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Irische Träume

 

"Komm schon Leni! Wir müssen los!" rief ich. Eigentlich hätte ich sauer sein müssen, denn sie war wieder einmal zu spät. Aber irgendwie würde sie diese Eigenschaft für immer zu meiner kleinen Schwester machen, auch wenn ich schon 25 und sie bereits 20 war. "Jaja, ich bin ja schon da. Das du immer Stress machen musst." lachte sie und sprang die Treppe leichtfüßig hinunter. "Leni, wenn wir zu spät kommen verpassen wir die Fähre!" nun wurde ich doch ein wenig sauer, aber nur ein kleines bisschen. Ich kam zwar auch oft zu spät, das schien in der Familie zu liegen, aber wenn es wirklich wichtig war, konnte man auf mich immer zählen. "Aiden, Adam und Rachel sind schließlich auch noch nicht da." konterte sie immer noch uneinsichtig. "Komm schon Riley, zieh nicht so ein Gesicht. Das hier war doch schon immer dein Traum. Mach ihn jetzt nicht durch schlechte Laune kaputt." Oh ja, das war schon immer mein Traum gewesen, ein Trip nach Irland. Ich hatte Irland schon immer geliebt. Nachdem ich mit 20 das Abitur bestanden hatte, ich hatte zwischendurch ein Jahr im Ausland verbracht, hatte ich mir einen Job gesucht, um Geld für diesen Traum zu sparen und nun war es soweit, wir würden uns heute auf den Weg machen. Denn meine besten Freunde und Zwillinge Adam und Aiden hatten genauso wie ich daurauf hingearbeitet. Rachel und Leni, unsere kleinen Schwestern fuhren ebenfalls mit, sie wollten unseren Eltern das Geld später zurückzahlen. Unsere Mum hatte dafür extra einen Kredit aufgenommen, davon wusste Leni jedoch nichts und das war auch besser so. Nun standen wir mit gepackten Rucksäcken und warteten auf die Geschwister, die uns mit dem Auto abholen wollten. "Wo bleiben die denn?" mumerlte ich. Aber eigentlich konnte ich es mir denken. Rachel war genauso wie Leni. Wie diese zwei anstrengenden Personen miteinander befreundet sein konnten, war mir ein Rätsel. Endlich bogen sie um die Ecke und ein Stein fiel mir vom Herzen, gerade noch rechtzeitig. Schnell schmiss ich unsere Rucksäcke in den Kofferaum und schwang mich auf den Beifahrersitz, während Leni sich hinten reinquetschte. Mit Schadenfreude sah ich zu, wie sie verzweifelt versuchte sich etwas Platz zu verschaffen. Ich musste mir darüber keine Gedanken machen, denn ich wusste das Aiden mir immer den Platz neben sich freihalten würde, so war es schon immer. Leni warf mir einen bösen Blick zu nachdem wir alle begrüßt hatten. "Hey Leute, ich habe extra für passende Musik gesorgt." rief Adam von der Rückbank und reichte mir eine CD nach vorne. Ich warf ein Blick darauf und legte sie ein. Beruhigende keltische Klänge erfüllten das Auto und bereits nach einer halben Stunde schlief die gesamte hinter Reihe tief und fest. Aiden hatte ebenfalls ihre Verrenkungen bemerkt,wie sie so über und aufeinander lagen. Er grinste vor sich hin und schaute zu mir rüber. "Das ist ein Foto wert." zwinkerte ich und schoss schnell eins. Wir würden noch mindestens vier Stunden, wenn sie die ganze Zeit schlafen würden, wären sie nachher allesamt furchtbar aufgedreht. Aber was solls, so hatten Aiden und ich ein bisschen Zeit für uns. Er nahm meine Hand und ließ sie nur los, wenn er den Gang wechseln musste. Nach einer Weile fragte er leise: "Wann sagen wir es ihnen?". "Ich weiß es nicht Aiden. Es scheint nicht der passende Moment zu sein und ich glaube, sie wären nicht sehr erfreut." Ich schaute betreten aus dem Fenster. Er ließ meine Hand los und meinte bitter: "Es ist nie der richtige Moment Riley. Schon seit 3 Jahren ist es nicht der richtige Moment, aber ich will das so nicht mehr verstehst du?". "Wenn es nur nach mir gehen würde Aiden, dann hätte ich es allen gesagt, als du mir im Kindergarten einen Antrag mit einem Plastikring gemacht hast. Aber da sind nun mal nicht nur du und ich. Hätten wir es sagen sollen nachdem Paul gestorben war? Oder nachdem die Beziehung von Rachel und Adam so furchtbar schief gegangen war?" mir standen die Tränen in den Augen, glaubte er wirklich ich wollte das alles so? Aiden sah nun auch traurig auf die Straße, jedoch griff er wieder nach meiner Hand. "So habe ich das nicht gemeint Álainn." murmelte er. Ich drückte seine Hand, um ihm zu zeigen das ich nicht sauer war. Wir würden darüber reden müssen, aber nicht jetzt und nicht hier. Ich blickte weiter schweigend aus dem Fenster und schließlich schlief ich ein.

