Cover

Prolog

Wieso ich? Eine Frage die man sich im Laufe seines Lebens bestimmt hundert Mal stellt und trotzdem bleibt sie die ewig unbeantwortete Frage. Ich war immer ganz normal gewesen, so wie jeder andere auch. Sicherlich hatte ich meine Macken, aber sind die Fehler eines Menschen nicht das, was einen letztendlich perfekt macht? Anscheinend nicht, denn so wie ich von jedem angestarrt werde, kann ich wohl kaum perfekt sein oder in irgendeiner Art und Weise normal. Nein, ich steche heraus. Jeder schaut nur auf meinen Bauch und stempelt mich ab. Niemand versteht es und niemand will es verstehen. Für sie bin ich unvorsichtig, eine Schlampe, unverantwortlich oder schlimmeres. Keiner von ihnen weiß es, keiner weiß, was wirklich was ich durchmachen musste, aber das sollen sie auch nicht. Außerdem gibt es durchaus schlimmere Schicksale als das meine. Ich bin die Fehlproduktion der modernen, freien Welt und das lassen sie mich deutlich spüren.

 

 

Dafür liebst du mich doch

Ich stehe in der Unibibliothek zwischen all den Büchern über Geschichte und Politik, von den unterschiedlichen Covern schauen mich die unterschiedlichsten Politiker an. Sie scheinen mich genauso zu mustern, wie alle um mich herum. Nur steht ihnen die Verachtung nicht auf die Stirn geschrieben. Schon wieder höre ich ganz deutlich das Getuschel: „Siehst du die da? Das ist eine aus dem ersten Semester und schwanger. Ich glaube sie heißt Ani. Das ist die aus den Nachrichten.“ Ja, richtig gehört, ich bin schwanger, habe grade erst angefangen zu studieren und mein Name ist Anisha. Aber was wissen diese beiden aufgetakelten Barbieschönheiten schon, die scheinen ja noch nicht mal zu wissen, das man sich für eine Bibliothek nicht anziehen muss, als würde man gleich in einen Club gehen. Aber dennoch bin ich von uns drei der Sonderling was solls. Eigentlich bin ich eh nur hier um meine letzten Bücher abzugeben, ich werde ohnehin wegziehen. Nicht das ich hier keine Freunde hätte die hinter mir stehen, nein ganz im Gegenteil, aber ich ertrage es einfach nicht mehr, alles erinnert mich hier an diese Nacht. Ich schaffe das einfach nicht mehr. Ich weiß das ist schäbig, aber ich konnte ihnen einfach nichts davon sagen. Ich werde gehen ohne mich zu verabschieden und sie werden mich dafür hassen, auch ich werde das, aber das ist egal. Irgendwie muss ich darüber hinwegkommen und momentan eröffnet sich für mich keine andere Lösung als alle Brücken abzureißen und zu verschwinden. Denn jedes Wort das sie beispielsweise am Telefon sagen werden und jede Berührung, wenn sie mich besuchen kommen, wird mich erinnern und hier her zurückbringen. Aber das kann ich nicht. Ich muss einen Schlussstrich ziehen. In Toronto weiß keiner davon und das ist auch gut so. Es ist der perfekte Neustart und noch sieht man auch nichts. Ich werde also vorerst meine Ruhe haben. Nachdem ich endlich an der Theke die Bücher abgegeben habe, schultere ich meine Tasche und verschwinde durch die großen Glastüren nach draußen an die frische Luft, tief atme ich durch und mache mich dann auf den Weg zurück in meine Wohnung, um die letzten Sachen zu packen und Chicago hinter mir zu lassen. Toronto ist der perfekte Ort, da komme ich her und dort wird mich niemand vermuten, denn keiner weiß das ich eine waschechte Kanadierin bin, das ist nichts was ich gerne Leuten auf die Nase binde, es war auch nicht nötig, da meine Eltern mit mir schon vor meinem Schulabschluss hergezogen sind. Endlich als ich alles verstaut habe, steige ich ins Auto und starte meine lange Fahrt. Neun Stunden bin ich unterwegs, ich fahre ohne Unterbrechung, das Autofahren beruhigt mich und lässt mich für diesen Abend alle meine Sorgen vergessen. Als ich die Interstate verlass und das letzte Stück über den Highway in die Megacity einbiege, fühle ich mich geborgen. Es ist schon stockdunkel, als ich das Hochhaus gefunden habe. Es ist mein neues Zuhause und wirklich nicht schlecht, das Gericht hat mir eine hohe Summe zugesprochen, von der ich mir einiges Leisten kann. Unter anderem ein gut ausgestattetes Apartment. Die Möbel stehen bereits alle in der Wohnung, aber um alles auszupacken bin ich einfach zu müde. Die Schwangerschaft macht mir schwer zu schaffen und so schnappe ich mir nur die Matratze und eine Wolldecke. Noch bevor mein Kopf die weiche Matratze erreicht, schlafe ich bereits tief und fest.

 

