Leise schweben die Tropfen zu Boden. Es ist nur das Rauschen zu hören, wenn sie das dichte Laub der Baumkrone durchdringen. Sie bleibt stehen, lauscht. Ihre Kleidung tropft und legt sich eng an den Körper. Die Schminke ist verlaufen, und ihr Haar, das sonst so elegant über ihre Schultern fließt, hängt nun nass und strähnig nach unten. Doch selbst jetzt ist sie wunderschön. Da es sie nicht kümmert, es kümmert sie nicht was die anderen denken. So sorglos und frei steht sie da, einfach nur da und lauscht dem Regen. Es ist ihr Lieblingsgeräusch, dieses sanfte, leise Rauschen. Sie breitet die Arme aus, um besser spüren zu können wie der Regen sie umschließt, an ihrem Körper herunterrinnt und die nackten Füße streichelt. Ein Gefühl von Geborgenheit erfüllt sie. Die Leute, die aus den Fenstern schauen schütteln den Kopf und sagen: “Die ist ja nicht normal!”. Dabei ist sie nur sie, ihr gefallen die schwarzen Sachen, das lange schwarze Samtkleid, das sie jetzt trägt. Auch sind die Gerüchte über Sektenfalsch, sie ist einfach nur sie. Zugegeben, sie genießt die Blicke, aber sie ist ein Mädchen wie jedes andere, auch wenn einige der Meinung sind sie wäre hübscher als der Durchschnitt. Aber davon will sie nichts wissen.
Blutrot färbt sich der Schnee, während langsam die Abendsonne hinter den Bäumen versinkt.Sanft rauscht der Wind durch die Kronen. Winzige Eiskristalle funkeln wie Tausende von Diamanten in der Sonne. Sie schließt die Augen, lauscht. Langsam öffnen sich ihre Augen wieder um blinzelnd den Sonnenuntergang zu beobachten. Er nimmt alles ein, gibt allem seine Farbe, sogar die kleinen Diamanten werden zu Rubinen. Doch sie verlieren nichts an Schönheit. Verändern sich und tanzen anmutig der Nacht entgegen. Nun ist alles rot wie Glut. Ein Schauer erfüllt sie, es ist kalt!
Der feuchte, kalte Matsch umschließt ihre Füße und dringt zwischen die Zehen. Langsam zieht sie die Beine aus dem Morast und macht einen Schritt. Erneut nimmt der Boden sie gefangen. Es ist ein langsames und mühevolles Vorankommen, aber es ist ein Vorankommen! Oder nicht? Sie verharrt und sinkt langsam bis zu den Knien ein, während sie nachdenkt. Vor zwei Stunden konnte man noch die ganze Ebene überblicken, doch nun versperrt eine dichte, undurchdringlich scheinende Nebelwand die Sicht. Zwei Meterschätzt sie reicht der Blick, doch ihr Augenmaß war noch nie das beste. Stimmt die Richtung noch? Nirgendwo Orientierungspunkte, nur ein nicht endendes ins weiß spielendes Grau. Erschöpft bricht sie zusammen. Zwei Meter noch und der Nebel hätte sich gelichtet!
Tag der Veröffentlichung: 24.10.2020
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