen fragenden Blick zu, woraufhin dieser nur mit den Schultern zuckte, bevor er kaum unüberhörbar seinen Kommentar dazu abgab: „Also ich habe ein Mordshunger.“ Aber auch darauf erfolgte keine Antwort, sie schienen vollkommen in einer anderen Welt abgetaucht zu sein. Tom bedeutete Rob, er solle auf der Stelle stehen bleiben, während er sich langsam an die beiden Mädels heranschlich und vorsichtig sein Kopf zwischen ihnen steckte, bevor er: „Ich hab Huuuuunger!“, schrie. Die Mädels machten vor Schreck einen Satz zur Seite.
„Sag mal, spinnst du?“, fauchte Lotte ihn wütend an, als sie sich zu ihm umdrehte und Emma sprachlos stehen ließ. „Du tickst doch nicht mehr ganz sauber. Weißt du, was ich jetzt für ein Piepen im Ohr habe?“
„Beruhig dich Lottchen, ich wollte euch doch nur wecken“, erwiderte er mit einem frechen Grinsen, was Lotte nur noch mehr verärgerte. Was bildete er sich ein? Ohne ihm ein weiteres Wort oder Blickes zu würdigen, ging sie an ihm vorbei und zu ihrer Schwester. Emma war bereits wieder an Robs Seite und er hatte lässig seinen Arm um ihre Taille gelegt.
„Manchmal bist du eine richtige kleine Zicke“, murmelte Tom völlig genervt, als auch er sich zu den anderen gesellte. Emma spürte den Stimmungswandel und ihr wurde ganz unwohl bei dem Gedanken, den restlichen Ausflug mit einer angespannten Stimmung verbringen zu müssen. Auch Rob schien dies zu merken und versuchte schnell das Thema zu wechseln. Und versuchte sein Glück mit der erneuten Frage, ob sie ein Picknick einlegen sollten. Tom sowie Emma waren wie erwartet direkt dabei, nur Lotte zierte sich mit einer zurückhaltenden Zustimmung. Sie schien noch ein wenig in sich zu schmollen, während sie gemeinsam nach einer geeigneten Stelle suchten, doch nach einer Weile hatte sich ihr innerer Groll wieder gelegt gehabt.
Nur einen Moment später hatten sie an den Klippen ein schönes Plätzchen für die Rast gefunden. Emma war erneut von dem Ausblick von dieser Insel überwältigt und sah, dass es ihrer Schwester nicht anders ging. Lotte stand noch ein Stück näher am Rand der Klippe und schaute verträumt aufs offene Meer hinaus. Als sie sich wortlos neben Lotte stellte, waren die Jungs gerade dabei alles fürs Picknick herzurichten.
„Ist das nicht eine tolle Aussicht“, sprach sie ihre Schwester an, während sie eine Hand auf ihre Schulter legte. Lotte zuckte unter ihrer unerwarteten Berührung leicht zusammen, bevor sie verträumt antworte: „Ja, sie ist traumhaft. Auch die Burg schaut irre toll aus. Da hatten die beiden eine schöne Idee.“
„Also bereust du es nicht mitgekommen zu sein?“, fragte Emma vorsichtig, denn sie wollte kein Streit vom Zaun brechen und versuchte Lottes Stimmung abzuschätzen. Immer noch begleitete sie ein ungutes Gefühl, was sich auch nicht so einfach ignorieren ließ, dass der restliche Tag noch in einer Katastrophe enden könnte.
„Nein, gar nicht. Na ja, Tom nervt zwar manchmal ganz schön, aber das hier macht alles wieder wett.“ Sie drehte sich zu ihrer Schwester und zwinkerte ihr mit einem kleinen Lächeln zu. Erleichtert fiel Emma ein kleiner Stein vom Herzen. Vielleicht machte sie sich auch nur zu viele Gedanken und sie sollte selbst die Zeit einfach nur genießen.
„Es ist angerichtet die Damen“, rief Tom und beide drehten sich umgehend zu ihm um und gingen zu ihnen hinüber. Die beiden Jungs saßen auf, einer Tartan gemusterten Decke und vor ihnen lagen eine Menge Sandwiches sowie ein paar Getränkeflaschen. Rob schenkte Emma sein schiefes Lächeln und deutete mit der Hand auf den Platz neben ihm, was ihr sofort das Kribbeln im Bauch bescherte, wobei sie verlegen zurücklächelte. Wortlos setzte sie sich neben ihm und rutschte ein wenig näher an ihn ran, während er sie nicht aus den Augen ließ und seinen Arm um sie rum legte. Es war ein wunderbares Gefühl ihm so nah und mit ihm so vertraut zu sein, auch wenn ihr Herz bei jeder seiner Berührungen ins Stolpern kam, sog sie jeden einzelnen Moment mit ihm auf.
„Wer soll denn das alles essen?“, fragte Lotte erstaunt, als sie auf den Berg von Sandwiches schaute.
„Na ihr. Ihr schaut doch so verhungert aus.“, flachste Tom, und Emma war verwundert, wie locker ihrer Schwester auf seine Antwort reagierte. Denn die kleine Zicke, so wie Tom sie gerne nannte, rollte nur kurz mit den Augen und schnappte sich eins der Brote, bevor sie genüsslich darin reinbiss. „Na dann, haut rein!“, nuschelte sie mit vollem Mund, was alle zum Lachen brachte.
Sie machten eine ganze Weile dort Rast, aßen Brote und alberten rum. Sogar Lotte war so ausgelassen, dass sie sich wieder einem verbalen Schlagabtausch nach dem anderem mit Tom gab. Es war erstaunlich, wie gekonnt sein Kumpel Lotte gekonnt herausforderte und sie direkt darauf einstig. Emma beobachtete schmunzelnd ihre kleinen Neckereien, während Rob gedankenverloren mit einer ihrer Haarsträhnen spielte. „Die beiden können aber auch nicht anders, was?“, flüsterte er ihr ins Ohr, wobei ihr ein keiner wohliger Schauer überm Rücken lief.
„Ich fürchte nicht.“, brachte sie nur beschwerlich über ihre Lippen, während sie sich zu ihm umdrehte. Die Schmetterlinge in ihrem Bauch flatterten wie wild umher, als sie seinem Gesicht plötzlich so nah war und ihm geradezu in die Augen blickte. Am liebsten hätte sie ihn jetzt geküsst, doch trotz all ihrer Vertrautheit, verließ sie der Mut und sie kuschelte sich zurück in seine Arme. Enttäuscht von sich selber, begannen ihre Gedanken verrückt zu spielen. Sie stellte sich die schönsten Momente mit ihm vor. Wie sie ihn einfach küsste, durch sein Haar wuschelte und einfach zwanglos ihn in den Arm nahm. Wenn sie nur nicht so feige wäre.
„Kleines, hast du Lust eine Burgführung zu machen?“, riss Rob sie aus ihren Fantasien und sie brauchte einen Moment, um wieder einen klaren Gedanken fassen zu können. „Äh … Ja, gerne. So was kann man hier machen?“
„Sicher, lass uns die beiden Streithähne mal fragen, ob sie auch mögen.“ Er deutete auf Lotte und Tom, die Richtung Meer hinausschauten und über irgendetwas heiß diskutierten – wie sollte es auch anders sein?
„Super. So was mach ich total gerne. Danke, es ist so toll hier“, schoss es euphorisch aus ihr heraus und noch bevor sie überhaupt drüber nachdenken konnte, küsste sie ihn schon auf den Mund. Als ihr bewusst wurde, was sie gerade getan hatte, schaute sie Rob, über sich selbst, erschrocken an. Auch er saß völlig überrumpelt von ihrem Kuss vor ihr, lächelte sie aber schließlich an und gab ihr einen zärtlichen Kuss zurück. Augenblicklich wurde ihr, wie schon so oft heute, warm uns Herz und sie fühlte sich nur noch glücklich. Mit ihm war alles so leicht und unkompliziert. Am liebsten sollte der Tag gar nicht enden und doch freute sie sich jetzt auf die Führung.
Lotte und Tom hatten Emmas Aktion nicht mitbekommen, zu sehr waren sie in ihrer Diskussion, über die Farbe des Meers, vertieft. Soweit sie verstanden hatte, war ihre Schwester der Meinung, es sei Türkis und Tom hingegen bestand auf Azurblau.
„Was für eine sinnvolle Unterhaltung“, unterbrach Emma kopfschüttelnd das Gespräch. „Habt ihr nicht lieber Lust euch die Burg von innen anzuschauen?“
„Ja, aber sicher doch. Ich bin dabei“, antwortete ihre Schwester begeistert, sprang auf und fing an den Rucksack zu packen. Tom fand die Idee ebenfalls klasse und gemeinsam räumten sie die Sachen zusammen. Als alles im Rucksack verstaut war, machten sie sich zusammen auf dem Weg zum Eingang der Festung. Kurz bevor sie das Eingangstor erreicht hatten, blieb Lotte plötzlich stehen.
„Hey, schaut euch das an“, rief sie begeistert und Emma schaute sie verwirrt an, als sie nur einen großen Stein sah.
„Das ist nur ein Felsen, Lotte. Komm weiter.“, sagte sie abfällig, während sie sich wieder umdrehte und weitergehen wollte, doch ihre Schwester ließ sich nicht beirren.
„Es ist ein super Motiv für ein Bild von euch zweien.“
„Von welchen zweien“, war es jetzt Rob, der sie irritiert anschaute.
„Na, von euch beiden natürlich.“ Keiner von beiden hatte eine Chance zu reagieren, als Lotte unvermittelt vor ihnen stand, sie an den Armen packte und sie genau vor den Brocken zog. Emma passte das so gar nicht. Sie hasste es, fotografiert zu werden und am liebsten hätte sie ihrer Schwester gerade den Hals umgedreht.
„Muss das sein, ich mag mich nicht auf Fotos. Und wo hast du überhaupt die Kamera her?“, protestierte sie und warf Lotte einen bösen Blick zu. Doch als Rob den Arm um sie schlang und ihr zu flüsterte: „Du siehst toll aus“, war ihr Ärger wie verflogen.
„Ach, die hab ich vorhin schnell eingesackt, bevor wir los sind.“, antwortete sie beiläufig, als sie die Kamera aus der Tasche zückte. „So, nun schaut mal, wo das
berühmte Vögelchen herauskommt, und sagt piep.“ Emma und Rob lächelten, während Lotte fröhlich drauf los knipste. Als endlich das Foto im Kasten war, ging Emma schnurstracks auf ihre persönliche Nervensäge zu. „Das war das erste und letzte Foto, was du von mir geknipst hast, okay?“
„Okay, reg dich nicht auf. Du wirst es mir noch danken.“ Lotte lächelte sie selbstsicher an und Emma fragte sich, was sie vor hatte. Irgendetwas heckte sie doch wieder aus. Noch während sie über Lottes Absichten grübelte, spürte sie Robs Hand in ihre gleiten und ihr Atem stockte. Dieses Gefühl seiner Nähe ließ alles um sie herum vergessen.
„Gehen wir?“, fragte er und schenkte ihr sein schiefes Lächeln, was ihr zum wiederholten Male das Kribbeln im Bauch bescherte, während sie als Antwort nur stumm nicken konnte. Sie konnte es kaum erwarten mit ihm an ihrer Seite, diese wunderschöne Burg zu besichtigen.
Kapitel 6
Ein Ausflug hat Folgen
Zusammen betraten Emma und Rob die imposante Eingangshalle der Burg, während Lotte sowie Tom ihnen heiß diskutierend folgten, aus welchem Jahrhundert diese Festung wohl stammte. Natürlich waren sie sich da überhaupt nicht einig, und Emma beschloss, die beiden Streithähne komplett auszublenden, viel mehr wollte sie den Moment mit Rob an ihrer Seite und das Innere der Burg genießen. Von ihr aus konnten ihre Schwester und sein Kumpel, sich die Köpfe einschlagen, wenn sie denn unbedingt wollten, das war ihr gerade herzlich egal. Sanft spürte sie, wie Rob ihre Hand drückte und wie sein Blick auf sie ruhte, als sie sich in der Halle umschaute. „Wow“, formten ihre Lippen vor lauter Begeisterung, als sie den hochgemauerten Raum, mit den vielen gebogenen Fenstern über zwei Ebenen, bestaunte. In den oberen Reihen waren kleine Säulen angebracht und in der Mitte des Saals ragte ein riesiger, aus Messing gehaltener, runder Kerzenkronleuchter von der Decke, der die Gemäuer sanft erhellten. Rechts von ihr ging eine Tür ab, die zum nächsten Raum führte, wo die gesamte Wand mit den unterschiedlichsten Schilden und Wappen behangen war. Es war traumhaft schön. Fasziniert und mit einem breiten Lächeln drehte sie sich mit Schwung zu Rob um. „Danke, oh danke Rob, für die Überraschung.“ Er zog sie näher an sich heran und hauchte ihr ein „Gerne, Kleines“, zu, bevor er ihr einen sanften Kuss auf die Stirn gab, als er schroff von der Seite angerempelt wurde. Schnaufend drehte er sich um und blickte direkt in Toms Gesicht.
„Oh sorry Mann, hab dich nicht gesehen“, entschuldigte dieser sich hastig und wandte sich, ohne auf eine Reaktion zu warten, wieder von seinem Kumpel ab. „Nein, Lotte, die ist garantiert nicht aus dem 15. Jahrhundert.“ Charlotte stand mit den Armen vor der Brust verschränkt vor ihm und schüttelte nur vehement mit dem Kopf. Genervt wandte Rob sich wieder seiner Freundin zu, die ebenfalls nur mit den Augen rollte. Keiner der beiden verstand, warum Lotte wie auch Tom es nicht einfach mal gut sein lassen konnten. Langsam beschlich Rob die Angst, dass sein Kumpel samt Lotte den restlichen Ausflug scheitern lassen könnten und entschied, dass er das nicht zulassen würde. Das war sein Tag mit seiner Liebsten und das würde er sich von niemanden kaputtmachen lassen – nicht mal von seinem Freund.
„Kleines komm, wir holen die Eintrittskarten“, flüsterte er ihr zu, wobei er mit dem Kopf Richtung Kasse deutete, während sie nur stumm mit einem Kopfnicken antwortete. An dem kleinen Tisch saß ein älterer kahlköpfiger Mann, der sie freundlich mit den Worten: „Willkommen auf der schönsten Burg der Insel“, begrüßte. Noch bevor Rob etwas sagen konnte, ergriff Emma das Wort und orderte vier Eintrittskarten, denn heute wollte sie die Kosten übernehmen, nachdem er schon den gestrigen Ausflug komplett übernommen hatte. Ihm schien das nicht ganz recht zu sein, denn er schaute sie mit einem irritierten Blick an. Aber ehe er überhaupt eine Chance zum Protestieren hatte, stellte Emma sich auf die Zehenspitzen und hauchte ihm einen Kuss auf seine Lippen. „Lass mich, bitte“, flüsterte sie und ihr zuckersüßer Blick traf ihn wieder einmal mitten in sein Herz. Seufzend erwiderte er den Kuss, schlang den Arm um ihre Taille, bevor er sich widerstrebend von ihr löste, damit sie zahlen konnte. Die beiden Streithähne hatten anscheinend auch endlich mitbekommen, dass sie sich von ihnen entfernt hatten und waren zu ihnen gestoßen. Leider hatten sie es aber immer noch nicht geschafft, sich zu einigen und diskutierten immer noch lautstark miteinander. Emma schüttelte genervt mit dem Kopf, während sie einen hilfesuchenden Blick Rob zuwarf, der auch nur völlig abgenervt mit den Augen rollte. Es reichte. „Wenn es euch doch so wichtig ist, wann diese verdammte Burg erbaut wurde, dann schaut doch einfach in den Flyer!“ Er fischte den Zettel hastig aus dem Ständer und knallte ihn Tom direkt vor die Brust, bevor er seiner Freundin wieder um die Taille fasste und sie näher an sich zog. „Ich möchte hier mit meiner Süßen, einen schönen Tag haben. Könnt ihr euch jetzt bitte zusammenreißen?“ Ohne auch nur auf irgendeine Reaktion von den beiden abzuwarten, drehte er sich mit Emma im Arm um und ging mit ihr in Richtung Tür, während der Kassierer noch hinter ihnen herrief, dass die Führung in wenigen Minuten beginnen würde. Mit dem Flyer vor der Brust stand Tom wie versteinert an Ort und Stelle und starrte mit Lotte zusammen den beiden hinterher, bis sie schließlich im anderen Raum verschwunden waren.
„Was ... war ... das?“, stotterte Lotte verwundert, drehte sich zu Tom um, der sich langsam aus seiner Starre befreite und sie unvermittelt am Oberarm packte.
„Ich glaube, wir sollten ihnen folgen. Sie haben unsere Karten“, war sein einziger Kommentar, als er sie bereits mit sich zog, um sich eilig seinem Kumpel und Emma anzuschließen.
Als Emma den großen Saal betrat, kam sie aus dem Staunen nicht heraus und strahlte Rob überglücklich an. Sie konnte es immer noch nicht richtig begreifen, dass er ihr eine so tolle Überraschung machte und er mit ihr so vertraut war, als wenn er genau gewusst hätte, dass sie so viel für alte Gemäuer aus einem anderen Zeitalter übrighatte. Sie kuschelte sich noch ein wenig enger an seinen Körper, während sie, Arm in Arm, durch den Raum gingen und das komplett andere Erscheinungsbild zur Eingangshalle bewunderten. Die Wände waren allesamt weiß gestrichen und der Boden war aus hellem Naturholz, wovon in gleichmäßigen Abständen dunkle Holzbalken bis unter die Decke ragten. Zwischen den Balken waren unterschiedlich große Vitrinen sowie Regale, mit alten Burgutensilien, Büchern oder auch Kleiderstücken ausgestellt. Der große Saal wirkte wie ein Teil von einem Museum und sogar eine echte Ritterrüstung entdeckten sie am anderen Ende des Raums.
Rob hatte sich hinter Emma gestellt, seine Arme um ihre Taille geschlungen und den Kopf auf ihrer Schulter abgestützt, als sie sich die alten Handschriften in einer der kleinen Vitrinen genauer betrachteten.
„Meinst du, sie werden sich jetzt vertragen?“, fragte Emma ihn leise, während sie sich weiter interessiert eine Schriftrolle anschaute. Sie hoffte so sehr, dass sie die Zeit und Robs Nähe endlich, ohne weiteren Ärger, genießen konnte und sich nicht mit den Streitereien von den anderen beiden beschäftigen musste.
„Ich denke, meine Ansage ist angekommen. Aber egal was ist Emma, wir werden uns den Tag nicht verderben lassen“, flüsterte er ihr sanft ins Ohr, wobei er mit der Nase durch ihr weiches Haar strich. Augenblicklich lief ihr ein wohlig warmer Schauer über ihre Haut, der sich über ihren ganzen Körper legte und sie befürchtete unter seinen Berührungen, die Kontrolle über ihre Beine zu verlieren. Solche Empfindungen hatte bisher noch kein anderer Junge in ihr ausgelöst und sie kostete jede Sekunde seiner Nähe aus, als wären es die Letzten mit ihm. Nach ihrem gestrigen ersten Kuss, war er so viel offensiver und zeigte ihr mit jeder seiner Gesten und Berührungen, dass es ihm wohl genauso erging wie ihr und nahm ihr damit auch ein Stück weit ihre eigene Unsicherheit. Sie fühlte sich so glücklich und komplett mit ihm, dass sie es am liebsten hinausgeschrien hätte, doch sie ließ sich nur noch mehr in seine Umarmung fallen und schloss für einen Moment ihre Augen, um den Augenblick vollends genießen zu können.
„Da seid ihr ja. Hättet ihr nicht warten können?“, wurden sie von Lottes Stimme aus ihrer Zweisamkeit gerissen, wobei Rob nicht den Anschein machte, dass er sich stören ließ, denn er hielt Emma weiterhin völlig gelassen in seinen Armen. Während sie hingegen erschrocken den Kopf in die Richtung, der Stimme ihrer Schwester drehte und sah, wie Tom mit ihr im Schlepptau, auf sie zugeschritten kam.
„Habt ihr eure Frage des Tages jetzt geklärt?“, entgegnete Emma, mit einer hochgezogenen Augenbraue, was Rob leise aufkichern ließ.
„Ja, ja…so wichtig ist das jetzt auch nicht, oder Tom?“ Mit zusammengekniffenen Augen funkelte Lotte ihn an, während sie sich aufgebracht aus seinem Griff befreite.
„Nein, ist es nicht … auch wenn es mich wirklich interessiert.“
„Dann schau in den Flyer, Tom!“, meldete sich jetzt Rob, augenzwinkernd an seinen Kumpel gerichtet, zu Wort, während Emma genau spürte, wie verärgert ihre Schwester wirklich war. Sie hoffte inständig, dass sich ihre persönliche kleine Zicke, für den Rest des Ausfluges zusammenreißen würde. Ansonsten könnte sie für nichts garantieren, denn es langte ihr und mittlerweile begann sie es zu bereuen, Lotte überhaupt mitgenommen zu haben. Das war auch vorerst das letzte Mal, das schwor sie sich.
Eine recht markante und maskuline Stimme unterbrach plötzlich, die angespannte Situation zwischen ihnen und alle drehte sich zum Eingang des Saals, wo eine mittelschlanke Frau, mit kurzen blonden Haaren, sie begrüßte. „Herzlich willkommen auf unserer Burg.“ Erst jetzt bemerkte Emma, dass die Führung gut besucht war, als sie sah, dass sich eine kleine Menschentraube um die Frau versammelt hatte. Tom begann direkt an loszukichern, als er die Dame in der engen schwarzen Jeans mit dem figurbetonten weißen T-Shirt sah und auch Robert konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
„Mein Name ist Mrs. Johnson, ich bin heute ihre Führerin. Bitte versammeln sie sich in der Mitte des Saals und halten sie die Eintrittskarten bereit. Wir werden gleich mit der Führung beginnen“, fuhr sie fort und wandte sich zu dem kahlköpfigen Mann an der Kasse.
„Hey Rob, sie sieht aber nicht so nett aus.“, flüsterte er seinem Freund zu, wobei Emma Toms Blick nicht deuten konnte, jedoch war in seinem Tonfall der Sarkasmus nicht zu überhören.
„Hmm, sie erinnert mich stark an unsere Sportlehrerin Frau Hartford. Es fehlt nur noch die Trillerpfeife“, antwortete Rob völlig trocken, was Tom laut auflachen ließ. Emma konnte ihrer Unterhaltung nicht richtig folgen und schaute sie nur schweigend und mit einem irritierten Blick an, als sich Frau Johnson wieder zu Wort meldete. „Bevor wir mit der Führung beginnen, möchte ich sie auf bestimmte Regeln aufmerksam machen. Es darf weder im Gebäude gegessen, geraucht noch getrunken werden. Ich möchte sie darum bitten, hinter den jeweils vorgesehenen Absperrungen zu bleiben und nichts anzufassen. Jeglicher Verstoß hat den Verweis vom Gelände zur Folge. Ihr Tonfall war besonnen, freundlich, aber auch sehr bestimmend zudem beobachtete sie genau die Reaktionen der Besucher.
„Was ist sie, Feldwebel oder eine Burgführerin?“, zischte Tom genervt, als sich die vier Freunde verwundert anschauten.
„Die ist besser als Frau Hartford. Pass auf, die holt gleich die Peitsche raus“, platzte es lachend aus Rob heraus, wo sein Kumpel sofort mit einstimmte. Emma stupste ihn, mit dem Ellenbogen, mahnend in die Seite, konnte sich aber selbst das Schmunzeln nicht verkneifen. Lotte hingegen schaute die Drei völlig verständnislos an und schüttelte nur mit dem Kopf. Verkniff sich jedoch, ziemlich untypisch für sie, jeglichen Kommentar.
„Pass auf, wenn wir in den Keller gehen, was sie da noch auspackt“, setzte Tom noch einen drauf und hielt sich den Bauch vor Lachen. Das war genau Charlottes Stichwort und sie nutze die Chance, um ihrem kleinen Widersacher noch einen mitzugeben. „Dann legt sie dich erst mal auf die Streckbank, zieht dir die Hose runter und dann kommt sie Peitsche zum Einsatz.“ Sie funkelte Tom triumphierend an, während die anderen drei in einem schallernden Gelächter ausbrachen, was wiederum Frau Johnsons Aufmerksamkeit sofort auf den Plan rief und die vier mit einem stechenden Blick anschaute. „Scheiße Alter, die hat echt eine Trillerpfeife“, bemerkte Tom flüsternd, als er das kleine Flöteninstrument um ihren Hals baumeln sah, während sie ungehindert weitersprach: „Ich bitte um Ruhe, ich möchte mit der Führung beginnen. Bitte gehen sie rechts durch die Tür in den Rittersaal und ziehen sie ihre Eintrittskarte durch das Lesegerät.“
„Jawohl, Madame“, sagte Rob, stieß die Hacken zusammen, während sein Kumpel ihn nur leicht verunsichert anschaute. „Also, mich würde es nicht mehr wundern, wenn sie wirklich gleich noch die Peitsche auspackt“
„Und ich mich nicht über die Streckbank“, konterte Lotte süffisant grinsend und mit verschränkten Armen vor der Brust, was erneut alle zum Lachen brachte, als sie schließlich Richtung Rittersaal gingen. Dank Frau Feldwebel Johnson, so wie Tom sie nun nannte, wurde die Stimmung erheblich aufgelockert und Emma hatte wieder das Gefühl, dass der Ausflug doch nicht in einer Katastrophe enden könnte.
Aber wie sollte der Ausflug mit Rob nicht wunderbar werden, dachte sie, während sie sanft und verträumt, mit dem Daumen, über seinen Handrücken strich. Unvermittelt wandte er sich zu ihr und schenkte ihr sein schiefes Lächeln, als ihre Blicke aufeinandertrafen. Augenblicklich wurden ihre Knie weich und sie spürte, wie die Trillionen von Schmetterlingen in ihrem Bauch wild umherflatterten. Er schaffte es immer wieder, sie komplett aus dem Konzept zu bringen. Wie machte er das bloß?
Als sie am Ende der Schlange zum Eingang des Rittersaals angeschlossen hatten, zückte Emma die erworbenen Eintrittskarten aus ihrer Hosentasche und verteilte sie. Es ging recht schnell voran und Tom sowie Lotte gingen vor ihnen, während Rob Emma vor sich zog und seine Hände auf ihre Hüften platzierte, um sie sanft vorwärts zu schieben.
Als sein Kumpel und Lotte gerade durch das Drehkreuz huschten, neigte Emma ihren Kopf nach hinten gegen seine Brust und schaute ihn direkt an. „Meinst du, hier gibt es eine Art Burggespenst, Rob?“ Er musste Schmunzeln und hauchte ihr einen kleinen Kuss aufs Haar, bevor er ihr amüsiert antwortete: „Hm, nein ich glaub nicht. Und wenn, dann hat es sich heute in den hintersten Winkel der Burg verkrochen. Bei diesem Feldwebel.“
„Ja, da hast du wohl recht.“ Lachend richtete sie ihren Blick wieder nach vorne, zog ihre Karte durchs Lesegerät und betrat durchs Drehkreuz den neuen Saal. Rob tat es ihr gleich und war unmittelbar wieder an ihrer Seite. Er legte seinen Arm um ihre Hüfte, während sie weiter in den Raum traten und dabei die beiden anderen in einer Ecke, neben einer Art Brunnen, entdeckten, die wieder dabei waren eine Diskussion loszutreten. Seufzend gesellte Emma sich mit Rob neben ihnen und versuchte, sie erneut zu ignorieren, während sie sich den mittelgroßen, von der Decke bis Boden vertäfelten Raum anschaute. Die Wände waren hier ebenfalls mit den unterschiedlichsten Wappen verkleidet, die leicht schräg angebracht waren und mit kleinen Spotlichtern beleuchtet wurden. In der Mitte des Raums stand ein großer, in U-Form gruppierter, Holztisch, der umringt von imposant wirkenden Holzstühlen war – die sogenannte Rittertafel.
Die Auseinandersetzung zwischen ihrer Schwester und Tom wurde derweil immer lauter und Emma gelang es beileibe nimmer, die beiden vollends auszublenden. Sie hatte keinerlei Ahnung, um was es sich diesmal handelte, und sie hatte auch nicht das geringste Interesse es herauszufinden. Sie spürte nur, wie in ihr langsam der Ärger emporkroch und ihr der gesamte Spaß genommen wurde. Als sich dann auch noch die sehr penetrante Stimme von – Frau Feldwebel - unter das Gezeter der Streithähne mischte, die für Aufmerksamkeit sorgen wollte, fiel es ihr noch schwerer, die Ruhe zu bewahren. In ihr tobten die Gefühle von Wut und Enttäuschung, über Lottes aber auch über Toms Verhalten, die sich einfach nicht zurückhalten konnten und nicht mal bemerkten, wie sie den Ausflug mit ihren ständigen Streitereien torpedierten. Für sie war es nicht begreiflich, wie die Stimmung von total entspannt, lustig und ausgeglichen, von jetzt auf gleich auf angespannt und angeheizt kippen konnte. Dabei wollte sie nichts mehr, als die wunderbare Zeit mit Rob, der Burgführung und seiner Nähe genießen. Mit ihm Lachen, Spaß haben und seine Berührungen spüren, während sie sich einfach in seinen Armen fallen lassen konnte. Zu ihrer Wut und Enttäuschung mischte sich unvermittelt das Gefühl der Angst unter und sie spürte, wie sich die ersten Tränen den Weg nach oben bahnten. Krampfhaft versuchte sie, diese zu unterdrücken. Nein, du weinst jetzt nicht!, ermahnte sie sich selbst in Gedanken, während sie sich bemühte, ihr Gesicht vor Rob zu verbergen, der noch immer neben ihr stand und den Erklärungen lauschte. Die beiden Streithähne trugen fröhlich ihre Meinungsverschiedenheit flüsternd fort.
Emma war sich sicher, sie würde ihn nach diesem Tag nie wiedersehen. Er würde gar keine Lust mehr haben wollen, noch mehr Zeit mit ihr verbringen zu wollen, nachdem der Ausflug sich zu einer minderen Katastrophe entwickelt hatte. Wie sollte er auch Spaß bei den beiden anderen empfinden können? Eine einzelne Träne stahl sich aus dem Augenwinkel und rann sanft ihre Wange herunter, die sie eilig mit ihrer Hand wegwischte.
Oh Gott, war das peinlich.
Am liebsten wäre sie auf der Stelle im Erdboden versunken und aus der Situation geflüchtet, als sie plötzlich seine Hand an ihrem Kinn spürte und er es sanft nach oben drückte, sodass sie anschauen musste. Sie schluckte und biss sich unsicher auf die Unterlippe, während sie mühselig versuchte, die erneut aufkommenden Tränen zu unterdrücken, doch es gelang ihr nur mäßig.
„Hey Kleines, was ist los? Gefällt es dir nicht mehr?“, fragte er sie besorgt, als eine weitere Träne ihre Wange herunterlief. Zärtlich wischte er sie mit einem Finger weg, ohne sie dabei aus den Augen zu lassen, während er sich fragte, was Emma so traurig gemacht hatte. In ihm krochen augenblicklich die Zweifel hoch. Hatte er etwas falsch gemacht? Hatte er sie zu sehr bedrängt? Gefiel es ihr plötzlich doch nicht mehr? Dabei hatte er den Eindruck gehabt, dass er ihr mit dem Ausflug eine riesige Freude gemacht hatte. Sie wirkte so ausgelassen, fröhlich und hatte ihm mit ihren Verhalten das Gefühl gegeben, dass sie genauso für ihn empfand, wie er für sie. Oder hatte er die Zeichen alle falsch gedeutet? Was war verdammt noch mal los?
„Nein, … Äh … Nein, Rob“, stammelte sie nach Worten ringend. „Nein, das ist es nicht. Ich ärgere mich nur über meine Schwester. Dass sie sich nicht ein einziges Mal zurückhalten kann. Ich dachte, es wird ein toller Ausflug zu viert, und nun hängen die beiden sich nur in den Haaren. Es tut mir leid. Du willst mich sicher nicht mehr wiedersehen.“ Ihre letzten Worte waren nur ein leises Flüstern, wobei sie sich aus seinem Blick löste und den Kopf zu Boden senkte. Verwundert aber auch gleichzeitig erleichtert über ihre Worte, schlang Rob seine Arme um ihren Oberkörper, während er sie sanft an sich zog, sodass sie sich wieder ihm zuwendete. Ihre traurigen Augen versetzten ihm einen kleinen Stich ins Herz und er mochte nicht, wie sie über sich und den Tag dachte. „Hey, was redest du denn da? Die beiden anderen haben doch nichts mit uns zu tun. Mir egal, ob die sich die Köpfe einschlagen. Solange wir beide zusammen sind, kann mir nichts die Laune verderben.“ Emma war so überwältigt und erleichtert, dass sich ihre Ängste auf einen Schlag in Luft auslösten und sie nur stumm mit dem Kopf nicken konnte, bevor sie sich noch enger an ihn schmiegte. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie mittlerweile alleine im Rittersaal waren und für einen kleinen Moment genossen sie, eng umschlungen, die Nähe zueinander.
„Kleines, was hältst du davon, wenn wir beide die Burgführung schwänzen?“, unterbrach Rob die Stille, die sie umgab und löste sich langsam aus der Umarmung, um sie anschauen zu können. Auch Emma trat einen kleinen Schritt zurück, damit sie ihm direkt in die Augen blicken zu konnte. Ihr Herz machte einen kleinen Hüpfer, als sie sich fast in seinen topasblauen Augen verlor und ihn verwundert fragte: „Wie schwänzen? Was machen wir denn mit Tom und Lotte?“
„Die beiden kommen gut ohne uns klar. Der Feldwebel wird sie im Griff haben und ich kenne hier an der Burg noch eine schöne Stelle. Die möchte ich dir gerne zeigen“, erklärte er und setzte sein schiefes Lächeln ein, während er hoffte, dass sie seiner Idee zustimmen würde. Nichts wollte er gerade mehr, als ein paar ruhige Momente mit ihr ganz alleine zu verbringen und ihr wieder ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Sie sollte einfach die Zwistigkeiten der anderen beiden vergessen, also lag nichts näher, als sich von den anderen abzukapseln und ihr das Highlight der Burg zu zeigen. Als Emma ihn mit strahlenden Augen zunickte, ergriff er ihre Hand und ging mit ihr zurück zum Eingang. Da es sich bei der Burgführung um einen Rundgang handelte, standen sie vor den Drehkreuzen und konnten nicht durchgehen. Kurzerhand packte Rob ihr an die Taille, hob sie hoch damit sie über die Absperrung klettern konnte, und sprang anschließend selbst leichten Fußes drüber. Vorsichtig lugten beide um die Ecke, ob sie irgendwo Mrs. Feldwebel erblicken konnten, denn sie hatten keine Lust von ihrer penetranten Stimme aufgehalten zu werden. Als sie bemerkten, dass die Luft rein war, fasste Rob sich Emmas Hand und rannte mit ihr Richtung Ausgang, wobei sie direkt an den kleinen kahlköpfigen Mann vorbei rasten, der ihre Eile nur mit einem „Diese Jugend von heute“- kommentierte, bevor sie am Tor um die Ecke bogen.
Kaum waren sie draußen angekommen, verlangsamten sie ihre Schritte und Rob trällerte fröhlich: „Flucht gelungen“, während er ihre Hand losließ, mit seinen Armen nach oben wirbelte und sich in einem Siegestanz versuchte. Sein Anblick sah so komisch aus, dass Emma sich kaum halten konnte vor Lachen und abrupt blieb er in seiner Haltung verharrt stehen und schaute sie stirnrunzelnd an. „Was gibt es da zu lachen?“, versuchte er mit ernsten Tonfall zu fragen, wobei er kläglich scheiterte sein Schmunzeln zu unterdrücken. Es war so schön, sie wieder ausgelassen Lachen zu sehen.
„Ni ...ni …nichts“, brachte Emma nur schwerlich unter ihrem Lachanfall hervor, während sie unter Lachtränen versuchte weiterzusprechen. „Aber hör be ...be ...sser auf so… sonst fängt es gleich noch an …an ...zu regnen.“
Mit einer hochgezogenen Augenbraue und einem schiefen Grinsen auf den Lippen schaute er sie herausfordernd an. „Na warte Fräulein, laufe so schnell du kannst. Das gibt Rache!“, schrie er, während er einen Satz auf sie zumachte und Emmas Lachen erschrocken verstummen ließ, als sie sah, wie er auf sie zu rannte. „Ah, nein, nein, nein!“, rief sie laut aus, drehte sich auf dem Absatz um und rannte wie der Teufel an der Burg entlang, während er ihr lachend folgte.
„Du brauchst gar nicht so schreien, ich krieg dich eh“, rief er ihr hinterher, als sie sich schreiend zu ihm herumdrehte und sah, wie gefährlich nah er schon war. Was ihn nur noch mehr anspornte und er noch einen Zahn zulegte. „Nein! Hilfe, lass mich!“
Rob lachte laut auf und streckte die Arme nach ihr aus, um sie am Top zu packen. Doch genau in dem Moment, wo er das Stück Stoff fast zu fassen bekam, schlug sie plötzlich einen Haken nach rechts und er verlor beinah das Gleichgewicht. Taumelnd wirbelte er mit seinen Armen umher, um nicht auf die Nase zu fallen, bis er in letzter Sekunde sein Gleichgewicht doch noch halten konnte. „Puh, das war knapp.“ Atemlos stützte er seine Hände auf seinen Oberschenkeln ab, während Emma am steinernen Torbogen angelehnt stand und ihn frech angrinste.
„Von wegen du kriegst mich. Du bist ja ganz außer Atem, alter Mann.“, provozierte sie ihn, als er sie anschaute. So nicht junge Dame, dachte er, während er sich aufrecht hinstellte, ein unschuldiges Lächeln aufsetzte und die Arme langsam nach oben nahm.
„Okay, ich ergebe mich“, sagte er und ging langsam auf Emma zu, die noch immer am Torbogen stand und ihm einen argwöhnischen Blick zuwarf. „Du hast gewonnen. Spiel, Satz und Sieg für dich“, wog er sie in Sicherheit. „Außerdem ist hier die Stelle, die ich dir zeigen wollte.“
Emma schaute ihn noch einen Moment misstrauisch an, bis sie sich stolz vor ihm hinstellte und „Okay, Waffenstillstand“, sagte, als sie ihm ihre Hand zum Einschlagen reichte. Noch ehe sie sich versah, hatte Rob sie am Handgelenk gepackt, zu sich gezogen und begonnen sie an den Bauchinnenseiten zu kitzeln.
So ein verdammter Schuft!
Ausgerechnet an ihrer empfindlichsten Stelle. Emma wand sich wie ein Aal unter seiner Kitzelattacke, während sie vor Lachen quiekte und dabei flehend versuchte, ihn zum Aufhören zu bewegen. „Hör auf, hör doch bitte auf ... das ist unfair.“ Doch Rob dachte gar nicht daran, er genoss viel zu sehr den Spaß und verstärkte noch einmal seine Fingerfertigkeit, was sie nur erneut zum Aufquieken brachte. „Bitte… Oh Bitte, lass es, Rob!“
„Okay“, sagte er lachend und löste seinen Griff von ihr. „Jetzt sind wir quitt!“ Emma stellte sich völlig außer Puste wieder aufrecht hin, hielt sich an ihren Seiten und hatte einen hochroten Kopf vom Lachen, während sie es dennoch schaffte, ihm einen grimmigen Blick zuzuwerfen.
„Du bist ja richtig fies“, schimpfte sie gespielt beleidigt, wobei sie ihr Schmunzeln nicht verstecken konnte. Verdammt! Sie konnte ihm nicht böse sein.
Rob legte seinen Arm um ihre Schultern. „Hauptsache ich habe dich wieder zum Lachen gebracht. Und nun komm Kleines, ich mag dir was zeigen“, sagte er vollkommen ehrlich, bevor er ihr einen Kuss auf den Kopf gab.
Wenige Schritte vom hinteren Teil der Burg entfernt, gelangten sie zum Ruinenabschnitt, der direkt an den Klippen grenzte. Die Aussicht war einfach atemberaubend und es war wirklich das Highlight der ganzen Festung. Rob führte sie bis zum Rand der Klippen, an einem langen Mauerstück, wo er sich direkt niederließ. „Das hier wollte ich dir zeigen. Einer meiner absoluten Lieblingsorte auf der Insel“, sagte er verträumt, als er aufs Meer hinausschaute. Emma stellte sich neben ihm und sog die Atmosphäre, Aussicht und die Stille in sich auf. Sie schloss die Augen und lauschte einfach nur dem Wellenrauschen. Es war so schön.
Rob hingegen, hatte nur Augen für sie übrig, wie sie so dastand und ihre Augen vor Begeisterung funkelten. Ihr Atem ganz ruhig ging, als sie ihre Augenlider schloss und die salzige Meeresluft in sich aufsog. Wie ihr Haar von der leichten Brise in der Luft zu tanzen begann. All das, ließ seine kleinen wilden Schmetterlinge in Bauch wie verrückt flattern und seinen Lippen ein Lächeln umspielen, während er befürchtete, den Verstand zu verlieren. Er hatte das Gefühl, er würde wie ein Volldepp auf sie wirken, wenn sie mitbekommen würde, wie er sie die ganze Zeit wie blöde angrinste. „Reiß dich jetzt zusammen“, ermahnte er sich selber und zwang sich, seinen Blick von ihr zu lösen, obwohl er sie noch stundenlang hätte beobachten können. Als er wieder hinaus auf den Ozean schaute, unterbrach er die Stille: „Und, gefällt es dir hier?“
Oh Gott, wie dämlich!
Gedanklich klatschte er sich für die Frage gegen die Stirn und schüttelte leicht den Kopf, doch Emma nahm das alles nicht wahr. Sie drehte sich zu ihm um und ihre schokobraunen Augen trafen direkt auf seine, was ihm den Atem, für einen Bruchteil einer Sekunde, stocken ließ, bevor sie ihm begeistert antwortete: „Ja, es ist einfach traumhaft.“ Ohne darüber nachzudenken, nahm er ihre Hand, zog sie, seitlich, auf seinen Schoß und war selbst so über seine Handlung überrascht, dass er einen Moment die Reaktion von Emma fürchtete. Er hatte einfach das Bedürfnis verspürt, sie in seinen Armen zuhalten, ihren Duft zu riechen und ihr einfach ganz nah sein zu dürfen. Doch Emma lächelte ihn nur schüchtern an und er sah, wie ihr eine dezente Röte in den Wangen emporkroch. „So lässt sich der Ausblick viel besser genießen“, flüsterte er ihr ins Ohr, während er seine Arme um ihren Bauch legte und sie nur stumm nickte. Unvermittelt traf ihn wieder seine eigene Unsicherheit und er fragte sich erneut, ob er nicht doch zu weit gegangen war. Er wollte sie auf keinen Fall bedrängen. „Emma, wenn es dir nicht recht ist. … Du brauchst nicht auf meinen Schoss sitzen“, murmelte er leise, mit dem Blick aufs Meer gerichtet, denn er traute sich einfach nicht, ihr in die Augen zu schauen. Viel zu sehr hatte er Angst, sie könnte ihn abweisen, bis er plötzlich ihre zarten Finger spürte, die sich mit seinen verwoben. „Nein Rob, ich finde es sehr schön“, antwortete sie ihm leise, als ihre Blicke wieder aufeinandertrafen und sein Herz für einen Augenblick aufhörte zu schlagen. Man spürte regelrecht das Knistern, was zwischen ihnen in der Sommerluft lag, als sie in den Augen des anderen versanken. Langsam führte Rob seine Hand über ihren Rücken hinauf zu ihrem Nacken, was ihr einen wohlig warmen Schauer auf der Haut bescherte. Sie schloss ihre Augen, um jede seiner Berührungen intensiver spüren zu können, als er zaghaft ihre Haare zur Seite strich, um ihren Nacken zu kraulen. Es fühlte sich so unheimlich gut an. Seine Berührungen raubten ihr fast ihre Sinne und sie wusste nicht, mit all den neuen Empfindungen, die sie gerade überfluteten, umzugehen. Sie war nicht fähig, sich zu rühren, während sich die Glückshormone mit den Schmetterlingen in ihrem Bauch ein Wettrennen lieferten.
„So ein Mädchen wie Dich, habe ich noch nie kennengelernt“, flüsterte er, als er kleine Kreise mit dem Finger, über ihren Nacken zog, während sie weiterhin die Augen hielt. Ihr Herz überschlug sich beinah und sie biss sich nervös auf die Unterlippe, als sie ihm weiter zuhörte. „Emma, ich bin froh, dich getroffen zu haben, und kann es nicht abwarten dich wiederzusehen. Ich genieße jede Minute mit dir.“
Einen Moment war Emma von seinem Geständnis so überwältigt, dass sie unsicher war, wie sie darauf reagieren konnte, ohne sich wie eine blutige Anfängerin zu fühlen. Es war alles so neu und ihr Gefühlskarussell drehte in doppelter Geschwindigkeit seine Runden. Obwohl sie sich so glücklich wie noch nie zuvor fühlte, war sie gleichzeitig maßlos überfordert. Wie reagierte man richtig? Konnte sie ihren Empfindungen trauen? Sie spürte nur, dass sie ihn mochte, wie sie noch nie einen Jungen gemocht hatte, und würde es am liebsten herausschreien. Konnte sie es wagen, ihm genauso ihre Empfindungen zu sagen, wie er es gerade getan hatte?
Langsam begann sie, mit den Daumen sanft über seine Hand zu streicheln, als sie den Mut fasste, die Augen zu öffnen und ihm in seine topasblauen Augen zu schauen. „Mir geht es nicht anders.“ Ihre Stimme war nur ein Flüstern, während in ihrer Brust das Herz wie wild pochte. „Rob, ich habe sowas, wie mit dir noch nie erlebt“ Sie senkte ihren Blick zu ihren Knien, bevor sie den Mut fand weiterzusprechen. „Ich habe noch nie für einen Jungen so empfunden wie für dich.“ Ihre letzten Worte waren so leise, dass Rob einen Moment brauchte, um zu verstehen, was sie ihm gerade gesagt hatte. Sie hatte ihn gern! Sie empfand wirklich dasselbe für ihn, wie er für sie. Eine Welle des Glücks durchflutete seinen Körper und er verspürte das starke Bedürfnis sein Mädchen zu küssen. Ihr zu zeigen, wie glücklich sie ihn gerade machte.
Noch immer saß sie, mit dem Blick auf ihren Knie gerichtet, auf seinen Schoß, als er seine Hand langsam, vom Nacken über ihren Rücken, zu ihren Hüften gleiten ließ. Mit der anderen Hand strich er sanft über ihre Wange, wobei ihre Blicke aufeinandertrafen und ineinander verharrten. Sein Puls raste, als er sich fast in dem warmen Braun in ihren Augen zu verlieren drohte. Er schluckte, während er sich langsam mit seinem Gesicht dem Ihren näherte, ohne dabei den Augenkontakt zu verlieren. Die kleine elektrische Spannung, die sie beide umgab, war deutlich zu spüren. Er schloss seine Augen, wie er ihre weichen Lippen auf seinen spürte und ein Schauer durchfuhr seinen Körper, als sie den Kuss sanft erwiderte. Von dem berauschenden Gefühl überwältigt, zog er sie noch enger an sich, denn er wollte sie noch näher an sich spüren. Doch plötzlich löste sich Emma von seinen Lippen und stand von seinem Schoß auf. Völlig überrumpelt riss er die Augen auf und schaute sie verwundert an, als ihn direkt wieder die Unsicherheit übermannte.
War er jetzt doch zu weit gegangen? Noch ehe er etwas sagen konnte, setzte sie sich, mit dem Gesicht zu ihm gewandt, wieder auf seinem Schoß, wobei sie ihre Beine neben seinen Hüften platzierte. „So ist es doch viel bequemer“, sagte sie leise und ein Lächeln umspielte ihre Lippen. Ohne irgendetwas darauf zu erwidern, nahm Rob ihr Gesicht in seine Hände und gab ihr erneut einen sanften Kuss auf ihren Mund. Er spürte ihren rasenden Herzschlag an seiner Brust und wie sich ihrer beider Atem beschleunigte, während er sanft mit der Zunge über ihre Lippen strich. Emma gebot ihm zaghaft Einlass und schlang ihre Arme um seinen Nacken, als ihre Zungen das erste Mal zärtlich aufeinandertrafen. Er ließ seine Hände sanft über ihren Rücken gleiten und drückte seine Brust noch enger an ihre, als ihr Kuss sich immer mehr intensivierte, während ihre Zungen liebevoll miteinander spielten. Emmas Hände vergruben sich in seine Nackenhaare, was das Kribbeln in seinem Bauch über seinen gesamten Körper ausbreiten ließ. Es war ein so unglaubliches neues und berauschendes Gefühl, was ihre Sinne vollkommen vernebelte und ihrer beider Herzen in wildem Einklang hämmern ließ. Atemlos und überwältigt von ihren Gefühlen ließen sie schließlich gleichzeitig voneinander ab und schauten sich noch einmal tief in die Augen, bevor sie ihre Gesichter, in die Schulter des jeweils anderen gruben.
Sie saßen lange schweigend und eng umschlungen auf der Mauer und genossen jede einzelne zärtliche Berührung des anderen. Beide waren mit ihren verwirrten Gedanken und Gefühlen beschäftigt, bis sie durch Rufe, jäh aus ihrer Zweisamkeit gerissen wurden. Es waren die Stimmen von Tom und Lotte, die ihre Namen riefen und sie augenscheinlich suchten. Widerstrebend lösten sie sich aus ihrer Umarmung und gingen Hand in Hand in Richtung der Rufe. Als Emma und Rob um die Ecke bogen, sahen sie die beiden am Eingang der Burg, wie die weiterhin fröhlich deren Namen trällerten.
„Wir sind doch schon da“, sagte Rob, während er seinem Kumpel auf die Schulter klopfe und dieser erschrocken zusammenzuckte.
„Mann Alter, wo wart ihr denn?“, pfiff er Rob mit zusammengekniffen Augen direkt an. Doch der ließ sich nicht provozieren, sondern lächelte ihn nur freundlich an, bevor er ihm antwortete. „Wir waren hier draußen und haben das Wetter genossen.“ Tom verstand sofort, grinste zurück und sagte nichts weiter. Emma stand daneben und ihr Lächeln im Gesicht war Lotte auch nicht entgangen. Aber ganz untypisch für sie hielt sich ihre Schwester ebenfalls zurück, doch Emma wusste genau, dass sie zuhause von ihr überfallen würde. Sie seufzte.
„Wir sollten langsam nach Hause gehen, bevor es dunkel wird. Es ist schon spät“, sagte Tom, nachdem er auf die Uhr geschaut hatte, und gemeinsam machten sie sich auf den Weg.
Den gesamten Heimweg liefen Rob und Emma schweigend Arm in Arm, während sie immer wieder verliebte Blicke austauschten. Sie beide spürten immer intensiver, dass dieser Kuss, ihre beider Leben für immer verändert hatte. Und keiner von ihnen wollte irgendetwas daran ändern.
Kapitel 7
Letzter Urlaubstag
Emma lag in ihrem Bett und fand wie jeden Abend nicht in den Schlaf. Unruhig wälzte sie sich von einer Seite auf die andere, bis sie schließlich wieder auf dem Rücken lag und im Dunkeln gegen die Decke starrte. Ihre Schwester hingegen schlief schon so feste, dass sie anscheinend versuchte mit ihrem leisen Geschnarche, die Stille musikalisch zu untermalen. Frustriert warf sie ihre Bettdecke von ihren Beinen und setzte sich auf die Bettkante. Wie sollte sie auch zur Ruhe und in den Schlaf finden, wenn sie die ganze Zeit an den morgigen Tag denken musste? Allein bei dem Gedanken, Rob morgen vorerst das letzte Mal sehen zu können, verkrampfte sich ihr Magen schmerzhaft. Morgen war ihr letzter Ferientag in Cornwall und das bedeutete für sie, die letzte gemeinsame Zeit mit Rob. Sie konnte sich überhaupt nicht vorstellen, nicht einen Tag ohne, in seine topasblauen Augen schauen, sein schiefes Lächeln sehen oder seine sanften Berührungen, sein zu können. Von seinen Küssen mal ganz abgesehen. Die Nächte ohne ihn verbringen zu müssen, war schon schwer genug – also, wie sollte sie es Tage oder Wochen ohne ihn aushalten? Seufzend ließ sie sich zurück auf die Matratze fallen, drehte sich auf den Bauch und fischte das Handy unter dem Kopfkissen hervor, bevor sie es ungeduldig aufklappte. Fast schon flehend schaute sie aufs Display, doch sie hatte keine neuen Nachrichten. Dabei gehörte es schon zu den allabendlichen Ritualen, dass sie sich mit Rob SMS schrieb, bis sie beide eingeschlafen waren. Heute schien aber alles anders zu sein, denn dieses verdammte Teil gab keinen Ton von sich. Warum meldete er sich nicht? Niedergeschlagen klappte sie das Display wieder zu und vergrub ihr Gesicht ins Kissen, während sie ihren Frust hinein schrie. Argh! Eins war sicher, sie würde heute keinen Schlaf finden.