"Álainn wir sind da." weckte mich Aiden. Ich schreckte auf und stieß mir den Kopf am Autodach. Ein vierstimmiges Lachen ertönte von allen Seiten und ich blickte alle finster an. "Was hast du denn geträumt Riley, dass du dich so erschreckst?" grinste Adam. "Ich habe von dir geträumt, wie du auf der Fähre ganz grün im Gesicht wirst und das der Spaß noch nicht angefangen hatte, war sehr erschreckend." Adam wurde erst ganz weiß und anschließend wie prophezeit ganz grün im Gesicht. Nun hatte ich das Lachen auf meiner Seite, denn Adam versuchte uns seit dem Kindergarten weis zu machen, er seie nicht Seekrank, wobei jeder natürlich wusste wie es um den harten Jungen wirklich stand. Ich stieg aus und griff meinen Rucksack und spürte eine fast beiläufige Berührung, die natürlich von Aiden kam. "Auf ins Abenteuer!" flüsterte er in mein Ohr. Zehn Minuten bevor die Fähre ablegte betraten wir das Deck. Nun gab es also kein zurück mehr. Die nächste Fähre zurück würde erst in einem Monat fahren. Gespannt sah ich aufs Wasser und beobachtete die wie Wellen leise ans Ufer schwabten. Als die Fähre losfuhr, setzte ich mich zu den anderen und wir amüsierten uns über die äußert haufig auftretenden Toilettengänge von Adam. Als wir Irland endlich erreichten, sprang Adam so schnell er konnte die Leiter Richtung Festland runter, während ich einen letzen Blick auf das Meer warf. Paul war es gewesen der immer mit mir hier her wollte, er hatte mich für Irland und die irischen Tänze begeistert. Unser Zimmer war vollgewesen mit Plakaten der Landschaft und selbst die Musik war stets irische gewesen. Als ich zehn war und Paul gerade mal vierzehn, hatten wir eine Karte aufgehängt auf der jede Stecknadel einen Ort makierte, an den wir in Irland reisen wollten. Mein Paul, mein großer Bruder ich würde ihn nie vergessen. Mum würde jetzt sagen, möge er in Frieden ruhen. Das war etwas an ihrer Art, worüber wir früher gemeinsam gelacht hatten. Doch nun würde das nie wieder so sein. "Du denkst an Paul, nicht wahr?" flüsterte Leni hinter mir. "Ja, ich vermisse ihn so sehr." Sie umarmte mich und einen Moment schwiegen wir jeder in seine Gedanken versunken. "Riley, es ist Zeit loszulassen. Er hätte gewollt, das du Irland in vollen Zügen genießt. Nichts hat er sich mehr gewünscht als mit dir diese Reise zu machen, um Dad zu finden. Erfüllen wir ihm diesen Traum." Ja, noch eines dieser Dinge die geheim waren. Adam, Aiden und Rachel ahnten nicht das wir vorhatten unseren Vater zu finden. Als Paul und ich begannen die Reise zu planen, schworen wir uns außer Leni, wenn sie alt genug dafür war, einzuweihen. Denn jeder ging davon aus das unser Vater bereits verstorben war, selbst unsere Mum. Doch Paul hatte auf dem Dachboden unserer Großeltern einen Brief gefunden, der bewies das Dad am Leben war und nach Irland zurückgekehrt war. Aber hätte das irgendjemand erfahren und wir hätten herausgefunden, das wir uns geirrt haben, wäre die Hoffnung unnötig und niederschmetternt gewesen. Ich hielt mich an dieses Versprechen und ich hoffte auch Leni würde es vor entgültigen Beweisen niemals brechen. "Lass es uns anpacken." stimmte ich Leni zu und wir verließen gemeinsam das Schiff, um die anderen nicht länger warten zu lassen. Es war mittlerweile Abend und wir hatten bis nach Clonakilty noch einen weiten Weg vor uns, also entschlossen wir uns Zimmer direkt am Hafen zu suchen. Ich teilte mir ein Zimmer mit Rachel und Leni und da die beiden vertieft in ein Gespräch über irgendeine Serie waren, fiel es nicht auf als ich mich aus dem Zimmer nach unten schlich. An der Rezeption fragte