Die Sonne blendet mich, als ich aufwache. Es ist bereits elf Uhr und höllisch heiß, denn auch in Toronto sind die Sommer nicht ohne. Nachdem ich mich frisch gemacht habe und alles aus dem Auto nach oben verfrachtet habe, beschließe ich in den Baumarkt zu fahren, um Farbe und alles nötige zu kaufen. Ich möchte fertig sein bevor ich endlich nach all den Jahren meinem Bruder wieder unter die Augen trete. Während ich durch die Regale streife und Grün-, Türkis- und Grautöne in den Wagen packe, denke ich über meinen Bruder nach. Als wir nach Chicago zogen, hatte Patrick versucht Mom davon abzuhalten, er probierte alles. Sie solle nicht vor allem davon laufen, es würde nichts bringen, eine andere Stadt würde kein neues leben bedeuten und letztendlich setzte er alles, er sagte ihr das wenn wir gehen würden, er nicht mitkommen würde und er machte sein Versprechen war. Mom ist stur, sie brachen den Kontakt ab und auch vom Rest der Familie wurde erwartet mit Pat kein Wort mehr zu reden. Als ich endlich ein eigenes Handy hatte, um mit meinem geliebten Bruder reden zu können, hatte der aber bereits eine neue Handynummer und so wurde auch ich gezwungen meinen Bruder zu verlassen. Manchmal wenn Mom nicht im Haus war, erzählt mir Dad wie es Patrick ging, aber stets verlor er kein Wort darüber, woher er das wusste. Denn auch wenn er meine Mom liebt, weiß er das sie mich rausschmeißen würde, wenn sie es wüsste. Nun ist es dafür zu spät, denn auch ich bin für sie abgeschrieben. Das mag vielleicht alles furchtbar klingen, aber meine Mom hat uns wirklich immer geliebt, nur hatte auch sie es nicht immer leicht. Vielleicht wird sie irgendwann über ihren Schatten springen und endlich versuchen mich und Pat zu verstehen. So in meine Gedanken vertieft starre ich nur noch Löcher in die Luft und die Leute haben bereits begonnen mich komisch anzuschauen, ich grinse sie an und sie drehen sich irritiert weg. Nachdem ich alles habe, bezahle ich und fange in meiner Wohnung sofort an. Die Küche streiche ich in einem schönen hellen grau und setze Akzente mit weiß. Die Küche selbst ist weiß und die schlichte Eleganz gefällt mir. Das Wohnzimmer bekommt eine türkise Wand und das Schlafzimmer wird grün gemischt mit weiß. Nur ein Zimmer lasse ich aus und male Muster in den Flur aus den übrig gebliebenen Farben. Nachdem ich die weißen, bis zum Boden reichenden Vorhänge im Wohnzimmer aufgehangen habe beginnt mein Zuhause Gestalt anzunehmen. Es ist eine offene Küche die nicht getrennt ist vom Wohnzimmer. Das Apartment ist nicht riesig, aber ich mag es. Abends falle ich auf die Matratze, die mittlerweile bezogen ist. Doch bereits nach wenigen Stunden ist an Schlaf nicht mehr zu denken. Die Wände sind trocken und ich fange an die Möbel aufzubauen, so kommt es das ich bereits um zwölf fertig bin. Der Besuch bei Pat ist nun unausweichlich. Ich springe also unter die Dusche und mache mich dann auf den Weg. Alles was ich weiß ist, das er an der Uni nicht weit von hier studiert hat bevor wir gingen. Auf dem Weg dorthin komme ich nicht umhin mir bei Starbucks einen großen Muffin zu holen. Denn endlich ist die Morgenübelkeit verflogen die ich vorhin noch verspürt habe. Nachdem ich im Eingangsbereich der Uni nach jemand gefragt habe, ob man mir Auskunft über die ehemaligen Studenten geben kann, werde ich direkt zum Dekan geschickt. Brav klopfe ich an. Ein dumpfes „Herein!“ ertönt von innen.Vorsichtig öffne ich die Tür. „Setzen Sie sich. Was ist ihr aktueller Studienstatus?“ nachdem ich Platz genommen habe, schaue ich ihn verwundert an. Warum will er das wissen? „Politikgeschichte, erstes Semester mit einem Durchschnitt von 1,0, Sir.“ „Erstaunlich gut Leistung und warum wollen Sie zu uns wechseln Miss..?“ Jetzt verstehe ich das Missverständnis. „Ähm Sir, mein Name ist Anisha McDevon, aber ich möchte gar nicht die Universität wechseln. Ich bin aus einem anderen Grund hier.“ Er wird leicht rot, was eine erstaunlich Leistung für einen älteren, streng wirkenden Mann ist. „Entschuldigen Sie bitte Miss McDevon. Wir führen heute Aufnahmegespräche, ich bin davon ausgegangen, dass Sie dazugehören. Wie kann ich Ihnen helfen?“ Ich lächle leicht, um ihm zu zeigen, dass es okay ist. „Ich bin auf der Suche nach meinem Bruder. Er hat hier studiert, als ich gezwungen war ihn zu verlassen.“ „Darf ich bitte einen Ausweis sehen, es handelt sich um vertrauliche Informationen, die sie hier von mir verlangen. Und ich brauche wenigstens die Garantie das sie verwandt sind.“ Ich krame in meiner Handtasche, die typische Frau ein völliges Chaos ist. Deshalb bemerke ich auch nicht das die Tür hinter mir aufgeht. „Hey George, sind die Aufnahmegespräche etwa immer noch nicht vorbei?“ lacht eine tiefe Männerstimme hinter mir. Ich fahre herum, ein Mann Anfang dreißig steht hinter mir und er sieht verdammt gut aus. „Wegen welchem hervorragenden Studiengang sind Sie hier?“ fährt er fort. George antwortet sofort für mich. „Sie ist nicht wegen der Aufnahmegespräche hier.“ brummt er. „Wirklich? Sie tragen ein Ring, der Sie als Elite der Chicago University auszeichnet und befinden sich während sie bereits ihr nächstes Semester wahrnehmen sollten in Toronto?“ fragt der Mann erstaunt und nimmt auf einem der Stühle Platz. „Jemand wie Sie verpasst keinen Tag ohne triftigen Grund.“ Bevor George dazwischen fahren kann, schaue ich ihn belustigt an. „Nur weil ich mal zur Elite gehört habe, heißt das nicht, dass ich in Chicago studiere. Außerdem verpasse ich des öfteren den ein oder anderen Tag. Meine Noten sagen nichts über mich aus und wenn Sie nichts dagegen haben, würden der Dekan und ich gerne über den eigentlichen Grund meiner Anwesenheit sprechen.“ sage ich zuckersüß. Auch George kommt wieder zu meinem Problem zurück und nimmt meinen Ausweis entgegen. Er runzelt die Stirn. „Darf ich fragen, wie der volle Name Ihres Bruders lautet?“ „Patrick John McDevon, Sir. Stimmt etwas nicht?“ Nun schauen mich beide verdutzt an. „Finn würdest du bitte Patrick holen gehen. Ich denke er müsste gerade hier sein.“ richtet der Dekan seine Worte an den dritten. Finn heißt er also. Nachdem dieser aus dem Raum mit einem Kopfschütteln verschwunden ist, bittet mich Georgy, wie ich den liebenswürdigen Mann insgeheim nenne, mich einen Augenblick zu gedulden. Schon höre ich die Stimmen auf dem Gang. „Patrick, da drin sitzt eine Frau die behauptet deine Schwester zu sein, kann das wahr sein?“ fragt Finn aufgebracht. Doch Patrick scheint nicht zu antworten. Die Tür geht auf und da steht er, mein großer Bruder. „Pat!“ flüstere ich. Auf diesen Moment habe ich so lange gewartet. Ich stehe auf und er kommt zu mir und nimmt mich fest in die Arme. „Ani ich habe dich so vermisst!“ Tränen laufen ihm über die Wangen und auch meine Augen drohen überzulaufen. Er nimmt mein Gesicht in seine Hände und stellt die Frage von der ich gehofft hatte, sie würde noch ein wenig unausgesprochen bleiben. „Warum bist du hier? Du hast mir versprochen das du erst zurück kommst, wenn du deinen Uniabschluss hast, damit Mom wenigstens deinen Abschluss finanziert.“ Ich sehe ihm an, das er froh ist das ich hier bin, aber ich verstehe seine Sorge, er denkt ich bin mittellos und wie sollte ich dann je meinen Abschluss machen ohne Geld. Ich atme tief durch und murmle: „Sie hat mich ohnehin rausgeworfen. Dazu musste ich dich nicht mal erwähnen.“ Entsetzt schiebt er mich ein Stück von sich. „Was um Himmelswillen ist passiert Ani?“ „Ich glaube nicht das die beiden Herren das wissen wollen.“ sage ich verlegen. Er scheint nachzudenken, vermutlich überlegt er, was so schlimm sein kann. „Gibt es immer noch die Möglichkeit hier zu studieren Mr. …?“ frage ich nun den Dekan, wenn Pat hier ist, dann ist es vielleicht gar keine schlechte Idee hier zu studieren. Irgendwo muss ich ja ohnehin wieder anfangen. „Mr. Hagen und Sie sind von der Elite Chicagos, die Schwester einer unserer Professoren und scheinen mir sehr nett zu sein. Ich weiß ich sollte das nicht sagen und erst recht nicht davon abhängig machen, aber ich würde Sie hier gerne Willkommen heißen.“ lächelt er mich an. Ja er ist wirklich nett. „Mr. Hagen, wäre Ihr Angebot das selbe, wenn ich Ihnen sage, dass ich nach diesem Semester für ein Jahr abbrechen und erst dann weiter studieren werde?“ Alle drei Männer schauen mich nun irritiert an. „Vielleicht wäre es besser, wir würden uns erst einmal setzen.“ murmle ich und die drei Männer nehmen Platz. „Mr. Hagen, sie bräuchten sich auch keinerlei Gedanken über die Finanzierung zu machen. Mein Vermögen ohne Wertbesitz beträgt aktuell drei Millionen US-Dollar entspricht circa vier Millionen kanadischen Dollar. Ebenso müssen Sie sich über Unterkunft auf dem Campus und ähnliches keine Gedanken machen. Solange Sie mir ein Jahr Auszeit gewähren können.“ Alle schauen mich verwundert an. „Woher hast du so viel Geld Ani?“ spricht Pat aus, was anscheinend alle denken. „Ich denke das ist nicht von Belangen, ich kann ihnen aber gerne den Nachweis zukommen lassen, der bestätigt, dass es sich um eine gültige und gerechtfertigte Überweisung handelt, solange Sie ein Verschwiegenheitserklärungen unterschreiben.“ Georgy scheint seine Sprache wiedergefunden zu haben. „Leider ist eine Anmeldung nur noch bis 14 Uhr möglich, die schriftliche ist bereits durch, also machen wir hier ohnehin eine Ausnahme. Wenn Sie mir sagen könnten, woher Sie das Geld haben, vertraue ich ihnen und der Beleg reicht später aus, aber ohne Angabe kann ich sie leider nicht aufnehmen. Das eine Jahr Pause sollte auch einzurichten sein.“ er schaut mich bedauernd an, er scheint zu ahnen, dass ich dies lieber für mich behalten hätte, aber natürlich muss er es in meinen Unterlagen angeben. Ich seufze und lasse meinen Blick über die drei streifen. Dann fixiere ich die Uhr hinter dem großen Schreibtisch. Meine kurzen braunen Haare spiegeln sich in der Oberfläche und der gequälte Blick aus meinen braunen Augen ist deutlich zu erkennen. „Es ist eine gerichtlich angeordnete Zahlung, sie können es als Schmerzensgeld angeben.“ immer noch ist mein Blick auf die Uhr gerichtet. „Ani?“ flüstert Pat fragend. Ich verstehe das er Antworten will, aber dazu bin ich nicht bereit, nicht jetzt. Ich schaue ihm in die Augen und sehe das er meine Verzweiflung erkennt. Er sagt nichts weiter. Nachdem der Dekan die Papier ausgefüllt hat, schaut er lächelnd auf. „Ich muss sagen so etwas habe ich in all meinen Jahren noch nicht erlebt und ich denke es sollte unter uns bleiben. Herzlich Willkommen an unserer Universität!“ sagt er mit einem Zwinkern. „George, wäre es in Ordnung wenn ich mich für den Rest des Tages krank melden würde?“ Patrick blickt ihn entschuldigend an. „In Anbetracht der Umstände, drücke ich mal ein Auge zu. Aber du Finn solltest anfangen deine Vorlesung vorzubereiten.“ lächelt Georgy. Erst jetzt registriere ich Finn wieder richtig. Er schaut mich immer noch fassungslos an. Wir verabschieden uns und Patrick nimmt mich mit in seine Wohnung. Sie ist groß und sehr modern eingerichtet. Wirklich schön. Nachdem wir es uns gemütlich gemacht haben, können wir uns beide nicht mehr zurückhalten. Und so erfahre ich das Pat nach unserm Verschwinden beschlossen hat nicht selbst Mediziner zu werden, sondern zu unterrichten. Eine Frau und Kinder hat er nicht, aber er erzählt mir von einer ehemaligen Freundin die er anscheinend sehr geliebt hat. Auch von Finn erzählt er mir, sie sind beste Freunde und kennen sich von der Uni. „Warum war er so überrascht das du eine Schwester hast?“ „Ani, versteh das nicht falsch, aber es tat anfangs zu sehr weh von euch zu erzählen und irgendwann hatte ich den Moment dafür verpasst. Er ist vermutlich wütend, weil es eigentlich keine Geheimnisse gibt.“ Ich verstehe das, manchmal verpasst man den Moment etwas zu sagen, so ist das einfach. „Aber Ani was ist mit dir was ist alles passiert seit ihr in Chicago seit?“ Ich berichte von der Schule, meinen Freunden, dem College und gerade als ich beim Studium angelangt bin, klingelt es an der Tür. Als Patrick wiederkommt, ist Finn bei ihm. Er schaut ein wenig verletzt zu, schenkt mir aber ein schiefes Lächeln. „Ich weiß Finn, dass ich dir es hätte sagen müssen. Es tut mir leid.“ Patrick sieht richtig zerknirscht aus. „Nimm es ihm nicht übel Finn. Er erzählt nicht gern von seiner verrückten Familie und erst recht nicht von seiner abgedrehten Schwester.“ grinse ich. Patrick wirft mir einen bösen Blick zu. „Was ich gar nicht verstehen kann.“ erwidert Finn. Hat er mir gerade einen anzüglichen Blick zugeworfen? Nicht gut. „Na los Pat. Es ist Zeit es ihm zu erzählen. Bevor der Arme hier vor lauter Unwissenheit noch die wände hoch geht. Außerdem sieht er so aus als bräuchte er gerade ein paar Streicheleinheiten.“ Diesmal kriege ich gleich zwei böse Blicke geschenkt. Ich lache nur. „Was? Moms konservative Art ist bestimmt nicht abfärbend. Los jetzt fang schon an.“ Pat seufzt. „Also gut. Vor Jahren, ich hatte gerade angefangen zu studieren, entschied unsere Mutter, dass Toronto nicht mehr konservativ genug ist und wir hier unter schlechten Einflüssen stehen würden. Sie entschied also das wir umziehen würden nach Chicago. Ani musste damals mit, da sie zu jung war, aber ich weigerte mich, in der Hoffnung sie würde ihr Vorhaben aufgeben. Es führte aber dazu, dass ich keinen Kontakt mehr zu allen haben durfte und nicht mehr willkommen war. Damals habe ich zu Ani gesagt, sie soll solange bei Mom bleiben, bis ihre Ausbildung abgeschlossen ist. Da es nun mal ziemlich scheiße ist, zu arbeiten und zu studieren. Aber sie nicht sehen zu können tat weh, also habe ich nicht viel über sie geredet und irgendwann war es einfach zu spät. Es tut mir leid Finn.“ beendet er seinen Monolog. Finn scheint nicht sauer zu sein. Gelassen antwortet er: „Und ich dachte das Foto im Wohnzimmer bei dir sei irgendeine Verflossene.“ „Dad hat es mir geschickt als du deinen Abschluss hattest.“ sagt Pat stolz. Ich grinse, denn als ich Dad fragte wohin das Foto verschwunden ist, tat er sehr unwissend. Dieser Schuft. „Was mich aber zurück zu der Frage bringt, warum du hier bist.“ Sofort versteinert mein Gesicht. „Sagte ich doch, Mom hat den Kontakt abgebrochen und ich habe genug Geld, also warum nicht?“ antworte ich gereizt. „Ja aber warum hat sie dich rausgeschmissen und woher kommt das Geld?“ reibt Patrick in der Wunde. Ich stehe auf, will zur Tür gehen, drehe aber wieder um. Ich will nicht ohne ein Wort wieder flüchten. „Gib mir Zeit Pat. Ich kann darüber nicht reden, okay? Und unterstehe dich Dad zu fragen! Es ist meine Angelegenheit und ich... es ist einfach zu früh. Irgendwann erzähl ich es dir. Aber nicht heute.“ Ich bin aufgebracht und Tränen laufen mir über die Wangen. „Entschuldigt bitte, es ist wohl besser wenn ich gehe.“ Ich höre noch wie Pat mich ruft, aber ich bin schon zur Tür raus.