Als sie vor drei Wochen mit ihren Eltern hier in Cornwall angereist war, war sie überhaupt nicht begeistert gewesen, ihre Ferien mit den Eltern verbringen zu müssen. Ehrlich gesagt fand sie es mehr als blöd und war wütend gewesen, dass sie als 16-jährige noch mit ihnen verreisen musste und nicht mit ihren Freunden in Manchester abhängen oder Party machen durfte. Nein, sie musste mit in den „Rentnerurlaub“, wie sie es damals nannte. Erst als sie ein paar Tage später am Strand in Rob hineingerannt war, hatte sich ihre Laune merklich aufgehellt und genoss jede einzelne Minute in Cornwall. Rob hatte von diesem Moment an ihre gesamte Gefühlswelt und ihr ganzes Leben auf den Kopf gestellt. Einfach so. Sie liebte seinen Humor, sein Lächeln, versank in seinen topasblauen Augen und genoss jede kleinste sowie zärtliche Berührung von ihm. Er küsste sie so zart und sanft mit seiner Zunge, dass es ihr fast den Verstand raubte und das Bedürfnis, ihm noch näher sein zu wollen, immer mehr in ihr aufkeimte. Und obwohl sie von der Welle, der neuen Empfindungen, die er in ihr hervorrief, absolut überfordert war, fühlte sie sich so glücklich, frei und beflügelt wie noch nie in ihrem Leben. Sie drehte sich zurück auf den Rücken, schloss ihre Augen und strich, bei der Erinnerung von seinem letzten Kuss, sanft mit dem Finger über ihre Unterlippe. Rob gab ihr das Gefühl von Sicherheit, nahm ihr die Schüchternheit und zeigte ihr, dass es ihm genauso erging. Sie waren so vertraut miteinander, als wenn sie sich schon eine Ewigkeit kennen würden. Er machte sie komplett und wenn er nicht bei ihr war, fühlte es sich an, als wenn ein Teil von ihr fehlen würde. Und genau das würde morgen Abend passieren - ein Stück von ihr, würde er mit sich nehmen. Sie spürte, wie ihr der Gedanke an den bevorstehenden Abschied, die Tränen in die Augen trieb und biss sich auf die Unterlippe.
Die letzten zwei Wochen waren einfach in Schallgeschwindigkeit an ihnen vorbeigerauscht. Auch, wenn es Emma bewusst gewesen war, dass der Tag kommen würde, wo sie sich verabschieden müssten, hatte sie ihn bis zu letzt erfolgreich verdrängt gehabt, damit sie jeden Moment mit ihm auskosten konnte. Sie hatten sich jeden Tag getroffen, mal haben sie alleine Unternehmungen gemacht – mal mit Familie und auch Lotte sowie Tom waren zwischendurch mal mit von der Partie. Nachdem Emma ihrer Schwester eine ordentliche Ansage nach dem Ausflug gemacht hatte, hatte sie sich gegenüber von Tom zusammengenommen. Und so, hatten sie einiges zusammen erlebt. Teilweise waren ihre Mitmenschen von ihnen schon leicht genervt gewesen, weil sie ihre Finger nicht voneinander lassen konnten. Jeden Abend musste sie sich ein kleines Klagelied von Lotte anhören, die sich ausgiebig bei ihr beschwerte.
„Emma, muss das denn immer sein? Egal was wir machen, ob es schwimmen, ins Kinogehen oder schnödes Chillen auf der Veranda ist, ständig begrabbelt oder knutscht ihr euch ab. Und eure verliebten Dackelblicke erst. Mit dir ist einfach nichts mehr anzufangen“, hatte sie gesagt und sich angewidert geschüttelt. Doch Emma war das egal gewesen. Sie hatte Lottes Beschwerdeschwall einfach mit einem Schmunzeln über sich ergehen lassen, denn sie hatte sich ihre Zeit mit Rob nicht vermiesen lassen und hatte es vollends genossen. Zumindest solange wie es möglich gewesen war – morgen Abend würde sie um diese Zeit bereits, ohne ihn, im Auto sitzen und auf dem Weg nach Hause sein. Eine Träne stahl sich aus ihrem Augenwinkel und rann ihr langsam die Wange runter, als plötzlich ihr Handy in der Hand vibrierte. Eilig setzte sie sich auf, klappte das Display auf und murmelte ein „Na endlich“, als sie seine Nachricht öffnete.
Hey Kleines,
Sorry, konnte nicht eher. Mum wollte noch Koffer packen :(
Hab ich dich jetzt geweckt? Aber ich wollte dir wenigstens noch gute Nacht sagen.
Ich vermisse dich!
xx Rob
In ihrem Bauch begann es schlagartig zu kribbeln, als sie hastig eine Antwort ins Handy eintippte.
Hey Mützchen,
nein, du hast mich nicht geweckt. Kann nicht schlafen.
Vermisse dich auch. Wünschte, du wärst bei mir.
xxx Emma
Sie drückte auf – Senden -, ließ sich mit einem Lächeln zurück ins Kissen fallen und fragte sich, wie er wohl auf seinen neuen Spitznamen reagieren würde. Sie liebte es, ihn ein wenig zu irritieren. Okay, wohl eher etwas zu necken. Oh, wie gern hätte sie jetzt sein Gesichtsausdruck gesehen. Sie musste leise kichern, als auch schon die Antwort von ihm eintrudelte.
MÜTZCHEN? Seit wann bin ich dein MÜTZCHEN?
Ich wäre auch gern bei dir. <3
Oh, schreiende Großbuchstaben! Ihm gefiel es wohl ganz und gar nicht und sie musste laut auflachen. Erschrocken über ihre eigene Unachtsamkeit schaute sie zu Lottes Bett rüber, ob sie sie geweckt hatte. Doch ihre Schwester gab nur ein weiteres undefinierbares Schnarchgeräusch von sich und Emma tippte erneut aufs Handy ein.
Seit grad eben. Gefällt er dir nicht? ;)
Mein Mützchen! :p
Kann es kaum erwarten dich zu sehen.
Xx
Kaum hatte sie die Nachricht abgeschickt, da trudelte auch schon prompt die Nächste ein. Wie schnell schrieb er denn? Flogen seine Finger etwa über die Tastatur?
Äh, ja. Ich meine, doch. Verrätst du mir warum?
Emma kicherte erneut auf, während sie sich auf den Bauch drehte und überlegte, was sie ihm jetzt für eine Erklärung gab. Er schien so irritiert zu sein, dass er sogar beim Schreiben nach Worten suchte.
Na, weil du deine Beanie immer auf oder zumindest dabei hast.
Darum bist du jetzt mein Mützchen, oder ist dir Beanie lieber? :p
Gespannt wartete sie auf seine Antwort, während sie mit ihren Füßen, kleine Kreise in der Luft zog und dabei das Display nicht aus den Augen ließ, als das Teil in der Hand vibrierte.
Hmm, auch nicht besser. Okay, dann muss ich mir auch noch was einfallen lassen. ;)
Ich würde dich jetzt gerne in meinen Armen halten und dich ausquetschen,
was du morgen mit mir vor hast.
xx
Der Gedanke, in seinen Armen zu liegen, seinen Duft zu riechen und seine Berührungen zu spüren, ließ sie sehnsüchtig aber auch gleichzeitig frustriert aufseufzen. Verdammt, warum konnte sie jetzt nicht bei ihm sein?
Der Herr ist aber neugierig, doch ich verrate nichts. ;)
Es ist eine Überraschung!
Du musst dich bis morgen gedulden.
Du weißt doch, Geduld ist eine Tugend. :P
Ich muss mich auch in Geduld üben, obwohl ich jetzt gerne bei dir wäre.
Wie lange muss ich ausharren?
Kiss <3
Bevor sie die Nachricht abschickte, überlegte sie kurz, ob sie ihm nicht doch einen Hinweis geben sollte. Entschied sich aber dagegen, denn sie wollte ihm genauso überraschen, wie er es mit dem Burgausflug getan hatte. „Ach, du Schreck“, fluchte sie leise, während sie vom Bett aufsprang und sich im Dunkeln zur Kommode schlich. Das Wichtigste hatte sie völlig vergessen. Sie zog die Schublade auf, tastete nach dem kleinen Päckchen, was sie darin verstaut hatte, und packte es, im Blindflug, in den Rucksack, der neben der Kommode stand. Leise ging sie wieder zum Bett, als ihr Handy wieder vibrierte.
Dir ist schon klar, dass du echt gemein bist?!
Wie soll ich denn jetzt schlafen?
Ich bin mal nicht so fies und lasse dich nicht allzu lange ausharren. Obwohl du es jetzt verdient hättest :p
Ich bin um 9 bei dir.
Bis morgen meine Sternschnuppe. Träum schön, ich freu mich auf dich. <3
xx Kuss Rob.
Ihr Herz machte einen Hüpfer, als sie begriff, was er ihr für einen schönen Kosenamen gegeben hatte. Am liebsten wäre sie sofort zu ihm gerannt und hätte ihn geküsst. Ach, und sie hatte ihn so mit dem „Mützchen“ geneckt. Irgendwie tat es ihr jetzt ein wenig leid, obwohl sie es vorhin sehr amüsiert hatte. Einen Moment überlegte sie, wie sie ihm eine gute Nacht wünschen konnte. Sie hätte zwar viel lieber mit ihm die ganze Nacht durchgeschrieben, aber er würde ihr ganz sicher keine Ruhe lassen, bis sie ihm die Überraschung verraten hätte. Außerdem sollte sie wirklich etwas schlafen, ansonsten wäre morgen nichts mit ihr anzufangen.
Ich kann es kaum erwarten bis es 9 Uhr ist.
Schlaf gut, mein Stern! <3
Dicken Kuss xx Deine Sternschnuppe <3
Seufzend klappte sie das Handy zu, legte es neben dem Kopfkissen und kuschelte sich in die Decke. „Dann bist du halt mein Stern“, murmelte sie, bevor die Müdigkeit sie übermannte und sie, mit Rob vor ihrem inneren Auge, endlich in den Schlaf fand.
Als Rob am nächsten Tag vom morgendlichen Spaziergang mit Patty zurück zum Cottage kam, sah er, wie sein Vater bereits verzweifelt versuchte, die Koffer ins Auto zu packen. Seine Mutter stand daneben und reichte ihm ein Gepäckstück nach dem anderen. Augenblicklich wurde ihm wieder schmerzlich bewusst, dass er sich in ein paar Stunden von seiner Liebsten verabschieden musste. Die halbe Nacht hatte er wach gelegen, weil ihn der bloße Gedanke, sich heute Abend von ihr trennen zu müssen, quälte. Es würde ihm unsagbar viel Kraft kosten, sie gehen zu lassen, ohne genau zu wissen, wann er sie wiedersehen würde. Allein die Vorstellung, sie nicht mehr in seinen Armen halten zu können, versetzte ihm einen schmerzhaften Stich in seiner Brust. Emma hatte ihn von der ersten Sekunde an, wo er auf sie getroffen war, den Kopf verdreht. Im Sturm hatte sie sein Herz erobert und er war förmlich von seinen Gefühlen überrollt worden. So etwas hatte er noch nie erlebt und nie hätte er damit gerechnet, dass er so starke Empfindungen für ein Mädchen entwickeln könnte. Emma war regelrecht in sein Leben gestolpert und hatte ihn sofort spüren lassen, dass sie etwas ganz Besonderes ist. In kürzester Zeit war sie seine Vertraute, sein Ruhepol und seine Liebste geworden. Sie war sein Gegenpart - der Teil, der ihn vervollständigte, und den sollte er heute wieder gehen lassen?! Wie sollte er das bloß schaffen? Mühsam zwang er sich, die trüben Gedanken zur Seite zu schieben, um die letzten verbleibenden gemeinsamen Stunde mit ihr, genießen zu können, als er schweigend an seinen Eltern vorbei und ins Haus ging.
Als er den Wohn-Essbereich betrat, begrüßte Tom ihn, im Pyjama und mit zerzausten Haaren, während er am Esstisch seine heiß geliebten Schokopops aß. „Mornn, Older, bischt du auschm Bett gefolln?“, nuschelte er mit vollem Mund, als Rob an ihm vorbei ging, um die Dose Hundefutter von der Theke zu nehmen.
„Nope, bin ganz normal aufgestanden. Aber du scheinst eine wilde Nacht hinter dir zu haben“, antworte er, deutete beiläufig auf seine Haare, während er nebenbei Pattys Napf mit dem Futter füllte und ihr es schließlich zum Fressen runter stellte. Absolut unbeeindruckt schob sich sein Kumpel einen weiteren Löffel Pops in den Mund und schaute Rob kauend nach, wie er in sein Zimmer verschwand. Am Türrahmen angelehnt, ließ Rob seinen Blick durch den Raum schweifen, bis er murmelnd zurück in den Wohn-Essbereich gehetzt kam. „Das kann doch nicht sein. Vorhin war sie noch da.“ Nervös suchte er den gesamten Bereich ab, aber auch hier fand er nicht den gewünschten Gegenstand, was ihn langsam zum Verzweifeln brachte. Mann, er hatte jetzt keine Zeit für den Mist, denn er wollte einfach nur zu seinem Mädchen und das so schnell wie möglich. „Verdammt nochmal, wo ist das Scheißteil denn jetzt?“, fluchte er aufgebracht und fuhr sich nervös mit einer Hand durchs Haar. Tom, der gerade mit dem Essen fertig war, schaute ihn verwundert, über seinen ungewohnten Ausbruch, an. „Was ist denn mit dir los, und vor allem was suchst du?“
„Nichts ist los“, blaffte Rob ihn gereizt an, als er sich auf den Boden legte, um unter dem Sofa zu schauen.
„Ho, Ho. Komm mal runter. Ich hab dir nix getan. Und nu sag, was suchst du überhaupt?“ Sein Kumpel hatte sich vor die Couch gestellt und wartete mit verschränkten Armen vor der Brust, zusammen mit einer hochgezogenen Augenbraue, dass er sich von Boden erhob. „Sorry, aber ich will gleich zu Emma und ich finde die Gitarre nicht. Ich bin eh schon spät dran“, erklärte er, ohne ihn überhaupt eines Blickes zu würdigen, als er sich über die Lehne beugte, um zu schauen, ob sich das verflixte Teil dahinter befand.
„Ah, okay. Ich glaub, die ist schon im Auto, aber ...“ Tom stockte, denn Rob rannte wie ein geölter Blitz aus der Tür und rief ihm nur noch schnell ein „Danke, bis heut Abend“, zu, als die Tür auch schon ins Schloss fiel.
Rob lief die Veranda und den Kiesweg zum Auto hinunter, wo seine Eltern noch immer den Wagen beluden. Schlitternd kam er neben seiner Mutter zum Stehen, die ihn verwundert anschaute, als er sie aufgeregt ansprach.
„Mum, wo ist meine Gitarre?“
„Deine Gitarre? Richard, wo ist Robs Gitarre.“ Sein Vater, der mit dem Oberkörper im Kofferraum verschwunden war, kam mit einem Ruck nach oben geschossen und knallte mit voller Wucht gegen die Kofferraumtür.
„Autsch. Verdammt!“, zischte er und griff sich mit der rechten Hand an die pochende Stelle am Hinterkopf, während er versuchte, den Schmerz weg zu reiben.
„Schatz, hast du dir was getan?“, fragte Clare besorgt und trat einen Schritt hinter ihren Mann, um sich seine Verletzung anzuschauen. Doch Richard versuchte sie mit einer lapidaren Handbewegung abzuwiegeln. „Nein, nein, geht schon. Gibt nur eine Beule.“ Genervt von den beiden rollte Rob mit den Augen, bevor er die skurrile Szene unterbrach. „Mum. Dad. Bitte, wo ist denn nun meine Gitarre?“
„Die ist auf der Rückbank, Junge. Damit sie nichts abbekommt“, antwortete sein Vater und deutete auf die Beifahrerseite, während seine Mutter immer noch mit seiner Verletzung beschäftigt war. „Wir sollten das kühlen Richard.“ Ungeachtet was seine Eltern noch veranstalteten, lief er um den Wagen, riss die Tür auf und zog die Gitarre zwischen den Sitzen vorsichtig heraus. „Danke“, sagte er hastig, als er den Träger quer über seine Brust sowie Schulter legte, damit er das Musikinstrument auf dem Rücken tragen konnte. Er schmiss die Autotür zu und lief schnellen Schrittes den Kiesweg entlang, bis er seine Mutter hinter sich rufen hörte. „Wo willst du denn so früh hin?“ Noch bevor er etwas darauf erwidern konnte, antwortete bereits sein Vater. „Na, wohin will denn wohl unser werter Herr Sohn? Emma, Liebes.“
„Oh, ja klar. Rob, sei um sechs wieder zurück. Wir haben noch einen langen Weg vor uns.“ Er blieb stehen, drehte sich zu ihnen um und stimmte nickend zu, bevor er endlich den Weg zu seiner Freundin fortsetzte.
Den ganzen Weg summte Rob eine bekannte Melodie, die er die gesamte Woche über, in jeder freien Minute, einstudiert hatte. Er hoffte, dass ihm später die Überraschung gelingen und er nicht vor lauter Nervosität noch alles vergessen würde. Als er endlich um die Ecke zu Emmas Cottage bog, sah er sie bereits aus der Ferne auf der Veranda sitzen, wie sie mit geschlossen Augen die ersten Sonnenstrahlen des Tages genoss. Ihr Anblick ließ sein Herz augenblicklich schneller schlagen, während sich das Bedürfnis, sie in seinen Armen zu halten, nur mehr verstärkte. Viel zu lange hatte er sie nicht mehr gespürt und ihren blumigen Duft in sich aufnehmen können. Er beschleunigte seine Schritte, sodass er in wenigen Sekunden das Cottage erreicht hatte, und ging behutsam die Stufen von der Veranda hoch. Leise schlich er sich an Emma heran, die weiterhin ihre Augen geschlossen hielt. Sie schien ihn nicht bemerkt zu haben, als er sich direkt vor ihr hinstellte und sie einen Augenblick beobachtete, wie die Sonnenstrahlen sanft auf ihrer Haut schienen. Sie war so wunderschön und sie war sein Mädchen.
Oh Gott, wie soll ich sie nur gehen lassen?
Der Knoten in seinem Magen machte sich schmerzhaft bemerkbar und sofort versuchte er erneut die aufkeimenden trüben Gedanken zur Seite zu schieben. Es gelang ihm, als er sich langsam zu ihr hinunterbeugte und ihr einen sanften Kuss auf ihre Lippen hauchte. Emma zuckte unter seiner unerwarteten Berührung kurz zusammen, bis sie die Lippen, als die Seinen erkannte und sich spürbar entspannte. Unvermittelt schlang sie ihre Haare um seinen Hals, vergrub ihre Hände in seine Nackenhaare, während sie seinen Kuss verlangend erwiderte und ihn dabei noch näher zu sich runterzog. Überrascht von der Intensität des Kusses, verlor er fast das Gleichgewicht und stützte sich mit beiden Händen seitlich am Stuhl ab, als er sich schweratmend von ihren Lippen löste. „Woho, nicht so stürmisch Mrs. Hillington“, japste er nach Luft ringend, als Emma sich mit einem schelmischen Grinsen vor ihm hinstellte. „Wenn du mich so überfällst, musst du mit so etwas rechnen.“
„Mhm, vielleicht gefällt es mir ja?“, murmelte er in ihr Haar, nachdem er seine Arme um ihren Oberkörper und sie ihren Kopf an seiner Brust gelegt hatte. Eine Weile standen sie eng umschlungen auf der Veranda und genossen die Nähe des anderen, bis Emma die Stille flüsternd unterbrach: „Ich hab mich so auf dich gefreut.“
„Ich mich auch auf dich.“ Er strich ihr zärtlich mit der Hand über ihren Rücken, als sie sich noch enger an seine Brust schmiegte. Sanft vergrub er seine Nase in ihr weiches Haar, schloss die Augen und nahm ihren Duft in sich auf. Sie roch so verdammt gut.
„Ich werde dich so vermissen.“ Die Traurigkeit, die in ihrer Stimme lag, versetzte ihm schlagartig ein Stich in seinem Herzen. Er mochte es überhaupt nicht, sie traurig zu sehen und versuchte krampfhaft seine aufkommende Betrübtheit zu verdrängen.
„Pscht Kleines! Lass uns einfach den Tag genießen, ja?“, bat er sie flüsternd, während er sanft ihren Rücken streichelte. Sie sollten jetzt beide nicht an den Abend denken, sondern an den wunderbaren Tag, der noch vor ihnen lag. Rob setzte sein schiefes Lächeln ein, während er sich ein Stück weit von ihr löste, ihr direkt in die Augen schaute und sie fragte: „So, jetzt aber mal raus mit der Sprache. Was hast du heute noch mit mir vor?“ Erwartungsvoll wartete er auf ihre Antwort, doch Emma löste sich, ohne etwas zu sagen, aus seinen Armen und wich seinem Blick aus. „Ich platze vor Neugierde, Emma.“
„Hmm, Nun ja.“, begann sie leise und hielt den Blick auf den Boden gerichtet. „Ich hab lange überlegt, womit ich dir eine Freude machen kann.“ Sie machte noch einen Schritt zurück, während sie unsicher auf ihrer Unterlippe biss. Rob runzelte die Stirn, denn er verstand nicht, was Emma plötzlich so verunsichern ließ und es gefiel ihm nicht. „Emma, was ist los?“
„Na ja, es ist nicht sowas Tolles, wie der Burgausflug“, sagte sie zögerlich, während sie ihren Blick wieder auf Rob richtete. „Aber ich hoffe, es wird dir trotzdem gefallen.“
Was machte sie sich nur für abstruse Gedanken?
„Hey, ganz egal was wir heute machen, Emma. Es wird mir gefallen, solange du bei mir bist.“ Ein Lächeln umspielte seine Lippen, als er einen Schritt auf sie zuging und mit dem Daumen zärtlich über ihre Wange strich. Emma schenkte ihm als Antwort ihr bezauberndes Lächeln, welches ihre Augen so schön zum Strahlen und sein Herz ins Stolpern brachte. Wie konnte sie nur denken, es könnte ihm nicht gefallen, oder sie müsste eine mega Überraschung aus dem Hut zaubern, damit sie in begeistern konnte? Seinetwegen hätten sie den ganzen Tag hier auf der Veranda verbringen können. Hauptsache sein Mädchen war bei ihm. Das war sein einziger Anspruch an den Tag.
„Es ist doch heute das Strandfest an der Promenade, und ich dachte, wir gehen da hin. Ich habe auch Proviant eingepackt. Später können wir noch ein Picknick machen. Wenn du magst?“, erklärte sie ihm ihre heutigen Pläne, mit einem verführerischen Funkeln in ihren Augen, was Rob nicht länger widerstehen konnte. Er packte sie an ihre Hüften, zog sie zu sich und nahm augenblicklich mit seinen Lippen ihren Mund in Beschlag. Emma war im ersten Moment so überrascht von seiner stürmischen Art, dass sie für einen Bruchteil einer Sekunde in ihrer Haltung verharrte, bis sie schließlich ihre Arme um seinen Nacken legte und sich voll und ganz in den leidenschaftlichen Kuss fallen ließ.
„Oh … Okay, das gefällt mir auch“, japste sie leicht außer Atem, als er ihren Mund wieder freigab, aber sie noch immer fest im Arm hielt. „Mhmm“, seufzte er zustimmend in ihr weiches Haar, bis sie sich langsam aus seiner Umarmung löste.
„Wir sollten uns langsam auf dem Weg machen, sonst fallen Lotte noch die Augen aus“, sagte sie schmunzelnd und deutete mit dem Kopf Richtung Fenster. Doch als Rob sich zum Eingang wandte, sah er nur noch die flatternde Gardine hinter der Scheibe und konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Anscheinend hatte ihre Schwester sie die ganze Zeit, wie eine kleine Spannerin, beobachtet.
„Okay, dann lass uns gehen.“ Er schnappte sich den Rucksack, der neben dem Stuhl stand, warf ihn über seine freie Schulter und griff nach Emmas Hand, bevor er mit ihr losmarschierte.
„Halt! Warte, willst du deine Gitarre nicht hier lassen?“, hielt sie ihn auf, als sie sich nicht vom Fleck wegbewegte und ihn fragend anschaute. Er grinste sie nur schief an, während er sie einfach mit sich die Stufen hinunterzog. „Eine Gitarre gehört zu ihrem Mann!“ Lachend beschleunigte sie ihre Schritte, um gleichauf mit ihm zu sein, und Rob legte seinen Arm um ihre Schultern. Als sie sich noch enger an ihn schmiegte, setzten sie eng umschlungen den Weg zum Strandfest fort.
Wenige Minuten später kamen sie an dem, bereits schon gut besuchten, Strandfest an. Über die gesamte Strandpromenade erstreckten sich kleine Büdchen mit landestypischen Leckereien, Getränkestände und Souvenirstände. Für die Kinder gab es ein paar vereinzelte Kinderkarussells und sogar ein Clown, der Ballontiere zauberte, war dabei. Es glich ein wenig einem kleinen Rummel, außer, dass die größeren Fahrgeschäfte fehlten. Durch das sanfte Meeresrauschen im Hintergrund ergab sich eine einmalige Atmosphäre.
Rob und Emma schlenderten Hand in Hand über die Promenade, wobei er teilweise hinter ihr lief und sie ihn versuchte, durch die aufkommenden Menschenmassen zu manövrieren. Stellenweise glich es einem kleinen Slalomlauf und er umklammerte ihre Hand fester, damit sie sich nicht in der Masse verloren. Obwohl, wenn der Fall eintreten würde, würde er sie wohl recht schnell wiederfinden, denn sie blieb an fast jedem Stand stehen und zeigte ihm, mit wachsender Begeisterung, die unterschiedlichsten Arten von Souvenirs oder Fossilien. Eigentlich war das hier nicht unbedingt so sein Ding, über das Fest zu schlendern und von einer Bude zur anderen zu gehen. Seine Füße fingen auch schon an zu schmerzen, aber er konnte nicht anders, als so zutun als wenn er genauso begeistert wäre wie sie. Auf einer gewissen Weise war er das auch. Zwar nicht von irgendwelchen Dekokram, die sie ihm unter die Nase hielt. Sondern von ihren schokobraunen Augen, die ihn jedes Mal anfunkelten, von ihrem strahlenden Lächeln und die ganze Freude, die sie ausstrahlte, wenn sie irgendetwas „Besonderes“ entdeckt hatte. Er liebte sie so ausgelassen zu sehen und sog jeden einzelnen Moment auf.
Mittlerweile fand er sich am x-ten Schmuckstand wieder, wo Emma gerade ein paar Ringe ausprobierte, als sie ihn plötzlich von der Seite anstieß.
„Schau mal Rob, was hältst du davon, wenn wir uns Partnerarmbänder kaufen?“ Er drehte sich zu ihr um, als sie gerade auf ein Paar geflochtene Lederarmbänder mit runden Charms, worauf jeweils ein Buchstabe eingraviert war, zeigte.
„Hm, sei mir nicht böse, aber sowas ist nicht mein Fall“, antwortete er, wobei er hoffte, dass sie darüber nicht traurig war. Doch sie lächelte ihn nur an, während sie ein „Ist Okay“ vor sich hin murmelte und ihre Aufmerksamkeit gleich wieder den Ringen schenkte. Erleichtert, dass sie ihm nicht böse war, aber auch seiner kleinen Lüge nicht auf die Schliche gekommen war, drehte er sich wieder zu dem Schmuckstück, welches sein Interesse schon vorher geweckt hatte. Es gefiel im außerordentlich gut und er überlegte, wie er es anstellen sollte, es unbemerkt zu kaufen. Denn er wollte damit seinem Mädchen später eine Freude machen. Wie der Zufall es wollte, teilte Emma ihm einen Moment später mit, dass sie schon mal an den gegenüberliegen Stand mit den Tüchern geht. Er erklärte ihr, dass er sofort nachkommen würde, aber noch eben etwas mit Tom klären müsste und fischte sein Handy aus der Hosentasche. Kaum war Emma aus der Reichweite, stopfte er sein Telefon zurück, sprach die Verkäuferin an, zeigte auf den Wunschartikel und flüsterte ihr etwas zu. Die nette Dame musste schmunzeln und beeilte sich seinen Wunsch zu erfüllen. Nervös schaute Rob, was seine Freundin trieb und ob sie nicht voreilig wieder zu ihm stieß. Doch er hatte Glück, noch bevor Emma misstrauisch wurde, hatte er bezahlt und verstaute das kleine Schmuckkästchen in der anderen Hosentasche. Er wollte gerade zu ihr rübergehen, als sie plötzlich hinter ihm stand und in sein Ohr flötete: „Duhu… Beanchen, ich hab Hunger und so langsam tun mir die Füße weh.“ Erschrocken wirbelte er herum und schaute direkt in ihr freches Grinsen, was sie ihm zuwarf. Moment, wie hatte sie ihn gerade genannt? Bienchen? Sah er etwa wie eine verdammte Hummel aus?
„Bienchen?“, brachte er als Einziges hervor, während sie ihn nur weiter schelmisch angrinste und ihr dabei der Schalk in den Augen funkelte. „Nein, nicht das Tier. Das B.E.A.N.C.H.E.N“, buchstabierte sie. „Von Beanie!“ Augenrollend aber lachend machte er einen Schritt auf sie zu, um nun ihr ins Ohr zu flüstern: „Muss ich dich daran erinnern, was letztes Mal passiert ist, als du mich geärgert hast?“ Er pikste ihr mit zwei Fingern in die Bauchseite, wobei sie quiekend zur Seite sprang.
„Ah, du Schuft“, sagte sie gespielt beleidigt, während sie theatralisch mit dem Kopf in die andere Richtung wirbelte.
„Leg dich besser nicht mit mir an, Kleines.“ Zärtlich legte er einen Finger seitlich an ihr Kinn, zog es sanft zu seinem Gesicht und hauchte ihr einen Kuss auf die Lippen. „Komm, wir gehen Picknicken. Wo möchtest du hin?“
Sie lächelte ihn an und gab ihm einen leichten Klaps auf seinen Oberarm, bevor sie ihm antwortete: „Ich möchte an deinem Lieblingsort. Vielleicht ist es da nicht so voll.“
„Na dann los“, sagte er, schnappte sich ihre Hand und führte sie sicher durch die Menschenmasse über die Promenade, bis sie schließlich eng umschlungen den kleinen Pfad zu seinem Lieblingsort entlanggingen.
Rob war froh, als sie endlich auf den großen, mit Gras bewachsenen Felsen ankamen. Es war der perfekte Ort, um die letzten gemeinsamen Stunden mit seinem Mädchen verbringen.
Kapitel 8
Abschied
Der kleine Felsabschnitt war menschenleer, als Emma und Rob nach einem schönen Platz nahe der Klippe suchten, wo sie sich niederlassen konnten. Als sie eine geeignete Stelle gefunden hatten, ließ Rob den Rucksack von seiner Schulter gleiten und stellte ihn ins Gras, während Emma an die Absperrung ging und hinaus auf den Ozean schaute, so wie sie es die letzten Wochen oft getan hatte. Sie liebte die Aussichten von der Insel und würde sie und die gesamte Atmosphäre drumherum vermissen. Rob, der seine Gitarre ebenfalls von seinem Rücken gestreift und neben der Tasche platziert hatte, streckte sich ausgiebig. Es tat gut, endlich die Sachen von seinem Körper zu haben. Einen Moment betrachtete er seine Freundin, wie sie an den Zaun stand, und verträumt den Ausblick genoss, wobei ihr Kastanienfarbendes Haar, von der lauen Brise, seicht durch die Luft getragen wurde. Der Anblick nahm ihm, wie so oft, den Atem. Sie war so wunderschön und sie war sein. Kurz keimte der Schmerz in seiner Brust auf, als ihm der bevorstehende Abschied wieder in den Sinn gekrochen kam. Doch er verbot sich mühsam den Gedanken, schritt langsam hinter ihr und schlang seine Arme um ihren Oberkörper. Sofort ließ sie sich in seine Umarmung fallen und legte ihren Kopf gegen seine Brust.
„Wollten wir nicht Picknicken?“, flüsterte er ihr sanft ins Ohr. „Mein Magen könnte was vertragen.“ Er lachte leise auf und Emma stimmte mit ein, als sie sich vorsichtig aus seinen Armen löste und zum Rucksack ging. „Oh, an Ihnen ist ein Dichter verloren gegangen, Mr. Pattinson.“
„Tja, wer kann…“
„ … der hat wohl viel geübt“, vollendete sie kichernd seinen Satz, als sie die Decke aus der Tasche zog, auf der Wiese ausbreitete und sich schließlich darauf niederließ. Rob schnappte sich den Rucksack, hockte sich direkt neben sie und zog eine Leckerei nach der anderen raus. Emma hatte wirklich an alles gedacht. Es gab Sandwiches, Apfelschorle, Erdbeeren und sogar seine heiß geliebten Weingummis hatte sie nicht vergessen. „Einfach ein rundum Sorglospaket“, murmelte er kauend, nachdem er die Tüte aufgerissen und sich die ersten Fruchtbärchen in den Mund gestopft hatte. Mit einer hochgezogenen Augenbraue schaute seine Freundin ihn an, während er das Päckchen neben sich platzierte, lässig seine Beine ausstreckte und sich mit beiden Ellenbogen abstützend nach hinten fallen ließ.
„Was murmelst du da?“ Sie hatte sich leicht über ihn gebeugt, als er sie mit seinem schiefen Lächeln anlächelte und ihre Blicke aufeinandertrafen.
„Ich sagte, du bist wunderbar.“
„Oh. Ach so. Du bist auch wunderbar.“, erwiderte sie fast schon flüsternd, setzte sich zurück, während sie sich eine Flasche von der Decke schnappte und sie an den Mund setzte. Rob runzelte über ihr plötzlich merkwürdiges Verhalten die Stirn, als er zudem sah, dass sich ihre Wangen leicht rosa verfärbten, und drehte sich, mit dem Oberkörper, in ihre Richtung. Wieso war sie plötzlich so zurückhaltend?
„Emma, schämst du dich?“ Sie wurde von seiner Frage so überrumpelt, dass ihr der Schluck Schorle fast im Hals stecken blieb und sie sich verschluckte, was ihr einen ausgeprägten Hustenanfall bescherte. Schlagartig richtete Rob sich auf und rutschte näher an ihr ran, um ihr zaghaft auf den Rücken zu klopfen.
„Danke …danke, geht schon wieder“, japste sie nach Luft, nachdem sich der Anfall endlich gelegt hatte, wobei Rob ihr immer noch auf den Rücken schlug. Sofort hielt er inne, und begann sanft ihren Rücken zu kraulen, ohne dabei seine Augen von ihr zu nehmen. Emma hingegen versuchte, seinem Blick auszuweichen und biss sich unsicher auf die Unterlippe. Sie konnte sich selbst nicht erklären, was genau in ihr vorging. Sie war sonst so vertraut mit ihm, dennoch gab es immer wieder Situationen, die in ihr Zweifel aufriefen, dass er wirklich sie meinen könnte. „Na ja… nicht wirklich schämen“, druckste sie rum, bevor sie langsam ihren Kopf in seine Richtung drehte. „Aber … so etwas hat mir noch kein Junge gesagt.“ Augenblicklich durchfuhr sie, was es immer tat, wenn sie in seine Augen schaute, ein wohlig warmer Schauer und sie spürte, wie sich ihre Unsicherheit wieder einmal in Luft auflöste. „Emma, das braucht dir nicht peinlich sein.“ Sachte führte er seine Hand zu ihrem Gesicht und strich zärtlich mit den Daumen über ihre Wange. „Du bist ein wunderbares Mädchen. Mein Mädchen“, hauchte er ihr zu, bevor er ihr einen Kuss gab, der so sanft und hingebungsvoll war, dass ihr Herz wie wild begann zu schlagen.
Wie machte er das nur?
Nachdem er sich von ihren Lippen gelöst hatte, unterbrach sein lautes Magenknurren die romantische Stimmung und Emma musste direkt loskichern. „Hat der Mann etwa Hunger?“
„Ja, ich verhungere, Frau“, lachend zog er sie zu sich, sodass sie sich schließlich zwischen seinen Beinen befand und sich mit dem Rücken gegen seine Brust lehnen konnte. Rob legte einen Arm um ihre Taille und fischte mit der anderen Hand nach zwei Sandwiches, die direkt neben ihm lagen. Sie kuschelte sich noch enger in seine Arme und gemeinsam schauten sie hinaus aufs Meer, um ein letztes Mal die einmalige Atmosphäre der Insel zu genießen, während sie Sandwiches aßen und sich gegenseitig mit den Erdbeeren fütterten. Bei den Weingummis verstand Rob keinen Spaß, als sie ihn erneut versuchte zu ärgern, indem sie, immer kurz bevor diese den Weg in seinen Mund fanden, wegzog. Kurzerhand hatte er sie mit den Rücken auf die Decke gewirbelt und begann sie ausgiebig zu kitzeln, nur um an die Tüte zu gelangen, die sie trotz allem mit der rechten Hand fest umklammert hielt. „Verg … iss … es!“, quiekte sie vor Lachen und riss den Arm über den Kopf, während er weiterhin mit einer Hand, die Außenseite ihres Bauches malträtierte. Wobei sie sich wie ein Aal unter ihm wandte und er mit der anderen Hand versuchte das verdammte Päckchen zu erreichen. „Ich hab dir gesagt, leg dich nicht mit mir an.“, kicherte er angestrengt, denn Emma machte es ihm ziemlich schwer, an die heiß geliebten Gummitierchen zu gelangen. Verdammt war sie stark.
„Du machst mir keine Angst, Mister“, zischte sie vergnügt, während sie mit der Hand immer wieder herumwirbelte und sich extra streckte, damit er nicht drankam. Er begann sein Körpergewicht auf sie zu verlagern, damit sie nicht mehr so rumzappeln konnte, doch Emma grinste ihn nur ganz frech an, während ihre Augen ihn verführerisch anfunkelten. „Du brauchst es gar nicht erst versuchen, Fräulein. Pack dein Augenaufschlag weg ... Gib mir, was ich will!“
„Was willst du denn?“, fragte sie neckisch und noch bevor er irgendwie reagieren konnte, hatte sie zum Gegenschlag ausgeholt. Völlig unerwartet kitzelte sie ihn mit ihrer freien Hand an seiner empfindlichsten Stelle – unter den Arm. Er zuckte kurz zusammen, was Emma die Oberhand gewinnen ließ. Sie nutzte den Moment seiner Schwäche, befreite sich von seinem Griff, setzte sich auf und wirbelte ihn mit dem Rücken zu Boden. Triumphierend ließ sie sich auf seinen Schoß nieder und fächerte mit der Tüte direkt vor seinem Gesicht. „Gewonnen! Wie war das noch? Leg DU dich nicht mit mir an, Liebster!“, säuselte sie mit einem Strahlen in ihren Augen, gab ihn einen flüchtigen Kuss und fischte anschließend eins seiner Fruchtbärchen aus der Packung, um es ihm in den Mund zu schieben. „Mhm … Okay, ich geb auf.“ Kauend stütze er sich mit beiden Ellenbogen auf der Decke ab und grinste sie schief an. „Du bist schon ein ganz schön freches Ding.“
„Na, na, na … das würde ich jetzt aber nicht so sagen. Willst du noch ein Tierchen?“, übermütig hielt sie ihm das Päckchen erneut vor die Nase, was ihn nur anstachelte. Rob riss ihr im Bruchteil einer Sekunde die Gummibärchen aus der Hand, ließ sie achtlos zu seiner Seite fallen und packte Emma an ihren Hüften. Ehe sie sich versah, hatte er sie etwas hochgehoben, seine Beine unter ihren Po weggezogen und sie neben sich platziert. Irritiert schaute sie ihn mit leicht geöffneten Mund an. „Mach den Mund zu, Kleines. Die Milch wird sauer“, kommentierte er kichernd, bevor sie seine Lippen auf ihre Stirn spürte, die genauso schnell wieder verschwunden waren. Mit zugekniffenen Augen und schmollenden Mund schaute sie ihn an. „Ach, jetzt schau nicht so. Ich teile auch“, sagte er schmunzelnd, während er sich eine Handvoll Weingummi in den Mund schob. Seine Freundin funkelte ihn weiterhin an, wobei ihm nicht entging, wie ihre Mundwinkel bedrohlich zu zucken begannen. Sie verkniff sich sichtlich ihr Lachen. „Komm, sei mir nicht böse.“, säuselte er fast und versuchte sein Schmunzeln zu unterdrücken, als er sie sanft am Arm zu sich zog. Ohne sich zu wehren, platzierte Emma sich wieder zwischen seine Beine und ließ sich mit dem Rücken in seine Umarmung fallen, während er sie als Wiedergutmachung mit Bärchen fütterte.
Sie saßen eine ganze Weile eng zusammengekuschelt auf der Klippe und schauten verträumt aufs Meer, während sie ihre Zweisamkeit genossen. Rob kuschelte sich immer enger an seiner Liebsten, streifte mit seiner Nase sanft vom Nacken über ihren Hals, während er ihren lieblichen Duft in sich aufnahm und Emma seufzend seinen Unterarm kraulte. Mit geschlossen Augen strich er zaghaft ihre Haare am Hals zur Seite und hauchte ihr, kleine zarte Küsse in den Nacken. Emma neigte ihren Kopf, unter seinen Berührungen, zur Seite, schloss die Augen und biss sich sanft auf die Unterlippe. Sie wusste nicht, wie ihr geschah. Was er in ihr bewirkte, aber sie genoss jede einzelne seiner Berührungen. Sie erschauerte und jedes einzelne Haar stellte sich an ihrem Körper auf. Sachte drehte sie sich zu ihm um, bis ihre Blicke aufeinandertrafen und sie sich fast in den Tiefen seiner blauen Augen verlor. Wie hypnotisiert setzte sie sich wieder auf seinen Schoß, schlang, ohne ein Wort zu verlieren, ihre Arme um seinen Nacken und legte sanft ihre Lippen auf die seinen. Rob, der völlig überrascht von ihrer Offensive war, legte seine Arme um ihren Oberkörper und ließ zärtlich die Zunge über ihre Lippen gleiten. Als ihre Zungen aufeinandertrafen und liebevoll mit einander zu spielen begannen, wandelte sich ihr Kuss von zärtlich auf verlangend. Er packte sie an den Hüften und zog sie noch enger an sich, während sich ihre Hände immer weiter in seinen Haaren vergruben und ihre Beine sanft gegen sein Becken drückten. In ihrem Kuss lag so eine Intensität und Leidenschaft, wie in keinem zuvor. So hatten sie sich noch nie geküsst. Beide waren sie von ihrem aufkommenden Verlangen überrollt worden und Emma presste ihren Körper noch verlangender an seinen, als sie zusammen rücklings auf die Decke sanken, ohne dass sie von einander abließen. Von ihren Emotionen vernebelten ihre Sinne und Rob fuhr, im leidenschaftlichen Rhythmus des Kusses, mit den Händen über ihren Rücken, während die Ihren sich einen unruhigen Weg durch seine Haare bahnten. Als wenn sie verzweifelnd versuchten, jede einzelne Berührung und Moment in sich aufzusaugen. Sie wollten sich nur noch fühlen, spüren und sich nicht mehr loslassen, bis sie schließlich atemlos und widerwillig voneinander abließen. Emma vergrub ihr Gesicht direkt in seiner Halsbeuge, während er seine Nase in ihren Haaren vergrub. Ihrer beider Herzen pochten im wilden Einklang, während sie eng umschlungen auf der Decke lagen und langsam versuchten, wieder zu Atem zu kommen. Es war ein so berauschendes und leidenschaftliches Gefühl gewesen, welches noch niemand anderes in ihnen hervorgerufen hatte.
Rob streichelte gedankenverloren über ihren Rücken, als er plötzlich etwas Feuchtes an seinem Hals spürte. Augenblicklich war das unbeschwerte und glückliche Gefühl, der Besorgnis gewichen und vorsichtig strich er mit einem Finger die Haare vor ihrem Gesicht weg, um sie anzusehen.
„Emma, was ist los? Weinst du?“, fragte er mit samtener Stimme. Zögerlich richtete sie sich auf, und schaute ihn mit tränengefüllten Augen an, als sie ihm mit einer schmerzlichen Stimme antworte: „Rob, ich will hier nicht weg. Ich will nicht von dir weg!“ Unvermittelt trafen ihre Worte und die Tränen, die ihre Wangen hinunterliefen, wie ein Stich in sein Herz. Er musste schlucken, denn langsam krochen all die unterdrückten Gefühle von heut früh wieder in sein Bewusstsein und er wusste nicht, wie er reagieren sollte, ohne das ihm selbst die Tränen kamen. Er ertrug es nicht, sie so traurig und noch dazu sie weinen zu sehen, als wenn es sein eigener Schmerz wäre. Auch er wollte sich nicht von ihr trennen. Sie nicht gehen lassen, aber ihnen blieb keinerlei andere Wahl und er hasste das Gefühl, der Hilflosigkeit. Zaghaft wischte er ihr die Tränen von der Wange, während er weiter in ihre warmen braunen Augen schaute, als er es endlich schaffte, seine Emotionen halbwegs in den Griff zu bekommen. „Kleines, ich möchte dich auch nicht verlassen und wenn ich könnte, würde ich bei dir bleiben. Dich festhalten und nicht mehr loslassen. Du bist doch meine Sternschnuppe!“ Er konnte seine Traurigkeit, die in seiner Stimme, lag nicht verbergen, viel zu sehr schmerzte ihn der Gedanke, sie verlassen zu müssen und drückte sie noch ein wenig fester an sich. Emma ließ sich seitlich neben ihn gleiten, legte ihren Kopf auf seine Brust und ihren Arm um seinen Bauch, als sie ihn flüsternd fragte: „Was ist mit uns, wenn jeder wieder zuhause ist?“ Sie hatte Angst vor seiner Antwort. Was, wenn er sie vergessen würde? Was, wenn das hier doch alles nur ein Traum war. Erneut keimten ihre inneren Zweifel an sich selbst auf. Sie hasste diese Gedanken, aber sie war nicht in der Lage, sie abzustellen. Viel zu sehr hatte sie Angst, dass sie wahr werden könnten, auch wenn er ihr gar keinen Anlass für all ihre Bedenken gab. Ganz im Gegenteil.
Sanft umschloss Rob ihre Hand, die auf seinem Bauch ruhte und strich zärtlich mit dem Daumen über den Handrücken und unterbrach damit ihre innere Zerrissenheit. „Ich werde dich jeden Tag anrufen und dich so schnell wie es mir möglich ist besuchen kommen. Wenn es geht jedes Wochenende, jeden Ferientag. Verdammt! Jede freie Minute werde ich versuchen, zu dir zu kommen“, sagte er mit einer Überzeugung in seiner Stimme, die Emma ein erleichterndes Lächeln in Gesicht zauberte, während er ihr einen kleinen Kuss aufs Haar hauchte. „Ich auch. Ich werde es auch versuchen.“ Vorsichtig neigte sie ihren Kopf in seine Richtung, stütze sich auf seiner Brust ab, um ihm einen Kuss auf seine Lippen zugeben. Plötzlich löste er sich aus der Umarmung und setzte sich auf, als ihm seine Überraschung wieder in den Sinn kam, während Emma ihn verwundert anschaute. Verdammt, er hatte das bei all dem Spaß und der Zweisamkeit völlig vergessen und schlagartig überkam ihn wieder eine innere Unruhe. „Ist was, Rob?“, hörte er seine Freundin sagen, als er aufstand, um seine Gitarre aus der Tasche zu befreien. „Äh, nein.“, murmelte er unsicher vor sich hin, während er sich zu ihr herumdrehte und sich, mit der Gitarre in der Hand, vor sie hinsetzte. Emma schaute ihn immer noch mit einem verwunderten Blick an, als er für einen Moment die Augen schloss, tief durchatmete und innerlich betete, dass jetzt bloß nichts schieflief. Er hatte sich die ganze Woche, diesen Augenblick immer wieder vorgestellt und nun raste sein Herz sowie Puls vor Nervosität, dass er kaum einen klaren Gedanken fassen konnte. Er wusste nicht, wie er anfangen, geschweige denn, was er sagen sollte. Doch als er in ihre warmen schokoladenbraunen Augen schaute, überkam ihn sofort eine innere Ruhe und er räusperte sich, bevor er zu ihr sprach: „Kleines, das ist nur für Dich.“ Er platzierte seine Gitarre auf seinen Schoß und begann mit leicht zittrigen Fingern, die ersten Akkorde zu spielen, bevor er zu singen begann:
Hey there, Emma
What's it like in Manchester?
I'm a two hundred miles away
But, girl, tonight you look so pretty
Yes, you do
Albert Square can't shine as bright as you
I swear, it's true
Hey there, Emma
Don't you worry about the distance
I'm right there if you get lonely
Give this song another listen
Close your eyes
Listen to my voice, it's my disguise
I'm by your side
Oh, it's what you do to me
Oh, it's what you do to me
Oh, it's what you do to me
Oh, it's what you do to me
What you do to me….
Als langsam die letzten Töne verstummten und er vorsichtig seine Gitarre zur Seite legte, saß Emma mit großen Augen vor ihm und starrte ihn wortlos an. Sie gab keinerlei Regung oder Reaktion von sich und in Rob kroch augenblicklich wieder das Gefühl der Unsicherheit empor. Hatte er etwas falsch gemacht? War sie geschockt oder war er einfach nur schlecht gewesen? Vielleicht war das doch keine gute Idee gewesen und er hätte es besser sein lassen sollen?! „Hat es dir nicht gefallen?“, fragte er sie schließlich unsicher und etwas enttäuscht, als sie noch immer regungslos vor ihm saß. Seine Frage riss Emma aus ihrer Trance, denn sie konnte nicht glauben, was sie gerade gehört und was er gerade für sie gemacht hatte. „Oh Rob. Nein, es war wunderschön. Ich weiß gar nicht, was ich sagen kann außer, danke“, flüsterte sie vor lauter Überwältigung, während sie zu ihm rüber rutschte, ihre Hand sanft auf seine Wange legte und ihn mitten in seine Seele schaute. Für einen Moment verharrten ihre Blicke ineinander, wobei Rob in ihren Augen etwas erkannte, was anders als sonst war. Es lag etwas in ihrem Blick, was er allerdings nicht deuten konnte, denn er war viel zu sehr von ihrer Berührung und ihren Augen gefangen. Sanft legte sie ihre Stirn an seine, während sie ihre Augen schloss und ihr Herz sprechen ließ.
„Ich liebe Dich!“, hauchte sie ihm zu, während sie eine ungewohnte innerliche Ruhe erfasste. Sie spürte, wie die Worte eine Art Befreiung waren und sie gleichzeitig das Glück durchflutete. Er war ihr Glück.
Es dauerte einen winzigen Moment, bis ihre Worte zu Rob durchgedrungen waren– bis er begriffen hatte, was sie bedeuteten und ihn mitten in sein Herz trafen. Sie liebte ihn – ihn! Vorsichtig nahm er ihr Gesicht in seine Hände, sodass sie sich wieder ansahen. „Ich liebe dich auch!“, erwiderte er ihre Gefühle und legte seine Lippen auf die Ihren. Von ihrer beider Geständnissen und durch die Welle des Glücks, welches durch ihre Körper strömten, ließen sie sich in einen leidenschaftlichen Kuss fallen. Noch nie hatten sie die Worte zu einem anderen Menschen gesagt. Langsam lösten sie sich aus ihrem Kuss und ließen sich sachte auf die Decke zurückfallen, ohne dabei den Augenkontakt zu verlieren. Sie lagen Minuten lang mit den Gesichtern zugewandt nebeneinander, ohne auch nur ein Wort zu verlieren, und betrachteten den anderen, während sie dem ruhigen Wellenrauschen lauschten.
„Ich bin so froh, dich hier kennengelernt zu haben“, unterbrach Emma die Stille, während Rob, mit dem Finger die Konturen ihres Kinns entlangfuhr. „Ich auch“, flüsterte er ihr zu, bevor er einen kleinen Kuss auf die Lippen hauchte.
Sie wären am liebsten ewig hier kuschelnd zusammen auf den Klippen liegen geblieben, doch der Abschied war erschreckend nahe. Als Rob auf seine Armbanduhr schaute, wich sein Glücksgefühl augenblicklich dem von unendlicher Traurigkeit. Sein Magen verkrampfte sich und er löste sich wortlos aus der Umarmung, um seine Gitarre in die Tasche zu verstauen. Auch Emma erging es nicht anders, als sie schweigend die restlichen Sachen in den Rucksack packte und das beklemmende Gefühl ihr langsam die Tränen in die Augen steigen ließ. Doch sie zwang sich krampfhaft, diese zu unterdrücken, was ihr jedoch nur mühsam gelang. Nachdem alles ordentlich eingepackt war, schwang Rob die Gitarre wieder auf seinen Rücken und den Rucksack über seine Schulter. „Wir müssen los“, sagte er tonlos, während Emma noch einmal aufs Meer hinausschaute. Schweigend drehte sie sich zu ihm um, und sah die Traurigkeit in seinen Augen, die ihr sofort ein Stich in ihr Herz versetze.
Wie sollte sie es nur schaffen, sich von ihm zu verabschieden?
Sie legte ihren Arm um seine Hüfte, während er sie an ihrer Taille enger an sich zog, als sie sich, schweigend und jeder in seinen Gedanken versunken, auf dem Weg zu Emmas Cottage machten.