ich nach einem Telefon und einem Telefonbuch, worauf mich der Mann an eine Telefonzelle in der Nähe verwies. Ich beeilte mich, um schnell wieder zurück zu sein. Im Telefonbuch suchte ich nach der Auskunft und fragte dort ob man mir die Adresse des Einwohnermeldeamts geben könnte. Schnell schrieb ich sie auf ein Taschentuch, steckte dies ein und kehrte zur Unterkunft zurück. Unglücklicherweise stieß ich auf die Zwillinge die es sich unten in den Sesseln gemütlich gemacht hatten. "Wo warst du denn schon Riley?" fragte Adam wodurch auch Aiden auf mich aufmerksam wurde. Fieberhaft überlegte ich nach einer Antwort: "Ähm...ich war noch mal unten am Wasser und habe mir die Landschaft angeschaut." "Welche Landschaft? Hier ist alles voller Container, ohne auch nur ein bisschen grün." Adam schaute mich völlig entgeistert an, er hatte ja recht. Hier war alles ziemlich heruntergekommen und sonderlich schön anzusehen. "Wo warst du wirklich?" fragte Aiden misstrauisch. Er wusste das ich sie belogen hatte und es schien ihn zu verletzten. Verständlich, ich würde nichts lieber tun als es ihnen zu erzählen, aber ich hatte es Paul versprochen und dieses letzte Versprechen, so albern das auch sein mochte, wollte ich nicht brechen. "Ich glaube nicht das du alles wissen musst." entgegnete ich also und ging schnell, um seinen verletzten Gesichtsausdruck nicht sehen zu müssen. Ich hörte noch wie Adam sagte: "Das meint sie nicht so Aiden, das weißt du.". Doch das schien ihn nicht beruhigt zu haben, denn ich hörte seine Schritte die mir die Treppe hinauf folgten. Ehe ich reagieren konnte, zog er mich in einen Raum und schmiss die Tür ins Schloss. "Was soll das Riley? Du hattest noch nie Geheimnisse vor mir. Was ist bloß mit dir los? Vertraust du mir nicht mehr?" sagte er zeimlich wütend. "Aiden, versteh doch bitte. Ich kann es dir nicht erzählen. Lass uns das zusammen zu Ende bringen und ich verspreche dir, alles wird sich aufklären. Bitte Aiden!" "Woher soll ich wissen, dass das nicht schon wieder ein ewiges Geheimnis bleiben wird? Wer garantiert mir das du dann endlich die Wahrheit sagst?" "Aiden, bitte." "Nein, Riley. Ich kann das so nicht länger. Es fällt mir jeden Tag schwerer und jetzt beginnst du auch noch Dinge vor mir zu verheimlichen, so geht das einfach nicht weiter." Wenn ich mein Versprechen halten wollte, dann würde es nur eine Möglichkeit geben. Ich zog Aiden zu mir, legte meine Arme um seinen Nacken und küsste ihn. Ich legte all den Schmerz und Leidenschaft in diesen Kuss. Als ich mich von ihm löste, konnte ich ihm nicht in die Augen schauen. "Aiden, ich denke es ist das beste wenn wir das hier beenden, du hast Recht, wir können das nicht länger." Sein Gesichtsausdruck wechselte von entsetzen zu wütend. "Wenn es das ist was du willst." Er verließ den Raum und trete sich nicht noch einmal um. Was hatte ich getan? Aber damit würde ich nun leben müssen. Ich ging ohne Abendessen ins Bett, schlafen konnte ich jedoch auch nicht und so ging ich runter zum Hafen und setzte mich an die Kante zum Wasser. Ich weiß nicht wie lange ich so aufs Meer blickte, doch irgendwann setzte sich Adam neben mich. Ich wusste das er es war, denn früher war er immer gekommen, wenn Aiden und ich streit hatten. Jedesmal hatte er versucht zwischen uns zu vermitteln, denn er mochte keine schlechte Stimmung um sich. "Ich weiß zwar nicht was du getan hast Riley, aber er ist sehr verletzt." meinte Adam der ebenfalls nach geradeaus schaute. "Ich weiß Adam. Aber diesesmal kann ich nichts für dich tun, das lässt sich nicht so einfach aus der Welt schaffen." Schweigen