 

Am Abend wälze ich mich in meinem Bett. Ich hätte ihn nicht so anfahren dürfen, aber er hat mich in die Ecke gedrängt und Finn, der bringt mich einfach durcheinander. Vielleicht hätte ich ihnen von der Schwangerschaft erzählen soll, doch nun ist es erst mal zu spät, ich habe den Moment verpasst. Noch bevor ich einschlafe, mache ich einen Plan. Ich sollte Pat morgen erst einmal aus dem Weg gehen, die Papiere zum Dekan bringen und dann eine Frauenärztin aufsuchen, die mich betreut. Kurze Zeit später gleite ich in meine Träume. Als ich aufwache ist es noch früh. Mir ist übel und ich esse lieber nichts. Aber ich kann schon einmal die Unterlagen heraussuchen und dann pünktlich an der Uni sein. Als ich das Gebäude betrete bekomme ich doch Hunger und bereue nichts mitgenommen zu haben, immerhin habe ich danach noch einen Arzttermin. Vor einem Raum aus dem ein betörender Duft nach Essen strömt, bleibe ich kurz stehen und atme tief ein. „Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen du hast ein Fährte aufgenommen.“ Finn steht plötzlich grinsend vor mir. Verlegen schaue ich auf: „Ich habe höchstens ein bisschen Hunger.“ „Ich könnte dich zu einem Frühstück bei Starbucks einladen, denn da drin ist eine Tagung an das Essen kommst du nicht.“ Bedauernd blicke ich auf die Tür. „Ich muss noch die Unterlagen zu Mr. Hagen bringen.“ „Kein Problem ich warte.“ immer noch grinst er. „Danke ich beeil mich.“ lächle ich. Schnell haben wir die Details geklärt und ich bin offiziell in zwei Wochen Student an der Uni. Als ich zu Finn zurückkehre, schnappe ich mir seine Hand und schleife ihn förmlich zu Starbucks, denn ich bin wirklich am verhungern. Der lacht nur und lässt sich bereitwillig mitziehen. Als ich endlich vor einem großen Tee und drei verschiedenen Gebäcksorten sitze, beruhige ich mich wieder. Verrückt das ich in so oft im Starbucks bin, obwohl ich gar keinen Kaffee trinken kann. Jetzt kann ich auch endlich wieder richtig denken und frage Finn: „Was unterrichtest du eigentlich an der Uni? Sag bitte nicht das du jetzt mein Prof bist!“ „Nein, keine Sorge ich halte Vorlesungen in Rechtsgeschichte und anderem Jurazeug. Wir können laut Unihandbuch also ruhig eine Beziehung führen.“ zwinkert er. Doch mir vergeht die gute Laune. „Versteh mich nicht falsch du siehst gut aus. Aber das wird nichts Finn.“ sage ich bedauernd. „Gibt es da schon jemand oder ist mein Charme nicht ausreichend?“ Er scheint es mit Humor zu nehmen, das ist gut. „Es gibt ein paar Dinge die es unmöglich machen, es liegt aber weder an dir noch einem Freund.“ Meine gute Laune ist zurück und in Nullkommanichts habe ich alles aufgegessen, während wir uns über alles mögliche Unterhalten. Es ist wirklich schön sich mit ihm zu unterhalten. Doch irgendwann muss er zurück und ich zu meinem Termin. Draußen verabschieden wir uns und wollen beide gerade gehen als mir auffällt, dass ich in die falsche Richtung laufe. Er anscheinend auch, denn wir stoßen zusammen und ehe ich es mich versehe, liegen seine Lippen auf meinen. Sanft küsst er mich und als seine Zunge den Weg in meinen Mund findet, wird der Kuss fordernd und leidenschaftlich. Doch dann schaltet sich mein Gehirn ein und ich schiebe ihn ein Stück weg. Auch er scheint wieder klar zu denken, denn er wird rot. „Tut mir wirklich leid Anisha, das war nicht meine Absicht.“ „Schon okay, wir sehen uns.“ ich gehe an ihm vorbei und gehe in die richtige Richtung, ich kann nur hoffen das er meine glühenden Wangen nicht gesehen hat. Das wäre echt keine gute Idee mit uns, ich muss mir das aus dem Kopf schlagen. Als ich die Praxis erreiche bin ich immer noch ganz durcheinander. Gott sei Dank ist alles in Ordnung mit dem Baby und der Termin dauert nicht lange. Die Ärztin meint ich müsse mir mit meinen 25 Jahren auch keinen Kopf machen, ich bin gesund und jung und es besteht nur ein kleines Risiko. Egal wie furchtbar die Umstände waren unter denen es entstanden ist, bereits jetzt liebe ich es. Als ich nach dem Umzug das erste Mal auf mein Handy schaue, sehe ich unzählig viele Anrufe auf meinem Handy. Ich beschließe mit der Fähre nach Center Island zu fahren und dort mich mit der Liste von SMS auseinanderzusetzen. Center Island ist eine schöne Naturinsel die im Lake Ontario liegt, sie ist nicht besonders groß, aber mein Lieblingsort. Dort kann man entspannen. Ich suche mir einen ruhigen Platz und beginne mit meinen Freunden in Chicago. Ich schreibe ihnen das es mir Leid tut und das sie nicht sauer sein sollen, aber ich erst einmal meine Ruhe brauche und das ich hoffe wenn ich es endlich überwunden habe, sie mich wiedersehen wollen. Danach ist die Liste schon erheblich kleiner. Ich finde auch eine SMS von meinem Dad, der sich bei mir für alles entschuldigt und sagt das sich irgendetwas ändern wird. Auf meine Frage was sich ändern wird, bekomme ich sogar sofort eine Antwort. Aber mehr als Erzähl ich dir, wenn es soweit ist, Sonnenschein. bekomme ich nicht. Als letztes ist nur noch eine Nachricht offen. Kommst du heute zum Essen? Lg Pat. Ich rufe ihn an. „Hey Ani.“ ertönt seine Stimme. „Hey Pat. Woher hast du meine Nummer?“ „Aus deiner Akte, alles andere habe ich aber nicht gesehen.“ „Ist okay Pat. Aber danke das du nicht danach gesucht. Bist du noch sauer?“ „Nein Ani, warum sollte ich sauer sein?“ er klingt überrascht. „Okay dann komme ich gerne zum Essen. Ich freue mich. Bis dann.“ „Bis dann Ani.“ sagt er noch bevor wir auflegen. Nachdem ich eine Weile die Ruhe genossen habe, beschließe ich noch meine Therapeutin anzurufen. Sie geht sofort ran und unterhält sich eine Weile mit mir über meine Entscheidung, sie legt mir ans Herz, wenigstens über meine Schwangerschaft mit jemanden zu reden, aber sie sagt, es ist in Ordnung, wenn ich nicht sofort dazu bereit bin. Nachdem wir ausgemacht haben, dass die Anrufe als Ersatz für einen Besuch auch gehen, verabschiede ich mich von ihr. Sie ist wirklich nett und war mir von Anfang an sehr sympathisch. Vor allem weil sie auch über die Stunde hinaus mit mir redet und nicht nur über meine Probleme, sondern auch interessiert am Rest meines Lebens ist. Sie ist so etwas wie eine Freundin geworden, auch wenn das ein wenig komisch ist. Vielleicht ist es auch besser so, denn sie ist jetzt ein Teil meines Lebens und ohne sie wäre ich jetzt nicht hier, zumindest nicht in diesem Zustand. Als ich mich wieder entspannt in den Sand zurücklege, schließe ich die Augen und sofort ist er wieder da. Finn, mit seinen verstrubbelten kurzen, braunen Haaren und diesen beeindruckenden blauen Augen, die mir erst bei unserem Kuss aufgefallen sind. Ich kann es nicht leugnen, er ist ein toller Mann, aber wenn er wüsste, was passiert ist, wäre es mit seinem Interesse vorbei, da bin ich mir sicher. Als ich merke, dass die Sonne bereits untergeht, packe ich meine Sachen und mache mich auf dem Weg zum Steg, von dem das Boot ablegt. Der atemberaubende Blick auf den Hafen Torontos zieht mich in seinen Bann, wie habe ich das alles hier vermisst. Und zum ersten Mal seit dem Vorfall fühle ich mich annähernd glücklich und frei.