Als sie um die Ecke, auf dem kleinen Kiespfad zum Haus, bogen, sahen sie schon, wie ihre Familie auf der Veranda auf sie warteten. Kurz bevor sie das Cottage erreichten, bemerkte Rob, dass das Auto bereits voll beladen in der Einfahrt stand. Das Band, welches sich um seinen Magen befand, zog sich schmerzlich zusammen, als ihn die Erkenntnis traf, dass der Zeitpunkt des Abschieds unmittelbar bevorstand. Ihre Eltern würden sicher direkt abreisen wollen und dabei hatte er eine klitzekleine Hoffnung gehegt gehabt, dass ihm noch ein wenig mehr Zeit mit ihr bleiben würde. In seiner Brust baute sich immer stärker der beklemmende Druck auf und er hatte das Gefühl, nicht mehr atmen zu können.
Wo sollte er bloß die Kraft hernehmen, sie gehen zu lassen?
Je näher sie der Veranda kamen, umso mehr verkrampfte sich Emma in seinen Arm und ihr Griff um seine Hüften verstärkte sich merklich. Er spürte, wie sehr auch ihr die Situation zusetzte, während sie langsam die Treppe hinaufgingen.
„Hallo ihr beiden hattet ihr einen schönen Tag?“, begrüßte ihre Mutter sie beide, als sie vom Stuhl aufstand und Will sowie Lotte es ihr gleichtaten.
„Hallo“, sagte er, während er sich bemühte ein Lächeln aufzusetzen, dabei den Rucksack neben sich auf den Boden stellte und Emma sich stumm um seine Hüfte klammerte. „Wir hatten einen tollen Tag.“
„Das freut mich, aber ich muss euch jetzt leider trennen“, sagte sie entschuldigend und wendete sich ihrer Tochter zu, während ihr Vater sich mit einem Kopfnicken von Rob verabschiedete und zum Auto ging. „Emma, wir müssen los. Sonst verpassen wir die Fähre. Ihr könnt euch aber noch in Ruhe verabschieden, ja? Wir werden im Auto auf dich warten.“ Sie drehte sich zu Rob, um sich von ihm zu verabschieden. „Robert, schön dich kennengelernt zu haben. Grüß doch ganz lieb deine Eltern von uns.“ Clare schüttelte ihm die Hand, und gab Lotte ein Zeichen, ihr zum Auto zu folgen, als sie an ihnen vorbeiging. „Tschüss“, war nur Lottes knappe Verabschiedung, als auch sie an ihnen vorbeihuschte.
Rob hatte das Gefühl, dass sein Herz von tausend kleinen Nadelstichen malträtiert wurde, als er sich alleine, mit Emma im Arm, auf der Veranda vorfand und in ihren Augen sah, wie sie tränenüberfüllt waren. Der Anblick setzte ihm noch mehr zu, und es kostete ihm unerträglich viel Kraft, seine aufkommenden Tränen zu unterdrücken. Ihm war mittlerweile schon ganz schlecht und in ihm sträubte sich alles, sie gehen zu lassen. Er wollte das verdammt noch mal nicht und trotzdem führte kein Weg dran vorbei. Er zog Emma zu sich rum und schlang seine Arme einnehmend um ihren Körper, während er seine Nase in ihren Haaren vergrub, um ein letztes Mal ihren lieblichen Duft vollkommen in sich aufnehmen zu können. Sie presste ihren Körper an seinen und vergrub ihr Gesicht an seiner Brust, als er augenblicklich spürte, wie sein T-Shirt an der Stelle feucht wurde.
„Emma, ich werde dich schrecklich vermissen. Ich verspreche dir, ich werde dich jeden Tag anrufen und so schnell wie möglich bei dir sein, sobald ich kann. Du bist mein Mädchen. Du bist doch meine Sternschnuppe. Ich liebe dich!“ Seine Stimme brach ab, als er sie aufschluchzen hörte und spürte, wie sie in seinen Armen begann am ganzen Körper zu zittern. Es kostete all seine Willenskraft, um nicht genauso in Tränen auszubrechen, wie sie es tat. Doch, er wollte für sie stark sein, damit es ihr nicht noch schwerer fiel, wenn sie sehen würde, wie ihm der Abschied ebenfalls zusetzte.
„Danke für den schönsten Urlaub meines Lebens. Ich weiß nicht, wie ich eine Minute ohne Dich aushalten soll. Wie soll ich da Tage oder Wochen schaffen? Das hier, tut grad so weh. Ich will dich nicht verlieren. Rob, so vertraut, wie mit dir, habe ich mich noch bei niemanden gefühlt. Du bist mein Stern. Oh Gott, ich will das nicht. Ich liebe dich!“, schluchzte sie mit zittriger Stimme und ihre Worte ließen Rob seinen Kampf gegen seine Tränen endgültig verlieren. Er löste sich widerwillig aus der Umarmung, während die Tränen über seine Wangen liefen. Mit der Hand wischte er sie aus dem Gesicht, bevor er aus der Hosentasche die kleine Schmuckschatulle zog. Mit zittrigen Händen öffnete er das kleine Kästchen und holte zwei Ketten heraus, an denen jeweils ein, aus Silber gehaltener rechteckiger Anhänger, angebracht war. Auf beide befanden sich jeweils ein Engelsflügel – einer in Schwarz und der andere, etwas Kleinere, war goldfarben. In der jeweils linken Ecke war noch ein weißer Zirkonia eingefasst und wenn man beide Anhänger aneinanderhielt, war der Engel komplett – genau so, wie sie es waren, wenn sie zusammen waren.
Emma stand mit dem Gesicht zum Boden gewandt vor ihm, während ihr stumm die Tränen herunterliefen. Sie war nicht fähig, ihre Gefühle unter Kontrolle zu bringen, zu sehr schmerzte sie der endgültige Abschied von ihm. Sie strich sich mit dem Handrücken unter ihrer Nase, um sich die Tränen von der Nasenspitze zu wischen, die sich dort angesammelt hatten, als sie plötzlich Robs sanfte Finger unter ihrem Kinn spürte. Zaghaft schob er es nach oben, während sie versuchte, den Blick nach unten zu halten. Sie hatte nicht die Kraft, ihm in seine traurigen Augen zu schauen, um dann den Schmerz darin zu erkennen, den sie selbst gerade so unerträglich spürte.
„Kleines, bitte. Bitte weine nicht mehr“, sagte er mit einer brüchigen Stimme. Weinte er? „Ich habe hier etwas, was dich immer von mir begleiten wird.“ Zögerlich richtete sie ihre Augen nach oben, bis ihre Blicke schließlich aufeinandertrafen, was ihr die Brust schlagartig zuschnüren ließ, als sie das feuchte Glänzen in seinen Augen erkannte. Der Schmerz stand ihm ins Gesicht geschrieben, er war aschfahl und sie verspürte den starken Drang, ihn wieder in ihre Arme zunehmen und einfach mit ihm wegzugehen. Doch das war unmöglich und erneut rannen ihr stumm die Tränen über die Wangen, als sie spürte, wie er ihre Hand nahm und etwas in ihre Handfläche gleiten ließ. Als sie drauf schaute, erkannte sie einen Anhänger mit einem goldenen Flügel und langsam hob sie ihn, an der Kette hoch, als die auf der Rückseite eine Gravur entdeckte.
In Liebe Rob!, stand da und es verschlug ihr die Sprache. Sie schaute ihn nur mit großen Augen an, während sie über sein Geschenk so überwältigt war, dass sich die nächste Tränenflut drohend ankündigte.
„Ich habe das passende Gegenstück.“ Er deutete auf seinen Anhänger, den er in der Hand hielt, während er versuchte seine Emotionen unter Kontrolle zu bekommen. „Ich werde ihn immer tragen, damit ein Teil von dir bei mir ist.“ Seine letzten Worte waren nur noch ein Flüstern, als Emma sah, wie ihm eine einzelne Träne die Wange herunterlief. Es brach ihr das Herz, ihn so traurig zu sehen, und sie kämpfte gegen ihre aufkeimende Wut an, dass sie beide in dieser aussichtslosen Situation waren.
Vorsichtig nahm er ihr den Anhänger aus der Hand, stellte sich hinter sie, während er ihr Haar sachte von ihrem Hals strich, um ihr die Kette anzulegen. Emma drehte sich unmittelbar zu ihm um, als sie seine Finger nicht mehr auf ihren Nacken spürte und schlang ihre Arme um seinen Hals, während sie ihn leidenschaftlich küsste. In dem Kuss lag all ihre Emotionen, Schmerz und Verzweiflung, die sie beide umgaben.
„Danke mein Stern, du weißt gar nicht, was mir das bedeutet“, hauchte sie ihm atemlos entgegen, als er sie enger an sich zog und seine Stirn gegen ihre legte.
Widerwillig löste sie sich, um auch ihm seine Halskette anzulegen. Als sie, sie aus seiner Hand zog, schaute sie auf die Rückseite und entdeckte, dass er auch diese hatte gravieren lassen.
In liebe Emma!
Er hatte wirklich an alles gedacht. In dem Moment, wo Emma den Verschluss schloss, hörte sie die Stimme ihres Vaters rufen, der sie jäh aus ihrer Zweisamkeit riss. „Emma, wir müssen los, kommst du?“
„Ja, ich komm sofort“, schrie sie traurig zurück, als ihr schlagartig ihr Geschenk wieder einfiel und zu ihrem Rucksack herumwirbelte, während Rob sie über ihre Eile verwundert beobachtete. Sie zog ein kleines, in buntem Papier eingepacktes, Päckchen aus der Seitentasche des Rucksackes und stellte sich aufgeregt vor ihm.
„Das habe ich ganz vergessen. Das wollte ich dir vorhin schon geben. Na ja… also, das ist etwas, was dich an unsere gemeinsame Zeit erinnert. An unserem Urlaub“, sagte sie mit einer immer leiser werdenden Stimme, als sie ihm das Päckchen reichte.
„Aber, bitte mach es erst auf, wenn ich weg bin, ja?“
„Okay“, murmelte er überrascht, während sich seine Kehle immer mehr zusammenschnürte. Der Zeitpunkt des endgültigen Abschiedes war gekommen und er versuchte, all seine Kraft zusammenzunehmen, um sie gehen zu lassen, als ungeduldig die Hupe ertönte. Ihr Vater drängte darauf, endlich abreisen zu können.
Emma schlang noch einmal ihre Arme um seinen Körper und drückte ihn an sich, bevor sie ihm einen letzten Kuss auf die Lippen gab. „Ich liebe dich“, sagte sie mit Tränen in den Augen, während sie langsam Richtung Treppe schritt, ohne den Blick von ihm zu nehmen und schleichend die Hand aus seiner gleiten ließ.
Robs schmerzhafter Druck auf seiner Brust, ließ ihn kaum Atmen, als im ungehemmt die Tränen über seine Wagen liefen, während er beobachtete, wie seine Liebste ins Auto einstieg und davonfuhr. Minuten lang stand er regungslos und nicht fähig seine Gefühle, unter Kontrolle zu bringen, auf der Veranda und schaute auf das Ende der Auffahrt, als wenn er hoffte, dass sie wieder zu ihm zurückkehren würde. Bis ihm plötzlich das Päckchen in seiner Hand wieder ins Bewusstsein gekrochen kam. Er wischte sich mit den Handrücken die Tränen aus seinem Gesicht und öffnete mit, noch immer, zitternden Hände die Schleife. Als er das Geschenkpapier ungeduldig aufgerissen hatte, hielt er einen kleinen gläsernen Bilderrahmen in seiner Hand, worin sich das Bild von ihm und Emma vom Burgausflug befand. Beim näheren Betrachten entdeckte er, dass Emma was in der unteren Ecke drauf geschrieben hatte.
Für meinen Stern.
Ich liebe dich!
Deine Sternschnuppe!
„Ich liebe dich auch“, flüsterte er mit tränenerstickter Stimme, während er mit dem Daumen über ihr Gesicht fuhr. Mit dem Bild in der Hand und ihrem Lächeln vor seinem inneren Auge, machte er sich nur langsam und niedergeschlagen auf dem Weg zu seiner Familie.
Emma saß auf der Rückbank im Auto und schaute gedankenverloren aus dem Fenster, während ihr unkontrolliert die Tränen über die Wangen liefen. Ihre Gefühle drehte unruhig ihre Runden auf dem Gefühlskarussell, und sie hatte keinerlei Chance diese zum Anhalten zu bringen. Von traurig, verzweifelt bis hin zu wütend sein, war alles vertreten. Wenn sie an Rob dachte, spürte sie sofort wieder das Kribbeln in ihrem Körper - die Leichtigkeit, wenn sie in seinen Armen lag und augenblicklich schlug das Gefühl um, in unendliche Traurigkeit, als ihr wieder bewusst wurde, dass sie ihn für unbestimmte Zeit nicht mehr sehen konnte.
Ihr Magen verkrampfte sich erneut schmerzlich, als sie sanft mit dem Finger über ihre Lippen strich, wo er sie vorhin noch zärtlich und leidenschaftlich geküsst hatte. Wann würde sie ihn wiedersehen? Wann konnte sie ihn wieder in ihrem Armen halten können? Wann konnte sie wieder mit ihm Lachen können? All die Fragen, ließen sie leise aufschluchzen, als sie dabei den Anhänger, der um ihren Hals hing, in ihrer Hand hielt.
Seitdem sie losgefahren waren, hatte sie kein Wort verloren und niemand hatte sie angesprochen. Ihre Familie spürte, wie es ihr gerade erging, und ließen ihr den Freiraum, mit ihren Emotionen und Gedanken umgehen zu können. Sogar Lotte saß nur schweigend neben ihr und schaute ebenfalls aus dem Fenster, während leise das Radio im Hintergrund lief. Ihr Herz zersprang in tausend kleine Scherben, als sie das Lied erkannte, welches gerade der Sender spielte. Es war genau der Song, den Rob ihr noch vor ein paar Stunden, auf der Klippe, für sie gesungen hatte. Augenblicklich überkam sie die nächste Tränenflut, sie zog die Beine auf den Rücksitz, schlag ihre Arme drum und vergrub ihr Gesicht in die Knie, während sie bitterlich weinte.
„Rob, ich liebe dich! Ich will wieder zu Dir!“, schrie sie in ihren Gedanken heraus….
Kapitel 9
Sehnsucht
Die Leere und der Schmerz in ihrem Herzen, war auch nach Tagen der Abreise noch immer für Emma allgegenwärtig, denn sie vermisste Rob so sehr, dass sie oftmals in den Gedanken an ihn gefangen, in ihrem Zimmer saß. Mit jeder Minute wurde ihre Sehnsucht in seinen Armen zu liegen, sich in den Tiefen seiner blauen Augen versinken zu lassen und ihn einfach nur zu spüren, so unermesslich groß, dass sie ihre Augen schloss und sich zeitweise zurück nach Cornwall träumte. Rob hatte sein Versprechen gehalten und hatte sie noch am selben Abend angerufen, als er selbst noch auf dem Heimweg war, nur um ihre Stimme zu hören. Sie spürte genau, dass es ihm in keinster Weise anders erging, als ihr. Seitdem telefonierten sie jeden Abend miteinander und schrieben sich in fast jeder freien Minute Nachrichten. Selbst über die banalsten Sachen tauschten sie sich aus. Er brachte sie immer wieder zum Lachen und ließ die kleinen Flatterviehcher in ihrem Bauch Saltos schlagen, auch wenn er so viele Kilometer von ihr entfernt war. Dennoch war an jedem neuen Tag, erneut die Leere in ihr, bis zu dem Moment, als sie aus der Schule kam und die ersten Nachrichten mit ihm wechseln oder sie seine Stimme hören konnte. Dann keimte sofort das unbeschwerte und glückliche Gefühl wieder in ihr auf und sie fühlte sich halbwegs komplett.
Nach unendlichen zwei Wochen der Trennung würde Rob sie heute zum ersten Mal in Manchester besuchen kommen. Am Nachmittag sollte er landen und bereits am frühen Morgen, als sie sich auf dem Weg zur Schule machte, war sie so voller Euphorie und Vorfreude, dass sie beinahe mit ihrem Pyjamaoberteil das Haus verlassen hätte. Wenn ihre Mutter sie nicht im letzten Moment aufgehalten hätte, während ihre Schwester hingegen nur lachend neben der Kommode stand. Die hätte sie ins offene Messer laufen lassen – und das mit Wonne. In der Schule selber, war an Unterricht für sie nicht zu denken. Sie saß in jeder Stunde nur nervös auf ihren Platz und stellte sich die unterschiedlichsten Versionen vor, wie ihr Wiedersehen mit ihrem Liebsten aussehen könnte, während sie dabei immer wieder auf die Uhr schaute.
Wann war denn endlich der verdammte Schultag vorbei?
Sie kritzelte gerade ein paar Herzen in ihr Heft, während sie in Gedanken, fieberhaft ihren Kleiderschrank durchforstete, was sie nur anziehen könnte, als sie aus ihren Überlegungen gerissen wurde. „Misses Hillington, wären sie so freundlich und würden die Formel, für uns lösen?“ Mr. Barnes stand direkt vor ihrem Tisch und schaute sie mit einem strafenden Blick an. Verdammt! Sie brauchte einen Moment, um zu begreifen, was ihr Lehrer von ihr gerade gefordert hatte. Welche Formel überhaupt? In der gesamten Zeit, wo sie mit sich und ihren Überlegungen beschäftigt war, hatte sie Ort und Zeit völlig um sich herum vergessen. Hilfesuchend warf sie ihrer Freundin einen Blick zu, die nur mit dem Kopf zur Tafel deutete, dem sie sofort folgte. Ausgerechnet eine binomische Formel stand auf der Tafel. Sie hasste Mathe, ein Fach was ihr überhaupt nicht lag. „Äh, ich…“, begann sie zögerlich, als ihr Lehrer sie ungeduldig unterbrach. „Kann jemand Emma zeigen, wie man die Aufgabe löst?“ Er wandte sich von ihr ab und schaute durch den Klassenraum, ob sich ein anderer Kandidat finden ließ, aber nicht ohne ihr noch einmal eindringlich zu verstehen zu geben, dass er sie im Auge behielt. Als Mike schließlich die Formel löste und Mr. Barnes mit dem Unterricht endlich fortfuhr, wandte sie sich seufzend wieder ihrem Blatt Papier zu, während sie dabei ihren Blick ungeduldig auf ihre Armbanduhr fallen ließ. Alex, die ihre Nervosität den ganzen Tag nicht verborgen geblieben war, beugte sich über den Tisch zu ihr rüber und versuchte sie, erneut zu beruhigen. „Er freut sich genauso, dich wiederzusehen. Mach dich nicht bekloppt.“ Emma schaute sie nickend an, wobei sie die Innenseite ihrer Unterlippe mit den Zähnen malträtierte, als sie von der Seite leicht angestupst wurde. „Aber, wenn du dich jetzt die ganze Zeit verrückt machst, dann bist du nachher das reinste Nervenbündel“, flüsterte ihre Freundin Ilka, die neben ihr saß, und sie verständnisvoll anlächelte. „Ganz genau. Und dann hat Rob auch nichts von dir, wenn du am Flughafen kreidebleich zusammenbrichst“, stimmte Bridget den anderen ebenfalls zu, wobei sie ihr zuzwinkerte und Emma nur nickend ihren Blick zum Heft richtete. Ihre Freundinnen hatten ja recht, es brachte nix, sich so wahnsinnig zu machen, aber sie konnte ihre verwirrten Gedanken und Gefühle einfach nicht abstellen. Viel zu sehr hatte sie sich den Tag, wo sie ihn wieder in ihren Armen halten konnte, herbeigesehnt und ungeduldig zählte sie weiter die Sekunden, bis endlich die erlösende Schulglocke läutete. Hastig packte sie ihren Kram vom Tisch in ihren Rucksack und verabschiedete ihre Freundinnen, indem sie sie kurz umarmte und diese ihr einen tollen Tag wünschten, bevor sie sich eilig auf den Heimweg machte.
Als sie endlich zu Hause angekommen war, lief sie schnurstrack in ihr Zimmer, während sie nur ein flüchtiges „Hallo“ durch den Flur rief, was ihre Heimkehr ankündigen sollte. Nachdem sie ihre Tasche auf ihr Bett geschmissen und ihre Schuhe von den Füßen, neben das Bett, gekickt hatte, stand sie ratlos vor ihrem geöffneten Kleiderschrank. Was sollte sie nur anziehen? Unentschlossen zog sie wahllos ein paar Shirts und Jeans heraus, die sie ebenfalls auf ihr Bett beförderte. Unzufrieden, dass sie nichts fand, was ihr gefiel, ließ sie sich aufs Bett zurückfallen und starrte einen Moment gegen ihre Zimmerdecke, bis sie plötzlich aufsprang und ihr Handy aus der Tasche zückte. Mit Erschrecken stellte sie fest, als sie das Display entsperrte, dass ihr nicht mehr viel Zeit blieb. Nervös wählte sie die Nummer von Bridget und hoffte inständig, dass sie ihre Freundin auch erreichte. Keine zweimal ertönte das Wählzeichen, als sie sich bereits meldete: „Ja, Emma?“
„Ich hab nix anzuziehen!“, haute sie ohne Umschweife heraus, während sie nervös in ihrem Zimmer umherlief.
„Mal langsam, Mausel. Du hyperventilierst mir ja.“, sagte ihre Freundin völlig gelassen, was Emma leise aufschnaufen ließ. „Das ist nicht hilfreich. Was zieh ich denn jetzt an?“
„Atme jetzt erst mal kurz durch. Hörst du?“ Emma rollte mit den Augen, aber atmete hörbar einmal tief ein und aus, was sie wider erwartend doch etwas beruhigte.
„Gut, und jetzt fangen wir von vorne an. Ich glaube ja, Rob wird es herzlich egal sein, was du anhaben wirst. Du wirst es eh nicht lange am Körper tragen.“
„BRIDGET!“, rief sie empört ins Handy, während von der anderen Seite des Hörers nur ein lautes Kichern zu hören war. Das war typisch Bibi, sie konnte es einfach nicht sein lassen.
„Okay … Okay. Hast du nicht noch das helle und knielange Sommerkleid mit dem Paisley Muster? Dazu deine cremefarbenen Sandaletten. Ich wette, damit haust du ihn um, und du hast es nicht lange an.“ Sie hörte regelrecht, wie ihre Freundin sich ihr Lachen verkneifen musste, und schüttelte selbst grinsend nur mit dem Kopf. Sie konnte manchmal so unmöglich sein und genau deswegen verstanden sie sich so gut. Bridget trug ihr Herz auf der Zunge, genauso wie sie selbst, teilte den gleichen Humor mit ihr und stand ihr immer mit Rat und Tat zur Seite – egal was es auch war. Sie war einfach immer da und sie hatte wieder einmal recht. Schlagartig fiel der kleine hysterische Anfall von ihr ab, als sie das Kleid aus ihrem Schrank zog und es über den Stuhl legte.
„Das ist es. Danke, du warst meine Rettung. Ich wäre nie auf das Teil gekommen!“
„Kein Thema, Mausel. Dann mach dich jetzt fertig für deinen Schatz“, sagte sie mit einem Lächeln in ihrer Stimme, während Emma in der Kommode nach den Sandaletten kramte und sie schließlich vors Bett stellte. „Und denk dran. Er wird verrückt nach dir sein. Bis morgen!“ Noch bevor sie irgendetwas erwidern konnte, hörte sie auch schon das Klicken in der Leitung. Sie hatte aufgelegt. Das war wieder mal typisch, das konnte auch nur Bibi bringen, sie mit ihren Bemerkungen nur noch nervöser machen. Sie klappte ihr Handy zu, legte es auf ihren Schreibtisch, bevor sie sich das Kleid schnappte und ins Bad huschte.
Nach einer knappen Stunde kam sie frisch geduscht und umgezogen zurück in ihr Zimmer, verstaute eilig die Klamotten vom Bett in den Schrank und schlüpfte schnell in ihre Sandaletten, bevor sie sich ihr Handy vom Tisch schnappte und in den Flur lief. „Mum … Mum? Wo bist du?“, rief sie durchs Haus, als sie an der Garderobe nach ihrer kleinen schwarzen Tasche suchte, um ihr Handy hineinzulegen. Nervös warf sie einen Blick auf die Uhr, die hinter ihr an der Wand hing, was ihre innere Unruhe nur noch verstärkte. Sie waren viel zu spät dran. In einer guten Stunde würde Rob landen. Wo war denn jetzt verdammt noch mal ihre Mutter?
„Mum, wir kommen zu spät“, schrie sie, noch einen ticken lauter, während sie den Flur Richtung Küche entlanglief.
„Ja, ich komm sofort. Ich mach nur noch die letzte Ladung Wäsche in die Maschine“, hörte sie, die gelassene Stimme ihrer Mutter, aus dem Keller rufen, wobei Emma nur mit den Augen rollte und unruhig den Flur auf und ab lief. Woher nahm sie bitte die Ruhe? Der Verkehr war um diese Zeit einfach schrecklich und langsam ergriff sie die Panik. Sie legte sich den Riemen ihrer Tasche quer über ihre Schultern und betrachtete sich noch einmal im Spiegel, wobei sie mit den Fingern durch ihr langes, leicht welliges Haar fuhr, welches ihr lässig über die Schultern fiel.
„Oh, jetzt müssen wir uns aber sputen, sonst steht der Arme noch alleine am Flughafen“, hörte sie ihre Mutter hinter ihr sagen, als sie aus dem Keller über den Flur hechtete, um an der Garderobe schnell in ihre Schuhe zu springen. „Hab ich dir doch gesagt Mum. Wehe wir schaffen es nicht pünktlich“, erwiderte sie vorwurfsvoll, während sie gemeinsam übereilt aus dem Haus liefen und die Tür nur ins Schloss fallen ließen, um zum Auto zu eilen. Über die gesamte Fahrt nestelte Emma unruhig am Saum ihres Kleides, wechselte den Blick ständig zwischen ihrer Uhr und der Straße hin und her, während sie dabei innerlich betete, dass sie rechtzeitig am Flughafen ankommen würden. Ihre Nervosität stieg bei jeder roten Ampel oder wenn es den kleinsten Rückstau gab an, wobei ihre Mutter teilweise wie ein kleiner Rohrspatz fluchte, wenn der Vordermann irgendwelche Aktionen machte, die sie nicht nachvollziehen konnte. Emma hatte keine Ahnung, wie ihre Mutter es geschafft hatte, als sie nur wenige Minuten vor seiner Landung, vor dem Eingang des Flughafens, vorfuhren. „Liebes, spring du schon mal rein und geh zum Gate. Ich suche derweil einen Parkplatz“, sagte Clara, als sie auf dem Taxistreifen vor dem Eingang anhielt und nebenbei einen Zettel aus ihrer Tasche zog.
„Äh, auf welchem Gate landet er denn noch mal?“, fragte ihre Tochter sie mit großen Augen, während sie sich vor Aufregung auf die Lippen biss und nach ihrer Tasche im Fußraum griff.
„Ich glaube C. Aber nimm einfach den Zettel.“ Clara drückte ihr das Stück Papier in die Hand, als Emma die Autotür aufmachte, um schnell auszusteigen. „Da steht die Flugnummer drauf und schau auf die Anzeigetafel. Ich warte dann am Eingang, sobald ich einen Parkplatz gefunden habe, Okay?“
„Okay, mach ich.“ Sie schmiss die Tür zu, warf ihre Tasche quer über ihre Schultern, während ihre Mutter wegfuhr, und rannte Richtung Eingang. Ihr Herz raste so unaufhörlich in ihrer Brust, weil sie ihn gleich wiedersehen würde, dass sie beinah vor Aufregung vor die Glasdrehtür gelaufen wäre. Erst im letzten Moment, als sich das verflixte Teil bewegt hatte, erkannte sie es und konnte noch so gerade eben abbremsen, um dann das riesige Flughafengebäude zu betreten.
Die Halle war gut gefüllt und Emma brauchte einen Moment, um sich orientieren zu können, als sie ihren Blick suchend über die gesamte Fläche schweifen ließ. Überall standen Menschen und warteten auf ihre Liebsten mit Luftballons, Blumen oder Stofftieren in der Hand, während andere am Schalter zum Einchecken oder nur zum Informieren standen. Sie bahnte sich eilig den Weg durch die Menschen, um ein wenig näher an der Anzeige ranzukommen, die sich mittig in der Halle befand und faltete hastig den Zettel auseinander, als sie endlich davorstand. So, welche Flugnummer hatte sein Flug? Ungeduldig flog ihr Blick abwechselnd zwischen dem Stück Papier in ihrer Hand und der Tafel, hin und her. „BA 936, Gate C“, murmelte sie, während ihr fast das Herz stehen blieb, als sie erkannte, dass seine Maschine bereits gelandet war. „Oh Gott“, schrie sie fast schon panisch aus, stopfte den Zettel in ihre Handtasche, während sie wild nach Hinweisschildern die Halle absuchte. Hoffentlich stand er hier nicht irgendwo und glaubte, sie hätte ihn vergessen. Das durfte doch nicht wahr sein. Als sie endlich um die Ecke zum Gate bog, traf sie fast der Schlag und sie blieb abrupt stehen. Hier war es gefühlt noch voller, als in der großen Eingangshalle und hektisch suchte sie mit ihrem Blick die Menschenmasse nach Rob ab – doch sie konnte ihn nirgends entdecken. Ihr Magen zog sich unangenehm bei dem Gedanken zusammen, dass er hier irgendwo am Flughafen alleine herumirrte, bis sie erleichtert feststellte, dass die Türen zu der Gepäckausgabe noch geschlossen waren. Tief durchatmend drängte sie sich vorsichtig durch die Menge, bis sie direkt vorne zur Absperrung gelangt war und wie gebannt auf die Türen starrte. Ihr Herz raste so schnell, dass sie befürchtete, es würde ihr jeden Moment aus der Brust springen, als sich plötzlich die Türen öffneten. Ihre Augen scannten erwartungsvoll jeden Passagier ab, der aus der Gepäckausgabe die Halle betrat, doch wieder sah sie ihren Schatz nicht. Nervös drehte sie sich um, um sich noch einmal zu vergewissern, dass sie sich wirklich am richtigen Gate befand. Ja, sie war richtig, aber sie sah nur fremde Menschen, die von ihren Familien und Freunden glücklich begrüßt wurden.
Wo blieb er denn nur?
Langsam kroch das Gefühl der Unsicherheit wieder in ihr hoch. Was, wenn er gar nicht in dem Flugzeug gewesen war? Sie kramte unruhig in ihrer Tasche nach dem Handy, um nachzusehen, ob sie eine Nachricht vom ihm verpasst hatte, als sie ihn entdeckte. Rob schlenderte ganz lässig, mit der Umhängetasche und einer Flasche Wasser in der Hand aus der Tür. Seine blonden wuscheligen Haare hatte er unter der schwarzen Beanie vergraben und auf seiner Nase saß eine gleichfarbige Sonnenbrille. Augenblicklich verpasste sein Anblick Emmas Herzen einen Aussetzer und in ihrem ganzen Körper begann es, wie wild zu kribbeln. Er war hier – hier bei ihr und er sah umwerfend aus. Als sein Blick auf ihren traf, schenkte er ihr sofort sein schiefes Lächeln und sie drehte sich auf den Absatz um, um ihm an der Absperrung entgegenzugehen. Ohne es bewusst wahrzunehmen, waren ihre Schritte ins Laufen übergangen und sie rannte auf ihn zu. Rob blieb stehen, ließ die Flasche sowie Tasche fallen und breitete sein Arme gerade noch rechtzeitig aus, als sie ihm schon um den Hals fiel. Sie vergrub ihr Gesicht in seiner Halsbeuge, als er seine Arme um ihren Körper schlang, sie an sich drückte und hochhob. Sein warmer Atem an ihrem Nacken, als er seine Nase in ihren Haaren vergrub, bescherte ihr prompt einen wohligen Schauer über ihre Haut.
„Ich hab dich so vermisst“, murmelte er in ihre Haare, bevor er sie langsam wieder auf den Boden absetzte.
„Ich dich auch“, flüsterte sie, als sie ihr Gesicht zu ihm aufrichtete, um in seine topasblauen Augen schauen zu können, die sie so vermisst hatte. Einen kurzen Moment verharrten ihre Blicke ineinander, bevor er ihr einen sanften Kuss auf ihre Lippen hauchte.
„Jetzt ist unser Engel wieder komplett.“ Er hatte die Stirn an ihre gelegt und sie noch immer fest im Arm, während Emma nicht verstand, was er damit meinte. Langsam löste sie sich aus der Umarmung und schaute ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue an, als er mit der Hand unter seinem weißen T-Shirt griff. „Siehst du?“, fragte er und hielt seinen Anhänger an ihren, den sie um den Hals trug, sodass sich beide Engelsflügel berührten. „Ja, wir sind wieder komplett.“ Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen kleinen Kuss. „Wir sollten gehen. Mum, wartet bestimmt schon draußen und fragt sich, was wir hier machen“, kicherte sie, während Rob seinen Kram aufhob und anschließend seinen Arm um ihre Taille legte, bevor sie gemeinsam zum Ausgang gingen. Clara wartete schon, wie von Emma vermutet, vor der Drehtür, als sie eng umschlungen herauskamen. Mit einer liebevollen Umarmung begrüßte sie den Freund ihrer Tochter und fragte ihn schon auf dem Weg zum Auto über alles Mögliche aus. Emma rollte nur mit den Augen. Das konnte ja ein tolles Wochenende werden. Die gesamte Heimfahrt über, saßen sie händchenhaltend auf der Rückbank und tauschten verliebte Blicke aus, während Rob geduldig eine Frage nach der anderen beantwortete.
Als sie bei Emma daheim eintrafen, wurde Rob auch von Will und ihrer Schwester herzlichst willkommen geheißen, sodass seine innere Anspannung gänzlich von ihm abfiel. Es war ungewohnt, das erste Mal allein so weit weg von Zuhause sowie bei einer fast fremden Familie zu sein und er war auf einer gewissen Weise unsicher gewesen, wie er aufgenommen werden würde. Obwohl er im Urlaub schon Zeit mit ihrer Familie verbracht hatte, war es doch noch mal was anderes, als wenn man zu Besuch war. Doch seine ersten Bedenken wurden bereits am Flughafen, mit der liebevollen Begrüßung ihrer Mutter zerschlagen und nun genoss er nur noch, dass er endlich bei seiner Freundin sein konnte.
Nachdem Emma mit ihm einen kleinen Rundgang durchs Haus gemacht, und ihm alles gezeigt hatte, schnappte er sich sein Gepäck und folgte ihr in ihr Zimmer.
„Das ist mein kleines Reich“, sagte sie, während sie sich dabei einmal um die eigene Achse drehte. Ihr Kleid wirbelte bei dem Schwung ein Stück hoch, und gab ein Hauch ihrer Oberschenkel preis.
Oh Gott, war sie schön.
Für einen Moment nahm ihm, ihr bezaubernder Anblick den Atem, während er im Türrahmen stehen blieb und sie nur verliebt anlächelte. Er konnte es immer noch nicht ganz fassen, dass er endlich wieder in ihrer Nähe war. Die letzten zwei Wochen hatte er sich genau diesen Augenblick immer wieder vorgestellt und herbeigesehnt gehabt. „Du kannst deine Tasche einfach neben dem Schreibtisch stellen und wenn du dich frisch machen möchtest, nebenan ist direkt das Bad.“ Sie zeigte auf die Wand an ihrem Bett, was ihn nur mehr ein Lächeln ins Gesicht zauberte, als sie direkt wieder zu ihm herumwirbelte. „Äh, nein. Nicht durch die Wand. Aber hinter der ist das Bad. Meine ich“, haspelte sie vor sich hin, während Rob seine Tasche an den Tisch stellte und auf sie zuging. „Ganz ruhig, Emma. Ich habe das schon verstanden. Du hast es mir gerade eben gezeigt. Mach ich dich etwa nervös?“, fragte er mit einem neckischen Grinsen auf seinen Lippen, als er ihr an den Hüften griff und sie zu sich ran zog. Auf ihren Wangen kroch augenblicklich die Röte empor, als ihre Blicke aufeinandertrafen. Er liebte es, wenn sie so verlegen war und sein Herz setzte für einen Schlag aus. „Hmm … Na ja“, begann sie nach Worten zu ringen, als sie unvermittelt ihre Arme um seinen Hals legte und mit ihren Fingern seinen Nacken kraulte. „Etwas. Und wie sieht es mit ihnen aus?“ Ihre anfängliche Verlegenheit war wie weggeflogen, als sie ihn mit ihren schokoladenfarbenen Augen anfunkelte – wissend, dass ihn das verrückt machte. Rob drückte sie noch enger an sich, während seine Lippen ihre in Beschlag nahmen und sie sich ganz seinem leidenschaftlichen Kuss hingab.
Sie verbrachten den restlichen Nachmittag in ihrem Zimmer und genossen einfach die Nähe des anderen, während sie sich über alles Mögliche unterhielten und dabei die Finger nicht voneinander lassen konnten. Nach dem Abendessen mit ihrer Familie kam Lotte auf die glorreiche Idee, ein Gesellschaftsspiel zu spielen. Emma war nicht wirklich davon angetan, doch Rob gefiel der Gedanke, ihrer Schwester bei einer Runde Monopoly zu zeigen, wo der Hase langlief. So verbrachten sie unerwartet einen lustigen Abend mit Lotte, bis sie schließlich zur später Stunde völlig erschöpft, Arm in Arm, einschliefen. Den Samstagmorgen begannen sie mit einem ausgiebigen und gemütlichen Familienfrühstück, bevor sie gemeinsam Rob Manchester zeigten und sie auch bei dem Ausflug nicht voneinander lassen konnten. Lotte war sichtlich davon genervt gewesen und beschwerte sich später beim Abendbrot ausgiebig bei ihnen.
„Boah, ihr hängt wie Kletten aneinander. Hast du irgendwie Pattex am Hintern kleben, weil er gar nicht mehr von dir weicht?“, fragte sie aufgebracht ihre Schwester, bevor sie sich zu Rob wandte. „Und hast du ihr Honig auf Lippen geschmiert, weil du ihr ständig mit deinen dranhängst?“ Angewidert verzog sie ihr Gesicht, während sie „Das hält doch keiner mehr aus“, in sich hinein murmelte.
Emma und Rob schauten sich nur amüsiert an und zuckten mit den Schultern, bis ihr Freund zum Gegenschlag ausholte. „Ich hab ganz vergessen, dich von Tom zu grüßen. Er wäre gerne mitgekommen, um dich wiederzusehen.“
Schlagartig riss ihre Schwester den Kopf zu ihm rum und all ihre Farbe war fast aus ihrem Gesicht gewichen. „Äh, ne, danke. Lass mal. Der hätte mir hier auch noch gefehlt“, sagte sie kleinlaut, stand auf und ließ die beiden lachend am Tisch sitzen.
Nachdem Lotte abgedampft war, entschuldigten sich die beiden ebenfalls vom Tisch und gingen in Emmas Zimmer, um sich für ihre Verabredung mit ihren Freundinnen umzuziehen. Emma entschied sich für eine enge schwarze Jeans und einem weit ausgestellten weißen T-Shirt mit einem, aus roten Strasssteinen besetzten, Schmetterlingsdruck drauf. Rob bewunderte ausgiebig ihre fraulichen Kurven in der hautengen Hose, während er sich selbst in eine, etwas tief sitzenden, Blue- Jeans schmiss. Emma war einfach bildhübsch und sie war sein. Er streifte sich ein rotes T-Shirt mit V-Ausschnitt, welches nur knapp übern Bund seiner Hose reichte, über und zog sich seine schwarze Beanie über seinen Kopf, sodass nur ein Teil seines Haaransatzes, an der Stirn herauslugte. Emma genoss den Anblick und konnte nicht fassen, dass dieser junge Mann wirklich zu ihr gehörte. Langsam schritt sie an ihn heran um ihn seine Mütze noch einmal zu richten, als er ihr einen flüchtigen Kuss auf den Mund hauchte. „Du siehst wunderschön aus,“ murmelte er, als er mit seiner Nase über ihrer strich. Augenblicklich machten sich ihre Schmetterlinge wieder bemerkbar und sie schenkte ihm ein verlegenes Lächeln. „Du siehst aber auch nicht schlecht aus“, gab sie das Kompliment zurück. „Aber wir sollten los. Sonst kommen wir noch zu spät.“
„Na gut. Auf in die Höhle der Löwinnen“, sagte er schmunzelnd, während er sich seine dunkle Kapuzensweatjacke überwarf und beide in ihre Schuhe schlüpften. Bevor sie sich händchenhaltend auf dem Weg zum Bowlingcenter machten, verabschiedeten sie sich noch bei ihren Eltern und Emma schnappte sich ihre Jeansjacke von der Garderobe.
Wenige Minuten später erreichten sie das Center, wo Ilka, Bridget sowie Alex schon ungeduldig an der reservierten Bahn auf sie warteten. Als Emma mit Rob zu ihnen stieß, begrüßten ihre Freundinnen ihn allesamt mit großen Augen, was sie schmunzeln ließ. Er schien nicht nur auf sie diese Wirkung gehabt zu haben, anscheinend erging es den dreien ebenso, wie ihr vor ein paar Wochen im Wasser. Nachdem sie ihre Jacken abgelegt hatten, besorgte Rob für sie beide, noch Bowlingschuhe, bevor sie mit dem Spiel beginnen konnten.
„Sagt mal, habt ihr noch keinen Jungen gesehen?“, flüsterte sie zu ihren Freundinnen, die sie als Antwort nur verschmitzt angrinsten, weil ihr Freund sich schon wieder auf dem Rückweg befand. Der Abend verlief total entspannt und sehr lustig. Rob hatte ihre Freundinnen von der ersten Sekunde mit seinem Charme und Humor in der Hand. Emma beobachtete immer öfter, wie sie teilweise dahinschmolzen oder manchmal schon recht grenzdebil vor sich hin grinsten, wenn er wieder irgendeinen lockeren Spruch von sich gab. Rob hingegen schien davon nichts zu bemerken, viel mehr war er von seinem Mädchen eingenommen und zeigte mit jeder seiner Berührungen, wie er zu ihr stand. Sie genoss jede Einzelne davon und das Wissen, dass er zu ihr gehörte, ließ sie das Glück kaum fassen.
Als Rob gerade auf die Toilette verschwunden war, wetterten die drei Grazien ihre Chance und kamen direkt zu ihr rüber. „Du hast uns ganz verschwiegen, wie gut er in natura aussieht“, preschte Alex als Erste los, die sich rechts neben ihr niederließ und sie erwartungsvoll anschaute.
„Und was für Augen er hat, da versinkt man ja drin“, fiel sofort Bibi ein, während sie sich rechts neben ihr hinpflanzte und Emma nur mit dem Kopf zu ihr herumwirbelte, als auch schon der nächste Kommentar auf sie einprasselte. „Und vom Mund gar nicht erst zu reden. Der muss dich doch um den Verstand küssen“, schwärmte Ilka, die direkt vor ihr stand. Emma spürte, die fast schon stechenden Blicke auf ihr, als sie, wie beim Pingpongspielen zwischen ihren Freundinnen hin und her schaute.
„Halt Mädels! Jetzt packt mal euren Sabber wieder ein“, kicherte sie. „Also, hätte ich gewusst, dass ihr so reagiert, wäre ich mit ihm zuhause geblieben. Er ist doch kein Tier im Zoo.“
„Mensch Süße, der ist ein Glücksgriff“, bemerkte Alex, wobei sie ihre beiden Daumen mit hochgezogenen Augenbrauen nach oben hielt. „Aber sowas von“, stimmten unisono die anderen beiden zu, was Emma nur mit den Augen rollen ließ.
Was war das hier, eine Inquisition?
„Wie küsst er denn?“, war es nun Ilka, die ihre Frage unvermittelt auf sie losließ.
„Ähm, gut.“
„Nur gut?“ Bibi schaute sie mit einer hochgezogenen Augenbraue an, bis sie schließlich alle im Chor loslegten: „Wir wollen wissen wie gut!“
Für einen kurzen Moment blickte sie nur stur auf den Boden, bevor sie schließlich leise auf deren Frage antwortete. „Sehr gut. Ich habe das Gefühl, ich schwebe, wenn er mich küsst.“ Ein leises Seufzen ging durch die Mädelsrunde.
„Habt ihr es schon getan?“
„ALEX!“ Erschrocken riss Emma den Kopf hoch, während ihr die Röte augenblicklich in die Wagen schoss. „Du bist genauso unmöglich wie Bridget.“
„Na ja, also fragen kann man doch mal“, meldete diese sich schulterzuckend zu Wort. Wo blieb eigentlich Rob? So lange brauchte sie nicht mal mit ihren Mädels auf der Toilette.
„Okay, du musst jetzt nicht drauf antworten“, sagte Alex amüsiert. „Aber gefummelt habt ihr schon, oder?“
Konnte die Fragerei bitte aufhören? Ihr war es hier auf der Bowlingbahn mehr als unangenehm. Natürlich würde sie mit ihren drei Vertrauten darüber reden und sich austauschen, aber doch nicht hier in all der Öffentlichkeit und schon gar nicht, wenn jeden Moment ihr Freund wieder zurückkommen würde. Ihr wurde die Antwort zum Glück erspart, als sie Ilka endlich die erlösenden Worte sagen hörte: „Er kommt wieder.“ Augenblicklich setzten sich ihre drei Grazien wieder auf ihre Plätze, während Emma ihnen nur noch zuflüsterte, dass sie ihnen Montag alles berichten würde.
Als Rob sich wieder zu ihnen gesellte, spielten sie die letzte Runde des Abends, wobei er weiter für ausreichend Belustigung sorgte. Seine Bowlingspielkünste und seine teilweise nicht vorhandene Koordination, brachte sie alle, öfters zum Lachen und auch er selbst schien sich köstlich zu amüsieren. Manchmal hatte Emma allerdings das Gefühl, dass er ein paar Situationen selbst herbeigeführt hatte, um seine Unsicherheit zu überspielen. Aber als ihm, beim Anlaufnehmen, die Kugel anstatt nach vorne zuwerfen, nach hinten wegrutschte und er selbst dabei fast halb über die Bahn geflogen war, sah er so erschrocken aus, dass sich keiner mehr halten konnte vor lachen. Er selbst stimmte im Lachanfall mit ein, als sich der erste Schock gelegt hatte.
Der Abend war ein voller Erfolg und später bei der Verabschiedung wurden bereits die nächsten gemeinsamen Treffen geplant. Emma konnte ihr Glück kaum fassen, als sie sich eng umschlungen mit Rob auf dem Heimweg machte.
Am nächsten Morgen schliefen sie lange und sogen jede einzelne Sekunde, der letzten verbleibenden Stunden, ihrer Zweisamkeit auf. Bis auf das gemeinsame Sonntagsfrühstück verbrachten sie die restliche Zeit des Tages, bis zu seiner Abreise, in ihrem Zimmer. Beide versuchten, das beklemmende Gefühl, was sie beide umgab, wegen der erneut bevorstehenden Trennung zu verdrängen, während sie kuschelnd auf ihrem Bett lagen. Keiner wollte sich von dem anderen trennen, auch, wenn sie wussten, dass sie sich schon bald wiedersehen würden, schmerzte der bevorstehende Abschied. Als schließlich Will anklopfte und nur durch die geschlossene Tür rief, dass sie gleich losmüssten, stellte sich bei Emma sofort das schmerzhafte Gefühl in ihrem Bauch ein. Auch Rob versetzten die Worte einen Stich in sein Herz, während er sich nur widerwillig mit einem Kuss auf d Stirn, von ihr löste. Gemeinsam packten sie sein Zeug zusammen und machten sich schweigsam auf dem Weg zum Flughafen.
Am Gate angekommen fiel ihnen der Abschied nicht leicht, aber es war nicht so schmerzhaft wie in Cornwall. Sie wussten, dass sie sich in zwei Wochen wiedersehen, wenn Emma zu ihm nach London kommen würde. Gemeinsam hatten sie mit ihren Eltern eine Lösung gefunden und beide waren glücklich, dass sie ihnen diese Möglichkeit gaben. Solange sie ihre Schule nicht vernachlässigten, konnten sie sich im Wechsel alle zwei Wochenenden und in den Ferien besuchen.
„Ich liebe dich“, hauchte Rob ihr zu, nachdem er ihr einen Kuss gegeben und seine Stirn an ihre gelegt hatte. Emma drückte ihn noch fester an sich, als sein Flug endgültig aufgerufen wurde. „Ich liebe dich auch“, flüsterte sie und kämpfte gegen die aufkommenden Tränen an, bevor er sich aus der Umarmung löste und sie ein letztes Mal seine saften Lippen auf ihrer Stirn spürte. Als er schließlich durch die Schleuse ging, schaute sie ihm solange nach, bis er nicht mehr zu sehen war, während sie mit dem Finger über den Anhänger strich und ihr eine Träne die Wange herunter rann.
Die Wochen der Trennungen zogen sich stets wie Kaugummi und am schlimmsten waren die Wochenenden ohne den anderen. Auch, wenn sie beide viel mit ihren Freunden unternommen, Spaß und sich auch jeden Tag gehört hatten, fehlten sie einander. Auch Emma wurde von seiner Familie herzlich aufgenommen und sie hatte sich auf Anhieb wohl bei ihnen gefühlt. Mittlerweile zählten seine Schwestern mit zu ihren Freunden und sie freute sich jedes Mal, auch Vicky und Lizzy wiederzusehen. Sie hatten viel Spaß zusammen – auch zum Leidwesen von Rob, der des Öfteren für ihre Späße herhalten musste. Aber er manövrierte sich auch oftmals selbst in ihre Schusslinie. Erst an ihren 17. Geburtstag, den sie bei ihm verbringen durfte, hatte er seine Geburtstagsüberraschung, im wahrsten Sinne des Wortes, gesprengt gehabt. Nachdem der erste Schock und Ärger, in der Familie sich gelegt hatte, wurde er seither neckisch damit aufgezogen. Dagegen waren für ihn, die Anekdoten und Bilder aus seiner Kindheit, das reinste Vergnügen. Mit der Zeit wurden die Abschiede auch erträglicher, aber nicht einfacher, besonders nachdem er sie nach Weihnachten, für die restlichen Ferien besuchen durfte, war die Trennung von einander schwer. Auch nach all den Monaten war die Sehnsucht nach dem anderen ungemindert und beide fieberten jedem Wiedersehen entgegen.
Ein paar Wochen nach den Weihnachtsferien hatte Rob seine erste Hauptrolle in seiner Theatergruppe angeboten bekommen. Er nahm seine Chance sehr ernst und kniete sich mit Leidenschaft in die Rolle, was Emma mit Begeisterung verfolgte. Sie freute sich mit ihm, jedoch hatte sie ihn mittlerweile seit über einen Monat nicht mehr gesehen, weil meist die Proben am Wochenende stattfanden und ihre Sehnsucht nach ihm wuchs unerträglich. Obwohl sie die Begeisterung mit ihm teilte, konnte sie die aufkeimende Traurigkeit, ihn momentan nicht sehen zu können, nicht gänzlich unterdrücken. Rob schien allerdings davon nicht viel zu bemerken, denn jeden Abend, wenn sie miteinander telefonierten, war er so erschöpft, dass er nur euphorisch von dem Stück erzählen konnte. Sie kurz nach ihrem Tag fragte, bevor sie sich auch schon wieder verabschiedeten. Er beteuerte immer wieder, wie sehr er sie vermissen und lieben würde, doch trotzdem überkamen Emma immer wieder trübe Gedanken, die sie einfach nicht abstellen konnte.
Nach langen sechs Wochen ihrer Trennung war heute der Tag, wo er sie endlich wiedersehen würde. Dieses Wochenende war die Premiere und Rob wollte Emma unbedingt bei seinem ersten großen Auftritt dabeihaben und sie endlich wieder in seinen Armen halten. Emma hatte sich so über seine Einladung gefreut, dass er das Funkeln in ihren Augen, beim Telefonieren, quasi vor sich sah und er konnte es kaum erwarten, sie bei sich zu haben.
Emma machte sich nach Schulschluss zusammen mit ihrer Freundin Bridget auf dem Weg nach Hause. Ihre Stimmung war genauso trüb, wie die Wolken die schwer am Himmel hingen und das, obwohl sie gleich in den Flieger nach London sitzen und endlich ihren Schatz wiedersehen würde. Doch Rob hatte sich seit zwei Abenden nicht mehr gemeldet, zu sehr war er mit den Vorbereitungen beschäftigt gewesen. Nicht mal heute früh kam eine - Guten Morgen – Nachricht. In all der Zeit, die sie nun zusammen waren, war nicht ein Tag vergangen, wo sie nichts voneinander gehört hatten. Und jetzt waren es schon zwei, wo sie nicht mal kurz seine Stimme gehört hatte. Es machte sie traurig und es tat schon fast weh, als in ihr die ersten Zweifel sowie ein unwohles Gefühl, welches sie nicht genauer bestimmen konnte, aufkeimten, die gegen die Vorfreude ankämpften. Gedankenverloren spielte sie an der Kette, als Bibi sie plötzlich ansprach. „Mausel, alles klar bei dir?“
„Ja, schon“, antwortete sie, während sie die Kette losließ und ihre Freundin anschaute, die nicht den Anschein machte, ihr Glauben zu schenken.