umhüllte uns, während die Kälte in meine Kleider kroch. "Weißt du Aiden und ich wir sind Zwillinge, die diese typische Thelepathie verknüpft, aber du und er, das was ihr habt ist unbeschreiblich und ich werde es vermutlich nie verstehen können, aber bitte gib das nicht so einfach auf." durchbrach Adam die Stille. "Dafür ist es bereits zu spät Adam. Dieses Mal habe ich es wirklich versaut." Nach einer Weile stand ich auf. "Ich danke dir für alles Adam, aber ich kann es verstehen wenn du zu deinem Bruder hältst." "Riley ich werde nicht zwischen Aiden und dir wählen. Du bist für mich genauso meine Schwester wie Aiden mein Bruder. Vergiss das nie." "Danke Adam." Ich drehte mich um und kehrte in mein Bett zurück. Am nächsten Morgen wachte ich völlig übermüdet von dem Lärm der beiden auf und begann ebenfalls mich fertig zu machen. Ich gab mein bestes um die gestrigen Ereignisse zu überdecken, aber man konnte mir ziemlich deutlich ansehen wie schlecht es mir ging. Das Frühstück ließ ich ausfallen, denn ich hatte immer noch keinen Hunger. Im Auto setzte ich mich das erste Mal seit ich denken konnte auf die Rückbank. Noch nie hatten wir uns in den Augen der anderen so sehr gestritten. Sie verfolgten das ganze mit entsetzten Blicken. Rachel versuchte die Situation zu retten und schwang sich auf den Beifahrersitz. "Endlich mal etwas Platz." lachte sie gezwungen. Als Aiden zu uns stieß und beim Einsteigen bemerkte das nicht ich neben ihm saß, bedachte er mich mit einem undefinierbaren Blick, verletzt, wütend und vieles mehr. Die ganze Autofahrt schwiegen wir bis nach Clonakilty. In Clonakilty checkten wir in das nächste Hotel ein und während die anderen loszogen, um die Stadt zu erkunden, blieb ich unter dem Vorwand mir sei schlecht zurück. Da ich ohnehin nicht gut aussah, glaubte mir jeder. Nach dem ich ein bisschen gewartet hatte, machte ich mich auf den Weg zum Einwohnermeldeamt. "Entschuldigen Sie, wo kann ich Auskunft über die Adresse von jemand bestimmten bekommen?" Die freundlich Frau vom Empfang gab mir eine Wegbeschreibung und so saß ich schon sehr schnell im Büro einer älteren Damen. Nach einer kurzen Begrüßung fragte ich dirket: "Ich suche einen Declan O'Fallon, können Sie mir mit einer Adresse weiterhelfen?" "Ich kann Ihnen leider keine Auskunft geben, wenn sie nicht verwandt oder verheiratet sind." antwortete sie bedauernd. Ich legte ihr meine Geburtsturkunde auf den Tisch. "Ich bin seine Tochter, ich hoffe die Geburtsurkunde reicht aus." Schnell hatte sie mir zehn Adressen aus ganz Irland herausgesucht auf die der Name zutraf. Ich bedankte mich und verabschiedete mich anschließend. Als ich ins Hotel zurückkehrte endete meine Glücksträhne, denn ich traf erneut auf die vier. "Dir geht es also nicht gut ja?" schrie Aiden beinahe. "Und schon wieder hast du uns belogen, ich fasse es einfach nicht!" Wütend drehte er sich um und ging hinauf. Erschüttert schaute ich zu Boden. "Es tut mir leid Leute. Ich glaube es ist das Beste, wenn wir uns hier trennen. Er wird mir nie verzeihen." murmelte ich. "Das wirst du nicht tun Riley, er kriegt sich schon wieder ein!" meinte nun auch Adam wütend. "Aber bis dahin ist es besser ich gehe, es verdirbt uns doch allen nur die Reise." "Wir wollen aber mit euch beiden reisen!" meinte Leni trotzig. "Schlaf wenigstens eine Nacht drüber." meinte nun auch Rachel. "Wie ihr wollt ich entscheide morgen." Natürlich würde ich nicht bis morgen warten. Bis ich Dad gefunden hatte, würde sich nichts wieder einrenken und das würde nun mein Ziel sein, diese zehn Adressen. Ich finde ihn Paul, versprochen.