 

Als ich Pats Wohnung erreiche ist es schon dunkel und vermutlich hat er sich eine frühere Zeit vorgestellt. Stau ist auch keine Ausrede, denn meiner sonnengebräunten Haut sieht man deutlich an, wo ich war. Aber da die Insel auch zu seinen Lieblingsplätzen gehört habe ich gute Chancen. Doch als er mir die Tür öffnet sieht er gar nicht sauer aus ganz im Gegenteil, er grinst und schaut aus als hätte er gerade heftig gelacht. Nach dem er mich begrüßt hat finde ich auch den Grund an seinem Esstisch sitzend. Finn sitzt dort und hat sogar Tränen vom Lachen im Auge. „Hey Finn. Was ist denn so witzig?“ Ich versuche mir unseren Kuss nicht anmerken zu lassen und ihm scheint es auch so zu gehen. Aber im Gegensatz zu mir wusste er wenigstens das ich auch kommen würde. „George hat sich in dich verliebt.“ grinst Pat. „George? Der Dekan? Mr. Hagen? Wie kommt ihr auf so einen Unsinn?“ entsetzt schaue ich die beiden an. „Das ist nicht wortwörtlich gemeint. George ist glücklich verheiratet und hat zwei entzückende Kinder. Pat hat das etwas falsch ausgedrückt. Er ist einfach nur begeistert von dir.“ grinst Finn. „Wetten wir Pat, das er ihr das Angebot macht, ebenfalls Professorin an seiner Uni zu werden?“ „Wenn ich verlieren will, würde ich ja sagen. Nein danke. Das ist so sicher wie Weihnachten am 24. ist.“ Nun lachen beide schon wieder. Ich schaue wohl immer noch etwas verwirrt, denn Finn erklärt: „Das ist ein Kompliment. George hat die Gabe auf den ersten Blick zu sehen, wie jemand ist, zumindest soweit, um zu wissen ob er liebenswert ist oder eben nicht bzw. ob er ein guter Student ist oder nicht. Deswegen führt er bei uns auch die Auswahlgespräche. Außerdem hat er für dich alles möglich gemacht. Die Gespräche sind nämlich eigentlich erst für nächstes Semester.“ Ja, das ist wirklich ein Kompliment, da anscheinend beide das für vertrauenswürdig halten. „Finn hat gerade erzählt, dass du in Chicago zur Elite gehört haben musst Ani, stimmt das?“ reißt Pat mich aus meinen Gedanken. „Ja, aber für die zählt da auch nur der Schnitt, ich nämlich immer nur zu den Pflichtveranstaltungen in der Uni. Die Partys meiner Studentenverbindung waren einfach zu gut.“ lache ich. Ich mag es nicht damit anzugeben, ich bin kein Streber oder so deswegen verstehe ich diese Aufregung darum nicht, dass ich eben vor den Prüfungen gut gelernt habe. „Du warst eine von diesen Feiersüchtigen?“ Pat wirkt verwundert und auch Finn schaut mich erstaunt an. „So wirkst du jetzt gar nicht mehr.“ „Weil sich manche Dinge eben ändern Pat. Aus Fehlern lernt man.“ Die Stimmung sinkt merklich, deshalb lenke ich das Gespräch auf ein anderes Thema und es wird noch ein vergnüglicher Abend, wir lachen viel und ab und zu kreuzen sich Finn und meine Blicke. Nur die Frage nach einem Glas Wein bringt mich aus dem Konzept, ich musste dankend ablehnen, mit der Ausrede momentan Wein nicht so gut zu vertragen. Als ich auf die Uhr schaue, ist es schon ziemlich spät. „Oh, entschuldigt, aber ich muss nach Hause, morgen muss ich früh ins Tierheim.“ Schon wieder bekomme ich zwei verwunderte Blicke. „Was willst du im Tierheim?“ fragen beide synchron. „Ich möchte mir einen Hund zu mir holen. Das wollte ich schon immer und jetzt habe ich auch das nötige Kleingeld.“ „Okay, ich muss auch langsam los. Kannst du mich vielleicht mitnehmen. Ich habe etwas viel getrunken.“ Finn scheint die Frage unangenehm, aber ich nicke. Als wir in meinem Auto sitzen, frage ich ihn: „Wo wohnst du?“ „Ganz in deiner Nähe.“ Als er meinen erstaunten Blick sieht, erklärt er: „Ich musste deine persönlichen Daten in das Studentenregister eingeben. George hasst Computer, die Akten schreibt er per Hand, aber die Stichdaten müssen in unser System.“ „Verstehe.“ Den Rest der Autofahrt reden wir kaum, nur das Radio verhindert die Stille. Als ich meine Wohnung erreiche, frage ich ihn, wo ich lang muss. „Es reicht wenn ich hier aussteige und den Rest laufe.“ Doch gerade als er die Tür auf hat und auf dem Bürgersteig steht, kommt ein Fahrradfahrer um die Ecke geschossen und fährt Finn über den Haufen. „Finn!“, rufe ich, „geht es dir gut?“ Der Fahrradfahrer ist schon längst weg, er hat nicht mal gefragt, ob alles in Ordnung ist dieser Mistkerl. „Es geht schon. Vielleicht ein paar blaue Flecken. Wird schon nicht so schlimm sein.“ brummt er. „So kann ich dich auf keinen Fall nach Hause laufen lassen. Komm erst mal mit rein und wir schauen uns das an.“ Es scheint doch kein leichter Sturz gewesen zu sein, denn er widerspricht nicht. In meiner Wohnung drücke ich ihn auf einen der Stühle und suche nach allem was medizinisch wertvoll ist. Ich finde Kühlakkus, eine Salbe, Verbände und Schmerztabletten. Mit mehr kann ich nicht dienen. Finn weigert sich zwar erst gegen die Tablette, aber als ich ihn leicht in den Arm pikse, nimmt er sie mir schnell aus der Hand. „Zieh dein Shirt aus. Und schau nicht so, ich will mir nur deine Verletzungen anschauen.“ Mit schmerzverzerrtem Gesicht versucht er es. Letztendlich ziehe ich es ihm aus. Bereits jetzt beginnen sich die Blutergüsse abzuzeichnen. Ich schnappe mir die Salbe, die bei so etwas helfen soll und beginne die offensichtlichen Stellen einzureiben. Finn hat mittlerweile die Augen geschlossen und beginnt sich zu entspannen. Als ich auf die Schürfwunde an seiner Schläfe ein Pflaster klebe, öffnete er sie wieder und schaut mir tief in die Augen. Und was soll ich sagen kurze Zeit später liegen seine Lippen abermals auf meinen. Doch dieses Mal ist er fordernder und wilder. Seine Zunge dringt in meinen Mund ein und ich vergesse alles um uns herum. Jetzt kann auch ich mich nicht mehr halten. Während er meine Jacke von meinen Armen streift beginne ich seinen Gürtel zu lösen. Immer weiter Kleidungsstücke landen auf dem Boden und ich schiebe ihn in Richtung Schlafzimmer, kurz kommt mir der Gedanke, es könnte ein Fehler sein, aber ich verbanne den Gedanken, denn aufhören kann ich jetzt nicht mehr. Es ist eine unbeschreibliche Nacht und ich komme kaum zu atmen, doch als der Mond in mein Schlafzimmer scheint und wir dicht aneinander gekuschelt daliegen, kommen die Zweifel zurück und auch die Erinnerungen. Langsam beginnen die Tränen sich ihren Weg zu bahnen und ich kann sie nicht mehr aufhalten, Finn scheint nicht entgangen zu sein, dass etwas nicht stimmt, denn er dreht mich zu sich. „Was ist los Ani?“ flüstert er. „Es tut mir leid. Es hat nichts mit dir zu tun. Es ist einfach... Entschuldige bitte, aber es wäre besser du würdest gehen.“ „Und dich weinend zurücklassen? Vergiss es. Du musst mir nicht sagen, was los ist, aber ich werde auch nicht gehen.“ er klingt fest entschlossen und ich protestiere auch nicht, als er mich auf seine Brust zieht und meinen Rücken streichelt. Langsam gleite ich in den Schlaf mit einem Gefühl von Sicherheit.