„Bist du dir sicher? Du bist so schweigsam, worüber grübelst du?“
War klar, dass sie es nicht verbergen konnte, und Bridget würde keine Ruhe lassen. Aber was sollte sie sagen? Sie wusste es doch selber nicht, was in ihr vorging, viel zu sehr, verwirrten sie ihre unterschiedlichsten Empfindungen. Seit sie mit Rob fest zusammen war, kannte sie dieses Gefühlschaos nicht mehr und es verunsicherte sie enorm. „Ich weiß es selber nicht. Weißt du, ich freu mich schon sehr auf Rob. Ich kann es eigentlich kaum erwarten, bis ich endlich wieder bei ihm bin. Aber irgendwie ist es diesmal anders als sonst. Ich habe da ein ganz blödes Gefühl.“ Bibi warf ihr einen verwunderten Blick zu. „Was denn für ein blödes Gefühl?“
„Wenn ich das nur wüsste. Ich kann das gar nicht beschreiben. Es ist einfach da.“ Sie senkte traurig ihren Blick, während sie mit den Schultern zuckte und ihre Freundin sie skeptisch anschaute. „Hmm … Emma, du hast Angst“, schlussfolgerte sie schließlich. „Aber wovor?“
Erschrocken über Bibis Erkenntnis, blieb sie mitten auf der Straße stehen, die sie gerade überquerten. War es angst, die ihre Vorfreude trübte? Aber wovor sollte sie sich fürchten? Sie wusste, dass Rob sie liebte. Das ließ er sie jedes Mal spüren und sagte es ihr, wenn sie telefonierten. In jeder Nachricht, die sie austauschten, waren seine Gefühle für sie präsent. Also was sollte ihr Sorge bereiten? Je länger sie in sich hinein horchte, desto mehr kroch dieses Gefühl in ihr empor. Sie hatten die letzten Tage keinerlei Kontakt gehabt. Also, wie konnte sie sich seiner Gefühle sicher sein? Vielleicht wollte er auch gar nicht, dass sie ihn besuchen kommt und seine Einladung, war nur reine Höflichkeit.
Nein!
Sie schüttelte die abstrusen Gedanken direkt ab. Er war einfach nur viel zu sehr von der Premiere eingespannt gewesen. Das hatte nichts mit ihr zu tun. Wie konnte sie nur daran zweifeln – an ihm zweifeln? Aber ihre Freundin hatte mal wieder recht gehabt – sie war absolut verunsichert und das machte sie fertig. „Spinnst du?“, wurde sie unsanft aus ihren Gedanken gerissen, als sie an den Arm gepackt und von Bibi über die Straße gezogen wurde. „Du kannst doch nicht einfach auf der Straße stehen bleiben.“ Entschuldigend schaute Emma sie an und versuchte sich zu erklären.
„Ach Bibi, ich weiß einfach nicht genau, was mich heute Abend erwartet. Wir haben uns solange nicht mehr gesehen. Und bei ihm hat sich so viel verändert.“
Bridget seufzte leise, während sie ihren Arm um ihre Schulter legte und sie leicht drückte. „Mausel, hör mal. Weißt du, was dich erwarten wird? Ein ganz Nervöser, in dich total verliebter Rob. Der nicht erwarten kann, dich endlich wieder in seine Arme schließen zu können.“
„Aber warum hat er sich dann nicht gemeldet?“
„Er ist bestimmt nur absolut eingespannt. Wer weiß, wie lange sie geprobt haben. Glaub mir, er ist garantiert total durch den Wind. Es ist heut Abend sein erster großer Auftritt. Und du weißt, Jungs können sich nicht auf mehr als einer Sache konzentrieren.“ Sie drückte Emma ein wenig an sich heran, während sie ihren Kopf sachte an ihren legte. Emma fühlte sich wie eine Volldeppin. Natürlich war er durch den Wind und was machte sie? Sie stand hier und zweifelte an seiner Liebe. Sie löste sich aus dem Griff ihrer Freundin und lächelte sie an. Es hatte gut getan mir ihr darüber zu sprechen, denn sie hatte ihr mal wieder, die Zweifel genommen. „Danke“, sagte sie schließlich, wobei Bridget ihr nur zuzwinkerte, bevor sie gemeinsam ihren Weg fortsetzten. „Und jetzt Kopf hoch. Was ziehst du heute an?“ Bevor Emma antworten konnte, begann ihr Handy in ihrer Tasche an zu vibrieren und sie fischte eilig nach dem klingelnden Etwas, während Bridget nur kichernd kommentierte: „Wenn man vom Teufel spricht.“
Als sie das Display öffnete, ploppte seine Nachricht direkt auf und ihr Herz machte vor Freude einen Hüpfer.
Hey meine Süße,
sorry, dass ich mich nicht gemeldet habe.
Es tut mir schrecklich leid, aber hier ging es drunter und drüber.
Hoffe, du bist nicht allzu böse mit mir. Ich vermisse dich fürchterlich.
Kann es kaum erwarten, dich nachher bei mir zu haben.
Ich liebe Dich xx
P.s: Du kommst doch noch?
Hastig tippte sie ihre Antwort ein, schickte sie ab und strahlte ihre Freundin an, während sie eilig weiterliefen. Augenblicklich waren all ihre restlichen Bedenken sowie Verunsicherungen von ihr abgefallen und sie konnte es nicht mehr erwarten, endlich in dem verdammten Flieger nach London zu sitzen. Als sie schließlich bei ihrem Haus ankamen, verabschiedeten sich die beiden Freundinnen mit einer kräftigen Umarmung, wobei ihr Bibi eine wunderschöne Zeit mit ihrem Schatz wünschte, bevor sie ihren Weg fortsetzte.
Emma lief geradewegs in ihr Zimmer, schmiss ihren Rucksack in die Ecke und packte ein paar Sachen in ihre Reisetasche, bevor sie ins Bad verschwand, um sich von ihrer Schuluniform zu befreien. Nach einer halben Stunde war sie umgezogen und wartete, mit Sack und Pack, im Wohnzimmer auf ihren Vater. Er wollte sie heute zum Flughafen fahren, aber er war noch immer nicht von der Arbeit daheim. Nervös und verdammt ungeduldig saß sie auf der Couch und starrte Richtung Tür.
Wann kommt er denn endlich?
Plötzlich fühlte sie sich wieder, wie damals in Cornwall, kurz vorm ersten Treffen mit Rob. Die Schmetterlinge wirbelten in ihrem Bauch und ihr Herz raste förmlich, vor lauter Aufregung, in ihrer Brust. Zum gefühlten x-ten Mal ließ sie den Blick auf die Wohnzimmeruhr fallen und zählte die Sekunden, bis ihr Dad endlich hier aufschlagen würde, während sie mit dem Fuß auf den Boden wippte. Ihre Schwester, die im Sessel neben ihr saß und ihre Sendung im Fernsehen schauen wollte, warf ihr einen genervten Blick zu und kommentierte ihre Zappelei nur mit einem Augenrollen. Als dann endlich die erlösende Hupe von draußen ertönte, sprang Emma wie ein geölter Blitz auf, schnappte sich ihre beiden Taschen und lief Richtung Flur. „Bis Sonntagabend, Schwesterchen“, rief sie, als sie schon aus dem Haus flitzte und die Tür ins Schloss knallen ließ.
Am Auto schmiss sie ihre Tasche auf die Rückbank und ließ sich mit einem, „Hallo Dad“, auf dem Beifahrersitz fallen, während sie dabei die Autotür zuzog. Will schaute sie kurz amüsiert an, bevor er losfuhr. „Hallo Liebes, bist heute aber gar nicht nervös, was?“, kommentierte er schmunzelnd, als er auf die Hauptstraße bog, während seine Tochter verzweifelt versuchte, die Schnalle vom Gurt in die Schließe zu bekommen. Doch das verfluchte Teil wollte einfach nicht. „Verdammt nochmal“, fluchte sie frustriert, wobei ihr Vater laut auflachen musste. „So wird das auch nichts. Du musst die Schnalle schon umdrehen“, sagte er deutlich amüsiert, als er sie mit dem Finger zeigend darauf hinwies.
„Oh … äh … danke“, murmelte sie kleinlaut, als der Gurt endlich einrastete. Will führte den Wagen gelassen und ruhig über die Straßen, ganz im Gegensatz zu ihrer Mutter. Als sie an die erste Fahrt zum Flughafen mit ihrer Mutter denken musste, umspielte ihren Lippen ein Lächeln. Aber heute lagen sie sehr gut in der Zeit und Emma hätte sich eigentlich gelassen zurücklehnen können, wenn sie nur nicht so aufgeregt gewesen wäre. Dennoch versuchte sie, sich ein wenig zu entspannen, während sie den Kopf an die Stütze anlehnte und hinaus auf die Straße schaute. In Gedanken malte sie sich ihre Ankunft in London aus. Wie sie sich wieder in den Armen liegen und Küssen würden. So wie sie es jedes Mal getan hatten, wenn sie endlich wieder zusammen – komplett - waren. Diesmal würde es noch intensiver werden. Da war sie sich sicher, denn so lange waren sie noch nie voneinander getrennt gewesen und sie spürte, wie die Sehnsucht nach ihm immer unerträglicher wurde. Sie schloss ihre Augen und stellte sich gerade seine sanften Lippen auf ihren vor, als sie, von der Stimme ihres Vaters, jäh aus ihren Fantasien gerissen wurde. „Emma, ich weiß nicht, wie ich das jetzt fragen soll“, er stammelte, und sie wirbelte mit dem Kopf zu ihm rum, als sie sah, wie er nervös an dem Lenkrad mit den Händen rauf und runter strich. Skeptisch, aber auch leicht ängstlich schaute sie ihn an, während er einmal kräftig durchatmete und sich einen Ruck gab, bevor sie fast der Schlag traf. „Okay … Also Emma … Liebes …“
Okay! Was wurde das hier?
„Liebes, nimmst du die Pille?“
Ihr blieb die Spucke im Hals stecken, während sie schockiert die Augen aufriss und in anstarrte. Das hatte er jetzt nicht ernsthaft gefragt. Nein, sie muss sich verhört haben. Ihr Vater würde sie das nie fragen, denn schließlich hatte sie dieses Gespräch schon vor Monaten mit ihrer Mum geführt. Clara hatte sie sogar zum Gynäkologen begleitet, als es mit Rob ernster wurde. Er wusste das sicher und hätte gar keinen Grund, diese Frage zu stellen. Versuchte sie sich zu beruhigen, wobei sie innerlich betete, dass ihre These aufgehen würde. Doch noch im selben Moment, platze ihre Luftblase, als Will erneut nachhakte. „Emma, würdest du mir bitte antworten?“
Gott, war das peinlich!
Ungläubig starrte sie weiter ihren Vater an – nicht in der Lage, nur einen Ton herauszubekommen und nestelte hilfesuchend an ihrem T-Shirt rum, bis sie sich zu einem heiseren „Ja“ durchringen konnte. Ging es noch peinlicher? Sie senkte ihren Blick zu ihren Füßen und hoffte inständig, dass das Thema ad acta gelegt wurde, als Will ihr bewies, dass es noch unangenehmer werden konnte.
„Gut, ich dachte mir, dass du so verantwortungsvoll bist. Du bist auch meine Tochter.“ Er grinste. „Aber du hast dich nicht zu irgendwas drängen lassen, oder?“
Wo war der Erdboden, der sich jetzt bitte auftun und sie verschlingen würde?
Er wollte sich doch jetzt bitte nicht ernsthaft über ihr Sexualleben unterhalten. Ja, komm Dad, wir plaudern ein bisschen aus dem Nähkästchen. Also, wie schauts bei dir und Mum aus? Es schüttelte sie innerlich, bei dem Gedanken, und wenn die Situation nicht so grotesk gewesen wäre, hätte sie auch herzhaft drüber lachen können. Aber aktuell war es nicht nur unangenehm, sondern auch oberpeinlich. Welches Mädchen wollte sich mit seinem Vater über Intimitäten austauschen?
Keines!
„Nein“, schoss es zwar knapp aber sehr deutlich aus ihr raus, wobei sie die Röte, die in ihren Wangen emporkroch, spürte. Ihr Vater hingegen stieß ein erleichtertes Seufzen aus und Emma flehte in Gedanken, dass er endlich zufrieden mit ihren Antworten war, bis sie aus dem Augenwinkel wahrnahm, dass er noch immer nervös am Lenker rumfuchtelte. Das durfte doch nicht wahr sein. Konnten sie nicht endlich am Flughafen ankommen und sie aus diesem Auto flüchten?
„Emma, Liebling“, setzte er erneut an und atmete hörbar noch einmal ein, was ihr augenblicklich den Kopf zu ihm rumfahren ließ. Ihre Alarmglocken schrillten. Sie wusste genau, welche Frage er ihr jetzt stellen wollte und sie wollte diese unter keinen Umständen aus seinem Mund hören. „Dad, du kommst ein paar Monate zu spät. Das habe ich schon alles mit Mum besprochen. Und bevor du weiter fragst.
Nein! Es ist noch nichts geschehen. Wir lassen uns Zeit… Er lässt mir Zeit!“ Nicht nur Will atmete erleichtert, nach Emmas Wortschwall, aus. Sie war froh, dass sie es irgendwie herausbekommen hatte, und ihr Vater schien endlich zufrieden zu sein, denn es folgten keine weiteren unangenehmen Fragen.
Wenige Minuten später erreichten sie endlich den Flughafen und Will parkte den Wagen im Parkhaus, um seine Tochter bis zum Gate zu begleiten. Ihnen blieb nicht mehr viel Zeit zum Verabschieden, als sie am Terminal ankamen, und Emma umarmte ihren Vater liebevoll, bevor sie schnell eincheckte und durch die Schleuse ging. Im Flugzeug hatte sie direkt ein Platz am Fenster und neben ihr saß eine ältere Dame, die gerade dabei war ein paar Babysöckchen zu stricken. Emma schnallte sich an, zog ihr Tagebuch aus ihrer Handtasche und notierte ihr kurioses Gespräch mit ihrem Vater. Dabei schweiften ihre Gedanken immer wieder zu Rob ab. Sie konnte es kaum erwarten, endlich bei ihm zu sein. Die ganzen trüben Gedanken, die sie heute früh noch hatte, waren von ihr gewichen und sie fühlte, wie die Vorfreude sie fast verrückt machte.
Als die Maschine in London endlich gelandet war, war ihre Nervosität so extrem, dass sie befürchtete, ihre Beine würden bei jedem Schritt nachgeben. Ungeduldig stand sie an dem Gepäckband und scannte jedes Bündel mit ihren Augen ab, in der Hoffnung, dass es ihre Reisetasche war. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, die sie hier verbrachte, und sie begann die Mitarbeiter zu verfluchen, als sie fast alleine am Band stand und ihre Tasche immer noch nicht aufgetaucht war.
Verdammt nochmal!
Sie hatte keine Geduld mehr. Ihr Liebster würde draußen stehen, auf sie warten und vielleicht schon befürchten, dass sie doch nicht angereist war. Aber plötzlich kam ihr Gepäck doch noch einsam und verlassen angerollt. Hastig schnappte sie sich die Tasche und schmiss sie sich über die Schulter, während sie eilig zum Ausgang lief. In wenigen Metern würde sie ihn endlich wieder in den Arm nehmen sowie spüren können und ein Lächeln umspielte ihre Lippen. Ihr Herz raste in ihrer Brust, während sie durch die Tür in die Halle schritt. Einen Moment blieb sie stehen, um ihren suchenden Blick nach Rob, über die Menschenmenge, schweifen zu lassen. Bis die Erkenntnis, all ihre Hoffnungen und Erwartungen, wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen ließ und wieder Platz für die trüben Gedanken machte.
Rob war nicht da…
Kapitel 10
Auf – und Fehltritte
Völlig verzweifelt stand Emma, auch noch Minuten nachdem sie aus der Gepäckausgabe herauskam, an der Absperrung und suchte die Halle nach Rob ab. Aber sie konnte ihn weiterhin nirgends entdecken – auch sonst niemand aus seiner Familie. Das konnte doch nicht sein, er musste doch hier irgendwo sein. Er hatte sie doch nicht vergessen. Langsam ging sie, mit einem suchenden Blick, die Schräge herunter, um einen besseren Überblick zu bekommen. Vielleicht hatte sie ihn auch nur übersehen? Er hatte sich doch auf sie gefreut. Warum war er dann nicht da? Vielleicht hatte er sich auch verspätet. Oder …
Oh bitte, lass ihm nichts geschehen sein!
Ihr Gedankenkarussell überschlug sich, während ihre Gefühle von Enttäuschung, Angst bis hin zur Hoffnung in ihr tobten. Sie kämpfte gegen die aufkommenden Tränen an, als sie sah, wie all die anderen Menschen freudig von ihren Liebsten in Empfang genommen wurden. Während sie auch noch weitere quälende Minuten später, mutterseelenallein in der Halle stand und ihre Tasche festumklammerte, bis ihr gänzlich bewusst wurde, dass Rob nicht mehr kommen würde. Er hatte sie vergessen!
Ihre Brust zog sich schmerzhaft zusammen, so sehr, dass sie das Gefühl hatte, keine Luft mehr zu bekommen. Als sie sich langsam am Geländer abstützte und verzweifelt überlegte, was sie nun machen sollte. Doch sie war nicht in der Lage, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Denn zu sehr schmerzte sie die Erkenntnis, dass ihr Gefühl, welches sie den ganzen Tag schon begleitet hatte, sich zu bestätigen schien. Vorsichtig zog sie ihr Handy aus der Tasche, um nachzusehen, ob sie vielleicht eine Nachricht von ihm verpasst hatte, als sie plötzlich hinter sich eine vertraute Stimme ihren Namen rufen hörte. „Emma. Hallo Emma.“ Augenblicklich drehte sie sich auf dem Absatz um, und sah erleichtert, wie Robs Schwester auf sie zulief. „Hey Lizzy“, rief sie, winkte ihr mit dem Arm zu und ging ihr eilig entgegen, während all ihre Enttäuschung und Anspannung von ihr abfiel. Aufgeregt ließ sie den Blick an seine Schwester vorbei schweifen, ob sie ihren Schatz auch entdecken konnte, doch sie war allein.
„Puh, ich bin froh, dass ich dich gefunden habe. Herzlich willkommen, Liebes“, sagte sie leicht aus der Puste, als sie auch schon Emma fest an sich drückte. „Sorry, dass ich zu spät bin. Aber zuhause ist das Chaos ausgebrochen und auf den Straßen die Hölle.“ Für einen Moment schaute Emma Lizzy irritiert an, nachdem sie sich vorsichtig aus ihrer Umarmung gelöst hatte. „Wo ist denn Rob?“ War das Einzige, was sie in diesem Augenblick herausbekam. Auch, wenn sie sich freute, Lizzy wiederzusehen und augenscheinlich nicht vergessen wurde, umgab sie dennoch eine leichte Enttäuschung, dass sie nicht von ihrem Freund abgeholt wurde. „Er ist schon im Theater. Ach, ich sag dir, seit ein paar Tagen ist er schon so nervös wegen des Auftritts. Das reinste Nervenbündel. Und ständig muss man ihm was hinterhertragen. Wir sind alle froh, wenn der heutige Abend vorbei ist.“ Amüsiert mit dem Kopf schüttelnd und einer lapidaren Handbewegung, ließ sie die Erklärung auf sie hereinprasseln, während Emma versuchte, die Informationen aufzunehmen. „Ach so, ich dachte, er hätte mich vergessen.“
„Ach nein, das hat er nicht. Wir waren schon fast auf dem Weg hier her, da hat er einen Anruf vom Theater bekommen. Die haben erfahren, dass heute Abend in der Vorstellung ein Agent sitzen wird, und der Regisseur hat alle zusammengetrommelt. Also habe ich ihn erst rumgefahren. Deshalb bin ich auch zu spät. Ich sag ja Chaos. Aber er hätte dich wirklich gerne selber abgeholt, glaub mir.“ Emma befürchtete, dass man den Stein, der ihr vor Erleichterung vom Herz plumpste, bis nach Manchester hören konnte. Wie konnte sie nur an ihm zweifeln? Wie konnte sie nur annehmen, dass er sie wirklich vergessen oder sie nicht bei sich haben wollte? Gleichzeitig begann sie sich selbst Vorwürfe zu machen, dass sie nur an sich sowie ihren Gefühlen gedacht hatte und sich nicht mal in seine Situation versetzt hatte. War doch klar, dass er vor Nervosität konfus und im Dreieck springen würde.
Verdammt, Emma … du und deine ~Vorahnungen~!
„Emma, wir sollten uns langsam auf dem Weg nach Hause machen. In zwei Stunden fängt die Aufführung an. Du magst dich bestimmt noch frisch machen.“ Lizzy riss sie auf ihrem gedanklichen Selbstgespräch, als sie Emma die Tasche abnahm, die sie noch immer fest in der Hand hielt. „Oh, Ja klar.“
Der Londoner Feierabendverkehr war wirklich die reinste Hölle. Sie standen mehr im Stau, als sie sich eigentlich fortbewegten, aber Emma störte es weniger. Viel mehr genoss sie die Zeit mit Lizzy, die ihr über die letzten Wochen mit Rob und dem Stück – Tess of D´Urbervilles – erzählte. Sie schilderte ausführlich, wie er in seiner Rolle als Angel voll und ganz aufging – dass er sich mit Leidenschaft hinein kniete und sie ihn noch nie für etwas so eine Begeisterung entwickeln gesehen hatte, wie fürs Schauspielern. Er hatte wirklich jeden Tag im Theater verbracht und bis spät abends geprobt. „Ständig lief er mit seinem Text durchs Haus und wollte abgehört werden. So langsam kann ich schon seine Souffleuse spielen,“ Sie kicherte, bevor sie ihre Erzählung weiterführte und Emma ihr gebannt zuhörte. Sie hörte den Stolz der Schwester, welcher bei jedem Wort mitschwang und sie selbst spürte, wie die Sehnsucht nach ihm immer weiter in ihr emporkroch. „Die letzten drei Abende war sogar seine Spielpartnerin zu den Proben bei uns, Tanya. Ich sag dir, du wirst von den Socken sein. Sie harmonieren super in den Rollen. Rob hat Angel total verinnerlicht“, hörte sie Lizzy sagen und augenblicklich versetzte der Name einen unerwarteten Stich ihrer Brust. Tanya? Er hatte ihr gar nichts davon gesagt und plötzlich wurde ihr klar, warum sie die letzten Tage nichts von ihm gehört hatte. Unerwartet spürte sie, wie leise das Gefühl der Eifersucht in ihr aufkeimte, was sie aber schnell versuchte abzuschütteln. Es waren schließlich nur Proben. „Unser klein Robby wurde immer nervöser und zerstreuter, je näher der heutige Tag kam. Dass er heute Morgen das Haus nicht nur in einer Boxershorts verlassen hat, war wirklich ein Wunder.“ Das Bild von ihrem zerstreuten Freund, ließ sie laut auflachen. Ja, das passte völlig zu ihm. „Mutter hat ihn die letzten Tage auch an keine elektrischen Geräte mehr gelassen.“ Als die Erinnerung, an die qualmende Mikrowelle sowie ein wüst mit Mehl bestäubter Rob - dem die Haare, im wahrsten Sinne des Wortes, zu Berge standen und der sich langsam hinter der Kücheninsel aufgerappelt hatte, um dann völlig geschockt in die Augen seiner Familie zu starren, vor ihr inneres Auge schob, fielen beide in einem ausgiebigen Lachanfall ein.
Als sie sich einigermaßen von ihrem Lachflash erholt hatten, brach für einen Moment eine ungewohnte Stille ein und Emma schaute hinaus auf die Straße. Sie konnte sich ihren Freund noch gar nicht richtig auf der Bühne vorstellen. Damals hatte sie ihn so schüchtern, zurückhaltend und gar verlegen kennengelernt und heute Abend sollte er im Theater vor Publikum spielen? In ihr wuchs immer mehr die Neugierde, ihn endlich auf der Bühne sehen zu können und sie fühlte sich, nach all den Erzählungen von Lizzy, endlich wieder so unbeschwert und glücklich. Vergessen waren die ganzen Zweifel und Verunsicherungen, die sie über den Tag lang begleitet hatten. Da änderte die Tatsache, dass er mit Tanya zuhause geprobt hatte, auch nichts dran. Sie vertraute ihm.
Nachdem sie nach einer halben Ewigkeit endlich bei seinen Eltern zuhause angekommen waren, wurde sie, wie bei jedem Besuch, sehr herzlich empfangen. Clare und Richard freuten sich sichtlich, Emma wieder zu sehen, und ihr ging es nicht im Geringsten anders. Es fühlte sich an, als wenn sie in ihr zweites Zuhause zurückgekehrt wäre. Es fehlte nur noch ihr Schatz, dann wäre es perfekt gewesen. Patty kam direkt schwanzwedelnd angerannt, als sie den Flur betrat und schmiegte sich an ihre Beine, während sein Vater ihre Tasche in Robs Zimmer brachte. Emma hockte sich hin, um die kleine wuselige Hundedame ausgiebig zu begrüßen. „Ich hab dich auch vermisst, kleine Dame.“ Das kleine Fellknäuel ließ sich prompt auf die Seite fallen und streckte ihr auffordernd ihren Bauch entgegen. Emma liebte das kleine Zottelvieh abgöttisch und verwöhnte Patty eine ganze Weile mit Streicheleinheiten, bis sie plötzlich die Hand von seiner Mutter auf ihrer Schulter spürte. „Emma, Liebes, möchtest du dich noch frisch machen, bevor wir fahren?“ Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, als Emma sie anschaute, während sie langsam aufstand.
„Ja, sicher. Ich wollte gern noch etwas anderes anziehen.“
„Gut, wir haben nicht mehr so viel Zeit. In einer viertel Stunde müssen wir los.“
„Okay, ich beeil mich“, sagte sie, während sie eilig die Treppe hinauf lief und spürte, wie die Nervosität sich langsam in ihr breitmachte. Patty folgte ihr, als sie sein Zimmer betrat und die Hundedame rannte schnurstracks auf sein Bett zu, sprang auf die Matratze und ließ sich auf einem seiner T-Shirts nieder. Emma stand im Türrahmen und inhalierte, mit geschlossenen Augen seinen Duft, der im ganzen Raum hing, ein. Es war so schön, wieder hier zu sein und einen Moment lang, ließ sie ihren Blick durch sein Zimmer schweifen. Es sah wie immer leicht chaotisch aus. Überall auf den Boden sowie auf dem Bett, lagen wild seine Klamotten verstreut und seine Schuhe hatte er in die Ecke am Schrank gekickt. Nur seine Gitarre stand fein säuberlich, neben dem Schreibtisch, auf seinen Ständer. Sie musste schmunzeln und ihr Herz machte einen leichten Hüpfer, als sie auf dem Tisch das Bild von sich beiden entdeckte. Die Sehnsucht nach ihm wuchs mit jeder Sekunde und sie konnte es kaum erwarten, ihn endlich wieder im Arm nehmen zu können. Eilig ging sie zum Bett, wo Richard ihre Tasche hingestellt hatte, hob sie auf die Matratze und zog den Reißverschluss auf.
Sie nahm zwei Kleidungsstücke heraus, drehte sich zum Spiegelschrank und betrachte diese unentschlossen, was sie anziehen sollte. Im Hintergrund sah sie, wie Patty sie mit schiefgelegten Kopf neugierig anschaute. „Ah Patty, hilf mir mal. Ich kann mich nicht entscheiden. Soll ich das hier oder doch lieber das hier anziehen?“ Sie hielt der Hundedame ein langes hellgraues Wollkleid mit den passenden blickdichten Strümpfen und eine schwarze Jeans mit einem weißen Rollkragen Pullover, vor die Nase. Doch das kleine Fellknäuel legte nur den Kopf auf die andere Seite und spitze die Ohren. „Hm … Heute bist du aber keine sonderliche Hilfe, junge Dame“, ermahnte Emma sie amüsiert, während sie sich noch mal skeptisch im Spiegel musterte, bis sie sich schließlich für das Kleid entschied. „Ich bin so nervös, ihn endlich
wiederzusehen, Kleine“, sagte sie, wobei sie Patty kurz auf dem Kopf tätschelte, bevor sie ins Bad huschte und sich umzog.
Als sie wenige Minuten später die Treppe hinunterging, wartete bereits die gesamte Familie Pattinson im Flur auf sie. Auch Victoria war mittlerweile eingetroffen und begrüßte sie mit einer herzlichen Umarmung. „Du siehst toll aus. Wenn Rob dich so sieht, wird er glatt den Text vergessen“, sagte Lizzy, während sie ihr die Jacke reichte und ihr zuzwinkerte. „Meint ihr, ich kann Rob vorher noch kurz sehen? Ich würde ihm so gern Glück wünschen.“
„Das glaub ich weniger, Emma. Das Stück geht gleich los, wir werden es nicht frühzeitig schaffen, um ihn noch sehen zu können.“ Richard trat ein Stück an sie ran, als sie traurig aufseufzte und schenkte ihr einen verständnisvollen Blick.
„Nun gut, aber wir sollten nun wirklich los. Emma, magst du bei uns oder bei Vicky und Lizzy mitfahren?“, fragte Clare, als sie bereits die Haustür öffnete und sie gemeinsam das Haus verließen. Noch ehe Emma eine Chance hatte zu antworten, ertönte bereits die Stimme von Lizzy. „Sie fährt bei uns mit.“ Verdattert schaute sie seine Schwester an, die sie nur breit angrinste, als Emma nur ein kurzes „Okay“ herausbrachte.
„Gut, dann bis gleich. Wir treffen uns vorm Eingang“, informierte Richard sie, bevor sie sich schließlich auf den Weg zum Theater machten.
Emma saß auf der Rückbank und ihr Herz pochte bei der Vorstellung, Rob gleich auf der Bühne zu sehen, so unaufhörlich in ihrer Brust, dass sie befürchtete, es würde jeden Moment herausspringen. Gleichzeitig war sie ein wenig traurig, ihn nicht vorher sehen zu können. Sie hätte ihm so gern noch persönlich viel Glück – oder wie es üblich war „Toi, Toi, Toi“, gewünscht. Aber wahrscheinlich war es besser so, denn so wie die Familie erzählt hatte, war er eh schon aufgeregt genug. Sie würde ihn vermutlich nur nervöser machen. „Wieso wolltet ihr, dass ich bei euch mitfahre“, fragte sie schließlich seine Schwestern, während sie ihren Kopf zwischen den Vordersitzen hindurch steckte, als Vicky sich vom Beifahrersitz zu ihr herumdrehte. „Weil unser Dad nicht grad der beste Fahrer ist, wir wollten es dir ersparen“
„So schlimm?“
„Er ist zwar unser Vater, aber Autofahren gehört nicht zu seinen Stärken“, merkte Lizzy kichernd an, ohne den Blick von der Straße zu nehmen.
„Gut zu wissen, dann werde ich wohl mit euch auch zurückfahren. Oder steht Rob sehr auf das Risiko?“
Lizzy und Vicky warfen sich einen kurzen Blick zu, bevor sie als Antwort in ein gemeinsames Lachen einstimmten. Emma ließ sich zurück in die Rückbank fallen, als sie plötzlich ein Geistesblitz traf. Sie schnappte sich ihre kleine schwarze Tasche auf den Schoß, zog das Handy heraus und tippte eilig darauf ein.
Hey mein Stern,
Ich wünsche dir ganz viel Glück.
Du schaffst das,
und ich liebe Dich!
Deine Sternschnuppe xx
Emma drückte auf – Senden – und hoffte inständig, dass er die Nachricht vor seinem großen Auftritt noch lesen konnte. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, als ihr bewusst wurde, dass sie ihn in wenigen Minuten, endlich wieder sehen würde. Auch, wenn sie ihn lieber in den Arm halten und nicht aus der Ferne betrachten würde, aber allein, dass sie nach über einen Monat wieder in seiner Nähe sein konnte, ließ ihre Schmetterlinge im Bauch Saltos schlagen. Ob er sie in Publikum überhaupt bemerken oder gar suchen würde? War er so fokussiert und nervös, dass er alles um sich herum vergessen würde? Sie fragte sich, wie er sich auf der Bühne geben würde. Ob er gänzlich anders war, als sie ihn kannte, oder ob ein Teil seiner Persönlichkeit durchblitzen würde. Ihre Gedanken überschlugen sich und riefen unmittelbar erneut Verunsicherungen in ihr auf. Was, wenn er sich in den letzten Wochen bereits verändert hatte? War das möglich? War das bei Rob möglich? Was, wenn es so war, wie sollte sie damit umgehen? Sie wusste auf all die Fragen, die in ihrem Kopf herumwirbelten, keine Antwort und augenblicklich mischte sich eine leichte Angst unter ihre Vorfreude. In ihren Gedanken versunken hatte sie gar nicht mitbekommen, dass sie bereits am Theater angekommen waren. Erst als Lizzy den Motor ausstellte, wurde sie aus ihrer Trance gerissen. „Sind wir schon da?“, fragte sie mit zittriger Stimme, denn ihre Nervosität hatte sich auf ihre Stimme geschlagen. „Oh Emma, du bist ja fast genauso nervös wie unser Bruder. Er wird das toll machen und nach der Show wirst du ihm endlich in die Arme fallen können“, sagte Vicky mitfühlend, während Lizzy sie amüsiert anschaute und die Autotür öffnete. „Ihr beiden seid echt ein süßes Paar, beide gleich aufgeregt. Na kommt, lasst uns gehen, Mum und Dad warten bestimmt schon.“ Die beiden Schwestern stiegen aus, wobei Emma eine Sekunde die Augen schloss und einmal tief einatmete, bevor sie sich den anderen beiden anschloss. Lizzy drückte sie sachte in ihre Arme, als sie gemeinsam zum Eingang gingen, wo bereits Clare und Richard ungeduldig auf sie warteten. „Da seid ihr ja endlich. In fünf Minuten geht’s los.“ Richard verteilte die Eintrittskarten und gemeinsam betraten sie das Gebäude. Es handelte sich um ein Amateurtheater. Die kleine Bühne war aus Holz, und das Bühnenbild relativ schlicht gehalten, wobei der berühmte Theatervorhang fehlte. Um die Bühne herum standen normale, leicht gepolsterte, Holzstühle. Es war mit einem normalen Theater in keiner Weise zu vergleichen, doch es strahlte Gemütlichkeit und einen gewissen Charme aus. Emma ging langsam hinter den Pattinsons her, während sie ihre Augen durch den Raum schweifen ließ und dabei versuchte einen Blick hinter die Bühne zu erhaschen. Sie hegte die kleine Hoffnung, ihren Liebsten vielleicht so doch noch kurz zu sehen, aber es gelang ihr nicht und sie wäre beinahe in Lizzy rein gerannt, als diese abrupt stehen blieb. Sie hatten ihre Plätze, mittig in der dritten Reihe von vorne, erreicht und hatten eine direkte Sicht auf die Bühne. Emma setzte sich, hängte ihre Tasche über ihren Stuhl, wobei sie das rechte Bein über ihr Linkes legte und spielte nervös mit ihrer Kette. Lizzy, die direkt neben ihr saß, stupste sie an und Emma drehte ruckartig den Kopf zu ihr. „Wieso bist du denn so nervös?“ Sie klang fast schon besorgt und Emma biss sich unsicher auf die Innenseite ihrer Unterlippe, bevor sie ihren Gedankenschwall auf Lizzy los ließ. „Ach ich weiß nicht, das ist fast schon wie bei unserem ersten Treffen. Ich weiß nicht, was mich genau erwartet. Kann ihn mir auf der Bühne noch gar nicht vorstellen und wir haben uns so lange nicht mehr gesehen. Es passiert jetzt so viel Neues in seinem Leben und ...“, sie musste schlucken. „Ach, so richtig weiß ich es wirklich selber nicht.“ Erleichtert seufzte sie. „Emma, du bist verunsichert, aber das brauchst du nicht. Er ist immer noch unser Rob. Genieße ihn jetzt auf der Bühne. Er wird dich umhauen, so wie uns bei den Proben. Und dann freu dich einfach auf nachher, ja?“ Lizzy legte ihr den Arm um ihre Schultern und drückte sie aufmunternd an sich, wobei Emma spürte, wie die Worte sie wirklich beruhigten. Wenn nicht seine Familie ihn kannte, wer denn dann? Also waren all ihre konfusen Gedanken und Gefühle nur irgendwelche blöden Hirngespinste. Sie sollte auf ihn und ihre Liebe vertrauen und aufhören sich selbst verrückt zu machen. Erleichtert und entschlossen lächelte sie Lizzy an, bevor seine Schwester den Arm von ihren Schultern nahm und gemeinsam auf die Vorführung warteten.
Immer mehr Menschen füllten das kleine Theater und fast alle Plätze waren belegt, als sich der Raum verdunkelte und nur noch ein Spot auf die Bühne leuchtete. Der Regisseur trat hervor und begrüßte das Publikum, wobei er sich in seiner kleinen Ansprache für das zahleiche Interesse bedankte und allen einen schönen Abend wünschte. Als er die Bühne verließ, erlosch das Spotlicht und ein sanftes Theaterlicht erhellte den Raum. Das Publikum applaudierte und Emma warf nervös ein Bein übers andere. Augenblicklich stockte ihr Atem, als sie Rob das erste Mal nach Wochen, und dann noch auf der Bühne, sah. Er stand auf einer Metallkiste, hatte einen schwarzen Anzug an und sah einfach umwerfend aus. Um ihn herum standen weitere Darsteller und schauten auf ihn, als er zu sprechen begann. Beim Klang seiner klaren und hellen Stimme, durchfuhr Emma ein kleiner Schauer und sie schaute gebannt auf die Bühne. Er faszinierte sie, von erstem Moment an, mit seinem schauspielerischen Können. Von ihm ging keinerlei Schüchternheit, Aufregung oder Verlegenheit aus, ganz im Gegenteil. Er wirkte sicher, gestanden und so, als wenn er sich pudelwohl auf der Bühne fühlte. Als wenn er, wie dafür geschaffen wurde. Seine Schwestern hatten wirklich nicht übertrieben, als sie sagten, er habe die Rolle verinnerlicht. In jeder Szene sah sie, die Liebe und Verzweiflung in den Augen, dem seiner Spielpartnerin galt. So überzeugend, dass Emma fast erschrak, wie er diese Tanya anschaute, die Tess darstellte. Emma spürte einen kleinen Stich in ihrem Herzen, als sie sah, wie die Blicke denen so erschreckend ähnelten, die er ihr sonst schenkte. Als nun auch Tanya diesen erwiderte und ihn küsste, verkrampfte sich schmerzhaft ihr Magen. Es sah so verdammt echt aus, dass sie Mühe hatte, die erneut aufkeimende Eifersucht zu unterdrücken – aber es gelang ihr nicht wirklich. Unruhig rutschte sie auf ihren Stuhl rum, während sie an ihrem Anhänger spielte und sich in Gedanken selbst ermahnte.
Es war nur ein Theaterstück. Das hatte nichts mit der Realität zu tun. Es ist nur eine Rolle und er muss das glaubhaft rüberbringen.
Das durfte sie nicht vergessen, aber ihre Gedanken ließen sich einfach nicht aufhalten, als wenn Engelchen und Teufelchen auf sie einreden wollten.
Ob es für Tanya auch nur eine Rolle ist? Ihr Blick sagt was anders. Da schimmert mehr mit. Aber du bist ja weit weg.
Emma schüttelte den abstrusen Gedanken ab. Das war doch absolut bescheuert. Sie sollte ihm vertrauen. Er liebte sie, das wusste sie und das hier war nur eine Rolle. Wahrscheinlich war diese Tanya auch einfach nur eine überzeugende Darstellerin. Sie beschloss, sich nicht weiter verrückt zu machen und einfach nur noch das Stück und Rob zu genießen.
Das Ende war so traurig, dass sie am Schluss auf den Stuhl saß und kleine Tränen ihre Wangen hinunterliefen. Lizzy, die ihren kleinen
Gefühlsausbruch bemerkte, reichte ihr ein Taschentuch und tupfte sich selbst ein paar Tränen von den Augen. Das gesamte Publikum stand auf und begann begeistert zu klatschen, während Emma absolut überwältigt von der gesamten Darbietung und vom Cast war. Vergessen war, die Eifersucht und die Verunsicherung, sie fühlte nur noch Stolz und ihre Liebe zu Rob. Der Cast verneigte sich noch ein letztes Mal vor dem Publikum, bevor er, vor dem anhaltenden Applaus, die Bühne verließ. Nachdem der Beifall langsam abgeklungen war, verspürte Emma nur noch das Bedürfnis, endlich Rob sehen zu wollen. Sie nahm sich ihre Tasche, während sie sich zu Lizzy drehte, die sich mit ihren Eltern unterhielt und stupste sie zaghaft am Arm an. „Emma, was habe ich gesagt, er war toll. Mum und Dad sind auch vollkommen begeistert“, preschte sie voller schwesterlichen Stolz los, während sie über das gesamte Gesicht strahlte. „Ja, er war wunderbar. Ihr habt absolut nicht übertrieben. Aber ich würde ihn jetzt gerne sehen und sagen, wie toll ich ihn fand.“ Ungeduldig und nervös nestelte Emma am Riemen ihrer Tasche. „Hmm… Er wird jetzt in der Garderobe sein und sich umziehen.“
„Meinst du Lizzy, ich kann da hingehen? Ich würde so gern.“ Emma warf Lizzy einen flehenden Blick zu, die ihr nur ein verschmitztes Lächeln schenkte und sich zu ihren Eltern wandte. „Ich zeig Emma eben den Weg zur Garderobe.“
„Okay, wir treffen uns dann draußen. Und Emma sag unserem Sohn schon mal, dass er fantastisch war.“ In Clares Stimme schwang genauso der Stolz mit, wie bei ihrer Tochter und Emma nickte ihr verstehend zu, bevor sie sich mit Lizzy zusammen auf dem Weg zur Garderobe machte. Sie konnte es überhaupt nicht mehr erwarten, ihn endlich in ihren Armen halten, ihn spüren und ihm sagen zu können, wie sehr sie ihn vermisst hatte. Ihr Herz und Puls raste bei der Vorstellung, Rob in wenigen Schritten wieder nah sein zu können.
Die Stimmung in der Garderobe war äußerst ausgelassen, als Rob sich umzog und alle die gelungene Premiere feierten. Rob fühlte sich unbeschreiblich, es war ein wunderbares und gleichzeitig berauschendes Gefühl vor Publikum zu spielen. Selber hätte er nie für möglich gehalten, dass er so gelassen und frei, ohne Aufregung, spielen konnte. Sicher hatte er Lampenfieber und die letzten Tage stand er total neben sich, aber sobald er die Bühne betreten hatte und in die Rolle schlüpft war, war all seine Nervosität wie weggeflogen. Der heutige Auftritt hatte ihn in seinem Entschluss bestärkt - er wollte Schauspieler werden.
„Hey Rob, in Daves Haus steigt nachher noch eine kleine Party zur gelungenen Premiere. Du kommst doch auch?“ Mike klopfte ihm auf die Schulter, als er gerade den Reißverschluss seiner Hose zuzog.
„Hmm, Emma ist heute angekommen. Aber ich denke schon, ich bring sie mit. Sie wird sich bestimmt freuen, euch kennenzulernen. Wann geht’s los?“
„Um zehn Uhr. Freu mich, deine Schnecke kennenzulernen“, flachste Mike und zwinkerte ihm zu, wobei Rob nur mit den Augen rollte und ein „Spinner“ vor sich hin murmelte. Er mochte diese Art nicht, wie er über seine Freundin sprach. Emma war kein Schneckchen und schon gar nicht seins. Als er gerade in sein T-Shirt schlüpfte, betrat ein Mann den Raum, der von allen verwundert angeschaut wurde. Keiner kannte ihn. „Guten Abend, mein Name ist Mr. Whitehead. Ich möchte Ihnen zu der gelungenen Premiere gratulieren. Mit Wonne habe ich das Stück gesehen.“ Die gesamte Crew schaute ihn mit halb offenem Mund an, als er einen Schritt auf Rob zuging. „Ich bin Agent und würde gerne mit Ihnen, Mr. Pattinson und mit Ihnen Miss Evans, kurz unter sechs Augen sprechen“, fuhr er fort und schaute zu den anderen. Rob warf Tanya, die jetzt direkt neben ihm stand, einen verwunderten Blick zu.
Was wollte er von ihnen?
Murmelnd verließ der Rest des Cast, die Garderobe, wobei Mike ihm noch „Wir sehen uns auf der Party“, zurief, bevor er die Tür schloss. Rob, der nicht in der Lage war etwas zu sagen, nickte nur stumm, und fragte sich, was hier gerade passierte. Das Einzige, was ihm bewusst war, war die Tatsache, dass der Agent vor ihm stand, weshalb er heute Nachmittag überstürzt ins Theater musste.
Was wollte er? Noch bevor er seine Gedanken weiter ausführen konnte, beantwortete Mr. Whitehead ihm seine stumme Frage. „Ich bin hier, weil ich Ihren Auftritt und Ihr schauspielerisches Talent hervorragend finde. Sie haben wunderbar miteinander harmonisiert und gespielt. Es war absolut realistisch und glaubhaft. Darf ich Sie fragen, ob Sie auch privat ein Paar sind?“ Rob versuchte, die Informationen zu verarbeiten, die ihm der Herr gerade um die Ohren geknallt hatte, während er Tanya ungläubig, über die Frage anstarrte und dabei langsam mit dem Kopf schüttelte. „Ich bin beeindruckt. In den jungen Jahren schon so ein Talent zu haben ist selten. Besuchen Sie beide eine Schauspielschule oder nehmen sie Schauspielunterricht?“, fragte er weiter. „Äh, nein, gar nicht“, antwortete Rob mit einer unsicheren Stimme, denn noch immer versuchte er, zu verstehen, was hier gerade passierte.
„Und ich bin hier seit zwei Jahren in der Theatergruppe, nehme auch keinen Unterricht“, hörte er Tanya leise antworten, als er sah, wie Mr. Whitehead sich mit der Hand ans Kinn fasste und anscheinend über etwas nachdachte. Erneut warfen Tanya und er sich gegenseitig fragende Blicke zu, während Rob leicht mit den Schultern zuckte. „Mr. Pattinson, wie sind Sie zu der Rolle von Angel gekommen?“ Von der Frage vollkommen überrascht schaute er den Mann irritiert an und brauchte einen Moment, um seine Gedanken zu sortieren, bevor er antworteten konnte. „Ja, also … Ich war bis vor etwas über einen Monat hier im Team der Bühnenkulisse und habe ab und an mal eine kleinere Nebenrolle übernommen. Als allerdings dann Luke, der Hauptdarsteller, schwer erkrankt ist, hat mir Phil die Rolle angeboten.“
„Sehr interessant. Haben Sie beide Interesse weiter zu schauspielern und das vielleicht auch später beruflich zu machen?“
„Hmm, ich weiß es noch nicht wirklich genau. Es macht mir Spaß, aber derzeit ist es halt nur mein Hobby“, antworte Tanya als erstes auf die Frage.
„Alles fängt mal mit einem Hobby an, und sie sind wirklich gut Miss Evans. Sie haben echtes Talent.
Und wie sieht es bei Ihnen aus Mr. Pattinson?“ Er wandte sich direkt zu Rob und wartete auf seine Antwort. „Äh, ja“, stotterte er, „Ich möchte weiter schauspielern, es macht mir richtig Spaß, aber man weiß nicht wie weit einen das bringt.“ Der Agent schaute und grinste ihn an. Anscheinend hatte Rob genau das gesagt, was er hören wollte. Doch noch immer begriff er nicht, was der Agent genau von ihm wollte. „Ich kann Sie weit bringen. Sie beide, wenn sie wollen. Ich würde Sie gern unter Vertrag nehmen. Mit mir haben sie die Möglichkeit kleine Rollen in TV Serien oder vielleicht auch mal in einem Film zu bekommen. Versprechen kann ich natürlich nichts, aber Ihre Chancen erhöhen sich enorm mit einem Agenten. Mit mir. Da sie beide noch minderjährig sind, möchte ich auch mit Ihren Eltern sprechen. Denn wenn Sie sich dafür entscheiden sollten, bedarf es das elterliche Einverständnis.“
Rob stand mit geöffneten Mund vor dem Mann und musste wie ein grenzdebiler Idiot auf ihn wirken, aber er war nicht fähig auf das Gesagte zu reagieren, geschweige denn etwas zu sagen. Tanya schien es nicht anders zu ergehen, auch von ihr folgte keinerlei Reaktion.
Hatte er gerade einen Agentenvertrag angeboten bekommen?
„Okay, ich denke, es ist zum jetzigen Zeitpunkt alles gesagt. Überlegen Sie es sich in Ruhe und sprechen Sie mit Ihren Eltern. Wenn Sie sich entschieden haben, melden sie sich einfach bei mir.“ Er zog aus der Brusttasche seiner Jacke zwei Visitenkarten und hielt sie Tanya und Rob hin. Beide nahmen sie nur wortlos und nickend entgegen. „Sie haben beide wirklich Talent. Vergeuden Sie es nicht. Ich freue mich auf Ihren Anruf und wünsche Ihnen noch viel Spaß beim Feiern.“ Ohne auf eine weitere Reaktion von ihnen zu warten, wandte sich Mr. Whitehead von ihnen ab und verließ die Garderobe.
Als die Tür schließlich ins Schloss fiel, standen beide weiterhin, wie eingefroren auf demselben Fleck und starrten auf die Stelle, wo gerade eben noch der Agent gestanden hatte. Noch immer war Rob nicht fähig zu begreifen, was hier gerade geschehen war, während er wie hypnotisiert den Blick auf das Kärtchen in seiner Hand fallen ließ.
Er hatte Talent. Er sollte es nicht vergeuden. Er sollte unter Vertrag genommen werden.
Und das nach nur einem einzigen lausigen Auftritt? Das konnte doch nicht sein. Das konnte doch nur ein Traum sein. Schleichend taute er aus seiner Starre auf, während seine Gedanken noch immer in ihm herumwirbelten, und drehte sich zu Tanya. Sie sah genauso verwirrt aus wie er. Sie schien es auch noch nicht fassen zu können, während sie immer noch den Blick, mit leicht geöffneten Mund, auf die Tür gerichtet hatte. Er schmunzelte, denn sie sah so irgendwie niedlich aus. Er mochte sie sehr als Freundin und die Proben hatten mit ihr wirklich Spaß gemacht. Zudem harmonisierten sie sehr gut in ihren jeweiligen Rollen. Es fiel ihm bedeutend leichter, in seine Rolle zu schlüpfen und Angel gerecht zu werden, weil sie selbst die Rolle der Tess, so verinnerlicht hatte. Sie hatte ihm in den vergangenen Wochen vieles beigebracht, was er in der Kürze, der Zeit nie allein geschafft hätte. Es hatte sich eine wirklich schöne Freundschaft zwischen ihnen entwickelt und er schätzte sie sehr. Gerade in der Zeit, wo er Emma oftmals sehr vermisst hatte und vor Sehnsucht fast umgekommen wäre, war Tanya da und brachte ihn auf andere Gedanken.
„Boah, kneif mich mal“, riss er Tanya aus ihrer Starre, und tippte auf ihren Arm, was sie kurz zusammenzucken ließ. „Hä? Was? Wieso?“
„Na ich glaube, ich träume, oder ist das grade wirklich passiert?“
„Ich weiß nicht, dann träume ich auch.“
„Dann kneifen wir uns gegenseitig“, sagte Rob, während er ihr bereits in die Seite zwickte und sie erschrocken zur Seite sprang. „Aua! Du spinnst wohl“, schrie sie empört und kniff ihm in den Oberarm. „Autsch, also doch kein Traum“, war sein einziger Kommentar, als er langsam begriff, was hier gerade passiert war, während eine Welle des Glücks und der Euphorie seinen Körper durchflutete. Er hatte einen Agentenvertrag angeboten bekommen! Glücklich und dennoch leicht verwirrt schaute er Tanya an und sah, wie sich auch bei ihr ein Lächeln in ihrem Gesicht breitmachte. Vor lauter Begeisterung schnappte er sie, hob sie hoch und drehte sich, mit ihr, im Kreis.
„Ich glaub es nicht! Heute ist ein wunderbarer Tag, und danke, du hast mir so geholfen!“, schrie er vor Freude aus und setzte sie anschließend sanft wieder auf dem Boden ab. Er löste seine Arme um ihre Taille und merkte, wie sie leicht schwankte, woraufhin sie sich jedoch wieder fing. Plötzlich und völlig unerwartet spürte er ihre Lippen auf seinen. Überrascht, aber dennoch fest entschlossen drückte er Tanya augenblicklich von sich weg. Er mochte sie sehr als Freundin, doch küssen wollte er sie unter keinen Umständen! Er hatte Emma, sie war seine Freundin und er liebte sie. „Nein, Tanya“, flüsterte er ihr zu, „das ist nicht richtig!“ Dabei sah Rob ihr in die Augen und einen Moment lang verharrten ihre Blicke ineinander. In ihm tobten die Gefühle, er liebte seine Emma und er freute sich darauf, sie endlich wieder in seinen Armen zu halten. Und nun stand Tanya vor ihm, mit der er viel Zeit verbracht hatte und die ihm auch wichtig geworden war. Beide waren sich näher gekommen, aber trotzdem sah er in Tanya nicht mehr als eine gute Freundin. Doch als er jetzt ihren Atem an seiner Wange spürte und ihren schnellen Herzschlag an seiner Brust, fuhr ein leichter Schauer durch seinen Körper. Noch während Tanya erneut ihre warmen, weichen Lippen auf die seinen legte, traf ihn zum wiederholten Male ihr Duft, der ihm nun jegliche Sinne rauben sollte. Er schlang seine Arme fest um ihre Taille, zog sie mit einem Ruck an sich heran und erwiderte ihren Kuss. Ganz gleich, was sein Verstand, ihm versuchte mitzuteilen. Völlig von seinen Gefühlen überrannt, traf seine Zunge auf ihre und aus dem anfänglich sanften Kuss entwickelte sich eine wilde Knutscherei. Rob spürte, wie Tanyas Hände langsam von seinem Rücken hinauf zu seinem Nacken wanderten, was ihn erneut erschauern ließ.