In der Nacht schlich ich mich mit gepacktem Rucksack aus dem Zimmer und verschwand mit dem Bus in Richtung Dunmanway. Hier lebten gleich zwei Delan O'Fallons. Als ich am frühen Morgen die Stadt erreichte, lief ich zu den angegebenen Adressen. Doch relativ schnell stellte sich heraus, dass beide zu jung waren, um mein Vater zu sein. Da kein Bus fuhr macht ich mich noch am selben Tag zu Fuß auf den Weg in irgendein kleines Dorf fünf Kilometer entfernt auf. Ich schaffte es im dunkeln die Hausnummer zu finden aber dieser Herr war nun schon etwas alt und schien Irland noch nie verlassen zu haben, was er mir alles erzählte, obwohl ich so tat, als würde ich eine Umfrage durchführen. Zu meinem Glück gab es hier einen kleinen Pub, in dem man auch ein Zimmer mieten konnte, denn es war bereits finster. Am nächsten morgen machte ich mich mit dem Zug von Dunmanway nach Dublin auf. Die Zugfahrt dauerte neun Stunden und so holte ich mein Handy raus. 54 verpasste Anrufe von Leni, Rachel und Adam waren darauf, Aiden hatte nicht angerufen. Um mein schlechtes Gewissen zu verdrängen, packte ich es schnell wieder weg. Auf Dublin trafen gleich vier Adressen zu, wie sich herausstellte handelte es sich bei drei von ihnen um Amerikaner und einer war gerade einmal zwölf Jahre, der hatte mich ganz komisch angeschaut. Zwei weitere fand ich in Athlone und Rathdowney nach drei Tagen, doch auch sie passten nicht. Langsam verlor ich den Mut. Ach Paul, wenn er hier wäre wüsste er wie er mich aufmuntern könnte oder Aiden. Paul hatte immer in seiner kleinen irischen Fantasie gelebt, aber ich hatte gewusst, dass Aiden immer für mich da war, dass er mir immer einen Platz freihalten würde, dass er immer hinter mir stehen würde. Er hatte mir immer zugehört und mir immer verloren. Ich habe Paul geliebt, aber er lebte immer in seiner Parallelwelt und manchmal nahm er mich mit, aber manchmal war er auch einfach unerreichbar. Und jetzt? Jetzt hatte ich beide verloren und das war allein meine Schuld. Nach einer unerholsamen Nacht steuerte ich die letzte Adresse an, Cellbridge. Ich stand vor der Tür und als ich mich endlich überwunden hatte, öffnete er. Er sah noch genau so aus wie auf Mums alten Fotos. Ich schwieg, woraufhin er etwas verwundert ein "Hallo, was kann ich für sie tun?" herausbrachte. "Wer ist das Daddy?" rief eine kleine Mädchenstimme aus dem inneren des Hauses. Er hatte Kinder, neue Kinder. Entsetzt liefen mir die Tränen über die Wangen und ich drehte mich um und rannte einfach nur noch. Er lässt uns zurück und schafft sich einfach eine neue Familie? Wut mischte sich in meine Gefühle, ich blieb stehen und setzte mich auf eine der Bänke. Still weinte ich vor mich hin und beruhigte mich erst wieder, als die Sonne bereits unterging. Ich wusste was ich zu tun hatte, ich holte mein Handy aus meiner Tasche und suchte Leni im Adressbuch. "Hallo?" meldete sie sich. "Hallo Leni, hier ist Riley." "Riley?" kreischte sie in den Hörer. "Riley?" ertönte es nun im Hintergrund. Ich hörte ein rascheln. "Riley ich weiß nicht was du dir dabei gedacht hast, aber komm sofort zurück." ertönte Aidens wütende Stimme. "Aiden.." "Nichts Aiden, komm zurück nach Clonakilty." Erneutes rascheln. "Aiden hat Recht Riley. Bitte komm zurück." erklang nun wieder Lenis Stimme. "Leni, ich habe ihn gefunden. Er hat eine neue Familie. Er wohnt in Cellbridge, die genaue Adresse habe ich dir als SMS geschickt. Ich werde hier auf euch warten." Damit legte ich auf. Auf die weiteren Anrufe reagierte ich nicht. Was hätte Paul bloß dazu gesagt? Wäre es ihm egal gewesen? Erneut liefen mir die Tränen über die Wangen. Ich machte mich auf den weg zurück. Wer weiß wann