 

Der nächste Morgen kommt schnell und ich renne ins Bad, weil mich die Morgenübelkeit mal wieder packt. Finn schläft Gott sei Dank noch, doch seine Anwesenheit macht mich nervös. Ich schnappe mir leise ein paar Sachen aus meinem Schrank und schleiche zurück ins Bad, denn ich brauche dringend eine Dusche. Als ich fertig bin, will ich mir die Hose anziehen, doch sie passt nicht. So ein Mist. Ich muss unbedingt Klamotten kaufen gehen. Eigentlich sollte es mich nicht überraschen denn immerhin habe ich bald den dritten Monat erreicht. Es ist eigentlich erstaunlich, dass ich bis jetzt nichts gemerkt habe. Aber vielleicht habe ich auch einfach das erste Mal etwas anderes als einen Rock bzw. Kleid oder eine Jogginghose an. Eine Jeans ist einfach nicht mehr drin. Ich stelle mich vor den Spiegel und jetzt kann ich sie deutlich erkennen, die Rundung in der sich mein Baby versteckt. Vor lauter Freude laufen mir schon wieder Tränen über die Wangen. Dieses Gefühl so deutlich zu sehen, dass es da ist, ist so unbeschreiblich schön. Ich wische mir die Tränen ab und ziehe den Rock über, den ich gestern im Wohnzimmer „verloren“ habe. Nachdem ich meinen Magen von einem Frühstück überzeugen konnte, kommt auch Finn in die Küche. Auch er hat seine Sachen wieder an, da ich sie ihm vorsichtshalber schon mal in mein Zimmer gelegt hatte. Er sieht müde aus und als er sich zu mir setzt, nimmt er den Kaffee, den ich ihm hinschiebe, dankend an. Extra für ihn habe ich welchen gemacht, um den Schein zu wahren. „Guten Morgen.“ brummt er. Ganz offensichtlich ist er kein Morgenmensch, ich eigentlich auch nicht, aber das Baby holt mich jeden Morgen aus dem Bett. „Finn, wir müssen reden.“ Er schaut mich nur an, er scheint zu wissen was kommt. „Letzte Nacht war wirklich toll, aber ich denke..ich denke das war ein Fehler.“ „Warum?“ fragt er gelassen. „Weil es Dinge gibt die du nicht weißt.“ „Es gibt sogar ziemlich viele Dinge die ich nicht weiß, stell dir vor.“ grinst er. „Das ist nicht lustig. Es geht einfach nicht.“ Ich kneife die Augen zusammen und schaue ihn böse an. „Ich finde es schon ziemlich amüsant. Du sagst es geht nicht, aber wie ich sehe gibt es anscheinend keinen Grund, ganz offensichtlich stehst du auf mich, einen Freund hast du auch nicht und auch sonst sehe ich keinen Grund.“ „Mein Bruder.“ „Was ist mit deinem Bruder?“ fragt er erstaunt. „Er ist ein guter Grund. Mein Bruder würde das nicht gut heißen und das weißt, denn sollten wir uns streiten oder sonst etwas, dann sitzt er in der Zwickmühle.“ Jetzt schaut er doch etwas bedrückt. „Und wenn wir es ihm nicht erzählen?“ „Und dann? Für immer lügen?“ Er scheint einzusehen, was ich schon lange weiß, auch wenn er es aus anderen Gründen versteht. Aber es ist besser so. „Dann sollte ich wohl besser gehen.“ murmelt Finn. Ich nicke und bringe ihn zur Tür. „Man sieht sich.“ sagt er noch, dann ist er weg. Den Besuch im Tierheim verschiebe ich und bin ein einziges Wrack, das viel Schokoeis in sich hinein stopft. Die nächsten Tage vergehen quälend langsam, immer zu muss ich an ihn denken. Und auch in den Nächten finde ich keine Ruhe. Ewig werde ich ihm nicht aus dem Weg gehen können, denn bald fängt mein Semester an. Wenn mein Bruder anruft sage ich meistens ab, aber wenn ich doch vorbei komme ist Finn nicht da. Die Nacht vor meinem ersten Tag schlafe ich keine Minute, dementsprechend müde bin ich am nächsten Tag. Ich kann kaum ein Auge offen halten und die Ringe unter meinen Augen zeichnen sich deutlich ab, in was habe ich mich da wieder verrannt? Wegen dem starken Verkehr komme ich zu spät an und renne zu meinem Hörsaal. Doch das Glück ist nicht auf meiner Seite, denn auf dem Weg remple ich in keinen geringeren als Finn an. Ich werde rot, murmle eine Entschuldigung und sprinte zum richtigen Raum. Über den Tag hinweg begegnen wir uns mehrmals auf den Gängen und es ist wie verhext, jedes Mal wenn wir uns sehen werden wir aneinander gedrängt und streifen einander. Ich glaube ich werde langsam verrückt. Auch er hat starke Ringe unter den Augen, aber ich muss stark bleiben bald ist es nicht mehr zu übersehen, das ich schwanger bin. Als ich den Tag endlich hinter mich gebracht habe, seufze ich erleichtert auf, doch auch in meiner Wohnung finde ich keine Ruhe, denn sobald ich mich auf die Couch gelegt habe, klingelt es an der Tür. „Ich kann das nicht.“ sagt Finn bevor ich die Tür richtig auf habe, kommt auf mich zu und küsst mich. Das süße Gefühl, wenn er mich küsst als hätten wir ewig Zeit, bringt mich zum dahinschmelzen und diesmal sehe ich ein, was er schon gewusst hat.