Von einem plötzlich aufkommenden Windhauch ließen beide hastig voneinander ab und starrten erschrocken auf die Tür. Rob wurde schlagartig schlecht und kalter Schweiß brach aus ihm, als er erkannte, wer dort in der Tür stand.
EMMA!
Sie stand mit weit aufgerissen Augen im Türrahmen und beim Anblick des Geschehens traten Tränen in ihre Augen. Augenblicklich riss Rob sich von Tanya los, als ihm bewusst wurde, was er gerade getan hatte und wollte auf sein Mädchen zugehen, doch Emma drehte sich um und stürmte aus der Tür.
„Emma warte! Warte doch! Scheiße, verdammte Scheiße!“, fluchte er und rannte ihr hinterher…
Kapitel 11
Flucht
Emma lief kopflos, den schmalen Flur entlang, während ihr unaufhörlich stumme Tränen die Wangen herunterliefen. Der unerträgliche Schmerz in ihrer Brust schnürte ihr die Kehle zu, so sehr, dass ihr bei jedem Atemzug die Lungen brannten. Mit tränenverschleierten Blick rannte sie aus dem Gang in den Vorführraum, als ein leises sowie dumpfes Rufen, sich schleichend seinen Weg zu ihrem bestäubten Bewusstsein bahnte. Beim Klang seiner Stimme überrollte sie abermals die nächste Tränenflut und sie schluchzte laut auf, als sich erneut das allzu deutliche Bild, von Rob - der eng umschlungen Tanya küsste - vor ihr geistiges Auge schob. Die Bilder liefen wie in einer Endlosschleife in ihren Gedanken ab, während ihr Herz dabei drohte zu zerbersten. Sie musste hier raus und weit weg - weg von ihm! Sie konnte ihn und seine Nähe nicht ertragen und wollte nur allein sein – nichts sehen, nichts hören und schon gar nichts fühlen. Wie konnte er ihr das nur antun? Hatte er sie nur benutzt? Liebte er sie nicht mehr? Wie lang ging das schon? Die Gedanken nahmen ihr erneut die Luft zum Atmen und sie fühlte sich wie ein ertrinkender Fisch, der umgeben vom Wasser war. Wie konnte das sein? Wie konnte Rob ihr so weh tun? War denn alles nur eine Lüge? Ihr Kopf schwirrte und der lähmende Schmerz in ihrem Bauch breitete sich immer mehr in ihrem Körper aus, als Robs Stimme erneut dumpf zu ihr durchdrang. Mit all ihrer letzten Kraft beschleunigte sie ihre Schritte, denn sie wollte ihn nicht mehr hören. „Ich kann nicht atmen … brauch Luft“, japste sie mit tränenerstickter Stimme, während sie ein letztes Mal ihren Namen rufen hörte, als sie letztendlich keuchend durch den Ausgang ins Freie stürmte.
Tränenblind lief Emma ziellos die Straße entlang, bis sie um eine Ecke bog und schließlich hinter einem Haus zum Stehen kam. „Sackgasse, scheiße!“, schimpfte sie atemlos, als sie spürte, wie sich alles um sie herum zu drehen begann. Ihr Herz sowie Puls rasten unaufhörlich in ihr, wobei ihre Beine drohten ihren Dienst zu quittieren. Langsam und vorsichtig tastete sie sich an der dunklen Hauswand entlang, bis sie sich kraftlos sowie verzweifelt an dieser mit dem Rücken zu Boden gleiten ließ. Schluchzend legte sie ihren Kopf in ihren Nacken und versuchte mit geschlossenen Augen tief durch zu atmen, um sich zumindest etwas beruhigen zu können. Aber sie scheiterte kläglich, denn noch immer malträtierten bei jedem Atemzug tausend kleine Nadelstiche ihre Brust und sie versuchte flachatmend den Schmerz zu lindern. In der Hoffnung, dass es ein klein wenig weniger weh tun würde – doch es tat höllisch weh! Jede einzelne Faser in ihrem Körper schmerzte unerträglich, während ihr Herz sich schwach, unendlich leer und kraftlos anfühlte. Wieso hatte er das gemacht? Das konnte doch nicht wahr sein. Sie musste sich in einem schrecklichen Albtraum befinden.
Bitte, lass mich gleich aufwachen und in seinem Armen liegen!
Sie presste ihre Beine eng an ihren Oberkörper und umklammerte diese fest mit ihren Armen, während sie erneut tränenerstickt und hilflos nach Luft rang. „Wieso tut er mir so weh? Warum will er mich nicht mehr? Warum habe ich nicht auf mein verdammtes Gefühl gehört?“ Das Gefühl, ihr Herz stünde in Flammen und würde sie von innen schleichend verbrennen, ließ sie leise aufwimmern. Niemals hätte sie gedacht, dass Rob ihr jemals so weh tun könnte – und schon gar nicht auf diese Art. Auch, wenn sie ein schlechtes und mulmiges Gefühl begleitet hatte, wäre sie nie auf den Gedanken gekommen, dass er sie betrügen könnte. Abermals schluchzte sie laut auf und umklammerte ihre Beine noch fester. So, als wenn sie sich vor dem Ertrinken, aus ihren schmerzhaften Emotionen retten wollte, die sie so schonungslos überrollten. Erneut schloss sie ihre Augen und versuchte ein weiteres Mal tief durchzuatmen, doch unvermittelt überfluteten sie wieder die Bilder, wie Rob Tanya eng an sich gedrückt hatte und sie genauso leidenschaftlich küsste, wie er es bei ihr tat. Ihr Magen verkrampfte sich schmerzhaft und ihr wurde speiübel, als sie ihre Augen augenblicklich aufriss und ihr Gesicht fest in ihre Knie vergrub. Emma begann bitterlich zu weinen, während sie innerlich flehte und ihr Herz schreien ließ, wie sehr sie ihn liebte und gleichzeitig nicht begriff, warum er sie augenscheinlich nicht mehr liebte. „Rob, ich liebe dich doch. Ich liebe dich doch so sehr ...“
Rob war nicht in der Lage zu begreifen, was gerade geschehen war, während er aus der Garderobe stürmte und hinter seiner Freundin herlief. Ein paar Momente vorher hatte er sich noch überschwänglich über die gelungene Premiere und das unerwartete Angebot eines Agentenvertrages gefreut. War voller Sehnsucht gewesen, seine Emma nach schier unendlich langen Wochen wieder in den Armen halten zu können und was machte er? Vor lauter Euphorie hatte er sich von Tanyas Kuss überfallen und mitreißen lassen. Als wenn nicht schon ein kleiner harmloser Kuss schlimm genug gewesen wäre, hatte er Tanyas Aufforderung auch noch mit der Zunge erwidert. Verdammte Scheiße! Du bist so ein absoluter Vollhonk!,schimpfte er sich selbst in Gedanken aus, während er weiter den schmalen Gang hinter ihr herrannte.
Warum hatte er sie überhaupt geküsst?
„Emma, nu warte doch. Bleib doch stehen“, rief er schließlich laut hinter ihr her, wobei sie völlig unbeirrt weiter von ihm wegrannte. Es machte ihm Probleme mit ihr mitzuhalten, so sehr fegte Emma über den Flur entlang, wobei er versuchte, seine Schritte noch mehr zu beschleunigen, als er abermals lautstark sowie verzweifelt nach ihr rief: „Emma, bitte warte, lass mich erklären!“ Ihr darauffolgendes Aufschluchzen ließ ihm einen kalten Schauer über seinen Rücken laufen und seine Brust schmerzhaft verkrampfen, als sie noch mal an Tempo zulegte. Er wollte sie doch nicht verletzen und ihr so weh tun. Verdammt! Rob konnte sich nicht erklären, wie es überhaupt so weit kommen konnte. Seine Liebe galt ungebrochen Emma und er wollte sie unter keinen Umständen verlieren – er konnte sie nicht verlieren. Allein der Gedanke daran, schnürte ihm die Kehle zu und für einen Moment lang blieb ihm die Luft weg. Atemlos und nach Luft ringend, die wie Feuer in seinen Lungen brannte, blieb er stehen, bevor er noch einmal ihren Namen verzweifelt rief, als er sah, wie sie bereits aus dem Theater stürmte. „Verdammt Emma!“ Augenblicklich raffte er seine Schultern und folgte ihr mit einem rasenden Schritt ins Freie. Vorm Eingang schaute er sich hektisch nach ihr um, doch er konnte sie auf dem gesamten Platz nicht entdecken. „Verdammte Scheiße!“, fluchte er lautstark, was die Aufmerksamkeit der anderen Besucher auf ihn zog und er sich ratlos, mit der Hand, durch sein Haar fuhr. „Na, na, na, junger Mann, so was sagt man aber nicht“, kommentierte eine ältere Dame seinen Ausbruch, den er jedoch ignorierte, während er sich auf der Stelle drehte und weiter den Blick, panisch nach Emma suchend, übers Gelände schweifen ließ. „Sie muss doch hier irgendwo sein“, murmelte er vor sich hin, als er Richtung Straße ging und dabei seine Familie, die etwas abseits stand, entdeckte. Eilig lief er zu ihnen hinüber, wobei seine Mutter ihn verwundert anschaute, als er atemlos bei ihnen zu stehen kam. „Rob was ist los und wo ist Emma?“, fragte sie ihn prompt, als sie seinen verzweifelten sowie niedergeschlagenen Gesichtsausdruck sah. „Ich habe keine Ahnung, wo sie ist. Verdammt. Ich hatte gehofft, ihr habt sie gesehen.“
„Was heißt hier, du weißt nicht, wo sie ist? War sie nicht bei dir in der Garderobe? Lizzy wolltest du ihr nicht den Weg zeigen?“ Clare schaute ihn mit gerunzelter Stirn an und warf direkt ihrer Tochter einen fragenden Blick zu, während in ihr die Besorgnis und Nervosität langsam emporkroch. Lizzy ergriff direkt das Wort, wobei sie ihm denselben Blick, wie seine Mutter zuwarf. „Ich habe sie fast vor die Tür gestellt. Also verfehlt haben kann sie dich gar nicht!“ Rob spürte augenblicklich die Blicke all seiner Familienmitglieder auf sich ruhen, der seinen Kopf vor Scham zu Boden gesenkt hatte und kein Wort herausbrachte. „Rob, Junge, jetzt sag schon, was passiert ist“, war es nun sein Vater, der sich ruhig zu Wort meldete. „Ich habe Tanya geküsst und Emma hat es gesehen. Sie ist dann aus dem Theater gelaufen.“ Rob atmete einmal leicht auf, bevor er langsam seinen Kopf hob und direkt in Vickys entsetztes Gesicht schaute.
„Du hast was? Sag mal, spinnst du?“, polterte sie direkt los, als auch die anderen ihn erschrocken anschauten. „Ich weiß selber nicht, was in mich gefahren ist. Ich wollte das nicht“, versuchte er sich und die Situation mit einer erstickten Stimme zu erklären, bevor eine unangenehme Stille hereinbrach und all die Blicke weiter auf ihn ruhten. Er fühlte sich wegen Emma schon mies genug, aber jetzt vor seiner Familie zu stehen und ihnen zu gestehen, was er verbockt hatte, ließ ihn das Ausmaß seiner unüberlegten Handlung noch erschreckender verdeutlichen. Die besorgte Stimme seiner Mutter riss ihn aus seinen Gedanken und unterbrach die Stille. „Mein Gott, das arme Mädchen. Sie ist in einer fast fremden Stadt und irrt hier irgendwo rum. Wir müssen sie finden, bevor ihr noch was passiert.“ Die aufkommende Panik, dass seinem Mädchen irgendetwas zustoßen könnte – und das auch noch wegen ihm, ließ den Knoten in seiner Kehle nur mehr anschwellen. Ihm wurde augenblicklich speiübel und ließ den Drang sie zu finden ins Unermessliche steigern. Ihr durfte, um Gottes Willen, nichts passieren. Das könnte er sich nie verzeihen. „Am besten Teilen wir uns auf. Eure Mutter und ich gehen zusammen Richtung Zentrum. Vicky und Lizzy, ihr beide geht Richtung Park, und du Rob schaust dich hier in der Nähe des Theaters um“, hörte er im selben Moment seinen Vater mit einer ruhigen Stimme sagen, worauf nur alle nickend zustimmten und Rob gerade dabei war loszustürmen, um die Suche nach seinem Mädchen fortsetzen, als sein Vater weitersprach: „Sobald einer Emma gefunden hat, gibt er uns Bescheid.“ Richard zeigte auf sein Handy und Rob gab nur ein flüchtiges Nicken als Zustimmung, bevor er eilig zurück Richtung Theater rannte. Erneut suchte er das gesamte Gelände mit den Augen ab, bevor er noch mal ins Gebäude lief, um den Besuchersaal zu durchsuchen. Wo konnte sie nur sein? Vielleicht war sie in einem unbeobachteten Moment wieder rein gerannt und versteckte sich irgendwo?! Hastig rannte er zwischen den Stühlen den kleinen Saal ab, bis er an die Bühne gelangte und ihn die bittere Erkenntnis, wie mit einem Donnerschlag in den Magen, traf. Sie war hier nirgends!
Verzweifelt und fluchend fuhr er sich zum gefühlt hundertsten Mal mit den Händen durch seine Haare. Die Panik begann seinen Körper und Geist zu beherrschen, als er wieder aus dem Theater rannte und nicht wusste, wo er noch suchen konnte. Er betete inständig, dass ihr nichts geschehen war. Ohne ein Ziel zuhaben lief er über die Straße und folgte dieser, in seinen Gedanken versunken, bis er eine kleine Gasse erreichte, in der er eilends hinein bog. Wenige Sekunden später kam er, außer Atem und schlitternd vor einer steinernen Mauer zum Stehen.
Verdammter Mist! Ungläubig starrte er auf die Wand, während die Panik immer weiter drohte ihn zu übermannen. Was sollte er tun? Es war alles nur seine Schuld. Wenn er nur seine verdammten Lippen und Hände hätte bei sich behalten, dann … ja, dann würde er jetzt sein Mädchen in den Armen halten. Wäre auf der gottverdammten Party und würde nicht hier in Barnes verzweifelt nach ihr suchen müssen. Was ist, wenn er sie nicht fand? Der Gedanke überrollte ihn mit der nächsten kalten Welle und ihm wurde speiübel.
Oh Gott, bitte lass ihr nichts geschehen sein!
Ihm schwirrte der Kopf, während er verzweifelt sein Gesicht in seine Hände vergrub und erstickt hinein murmelte: „Verflucht, Emma wo bist du?“
Unvermittelt vernahm er ein leises Wimmern hinter sich und schlagartig fuhr er herum, als der Anblick von Emma, die in einer dunklen Ecke kauerte, ihm sein Atem stocken ließ. Sie hatte die Arme um ihre Beine geschlungen und eng an ihren Körper gepresst, während sie ihr Gesicht in den Knien vergraben hatte und bitterlich weinte. Der deutlich schmerzhafte Stich in seiner Brust, schnürte ihm gleichzeitig krampfhaft die Kehle zu. Es brach ihm das Herz sein Mädchen so verletzt zu sehen und gleichzeitig zu wissen, dass er selbst dafür verantwortlich war. Einen Moment lang stand er regungslos da und beobachtete gequält, wie sie am ganzen Körper zitterte und sich die Erkenntnis immer weiter in sein Bewusstsein brannte, wie sehr er sie verletzt hatte. Das Band um seinen Magen zog sich quälend langsam zu und kalter Schweiß brach ihm aus, während er versuchte zu begreifen, was er in Bruchteil einer Sekunde angerichtet hatte. Es war alles seine alleinige Schuld, dass Emma verletzt in der dunklen Ecke kauerte und so verzweifelt weinte. Wie sollte er das wieder gut machen? Wie konnte er erklären, wie es überhaupt dazu kam, wenn er selbst nicht verstand, was ihn dazu gebracht hatte? Verdammt! Er empfand für Tanya nichts, außer Freundschaft. Er liebte doch Emma. Für einen kurzen Moment wandte er den Blick von ihr ab, zog sein Handy aus der Hosentasche, um nervös und hastig eine Nachricht an seinen Pa zu schicken. Damit sie nicht länger nach Emma suchen brauchten. Als er sein Telefon wieder in seine Tasche zurück gestopft hatte, nahm er all seinen Mut zusammen und ging vorsichtig sowie ängstlich auf sein Mädchen zu. Sein Herz und Puls rasten schmerzhaft, während er innerlich flehte, dass sie nicht wieder vor ihm flüchtete.
Wie lange Emma schon auf dem Boden gekauert hatte, wusste sie nicht, als sie eine weitere Tränenflut überrollte und ihren gesamten Körper zum Beben brachte. Sie war nicht in der Lage ihren Weinkrampf sowie Emotionen unter Kontrolle zu bringen, während sich weiterhin die Bilder sowie Gedanken in ihren Kopf überschlugen. Sie presste ihre Beine noch enger an ihren Körper, als der immer noch allgegenwärtige Schmerz in ihrer Brust, ihr kaum Luft zum Atmen gab. Emma hatte keine Ahnung, was sie jetzt tun sollte – wo sie hinsollte. Hier bleiben war keine Option. Jedoch kannte sie hier niemand anderen, außer die Familie Pattinson. Sie war nur in einem einzigen Punkt fest entschlossen – zu Rob wollte sie unter keinen Umständen, denn seine Nähe würde sie nicht ertragen. Aber wohin konnte sie sonst? „Oh Rob…“, wimmerte sie abermals seinen Namen, bevor sie völlig unerwartet eine warme Hand auf ihren Rücken spürte. Ruckartig riss sie erschrocken ihren Kopf hoch, während ihr das Herz vor Angst bis zum Hals schlug. Doch als sie in ein Paar allzu bekannte blaue Augen schaute, wich das Gefühl der Angst, dem der schmerzhaft zugeschnürten Brust. Im Bruchteil einer Sekunde war sie auf ihren Beinen und sprang ein Stück zur Seite. „Geh weg. Lass mich in Ruhe!“, schrie sie ihn mit brüchiger Stimme an, wobei ihre Knie begannen gefährlich zu zittern. „Emma, bitte…“ Robs Stimme war leise und unsicher, als er einen Schritt auf sie zu machte. „… Bitte, lass mich versuchen zu erklären.“ Er war nur wenige Schritte von ihr entfernt, während er sie mit einem ängstlichen Blick weiter anschaute. Doch Emma ertrug seinen Anblick nicht und wandte sich abrupt von ihm ab, indem sie ihm den Rücken zudrehte. Mit letzter Kraft, um ihre Fassung zumindest ein wenig zu wahren, verdeutlichte sie ihre Aussage mit einer halbwegs sicheren Stimme. „Ich habe dir gesagt, lass mich in Ruhe. Ich will dich nicht sehen.“ Noch immer brannte jeder Atemzug in ihren Lungen und sie rang leise nach Luft, denn sie wollte sich nicht weiter die Blöße geben, ihm ihren desolaten Zustand, in dem sie sich gerade befand, zu zeigen. Sie wischte sich, mit dem Handrücken, die Tränen von den Wangen und hoffte inständig, dass er ihrer Bitte endlich folge leisten würde, als sie seine flehende Stimme erneut vernahm. „Emma ... bitte … es tut mir leid. Bitte hör mir zu.“ Bei dem Klang seiner bettelnden Worte überkam sie augenblicklich erneut das starke Bedürfnis vor ihm flüchten zu wollen, denn jede Faser ihres Körpers schmerzte so unaufhörlich in seiner Nähe. So sehr, dass sie nicht in der Lage war, ihn anzusehen, ihn zu hören oder mit ihm zu reden, ohne dabei zu drohen, vor ihm, in sich zusammenzufallen. Sie spürte, wie sich abermals Tränen ihren Weg über ihrem Gesicht bahnten. Sie musste weg!
Hastig bückte sie sich zu ihrer Tasche, die noch immer auf dem Boden lag, während sie aufgelöst nach dieser griff und am erstarrten Rob vorbei laufen wollte, als sie ruckartig zurückgerissen wurde, weil sich der Träger an einem Haken verfangen hatte. Mit zittrigen Händen versuchte sie, ungeduldig ihre Tasche zu befreien, wobei sie leise vor sich hin fluchte, weil es einfach nicht klappen wollte. Dabei ruhte Robs Blick unerlässlich auf ihr und baute ihren innerlichen Druck, hier endlich fort zukommen, nur weiter auf. Mit einem kräftigen Ruck riss sie an ihrer Tasche, bis der Haken das verdammte Teil endlich frei gab. „Fuck“, schrie sie fluchend, als sie bemerkte, dass ihr Träger gerissen war. „Emma … bitte“, versuchte Rob sie erneut aufzuhalten, als er einen Schritt auf sie zu machte. Verdammt noch mal was verstand er nicht? Sprach sie eine Sprache, die er nicht verstand oder nicht verstehen wollte? Sie spürte, wie sich ihre Verletzlichkeit sowie Verzweiflung, langsam in Wut verwandelte. Sie wollte nicht mit ihm reden! Ihn nicht sehen! Sie wollte ihre Ruhe – vor ihm! Wie oft sollte sie das noch sagen? Ohne ihn anzusehen oder eine Antwort zu geben, stürmte sie, mit der Tasche in der Hand, an ihm vorbei, als er sie unvermittelt am Oberarm packte. „Bleib ... und hör mir bitte zu …“, sagte er mit einer ruhigen und gefassten Stimme, während sich sein Griff um ihren Arm verstärkte. Verärgert wirbelte Emma zu ihm herum und ihr Atem stockte, als sie auf seinen verzweifelten Blick traf. Noch bevor sie etwas erwidern konnte, sprach er mit einer deutlich unsicheren Stimme weiter, wobei er sie weiter am Arm festhielt. „Ich weiß, ich habe Bockmist gebaut, und ich weiß nicht wie das passieren konnte… aber …“ Emma spürte, wie bei seinen Worten und der Tatsache, dass seine Hand noch immer ihren Oberarm festumklammerte, die Wut immer weiter in ihr emporkroch. „Lass mich los, sofort!“ Sie funkelte ihn wütend an, was ihn langsam seinen Griff von ihr lösen ließ und er ihr besorgt hinterher schaute, als sie sich von ihm abwandte und sich von ihm entfernte. „Emma, wo willst du denn hin? Bleib hier! Mensch, es tut mir leid, sag mir, was ich machen soll?“, rief er verzweifelt hinter ihr her und abrupt blieb sie stehen, wirbelte mit einem Ruck zu ihm herum und funkelte ihn erneut verärgert an, als sie ihrer Wut freien Lauf ließ. „Was tut dir leid, dass ich hier bin? Dass ich deine Freundin bin oder das ich euch gestört habe? Es war auch dumm von mir zu glauben, dass mein Freund mich sehen will.“ Mit weit aufgerissen Augen starrte Rob sie fassungslos über ihre Worte an und bekam kein Ton heraus. Der Knoten in seiner Kehle schwoll unerträglich an, während sie sich beide für einen Moment schweigend anstarrten. Seiner, voller Unglauben sowie Ratlosigkeit und in ihren Blick lag die volle Wut gemischt mit der Verzweiflung. Das Schimmern ihrer verweinten Augen, versetzte ihn erneut einen Stich in seinem Herzen. „Nein! Nein Emma, rede keinen Blödsinn. So ist das nicht. Es war nicht so, wie es aussah. Sie hat mich überrumpelt, ich wusste nicht, wie mir geschah.“, versuchte er sich, nach den richtigen Worten suchend, zu erklären. „Willst du mir etwa weiß machen, du hast sie nicht geküsst? Du hast sie nicht eng an dich gepresst und sie so geküsst, so wie du mich normalerweise küsst?“ Emma war nicht länger in der Lage, ihre mühsam erworbene Fassung aufrecht zu erhalten, als sie ihre Wut weiter hinausschrie. „Du bist so ein Arschloch, Robert Douglas Thomas Pattinson! Ich habe die ganze Zeit gewusst, hier stimmt was nicht und habe es nur auf die Premiere und die Proben geschoben. Ich habe mich auf dich gefreut und ich war so dumm. Ich hatte schon so ein blödes Gefühl, als du dich die letzten Tage gar nicht gemeldet hattest, und hab mich von meinen Freundinnen und deiner Familie beruhigen lassen. Dabei hattest du dich schon mit deiner Spielpartnerin fröhlich vergnügt. Hat es Spaß gemacht, mich zum Narren zu halten?“ Sie schleuderte Rob ihren Schmerz schonungslos entgegen, während ihr die Tränen ungehemmt über die Wangen liefen. „Nein, nein, Emma so ist das nicht …“ Seine Stimme brach ab, wobei er versuchte, einen Schritt auf sie zuzugehen und den Arm nach ihr ausstreckte, doch Emma wich direkt zurück und er verharrte in seiner Haltung, während er verzweifelt nach den richtigen Worten suchte. „Es ist alles irgendwie … wie ein Selbstläufer gewesen. Wir haben uns nur gefreut, weil die Premiere so gut gelaufen ist und ein Agent uns ein Vertrag angeboten hat. Und na ja … da hat sie mich auf einmal geküsst. Glaub mir, ich war total überrascht und irgendwie hat bei mir was ausgesetzt.“
„Sag mir nicht, du konntest dich nicht wehren, und sie hat dich brutal überfallen. Aber weißt du, mir geht es nicht anders. Sobald ich Erfolg in der Schule oder sonst wo habe, knutsch ich auch mit anderen Jungs. Es macht einfach irrsinnigen Spaß, aber das verstehst du sicher.“ Emmas Wortschwall tat ihr direkt leid, nachdem dieser ihren Mund verlassen hatte und sie sah, wie sehr es Rob verletzte. Aber in ihr tobten die Gefühle von Verzweiflung, Angst bis hin zur unbändigen Wut. Sie liebte ihn so sehr, aber gerade hasste sie ihn dafür, was er ihr angetan hatte, und sie wollte ihm genauso weh tun, wie er sie verletzt hatte. Sie war absolut überfordert mit der Situation und sie hatte keine Ahnung, wie sie mit all dem und vor allem mit ihm, umgehen sollte. Konnte sie ihm glauben? Vorsichtig schaute sie Rob noch einmal an, der sein Gesicht zum Boden gerichtet hatte und spürte direkt, dass er genauso von der Verzweiflung und Traurigkeit umgeben war, wie sie selbst. Aber konnte sie ihren Gefühlen und Urteilsvermögen noch trauen? Konnte sie seinen Worten noch trauen? Wieso war, von der einen Sekunde auf die andere, alles so verfahren und kompliziert zwischen ihnen? Sie senkte ihren Blick zu ihren Füßen, als ein Moment der unangenehmen Stille über sie hereinbrach. Emma hätte ohne Weiteres sich umdrehen und gehen können, doch der Drang von ihm flüchten zu wollen, war von ihr gewichen. Es fühlte sich falsch an ihn dort genauso verletzt stehen zu lassen, nachdem sie ihre Wut, Zorn und Gedanken herausgeschrien hatte. Sie spürte eine kleine Erleichterung und war bereit, ihm eine ehrliche Chance zu geben, mit ihr zu reden – sich zu erklären. Auch, wenn es all ihre Kraft kosten würde.
„Emma, ich liebe dich... ich liebe dich wirklich.“ Seine Worte waren ein Flüstern, während sein Blick weiter auf den Boden gerichtet war. Augenblicklich versetzten diese Emma einen erneuten schmerzhaften Stich in ihrer Brust und sie wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte. Obwohl sie ihn liebte, konnte sie die Worte nicht aussprechen und schaute ihn nur mit einem traurigen Blick an, wobei ihr erneut eine Träne die Wange herunterlief. Wie sollte es weiter gehen? Sie wäre so gern auf ihn zugegangen, hätte ihn in den Arm genommen und alles vergessen. Hätte ihm gern sagen wollen, dass alles in Ordnung war und sie ihm verzeihe – doch das konnte sie nicht. Der Schmerz war einfach zu groß. Sie hatte auch keine Ahnung, ob sie ihm verzeihen konnte und allein der Gedanke, dass sie nicht in der Lage dazu sein könnte, versetzte ihrem Magen einen schmerzhaften Schlag. Ihr Gedanken – und Gefühlskarussell war perfekt. Gerade als sie versuchte, ihm eine Antwort zugeben, hörte sie unerwartete Schritte hinter sich und erschrak bis auf die Knochen, wobei sie einen Satz auf Rob zumachte.
In ihrer Auseinandersetzung hatten sie nicht bemerkt, wie dunkel es bereits geworden war. Nur eine kleine Straßenlaterne an der Mauer erhellte sanft den Hinterhof. Emma erschrak so sehr von den herankommenden Schritten, dass Rob sie unerwartet an seinem Arm spürte. Ihre Finger bohrten sich in seinen Oberarm und erst in dem Moment wandte er den Kopf zu ihr und schaute sie verwundert an. „Emma, was hast du?“ Doch sie starrte wie gebannt auf die dunkle Gasse und brachte kein Wort heraus. Rob drehte sich zu ihr, legte den Arm um ihre Schultern und zog sie zaghaft ein Stück näher an sich. Sofort nahm er ihren vertrauten Duft auf, als sie ihren Körper an seinen schmiegte und ihre Hände an seine Taille fassten. Trotz der angespannten Situation, genoss er ihre Nähe und mit jeder Sekunde, die er Emma im Arm hielt, breitete sich immer mehr in ihm die Hoffnung aus, dass alles wieder gut werden konnte. Vielleicht war dies jetzt seine Chance an Emma ran zu kommen und ihr alles zu erklären. Ihr begreiflich zu machen, dass es wirklich nicht so war, wie es den Anschein hatte. Herrgott, wie sehr er hoffte, dass sie es verstehen würde. Er schloss seine Augen, atmete erneut ihren Duft ein und erschrak, als er seine Augen wieder öffnete. Aus der dunklen Gasse trat langsam ein Schatten hervor und augenblicklich bohrten sich Emmas Finger in sein Becken. Sie schien seine plötzliche Anspannung ebenfalls zu spüren und drückte ihr Gesicht an seine Brust. Beruhigend versuchte er, über ihren Rücken zu streichen, obwohl er selbst vor Nervosität kaum atmen konnte. Er erstarrte und musste schlucken, als die dunkle Gestalt um die Ecke bog. Vor Erleichterung wich ihm zischend die angehaltene Luft aus seinen Lungen, als er erkannte, wer auf sie zutrat. „Mum, Gott, erschreck uns nicht so.“ Kaum hatte er die erlösenden Worte, fast schon herausgeschrien, löste sich Emma mit einem Ruck aus seiner Umarmung und wich ein Stück von ihm weg. Mit einem Mal, war das wunderbare Gefühl und die Hoffnung in ihm, wie weggeflogen und augenblicklich überflutete ihn wieder das Gefühl von Angst und Verzweiflung. „Emma. Liebes, bin ich froh, dass wir dich gefunden haben. Geht es dir gut?“, hörte er nun seine Mutter sagen, die mit schnellen Schritten und einem besorgten Blick, auf seine Freundin zuging. „Ja, es geht mir gut“, stotterte Emma und nestelte an dem kaputten Träger ihrer Tasche rum. „Ich habe mir wirklich Sorgen gemacht, Emma. Dir hätte wer weiß was passieren können. Geht’s dir wirklich gut? Mensch, komm mal her.“ Liebevoll schloss Clare, Emma in ihre Arme und warf ihm einen strafenden Blick zu. Während Rob mit gesenkten Blick dastand, beobachtete er aus dem Augenwinkel, wie sich seine Freundin in die Arme seiner Mutter fallen ließ, was ihm das beklemmende Gefühl erneut bescherte. Wie gerne wollte er Emma wieder in seinen Armen halten, ihren Herzschlag an seiner Brust spüren und sie sanft auf ihr Haar küssen. Wie gern wollte er sie trösten, sodass sie sich wieder bei ihm geborgen und wohl fühlte. Er wollte sie glücklich machen und was hatte er getan? Genau das Gegenteil. Das beklemmende Gefühl schnürte, ihm abermals die Kehle zu und die Angst versuchte sich immer mehr in ihm auszubreiten. Was, wenn heute alles aus dem Ruder laufen würde? Was würde er tun, wenn alles zu spät wäre? Wie reagieren, wenn Emma ihm nicht verzeihen konnte? Er wollte es sich nicht weiter ausmalen, denn alleine bei dem Gedanken wurde ihm wieder speiübel. Immer wieder versuchte er, den Abend und vor allem den Vorfall mit Tanya zu rekonstruieren, um zu begreifen, wie das alles passieren konnte. Doch es gelang ihm weiterhin nicht, wobei er sich immer wieder dieselben Fragen stellte. Hatte er Tanya unbewusst Zeichen gegeben, die sie ermutigt hatten ihn zu küssen oder sogar glauben lassen, dass er mehr als Freundschaft für sie empfand? Andererseits hatte sie ihm keinen Grund gegeben zu glauben, dass sie mehr als nur Freundschaft für ihn empfand. Oder hatte er die Zeichen nur übersehen? Egal wie oft er es in seinen Kopf auch durchspielte, er drehte sich im Kreis und fand keine Antworten, als er mit einem leichten Stupsen auf seinem Oberarm aus seinen Gedanken gerissen wurde. Seine Mum stand neben ihm und wartete auf seine Reaktion, doch er schaute sie nur gedankenverloren an. „Rob, kommst du nun?“ Erst in dem Moment fiel ihm auf, dass Emma und Clare nicht mehr Arm in Arm neben ihm standen, sondern dass seine Freundin bereits an der Mauer unter der Laterne wartete. „Wir wollen nun nach Hause. Der Abend war lang und aufwühlend für uns alle. Also komm bitte Schatz.“
„Und was ist mit Emma?“, war das Einzige, was er seine Mutter fragte und ihn wirklich interessierte, denn er würde es nicht verkraften, wenn sie direkt abreisen würde.
„Na sie kommt natürlich mit. Ich habe doch gerade mit ihr gesprochen, hast du es nicht mitbekommen?“
„Äh, nein, Mum. Ich habe gar nichts mitbekommen.“ Erleichtert atmete er aus, als die Erkenntnis langsam in sein Bewusstsein kroch, dass er noch eine Chance hatte, mit ihr zu reden.
„Das wundert mich heut nicht. Also Emma schläft heute im Gästezimmer. Ich denke, es tut euch gut, wenn ihr einen bisschen Abstand habt und jeder für sich das Vorgefallene verarbeiten kann. Es war für euch beide heute ein anstrengender und aufwühlender Tag. Also kommst du dann? Die anderen warten schon.“ Er nickte nur stumm, als er sich schließlich mit seiner Mum Richtung Emma aufmachte, doch als sie bei ihr ankamen, wich Emma seinen Blick erneut aus und gesellte sich zu Clare. Sein Herz fühlte sich vom Schmerz gelähmt an und er unterdrückte das starke Bedürfnis, sie an die Hand zu nehmen, auch wenn es ihm unendlich viel Kraft kostete. Schweigend gingen sie zusammen zum Parkplatz, wo bereits die anderen auf sie ungeduldig warteten und seine Schwestern ihm ebenfalls einen strafenden Blick zuwarfen.
Als wenn er selbst nicht gewusst hätte, was für einen Bockmist er gebaut hatte. Es ließ ihn sein ganzer Körper, Geist und Emma bitterlich spüren. Niedergeschlagen beobachtete er, wie Emma zu seinen Schwestern ins Auto stieg und nicht neben ihm, bei seinen Eltern, Platz nahm.
Kapitel 12
Ungewissheit
Die gesamte Fahrt über sprach niemand ein Wort und Rob war heilfroh, dass seine Eltern ihm weder Vorwürfe machten, noch Löcher in den Bauch fragten, sondern ihm seine Ruhe ließen. Ihm war sowieso nicht zum Reden zumute, und er schaute niedergeschlagen auf die dunkle Straße hinaus, während seine Gedanken trübe um ihn kreisten. Die Angst setzte ihm enorm zu und er spürte, wie sich der Knoten in seiner Kehle nicht auflösen wollte. Er hoffte, dass er heute noch die Gelegenheit zur Aussprache mit ihr bekommen, und all seine Sorgen hoffentlich, wie eine Seifenblase zerplatzen würden. Als sie jedoch bei ihm zuhause ankamen, würdigte Emma ihm weiterhin keines Blickes, während sie mit seinen Schwestern zusammen das Haus betrat und er nur langsam hinterher schritt. Stumm beobachtete er, wie sie weiterhin schweigend, an der Garderobe, sich von ihrer Jacke und Schuhen befreite. Dabei meinte er, für einen kurzen Moment, eine Träne über ihre Wange laufen zusehen, doch Emma wandte ihr Gesicht schnell aus seinem Blickfeld. Augenblicklich verspürte er das tiefe Bedürfnis, sie in seine Arme zu schließen – sie zu trösten, wie er es immer tat, wenn es ihr schlecht ging und dieses gottverdammte Missverständnis aus der Welt zu schaffen. Er wollte alles wieder gut machen. Er wollte nicht, dass sie sich wegen ihm weiter so quälte und schon gar nicht, weil sie die falschen Schlüsse zog. Außerdem ertrug er es nicht, mit welchen Augen, sie ihn momentan sah. Er musste es ihr endlich richtig erklären. Doch, als wenn sie seine Gedanken gelesen hätte, drehte sie sich in dem Moment abrupt um, als er sie gerade zögerlich ansprechen wollte, und verabschiedete sich ins Gästezimmer. Eilig folgte er ihr über den Flur, bis er kurz vor der Treppe von seinem Vater aufgehalten wurde. „Lass sie. Sie braucht Ruhe. Gib ihr Zeit. Du wirst bestimmt Gelegenheit bekommen mit ihr zu reden, wenn sie bereit dazu ist. Aber jetzt hat es keinen Sinn.“ Richard legte seine Hand auf seine Schulter und schaute ihn mitfühlend an, während Rob nur verstehend nickte und leise aufseufzte, bevor er sich ebenfalls in sein Zimmer zurückzog. Wenn Emma Abstand und Ruhe brauchte, dann würde er ihr diese geben, das war das Mindeste, was er für sie heute noch tun konnte. Auch, wenn sich jede Faser seines Körpers nach ihr sehnte und es all seine Willenskraft kostete, nicht augenblicklich zu ihr rüberzugehen. Es war ein schrecklich quälendes Gefühl, sie so nah bei sich zu wissen, wobei sie gleichzeitig unerreichbar für ihn war. Verzweifelt und wissend, dass es die längste Nacht seines Lebens werden würde, ließ er sich auf sein Bett fallen und vergrub sein Gesicht ins Kissen.
Mit einem leisen „Klick“ fiel die Tür hinter Emma ins Schloss und sie blickte verunsichert durch den Raum. Sie konnte es nicht glauben, nach alldem, was heute passiert war, dass sie wirklich wieder in seinem Zuhause war. Eigentlich wollte sie nicht mehr zurückkehren, sondern nur noch nach Hause, doch Clare hatte sie überzeugt, mit zu kommen und hatte ihr das Gästezimmer angeboten. Natürlich hatte seine Mutter Recht, wie sollte sie jetzt nach Hause kommen? Der letzte Flug war weg und eine Nacht am Flughafen wäre nichts für ein siebzehnjähriges Mädchen gewesen. Es war wirklich besser, hier die Nacht zu verbringen und dann morgen früh zurückzufliegen. Außerdem wäre eine überstürzte Handlung ein Fehler gewesen, den sie sicher bereut hätte, da war sie sich im Nachhinein sicher. Trotzdem war sie immer noch aufgewühlt, durcheinander und wusste nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollte. Sie spürte erneut, wie ihr eine Träne die Wange herunterlief, die sie eilig mit ihrem Handrücken wegwischte, denn sie wollte nicht mehr weinen. Auch, wenn es immer noch so schrecklich wehtat und sie es innerlich fast zerriss.
Langsam schritt sie auf das Bett zu, während sie weiter versuchte, zu realisieren, was heute geschehen war. Erleichtert stellte sie fest, dass jemand bereits ihre Reisetasche aus Robs Zimmer geholt und ihr ans Bett gestellt hatte und augenblicklich fiel ein Teil ihrer Anspannung von ihr ab. Bei der Erkenntnis, dass sie ihm heute wirklich nicht mehr begegnen musste, atmete sie erleichtert auf, denn noch einmal hätte sie ein Aufeinandertreffen nicht verkraftet. Ihr hatte es schon eine Menge von ihrer Kraft gekostet, nicht vor ihm in der Gasse zusammenzubrechen, als sie in seine blauen traurigen sowie ebenfalls verzweifelten Augen geschaut hatte. Deshalb hatte sie über den gesamten Weg zurück zum Auto und hier im Haus, jeglichen Blickkontakt zu ihm vermieden, weil sie den Anblick einfach nicht verkraften konnte. Dennoch hatte sie ständig seine Augen, die auf sie ruhten gespürt, welche sich wie kleine Nadelstiche auf ihrer Haut angefühlt hatten. Sie wünschte sich, sie könnte sich einfach wieder in seine Arme fallen lassen und alles vergessen, denn ihr Herz sehnte sich danach - nach ihm, obwohl sie gleichzeitig seine Nähe nicht ertragen konnte. Verdammt! Ihre Empfindungen waren konfus und zu ihrem Schmerz mischte sich die Verwirrung. Emma wusste nicht mehr, was sie glauben und worauf sie vertrauen konnte. Ihren Augen, ihrem Urteilsvermögen oder seinen Worten? Ihr war bewusst, dass sie mit ihm reden musste und dass es nicht fair war, ihn einfach wegzustoßen. Aber sie konnte nicht anders, obwohl es einen Teil in ihr gab, der augenblicklich eine Erklärung wollte. Doch sie brauchte erst mal Abstand, um ihre Gedanken und Gefühle ordnen und verstehen zu können, auch wenn sie sich gerade mutterseelenallein und hundselend fühlte. Seufzend setzte sie sich auf die Bettkante und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen, wobei sofort die Bilder, von Rob der Tanya küsste - und von ihm, wie er mit flehenden Worten auf sie einredete, vor ihr inneres Auge einprasselten. Schlagartig stand sie auf und versuchte, die Bilder aus ihren Gedächtnis zu verbannen, doch es wollte ihr nicht gelingen.
Gequält und nach Fassung ringend, weil sie nicht in die nächste Heulattacke verfallen wollte, griff sie nach ihrer Tasche und suchte nach ihrem Waschzeug. Emma wollte nur noch vergessen, die Bilder loswerden und sich den Dreck von diesem schrecklichen Tag vom Körper waschen. Vielleicht würde ihr eine warme Dusche dazu verhelfen, wenigstens ein wenig zu entspannen – wenn das überhaupt irgendwie möglich war. Sie zog ihren Kram aus der Reisetasche und ging hinüber zum Bad, bis sie abrupt vor der Tür stehen blieb. „Verdammt“, fluchte sie leise, als ihr bewusst wurde, dass sich direkt hinterm Bad Robs Zimmer befand und er dieses auch mit benutzte. Einige Sekunden stand sie unentschlossen und nervös auf der Unterlippe kauend da und wusste nicht, was sie jetzt machen sollte. Unter keinen Umständen wollte sie auf ihn treffen, doch sie sehnte sich auch nach einer Dusche. Also raffte sie schließlich ihre Schultern und atmete einmal tief durch, bevor sie sich leise an die Tür schlich und mit rasendem Herz, ihr Ohr an die Holztür legte. Mit angehaltenen Atem lauschte sie, ob Rob im Bad war, doch sie hörte nichts – es war vollkommen still. Weiterhin verunsichert machte sie einen Schritt zurück und schaute hinunter zur Türschwelle. Erleichtert atmete sie auf, als sie kein Licht unter der Tür entdeckte und öffnete sie vorsichtig, bevor sie leise hineintrat. Doch als sie direkt sah, dass aus seinem Zimmer auch kein Licht ins Bad fiel, verspürte sie unerwartet, wie das Gefühl von Enttäuschung in ihr emporkroch. „Super, wie kann er jetzt schlafen?“, grummelte sie leise vor sich hin, während sie den Lichtschalter betätigte und der Raum erhellt wurde. Sie legte ihren Pyjama auf die Heizung und stellte ihre Kulturtasche am Spiegel ab. Einen Moment betrachtete sie sich in diesem und sah ihre vom Weinen geröteten Augen, während sie zaghaft drüber strich und schwer aufseufzte.
Du siehst aus wie ein Häufchen Elend und er schläft seelenruhig nebenan. Macht es ihm wirklich nichts aus, wie es mir jetzt geht? War seine Besorgnis und seine Verzweiflung vorhin nur vorgetäuscht, um den Schein zu wahren? Kann ich ihm wirklich glauben, dass nichts mit Tanya war? Aber warum hat er sie geküsst? Und warum ist er dann jetzt nicht hier, wenn alles stimmt, was er sagt?
Verzweifelt und absolut durcheinander von ihren Gedanken sowie Gefühlen, fuhr sie sich, mit beiden Händen, durchs Gesicht. Sie wollte ihm so sehr glauben und ihn in ihrer Nähe haben, aber andererseits konnte sie ihn nicht ansehen, ohne dass sie nicht gleich wieder Tanya vor Augen hatte. Aber warum verspürte sie dann ausgerechnet jetzt Wut und Enttäuschung, dass er nicht bei ihr war? Ganz toll! Emma wandte sich vom Spiegel ab, schlüpfte aus ihren Klamotten und stieg in die Dusche, während sie die Brause betätigte. Als das warme Wasser auf ihre Haut traf, tauchte sie mit ihrem Gesicht direkt unter den Strahl und spürte augenblicklich die wohltuende Tat vom warmen Nass. Für einen winzigen Moment waren all ihre Zweifel, der Schmerz sowie die trüben Gedanken in den Hintergrund gerückt und sie sog den Augenblick, wie ein Schwamm in sich auf, um neue Kraft zutanken. Emma hatte keine Ahnung, wie lange sie so unter der Dusche gestanden hatte, um all den Schmutz des Tages von ihrem Körper zu waschen, als sie schließlich das Wasser abdrehte, den Vorhang öffnete und heraustrat. Das gesamte Bad war von der Wärme und der Feuchte vollkommen verschleiert, sodass der Spiegel und das Fenster beschlagen waren. Schnell wickelte sie sich ein Handtuch um ihren Körper, öffnete das Fenster und die Tür zu ihrem Zimmer, damit der Nebel abziehen konnte. Als sie gerade dabei war, ihre Haare mit dem Handtuch trocken zu rubbeln, hörte sie plötzlich die Melodie von „Hey there Delilah“ aus ihrem Zimmer. „Scheiße, mein Handy“, fluchte sie leise, während sie nur im Handtuch bekleidet aus dem Bad stürmte, um in ihrer Handtasche hektisch nach dem klingelnden Etwas zu wühlen, damit es nicht das halbe Haus aufweckte. Was sich allerdings als schwieriger herausstellte, als sie gedacht hatte, denn ständig rutschte ihr das Handtuch runter, sodass sie nur einhändig nach dem Handy fischen konnte. Als sie es endlich aus der Tasche zog, verstummte es augenblicklich und Emma schaute erschrocken aufs Display. Sie hatte 7 Nachrichten und 3 Anrufe in Abwesenheit von ihrer besten Freundin bekommen.
„Oh Mist, es wird doch nichts passiert sein?“, murmelte Emma, während eine leichte Besorgnis in ihr aufkeimte und wählte eilig ihre Nummer. Bereits nach dem ersten Rufzeichen hörte sie die Stimme von Bibi.
„Emma, endlich meldest du dich!“
„Sorry, ich war unter der Dusche und habe das Handy nicht gehört. Ist etwas passiert?“ Überrascht über die Sorge in Bridgets Stimme, setzte sie sich auf die Bettkante, wobei sie das Handtuch ein Stück höher zog und über dem Brustansatz festhielt.
„Das fragst du mich? Mensch, Emma ich versuche dich, schon den halben Abend zu erreichen! Wollte wissen, wie die Premiere war und euer Wiedersehen. Aber als du auf keine Nachricht reagiert hast, habe ich mir Sorgen gemacht. Ist alles klar bei dir?“
Unvermittelt versetzte ihre Frage, Emmas Brust abermals den schmerzhaften Stich, den sie heute schon so oft verspürt hatte, und augenblicklich kehrte das lähmende Gefühl sowie die Bilder vor ihrem geistigen Auge zurück. Leise aufschnaufend ließ sie sich, mit dem Rücken, auf die Matratze fallen, bevor sie nur sehr mühsam ein „Ja, alles Okay“, über ihre Lippen brachte. Sie fühlte sich nicht wohl dabei und es widerstrebte ihr, ihre beste Freundin anzulügen, aber Emma wollte sie nicht mitten in der Nacht mit ihrem Chaos verrückt machen. Solange sie selbst nicht wusste, was wirklich geschehen war und wie sie damit umgehen sollte, wollte sie niemanden damit belasten. Sie musste erst mal selbst ihre Gedanken und Emotionen verstehen können, die in ihrem Gefühlskarussell völlig durcheinandergeraten waren. „Bist du dir sicher? Du hörst dich ganz und gar nicht so an.“ Eigentlich war es von vornherein klar gewesen, dass Bibi sich nicht so einfach mit ihrer Antwort zufriedengeben und skeptisch nachhaken würde. Natürlich merkte sie, dass etwas nicht mit ihr stimmte und Emma spürte, wie das beklemmende Gefühl immer weiter in ihr emporkroch, während sich ihre Augen erneut mit Tränen füllten. Nein, sie wollte nicht wieder weinen, aber sie hatte kaum noch Kraft, diese zu unterdrücken, als ihr ein sehr leises Wimmern entfuhr. „Emma, bist du noch da?“, unterbrach Bridget, die kurzweilig hereingebrochene Stille und ihren mühsamen Kampf ihre Fassung zu bewahren. „Ja. Bin …“ Ihre zittrige Stimme brach ab, bevor sie weiterhin krampfhaft versuchte, nicht in ein lautes Schluchzen zu verfallen. „Mausel, du kannst mir nichts vormachen. Ich höre, dass was nicht mit dir stimmt. Ist es wegen Rob?“ Bibis Besorgnis und Emmas immer weiter aufkeimendes Bedürfnis, sich ihr doch anzuvertrauen, ließ sie unsicher auf ihre Unterlippe beißen, bevor sie mit einer erstickten Stimme, nur ein knappes „Ja“, hervorbrachte. „Was ist passiert? Oder was hat er getan?“, fuhr es augenblicklich alarmierend aus ihrer Freundin raus, während, der immer größer werdende Kloß in Emmas Hals, ihr die Kehle zuschnüren ließ.
„Er … er hat … sie geküsst!“ Ihre Lippen bebten bei den Worten, als sie diese leise und gequält aussprach, wobei all ihre mühsam erbauten Dämme schlagartig einbrachen. Ungehemmt liefen ihr die Tränen übers Gesicht, als sie sich laut schluchzend auf den Bauch drehte und ihr Gesicht ins Kissen presste. Dabei hielt sie noch immer ihr Handy ans Ohr und hörte die besorgte Stimme von Bibi, die hilflos versuchte, sie zu beruhigen. Doch Emma hatte keine Chance, gegen die erneute Tränenflut anzukämpfen, als die Bilder abermals schonungslos auf sie einprasselten und das laute Aussprechen, das Geschehen so deutlich in die Wirklichkeit katapultierte. Prima! Genau das hatte sie die ganze Zeit versucht zu vermeiden, dass auch noch ihre Freundin sich um sie sorgte, wobei sie nichts ausrichten konnte.