und ob sie überhaupt hier her kommen würden. In der Nähe seines Hauses suchte ich mir eine Bank und wartete. Ich weiß nicht wie lange ich gewartet habe. Aber es fühlte sich an wie eine halbe, traurige Ewigkeit bis sie um die Ecke bogen. Als Aiden mich sah, hielt er an und sprang aus dem Auto. Er schloss mich in seine Arme und murmelte: "Ich weiß nicht was das hier alles soll Riley, aber wir haben einen Pakt! Was auch immer passiert, wir bleiben für immer Freunde, ich habe es dir versprochen, bei unserem ersten Kuss und ich weiß einen Moment lang habe ich es vergessen, aber für dich gilt dieses Versprechen ebenfalls, also lass uns Freunde bleiben Riley. Du hast Recht es ist besser so. Bitte." "Immer." Nun waren auch die anderen zu uns gestoßen und ich rückte von Aiden ab, er wollte nur noch Freundschaft, ich hatte es versaut. Aber konnte ich es ihm verübeln? Ich war selbst schuld. Das Aiden und ich uns weder angeschrien noch ignoriert hatten, schien sie alle erleichtert zu haben. Nachdem Leni sie über unseren eigentlichen Plan aufgeklärt hatte und ebenfalls über unser Versprechen gegenüber Paul erzählte ich ihnen, was ich bereits herausgefunden hatte. "Und er hat wirklich eine neue Familie?" fragte Rachel mitfühlend. Ich nickte. "Ich glaube es ist das Beste wir bringen diese Reise zu Ende, bevor wir hier her zurückkehren und reden dann erst mit ihm, was meinst du Riley?" "Vermutlich ist das der schlauste Weg, um alles zu verarbeiten." Mehr konnte ich dazu einfach im Moment nicht sagen. Mein Vater schien uns nie gewollt zu haben und Aiden war nun auch davon überzeugt zu sein das wir nur Freunde sein sollten. Wir buchten ein Hotel, doch wie schon die letzten Nächte konnte ich kein Auge zu machen. Es gab ohnehin noch eine Sach zu erledigen. Ich schnappte meine Schuhe und das Gefäß, den Autoschlüssel hatte ich zum Glück, da Leni ihn vorhin mit ins Zimmer genommen hatte. Ich wollte gerade die Treppe runter, als Aiden mich erschreckte: "Wo willst du denn schon wieder hin?" "Ich komme schon wieder. Aber wenn ich nicht schlafen kann, dann kann ich genauso gut etwas erledigen." "Nicht schon wieder." meinte er genervt. "Ich habe dich nicht gebeten mein Kindermädchen zu spielen und ich bin vor dem Frühstück wieder da." Ich drehte mich um und ging zum Parkplatz, dort holte er mich ein. "Ich komme mit." Mehr sagte er nicht und wir brauchten auch keine weiteren Worte. Als wir die berühmte irische Küste erreicht hatten, stieg ich aus und der Wind sauste mir um die Ohren. Ein wunderschönes Gefühl. Ich trat an den Rand und öffnete das Gefäß. Fragend trat Aiden zu mir. "Als wir in diesem auto saßen eingequetscht und kopfüber, da wusste er das er sterben würde und er sagte: >>Egal wie lange meine Asche in deinem Zimmer steht, du wirst sie erst verstreuen, wenn du in Irland bist und unseren Dad gesehen hast. Versprich mir das Riley. Such einen Ort der dich an Irland und an mich erinnert, dort will ich meine letzte Ruhe finden. Ich hab dich lieb Kleines.<< und dann ist er einfach so neben mir gestorben und hat mich allein gelassen." Nach einem Moment Stille durchbrach Aiden diese: "Es ist Zeit loszulassen Álainn." Und ich ließ los, nach all diesen Jahren ließ ich meinen Paul los. Eine einzelne Träne lief mir über die Wange. "Ich habe dich auch furchtbar lieb Großer." Wir blickten aufs Meer, beobachteten die Wellen und schauten zu den Sternen. "Das alles hast du getan weil du es ihm versprochen hast. Es war euer Geheimnis und du hast dich dran gehalten. Und ich habe das schlimmste gedacht. Es tut mir leid Álainn." Ich wollte nicht noch einmal hören wie er sagte, dass wir besser Freunde blieben, also unterbrach