 

„Ich glaube, ich hatte noch nie Sex in einem Flur direkt auf dem Boden.“ lache ich. Nachdem wir unsere Sachen mühselig wiedergefunden hatten, haben wir uns auf die Couch gesetzt. Mein Kopf liegt auf seiner Schulter und ich versuche zu Atem zu kommen. „Was? Echt nicht?“ grinst auch Finn. „Na dann wurde es höchste Zeit.“ sagt er und gibt mir einen Kuss auf die Stirn. „Finn, es gibt da noch etwas, dass ich dir sagen muss.“ „Du musst mir nichts sagen, was du nicht sagen willst Ani, lass dir Zeit.“ Wenn ich die doch nur hätte, aber neun Monate können nun mal sehr kurz sein. Aber ich habe den Mut verloren und ich will auch den Moment nicht zerstören, also verschiebe ich es mal wieder. „Wie soll es jetzt weiter gehen?“ frage ich stattdessen. „Ab sofort nenne ich dich Süße, die Hälfte deines Betts gehört mir und andere Männer kommen dir nicht zu nahe.“ Ich sehe deutlich das Funkeln in seinen Augen. „Und jetzt ernsthaft?“ erwidere ich Augen verdrehend. „Das war mein ernst Süße. Aber na gut dann eben ernst-ernst.“ seufzt er. „Deinem Bruder sagen wir erst mal nichts und in der Uni ist es vielleicht auch nicht vorteilhaft auch wenn es in Ordnung geht. Und was auch immer es ist, das du noch sagen willst, hat Zeit. War dir das ernst genug?“ „Ich lass es mal durchgehen. Los lass uns ins Tierheim fahren.“ „Wieso das denn?“ „Weil ich mir immer noch einen Hund kaufen will und du solltest besser mitkommen, denn es wäre echt scheiße, wenn der Hund dich nicht mag.“ lache ich. „Oh man, ich sollte mir das alles echt nochmal überlegen.“ „Ja du armer geplagter Mann, du bist echt bedauernswert.“ Er bringt mich mit einem Kuss zum schweigen und schnappt sich gleichzeitig meine Autoschlüssel aus meiner Hand, um sie zurückzulegen. „Mit deinem Unglücksauto fahr ich keinen Meter mehr. Am Ende liege ich noch tot im Straßengraben, weil mich das nächste Mal ein Lkw überfährt.“ Die Diskussion über mein Auto und ob es wirklich wegen seinen schlechten Augen auf den Schrottplatz gehört, findet erst im Tierheim ein Ende. Und als ich die ganzen süßen Hunde in ihren kleinen Quartieren sehe laufen mir vor Rührung schon wieder die Tränen über die Wangen, diese blöden Schwangerschaftshormone! Finn fragt nicht, er nimmt mich einfach in den Arm und wartet bis ich mich beruhigt habe und ich bin ihm unendlich dankbar. Es fühlt sich an als wäre ich nicht mehr allein mit allem. Wir schauen uns die Hunde an und ich entscheide mich dazu zwei Hunde mitzunehmen, weil mir die Tiere so unendlich leid tun. Ein großer goldener Retriever und ein kleiner Berner Sennenwelpe bekommen ein neues zu Hause und ich habe mich schon jetzt in sie verliebt. Ich habe Hunde schon immer gemocht und schon früher war ich in Tierheimen, um mit den Hunden Gassi zu gehen. Ich glaube auch für mein Baby ist es nicht schlecht mit Tieren aufzuwachsen, Hunde sind treue Gefährten. Auch Finn scheint die Hunde ins Herz geschlossen zu haben, denn er krault den Welpen auf seinem Arm, während er dem großen einen Ball zum spielen wirft. Die Angestellt steht neben mir als sie sagt: „Da scheinen sie ja großes Glück zu haben mit so einem tollen Mann.“ „Ja er ist wirklich toll.“ murmle ich. Und er hat die Wahrheit verdient, aber noch kann ich mich einfach nicht überwinden, denn ich weiß, dann ist er weg. Wir verbringen den ganzen Tag damit Zubehör für die Hunde zu kaufen und dann mehrere Stunden mit ihnen im Park zu verbringen. „Können wir morgen mit den beiden nach Center Island?“ frage ich Finn, nachdem wir uns auf den Weg zurück in die Wohnung gemacht haben. „Ja warum nicht. Lass uns gleich nach der Uni fahren, ich hol dich ab. Wäre es eigentlich in Ordnung wenn wir ein paar meiner Sachen holen bevor wir zu dir fahren?“ „Willst du dich bei mir breit machen?“ grinse ich. „Der einzige von uns beiden der sich breit macht bist Süße. Ich dachte heute ich falle gleich von der Couch.“ Das bringt ihm einen ordentlichen Seitenhieb von mir ein. „Spinner!“ lache ich. „Dein Spinner.“ „Das muss eine männlich Angewohnheit sein gleich kitschig zu werden, sonst bist du sehr feminin.“ „Dafür liebst du mich doch.“ strahlt er. „Wer sagt das ich dich liebe?“ Er schaut mich wissend an. „Na gut vielleicht und jetzt hör schon auf mich so anzuschauen. So lange kenne ich dich überhaupt noch nicht!“ „Das reicht mir schon. Und was ist schon Zeit wenn ich mich in jemanden verliebe, dann doch nicht weil ich ihn schon so lange kenne und du hattest mich schon mit deiner ersten bissigen Antwort beim Dekan.“ Sein aufrichtiges Lächeln raubt mir den Atem. „Kitschig. Du bist definitiv kitschig.“

 