Es dauerte einige Momente, bis Emma sich wieder einigermaßen gefangen hatte und sich leise schluchzend aufsetzte, wobei sie ihr Handtuch mit zittriger Hand noch einmal richtete. Aufgewühlt und mit dem Gesicht auf ihren Schoß gerichtet, erzählte sie Bridget, was vorgefallen war, während dabei unaufhörlich weiter stumme Tränen sich ihren Weg über ihre Wangen bahnten. Im ersten Moment war ihre Freundin sprachlos, was sich jedoch schnell in Wut umwandelte, denn auch sie hatte Rob so nicht eingeschätzt. Doch je mehr Emma von seinem Verhalten beschrieb und gleichzeitig von ihren Gefühlen, die ein absolutes Chaos waren, erzählte, umso beruhigender wirkten Bibis Worte auf sie. Emma spürte, wie gut es ihr tat, ihr Leid ihrer Freundin mitzuteilen, auch wenn bei jedem Wort sich ihr Magen zuzog. Gleichzeitig fühlte sie aber, wie eine fast schon unsichtbare Last ihre Seele, ein Stück weit, wieder freigab. „Emma, du musst mit ihm reden“, hörte sie Bridget sanft auf sie einreden. „Du kannst morgen nicht einfach abfliegen, ohne es geklärt zu haben. So wie sich das alles anhört, glaub ich nicht, dass er wirklich was mit Tanya hat. Klar, er hat sie geküsst, aber glaubst du wirklich, er rennt dir die halbe Stadt hinterher, wenn da mehr zwischen ihnen wäre?“ Die Worte stimmten Emma nachdenklich, denn von dieser Seite hatte sie die Sachlage noch gar nicht betrachtet. Ja, er war völlig aufgelöst und verzweifelt gewesen, als er sie in der Gasse gefunden hatte. Sie hatte seinen Schmerz gespürt, den auch sie selbst umgab. Wie gern wollte sie es glauben, dass es wirklich so war. Dass alles nur ein riesen Fehltritt und Missverständnis war. Natürlich wäre es genauso schmerzhaft und sie wusste nicht, wie sie damit umgehen würde, aber es würde eine ganz andere Ausgangslage sein – denn das würde bedeuten, dass er sie wirklich noch lieben würde. Aber was, wenn es nicht so war?
„Ich weiß es ja nicht. Das macht mich doch so fertig. Bibi, was ist, wenn er mir nur etwas vorspielt. Mich in Sicherheit wiegen will – und mich gar nicht wirklich mehr liebt?“, platzte sie mit ihren Gedanken raus, die ihr direkt die nächsten Tränen in die Augen trieben, während sie mit einer Hand unruhig am Badetuch rum nestelte.
„Mausel, du kannst es nicht wissen, oder dir deiner und seiner Gefühle klar sein, solange du nicht mit ihm gesprochen hast. Hör dir in Ruhe an, was er dir zu sagen hat, und vertraue auf dein Gefühl. Das hat dich bis jetzt doch noch nie im Stich gelassen.“ Wie wahr, doch die Worte ihrer Freundin waren, denn auf ihr Gefühl war bislang immer verlass gewesen. Wie sie gerade wieder schmerzlich erfahren musste. Nur aktuell konnte sie nicht mal darauf vertrauen, denn es glich einem absoluten Chaos.
„Ja, du hast recht. Ich werde mit ihm reden. Morgen früh“, sagte sie zögerlich, denn wirklich überzeugt war sie noch nicht, auch wenn Bridget recht hatte. Sie musste mit Rob reden, nicht nur um ihm eine Chance zu geben, sondern auch ihrer selbst wegen. Ihre erste Reaktion war die Flucht gewesen, aber sie wusste, sie müsste sich der Situation – ihm und ihrer Angst stellen. Auch, wenn es ihre letzte Kraft kosten würde und sie keine Ahnung hatte, wie sie die Aussprache überstehen sollte. Die Ungewissheit sowie die Panik vor dem, was sie noch erwartete, lähmte ihren Verstand und sie spürte abermals den Knoten in ihrem Hals, der immer mehr anschwoll.
„Gut, Süße. Hör auf dein Gefühl und vor allem auf dein Herz. Vergiss das nicht. Und wenn irgendwas ist – melde dich bei mir. Ich bin immer für dich da. Egal wann. Versprichst du mir das?“
„Ja … ich verspreche es dir und … danke Liebes, dass du mir zugehört hast. Ich habe dich lieb“, murmelte sie leise in den Hörer, als sie kurz darauf einen leisen Seufzer von Bibi vernahm, bevor sie sich verabschiedete. „Ich habe dich auch lieb. Melde dich morgen. Gute Nacht, Mausel.“
„Gute Nacht, bis morgen.“
Langsam klappte Emma das Handy zu und legte es neben sich aufs Bett. Ihr hatte das Gespräch mit ihrer Freundin gutgetan, auch wenn es ihr nicht den Schmerz genommen sowie ihr Gefühlschaos aufgelöst hatte, aber sich alles von der Seele zu reden hatte ihr Erleichterung verschafft. Zumal sie Einblick von einer Außenstehenden bekommen hatte, wie Bridget die Situation empfand und ihr ein Teil ihrer Angst sowie Zweifel etwas nehmen konnte, auch wenn sie nicht gänzlich verschwunden waren. Aber ihre Freundin hatte ihr eine andere Seite der Geschehnisse aufgezeigt, die sie in ihrer emotionalen Überforderung gar nicht wahrgenommen hatte. Es beruhigte sie ein wenig, obwohl ihr das schwierigste noch bevorstand. Das Gespräch mit Rob. Schnell schob sie den Gedanken daran beiseite, als sich der Knoten in ihrem Hals augenblicklich wieder bemerkbar machte. Sie musste jetzt versuchen, zur Ruhe zu kommen, damit sie den morgigen Tag irgendwie überstehen konnte. Emma stand auf, wickelte sich das Handtuch wieder ordentlich um ihren Körper und ging zurück ins Bad. Sie schlüpfte in ihren Pyjama, kämmte sich die Haare und schloss das Fenster. Als sie das Licht ausknipste, erstarrte sie schlagartig in ihrer Haltung, als sie sah, dass unter Robs Türschwelle Licht brannte und seine Tür ein Stück aufstand. Er war also wach und schien im Bad gewesen zu sein. Die reine Panik schoss augenblicklich durch ihren Körper, als ihr einfiel, dass ihre Tür ebenfalls die ganze Zeit offen stand.
Oh Gott, er wird doch nicht das Gespräch belauscht haben und mich beobachtet haben?
Eilig schloss sie die Tür hinter sich und krabbelte in ihr Bett. Sie mochte – Nein - sie wollte nicht weiter drüber nachdenken.
Was, wenn er sie gehört hatte?
Nur mühsam bekam sie die Decke zu fassen, zog diese bis zu ihrem Kopf hoch und versuchte irgendwie ihr Gedankenkarussell abzustellen, damit sie ein wenig in den Schlaf finden konnte. Aber immerzu kreiste es weiter seine Runden, besonders um das morgige Gespräch mit ihm. Wie sollte sie es bewerkstelligen es durchzustehen – nicht zusammenzubrechen? Die Angst vor seinen Worten – seinen traurigen Augen und auf das, was nach der Aussprache folgen würde – schnürte ihr die Brust zu. Sie umklammerte noch fester, mit den Händen, die Decke und zog die Beine an ihren Körper, bevor sie die Müdigkeit doch übermannte und sie in einen unruhigen Schlaf fiel.
Wake me up before u go go, drang schleichend eine piepsige Stimme zu Emmas Unterbewusstsein durch, doch noch bevor sie realisieren konnte, woher der Gesang kam, trällerte der Sänger fröhlich weiter.
Don't leave me hanging on like a jo-jo
Wake me up before you go go…
„So ein Scheiß, halt den Rand”, murmelte Emma mit verschlafender Stimme in ihr Kissen, aber die verdammte Melodie wollte einfach nicht verstummen. Schlagartig wurde ihr bewusst, was das eigentlich war – sie hatte vergessen, den Weckalarm auszustellen. Schlaftrunken öffnete sie die Augen, tastete nach Ihrem Handy und bereitete dem Gesang ein Ende. Seufzend ließ sie ihren Kopf zurück auf ihr Kissen sinken und starrte an die Decke. Verdammt! An Schlaf war jetzt nicht mehr zu denken. Dabei hatte sie die halbe Nacht damit verbracht, sich unruhig von einer Seite auf die andere zu wälzen und wenn sie einmal kurzweilig eingeschlafen war, wurde sie schlagartig, von Robs Bild vor ihren Augen, wieder aus dem Schlaf gerissen. Dann begann das Spielchen wieder von vorne, und als ihr schließlich vor Erschöpfung die Augen zufielen, schrillte natürlich der Wecker. Langsam richtete sie sich auf, wobei sie sich die Augen rieb, und schaute auf die Uhr. Es war 6:30 Uhr.
Super und das auf einen Samstag!
Mit einem ausgiebigen Gähnen stand sie auf, als sie einen leichten Druck auf ihrer Blase verspürte und schritt langsam rüber ins Bad. Als sie anschließend am Waschbecken stand, um sich ihre Hände zu waschen, betrachtete sie sich im Spiegel und erkannte sich fast selbst nicht wieder. Ihr Gesicht war leicht angeschwollen und ihre Augen waren noch immer vom Weinen gerötet. Sie ließ ein wenig kaltes Wasser in ihre Handinnenflächen laufen und wusch sich ihr Gesicht. Augenblicklich spürte sie, die Wohltat der Kühle und fühlte sich gleich ein wenig besser. Sie wiederholte es ein paar Mal, bis sie sich schließlich abtrocknete und sich die Zähne putzte. Als sie währenddessen den Blick durch den Raum schweifen ließ, fiel ihr auf, dass Robs Tür noch immer nicht geschlossen war. Unvermittelt begannen ihre Gefühle in ihr zu toben und sofort merkte sie, wie die Anspannung sowie die Trauer in ihrem Körper emporkroch, weil nichts mehr so war, wie vorher. Sie hatten noch immer nicht miteinander gesprochen, weil sie ihn von sich weggestoßen hatte. Gestern wollte sie nur von ihm weg – aus der Situation flüchten und hatte seine Nähe nicht ertragen, während ihr Herz dennoch nach ihm schrie.
Und heute? Heute sehnte sie sich nach ihm - nach seiner Nähe. Die schlaflose Nacht hatte ihr zwar keine Klarheit verschafft, aber ihr schmerzlich bewusst gemacht, wie wichtig Rob ihr war und dass sie nicht bereit war, ihn einfach aufzugeben. Sie liebte ihn und sie wollte ihm eine ehrliche Chance geben, alles zu erklären. Egal wie schwer es ihr fallen würde und was es für Konsequenzen mit sich bringen würde, aber sie musste es wenigstens versuchen. Sicher, sie hatte Angst, wie das Gespräch verlaufen würde und was er ihr zu sagen hatte. Allein der bloße Gedanken daran, ließ ihren Magen sich krampfhaft zusammenziehen, aber sie wusste, es war das einzig Richtige, was sie tun konnte und auch musste. Alles andere würde sie später bitter bereuen, also hatte sie sich entschlossen, den Flug erst einmal nicht umzubuchen, schließlich könnte sie dies auch später noch machen. Entschlossen spuckte sie das Wasser aus ihrem Mund und wischte ihn ab, während ihr Blick erneut zu seiner Tür schweifte.
Leise ging sie auf diese zu, während ihre Gedanken unaufhörlich in ihr kreisten.
Was er wohl gerade macht? Ob er noch schläft? Vielleicht war er auch gar nicht im Zimmer, oder …?
Vorsichtig versuchte sie, einen Blick durch den Spalt zu erhaschen, aber sie konnte nichts erkennen. Die Sehnsucht und Neugier krochen immer mehr in ihr empor, wobei sie sich nervös auf die Unterlippe biss, als sie vergebens weiter versuchte, ihn in seinem Zimmer zu entdecken. „Ich werde nur einmal kurz gucken und sofort wieder gehen“, flüsterte sie sich schließlich selbst zu und schob vorsichtig die Tür auf. Auf Zehenspitzen schlich sie in sein Zimmer und schaute sich um. Rob lag, mit dem Gesicht zu ihr gewandt, in seinem Bett und schlief. Er hatte die Arme und Beine um die Decke geschlungen und sein Kopf ins Kissen vergraben. Sein Anblick, wie er so unschuldig da lag, brachte Emmas Herz augenblicklich ins Stolpern und ließ ihre Sehnsucht nach ihm nur mehr steigern. Sein Gesicht sah so friedlich, entspannt und wunderschön aus, als er begann etwas Unverständliches zu murmeln und dabei mit dem Mund schmatzte. Es ließ Emma schmunzeln, denn es sah einfach zu niedlich aus, wie er dabei das Gesicht verzog. In diesem Augenblick erkannte sie wieder ihren Rob, den sie so liebte und der ihr immer das Gefühl geben hatte, sie genauso zu lieben - nicht den Rob, der ihr gestern so fremd vorkam und ihr so weh getan hatte. Sie blieb eine Weile vor seinem Bett stehen und sog den Moment, der kleinen heilen Welt, in sich auf, als sie ihn weiter beobachtete. Erst jetzt bemerkte sie, wie blass und fertig er aussah. An ihm schien die Situation und Nacht genauso wenig spurlos vorbei gegangen zu sein, wie an ihr. Leise seufzte sie und wäre gerne zu ihm ins Bett gekrochen, um sich an ihn zu kuscheln, so wie sie es oft in der Vergangenheit getan hatte. Es versetzte ihr ein Stich ins Herz, dass sie nicht in der Lage war, ihn einfach in den Arm zu nehmen und der Gedanke, dass sie es vielleicht nie wieder tun könnte, schnürte ihr zudem die Kehle zu. Mit gesenkten Kopf, drehte sie sich geräuschlos um und schlich leise zurück zur Tür. Als sie gerade das Bad erreicht hatte und die Tür hinter sich, zu ziehen wollte, hörte sie plötzlich Robs leise Stimme hinter sich. Abrupt blieb sie, mit der Klinke in der Hand, in ihrer Haltung verharrt stehen und erschrak so sehr, dass ihr Herz für einen Moment aussetzte.
„Emma?“
Kapitel 13
Aussprache
„Emma?“
Robs Stimme klang leise und rau, was Emma hoffen ließ, dass er nur im Traum mit ihr sprach, während sie weiter wie erstarrt im Türrahmen stand und sich nicht traute, auch nur einen Atemzug zu machen.
Oh, bitte lass ihn träumen! Gott, tue es mir jetzt nicht an ... bitte, lass ihn träumen, ratterte sie wie ihr eigenes Mantra runter, doch es half nicht. Augenblicklich drang seine zittrige Stimme erneut zu ihr durch, wobei sie die Türklinke mit der Hand nur fester umklammerte. „Bitte bleib und lauf nicht wieder weg!“, flehte er sie an, während sie die Angst in seiner Stimme, schmerzlich vernahm. „Ich ertrag das nicht!“ Sie spürte, wie bei seinen Worten, sich ihr Kloß im Hals schlagartig wieder bemerkbar machte und ihre Handinnenflächen feucht wurden. Unentschlossen, wie sie reagieren sollte, biss sie sich auf die Unterlippe, als sie sich nicht einen Millimeter rühren konnte.
Verdammt! Warum war sie nur in sein Zimmer gegangen? Warum musste sie ihrem Drang nachgeben, um ihn zu sehen?
Sie fühlte sich noch nicht bereit, um sich all den Antworten, auf ihren Fragen sofort zu stellen und hatte gehofft, noch ein wenig Zeit zu haben. „Emma, bitte… !“ Seine Stimme war nur noch ein Flüstern und sie hatte Mühe, ihn zu verstehen, während sie kurz die Augen schloss. Bevor sie tiefdurchatmend den Mut fand, sich zu ihm umzudrehen. Ihr war bewusst, dass der Zeitpunkt gekommen war, wo sie sich Ihm und der Situation stellen musste. Alles andere wäre nicht fair gewesen und sein Schmerz in seiner Stimme, versetzte ihr unvermittelt kleine Stiche in ihr Herz. Doch erst sein Anblick brachte ihre Entschlossenheit sowie ihre mühsam erworbene Fassung ins Wanken. So sehr, dass sie sich mit der Hand am Türrahmen festhalten musste, damit sie sich einigermaßen fangen konnte, um nicht umgehend vor ihm zusammenzubrechen. Rob saß auf seiner Bettkante und schaute sie mit seinen blauen traurigen sowie verzweifelten Augen, müde an. Der Glanz und das Strahlen, welche immer in ihnen geschimmert hatten, waren vollkommen erloschen. Er war kreidebleich und seine Tränensäcke waren angeschwollen, während seine langen blonden Haare wild in allen Richtungen abstanden. Ihn so zu sehen, tat ihr unerwartet schrecklich weh, so sehr, dass sie augenblicklich das Bedürfnis verspürte, zu ihm rüberzugehen und ihn fest in den Arm zu nehmen. Doch sie konnte es nicht. Es gab einen Teil in ihr, der sie schmerzhaft spüren ließ, wieso sie sich in dieser verfahrenen Situation befanden. Es vergingen unendlich lange Sekunden, wo ihre Blicke verunsichert ineinander verharrten und keiner von beiden ein Wort verlor, bis Emma schließlich einen Schritt auf Rob zu machte. „Okay, ich bleibe. Und wir reden.“
Seine Erleichterung war ihm direkt in den Augen abzulesen, während er seinen Blick nicht von ihr nahm. Doch in Emma wich schleichend ihre Entschlossenheit, dem Gefühl der Angst – Angst vor dem Ungewissen, was sie nun erwarten würde. Sie hoffte inständig, dass sie jetzt keinen Fehler beging. Vielleicht hätte sie doch noch warten sollen, schließlich war es noch früher Morgen. Sie hatten beide augenscheinlich nicht richtig geschlafen. Was, wenn das hier jetzt in einer Katastrophe endete. Zweifelnd und verunsichert, strich sie mit ihren Händen über ihr Gesicht, während sie wie verloren, mitten im Raum stand und ihr Gedankenkarussell verrücktspielte.
Oh Gott, er sah genauso schrecklich aus, wie sie sich fühlte. Wie waren sie hier nur herein geraten? Vielleicht sollte sie doch noch umdrehen und das Gespräch auf später verschieben?
Emma hatte keine Ahnung, wie sie anfangen oder was sie sagen sollte. In ihrem Kopf überschlug sich alles, während sich die Panik immer weiter ihren Weg durch ihren Körper bahnte. Langsam schritt sie auf Rob zu, der noch immer auf seinem Bett saß, wobei er sie weiter mit einem unsicheren Blick ansah. Sie konnte keinen einzigen klaren Gedanken fassen, als sie schließlich bei ihm ankam und ihre Knie gefährlich zu zittern begannen. Für einen kurzen Moment überkam sie erneut das Bedürfnis flüchten zu wollen, und sie war kurz davor sich umzudrehen und aus dem Zimmer zu rennen.
Nein, du bleibst und ziehst das jetzt durch! So kann es nicht weiter gehen ... sieh ihn dir und dich mal an! Ihr müsst das jetzt klären!, ermahnte sie sich selbst in Gedanken, während sie sich, auf die Unterlippe beißend, neben ihm auf die Bettkante niederließ. Mit gesenkten Kopf, schaute sie auf ihre Knie und nestelte am Saum ihres T-Shirts. Ohne dass sie auch nur einen Ton herausbekam, während ihr das Herz bis zum Hals schlug.
Für ein paar schier unendliche Sekunden oder Minuten brach eine unangenehme Stille über sie herein, wo keiner von beiden ein Wort sprach. Doch Emma spürte abermals, immer wieder, seine Blicke auf ihr ruhen, während sie unbeirrt auf ihren Schoß starrte. Er schien genauso nach den richtigen Worten zu suchen und nicht zu wissen, wie er beginnen sollte. Sie konnte nicht einschätzen, wie lange sie schweigend so dasaßen, bis sie die eigenartige Spannung, die sich zwischen ihnen immer weiter aufbaute, nicht mehr ertragen konnte. Mit einem tiefen Atemzug und geschlossenen Augen, um den Mut zu finden, wollte sie gerade das Wort ergreifen, als unvermittelt seine zögerliche Stimme zu ihr durchdrang.
„Es … tut mir leid, dass ich dir so weh getan habe.“
Rob sprach so leise, dass sie Mühe hatte ihn richtig zu verstehen, wobei seine Worte sie mitten in ihr Herz trafen. Zögerlich und mit pochenden Herzen, hob sie ihren Kopf an, bis ihre Blicke aufeinandertrafen. Augenblicklich spürte Emma wieder dieses berauschende Kribbeln in ihrem ganzen Körper, welches sie schon damals bei ihrem ersten Aufeinandertreffen verspürt hatte. Aber dieses vertraute Gefühl verflog schlagartig, als sie die Traurigkeit und Angst, die in seinem Blick lag, erkannte.
Wie konnte das alles passieren? Warum konnte nicht einfach alles gut sein? Wieso taten sie sich beide so weh?
„Ich wollte das wirklich nicht, du musst mir bitte glauben. Ta …“
„Du hast sie geküsst, Rob.“, unterbrach sie ihn abrupt, denn sie konnte ihren Namen aus seinem Mund nicht ertragen, ohne dass die Bilder vor ihr geistiges Auge schossen. „Was wolltest du davon nicht? Ich habe es doch gesehen!“ Emma merkte, wie in ihr schlagartig die Wut emporkroch und versuchte, das Gefühl zur Seite zu schieben. Aber es gelang ihr nur miserabel, da sie ihn aufgebracht anfunkelte. Doch es durfte nicht in einem Streit ausarten, sie wollte schließlich eine Erklärung. Egal wie sehr sie auch die Wahrheit verletzen würde, also versuchte sie, ihren Ärger weiter zu unterdrücken und wandte den Blick von ihm ab. Erschrocken von ihrer Reaktion stand Rob auf und fuhr sich nervös mit der Hand durch sein zerzaustes Haar, während er nach Worten ringend durchs Zimmer marschierte.
„Ja, verdammt! Ich habe sie geküsst!“, ließ er den Donnerschlag mit einer aufgewühlten Stimme auf Emma los. Er ärgerte sich so dermaßen über sich selber und seinem Handeln, dass er es nicht schaffte, seinen Gram zu unterdrücken. „Und verdammt, ich kann es mir nicht erklären, wie es dazu kam, Emma!“ Er machte kurz eine Pause, während sie weiter auf seinem Bett saß und versuchte seine Worte zu begreifen. „Wie kann man sich das nicht erklären? Ich versteh das nicht, Rob!“, fragte sie schließlich ebenfalls aufgebracht und schaute ihn mit gerunzelter Stirn an, während sich die Wut in ihr nicht weiter zur Seite schieben ließ.
Was fiel ihm ein, in so einem Tonfall mit ihr zu reden? War sie es gewesen, weshalb sie hier in der Situation waren?
„Ich weiß nicht, was mich dazu gebracht hat, das habe ich doch gerade gesagt. Das Einzige, was ich weiß, ist, dass ich für Ta…“
„Sprich ihren Namen nicht aus“, spie sie ihm deutlich schärfer entgegen, als sie es eigentlich beabsichtigt hatte, und Rob zuckte unter der unerwarteten Härte in ihrer Stimme kurz zusammen, als er sich erneut mit der Hand durch sein Haar fuhr. Das lief nicht gut. Er musste sich versuchen zusammenzureißen. Er durfte seinen Ärger, den er gegen sich selber hegte, nicht Emma spüren lassen. Er rieb sich mit der Hand übers Gesicht, wobei er versuchte, seine aufkommende Panik von sich abzuschütteln, bevor er gefasster weitersprach. „Ich ... Emma … Ich empfinde nichts für … T... für Sie! Nur Freundschaft. Ich weiß, dass es dafür keine Entschuldigung gibt. Aber…“
„Was aber? Wie kann man jemanden so leidenschaftlich küssen, ohne das Geringste für denjenigen zu empfinden?“ Emma war so schnell auf den Beinen und stand aufgebracht vor ihm, während ihr Puls vor Wut raste, dass sie keine Chance hatte, sich selbst zurückzuhalten. Das lief gerade in die völlig falschen Bahnen, das war ihr bewusst und ihr Magen verkrampfte sich schmerzhaft. Aber seine Worte – sein Rumgestammel und seine fadenscheinigen Erklärungsversuche, brachten sie auf hundertachtzig.
Wollte er sie für dumm verkaufen?
„Erklär es mir!“, forderte sie mit einem stechenden Blick auf ihn gerichtet, während er nur, wie vom Donner gerührt vor ihr stand und aschfahl wurde. Sie meinte, ein leises Seufzen gehört zu haben, als er sich plötzlich aus ihrem Blick befreite und mit gesenkten Kopf an ihr vorbeiging.
Oh Gott, hatte sie den Punkt getroffen? Würde er ihr jetzt alles beichten? Würde das jetzt das Ende bedeuten?
Augenblicklich wandelte sich ihre Wut in eine ausgewachsene Angst. Angst, mit ihrem Ausbruch etwas losgetreten zu haben, was sie unter keinen Umständen wollte. Auch, wenn sie nicht wusste, wie sie mit seinem vermeidlichen Fehltritt – wenn es einer wahr – umgehen konnte, liebte sie ihn doch... Aber, wenn er ihr jetzt gestehen würde, dass da doch etwas zwischen ihm und dieser – nein, sie konnte den Namen nicht mal denken - sein sollte, würde das ihr Ende bedeuten. Mit zittrigen Knien drehte sie sich zu ihrem Freund um, der mit dem Rücken zu ihr gewandt dastand und den Kopf immer noch zum Boden gerichtet hatte, während seine Hand zum wiederholten Male durch sein Haar glitt. Er sah so niedergeschlagen aus, was ihr unerwartet die Brust zuschnüren ließ.
Warum sagte er nichts mehr? War sie zu weit gegangen? Aber sie wollte doch nur verstehen. Eine Erklärung. Suchte er nach Worten um ihr mitzuteilen, dass all ihre Gedanken wahr waren? Dass er sie nicht mehr liebte?
Sie wollte gerade ein Schritt auf ihn zu machen, als er plötzlich leise zu sprechen begann.
„Wie soll ich es dir erklären?“, hörte sie ihn und sie spürte, wie die Panik versuchte, ihren Körper zu beherrschen, als sich langsam alles um sie herum zu drehen begann.
Oh bitte, sag es nicht!
„Ich habe die ganze Nacht nachgedacht…“ Mit weichen Knien ging sie auf sein Bett zu und ließ sich auf die Matratze fallen, während ihr die Angst, die Kehle zu schnürte. Rob drehte sich zu ihr um, wobei er den Augenkontakt zu ihr mied, als er zögerlich fortfuhr. „… wie ich es dir erklären kann, wenn ich es selbst nicht verstehe. Emma, bitte… hör mir bis zu Ende zu, bevor du mich verurteilst“, sagte er mit einer unsicheren Stimme, als er ihr schließlich eindringlich in die Augen schaute. Emma bemerkte sofort, die Ratlosigkeit und Verzweiflung, die in seinem Blick lag und konnte nur stumm nicken, bevor er erneut unruhig durch den Raum lief. Sie traute sich kaum zu atmen, als sie seiner Erklärung voller Furcht, lauschte.
„Also, ich fang von vorne an.“ Er räusperte sich und rieb sich mit der Hand noch einmal über sein Gesicht. „Wir hatten diesen Agenten in der Garderobe, der mir und …“, er stockte, als er merkte, dass er den Namen aussprechen wollte und warf einen besorgten Blick auf seine Freundin, die ihn verängstigt anschaute. „… Na ja ihr, einen Vertrag angeboten hat. Wir konnten es gar nicht fassen. Er hatte uns die Visitenkarten in die Hand gedrückt und ist dann gegangen. Ich stand wie erstarrt da und ... sie auch. Ich weiß nicht für wie lange, aber es war unbegreiflich.“ Noch immer tigerte er durch den Raum und warf nur ab und an einen Blick auf seine Freundin, während er weiter versuchte zu erklären, was passiert war. „Ich war voller Euphorie, allein wegen der gelungen Premiere und dann dieses Angebot, da habe ich sie vor lauter Übermut gepackt, hochgehoben und meine Freude herausgeschrien, während ich mich mit ihr gedreht habe.“ Robs Stimme wurde immer zögerlicher und er senkte den Blick zu Boden, während er weiter unruhig umherlief. Vor lauter Scham und Angst, konnte er Emma bei dem schwierigsten Teil seiner Erzählung nicht anschauen. „Als ich sie dann wieder abgesetzt hatte, spürte ich plötzlich ihre Lippen auf meinen. Glaub mir, ich war völlig überrumpelt und ich habe sie direkt weggestoßen. Und Himmel Herrgott, ich weiß nicht, warum … weshalb … aber, als sie es erneut versuchte, habe ich es zugelassen ... Vielleicht war es der Enthusiasmus oder die Euphorie? Ich habe verdammt noch mal keine Ahnung! Nur eins weiß ich ganz genau ... Liebe war es sicher nicht!“ Seine Stimme brach immer wieder ab, während er sich verzweifelt versuchte Emma zu erklären, doch seine letzten Worte waren fest und klar zu verstehen, als er vor ihr stehen blieb und ihr erneut eindringlich sowie ängstlich in die Augen schaute.
Emma saß nur regungslos auf der Bettkante und starrte ihn, ratlos sowie überfordert an, während sie unaufhörlich den Saum ihres Oberteils mit den Fingern weiter malträtierte. In ihr tobten erneut die Gefühle und ihre Gedanken überschlugen sich, während sie sein Gesagtes versuchte zu begreifen. Wie sollte sie reagieren? Konnte sie seinen Worten Glauben schenken? Wusste er wirklich nicht, wie ihm das passieren konnte oder versuchte er, sich das selbst einzureden? Sie merkte, wie sich in ihrem Kopf alles zu drehen begann. Denn all das aus seinem Mund zu hören, ließ das Geschehene nur deutlicher in die Wirklichkeit rücken, wobei sich ihr Magen abermals krampfhaft zuzog. Viel zu langsam sickerten Robs Worte zu ihr durch, während diese wie ein Echo in ihren Ohren hallten.
„Ich habe sie geküsst ... Liebe war es sicher nicht!“
Was meinte er damit? Ihr Gedankenkarussell versuchte, weiterhin in Spur zu kommen, während sie immer noch nicht fähig war zu reagieren, geschweige denn etwas zu erwidern. Wie gern würde sie ihm glauben, dass es ein Fehltritt war und keine Gefühle dahinterstecken würden. Schleichend fiel das Gefühl der Angst von ihr ab und die Hoffnung kroch langsam in ihr empor. Auch, wenn sie noch nicht wusste, was es für sie bedeuten würde.
Ob sie mit seinem Ausrutscher umgehen konnte?!
„Emma, sag doch was, bitte?“, drang seine leise Stimme zu ihr durch, während ihr Blick starr an die Wand gerichtet war. Sie hatte in ihren Gedanken verloren, überhaupt nicht mitbekommen, dass er sich neben sie gesetzt hatte. Verwundert drehte sie den Kopf in seine Richtung und schaute augenblicklich in sein erwartungsvolles sowie ängstliches Gesicht. Er war immer noch blass und in seinem Blick lag weiterhin die Verzweiflung. Sie spürte, seinen warmen Atem an ihrem Gesicht, der ihr einen kleinen Schauer über den Rücken laufen ließ, so nah saß bei ihr. „Was … Was meinst du damit, es war keine Liebe?“, brachte sie schließlich unsicher über ihre Lippen.
„Ich liebe sie nicht, Emma“, antwortete er, ohne zu zögern und mit einer festen Stimme, wobei er den Augenkontakt nicht abbrach. „Ich weiß, ich habe dich sehr verletzt.“ Er musste schlucken und hatte Mühe, Emma weiter anzuschauen, denn zu sehr hatte er vor ihrer Reaktion Angst, oder vor dem, was er in ihrem Blick erkennen könnte, wenn er weitersprach. Langsam senkte er den Kopf zu seinem Schoß, während er nach den richtigen Worten suchte. „Ich kann dir gar nicht sagen, wie unendlich leid mir das tut. Ich wollte dir niemals wehtun. Als du gestern vor mir weggelaufen und mich dann von dir weggestoßen hast, habe ich den schrecklichen Schmerz und die Angst, dich zu verlieren gespürt. Dass du ausgerechnet vor mir geflüchtet bist, wo ich immer deine Zuflucht sein und dich beschützen wollte, habe ich nicht verkraftet. Emma, ich will dich nicht verlieren – ich kann dich nicht verlieren“, sagte er mit einer erstickten Stimme und sie meinte, einen schmerzlichen Seufzer gehört zu haben, als sich schleichend seine Worte mitten in ihre Seele trafen. Er klang aufrichtig und ehrlich und sie spürte den Schmerz, der ihn umgab. Während er weiterhin mit gesenkten Blick neben ihr saß und sie vollkommen im Emotionswirrwarr geraten ließ.
Mal wieder! Konnte das nicht mal aufhören?
Sie versuchte, in sich und auf ihr Gefühl zu hören, aber es war alles völlig aus der Bahn geraten. Ihr Herz schrie sie förmlich an „Glaub ihm“ und ihr Verstand schien sich verabschiedet zu haben, als sie sich selbst leise sagen hörte: „Ich will dich auch nicht verlieren!“ Überrascht, dass sie ihre Empfindung ausgesprochen hatte, riss sie die Augen etwas weiter auf und wartete auf seine Reaktion, die umgehend folgte. Ihre Blicke trafen aufeinander und Emma sah in seinen wunderschönen topasblauen Augen, wie darin die Hoffnung aufblitzte. „Aber… wie kann ich dir noch vertrauen? Ich weiß nicht, ob ich das schaffe.“ Anscheinend hatte sich ihr Verstand wieder zurückgemeldet, als sie ihm umgehend ihre Bedenken entgegnete. Unvermittelt spürte sie, wie Rob zaghaft ihre Hand in seine legte, was sie bei der unerwarteten Berührung im ersten Moment zusammenzucken ließ. Doch sie zog sie nicht weg, als seine Finger ihre Hand fest umschlossen und sie, in seinen Augen, wie gefangen war. Unsicher, was sie erwarten würde, biss sie sich erneut auf die Unterlippe, während ihr das Herz weiter bis zum Hals schlug. Sie wäre ihm am liebsten direkt um seinen Hals gefallen und hätte ihm vergeben wollen, als sie weiter seinen Worten lauschte. Wenn da nur nicht noch immer diese Zweifel gewesen wären, die sie nicht loslassen wollten.
„Bitte, gib mir eine Chance, dein Vertrauen zurückzugewinnen. Der gestrige Abend und die Nacht waren die schlimmste Zeit meines Lebens, als ich den Schmerz und die Angst spürte, dich verloren zu haben. Zu wissen, dass ich an deinem Leid schuld war, habe ich kaum ertragen.“ Er machte eine kleine Pause, als seine Stimme drohte unter seinen Emotionen einzubrechen, während sein Puls vor Angst raste. Er hoffte inständig, dass sie ihm eine Chance geben würde, um ihr Vertrauen zurückzugewinnen - ihr zu zeigen, wie viel sie ihm bedeutete. „Emma, als ich dich gestern Nacht habe weinen hören und ich dich nicht habe trösten dürfen, hat mich das innerlich fast zerrissen. Ich wollte dir niemals so wehtun. So was werde ich uns nie wieder antun. Du bist mein Leben! Ich möchte dein Fels sein, dich glücklich machen und nicht der Grund sein, dass es dir schlecht geht. Ich liebe dich… so wie ich niemals jemand anderen geliebt habe. Bitte gib uns noch eine Chance!“ Obwohl seine Stimme vor Aufregung bebte, waren seine Worte klar sowie deutlich zu verstehen und trafen mit voller Wucht ihr Herz sowie Seele. Unendlich viele Sekunden vergingen, während ihre Blicke ineinander verharrten, als sie versuchte, seine überwältigende Bitte zu begreifen. Emma konnte in seinen Worten die Angst hören und die enorme Furcht, sie bereits verloren zu haben, sehen - solche, wie sie selbst die Nacht ausgestanden hatte. Sie umgab ihn wie eine schleierhafte Hülle. Aber gleichzeitig erkannte sie auch die unendliche Wärme und Liebe – die ihr galten – in seine topasblauen Augen, während ihr vor Rührung stumm die Tränen übers Gesicht liefen. Ihr Gefühlskarussell drehte noch immer unruhig seine Runden, während sie krampfhaft versuchte, in sich hineinzuhören.
Konnte sie seinen Worten glauben? Sie fühlte seine Liebe. Sie sah seinen Schmerz. Konnte sie sich selbst trauen? Schaffte sie es, all ihre Zweifel abzulegen?
Wie gern wäre sie in der Lage, alles einfach zu vergessen und dort weiter zu machen, wo sie vor ein paar Tagen aufgehört hatten - als alles noch so unbeschwert zwischen ihnen war. Sie hörte ihr Herz unaufhörlich in ihr weiter schreien: „Ja! Verdammt noch mal JA!“ Während sich ihr Verstand abermals aus dem Staub gemacht hatte und sie keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Doch allein die Vorstellung, dass sie nicht fähig sein könnte, ihm erneut ihr Vertrauen zu schenken, und ihn somit aufgeben müsste, schnürte ihr krampfhaft die Brust zu. Als ihr erneut eine Träne aus dem Auge schlüpfte, fühlte sie unvermittelt Robs Finger an ihrer Wange. „Babe, nicht mehr weinen. Bitte!“, bat er sanft, während sein Daumen zärtlich die Träne von ihrem Gesicht strich. Emma hatte keine Ahnung, wie lange sie in ihren Gedanken versunken vor ihm gesessen hatte, ohne dabei fähig gewesen zu sein, auf irgendeiner Weise zu reagieren, als sie schließlich stumm nickte und sich dabei aus seinem Blick befreite. Langsam zog sie ihre Hand aus seiner zurück und spürte augenblicklich seine Angst und Verwirrung, als sie einen Moment die Augen schloss und tief durchatmete. Sie wusste, dass sie ihn genauso wenig verlieren konnte, wie er sie. Das würde ihr Ende bedeuten. Leise lauschte sie ihrem Herzschlag, der immer wieder ins Stolpern geriet, während in ihren Ohren seine Worte widerhallten, die ihre Seele tief berührten. Sie atmete noch einmal durch, als sie ihren Entschluss fasste und sich langsam wieder Rob zuwandte, der sie weiterhin mit einem ängstlichen Blick anschaute. Sanft legte Emma ihre Hand auf seine Wange, wobei sie ihn liebevoll und mit pochendem Herzen in seine Augen schaute, die ihr kurz den Atem nahmen.
„Rob, ich liebe dich auch. So sehr, dass ich dich jede Sekunde schrecklich vermisse“, flüsterte sie mit einer weichen Stimme, während sie ihm ein kleines Lächeln schenkte. „Ich hätte nie geglaubt, dass mir so was Wunderbares jemals widerfahren würde. Aber ich habe auch nicht geglaubt, dass mir so was, wie gestern Abend passieren könnte…“ Sie kam kurz ins Stocken, als sie den Schmerz in seinen Augen aufblitzen sah, und strich sanft mit der Hand über seine Wange. „Du hast mir sehr weh getan und ich weiß nicht, ob ich dir verzeihen und wieder vertrauen kann. Das Schlimmste, was mir gestern den Boden unter den Füßen weggezogen hat, war, dass ich glaubte, du würdest mich nicht mehr lieben…“
„Emma“, versuchte Rob sie augenblicklich zu unterbrechen, doch sie legte ihm schnell ihren Zeigefinger auf die Lippen, was ihn sofort verstummen ließ. „Doch heute sehe und spüre ich, dass ich mich getäuscht habe und das gibt mir die Hoffnung, dass ich es schaffen kann. Das wir es schaffen können. Ich möchte uns die Chance geben. Rob, du bist meine Liebe, die ich nicht einfach aufgeben kann. Ich liebe dich!“ Emma merkte, wie die Anspannung direkt von ihr abfiel, während sie Rob liebevoll in seine, feucht schimmernden, Augen schaute.
War er gerührt?
Unvermittelt schlang er seine Arme um ihren Körper, zog sie an seine Brust und vergrub sein Gesicht in ihrer Halsbeuge, als er ein leises „Gott, Emma“ hinein schluchzte. Sie legte ihre Hände auf seinen Rücken und drückte sich noch enger an ihn, während sie mit einem tiefen Atemzug seinen Duft in sich aufsog. Die Erleichterung und das Glück durchströmten ihren Körper, Rob endlich wieder spüren, riechen und so nah sein zu können. Sie hatte ihr Herz sprechen und entscheiden lassen. Und all jenes, was sie gerade gesagt hatte, entsprach der Wahrheit – nichts als der reinen Wahrheit, was sie für ihn empfand. Auch, wenn ihre Zweifel immer noch all gegenwärtig waren, ob sie es wirklich schaffen würde zu vergessen. Verzeihen ja, irgendwann – aber vergessen? Ihr war bewusst, dass es nicht einfach werden würde, das Vertrauen zu ihm wieder aufzubauen, gerade bei der Entfernung, aber sie musste es versuchen. Sie glaubte ihm und war sich sicher, alles andere würde sie bitter bereuen und versuchte, die Bilder sowie das Geschehene in den Hintergrund rücken zu lassen, damit es wieder Platz für ihre Liebe gab. Sie genoss jeden klitzekleinen Moment seiner Nähe, die sie so lange nicht spüren konnte und wonach sie sich so gesehnt hatte.
„Ich hatte solche Angst, dich zu verlieren“, hörte sie ihn erneut leise in ihre Halsbeuge schluchzen. Weinte er?
„Und ich hatte Angst dich schon verloren zu haben“, hauchte sie mit einer brüchigen Stimme, als sie spürte, wie auch ihr die Tränen emporkrochen. Langsam löste er sich aus ihrer Umarmung, um ihr in die Augen schauen zu können, bevor er sanft mit dem Daumen über ihren Wangenknochen strich. „Ich bin hier, bei dir. Ich werde dich nicht verlassen, denn dafür liebe ich dich viel zu sehr. Du bist mein Leben – egal wie weit weg du bist. Du bist immer bei mir.“ Er zog mit der anderen Hand, die Kette unter seinem T- Shirt hervor und legte den Anhänger, mit der Hand umschlossen, an sein Herz. Behutsam beugte er sich zu ihrem Gesicht herunter, um ihr einen sanften Kuss auf den Mund zu geben. Als Emma seine warmen sowie weichen Lippen auf die ihren spürte, schloss sie augenblicklich ihre Augen und schmiegte sich noch enger an seiner Brust. Seine Berührung, wie seine Hände sanft über ihren Rücken fuhren, ließ ihr einen wohlig warmen Schauer durch ihren Körper strömen. Zaghaft strich er mit der Zunge über ihre Lippen, als sein Mund sich noch drängender an ihren presste. Sofort gebot Emma ihm Einlass und als endlich ihre Zungen aufeinandertrafen, wandelte sich der anfängliche sanfte Kuss in einen Verlangenden. In ihrem Kuss lag all ihre Erleichterung, die von ihr abgefallene Verzweiflung und die tiefe Sehnsucht ihn noch näher an sich zu spüren. Verlangend presste sie ihr Becken noch näher an seinen Körper, während sie ihre Arme von seinem Rücken nahm und um seinen Hals schlang. Rob ließ sich ebenfalls, mit all seiner Hingabe, in ihren Kuss fallen, fasste ihr an die Taille und hob sie ein Stück hoch, ohne dabei die Lippen von den ihren zu nehmen. Ein leises Stöhnen entwich ihm in ihren Mund, als sie sich sanft auf seinen Schoß niederließ und sich ihre Hände dabei wie wild durch sein Nackenhaar wühlten. Dieses Gefühl der neu aufkommenden Lust sowie dieser intensiven Leidenschaft, war überwältigend und vernebelte ihre Sinne. Sie drückte ihr Gesicht noch näher an seines, während ihre Hände ungehemmt durch sein Haar wüteten und ihr Herz sowie Puls in ihr rasten. Sanft aber zugleich auch wild wanderten seine Hände vom Rücken hinauf zu ihrem Nacken, wobei ihr diesmal ein Seufzen in seinem Mund entwich. Ihre Zungen spielten stürmisch miteinander, als Emma vor Erregung den Rücken leicht durchbog, während Rob mit seinen Fingern ihre empfindliche Stelle im Nacken malträtierte. Völlig atemlos ließen sie schließlich widerstrebend voneinander ab, als sie erschöpft zurück auf die Matratze sanken. Emma ließ sich neben ihm gleiten, legte ihren Kopf auf seine Brust und schlag ihren Arm um seinen Bauch. Während Rob sie fester an sich drückte und sein Gesicht in ihre Haare vergrub, um ihren Duft, mit geschlossenen Augen, in sich aufzunehmen.
Sie langen einen Moment eng umschlungen, schweigend und überwältigt von ihren Emotionen da, wobei sie versuchten, ihre Gedanken und Empfindungen zu ordnen. Beide durchflutete das Glücksgefühl, den jeweils anderen nicht verloren zu haben. Auch, wenn sie nicht wussten, wie es weitergehen, - wo sie der Weg hinführen würde- zählte in diesem Augenblick nur ihre Liebe und das Wissen, dass sie für diese und für den anderen alles geben würden.
Sie hatten den ersten großen Sturm überstanden, oder?!
Sanft hauchte Rob ihr einen Kuss aufs Haar, während sie ihm zärtlich über seinen Arm streichelte. „Ich liebe Dich“, flüsterte sie an seine Brust, während sie seinem rhythmischen Herzschlag lauschte.
„Und ich liebe Dich“, murmelte Rob in ihr Haar und schmiegte sich noch enger an ihren Körper, bevor sie eng einander gekuschelt, schleichend in den lang ersehnten und erholsamen Schlaf glitten.
Kapitel 14
Kleine Schritte
Schlaftrunken öffnete Rob seine Augen und spürte den flachen, warmen Atem von seinem Mädchen an seiner Brust. Augenblicklich schoss eine Welle des Glücks und Erleichterung durch seinen Körper als er langsam realisierte, dass sie noch immer bei ihm war. Vorsichtig drückte er Emma noch ein Stückchen fester an sich, während er seine Nase in ihr Haar vergrub, um ihren Duft tief einzuatmen. Sie roch so gut und er spürte, wie jede Zelle in seinem Körper vor lauter Glück zu tanzen begann. Noch immer konnte er nicht glauben, dass sie wieder in seinen Armen lag und all seine Ängste, wie eine Seifenblase zerplatzen ließ. Nach alldem was vorgefallen war – was er ihr angetan hatte!
Es war sein pures Glück!
Als er an den gestrigen Abend zurückdachte, zog sich erneut und schlagartig sein Magen schmerzlich zusammen, während sich dabei das Bild mit Emmas traurigem sowie verletztem Gesicht vor sein inneres Auge schob.
Wie konnte er nur dafür verantwortlich sein? Wie konnte er ihr so weh getan haben? Er verstand es einfach nicht.
Er hatte sich nach gestern geschworen, so etwas würde er ihr – ihnen – nie wieder antun, denn allein die Nacht war die reinste Qual gewesen. Diese Gefühle und Ängste, die er ausgestanden hatte, wollte er nie mehr erleben. Allein bei der Erinnerung überrollte ihn augenblicklich wieder das lähmende Gefühl, welches ihn die ganze Nacht begleitet hatte, weil es ihm nicht erlaubt gewesen war, zu seinem Mädchen rüberzugehen und diese verdammte vertrackte Situation aufzuklären. Sie nebenan zu hören und in seinen Gedanken gefangen zu sein, mit dem Wissen, dass er für ihr Leid verantwortlich war, hatte ihn all seine Kraft gekostet. Doch als er sie bitterlich weinen gehört hatte, hatte er es einfach nicht mehr ausgehalten und war sofort zu ihr rüber gelaufen. Aber als er ihre offene Zimmertür erreicht hatte, hatte er gesehen wie sie ihren Schmerz, weinend, ihrer besten Freundin mitgeteilt hatte. Innerlich zerrissen war er hinterm Türrahmen stehen geblieben und hatte stumm ihren Worten gelauscht, wobei ihm das Herz zerbrach, als ihm bewusst wurde, wie sehr sie an ihrer Liebe - an seiner Liebe und an ihm zweifelte. Und das alles nur, wegen eines verdammten Fehlers, den er sich immer noch nicht erklären konnte. Trotz, dass er den innerlichen Drang verspürt hatte, sich ihr zu erklären, hatte er sich gezwungen, langsam und dabei innerlich am Verzweifeln, zurück in sein Zimmer zu schleichen. Er hatte die restliche Nacht nur wälzend in seinem Bett verbracht, und war immer wieder in Gedanken, den Abend durchgegangen - auf der Suche nach einer Erklärung. Warum war ausgerechnet ihm so etwas passiert, obwohl Emma sein Ein und Alles war? Die Panik, sein Mädchen bereits für immer verloren zu haben, hatte ihm seine Kehle schmerzhaft zuziehen lassen. So sehr, dass er kaum atmen konnte, ohne dass seine Brust mit kleinen Stichen malträtiert wurde. Das Schlimmste war das ohnmächtige Gefühl, dass sie ihn von sich weggestoßen hatte. Emma zu verlieren würde er nicht verkraften – das wurde ihm schmerzhaft bewusst.
Rob schüttelte die schmerzhaften Gedanken an die letzte Nacht von sich ab und sog noch einmal den lieblichen Duft seines Mädchens in sich auf, während er jede Sekunde ihrer Nähe ausgiebig genoss. Sie gab ihm noch eine Chance – eine echte Chance, ihr Vertrauen wieder zurückzugewinnen und er würde sie auf gar keinen Fall enttäuschen. Er würde um sie kämpfen, denn sie war sein Liebstes, was er hatte und den er um keinen Preis verlieren wollte. Sie war seine Vertraute, seine Geliebte und egal, was zwischen ihnen stehen würde – er würde einen Weg finden. Für sie beide! Zärtlich strich er ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht, während er sie weiter beim Schlafen beobachtete. Ihr Atem ging flach und Rob sah, wie ein kleines Lächeln über ihr Gesicht huschte, wobei sie sich noch enger an ihn kuschelte. Augenblicklich setzte sein Herz, für einen Bruchteil einer Sekunde aus, denn sie sah einfach wunderschön aus, wie sie so da lag und etwas Unverständliches an seiner Brust murmelte. Voller Liebe und Zärtlichkeit hauchte er ihr einen Kuss aufs Haar, schloss die Augen und genoss weiter ihre Nähe. Als er beinah wieder weggeschlummert war, schrillte plötzlich sein Handy aus dem Nichts laut auf und ließ ihn kurz heftig zusammenzucken. Hektisch suchte er mit den Augen den Raum nach dem klingelnden Ding ab. „Nicht jetzt. Psst, sei still!“, murmelte er vor sich hin, während er sich vorsichtig aus der Umarmung schälte und Emmas Kopf sanft aufs Kissen legte. Noch immer schrillte und vibrierte es, als er vorsichtig aus dem Bett sprang, um leise fluchend zum Schreibtisch zu hetzen. „Ich bin nicht da. Leg doch endlich auf!“, grummelte er genervt, während er hektisch auf dem Schreibtisch, unter dem unzähligen Kram, nach seinem Handy wühlte.
Warum hatte er ihn verdammt noch mal nicht aufgeräumt?
Das blöde Teil sollte unter keinen Umständen seine Freundin wecken, aber es wollte einfach nicht verstummen und anscheinend auch nicht gefunden werden.
Warum hatte er es nicht einfach stumm oder die verdammte Mailbox eingestellt gehabt?
„Fuck, wo bist du? Wo hast du dich versteckt?“, schimpfte er weiter, als er die Schreibtischschublade mit einem Schwung wieder zuschob. „Verdammt, das kann doch jetzt nicht wahr sein!“ Mit der Hand durch sein Haar fahrend stand er ratlos vor dem Tisch und versuchte, weiter den Klingelton zu lokalisieren, als ihm seine Jacke über den Stuhl ins Auge stach. Hastig kramte er, mit beiden Händen, in den Taschen, bis er das klingelnde Etwas endlich herauszog. Erleichtert das verdammte Teil endlich in den Händen zu halten, wollte er es gerade verstummen lassen, als sein Blick aufs Display fiel. Sein Atem stockte, als er erkannte, wer ihn so penetrant versuchte zu erreichen.
TANYA!
Für einen kurzen Moment zögerte und überlegte er, was er jetzt machen sollte und was sie wohl von ihm wollte, bevor er den Anruf, mit einem „Klick“, endgültig wegdrückte und sein Handy achtlos auf die Tischplatte legte. Er wollte jetzt auf keinen Fall mit ihr sprechen, denn er hatte noch keine Ahnung, wie er mit Tanya und der Situation umgehen sollte. Er hatte sich noch keinerlei Gedanken gemacht, wie er das zwischen ihnen händeln konnte, damit das Theater oder ihre Freundschaft nicht darunter litt. Außerdem hatte Tanya absolut keine Priorität für ihn, seine Gedanken und Aufmerksamkeit galt ganz allein seiner Liebsten und der Versöhnung. Das wollte er sich auf keinen Fall von irgendwem – und schon gar nicht von ihr - verderben lassen. Erst, wenn er mit Emma einen Weg für sie beide gefunden hatte, würde er sich mit ihr befassen. Dennoch fragte er sich, was Tanya ausgerechnet jetzt von ihm wollte. Wieso rief sie ihn jetzt an? Eigentlich war es nicht ihre Art und außerdem sollte die nächste Vorstellung erst in einer Woche sein. Sie wollte doch nicht etwa…?
Noch ehe er den Gedanken weiterführen konnte, drang unvermittelt Emmas schlaftrunkene Stimme zu ihm durch.
Verdammt, hatte das verfluchte Teil sie doch geweckt.