ich ihn: "Schon gut, es ist in Ordnung wie es ist." Wir gingen zurück zum Auto. Nach gerade einmal einer Stunde schlaf wurde ich von lauten Flüchen geweckt. "Mist, Mist, Mist!!! Daran habe ich ja gar nicht gedacht." rief Leni durch das Zimmer. Rachel schien schon fertig und beim Frühstück zu sein. "Was ist den los Leni?" fragte ich benommen. "Ich habe meine Tage und vergessen etwas einzupacken. Riley kannst du mir helfen?" "Oh man ich habe auch nicht daran gedacht. Ich geh Rachel fragen." "Oh nein Riley bitte nicht. Die sitzt schon mit den Jungs beim Frühstück." "Na gut, ich fahre in die Stadt." sagte ich grummelig. Ich schnappte mir die Schlüssel und fuhr los auf der Suche nach einem Laden. Als ich einen fand parkte ich und stieg aus. Ich brauchte eine gefühlte Ewigkeit, um das Gewünschte zu finden. Plötzlich erstarrte ich. War ich nicht auch bald dran? Ich rechnete nach. Ich war schon seit drei Wochen überfällig, wie hatte ich das nicht bemerken können? Bitte, bitte lass es wegen des ganzen Stress gewesen sein. Oh nein. Schnell griff ich auch noch zu einem Schwangerschaftstest, nur um sicher zu gehen. Als ich zurückkehrte stand ich immer noch neben mir, doch Leni schien es nicht zu bemerken. Sie riss mir die Tüte aus der Hand ehe ich reagieren konnte und verschwand im Bad. Nach kurzer Zeit kam sie zurück. "Riley möchtest du mir da was erklären?" "Es ist bloß eine Vermutung." sagte ich hektisch. "Los rein da." kommandierte Leni. Sie sah gerade nicht so aus, als würde sie Spaß verstehen, also gehorchte ich ihr ohne Widerworte und ging ins Bad. Die fünf Minuten die man warten musste schienen mir eine halbe Ewigkeit zu sein. Als ich mich endlich traute einen Blick darauf zu werfen, sank ich völlig entgeistert zu Boden, das alles hier konnte doch nur ein kosmischer Scherz sein innerhalb von fast zwei Wochen hatte ich mich von Aiden getrennt, meinen Vater gefunden, mit Paul Frieden geschlossen und nun war ich schwanger. Das musste alles ein böser Witz sein. "Riley ist alles in Ordnung?" rief Leni von draußen. Ich stand auf, öffnete die Tür und drückte ihr den Test in die Hand. Sie kreischte vor Freude: "Ich werde Tante!" "Leni, es ist besser wenn ich die Reise beende. Ich werde zum nächsten Flughafen fahren und nach Hause fliegen. Der Trip war ein totaler Reinfall." Ihre Begeisterung verschwand augenblicklich. "Oh nein! Das wirst du nicht tun. Wir gehen jetzt frühstücken und dann reden wir drüber verstanden?" "Okay, aber dann behalt es für dich." Als wir uns zu den anderen an den Tisch setzten, waren diese schon fertig mit Frühstücken. "So lange könnt auch nur ihr beide brauchen." lachte Adam. Während die anderen miteinander herumalberten, hielt ich mich zurück und versuchte wenigstens etwas herunter zu bekommen. Wir packten unsere Sachen, denn heute sollte es nach Dublin gehen. Die Fahrt dauert für mich eine halbe Ewigkeit, aber letztendlich waren wir schnell da und ich ließ mich von Leni überreden die Stadt mit anzuschauen wir besuchten die Sehenswürdigkeiten aber auch zwei Pubs, in denen ich mich versuchte aus der Affäre zu ziehen, als es um die Bierbestellung ging. Ich verzog mich meistens aufs Klo. Dort suchte ich nach Rückflügen, denn Länger hielt ich das einfach nicht mehr aus, hier mit ihm zu sitzen und so zu tun als wären wir Freunde. All das war mir einfach zu viel, ich wollte Ruhe und einen Ort zum überlegen und hoffentlich würde das auch Leni verstehen. Als ich endlich einen Preiswerten Flug gefunden hatte, schob ich Leni mein Handy zu und gab ihr mit der geöffneten Website meinen Wunsch zu verstehen. Doch Riley hatte eindeutig schon zu viel getrunken und sagte so laut das auch die