Seit zwei Monaten treffen Finn und ich uns schon. Er ist wirklich toll auch wenn ich das nicht gern zugebe. Doch mit jedem „zufälligen“ Treffen bei meinem Bruder fällt es mir schwerer Pat zu belügen und es geheim zu halten, auch die Uni stellt mich auf eine harte Probe. Patrick hat sich nicht verändert seit der Zeit in Chicago, es ist einfach ein Gefühl von Geborgenheit bei ihm zu sein und etwas über die vergangenen Jahre zu erfahren. Es ist beinahe so als wäre ich nicht weg gewesen. Manchmal fragt er mich noch was passiert ist, aber scheint jedes Mal zu merken, dass ich noch nicht so weit bin und er akzeptiert es genau wie Finn. Langsam wird die Schwangerschaft schwer zu verstecken, mein Bauch wächst von Tag zu Tag und immer muss ich mir neue Ausreden ausdenken warum ich etwas nicht esse oder trinke. Wenigstens ist die Übelkeit jetzt endlich vorbei. Eines Abends als wir drei zusammen in Pats Wohnung sitzen klingelt es stürmisch an der Tür. Ich springe auf und erkläre mich bereit zu gehen, denn Pat und Finn lachen ausgiebig und sehen nicht aus als könnten sie gerade überhaupt aufstehen. Als ich geöffnet habe, erstarre ich. „Dad, was machst du denn hier?“ frage ich überrascht. Er nimmt mich in seine Arme. „Etwas verändern Spatz.“ Immer noch erstaunt bringe ich ein „Komm erst einmal rein.“ über die Lippen. Wenn mein Gesicht überrascht war, dann muss Pat gerade die Superüberraschung schlecht hin bekommen haben, denn er bringt kein Wort raus. Ich bitte Dad sich zu setzten und besorge ihm etwas zu trinken, erst dann findet Patrick seine Sprache wieder. „Was machst du hier? Und wo ist Mom?“ „Keine Sorge deine Mutter ist in Chicago geblieben. Dieses Höllenloch wird sie nicht noch einmal betreten. Immerhin wohnen jetzt vier verbannte Personen hier in Toronto.“ „Was du wurdest verbannt? Dad was hast du getan?“ frage ich entsetzt, ich bete einfach das keiner über die vier Personen nachdenkt. „Die Scheidung eingereicht. Oder glaubst du wenn der einzige Grund warum ich sie noch ertragen habe bereits auf dem Weg nach Toronto ist, das ich dann noch dableibe? Und selbst wenn ich nicht nur wegen euch beiden mit ihr zusammengeblieben wäre, wenn ich mir überlege, warum du für sie gestorben warst, hätte ich ohnehin keinen Tag weiter mit ihr leben können. Die Scheidung hat aber etwas gedauert und ich musste es geschickt anstellen, um nicht alles zu verlieren. Entschuldigt Kinder sie ist immer noch eure Mutter.“ Das muss ich erst einmal verdauen. Doch Dad denkt gar nicht daran mich zur Ruhe kommen zu lassen. „Wie geht es denn meinem Enkel? Ich hoffe der Stress war nicht zu viel?“ „Enkel?“ kommt es sofort von Pat und Finn, beide schauen mich mit einer Mischung aus Entsetzen, Unverständnis und Angst an. „Was? Du hast es ihnen nicht gesagt?“ nun schaut auch mein Vater leicht entsetzt. „Ich bin übrigens Pete McDevon junger Mann. Sie können mich aber gerne einfach Pete nennen.“ „Finn, sehr erfreut sie kennen zu lernen.“ erwidert dieser, den Blick immer noch auf mich gerichtet. Mir laufen Tränen über die Wangen als ich sehe wie er sich verletzt wegdreht. Ich verstehe das, er meinte er wartet, aber ein Kind von einem anderen ist eben etwas anderes. Pat schaut kurz du Dad und Finn dann zurück zu mir, er scheint das ganze noch nicht verarbeitet zu haben. „Ani, ist das wahr? Du bist schwanger? Wieso hast du denn nichts gesagt?“ fragt er. „Weil es verdammt noch mal nicht so einfach ist wie es sich anhört.“ platzt es aus mir heraus. „Spatz, beruhige dich, er kann es nicht wissen. Möchtest du lieber die Therapeutin erst einmal anrufen?“ versucht Dad zu vermitteln. Er weiß was passiert ist und er weiß auch in was für eine Zwickmühle er mich gebracht hat, ich könnte jetzt flüchten oder das ganze versuchen zu erklären. Während mich mein Gehirn zu zwingen versucht mich zu entscheiden, weiß man Herz nicht was es machen soll. Ich springe auf. „Ich brauche frische Luft.“ ist alles was ich sagen kann. „Kleines, bitte renne nicht weg. Wir können das schaffen.“ „Dad ich komme wieder und fahre nicht nach Chicago versprochen.“ Schon bin ich zur Tür raus und springe die Treppen bis zum Ausgang herunter. Meine Lungen brauchen frische Luft und ich muss mich beruhigen. Scheiße, jetzt ist es vorbei mit Finn und mir, das war es. Er wird mir nie wieder in die Augen schauen können. Ich fahre in meine Wohnung, hole die Hunde und als ich im Gras sitze und ich meine Nase in das Fell von Casper, dem goldenen Retriever vergrabe, kann ich endlich wieder richtig atmen. Als die Finsternis im Park beginnt mir unter die Haut zu kriechen, kehre ich zurück und lasse die Hunde in die Wohnung bevor ich mich erneut zu meinem Bruder auf mache. Es ist wohl Zeit mich ihnen zu stellen. Im Auto kommt mir Dads Vorschlag in den Sinn und ich rufe meine Therapeutin an. Obwohl sie vermutlich schon im Bett ist, geht sie ans Telefon. „Tut mir leid das ich dich noch so spät störe.“ murmle ich. „Das ist kein Problem Anisha, du weißt ich bin immer für dich da. Was gibt es denn?“ „Ich habe jemanden kennengelernt und er ist wirklich toll, ich habe mich in ihn verliebt, aber jetzt haben er und mein Bruder von meiner Schwangerschaft erfahren und ich bin einfach gegangen, weil ich frische Luft gebraucht habe, aber jetzt bin ich auf dem Weg zurück.“ „Das klingt als würdest du ohne meine Hilfe versuchen, das zu Ende zu bringen, was du eh nicht ändern kannst. Und das ist gut. Ich bin stolz auf dich Anisha.“ „Danke. Aber würde es dir etwas ausmachen am Telefon zu bleiben bis ich da bin. Ich weiß das klingt abgedreht, aber ich will verhindern, dass mich etwas abhält und du kannst mich davon überzeugen.“ „Na klar kann ich das. Wie geht es dir denn ansonsten?“ „Ich habe mir zwei Hunde angeschafft. Das wollte ich schon immer machen.“ „Das schön, dir scheint es sehr gut zu gehen in Toronto. Wie heißen die beiden denn?“ „Casper und Georgy.“ Wir führen noch eine ganze Weile Smalltalk bis ich endlich das Hochhaus von Pats Wohnung erreiche, auch als Dad die Tür öffnet telefonieren wir noch. Erst als ich in der Küche vor den beiden stehe, kann ich mich von ihr trennen, denn ich habe Angst. „Ich danke dir für alles. Du bist die Beste.“ verabschiede ich mich, erst dann setze ich mich wieder an meinen ursprünglichen Platz. Ich starre auf die Uhr hinter den beiden, so muss ich sie nicht angucken. „Wie viel hast du ihnen schon erzählt Dad?“ „Nichts, Spatz. Nur das sie dir zuhören sollen, bevor sie urteilen. Ich bin sehr stolz auf dich, dass du zurückgekommen bist.“ „Danke Dad.“ Dann blicke ich die beiden das erste Mal richtig an. Sie sehen beide immer noch geschockt aus, aber ablesen was sie denken, kann ich von ihren Gesichtern nicht. „Es tut mir leid. Ich hätte es euch sagen sollen als ich angekommen bin. Ich weiß mit jeder Geschichte kann man warten nur mit dieser nicht und deswegen verstehe ich euren Ärger, aber vielleicht versteht ihr auch meine Angst euch beide zu verlieren.“ „Wieso uns beide? Was hat eigentlich Finn damit zu tun?“ Pat schaut misstrauisch zwischen uns beiden hin und her, er scheint jedoch nicht wütend zu sein. „Sohn, jetzt lass sie doch einmal in Ruhe erklären.“ unterbricht Dad und rettet mich so aus der peinlichen Situation. Finn scheint dies nicht einmal mitbekommen zu haben, er schaut mich einfach nur an. Mein Blick gleitet zurück zur Uhr meinem sicheren Punkt. Wo soll ich bloß anfangen? „Als...“ ich räuspere mich „Als ich ans College kam, da fing ich an mich endlich frei zu fühlen. Endlich ohne Mom und ihren ständigen konservativen Regeln, ich konnte kurze Klamotten tragen und auch Alkohol war mir nicht fremd. Ich war ein typisches College Girl mit mindestens einer Fete pro Tag. Und im Gegensatz zu den meisten anderen bekam ich trotzdem ausgezeichnete Noten. Also dachte ich wenn das auf dem College geht, dann doch auch auf der Uni. Die Aufnahmefeier in die Elite verpasste ich, weil wir am Tag vorher zusammen um die Häuser gezogen waren und auch ansonsten haben wir es richtig krachen lassen. Aber an einem Abend ging es mir nicht gut, wir waren auf einer Feier und ich trank nichts, was wirklich nur sehr selten der Fall war. An alles andere erinnere ich mich nicht. Man erklärte mir später nur, dass irgendjemand mir vermutlich K.O.-Tropfen in meine Cola geschüttet hatte, um mich so außer Gefecht zu setzten. Ich wachte erst im Krankenhaus wieder auf. Man hatte mich an einer Straße abgelegt um mich loszuwerden. Bei den Untersuchungen kam heraus, dass der Mann mich nicht nur vergewaltigt sondern auch geschwängert hatte. Das Arschloch konnte dank seiner DNA gefasst werden und mir wurden drei Millionen Dollar Schmerzensgeld zugesprochen. Da es sich um irgendeinen reichen Geschäftsmann handelte, konnte dieser die Summe auch bezahlen. Da viele Leute zu einem guten Abschluss drängten, konnte das ganze innerhalb von zwei Monaten geklärt werden. Danach habe ich es dort nicht mehr ausgehalten. Mom beschimpfte mich, sie meinte ich sei selbst Schuld, so wie ich herum lief. Sie konnte auch nicht verstehen wieso ich das Kind nicht abtrieb, ausgerechnet unsere konservative Mom. Aber es ist doch mein Baby, es ist ein Mensch und es kann doch nichts für seinen Dad oder wie es entstanden ist. Ich habe mich von Anfang an in den kleinen Wurm verliebt, als ich ihn bei der Ultraschalluntersuchung sah. Es hat mich gerettet und mir gezeigt, dass alles schlechte auch gute Seiten haben kann. Ich weiß, dass das schwer zu verstehen ist, aber dieser Moment hat mich berührt. Anfangs konnte ich euch einfach nichts sagen, außer mit meiner Therapeutin habe ich mit niemanden darüber gesprochen, die meisten wissen es aus den Nachrichten und Mom und Dad haben durch die Ärzte und Polizei davon erfahren. Und nur zu sagen ich bin schwanger, dass hättet ihr nicht akzeptiert, aber auf Fragen wie >Wer ist der Vater?< hätte ich einfach keine Antwort gehabt. Und später dann als ich bereit dazu war, da hatte ich Angst euch zu verlieren, vor allem dich Finn. Natürlich war mir klar, dass ich es nicht mehr lange für mich behalten kann und ich habe auch schon überlegt wie ich es anstelle, aber Dad kam mir da zuvor.“ ich lächle meinen Dad gequält an und beende meinen Monolog. Auch die Uhr scheint sich nach dem intensiven Blickkontakt etwas zu lockern. Dad lächelt leicht verlegen zurück. „Entschuldige bitte Schatz.“ „Was läuft zwischen dir und meiner Schwester Finn?“ fragt Pat, nachdem er seine Sprache wiedergefunden hat. Ist das sein Ernst, das ist es was er wissen will? Doch der reagiert gar nicht, noch immer ist sein Blick auf mich gerichtet. Endlich scheint er die richtigen Worte zu finden. „Du verlierst mich nicht.“ mehr sagt er nicht. Meine Augen füllen sich schon wieder mit Tränen, blöde Hormone! „Im ernst Leute was läuft da?“ fragt Pat. „Ja Ani, was läuft da?“ mischt sich nun auch Dad ein. Doch auch ich reagiere auf die Frage der beiden nicht, es gibt im Moment nur Finn und mich. Er kommt zu mir und zieht mich in seine Arme. „Wirklich Ani, was läuft da?“ fragte er mich endlich mit meinem geliebten schelmischen Funkeln in seinen Augen. „Weiß nicht Finn, sag du es mir.“ und dann küsst er mich. Pat und Dad schnappen überrascht nach Luft, aber das ist mir egal. Finn verzeiht mir und er kommt damit klar, auch mit dem Baby. Das ist alles was zählt. Als wir uns setzen, kann ich nicht aufhören zu strahlen. Ich weine zwar immer noch, aber vor Freude. „Wie lange weiß ich davon schon nichts?“ ist Pats neue Frage. „Über zwei Monate, fast drei, schätze ich.“ murmelt Finn und wird rot. „Sag ich doch, sehr feminin.“ flüstere ich ihm ins Ohr, da er direkt neben mir Platz genommen hat. „Dafür liebst du mich doch.“ flüstert er zurück. „Kann sein.“ „Wie konnte mir das nicht auffallen, immerhin haben sie die Aufmerksamkeitsspanne einer Fliege gegenüber anderen.“ unterbricht Pat uns. „Bring ihn bitte nicht um Pat.“ ist alles was ich dazu sagen. „Entzückend wie viel vertrauen du in mich hast Schatz.“ murmelt Finn verstimmt. „Hey es kann nur einen Gewinner geben und du weißt um deine weibliche Seite, also zwing mich nicht eine ernsthafte Wahl zu treffen.“ „Also fasse ich das nochmal kurz zusammen. Dad und Mom haben sich scheiden lassen. Er bezeichnet sie als Hexe. Meine kleine Schwester bekommt ein Baby und sie und Finn sind zusammen. Habe ich das richtig verstanden?“ „Naja eine Hexe habe ich sie zwar nicht genannt, aber der Begriff verdient trotzdem meine Zustimmung.“ „Zurück zum wesentlichen Dad. Das alles tut mir so furchtbar leid Ani, es ist toll wie gut damit umgehst und keine Sorge so schnell wirst du mich nicht mehr los. Irgendwer muss ja der coole Onkel sein. Und du und Finn, es war zwar nicht mein sehnlichster Wunsch, aber ich kann damit leben, ihr habt meinen Segen.“ endlich bildet sich auch auf seinem Gesicht das altbekannte Grinsen ab. „Danke Pat, das bedeutet mir viel.“ „Auch wenn es vermutlich niemanden interessiert, meinen Segen habt ihr auch Kinder.“ lacht Dad. Wir reden noch lange über alles und ich glaube Pat und Finn beginnen langsam alles so richtig zu begreifen. Als Finn und ich schließlich im Bett liegen, kuschle ich mich an ihn und er streichelt mit seiner Hand über meinen Bauch. „Wie konnte mir das nur nicht auffallen? Ani, auch mir tut das alles unglaublich leid, du hast das einfach nicht verdient, ich kenne keinen besseren Menschen als dich und ich liebe dich.“ „Ich bin sicherlich nicht der beste Mensch, aber ich liebe dich auch Finn.“ schmunzle ich. Er wird schon wieder kitschig. „Und ob allein das du das Baby behalten hast, ohne wenn und aber und es nicht einmal in Frage gestellt hast, allein das macht dich zur Liebe meines Lebens.“ „Du wirst schon wieder kitschig.“ grinse ich. Daraufhin knufft er mich in die Seite. Ich quietsche erschrocken auf. „Schon gut, du bist die Liebe meines Lebens, denn keiner sonst hätte mich ohne wenn und aber in seine Arme geschlossen und sei versprechen zu warten wahr gemacht. Du bist mein Held.“ „Na geht doch.“ Sein selbstgefälliges Lächeln kann ich förmlich spüren.