„Wer war das?“
Ertappt drehte Rob sich zu seinem Mädchen um und sah, wie sie mit zerzausten Haaren aufgerichtet auf dem Bett saß und sich ausgiebig streckte. Der Anblick zauberte ihm umgehend ein Lächeln auf seine Lippen, während er zurück zu seinem Bett ging und sich an Emmas Seite setzte. „Niemand. Hat sich anscheinend verwählt“, antwortete er zwar schnell, aber mit einem schlechten Gewissen, begleitet von einem unwohlen Gefühl in seinem Bauch. Aber er wollte nicht, dass die gerade wieder eingekehrte entspannte Stimmung, mit diesem Anruf zerstört wurde. Er hatte bei der Aussprache schon schmerzlich gespürt, dass alleine ihr Name, Emma sehr verletzte. Deshalb hatte er die Befürchtung, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt war, das Thema sofort aufzugreifen. Er wollte erst einmal die Dinge zwischen ihnen in Ordnung bringen - sie spüren lassen, dass all ihre Bedenken, was seine Liebe zu ihr betraf, unbegründet waren und die wenige Zeit, die ihm dafür blieb, musste er voll ausnutzen. Daher beschloss er, Emma vorerst nichts von Tanya zu sagen und das Thema auf später zu verschieben. Also schob er mühsam seine Bedenken zur Seite und hoffte, dass es die richtige Entscheidung war – zumindest für den Moment. „Guten Morgen, hast du gut geschlafen?“ Liebevoll strich er Emma eine Haarsträhne hinters Ohr, während er ihr einen sanften Kuss auf ihre Wange hauchte. Er versuchte sie, mit der zärtlichen Geste abzulenken, damit sie nicht weiter nachhakte. Unter keinen Umständen wollte er sie noch einmal anlügen, schließlich war das überhaupt nicht seine Art. Zu seiner Erleichterung schien es zu funktionieren, als sie sich augenblicklich an seine Brust schmiegte. „Ich habe wunderbar geschlafen. Wie könnte ich auch anders, wenn ich bei dir bin. Und du?“, gähnte sie, als er seine Arme um ihren Körper schlang und sie sich noch enger an ihn kuschelte. Ihre Worte erwärmten sein Herz und ein wohliges Kribbeln breitete sich über seinen ganzen Körper aus, während er ihr einen sanften Kuss auf ihr Haar gab. „Mir erging es nicht anders. Ich bin so froh, dass du hier bei mir bist.“ Sanft drückte er sich noch enger an Emma, als sie plötzlich mit ihrem Kopf nach oben schoss und ihn amüsiert anschaute.
„Na, gut gebrüllt, Löwe?“ Mit einer hochgezogenen Augenbraue und einem frechen Grinsen auf den Lippen schaute sie ihn an, während sie dabei die Arme vor der Brust verschränkt hatte. Oh je, sein Magen machte sich gerade auf unangenehme Weise bemerkbar, indem er laut vor sich hin grummelte. Erst in diesem Moment wurde ihm bewusst, dass er seit gestern Früh nichts mehr gegessen hatte. Er hatte Hunger!
„Lust auf ein Frühstück, Kleines? Ich scheine zu verhungern.“ Er war so schnell aus dem Bett gesprungen und hatte ihr seine Hand unter die Nase gehalten, dass sie nur amüsiert mit dem Kopf schüttelte, während sie ihre Hand in seine legte. Sanft zog er sie auf ihre Beine und hauchte ihr einen Kuss auf die Lippen, bevor sie gemeinsam hinunter zur Küche gingen.
Als sie Hand in Hand das Esszimmer betraten, saßen Richard und Clare am Tisch und schienen mit dem Frühstück bereits fertig zu sein, da sie beide mit ihren Köpfen hinter der Zeitung verschwunden waren. „Guten Morgen“, wünschte Rob fröhlich seinen Eltern, die ihn daraufhin völlig überrascht über den Zeitungsrand anschauten.
„Oh, guten Morgen ihr Zwei“, antworteten sie gleichzeitig, wobei ihnen die Verwunderung anzusehen aber die Erleichterung, dass sich die Wogen geglättet hatten, anzuhören waren. Clare legte ihre Lektüre beiseite und bot beiden einen Platz an, während Richard seine Nase wieder in den Sportteil steckte und dabei an seinem Kaffee schlürfte. Nachdem Emma und Rob sich an den Tisch gesetzt hatten, reichte ihnen seine Mutter Kaffee und Brötchen. Rob griff beherzt zu und ließ gleich zwei Scones auf seinen Teller wandern, bevor er in eins hineinbiss.
„Habt ihr gut geschlafen?“, fragte Clare, als ihr Sohn gerade dabei war, sein Stück Brötchen mit einer Ladung Kaffee hinunterzuspülen. Amüsiert schüttelte sie den Kopf und wandte den Blick zu Emma, die an ihrem Getränk nippte. „Keinen Hunger, Liebes?“
„Nein, noch nicht. Ich bin gerade erst aufgestanden, da kann ich für gewöhnlich nichts essen.“
„Ach stimmt ja. Okay, aber versprich mir später etwas zu essen. Du siehst recht blass aus.“ Die Besorgnis und ihre liebevolle Stimme, zauberte Emma ein kleines Lächeln ins Gesicht, denn sie fühlte sich hier so geborgen und geliebt wie in ihrer eigenen Familie. „Was habt ihr beiden denn heute vor?“, hörte Rob seine Mutter fragen, als er sich gerade ein weiteres Stück Brötchen in den Mund schieben wollte. Er wandte den Kopf zu Emma und schaute sie fragend an, als beide nur mit den Schultern zuckten. „Keine Ahnung, darüber haben wir uns noch keine Gedanken gemacht“, war es schließlich Rob, der antwortete, bevor er genüsslich ins Brötchen biss, wobei prompt die Marmelade aus den Seiten quoll und langsam auf seinen Teller tropfte. Seine Finger bekamen ebenfalls eine Ladung Konfitüre ab, die er direkt mit der Zunge abschleckte. Seine Freundin beobachte schmunzelnd seine Esskünste, während sie einen weiteren Schluck Kaffee trank und Claire ihn nur kopfschüttelnd ansah. „Waf?“, fragte er mit vollem Mund, als er bereits das nächste Stück Scones aß. „Junge, kannst du nicht vernünftig essen?“ Rob fuhr mit dem Kopf zu seinem Vater rum, der ihm nur einen missbilligten Blick zuwarf, während er die Zeitung neben sich auf den Tisch legte. „Bist du so ausgehungert, dass du wie ein Neandertaler essen musst? Emma, es tut mir leid, dass du den Eindruck haben musst, mein Herr Sohn bekommt sonst nichts zwischen die Zähne.“ Das Schmunzeln in seiner Stimme war nicht zu überhören und er zwinkerte ihr zu. Rob verdrehte nur die Augen, bevor er ihn leicht genervt antwortete: „Mann, Dad! Ist jetzt mal gut?“, während er dabei laut an seinem Kaffee schlürfte. Es war ja nicht so, dass seine Eltern nicht schon seit Jahren versucht hatten, ihm beizubringen, wie man mit Messer und Gabel umging. Er beherrschte es auch tadellos, aber es machte ihm einfach höllisch Spaß, sie etwas zu reizen. Jedoch schien heute der Schuss nach hinten losgegangen zu sein, denn alle saßen weiterhin entspannt am Tisch und amüsierten sich köstlich über ihn. Mit Unbehagen musste er hören, wie Clare und Richard mal wieder begannen Anekdoten über seine Kindheit zu erzählen. Ihm selber war es unfassbar peinlich und er empfand es alles andere als lustig. Besonders als sie wieder von der „Claudia-Nummer“ anfingen, die er seinen beiden Schwestern jahrelang, zu verdanken hatte. Das war ihm mehr als unangenehm und er wünschte sich, dass sich der verdammte Boden jeden Moment auftun würde. Was er aber nicht tat, denn augenblicklich hörte er, wie sie sich ausgelassen über Emmas Geburtstag amüsierten. Oh je, wie viele Jahre würde ihn das noch begleiten? Diese verflixte Mikrowellengeschichte würde wohl noch auf seinem Grabstein stehen. Seufzend stopfte er sich das letzte Stück Brötchen in seinen Mund, als er sah, wie Emma sich das breite Grinsen nicht verkneifen konnte und am Ende in ein herzhaftes Lachen übergegangen war. Sein Herz machte tausend kleine Hüpfer, als er ihr lang vermisstes Lachen wieder an ihr sehen konnte und augenblicklich verschwand der kleine Ärger über seine Eltern, während er ausgelassen ins Gelächter mit einstimmte.
Sie saßen noch eine ganze Weile beisammen, während Rob weitere drei Brötchen verschlang und vier Tassen Kaffee trank. Sogar Emma hatte später eine Schüssel Müsli verdrückt, als ihr Magen laut zu knurren begann. Die ausgelassene Stimmung tat beiden ungemein gut und ließ das Geschehene weit in den Hintergrund rücken, sodass sie sich immer wieder liebevoll und glücklich anschauten, während sie die Nähe des jeweils anderen genossen. Nach dem Frühstück, was sich eher zu einem ausgiebigen Brunch entwickelt hatte, verabschiedeten sich Clare und Richard von beiden, um sich auf dem Weg zu ihren gemeinsamen Freunden zu machen. Rob war von den Plänen besonders angetan und freute sich umso mehr, da er wusste, dass es oft spät wurde, wenn seine Eltern Phil und Anne besuchten. Und das wiederum bedeutete sturmfreie Zeit, die er ungestört mit seiner Liebsten verbringen konnte…
Als seine Eltern schließlich das Haus verlassen hatten, räumten sie gemeinsam den Tisch ab und die Spülmaschine ein, bevor sie gemeinsam in sein Zimmer hinaufgingen. Emma ließ sich direkt neben Patty aufs Bett fallen und kuschelte ausgiebig mit der kleinen Hundedame, während Rob im Türrahmen stehen blieb und sie mit einem verträumten Blick beobachtete. Er konnte weiterhin sein Glück nicht fassen und sog jeden klitzekleinen Moment, der Unbeschwertheit mit seinem Mädchen, wie ein Schwamm auf. Als ihm aber plötzlich sein Handy, was auf dem Schreibtisch lag, ins Auge stach, wich das Glücksgefühl schlagartig dem der Besorgnis. Das unangenehme Gefühl in seiner Magengrube machte sich augenblicklich wieder bemerkbar, als er erkannte, dass weitere drei verpasste Anrufe und sogar eine Nachricht eingegangen waren. Leicht verärgert griff er nach seinem Telefon, schaute auf die Anrufliste, wobei ihm ein leises Schnauben entwich, als er anschließend die Nachricht öffnete.
Warum gehst du nicht ran? Wir müssen reden, melde dich bei mir!
Tanya
Ohne, auch nur in Erwägung zu ziehen, ihr zu antworten, löschte er umgehend die Nachricht und legte das Handy, etwas unsanfter als beabsichtigt, auf die Tischplatte. Sie sollte ihn einfach in Ruhe lassen. Aufgewühlt und nicht wissend, wie er weiter handeln sollte, fuhr er sich durch seine Haare.
Verdammt, was wollte sie überhaupt? Er hatte ihr doch nie zu verstehen gegeben, dass er irgendein Interesse an ihr hegte. Aber warum in Herrgotts Namen machte sie jetzt so einen Aufstand?
Überfordert mit der gesamten Situation, bemerkte er schlagartig, wie weitreichende Folgen dieser verheerende Kuss, nicht nur für seine Beziehung zu Emma, sondern auch zu Tanya hatte. Seufzend wurde ihm bewusst, dass er mit ihr reden musste, wenn er weiter mit ihr auf der Bühne stehen und spielen wollte – sollte. Schließlich war sie seine Spielpartnerin. Allein das war schon schwierig genug, nach ihrer Aktion von gestern. Er musste irgendwie einen Weg finden, wie er einigermaßen uneingeschränkt mit ihr umgehen konnte, während er aber klare Verhältnisse und Grenzen schaffte. Sein Problem lag nur darin, dass er nicht wusste, wie er das Tanya begreiflich machen konnte, ohne sie groß zu verletzen, oder die Freundschaft aufs Spiel zu setzen. Nachdenklich wandte er sich wieder zu Emma, die noch immer total verschmust mit Patty auf dem Bett lag, als ihm klar wurde, dass er wirklich keine andere Wahl hatte. Weglaufen brachte ihm nichts, denn das würde nur erneut Emmas und seine Liebe gefährden. Und das war, das Letzte was er wollte. Während er weiter seiner Hündin zuschaute, wie sie Emma genüsslich übers Gesicht schleckte, schob er die trüben Gedanken sowie das mulmige Gefühl beiseite und beschloss sich Montag mit Tanya und der Situation auseinanderzusetzen. Auch mit Emma würde er später das Thema angehen, spätestens morgen, bevor sie abreisen musste. Denn ohne, dass sie über die weitere Situation gesprochen und eine Lösung für sie beide gefunden hatten, konnte er Emma nicht fliegen lassen. Das würde nur mehr Probleme verursachen, als es eh schon wegen ihm gab. Totschweigen würde nichts bringen. Doch in diesem Augenblick, wollte er die restlichen verbleibenden Stunden vom Tag, mit der unbeschwerten Stimmung, mit seiner Freundin voll genießen. Mit einem Lächeln schritt er aufs Bett zu und ließ sich neben Emma nieder, die noch immer von dem kleinen Wollknäuel malträtiert wurde.
„Patty, hey, komm mal her!” Rob klopfte mit der Hand auf seinen Oberschenkel und die kleine West Highland Terrier – Dame ließ sofort von Emma ab. Freudig sprang sie auf seinen Schoß und zog ihm diesmal die Zunge quer durch sein Gesicht. „Hey junge Dame, jetzt ist aber mal Schluss“, protestierte er amüsiert und drückte die Schnauze vorsichtig ein Stückchen herunter, während er aus dem Augenwinkel sah, wie sich Emma schmunzelnd aufrichtete. „Sie scheint heute sehr verschmust und verspielt zu sein.“ Emma hatte sich nach ihn gekuschelt und er spürte ihre zarten Finger, wie sie sanft Kreise über seinen Rücken zogen. Er schloss einen Moment seine Augen, während ihre Berührungen sein mulmiges Gefühl gänzlich vergessen ließen. „Was hältst du davon, wenn wir einen schönen Spaziergang mit ihr machen? Frische Luft täte uns bestimmt auch ganz gut“, hörte er unvermittelt ihre leise – fast schon verführerischen - Stimme an seinem Ohr, wobei sie noch ein Ticken näher an ihn herangekuschelt kam und ihre samtenen Lippen auf die seinen legte. Völlig überrascht von ihren unerwarteten Berührungen, schlang er seine Arme um ihren Körper, zog sie auf seinen Schoß und ließ sich mit all seiner Hingabe in den Kuss hineinfallen. Bis plötzlich ein lautes, schrilles Fiepsen, als sie langsam rücklings auf die Matratze sanken, aufheulte. Absolut erschrocken von dem Geräusch lösten sie sich mit einem Ruck voneinander und Rob sprang verwirrt aus dem Bett, sodass er taumelnd auf seinen Füßen landete. Emma hingegen saß kreidebleich mit der Hand auf ihrer Brust da und schaute irritiert auf die Mitte des Bettes, als sie beide gleichzeitig laut aufschrien: „Oh Gott, Patty!“
Die kleine Hundedame saß vollkommen seelenruhig, als wenn nichts passiert wäre, auf der Decke und schaute sie mit schief gelegtem Kopf sowie schwanzwedelnd an. Immer wieder blickte sie zwischen den Beiden hin und her, und man hätte meinen können, dass das Hündchen sie gerade auslachte. Für einen Moment stand Rob mit rasendem Herz vor dem Bett und schaute ungläubig auf seinen Hund, bis er sich endgültig von dem Schock wieder erholt hatte. Langsam schritt er auf Emma zu, die ebenfalls noch völlig irritiert auf dem Bett saß, und küsste sie zärtlich auf die Stirn. „Nun“, murmelte er mit samtener Stimme und legte seine Stirn gegen die Ihre, „was hältst du davon, wenn... wenn wir das kleine Monster jetzt ausführen?“ Emma drohte sich für einen winzigen Augenblick, in dem warmen Blau seiner Augen zu verlieren und konnte nicht anders als leise aufzuseufzen. Ihr süßer Atem traf unvermittelt auf seine Lippen, sodass er sie beinahe schmecken konnte. Sanft beugte er sich vor, bis sich ihre Lippen abermals an diesem Morgen zu einem zärtlichen und liebevollen Kuss trafen. Emma seufzte leise an seinen Mund, während ihr das Herz wie verrückt in ihrer Brust schlug und das Verlangen in ihr, ihn näher bei sich zu spüren, fast ins Unermessliche wuchs. Schweren Herzens löste sich Rob von ihr und hauchte Emma noch einen Kuss auf den Mundwinkel. „Bis gleich“, murmelte er und ließ Emma mit pochendem Herzen auf dem Bett sitzend zurück, während er sich seine Klamotten schnappte und im Badezimmer verschwand. Er duschte sich und schlüpfte in seine Shorts sowie Jeans, ehe er zurück in sein Zimmer huschte. Seine Freundin hatte sich ebenfalls ein paar Kleidungsstücke zusammengesucht und stand mit dem Rücken zu ihm, als er mit nacktem Oberkörper eintrat. Er räusperte sich leise, woraufhin Emma erschrocken herumwirbelte und sich keuchend die Kleidung gegen den Oberkörper presste. Es ist nur Rob, stellte sie mit Erleichterung fest, woraufhin ihr Puls sich langsam wieder beruhigte. „Musstest du mich so erschrecken?“, quietschte sie empört auf und schlug ihn leicht auf seine Brust, wobei er sich das Lachen nicht länger verkneifen konnte. „Lach nicht! Warte nur ab, die Rache kommt.“ Gespielt beleidigt ging sie an ihm vorbei, um ins Bad zu huschen, und ließ ihn immer noch lachend im Zimmer zurück. Während Emma sich im Badezimmer frisch machte, suchte Rob einen Pulli und seine Lieblingsmütze aus dem Schrank heraus. Gerade als er komplett angezogen war, öffnete sich die Tür vom Bad und sein Atem stockte, als sie ins Zimmer trat. Emma sah einfach bezaubernd aus in der eng anliegenden Jeans und dem braunen Rollkragenpullover, der sowohl ihren Körper als auch ihre Augen betonte. Die langen Haare fielen ihr locker und leicht gewellt über die Schultern. Irritiert von Robs Blick schaute sie verunsichert an sich herunter und fragte ihn schließlich: „Stimmt was nicht? Soll ich was anderes anziehen?“
„Nein, ganz und gar nicht“, murmelte er, ohne den Blick von ihr abzuwenden, während er zu ihr rüberging und sie in seine Arme schloss. Sanft strich er ihr eine Haarsträhne hinters Ohr. „Du siehst wunderhübsch aus, es ist perfekt.“ Zärtlich streichelte er ihr über ihre Wange, während sein Herz für ein paar Schläge aussetzte, als er sah, wie ihr eine dezente Röte ins Gesicht stieg. „Ich liebe es, wie deine Wagen erröten, wenn ich dir ein Kompliment mache. Dabei sage ich nur die Wahrheit. Du bist bezaubernd und ich bin dir unendlich dankbar, dass du noch hier bei mir bist. Ich liebe dich!“
Emma versank förmlich in seinen blauen Augen, während seine Worte, seine samtene Stimme und seine Berührungen in ihrem Körper ein unfassbares Kribbeln auslösten. Trotz alldem was gestern vorgefallen war, trotz ihrer Zweifel und immer noch bestehenden Ängste, empfand sie dasselbe für ihn. Und solche Momente wie diese, ließen sie ihre negativen Gefühle verdrängen und spüren, dass es richtig war, mit ihm neu anzufangen. „Ich liebe Dich auch“, murmelte sie an seiner Brust, während sie sich eng an ihn drückte. Einige Minuten lang standen sie, sich im Arm halten im Zimmer, bis Patty sich winselnd vor ihre Füße setzte und erwartungsvoll auf sie schaute. „Hier muss jemand mal ganz dringend raus. Lass uns die Dame ausführen und später machen wir uns einen schönen Abend“, sagte Rob, als er sich sanft aus der Umarmung löste und ihr einen liebevollen Kuss aufs Haar hauchte.
„Dann wollen wir dich kleines Monster mal Gassi führen“, sagte sie schmunzelnd, wuschelte Patty durchs Fell und ergriff Robs Hand, bevor sie gemeinsam hinuntergingen. Im Flur schlüpften sie zügig in ihre Schuhe sowie Jacken und verließen zusammen mit der ungeduldigen Hundedame das Haus.
Draußen war es kühl, doch durch die Sonne, die immer mal wieder durch die Wolken blinzelte, war es recht angenehm. Hand in Hand schlenderten sie die Straße zum Park entlang, während Patty zwischen ihren Beinen und den Grünstreifen hin und her wuselte. Die frische Luft tat beiden wirklich gut, besonders nach der schlaflosen Nacht brachte sie neue Energie in ihren Körpern. Im Park angekommen ließen sie Patty von der Leine los und spielten ausgiebig und ausgelassen mit ihr auf der großen Hundewiese. Die keine Hundedame wurde gar nicht müde und rannte immer wieder aufs Neue schwanzwedelnd hinter dem Stöckchen her, welches Rob mit Wonne weit in die angrenzenden Büsche schmiss. Nach jedem Wurf nahm er sein Mädchen in die Arme und beide genossen ihre Zweisamkeit, bis Patty erneut mit dem kleinen Stock im Maul und erwartungsvollem Blick vor ihnen saß. Zur Belohnung strich Emma ihr durchs Fell und küsste sie liebevoll auf die Nase, während Rob erneut seinen Hund zum Spielen aufforderte. Den gesamten Nachmittag verbrachten sie im Park und erst, als die Dämmerung hereinbrach, machten sie sich völlig erschöpft auf dem Weg zurück nach Hause. Auf dem Heimweg besprachen sie, was sie am Abend noch zusammen machen wollten und beschlossen den wunderbaren Tag mit ein paar DVDs und Sandwiches in Robs Zimmer ausklingen zu lassen.
Als sie endlich daheim angekommen waren, schälten sie sich eilig aus ihren Jacken und Schuhen, wobei Patty sich in ihr Körbchen verkroch. Sie hatten die kleine Hundedame tatsächlich geschafft! Rob hingegen stiefelte direkt zum DVD - Regal ins Wohnzimmer, um ein paar Filme auszusuchen, während Emma in der Küche verschwand und einige Sandwiches zubereitete. Noch während er grübelnd vor dem Regal stand fiel ihm ein, dass sie gar kein Popcorn mehr im Haus hatten. Und einen DVD - Abend ohne Popcorn, so fand er, ging gar nicht, also marschierte er direkt in die Küche. „Ich hüpf eben zum Supermarkt um die Ecke“, flüsterte er Emma ins Ohr, nachdem er sich hinter ihr gestellt und die Arme um sie gelegt hatte. Überrascht von seinen Worten, drehte sie den Kopf zu ihm und schaute ihn fragend an. „Wieso denn das?“ „Ich besorg nur schnell Popcorn. Filme schauen ohne Popcorn ist doch Blasphemie“ Er kicherte, als er sich bereits in Richtung Garderobe machte. „Okay. Dann beeil dich und denk dran nur Frisches, keins für…“
„Boah…. Ja. Keins für die Mikrowelle. Bis gleich“, vollendetet er schmunzelnd ihren Satz, bevor er auch schon aus der Tür gehuscht war und Emma kichernd zurückließ.
Summend stand sie an der Anrichte und schmierte gedankenverloren Mayonnaise auf die Brotscheiben, während ihre Gefühle Achterbahn fuhren. In diesem Moment jedoch fühlte sie sich einfach nur wohl in ihrer Haut – und vor allem wohl in Robs Nähe. Sie freute sich auf den restlichen gemeinsamen Abend mit ihm. Der gesamte Tag mit ihm war einfach wunderschön gewesen, sie fühlte sich wieder unbeschwert und leicht bei ihm. Er war wieder ihr Rob und er ließ sie seine Liebe zu ihr spüren. Sie selbst hatte es nicht für möglich gehalten, dass ihre Zweifel und Ängste so schnell in den Hintergrund geraten konnten, obwohl sie genau spürte, dass diese noch allgegenwärtig waren. Auch innerlich haderte sie mit sich, denn sie wusste nicht genau, wie es mit ihnen weitergehen sollte. Jetzt, wo er schauspielerte und auch noch so ein tolles Angebot bekommen hatte, war sie sich nicht sicher, ob ihre Beziehung die Entfernung überstehen konnte. Zumal er meist am Wochenende Aufführungen hatte, würden sie sich wohl noch weniger sehen können. Aber wirkliche Sorge machte ihr diese Tanya und die Tatsache, dass Rob weiter mit ihr auf der Bühne stehen und küssen würde. Es brachte sie erneut aus dem Konzept zu wissen, dass ihre Nebenbuhlerin offenbar mehr für ihren Freund empfand, als er anscheinend für sie. Zumindest behauptete er das und sein heutiges Verhalten ihr gegenüber ließ sie das ebenfalls fühlen, sodass sie begann wirklich daran zu glauben. Zumal sie seine Liebe, die ihr galt, spürte. Sie glaubte seinen Worten, seinem Verhalten – ja, sie glaubte ihm. Aber, wie weit würde sie es selber schaffen, ihm gänzlich ihr Vertrauen wieder schenken zu können – welches er anscheinend verdient hat, ohne gleich voller Eifersucht sowie Misstrauen zu reagieren, wenn allein nur der Name „Tanya“ fiel?
Konnte sie sich zurücknehmen? Konnte sie lernen mit der Situation, trotz seines Ausrutschers umzugehen?
Es war auch so schon schwer, mit der Entfernung eine Beziehung aufrecht zu erhalten, aber nach gestern, war es eine enorme Aufgabe. Sie wusste nur, dass sie alles für ihn geben würde, wenn sie nur wusste, es wäre das Beste für ihn. Aber konnte sie das auch, ohne sich selbst dabei zu verlieren?
Allerdings war die noch wichtigere Frage - wie wollte Rob selber mit der Situation und mit seiner Spielpartnerin umgehen? Wie weit würde er für sie und ihre Liebe gehen? Tausend Fragen schwirrten in ihrem Kopf herum, die ihr zeitweise die Kehle zusammenschnüren ließen, welche sie dennoch schnell beiseiteschob, denn sie wollte nur noch den herrlichen Tag zusammen mit Rob ausklingen lassen. Sie beschloss, morgen das Gespräch mit Rob zu führen, um all ihre Fragen zu beantworten und gemeinsam mit ihm einen Weg zu finden, wie ihre Beziehung weitergehen sollte. Sie würde nicht fliegen können, ohne dass sie das Thema angesprochen und geklärt hätten - totschweigen würde nur mehr Probleme verursachen. Aber heute Abend zählten einzig und allein sie beide, ihre Versöhnung und ihre Liebe, für die sie versuchte alles zu geben. Schwungvoll klappte sie das Sandwich zu und teilte es gerade in zwei Hälften, als die Türklingel laut durch das Haus läutete, was sie erschrocken zusammenzucken ließ. Sie legte das Messer auf die Ablage und das Brot zu den anderen auf dem Teller, bevor sie sich auf dem Weg zur Haustür machte. „Oh Rob, du Schussel. Hast du wieder den Schlüssel vergessen?“, murmelte sie vor sich hin, als sie die Tür öffnete und in ein, ihr allzu bekanntes, Gesicht starrte. Ihr Herz kam vor Nervosität ins Stolpern und mit einem Schlag, war das ausgelassene und glückliche Gefühl dem voller Angst und Unsicherheit gewichen. Noch einen Moment lang stand sie, mit weit aufgerissen Augen, in der Tür und starrte stumm in das grinsende Gesicht von Tanya.
Kapitel 15
Entscheidungen
Was will die denn hier?
Wie ein Echo hallten die Worte, immer wieder in Emmas Kopf, als sie weiterhin wie erstarrt in das Gesicht von Tanya starrte. „Hallo Emma, willst du mich gar nicht hereinbitten?“ Schleichend drang die hohe Stimme zu ihr durch, während ihre Hand die Türklinke krampfartig umklammerte. „Ta … Tanya …“, brachte sie nur stotternd über ihre Lippen, wobei sie versuchte, den Kloß, der sich augenblicklich in ihren Hals gebildet hatte, herunterzuschlucken. „Was… was willst du hier?“
„Ich habe letztens meinen Schal hier vergessen und außerdem muss ich mit Rob sprechen.“ Ihre Stimme klang freundlich, aber ihre Augen strahlten eine Kühle aus, die Emma frösteln ließ, als diese sie abfällig von oben herab musterten. Augenblicklich überrollte sie ein beklemmendes und ein Gefühl der Unsicherheit, begleitet von der Wut, die langsam in ihr hochkroch.
Was eine Schlange!
„Er ist nicht da“, erwiderte Emma knapp und mit einer gewissen Härte in ihrer Stimme, die sie selbst überraschte. Aber sie wollte diese Tanya hier nicht haben. Sie sollte augenblicklich wieder verschwinden und sie in Ruhe lassen.
Aber was wollte sie wirklich hier? Nur ihren Schal?
Nein, bestimmt nicht. Das war ganz bewusst nur ein Vorwand, da war sie sich sicher. Vor allem, was wollte sie mit Rob besprechen - an einem Samstagabend? Ihrer Meinung nach klang das absolut nicht logisch und sie warf Tanya einen misstrauischen Blick zu, die sie weiterhin herablassend musterte. „Egal, dann warte ich eben hier auf ihn.“ Mit einer Seelenruhe und einer Frechheit am Leib, schob sie sich an ihr vorbei und trat zielsicher an die Garderobe. Nicht begreifend, wie ihr geschah stand Emma, mit der offenen Tür in der Hand, da und beobachtete fassungslos, wie Tanya auf der Ablage herumwühlte. Emma konnte nicht glauben, wie dreist und mit was für einer Selbstverständlichkeit, das Mädchen hier einfach ins Haus marschierte und in anderen Sachen herumkramte - das ging eindeutig zu weit!
„Sag mal, geht´s noch?! Du kannst doch hier nicht einfach hereinspazieren und in den Sachen von fremden Menschen rumwühlen!“, spie sie ihr aufgebracht entgegen, während sie die Tür ins Schloss knallte und mit eiligen Schritten zur Garderobe lief, bis sie direkt vor Tanya stand. In ihr rauschte das Blut vor Wut und am liebsten hätte sie diese Person, direkt nach draußen befördert.
Wie konnte sie es nur wagen?
Tanya drehte sich vollkommen ruhig und gelassen zu Emma um und schaute sie mit einer hochgezogenen Augenbraue sowie einem bösen Lächeln an, während ihr herablassender Blick sie durchdrang. „Fremd? Herzchen, die Familie Pattinson sind doch keine Fremden für mich. Ich denke, ich war öfter hier als du.“ Der Donnerschlag in ihrer Aussage, versetzte Emma einen kräftigen Schlag in ihre Magengrube, der ihr postwendend den kalten Schweiß auf der Stirn ausbrechen ließ. Die Erkenntnis, dass sie womöglich damit recht hatte, brachte sie völlig aus dem Konzept und Emma war bewusst, dass dies die Absicht von ihrer Rivalin gewesen war. Dennoch schaffte sie es nicht, den Schmerz einfach von sich abzuschütteln.
Konnte sie nicht einfach verschwinden und ihr Gift woanders versprühen?
„Oh, da ist er ja“, hörte Emma plötzlich dumpf zu ihr durchdringen und sah, wie Tanya einen schwarz-weißen Schal aus dem Schubfach zog. Augenblicklich spürte sie, wie eine kleine Welle der Erleichterung durch ihren Körper fuhr, als sie bemerkte, wie Tanya sich das gestreifte Teil um den Hals legte.
Gott sein Dank. Noch länger hätte sie diese Schlange nicht ausgehalten!
„Gut, dann wünsch ich dir noch einen schönen Abend“, verabschiedete sie sich schnell bei der Schlange, wie sie sie innerlich nannte, und ging zurück Richtung Tür.
„Willst du gehen? Dann solltest du eine Jacke anziehen, es ist recht frisch draußen“, rief ihr Tanya mit einem süffisanten Grinsen im Gesicht zu, woraufhin Emma der Atem stockte. Abrupt blieb sie, in ihrer Haltung verharrt, stehen und wurde völlig aus dem Konzept gebracht, als sie aus dem Augenwinkel sah, wie sich das dreiste Ding auf einen Stuhl neben der Garderobe niederließ.
Das konnte nicht ihr Ernst sein. Was bildet die sich bloß ein?!
Die Wut in Emma schoss augenblicklich in ihr empor, während das Unwohlsein sich weiter seinen Weg bahnte und sie deutlich spürte, wie der kalte Schweiß von ihrer Stirn, zu ihren Händen übergangen war.
Was fiel dieser Person bloß ein? Was wollte sie mit dieser Aktion erreichen?
Wie gelähmt stand sie mitten im Flur und hatte keine Ahnung, wie sie mit der Situation –mit Tanya- umgehen sollte. Sie wusste nur, wie sehr es ihr widerstrebte, dieses Mädchen in ihrer Nähe zu haben. Wieso musste sie hier auftauchen und ihr die schmerzhaften Bilder sowie Gefühle, vom letzten Abend hervorrufen, die sich gegenwärtig wieder in ihr abspielten.
Blitzartig drehte Emma sich zu ihrer Rivalin um und ließ ihrer Rage freien Lauf: „Was willst du?“ Mit einem stechenden Blick funkelte sie Tanya an, die jedoch völlig unbeeindruckt und lässig auf dem Stuhl saß. „Ich will mit Rob reden, denn er hat heute auf keinen meiner Anrufe oder Nachrichten reagiert.“, säuselte sie, als sie lässig ihr Bein übers andere schlug und die Arme vor ihre Brust verschränkte. „Das ist nicht seine Art, denn er antwortet mir sonst immer. Egal wann, egal wo und egal aus welchen Grund ich mich bei ihm melde.“ Der Spott war in ihrer Stimme nicht zu überhören, als dabei ein triumphierendes Grinsen ihr Gesicht zierte. Schlagartig wurde Emma bewusst, dass der morgige Anruf, der sie geweckt hatte, von der Schlange gewesen sein musste und Rob sie somit angelogen hatte. Die Erkenntnis zog ihr schmerzlich den Magen zusammen und sie hatte das Gefühl, dass ihr der Boden unter den Füßen weggezogen wurde.
Wieso hatte er sie angelogen?
„Du warst das heute Morgen?“, war das Einzige, was ihr in dem Moment schockiert über die Lippen kam, während sie noch immer versuchte zu begreifen, was ihr Tanya gerade gesagt hatte. „Jap, und heute Mittag und Nachmittag. Aber er hat sich einfach nicht gemeldet und daraufhin habe ich mir Sorgen gemacht, denn nach gestern Abend hatte ich ehrlich gesagt, nicht damit gerechnet, dass du noch hier bist. Eher damit, dass ich ihn ein wenig trösten müsste.“ Tanyas Worte stachen in Emmas Brust wie kleine spitze Pfeile, während sie das Gefühl hatte, dass sie keine Luft mehr bekommen würde. Denn sie ließen ungefiltert wieder all die schmerzhaften Bilder auf Emma einprasseln, wie sich beide leidenschaftlich küssten – die sie halbwegs verdrängt hatte. Langsam wich die Wut, der aufkommenden Ohnmacht, wobei sich in ihrem Kopf alles zu drehen begann. Emma wollte nicht hören, was dieses Mädchen ihr zu sagen hatte – das Biest sollte endlich verschwinden und sie beide in Ruhe lassen.
„Der Kuss hatte nichts zu bedeuten. Rob liebt dich nicht!“, versuchte Emma gefasst und selbstsicher zu sagen, während sie innerlich vor Verunsicherung fast zusammenbrach. Mit jedem Wort, was Tanya ihr entgegen säuselte, wuchsen ihre Zweifel und sie wusste nicht damit umzugehen.
Bitte geh doch einfach! Lass uns in Ruhe und geh!
Doch ihre Nebenbuhlerin dachte gar nicht daran, denn langsam und ruhig kam sie auf Emma zugeschritten und bäumte sich mit verschränkten Armen sowie hochgezogener Augenbraue vor ihr auf. „Bist du dir sicher? Ich dachte, dass gestern in der Umkleide hätte dir endlich die Augen geöffnet. Ich hatte die Hoffnung, du würdest sehen, wie sehr ihr euch bereits voneinander entfernt habt. Das war nicht der erste Kuss von ihm und ich meine jetzt nicht die Küsse für das Theaterstück. Wir sind uns schon sehr nahegekommen, da ist mehr als nur Freundschaft.“ Der Schlag saß! Ihr Magen zog sich krampfartig zusammen und sie spürte, wie ihr speiübel wurde.
Das konnte nicht wahr sein!
„Du lügst! Das ist nicht wahr!“, schrie Emma aufgebracht, während sie mühsam gegen die aufkommenden Tränen ankämpfte. Das durfte nicht wahr sein. Sie log. Aber diese Schlange sprach genau das aus, was sie die ganze Zeit befürchtet und wovor sie solche Angst gehabt hatte. Emma konnte und wollte es nicht glauben - nicht nach dem Tag, nach seinen Worten, seinen Berührungen und seinen Blicken für sie. Nein, das Mädchen musste lügen.
Sie spürte doch seine Liebe zu ihr – oder?
„Warum sollte ich lügen? Es gibt ...“
„Weil du in ihn verliebt bist und nicht ertragen kannst, dass er dich zurückweist. Du nicht wahrhaben willst, dass er mich liebt!“, spie Emma ihr wutentbrannt entgegen, während ihr Puls bis in die Halsschlagader raste und eine Träne über ihre Wange lief. Tanya schaute sie jedoch nur, über ihren Ausbruch verwundert an, bis sie seelenruhig zum nächsten Schlag ausholte.
„Mag sein, dass er für dich noch ein wenig mehr empfindet, als für mich. Aber ich sehe es in seinen Augen, dass dort mehr ist als Freundschaft, doch er selber will es sich noch nicht eingestehen. Vor allem – ist er viel zu lieb, um dir so wehzutun. Emma, du bist weit weg, sehr weit weg, was glaubst du wie lange eure „Beziehung“ der Ferne noch standhält. Meinst du, er wird ewig hier auf dich warten, bis du mit der Schule fertig bist? Jetzt, wo sich andere Möglichkeiten für ihn bieten, wird sich vieles verändern. Doch Rob würde aus Rücksicht auf dich, sich selbst die Zukunft verbauen. Willst du das? Willst du - weil du vielleicht eifersüchtig auf mich bist, dass er aufhört, seinem Hobby nachzugehen? Ich hingegen kann ihn verstehen, unterstützen - so wie du es nie könntest, weil du nicht die Leidenschaft der Schauspielerei mit ihm teilst. Also wieso hat Rob mich in der Garderobe geküsst, wenn er rein gar nichts für mich empfindet?“ Mit hochgezogenen Augenbrauen und fragendem Blick, schaute sie selbstsicher auf Emma herab, die sie fassungslos und mit den Tränen kämpfend anstarrte. Sie konnte nicht glauben und begreifen, was Tanya dort gerade gesagt hatte, denn all ihre eigenen Gedanken wurden von einer völlig fremden Person ausgesprochen. Ausgerechnet von dem Mädchen, das sie am liebsten zum Mond schießen wollte, wurden quasi ihre eigenen Gedankengänge bestätigt. „Denk einfach mal darüber nach und du wirst selbst zu dem richtigen Entschluss kommen. Tschüss, Emma.“ Nur dumpf drangen die letzten Worte von Tanya zu ihr durch, während sich um sie herum alles zu drehen begann, bevor die Tür mit einem lauten „Klick“ ins Schloss fiel, nachdem Tanya endlich das Haus verlassen hatte.
Völlig verwirrt sowie irritiert ging Emma auf den Stuhl zu und ließ sich auf diesen fallen, wobei sie ihre Arme auf den Beinen abstützte und das Gesicht in den Händen vergrub. Sie konnte nicht fassen, was ihr gerade widerfahren war, und versuchte verzweifelt das Gesagte zu begreifen, während ihre Gefühle völlig aus der Bahn geraten waren. Die Leichtigkeit und gelöste Stimmung war mit einem Schlag, wie weggeflogen und sie hatte das Gefühl, in ihrem Gedankenchaos zu ersticken.
Was war hier gerade passiert? Wieso tat Tanya das? Sagte sie die Wahrheit und wie sollte Emma damit umgehen?
Krampfhaft versuchte sie, auf all die Fragen eine Antwort zu finden, aber es wollte ihr nicht gelingen. Viel zu sehr, hallten all die Wörter von Tanya unaufhörlich in ihrem Kopf wider und ließen, zusammen mit ihrem selbstsicheren und schonungslosen Auftreten, die ganzen Zweifel und Ängste, augenblicklich wieder zurück an die Oberfläche emporkriechen. All jenes drückte ihr schmerzlich, die Luft zum Atmen ab. Leise schluchzte sie in ihre Hände, während die Tränen ungehemmt aus ihr herausbrachen. Für einen kurzen Moment saß sie noch völlig niedergeschlagen auf dem Stuhl, bis sie schließlich einen Entschluss fasste.
Tanya will mich nur verunsichern und misstrauisch machen, aber das werde ich nicht zulassen! Ich werde jetzt den Abend mit meinem Freund genießen!
Sie würde sich von dieser Schlange nicht länger verunsichern und ihr Gift in ihr weiter seinen Weg bahnen lassen. Das wollte Tanya doch nur – sie an ihren Zweifeln packen. Entschlossen stand sie auf und lief hoch ins Bad, um sich die Tränen wegzuwaschen. Rob sollte diese auf keinen Fall sehen. Nachdem ihre Tränen endlich versiegt waren und sie sich frisch gemacht hatte, starrte sie sich fragend im Spiegel an. Ihre Gedanken ließen sich doch nicht so einfach abstellen, wie sie gehofft hatte. So sehr sie es auch versuchte, aber diese verflixten Worte von Tanya, hallten ohne Unterlass in ihrem Gedächtnis wieder.
Er hat nicht reagiert, da habe ich mir Sorgen gemacht…, nach gestern Abend dachte ich, hätte es dir endlich die Augen geöffnet ..., er meldet sich sonst immer. Egal wann, egal wo und egal aus welchen Grund ich mich bei ihm melde!
Das Auftauchen ihrer Nebenbuhlerin und das Gespräch, hatten Emma erneut so sehr aufgewühlt, dass sie nicht mehr wusste, ob sie deren Worten oder ihren eigenen Gefühlen trauen konnte. Sie versuchte, krampfhaft in sich hineinzuhören und spulte gedanklich noch mal den Tag, mit Rob ab. Doch es gelang ihr einfach nicht, einen einzigen klaren Gedanken zu fassen. Ihr Herz fühlte sich unsagbar schwer an und ihr Kopf schwirrte.
Warum war alles nur so unfassbar schwer geworden? Was war Wahrheit und was nicht?
Sie konnte es nicht beantworten und völlig durcheinander ging sie in Robs Zimmer, wo sie sein Handy auf dem Schreibtisch liegen sah. Und obwohl es nicht ihrer Art entsprach, an seine Sachen zu gehen, um ihm nachzuspionieren, ging sie mit wild pochenden Herzen zum Tisch und nahm das Handy in die Hand. Unentschlossen überlegte sie, ob sie wirklich den Schritt machen sollte – ob sie ihm wirklich schon so sehr misstraute, dass sie ihm nachschnüffeln musste. Doch Tanyas Worten ließen sie einfach nicht mehr ruhen, als sie schließlich das Display entsperrte und die Anrufliste öffnete. Mit einem Schlag verpuffte all ihre Hoffnung in einem Nichts, als sie sah, dass Tanya die Wahrheit gesagt hatte und Rob derjenige war, der sie hemmungslos angelogen hatte. Es waren mehrere unbeantwortete Anrufe von ihr verzeichnet und augenblicklich überrollten sie erneut all ihre Zweifel. Mit erneutem Schrecken entdeckte sie eine ungelesene Nachricht von ihr aufblinken und obwohl sie eigentlich nicht wissen wollte, was diese Schlange ihrem Freund geschrieben hatte, siegte ihre Neugierde.
Rob,
ich weiß nicht, was los ist und warum du nicht reagierst, doch ich mach mir langsam Sorgen.
Vielleicht ist es besser, wenn sie es jetzt weiß.
Bitte melde dich bei mir. Ich bin immer für dich da.
Tanya
Voller Wut und Enttäuschung, schmiss Emma das Handy zurück auf die Tischplatte und konnte nicht glauben, was sie gerade gelesen hatte. Was fällt der bloß ein? Wie kommt die blöde Kuh dazu, meinem Freund solche Nachrichten zu schreiben? Schnallte die denn gar nichts mehr?, schrie ihre innere Stimme kurz laut auf, bevor ihre Wut sich abrupt in Enttäuschung umwandelte. „Nach alldem hat er mir mitten ins Gesicht gelogen, wie soll ich ihm da vertrauen?“, fragte sie sich leise, während sie wieder hinunter Richtung Küche ging. Mit einem Mal war jede Zuversicht, dass alles wie früher werden und sie ihm ihr Vertrauen uneingeschränkt schenken konnte, verschwunden. Die Gefühle tobten in ihr wie Gut und Böse und kämpften bis aufs Blut.
Was sollte sie machen? Was konnte sie glauben? Wenn er sie heute schon bei der ersten Gelegenheit wegen Tanya angelogen hatte, wie sollte es sein, wenn sie erst wieder fort war? Konnte sie ihm dennoch glauben, was seine Gefühle für sie und ihre Rivalin betrafen? War da wirklich nichts?
Im Grunde spürte sie, bei jeder seiner Berührungen, sah es in jedem seiner Blicke, was er für sie empfand, dennoch verunsicherten Emma, die verletzenden Worte von Tanya zunehmend. Ihr Herz zog sich schmerzlich, bei der Erinnerung an das Gespräch, zusammen.
„Aber ich sehe es in seinen Augen, dass dort mehr ist als Freundschaft, doch er selber will es sich noch nicht eingestehen.“ Sah sie es wirklich in seinem Blick? Wollte er sich das wirklich nicht eingestehen? Schaute er Tanya wirklich so an oder war das alles nur ein fieses Spiel von ihr?
Verdammt, auch wenn Emma es sich nicht eingestehen wollte, hatte diese Schlange aber mit einem Punkt recht – es begann ein neuer Abschnitt in seinem Leben. Sie war sich sicher, dass es seine Leidenschaft war, auf der Bühne zu stehen – das hatte sie gestern gesehen, wie er darin aufging -, aber sie selbst konnte diese nicht mit ihm teilen. Es war eine völlig andere Welt, als in der sie selbst war. Trotzdem war sie sehr stolz auf ihn und es erwärmte ihr Herz, ihn sich so für eine Sache begeistern zu sehen und sie hatte sein schauspielerisches Talent sehr genossen. Absolut verwirrt von ihren Gefühlen sowie Gedanken betrat sie den Flur, als Rob die Haustür aufriss und fröhlich hereinstürmte. „Bin wieder da!“, brüllte er quer durchs Haus, was sie erschrocken zusammenzucken ließ, während er sich die Schuhe von den Füßen streifte.
„Mann, nur Rentner in dem Laden, ich dachte, ich komm gar nimmer heim“, brabbelte er weiter, wobei er sich umdrehte, Emma an der Garderobe stehen sah und zu ihr rüber schlenderte. „Oh da bist du ja. Sagst keinen Ton und ich schrei hier den halben Laden zusammen. Aber Mann hat Mission erfüllt. Popcorn in the house!“ Mit der Tüte vor Emmas Nase wedelnd, grinste er sie schief an und ihr Magen verkrampfte sich schmerzlich zu einem Klumpen, als sie in seine blauen Augen schaute. Er war so unbeschwert und fröhlich, wohingegen sie sich gerade schwer und absolut verunsichert fühlte. Ihre Stimmung vom gesamten Tag, war wie ein Kartenhaus zusammengefallen und sie wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte. Doch sie wollte nicht den schönen Tag mit dem Chaos, welches Tanyas Auftauchen verursacht hatte, zunichtemachen lassen. Sie beschloss, fürs Erste nichts davon zu erwähnen. Solange sie selbst nicht wusste, was sie davon zu halten hatte und damit umgehen konnte, wollte sie versuchen sich nichts anmerken zu lassen. Also setzte sie ein kleines, aber gequältes, Lächeln auf ihre Lippen auf, wobei sie den Augenkontakt bewusst zu ihm mied, was Rob skeptisch auf sie zugehen ließ. Er schien ihren Stimmungswandel bemerkt zu haben und hob vorsichtig seine Hand, um ihr sanft mit dem Daumen über die Wange zu streicheln. „Kleines, alles okay bei dir?“, fragte er sie besorgt, während sein Blick unerlässlich auf ihr ruhte, wobei Emma nur zögerlich zu ihm hochschaute. Die Frage brachte sie völlig aus ihrem Konzept und nur innerlich stäubend brachte sie ihre Lüge über ihre Lippen. „Äh – ja klar.“ Sie hasste es, ihn anzulügen und es ging ganz gegen ihre Natur, aber sie sah gerade gar keine andere Möglichkeit. Die Lage und Situation überforderte sie. Sie wusste nicht mehr, was richtig oder falsch war – wie sie angemessen reagieren konnte, ohne, dass es in einer Katastrophe enden würde. Sie versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen, was ihr abermals nicht gelang, denn sie musste erst mal für sich selbst Klarheit finden, bevor sie Rob mit allem konfrontieren und das Gespräch suchen konnte. „Sicher? Du siehst blass aus“, fragte er weiter und am liebsten hätte sie ihn doch direkt mit der Sache konfrontiert, aber das wäre der falsche Weg gewesen. Sie musste erstmal für sich wissen, wie es mit ihnen weitergehen sollte - konnte. Bevor sie ihm antworten konnte, atmete sie tief durch, wobei sie an ihm vorbei schlich und zur Küchentür fortschritt. „Alles in Ordnung, bin nur müde. Ich hole eben die Sandwiches, dann kann es losgehen. Such du schon mal den Film aus, okay?“ Sie versuchte ihn abzulenken, damit sie selbst aus der Situation flüchten konnte. Mit gerunzelter Stirn über Emmas plötzliches Verhalten ging Rob ins Wohnzimmer und stand ratlos vorm Regal. „Schatz, was willst du denn schauen? Horror, Komödie, Mystery oder eine Schnulze?“, rief er lauthals, als er sich nicht entscheiden konnte. „Kein Horror und keine Schnulze bitte“, hörte er sie leise hinter sich, woraufhin er erschrocken zusammenzuckte und mit dem Kopf zu ihr herumfuhr. Mit dem Teller in der Hand stand seine Freundin da, und versuchte sich weiterhin nichts anmerken zu lassen, während sie ihn ausdruckslos anschaute. „Gut, denke Horror haben wir heute eindeutig genug hier“, scherzte er, dabei zierte ein schelmisches Grinsen sein Gesicht. „Spinner!“, murmelte Emma lediglich als Antwort, drehte sich auf dem Absatz um und huschte die Treppe hinauf.
Sich fragend, was er nun gemacht hatte, schaute Rob einen Moment hinter ihr her, zog dann eine DVD heraus und rannte ihr rufend nach. Es gefiel ihm nicht, wie seine Freundin sich auf einmal verhielt, sie war angespannt und das Lächeln in ihrem Gesicht erreichte ihre Augen nicht mehr. Irgendetwas musste in seiner Abwesenheit vorgefallen sein, was sie so schlagartig verändert hatte, da war er sich beinahe sicher. „Emma, was hast du denn?!“, rief er und die Besorgnis, um den Stimmungswandel seiner Freundin wollte ihn nicht loslassen. Ganz im Gegenteil; als seine Freundin keine Antwort von sich gab, weitete sich in ihm das ungute Gefühl noch mehr aus, als es ohnehin schon getan hatte. „Habe ich was Falsches gesagt?“ Er spurtete hinter ihr her und kickte, in seinem Zimmer angekommen, atemlos sowie mit Popcorn beladen, die Zimmertür mit dem Fuß hinter sich zu. Emma saß bereits mit den Sandwiches auf seinem Bett und sie schien auf ihn zu warten. Er runzelte die Stirn, weil ihm die gesamte Situation absolut missfiel – irgendetwas stimmte hier nicht.
Was hatte sie bloß?
„Nein! Bin nur müde und hab es mir schon mal bequem gemacht. Magst du auch ein Sandwich?“, versuchte Emma ihren Freund erneut abzulenken und hielt ihm den Teller hin. Mit fragendem Blick schritt er langsam auf sie zu, denn ihre ausweichende Antwort gefiel ihm nicht und er musterte sie leicht misstrauisch. Doch ihr aufmunterndes Lächeln, welches abermals ihre Augen nicht erreichte, ließ ihn dennoch seine Zweifel vergessen und annehmen, dass er wohl etwas falsch verstanden haben musste. Seufzend legte er die DVD ein und begab sich zu Emma aufs Bett, um es sich mit ihr gemütlich zu machen.