anderen es hörten: "Oh nein Riley. Das Thema hatten wir jetzt schon. Das tust du nicht!" "Was soll sich nicht tun?" fragten die anderen sofort. Ich sah ihr an, das sie es jetzt erzählen würde." "Bitte Leni. Hör auf." flüsterte ich. Aber sie hörte mich nicht oder sie wollte es nicht. "Riley will heute noch zurück fliegen, weil sie der Meinung ist das der Trip ein reinfall war und sie erfahren hat das sie schwanger ist." plauderte sie einfach alles aus. "Bitte!" flüsterte ich noch einmal, aber es war schon zu spät. Alle schauten mich entsetzt an. Auch Leni, diese war aber mehr über sich selbst entsetzt. Nachdem Aiden sich wieder gefangen hatte, nahm er meine Hand und schleifte mich aus dem Pub. "Bitte Álainn, sag mir um Gottes Willen, dass dies das letzte Geheimnis war, wenn nicht dann hast du jetzt eine Minuten, um mir den Rest zu erzählen." "Ich liebe dich." "Mehr nicht?" "Nein" Er schien äußerst zufrieden mit meiner Antwort. "Gut, denn ich liebe dich schon mein ganzes Leben lang Riley und ich möchte dich nie wieder verlieren und das wir ein Baby bekommen, ist mit Abstand das Beste." Er küsste mich und es war ein atemberaubender Kuss, weich und sinnlich. Endlich war ich wieder vollkommen mit Paul in meinem Herzen und Aiden an meiner Seite. Wir kehrten eng umschlungen in den Pub zurück, wo die anderen auf uns warteten. Als wir uns wieder zu ihnen setzte schauten wir nun in drei überraschte Gesichter. "Stört es dich nicht Aiden, das Riley ein Kind bekommt?" fragte Adam, als er unsere ineinander verschrenkten Finger sah. "Nein, warum auch?" "Komm schon. Du stehst auf sie seit du ihr im Kindergarten den Plastikring geschenkt hast. Und jetzt bekommt sie ein Kind. Von einem anderen." "Du glaubst doch nicht das ich das zulassen würde." lachte Aiden. Während Adam und selbst der betrunkenen Leni ein Lincht aufging und sie anfingen zu strahlen fragte Rachel: "Häh?! Bin ich die einzige die es nicht versteht? Immerhin hat er es ja anscheinend zugelassen, sonst wäre sie doch nicht schwanger." Leni seufzte genervt: "Oh man Rachel! Das Kind ist von ihm!" Nun begann auch Rachel zu grinsen: "Wie lange läuft das schon?". Betreten schauten wir zu Boden. Aiden antwortete schließlich: "Drei Jahre." Und wieder hatten wir drei entsetzte Gesichter vor uns.

 

Letztendlich ist ein Happyend, so aussichtslos es manchmal scheint, dennoch nicht unmöglich. Unseren Vater haben wir nicht noch einmal besucht. Er wird seine Gründe gehabt haben zu gehen und nur weil unsere Familie vor Jahren auseinander brach, müssen wir nicht noch eine zweite zerstören. Nach diesem ereignisreichen Trip schworen wir fünf uns, das wir alle vier Jahre eine solche Reise unternehmen würden. Und das haben wir bis heute eingehalten. Sieben Monate nach dieser Reise wurde unser kleiner Sohn geboren, wir haben ihm den Namen Paul gegeben und auch er weist eine unglaublich große Begeisterung für Irland auf. Scheint genau wie das zu Spät kommen in der Familie zu liegen. Nach Aidens und meiner Hochzeit fragte er mich, ob wir nach Irland ziehen wollen und so schön dieser Gedanke auch sein mag, ich lehnte ab, denn ich möchte nicht das dieses wunderschöne Land durch unser Alltagsgrau seinen glanz verliert, es soll ein Ort bleiben an dem wir uns selbst finden können.

Glossar

 Álainn- irisch für (die) Schöne

Quellen

 Cover: von Google Bilder

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 03.01.2016

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für dich Pauline, damit auch du endlich die Karten auf den Tisch legst und weil du immer für mich da bist und mich nie verurteilen würdest. :)

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