 

Wir haben noch oft über all das geredet und nachdem ich nun das ganze endlich loswerden konnte, fühle ich mich nun frei. Zusammen haben wir uns ein Haus gekauft, denn Finn meinte für das Baby und die Hunde wäre das einfach besser. Und wenn ich ehrlich bin ich auch. Aber ich habe ihn noch oft mit seinem plötzlichen Nestbautrieb aufgezogen. Noch vor der Geburt konnten wir einziehen. Unser kleiner Jamie wurde im Frühjahr geboren und als Finn Jamie im Arm hielt, bat er mich ihn adoptieren zu dürfen. Er erfüllte mir damit meinen größten Wunsch, denn Jamie hat nun einen Vater, der für ihn ein Vorbild sein kann. Endlich renkt sich mein Leben in geordnete Bahnen. Und das mit dem wunderbarsten Mann an meiner Seite und der tollsten Familie. Es gibt so viel für das es sich zu leben lohnt und wenn man nicht aufgibt, dann kann sich alles zum guten Wenden. Man darf nur nie vergessen, dass Dinge sich nicht von selbst verändern, man muss sie in die Hand nehmen und es aus eigenem Willen schaffen.

Epilog

„Finn, perfekter wird es nicht. Es ist gut wie es ist.“ versuche ich ihn zur Vernunft zu bringen. „Die Schaukel wird schon sein Fliegengewicht halten.“ „Und was wenn nicht?“ Kopfschüttelnd nehme ich ihn in den Arm. „Du kannst nicht die ganze Welt mit Watte überziehen. Und du hast dir wirklich eindeutig zu viel Mühe gegeben. Denn wenn das Ding nicht hält, dann ist das die schlechteste Schaukel die ich je gesehen habe, wenn sie sogar Beton nicht halten kann.“ lache ich. „Kannst du es glauben unser kleiner wird fünf.“ murmelt er. „Oh ja das kann ich, immerhin wirst du ja auch nicht jünger.“ „Das habe ich jetzt einfach Mal überhört Mrs. Maison!“ „Sehe ich da etwa schon ein graues Haar? Mit 37 Jahren, habe ich da etwa einen Frühstarter geheiratet?“ „Wenn die Zwillinge nach dir kommen, dann habe ich ein schweres Leben vor mir.“ brummt er. „Dafür liebst du mich doch.“ lache ich. „Und solange die beiden noch in den Windeln liegen, hast du nichts zu befürchten. Obwohl ich schwören könnte das Jane dich ausgelacht hat, als du dir den Kopf gestoßen hast.“ „Womit habe ich drei Frauen im Haus nur verdient? Jamie und ich werden es schwer haben.“ murmelt er gespielt verzweifelt. „Ich liebe dich auch.“ grinse ich. „Und Casper und Georgy hast du auch auf deiner „Männerseite“ und der echte George gehört auch zu Familie. Mal ganz abgesehen von Pat und Dad.“ zwinkere ich. George hat mir tatsächlich angeboten für die Uni zu arbeiten und erst war ich versucht abzulehnen, doch letztendlich habe ich mich dafür entschieden, denn die Uni ist wie ein zweites zu Hause für mich geworden. Ich habe mein Studium zwar noch nicht abgeschlossen, aber George war sich sehr sicher, so einen lockeren Dekan habe ich noch nie erlebt. Mittlerweile ist er fester Bestandteil unserer Familie geworden und Patenonkel von Jamie und den Zwillingen Jane und Cathy zusammen mit Pat. Ich habe mir hier in Toronto eine eigene kleine Familie aufgebaut und es ist besser als ich es mir je erträumt habe. Mit meinen Chicagoer Freunden habe ich mich mittlerweile ausgesprochen und endlich habe ich alles geklärt. Meine Therapeutin ist ebenfalls nach Kanada übergesiedelt, aber das ist eine andere Geschichte. Nach all den Strapazen bin ich angekommen, mit drei wundervollen Kindern, einem tollen Mann und zwei Hunden in einem kleinen Haus in Toronto.

Super lieben Dank

 Super lieben Dank das du dich durch mein Buch gequält hast. Wenn es dir gefallen hat, lass gerne ein Herzchen da. Andernfalls wäre sowohl ein negativer als auch ein positiver Kommi gern gesehen. Ich würde mich sehr über eine ehrliche Kritik freuen. Lieben Dank und einen schönen Tag wünsche ich euch.

Ellie Mellie 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 06.03.2016

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Toronto, eine Stadt die mich berührt hat.

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