Als Rob sich neben ihr aufs Bett niederließ, spürte sie, wie sich sein Arm um ihren Körper legte und sie näher an sich heranzog. Mit innerem Zwiespalt ließ sie sich in seine Arme fallen, denn auf der einen Seite wollte sie seine Nähe spüren, doch auf der anderen, konnte sie genau diese gerade nicht ertragen. Jedoch wollte Emma auch nicht sein Misstrauen erwecken und ein Gespräch mit ihm heraufbeschwören, weil sie sich anders gab als vorhin. Also blieb sie bei ihm liegen und versuchte ihre Gefühle und Gedanken unter Kontrolle zu behalten, während sie sich bemühte, mit dem Kopf auf seiner Brust, dem Film zu folgen. Doch das Ganze gestaltete sich für sie schwieriger als gedacht, denn jeder einzelne Herzschlag und Atemzug von ihm, ließ sie erschauern und ihre Gedanken kreisten immer und immer wieder um das Gespräch mit Tanya. Ihr Herz schmerzte bitterlich bei der Vorstellung, dass ihr Freund für jemand anderen das Gleiche empfinden sollte, wie für sie. Eine Weile lagen sie nun schon so da und Emma hatte durch ihre innere Anspannung kaum etwas vom Film mitbekommen, zu sehr spukten verzerrte Bilder von Rob und Tanya in ihrem Kopf herum, die ihr die Kehle zuschnüren ließen. Am liebsten wäre sie aufgesprungen, aus dem Zimmer gerannt, um wieder atmen zu können, als sie seinen Kuss auf ihrem Haar spürte und er ein „Ich liebe dich“ hinein hauchte. Augenblicklich füllten sich ihre Augen mit Tränen, die sie zu unterdrücken versuchte, und schloss ihre Augen, während sie sich schlafend stellte, um der Antwort zu entgehen. „Emma Liebes, schläfst du schon?“, flüsterte Rob ihr zu und sie spürte, wie seine Hand über ihren Kopf strich. Sie hielt ihre Augen geschlossen und antwortete nur mit einem leisen, müden Brummen, was den Eindruck erwecken sollte, dass sie am Einschlafen war. Es fiel ihr so unfassbar schwer, sich nichts anmerken zu lassen und ihrem Freund etwas vorzuspielen, doch sie wusste sich nicht anders zu helfen, während ihr Herz weiter schmerzhaft in ihrer Brust schlug. Und es funktionierte, sie spürte, wie er sachte ihren Kopf anhob, um ihn auf das Kissen zu betten und dann aufstand. Vorsichtige linste Emma durch die Augenschlitze und sah, wie er ins Bad huschte. Völlig erleichtert, dass sie einen Moment für sich hatte, atmete sie auf, zog sich die Decke hoch bis an den Kopf und vergrub diesen ins Kissen. Einen Moment später hörte sie Robs Schritte auf dem Teppich, wie der Fernseher ausgeschaltet wurde und spürte, wie die Matratze sich senkte, als er sich neben ihr legte. Innerlich betete sie, dass er sie nicht umarmen und sie schlafen lassen würde. Doch Rob krabbelte zu ihr rüber, gab ihr einen kleinen Kuss auf die Wange und wünschte er ihr zärtlich „Gute Nacht.“ Während sie immer noch die Augen geschlossen hielt, drehte er sich zur Seite, löschte das Licht und ließ sich in sein Kissen fallen. Emma war froh, dass er nicht den Wunsch verspürte eng an ihr gekuschelt einzuschlafen, denn das hätte sie heute Nacht nicht ertragen.
Diese Nacht erinnerte sie schmerzlich an die Letzte. Es kam ihr vor, wie ein schreckliches Deja vu. Gestern lag sie mit dem gleichen Gefühlschaos, Zweifeln und Ängsten im Bett wie heute, nur ein Zimmer weiter. Der einzige Unterschied zur vergangenen Nacht war, dass Emma in dieser eine Entscheidung fällen würde - müsste. Rob schien völlig erledigt gewesen zu sein, denn kurz nachdem er sich zugedeckt hatte, hörte sie ein leises Schnarchen aus seiner Richtung. Langsam drehte sie sich zu ihm um - sein Atem ging flach und gleichmäßig, er schien in einen tiefen Schlaf gefallen zu sein. Emma hatte große Mühe, ihre erneut aufkommenden Tränen zurückzuhalten, während ihre Brust bei jedem Atemzug schmerzte. Nichts war für Emma deutlicher, als das Gefühl, dass sie Rob über alles liebte – so sehr, dass sie alles für ihn tun würde, auch wenn es bedeuten würde, ihn aufgeben zu müssen, was sie wiederum nicht ertragen könnte. Die Situation war so verfahren, dass sie immer noch krampfhaft versuchte, in sich hineinzuhören, um eine Entscheidung treffen zu können. „So verdammt kompliziert ...“, wisperte sie mit dünner Stimme, die ihr jeden Moment drohte wegzubrechen. Eine einsame Träne stahl sich aus ihrem Augenwinkel und kullerte langsam ihre Wange hinab, ehe sie auf den Stoff des Kopfkissens tropfte. Je länger sie über die gesamte Situation nachdachte, desto deutlicher kroch ihr in den Sinn, auf was sich ihre Entscheidung hinauslief, auch wenn es ihr das Herz brach. Sie konnte dieser Liebe, die Rob und sie verband, nicht vertrauen. In seinen blauen Augen, die sie wieder aufs Neue in ihren Bann zogen, konnte Emma klar und deutlich die Zuneigung erkennen, die Rob für sie hegte. Sie konnte sehen, dass er sie ebenfalls liebte. Aber das Problem war schlicht und einfach die Entfernung, die vielen Kilometer, die beide voneinander trennte. Gleichzeitig vertraute sie nicht auf sich selbst, ob sie in der Lage war, über ihre Gefühle und Gedanken hinauszuwachsen. Die Ungewissheit was geschah, wenn Emma nicht da war, ließ sie an sich selbst zweifeln.
Und dann war da noch Tanya!
Was, wenn er wirklich etwas für sie empfand? Was, wenn er sich nur einredet mich zu lieben, am Ende aber doch mehr für Tanya empfindet als für mich?
Angewidert von ihren eigenen Gedanken, rückte sie noch ein Stück weiter von Rob ab. Seine Nähe wurde unerträglich für sie und die Gefühle in ihr drehten, wieder einmal, unruhig ihre Runden auf dem Karussell, was einfach nicht zum Stillstand kommen wollte. Da war auf der einen Seite ihre unerschütterliche Liebe – er war, ihr Vertrauter, ihr Geliebter und ihr Fels, aber auf der anderen Seite, waren die ganzen, damit verbundenen Zweifel. Die Tatsache, dass Rob auch noch weiter mit ihr auf der Bühne stehen würde, half Emma erst recht nicht, dass ihr Vertrauen in ihm und vor allem in seiner Kollegin wuchs. Sie würde immer misstrauisch in Manchester sitzen und sich Gedanken machen, was er gerade wohl trieb. Und das war keine Basis für eine Beziehung, aber dass er deswegen sein Talent nicht ausleben und seine Zukunft wegen ihr verbaute, wollte sie auch nicht. Das konnte sie nicht zulassen. Emma atmete zittrig durch und überwand sich am Ende doch dazu, sich noch einmal zu Rob umzudrehen. Sein Atem ging flach, begleitet von leisem, regelmäßigem Schnarchen. Auch, wenn ihr das Herz unermesslich schmerzte, wusste sie, es wäre der einzig richtige, vernünftige Weg. Während sie ihn so ansah, rückte ihre Entscheidung immer klarer in den Vordergrund und ihr wurde bewusst, dass es so das Beste wäre. Emma ließ diesmal einzig und allein ihren Verstand entscheiden, während ihr Herz dabei drohte, in sich zusammenzufallen.
„Ich liebe dich“, flüsterte sie in die Stille des Zimmers und streckte die Hand aus, um sanft über Robs Wange zu streicheln.
Zu diesem Zeitpunkt konnte Emma noch nicht erahnen, dass sich ihre Wahl, als fataler Fehler entpuppen sollte.
Kapitel 16
Gebrochene Herzen
Als die ersten Sonnenstrahlen durch den Vorhang blinzelten, saß Emma noch immer schlaflos auf dem Bett, und beobachte Rob beim Schlafen. Vereinzelte und stumme Tränen bahnten sich ihren Weg über ihr Gesicht, als sie ihn ein leises „Meine Emma“ murmeln hörte. Dabei formten sich seine Lippen zu einem zufriedenen Lächeln. Es brach ihr das Herz zu wissen, dass sie dies alles heute ein letztes Mal sehen sollte. Ebenso ihn riechen und spüren zu können. Doch ihr Entschluss stand fest, egal wie sehr es ihr schmerzte und sie innerlich zerriss, schien es dennoch für sie beide das Beste zu sein. Dessen war sie sich beinahe sicher und daran musste sie festhalten.
Entschlossen kroch sie aus dem Bett, schnappte sich ihr Waschzeug und begab sich ins angrenzende Badezimmer. Sie genoss eine ausgiebige Dusche und die Wärme des Wassers, welches sanft auf ihre Haut herab prasselte, während sie ihren Emotionen und Gedanken noch einmal freien Lauf ließ. Emma wusste nicht, ob sie ihrer Entscheidung standhalten konnte, wenn sie ihm direkt gegenüberstand. Die Gewissheit, ihm mit ihren Worten das Herz zu brechen, ließ ihr die Kehle zusammenschnüren, sodass sie das Gefühl bekam, nicht mehr richtig atmen zu können. Sie versuchte trotz allem, ihre Ängste unter Kontrolle zu halten, wobei sie aus der Dusche schritt und sich abtrocknete.
Nachdem sie sich angezogen und die Haare geföhnt hatte, ging sie zurück in Robs Zimmer. Noch immer lag er in seinem Bett, umklammerte die Decke und schlief seelenruhig, während ihr sein Anblick umgehend ein Stich in ihrem Herz versetzte. Dabei schien er nicht mal ihre Abwesenheit bemerkt zu haben. Leise suchte sie ihre Sachen zusammen und packte die Tasche, wobei sie die Erleichterung spürte, der Aussprache noch einen Moment entgehen zu können. Nachdem sie all ihre Habseligkeiten in ihrer Reisetasche verstaut hatte, zog sie den Reißverschluss zu und trug diese hinunter in den Flur. Sie war gerade dabei ihre Tasche an der Garderobe abzustellen, als Clare direkt neben ihr trat und sie verwundert anschaute. Noch ehe seine Mutter etwas sagen konnte, ergriff Emma bereits das Wort. „Guten Morgen, Clare. Ich habe schon mal meine Tasche gepackt. Würdest du mich nachher zum Flughafen fahren?“
„Ja sicher, Liebes. Das war doch bereits so abgesprochen. Ist alles in Ordnung, du wirkst durcheinander?“ Clare schaute sie mit gerunzelter Stirn und besorgtem Blick an und Emma war bewusst, dass seine Mum bemerkte, wie etwas nicht mit ihr stimmte. Für einen kurzen Moment hätte sie sich gerne das Herz bei ihr ausgeschüttet, ihre Sorgen und den Kummer, der ihre Seele belastete, mitgeteilt. Doch erneut unterdrückte Emma ihre Gefühle und ließ einzig und allein ihren Verstand entscheiden, während ihr Herz unaufhörlich in ihr schrie.
„Es geht, es ist nur, weil ich gleich wieder heim muss“, sagte sie traurig und es war nicht einmal eine Lüge, obwohl es auch nicht ganz der Wahrheit entsprach. Mit einem gequälten Lächeln schaute Emma sie noch einen Moment an, bevor sie sich umdrehte und die Treppe hinauflief.
Vor der Zimmertür hielt sie kurz inne, denn das, was ihr jetzt bevorstand, war das Schwerste und Schlimmste, was sie jemals tun musste. Es zerriss ihr das Herz und Tränen versuchten sich erneut, den Weg nach oben zu bahnen, doch sie schluckte diese erfolgreich herunter. Sie hatte sich gegen ihre Gefühle und für ihren Verstand entschieden. Noch immer war sie davon überzeugt, das Richtige zu tun, auch wenn es sie zerstören würde.
Jetzt reiß dich zusammen! Es ist das Beste so, die Entscheidung ist gefallen und da lässt sich nun auch nichts mehr dran ändern.
Emma raffte die Schultern, schloss ihre Augen und atmete tief durch.
Es ist das einzig Richtige, was zu tun ist. Also los, zieh das jetzt durch!
Entschlossen trat sie durch die Tür in sein Zimmer. Und obwohl sie sich so gut auf das Gespräch mit Rob vorbereitet hatte, traf sie der Schlag, als sie ihren Freund wach und mit einem Lächeln auf dem Gesicht im Bett sitzen sah. Der Kloß in ihrem Hals raubte ihr die Luft zum Atmen und sie musste sich fest auf die Zunge beißen, um ihre Tränen zurückhalten zu können. Sie durfte jetzt auf gar keinen Fall zusammenbrechen – sie musste all ihre Kraft zusammennehmen, damit sie überhaupt in der Lage war, den Schritt endgültig machen zu können. Egal wie sie innerlich gerade zerfiel.
„Guten Morgen.“ Er lächelte und sah Emma abwartend an. Bei dem Gedanken daran, was sie ihm jetzt mitteilen würde, war sie nicht in der Lage, die aufkommende Übelkeit zu bekämpfen. „Morgen“, murmelte sie mit erstickter Stimme und versuchte seinem Blick auszuweichen, als sie näher an ihn herantrat. Die Entschlossenheit war in ihr, wie weggeflogen und nervös biss sie sich auf die Unterlippe.
„Schatz, du siehst nicht gut aus. Komm doch mal her.“ Aufmunternd schaute Rob sie an, dabei klopfte er neben sich auf die Matratze und wartete, dass sie zu ihm rüberkam. Unsicher nestelte Emma mit den Fingern an ihrem Oberteil und setzte sich mit gesenktem Blick neben ihn. „Ich weiß, du magst nicht fliegen. Und ich mag dich auch lieber hier bei mir haben“, zärtlich griff er nach Emmas Hand. „Aber nächstes Wochenende komm ich zu dir, versprochen!“ Ruckartig zog sie ihre Hand unter seiner sanften Berührung zurück, wobei sie sofort seinen irritierten Gesichtsausdruck wahrnahm. Der kalte Schweiß brach ihr augenblicklich auf der Stirn aus, als ihr gänzlich bewusst wurde, dass der Moment gekommen war, wo sie ihm ihren Entschluss mitteilen und ihm Lebewohl sagen musste. „Wir müssen reden“, brachte sie gequält über ihre Lippen, während sein verwunderter Blick auf ihren traf. Bevor er irgendwas erwidern konnte, stand Emma vom Bett auf, wandte ihm den Rücken zu und seufzte leise auf, als sie zögerlich weitersprach. „Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll. Herrgott, wie soll ich dir das jetzt sagen?“, nervös strich sie sich eine Haarsträhne hinters Ohr. „Ich habe dir gestern gesagt, dass ich dir eine zweite Chance gebe und versuchen werde, dir wieder zu vertrauen. Aber ich schaffe es nicht, die Bilder aus meinem Kopf zu verbannen.“ Unruhig begann sie im Raum, mit gesenktem Blick, umherzuwandern. „So sehr ich es gestern und heute Nacht versucht habe, aber die Angst und der Schmerz lassen mich nicht los. Es tut einfach zu sehr weh und ich weiß nicht, ob ich es jemals vergessen kann!“ Sie zupfte noch immer am Bund ihres Pullovers rum, als Robs irritierte Stimme, sie plötzlich erstarren ließ. „Emma, was wird das hier?“ Mit einem tiefen Atemzug drehte sie sich langsam zu ihm um und sah direkt in seine wunderschönen topasblauen Augen, die ihr fast den Atem nahmen. Er saß noch immer auf dem Bett und schaute sie verwirrt und gleichzeitig fragend an. Ihr Herz zog sich krampfhaft bei der Vorstellung zusammen, ihm jetzt Lebwohl sagen zu müssen. Für einen winzigen Moment haderte sie mit sich und suchte die richtigen Worte, doch es wollten sich beim besten Willen keine finden lassen. So stand sie schweigend vor ihm, biss sich auf ihre Unterlippe, während es in ihrer Brust unfassbar schmerzte.
Warum war es so schrecklich schmerzhaft, wenn es doch die richtige Entscheidung war?
„Mensch, sag doch was! Du machst mir Angst! Ich weiß, ich habe einen riesen Fehler gemacht und ich bereue es zutiefst. Aber wir hatten doch gestern so einen wunderbaren Tag, dabei hatte ich das Gefühl, es könnte alles wieder gut werden! Und ich habe doch gesehen und gespürt, wie ausgelassen und frei du dich wieder gefühlt hast“, sagte Rob, während er mit gerunzelter Stirn auf sie zukam und zögernd mit einem Finger über ihren Oberarm strich. „Und wir finden einen Weg. Ganz sicher, Emma!“ Die Berührung ließ sie erschauern und sie spürte, wie sich in ihrem Hals ein Knoten bildete, als sie bei seinen Worten, die ängstliche Stimme vernahm. Himmel, es war so schwer, sie hatte keine Ahnung, wie sie es ihm plausibel machen sollte und wie sie es überstehen sollte, ohne selbst einzubrechen. Abermals spürte sie seine Hand über ihren Arm streifen, was sie erneut aus dem Konzept brachte und sofort machte sie einen Schritt zur Seite. Sie konnte seine Nähe nicht ertragen, es war auch so schon schwierig genug. Aber wenn sie ihn jetzt auch noch direkt an sich spürte, war es ihr fast unmöglich, sich nicht von ihren Gefühlen leiten zu lassen. „Ich habe… habe es wirklich versucht“, stotterte sie leise, während sie sich von ihm wegdrehte. „Der … der Tag war wirklich wunderschön mit dir. Ich habe ihn sehr genossen und für einen kurzen Moment hatte ich alles vergessen. Doch gleichzeitig hat es mir auch gezeigt, was alles kaputtgegangen ist. Was alles in mir zu Bruch gegangen ist.“ Während sie mit zittriger Stimme und gegen die Tränen ankämpfend sprach, hielt sie sich die Hand an ihrem Herzen gedrückt. So, als wenn die versuchen würde, es vor dem Zersplittern schützen zu wollen, was sie selbst verursachte. Emma stand weiterhin mit den Rücken zu ihm gewandt da, bis sie langsam die Kraft fand, sich wieder zu ihm umzudrehen und ihm augenblicklich in sein wunderschönes Gesicht schaute. Sie hatte kurz das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren, als sie sah, wie sein sonstiges wunderschönen Lächeln, einer ernsten und geschockten Miene gewichen war und es drehte ihr den Magen um.
Was hatte sie denn erwartet, dass er sie freudestrahlend anlächelt, wenn sie dabei war, ihm das Herz zu brechen?
„Emma, das …das kannst du nicht machen… Ich liebe dich! Ich liebe dich wirklich, das musst du mir glauben!“, rief er verzweifelt und leicht panisch, als er begriff, was sie ihm sagen wollte. Er machte einen Schritt auf ihr zu, doch seine Freundin wich ihm erneut aus. „Ich weiß, dass du mich liebst. Ich sehe und spüre es. Dennoch sind dort die Zweifel, die mich nicht loslassen. Ich glaube nicht daran, dass unsere Liebe die Entfernung überstehen kann, nicht nach dem Vorfall. Mein Vertrauen in dich ist gebrochen. Ich würde immer misstrauisch und eifersüchtig reagieren, wenn du dich nicht meldest und mich fragen, was du so treibst. Aber das will ich uns, und mir nicht antun. Ich möchte unsere gemeinsame Zeit, so schön wie sie war, in Erinnerung behalten und nicht hässlich enden lassen. Es tut mir leid.“ Ihre letzten Worte waren nur noch ein Flüstern und der Kloß in ihrem Hals schwoll immer weiter an, bei dem mühsamen Kampf ihre Tränen weiter zurückzuhalten. Es tat ihr selbst so unermesslich weh, ihn so zu verletzten und ihr war bewusst, dass sie ihm gerade das Herz brach, sowie ihr eigenes gerade in tausend kleine Splitter zerfiel. Sie hatte es nicht geschafft, ihn bei ihren Worten, in die Augen zu schauen und hatte den Blick auf ihre Hände gerichtet, als sie aus dem Augenwinkel sah, wie er sich geschockt auf sein Bett zurückfallen ließ. Mit dem Blick an die Wand starrend, schien er zu versuchen, das Gesagte zu verkraften. Emmas Herz war wie betäubt und innerlich kämpfte sie gegen den Drang an, augenblicklich zu ihm zu rennen und ihn in ihre Arme zu schließen. Ihm zu sagen, dass alles wieder gut würde – dass sie ihn noch immer so schrecklich lieben würde und sie einfach zusammengehörten. Doch sie konnte es nicht – obwohl es stimmte, sie liebte ihn - und für einen Moment lang trat eine unangenehme Stille ein, wobei sich in ihr das bedrückende Gefühl immer weiter ausbreitete und seine Stimme sie abermals erstarren ließ.
„Tu es nicht, bitte tu es nicht. Ich liebe dich und mache alles für dich, aber mach nicht Schluss. Nicht, weil ich so einen bescheuerten Fehler gemacht habe. Ich gebe auch die Rolle und das Theaterstück auf, wenn ich dich so halten kann! Das ist es mir nicht wert. Tanya bedeutet nichts!“ Er schaute sie flehend an und Emma sah es in seinen Augen feucht aufblitzen. Ihr Magen verkrampfte sich abermals schmerzlich, wobei ihr erneut kalter Schweiß aus der Stirn ausbrach und auf die Handflächen übergangen war. Oh Gott, er würde wirklich soweit für sie gehen, genau das was sie befürchtet hatte und sie unter keinen Umständen wollte. Die Erkenntnis bestärkte sie nur mehr, ihm nichts vom gestrigen Vorfall mit Tanya zu erzählen. Erschrocken und gleichzeitig gerührt von seinen Worten, setzte sie sich neben ihm und nahm all ihre Kraft zusammen, um ihn in seine wunderschönen Augen schauen zu können. Mühsam kämpfte sie gegen den Drang an, nicht heulend vor ihm zusammen zu brechen, und schluckte, bevor sie einfühlsam und leise zu ihm sprach. „Nein, das möchte ich nicht. Hörst du?! Ich möchte nicht, dass du deine Träume für mich aufgibst. Das ist nicht richtig. Ich habe gesehen, mit was für einer Leidenschaft du auf der Bühne stehst und es war fantastisch. Mach weiter, ich würde es mir nie verzeihen, wenn ich dir deine Zukunft verbauen würde.“ Ihre Stimme klang sicher und gefasst, denn es entsprach der Wahrheit und das, was sie fühlte. Nur, weil sie mit der Situation und vor allem nicht mit Tanya klarkam, konnte sie ihm seine Träume nicht nehmen. Das wäre egoistisch gewesen, auch wenn sie an ihrer Entscheidung drohte zu zerbrechen, hielt sie eisern daran fest. Emma schaute ihn ehrlich und genauso traurig in die Augen, wie er es tat. Für einen kurzen Moment verharrten ihre Blicke in einander, während sie wieder einmal gegen ihr Herz ankämpfte, welches so laut vor Schmerz schrie, als plötzlich die Tür geöffnet wurde und beide überrascht Richard im Türrahmen stehen sahen.
„Kommt ihr beide bitte nach unten? Wir müssen gleich los, dein Flug geht bald, Emma“, meinte er freundlich und sah die beiden in der nächsten Sekunde verwundert an. „Ja, nur noch einen kleinen Moment“, antwortete Emma direkt, während Rob nur stumm seinem Vater zunickte, als er sich umdrehte und schweigend die Tür hinter sich zuzog.
Oh Gott, es war soweit, sie würde sich gleich für immer von ihrem Liebsten verabschieden müssen. Allein der Gedanke, schnürte ihr die Kehle zu und ihr Atem beschleunigte sich augenblicklich, als ihr schmerzlich bewusst wurde, wie endgültig ihre Entscheidung war. Es gab kein Zurück mehr. Rob saß noch immer schweigend neben ihr und starrte sie mit einem fast schon leeren Blick an. Es schien, als würde er noch gar nicht richtig begreifen, was hier gerade passiert war. „Rob, ich möchte nicht, dass du mich zum Flughafen begleitest. Lieber würde ich mich hier von dir verabschieden, denn es ist schon so schwer genug für uns“, sprach sie vorsichtig die Bitte, die ihr am Herzen lag, an ihn gewandt aus, während sie nervös mit den Fingern an ihrem Anhänger spielte. „Nein, Emma lass mich mitkommen. Du kannst hier doch nicht alles so beenden.“ Seine Stimme klang verzweifelt und ihr tat es in der Seele weh, Rob so zu verletzten. „Bitte Rob, mach es nicht noch schwieriger, als es eh schon ist“, wiederholte sie leise und ihre Stimme brach ab, als sie das feuchte Glitzern in seinen Augen erkannte. Mit einem tiefen Atemzug griff sie, mit beiden Händen an ihrer Kette, öffnete vorsichtig den Verschluss und ließ diese in ihre Hand gleiten, während sie den Blick nach unten gewandt hatte. Sie ließ ein letztes Mal ihren Blick auf die Gravur gleiten und strich sanft mit dem Finger drüber. „In Liebe, Rob“
Es ließ sie an den Abschied im Urlaub erinnern, der schon schlimm gewesen war, aber kein Vergleich zu diesem hier darstellte. „Bitte nimm sie zurück“, flüsterte sie und hielt ihm mit zitternder Hand ihren Anhänger entgegen. „Ich möchte, dass du es annimmst. Ich brauche sie nicht mehr.“ Ihre eigenen Worte stachen ihr selber, wie kleine Nadelstiche in der Brust, sodass sich eine Träne aus ihrem Auge stahl, als sie den verzweifelten und gebrochenen Blick von Rob sah. Zögernd nahm er ihr die Kette ab, während er seine Tränen nicht länger zurückhalten konnte und ungehemmt über seinem Gesicht laufen ließ. Zärtlich strich Emma mit der Hand über seine Wange, wobei sie das letzte Mal in seine topasblauen Augen schaute, welche ihr dem Atem nahmen. Doch sie war entschlossen, dass dies für sie beide, die richtige Entscheidung war, auch wenn es ihr das Herz brach. „Ich werde dich immer in meinem Herzen behalten und Dich nicht vergessen. Es war eine wunderbare Zeit mit dir. Aber es ist besser so! Ich hoffe, du kannst mir irgendwann verzeihen“, murmelte sie liebevoll und spürte, wie ihre Kraft schwand, um die Tränen erneut zurückzuhalten.
Sie musste hier raus, und zwar sofort!
Er sollte sie auf gar keinen Fall so sehen, denn das würde alles nur verkomplizieren. Emma stand auf, schaute noch einmal zu Rob, der auf seine Hand mit dem Anhänger starrte, während ihm eine Träne von der Nasenspitze tropfte. Der Anblick stach unerträglich in ihrem Herz, so sehr, dass sie schnell den Blick von ihm abwenden musste und Richtung Tür ging. „Mach´s gut, Rob!“, flüsterte sie mit gebrochener und trauriger Stimme, während sie die Türklinke mit der Hand umfasste. „Emma, nicht! Das kann doch alles nicht vorbei sein!“, hörte sie seine verzweifelte und tränenerstickte Stimme hinter sich, und brachte für einige Sekunden ihre Entscheidung ins Wanken.
Wollte sie das hier wirklich? Wollte sie ihn wirklich aufgeben? War es wirklich so aussichtslos, wie sie dachte? Innerlich zerrissen lief ihr eine Träne über die Wange und tropfte stumm auf dem Teppich. Doch ohne sich noch einmal zu Rob umzudrehen, öffnete sie die Tür, trat hinaus auf den Flur und ließ ihre Liebe wortlos und allein im Zimmer zurück. Mit schnellen Schritten flüchtete sie den Flur entlang und rannte die Treppe herunter, sie wollte nur noch raus. Den Kampf gegen die Tränen hatte sie mittlerweile verloren und ungehemmt strömten sie über ihr Gesicht, als sie durch die Haustür stürmte. In ihr brach alles, wie ein Kartenhaus, das vom Wind umgeweht wurde, zusammen. Ihre ganze Entschlossenheit, Kraft und Stärke war wie weggeflogen, als sie spürte, wie sehr ihr Herz auseinandergerissen wurde, und sie wollte sich nur noch in irgendeine Ecke verkriechen. Sie wollte an einen stillen Ort, um den Schmerz verkraften, nicht mehr an das Geschehene denken zu müssen.
Was hatte sie getan? Wieso tat sie sich selber so weh?
Die aufkommende Übelkeit überrollte sie, wie eine kalte Welle und sie bekam das Gefühl, sich jeden Augenblick übergeben zu müssen. Schleichend, aber mit voller Wucht, traf sie die Erkenntnis, was ihre Entscheidung für ein fataler Fehler gewesen war – aber es gab kein Zurück mehr. Soeben hatte Emma ihre große Liebe, ihre andere Hälfte und ihr Leben aufgegeben. Nie wieder würde sie ihn wiedersehen, nie wieder in seine topasblauen Augen versinken, nie wieder seine Lippen auf ihren spüren, und nie wieder seinen Duft riechen. Mit Tränen überströmten Gesicht erreichte sie das Auto der Pattinsons, wo bereits Clare und Richard auf sie warteten. Erschrocken und verwirrt kamen beide ihr entgegengelaufen, um sie zu trösten und zu erfahren, was passiert war. Doch Emma ließ ihre Nähe nicht zu, erklärte nur kurz den Grund ihres Zustandes und bat darum sie einfach zum Flughafen zu fahren. Bestürzt und verwirrt schauten sich Robs Eltern an, jedoch respektierten ihre Bitte.
Emma wollte nur noch schnell nach Hause, allein sein und war dankbar, dass seine Eltern nicht weitere Fragen stellten. Schweigend fuhren sie schlussendlich zum Flughafen, wobei Emma weitere stumme Tränen über die Wangen kullerten, als all die wunderschönen Erinnerungen mit ihm auf sie einprasselten und sie schmerzhaft spüren ließen, was sie sich beiden gerade angetan hatte.
Völlig geschockt und irritiert darüber, was Emma gerade gesagt hatte, saß Rob auf seinem Bett und starrte auf den Anhänger in seiner Hand. Tränen flossen unkontrolliert über sein Gesicht und tropften auf seine Pyjamahose, während ihm ihre Worte immer wieder durch den Kopf hallten.
Er begriff es einfach nicht, gerade nach gestern, wo alles wieder so entspannt und wunderschön mit ihr gewesen war, machte sie plötzlich mit ihm Schluss. Ihre Worte trafen ihn, wie ein Schlag und es zerriss ihm das Herz, als sie ihm auch noch ihre Kette zurückgab. Zärtlich strich er mit dem Finger über den Engelsflügel, wobei eine erneute Träne auf diesen traf. „Warum? Warum, tust du mir das an?“, wisperte er erstickt, als ihm seine eigenen, eingravierten Worte ins Auge fielen. Emma konnte ihn doch nicht wirklich verlassen haben! Er musste sich in einem fürchterlichen Albtraum befinden, denn anders konnte er sich das nicht erklären. Sie könnte ihm das doch niemals antun, denn sie liebten sich.
Oder war es für sie nur ein Spiel? NEIN!
Das konnte er sich nicht vorstellen. Nicht sein Mädchen, selbst gerade noch, hatte er die Liebe und Wärme, die ihm galt, in ihren Augen gesehen. Sie konnte das unmöglich ernst meinen. Von seinen Gedanken und Gefühlen erschüttert, wischte er sich mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht, steckte die Kette in seine Hosentasche und stürmte aus seinem Zimmer. Er konnte sie nicht einfach so gehen lassen. Nicht so! Er wollte sie zurückgewinnen, koste es was es wolle, auch wenn er sein Hobby an den Nagel hängen würde, aber für Emma - für sein Leben - war es ihm das wert. Mit Entschlossenheit rannte er die Treppe hinunter, hinaus auf den Hof, wo er atemlos und verzweifelt stehen blieb. „Verdammt, sie sind schon weg!“ Fluchend strich er sich mit der Hand durchs Haar, während er verzweifelt überlegte, wie er zum Flughafen kommen konnte. Als ihm plötzlich, der Wagen seiner Schwester, der am Ende der Einfahrt stand, ins Auge fiel. Eilig raste er zurück ins Haus. „Lizzy! Lizzy, wo bist du?!“, brüllte er atemlos, wobei er ungeduldig Richtung Esszimmer marschierte und auf ihre Antwort wartete. Sie musste ja hier irgendwo sein. „Ich bin in der Küche, kleiner Bruder!“ Erleichtert über ihre schnelle Reaktion, lief Rob direkt in die Küche und blieb völlig außer Atem vor Lizzy stehen, die ihn irritiert anschaute. „Was ist denn mit dir los? Ist etwas passiert?“, fragte sie besorgt, als sie direkt in seine geröteten Augen und das blasse Gesicht blickte. „Ich muss zum Flughafen. Sofort!“, antwortete er nur knapp und fuhr sich abermals nervös mit der Hand durch die Haare. Seine große Schwester stand noch immer verwirrt vor ihm und schien die Eile in seiner Stimme nicht zu verstehen. „Bitte fahr mich schnell dahin. Bitte, komm!“ Ungeduldig schnappte er Lizzy an den Oberarm und schleifte sie, Richtung Flur, hinter sich her. „Halt! Stop!“ Etwas gereizt und gleichzeitig verwirrt, riss sie sich von ihm los und kam mitten im Türrahmen zum Stehen. „Sag mir erst einmal, was los ist?“
„Nicht jetzt, Schwesterchen. Ich habe keine Zeit. Emma ist gleich weg und ich kann sie so nicht fliegen lassen“, rasselte er voller Panik herunter. Dabei sah ihm Lizzy immer fragender und mit gerunzelter Stirn in die Augen, bis sie plötzlich schnell an ihm vorbei huschte und ihren Schlüssel von der Kommode fischte. „Dann komm, und du erklärst mir unterwegs, was hier eigentlich los ist.“ Mit schnellen Schritten ging sie Richtung Auto und Rob eilte ihr hektisch hinter her.
Während der Fahrt erzählte er völlig aufgebracht seiner Schwester, was passiert war. Dabei fuhr er sich immer wieder nervös mit den Händen durch seine Haare, wobei er sich ständig beklagte, dass sie doch schneller fahren sollte. Lizzy war ebenfalls geschockt, und schien Emmas Verhalten, von seinen Erzählungen her zu urteilen, auch nicht so recht nachvollziehen zu können. Mit viel Geduld hörte sie ihrem kleinen Bruder zu, sah seinen Schmerz und die Hoffnung, als er immer mehr seine Gedanken ihr mitteilte. Immer wieder kämpfte Rob gegen die aufkommenden Tränen an, während die Panik und Angst, Emma für immer verloren zu haben, seinen Körper beherrschte.
Oh Gott, bitte lass mich rechtzeitig da sein, betete er innerlich rauf und runter und knackte dabei nervös mit seinen Fingern. Als sie schließlich nach einer gefühlten Ewigkeit den Flughafen erreicht hatten, hielt Lizzy direkt am Eingang und Rob sprang sofort aus dem Wagen. Mit pochendem Herzen und rasenden Puls rannte er in die Flughalle, dabei schaute er hektisch suchend auf die Anzeigetafel, um Emmas Flug zu finden. „Fuck! Von welchem Gate geht der verdammte Flug?“, fluchte er panisch vor sich hin, während seine Augen weiterhin hektisch über die Tafel flogen. Es dauerte einige Sekunden, die ihm drohten den letzten Nerv zu rauben, bis er die erlösende Flugnummer gefunden hatte. Sein Herzschlag pochte ihm bis zum Hals, als er erkannte, dass der Flug bereits aufgerufen worden war. Erneute Panik durchflutete ihn, bei der Befürchtung sein Mädchen womöglich für immer zu verlieren. Absolut aufgewühlt von seinen Gefühlen und Ängsten spurtete Rob los. Er bahnte sich seinen Weg durch die dichte Menschenmenge, direkt auf das Gate zu, noch immer voller Hoffnung Emma aufhalten zu können. Aus der Ferne konnte er seine Eltern bereits erkennen, die sich herzlich von seiner großen Liebe verabschiedeten.
Gott sei Dank, sie ist noch da!
Erleichtert, dass sie noch nicht im Flugzeug saß, rannte er noch schneller, um sie doch noch erreichen zu können. Doch kurz bevor er am Gate ankam, versperrte ihm eine Gruppe Touristen den Weg, sodass er gezwungen war, einen kleinen Moment stehen zu bleiben. „Verdammt, das darf doch nicht wahr sein“, murmelte er aufgebracht, als er versuchte, sich durch die Gruppe durchzukämpfen.
„Entschuldigung, darf ich mal?“
„Könnten Sie mich bitte einmal vorbeilassen?“
„Danke, ich muss dringend hier vorbei.“ Freundlich aber ungeduldig versuchte er sich, zu erklären und die Leute dazu zu bringen, ihm Platz zu machen. Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte er es endlich geschafft und stand nur noch wenige Meter vom Gate entfernt. Doch er sah Emma nicht mehr.
Wo war sie?
Hektisch suchte er mit seinen Augen das Gate ab, während er hinüberlief, doch es standen nur noch Clare und Richard vor dem Check – in, als er endlich dort ankam. „Emma, warte!“, rief er ihr hinterher, als er sie hinter der Sicherheitsabsperrung entdeckte. Doch sie reagierte nicht.
Keuchend rannte er weiter, bis er schlitternd neben seinen Eltern zum Stehen kam. „Emma!!“, schrie er so laut wie er konnte, doch seine flehenden Worte gingen in dem Lärm der Menschenmasse unter. „Emma, bitte, warte!!“ Die Verzweiflung fraß sich in seinen Verstand, als er sein Leben, seine Liebe davongehen sah. Er wollte nicht akzeptieren, dass es aus und vorbei war, seine Liebe davon und er, trotz der vielen Menschen um ihn herum, mutterseelenallein war. Emma verschwand gänzlich aus seinem Blickfeld, als ihm ein eiserner Schmerz durch die Brust fuhr. „Nein!“, flüsterte er mit erstickter Stimme und merkte nicht, wie sich unzählige Tränen aus seinen Augen einen Weg bahnten.
„Rob-“, hörte er seine Mutter neben sich und konnte spüren, wie sich ihre Hand auf seine Schulter legte. „Nein“, wiederholte er das einzige Wort, das er noch in der Lage war, über seine Lippen zu bringen. Er drehte sich auf dem Absatz um und rannte zu der großen Scheibe, von der man den ganzen Flugplatz überblicken konnte. Die Rufe seiner Eltern gingen in dem Lärm der Menschenmenge unter, doch es war zu bezweifeln, dass er sie auch anders gehört hätte. In seinem Kopf war, nur noch Emma und die erschütternde Erkenntnis, dass es endgültig vorbei war. Er sah hinaus aus dem riesigen Fenster, sah Flugzeuge und herumfahrende Autos, während ihm sein Herz schmerzlich und hart gegen den Brustkorb schlug.
Stumm liefen ihm die Tränen auch noch Minuten später über die Wangen, als er sah, wie ihr Flugzeug in die Lüfte abhob und am Horizont verschwand – und mit ihm sein Leben.
Ende
Epilog
Rob POV
Ich saß, mit tränenverschleierten Blick, auf meinem Bett und starrte auf mein Handy, während ich innerlich flehte, dass das verdammte Teil endlich einen Ton von sich gab. Doch es blieb stumm – so wie es das seit Wochen tat. Seit sie gegangen war – seit sie mich verlassen hatte. Ich schloss die Augen und sah Emma vor mir, wie sie sich zu mir umdrehte. Mich mit ihren warmen braunen Augen anstrahlte und mir ihr bezauberndes Lächeln schenkte, während ihr Haar sanft vom Wind getragen wurde. Wie sie auf mich zu Schritt und mir einen samtenen Kuss zu hauchte, während ihre Lippen ein „Ich liebe dich“ formten. Die Erinnerung versetzte mir augenblicklich einen Stich in mein Herz und mein Magen verkrampfte sich schmerzhaft. Es ließ mich grausam spüren, dass ich noch lebte, obwohl ich mich innerlich tot fühlte.
Wieso? Wieso hatte sie mir – uns - das angetan?
Ich fühlte mich so leer – so unvollständig. Sie war mein Leben – immer noch. Ich öffnete die Kontaktliste auf meinem Handy und tippte auf die Wahlwiederholung, doch wie bei all den anderen erfolglosen Versuchen, ertönte nur die gleiche Ansage „Der Teilnehmer ist nicht erreichbar!“ Genauso wie meine zig Nachrichten, die nicht zugestellt wurden. Seitdem sie vor drei Wochen abgeflogen war, hatte ich sie immer wieder versucht zu erreichen. Doch sie ging nicht ran, oder hatte ihr Telefon ausgestellt. Mittlerweile glaubte ich, sie hatte mich tatsächlich blockiert. Kurzweilig hatte ich überlegt, mich einfach in den Flieger zu setzen, um mit ihr persönlich zu sprechen. Doch als ich sie versucht hatte, über ihre Eltern zu erreichen, hatte mir ihr Vater nur deutlich nahegelegt, sie in Ruhe zu lassen, denn sie leide schon genug.
Sie?! Ausgerechnet sie!
Das verstand ich nicht. Emma war doch diejenige, die unsere Liebe weggeworfen hatte. Mit welchen recht litt sie? Also hatte ich den Plan niedergeschlagen verworfen, weil ich befürchtete, dass ich sowieso nicht bis zu Emma vordringen konnte. Es war sinnlos. Dennoch war ich nicht in der Lage gewesen sie aufzugeben, obwohl sie mich anscheinend so einfach wegwerfen konnte. Frustriert schmiss ich mein Handy aufs Bett und strich mir mit der Hand durch mein ungewaschenes Haar, während ich mir mit der anderen die Tränen aus dem Gesicht wischte. Ich wollte eine Erklärung. Ich wollte hier nicht sitzen und weiter grübeln, warum sie mich hatte plötzlich sitzen lassen, obwohl sie uns eine Chance geben wollte. Ich wollte verstehen. Verdammt! Ich wollte sie zurück. Das konnte doch nicht alles gewesen sein. Es konnte nicht das Ende sein. Nicht so – nicht wegen eines einzigen verdammten Fehlers. Ja, ich wollte auch mich noch mal erklären, aber auch Emma hatte viele Fragen aufgeworfen, die einfach unbeantwortet blieben. Immer wieder bin ich gedanklich unseren letzten gemeinsamen Tag durchgegangen, um dort Hinweise für ihre plötzliche Kehrtwende zu finden, aber mir blieben sie schleierhaft verborgen. Ich sah nur schmerzhaft, wie ausgelassen, vertraut und glücklich wir miteinander umgegangen waren, nachdem wir dachten, den Sturm, den ich entfacht hatte überstanden zu haben. Und dann kam der Donnerschlag, wie aus dem Nichts. Gut, sie war, als ich vom Supermarkt wieder zurückkam kurzweilig verhaltener, aber ich führte es auf den langen Tag und die schlaflose Nacht zuvor zurück. Ich konnte doch nicht ahnen, was mich am nächsten Morgen erwarten würde.
Hatte ich, im Laufe des Tages, irgendwo einen Fehler gemacht, den ich nicht erkannte? Hatte ich ihr noch mal Grund für ihre Zweifel gegeben? Wieso ließ sie mir keine Chance zu verstehen?
Ich fand auf die Fragen einfach keine Antworten. Verzweifelt fuhr ich mir abermals durch mein Haar, als mein Herz erneut vor Schmerz aufschrie, während ihr wunderschönes Gesicht schonungslos vor mein geistiges Auge aufblitzte. Ruckartig stand ich vom Bett auf und versuchte die Erinnerungen von ihr abzuschütteln, während ich unruhig im Zimmer umherlief. Als mir plötzlich unser Bild, auf dem Schreibtisch, ins Auge fiel, wie wir vor der Burg standen und uns für Lotte ein Lächeln heraus quälten. Erneut ließen mich die Erinnerungen an den Tag – an unseren ersten Kuss - grausam spüren, dass ich noch auf dieser beschissenen Welt war. Schlagartig wirbelte ich herum, als mein Telefon auf der Matratze zu vibrieren begann, während ich mit einem Satz nach dem Teil griff. Nur in der leisen Hoffnung, dass Emma sich doch noch bei mir melden würde. Doch ich sackte abermals enttäuscht auf mein Bett zurück, als ich erkannte, dass es nur Tanya war und fischte Emmas Halstuch, was sie bei ihrer überstürzten Abreise vergessen hatte, vom Kissen und vergrub meine Nase darin. Ihr Geruch umnebelte meine Sinne, während sich tausend kleine Nadelstiche in meine Brust bohrten. Langsam ließ ich es aus meinen Finger zu Boden gleiten, denn zu sehr schmerzte mich die Erinnerung. Mein Blick schweifte kurz aufs Display meines Handys, bevor ich mein Gesicht wieder in meine Hände vergrub. Tanya wollte wissen, wie es mit der nächsten Probe aussah. Aber was interessierte mich das blöde Stück oder die Probe schon?
Nichts!
Es konnten mir gestohlen bleiben. Mir war der Spaß daran absolut vergangen. Wegen dem ganzen Theaterkram hatte der ganze Scheiß doch angefangen. Wegen dem saß ich hier, mit herausgerissenen und blutenden Herzen, weil ich meine verdammten Lippen nicht hatte bei mir behalten können. Ja, ich machte mir deswegen immer noch Vorwürfe und auch, dass ich mein Mädchen, wegen dem ganzen Schauspielmist, vernachlässigt hatte. Wenn sie mir nur die Möglichkeit geben würde, dass ich ihr beweisen könnte, dass sie mir wichtiger war, als all das. Aber sie ließ mich nicht. Sie stieß mich einfach weg, schmiss mich weg! War ich ihr doch nicht so wichtig? Ich hatte sie in meine Seele gelassen … sie war ein Teil von mir und sie war einfach gegangen. Ihre Worte hallten, immer und immer wieder, in meinem Ohr, doch ich begriff sie nicht. Auch nach Wochen nicht. Wieso dachte sie, sie würde für mich ein Hindernis sein?
Ausgerechnet Emma!
Seufzend rieb ich mir über die Augen, während meine Gefühle verrücktspielten. Zwischen dem elendigen betäubenden Schmerz keimte immer mehr die Verzweiflung auf und vermischte sich mit der Wut. Wut auf mich … auf Emma … zeitweise sogar gegen Tanya. Wenn Tanya nicht gewesen wäre, dann … Nein! … Gegen Tanya galt mein Ärger nicht. Sie konnte am wenigsten dafür. Da hatte ich mich von ganz allein hineinmanövriert, denn ich hatte mich vergessen. Und ich würde niemanden für meine Fehler verantwortlich machen. Doch ich spürte, wie die Wut gegen Emma immer stärker wurde. Wie konnte sie nur? Wie konnte sie mich so leiden lassen? Wenn sie mich doch wirklich so lieben würde, wie sie es immer wieder beteuert hatte… Wie schaffte sie es dann, mit nur einem Wimpernschlag, alles zu zerstören? Mich zu zerstören – unsere Liebe auszulöschen? Ohne dabei zurückzublicken! Obwohl ich meinte, in ihren Augen, die Liebe, die mir galt, und den Schmerz gesehen zu haben, als sie mir ihre Kette in die Hand gab – konnte ich nicht länger daran festhalten. Der Gedanke schnürte mir die Kehle zu, als ein weiteres Mal all jene Erinnerungen auf mich einprasselten, während meine Finger sich schmerzhaft in meine Haare festkrallten. Anscheinend waren all meine Bemühungen für die Katz und sie wollte mich einfach nicht mehr. Was die Wut nur ungemein mehr in mir entfachte, als die Erkenntnis immer weiter in mir wuchs, dass ich ihr einfach scheißegal war. Wie sollte ich es mir sonst erklären, dass sie mich auf diese Art so abserviert hatte. Ja, ich hatte einen scheiß großen Fehler gemacht, aber wir hatten uns ausgesprochen. Ich hatte sie spüren lassen, dass sie mir alles bedeutete, und sie hatte mir gezeigt und das Gefühl gegeben, dass sie uns noch eine Chance geben wollte – hatte mich in Sicherheit gewogen. Und dann, keine 12 Stunden später, riss sie mir das Herz raus.
Hatte sie mich nur hingehalten? Wollte sie es mir so heimzahlen? Warum sonst würde sie sich verleugnen lassen und Totstellen, als wenn es sie nie gegeben hätte? War das ihr Plan gewesen?
Und ich saß hier seit Wochen, wie ein Häufchen Elend, weil ich sie in meine Seele hatte schauen lassen und ihr quasi die Macht über mich gegeben hatte. Saß sie zuhause und machte sich mit ihren Freuden über mich lustig, weil sie es geschafft hatte, mich zu zerstören? Meine Gedanken und Gefühle wurden irrational. Obwohl ich es mir bei Emma nie hätte vorstellen können, konnte ich die Wut gegen sie nicht abstellen. Im Gegenteil, je länger ich versuchte, mir aus ihrem Verhalten einen Reim zu machen, und versuchte ihre Worte zu verstehen, die sie mir zum Abschied gesagt hatte, umso wütender wurde ich.
So ging man einfach mit niemanden um, den man liebte.
Frustriert aber entschlossen sprang ich vom Bett auf und marschierte geradewegs zu meinem Schreibtisch. Ich schnappte mir den Bilderrahmen, öffnete hastig die Rückwand und riss das Foto heraus. Ich wollte es nicht mehr sehen – ich wollte sie nicht mehr sehen. Wenn sie sich schon aus meinem Leben verpisste, dann sollte sie es ganz. Ich musste damit abschließen – ich musste mit ihr abschließen. Auch wenn es meine letzte Kraft kosten sollte, aber ich würde ihr nicht weiter die Macht geben, mich zu verletzen. Endgültig! Es sollte mich nichts mehr an sie erinnern. Ich musste sie genauso aus meinem Leben verbannen, wie sie es mit mir getan hatte. Nur so hatte ich eine Chance, mich halbwegs zurück zu kämpfen. Mit dem Bild in der Hand rannte ich aus meinem Zimmer, die Treppe herunter und in die Küche. Eilig riss ich die Schublade auf, wo Mum das ganze Krimskramszeug aufbewahrte, und wühlte nach einem Feuerzeug. Als ich es endlich gefunden hatte, stopfte ich es in meine Hosentasche, schmiss die Lade zu und schnappte mir aus dem Schrank eine größere Müslischüssel, bevor ich wieder in mein Zimmer zurücklief. Oben angekommen stach mir ihr Tuch, vor meinem Bett, ins Auge und legte es zusammen mit dem Bild auf meinen Schreibtisch, neben der Schüssel. Ich ließ mich auf meinen Stuhl nieder und überlegte, was ich mit dem Tuch anstellen sollte. Verbrennen war keine Option – behalten schon gar nicht. Ich schob es erst mal zur Seite und nahm das Foto in die Hand. Noch einmal betrachtete ich es und bereute es augenblicklich, als mich ihre schokoladenfarbenen Augen direkt anschauten – mitten in meine Seele. Schnaubend und gleichzeitig wütend legte ich es in die Schüssel und fischte nach dem Feuerzeug in meiner Hosentasche. Ich ertrug den Anblick nicht mehr. Meine Kehle schnürte sich zu und ich spürte erneut die Tränen, die sich versuchten, den Weg nach oben zu bahnen.
Nein! Damit war jetzt Schluss!
An einer Ecke zündete ich das Bild, mit dem Feuerzeug an und legte es zurück in die Schüssel. Einen kleinen Moment schaute ich zu, wie die Glut vom Rand aus, das Foto schleichend verschlang, als mir das Kästchen in meiner Schreibtischschublade in den Sinn gekrochen kam. Vorsichtig zog ich die Lade auf, nahm das Kästchen in die Hand und starrte unentschlossen drauf, bevor ich es zögerlich öffnete. Mein Herz setzte aus, während ich kraftvoll versuchte, die Tränen zu unterdrücken, als mich unsere beiden Ketten anfunkelten. Die beiden Anhänger hatten sich so platziert, dass der Engel komplett wirkte, während um mich herum alles zerbrach. Wieder überrollten mich die Erinnerungen und ich spürte, dass ich nicht bereit war, alles gänzlich zu verlieren. Ohne drüber nachzudenken, stellte ich das Kästchen auf den Tisch, schnappte mir das brennende Foto aus der Schüssel und versuchte die Glut zu ersticken. Es gelang mir in wenigen Sekunden und ich hielt ein angesengtes Foto, von mir und meiner Ex, in der Hand, was ich einfach nicht in der Lage war zu zerstören. Verärgert über mich selber legte ich alle drei Überbleibsel vor mir auf den Tisch und überlegte, was ich damit anstellen sollte. Ich konnte diese Dinge, die mich tagtäglich schmerzhaft an meine verlorene Liebe erinnerten, nicht um mich haben. Aber ich war auch nicht fähig, sie unwiderruflich aus meinen Leben zu streichen.
Frustriert fuhr ich mir mit der Hand durch meine Haare. Ich musste Emma aus meinem Leben verbannen. Ich musste es schaffen, ihr keine Macht mehr über mich – über mein Leben zu geben. Entschlossen ging ich an meinen Schrank und zog den kleinen Schuhkarton aus dem unteren Fach und beförderte die schwarzen Nikes auf den Boden. Wenn ich schon nicht bereit war, die Sachen zu vernichten, dann mussten sie aus meinen Augen – aus meinem Sinn. Ich legte das Halstuch, das Foto und zum Schluss das Kästchen mit den Ketten in den Karton. Ein letztes Mal betrachtete ich, wehmütig und mit stechenden Herzen, all die Dinge, die uns miteinander verbunden hatten, bevor ich endgültig den Karton fest verschloss und um meine Seele eine hohe Mauer zog. Damit ich wenigstens eine Chance hatte, mich langsam zurück in mein Leben zu kämpfen – ohne Emma!
Ende
Tag der Veröffentlichung: 28.05.2020
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