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Meine geliebte Allison,
wenn du diese Zeilen liest, werden hoffentlich viele Jahre vergangen und auch deine Wut, mir gegenüber, verloschen sein. Ich….



Schritte von draußen drangen plötzlich durch den kahlen Flur. Allison reagierte daraufhin perfekt geschult: Ihre schmalen Finger falteten den Brief so dünn wie es nur ging klein. Dann kletterte sie auf ihren Schreibtisch hinauf, und versteckte den Brief so schnell wie sie nur konnte wieder in den Lüftungsschacht, der sich direkt über ihn an der Decke befand.
Er war gerade mal zehn Zentimeter groß, und zwei Zentimeter breit. Genau richtig, damit der Brief eng zusammengefaltet reinpassen konnte. Dann schlich sie sich schnell wieder in ihr breites Bett und verkroch sich unter die Seidige Bettdecke. Als sie die Fötus Position einnahm, um sich so klein wie möglich zu machen, überkam ihr einen leichten Schauer durch den ganzen Körper. Ihre eiskalten Zehenspitzen berührten ihre Oberschenkel und erschreckten sie kurzzeitig.
Sie durften nicht kalt sein, sie würden sonst wissen, dass sie nicht geschlafen sondern sich im Zimmer rumgetrieben hatte. Nach all den Jahren vergaß sie niemals, wo sie war oder was mit ihr passierte, wenn sie sich einen Fehler leisten würde. Da half auch nicht die immer nobler wirkende Ausstattung ihres Zimmers, das mit der Zeit und ihren Erfolgen stetig neu eingerichtet wurde und ihr das erhoffte Zuhause Gefühl vermitteln sollte. Die Schritte kamen immer näher und Allison setzte sich sofort in den Schneidersitzt und versuchte sich ihre Füße warm zu reiben. Beide Hände rubbelten ihre Füße so schnell wie es nur ging, damit die Durchblutung die erwünschte Körperwärme hervorbrachte, aber die Zeit war nicht auf ihrer Seite und so öffnete sich noch während ihrer verzweifelnden Aktion die Tür zu ihrem Zimmer.
„Allison, Allison…“ Der Mann tadelte sie mit einen enttäuschten Kopfschütteln und schnippte kurz mit seinen Fingern. Das schnappen setze in Allison sofort den Alarm aus und noch ehe sie es sich versah, tauchten drei Wachmänner auf und zerrten sie an Arme und Beine hinaus aus ihrem Zimmer.


„Was bedenken Sie zu tun, wenn er nicht die gleiche Meinung vertritt, die wir gerne hätten?“
Er blieb stehen und schenkte ihr keinen einzigen Blick. Ganz fokussiert auf den Kugelschreiber in seiner Hand, der ihn half, sich bestmöglich zu konzentrieren, wartete er geduldig auf den Ton ihrer Stimme ab. Dieser Kugelschreiber war selbstverständlich nur ein weiteres Requisit in dieser ganzen Show, die sich Arbeit nannte, und in der er Tag ein Tag aus hoffte, keinen Fehler zu begehen. Würde er sich auch nur einen Fehler erlauben, sich nicht an das Drehbuch halten und zulassen, dass er sich beeinflussen ließ, wäre er auf der Stelle tot.
„Hoffen, dass ich schmerzlos dem Tod gegenüber treten durfte.“
Bei dem Wort Tod nickte er nachdenklich. Sie sprach es mit ihrer zerbrechlichen Stimme so gleichgültig und kalt aus, dass selbst er kurzzeitig zum einzigen Fenster im Raum blicken musste, nur um sich zu vergewissern, dass es zu war und keine Kälte mit in den Raum brachte. Nein, die Kälte, die er gerade spürte, kam von dem kleinen, Zehnjährigen Mädchen, das ein paar Stufen höher auf ihrem Stuhl saß. Sein Arbeitgeber bestand darauf, dass Zimmer in Form eines kleinen Hörsaals erbauen zu lassen. Die Ironie des Ganzen war ihm von Anfang an nicht entfallen. Wie ein Adler, der von hoch oben die schwache Maus fixieren und bis aufs kleinste Detail ausspionieren konnte.

„Gut, kommen wir zum nächsten Lernprozess.“

Behutsam setze er sich an seinen Schreibtisch, um sich Notizen zu machen. Der Kugelschreiber verließ niemals seine Aufmerksamkeit, und auch jetzt war er das Einzige, was ihn davon abhielt, den Adler in die Augen zu schauen. Ein kurzes klopfen, und schon brachten die Wachen vor der Tür das vor Angst wimmernde Unterrichtsmaterial für die folgende Stunde herein.
Seinen Kugelschreiber fest in der rechten Hand gedrückt, atmete er einmal tief ein und wieder aus. Die Wachen, insgesamt waren es sieben, gingen hoch um das Mädchen aus ihrem Stuhl nach unten zu befördern. Keiner berührte sie, nur der Stuhl wurde angefasst und die Treppen nach unten gebracht. In dieser Hinsicht war allen perfekt geschult. Das Mädchen blieb wie üblich still sitzen und regungslos.
Erst als die Wachen den Stuhl absetzten und sie nun direkt vor dem „Unterrichtsmaterial“ saß, regte sich in ihren Armen ein kleines zucken. Kaum zu sehen von den Wachen oder ihrem Lehrer, aber es war da. Dieses zucken, dass sie daran erinnerte, was sie nun zu tun hatte. Was man von ihr erwartete. Konzentriert starrte sie ihr verängstigtes Gegenüber an. Jeder Atemzug war nun entscheiden. Jedes Härchen, das sich aufstellte, jedes Blinzeln, jede Träne und vor allem die Reaktion des Opfers musste stimmen.
Das kleine Mädchen erhob sich vorsichtig von ihrem Stuhl, ohne das die Wachen um sie herum eingriffen. Noch ehe eine Minute verging, hörte das Wimmern im Raum auf und es folgte stattdessen ein lauter Aufschrei. Es kam weder von dem Lehrer, noch von den Wachen. Das Unterrichtsmaterial hielt sich mit beiden Händen die Ohren zu und schlug ihren Kopf schlagartig auf den kalten Steinboden unter ihr. Die Masse des Kopfes traf die Wachen um sie herum, nicht aber das Mädchen selbst. Sie setzte sich nun wieder auf ihrem Stuhl und blickte schweigsam in Richtung des Lehrers, der die roten Innereien des am Boden zerstörten Kopfes nicht aus den Augen ließ.
Anfangs dachte er selbst, dass es eine Art Geduldstest für ihn wäre oder dass sie ihn einfach für seine Fehler in der Vergangenheit bestrafen wollten, die er in der Abteilung für Geschäftsspionage beging. Aber nach den Monaten mit ihr war ihm klar, dass er früher oder später sterben würde. Die Frage war bloß, ob sie ihn töten oder sie es tat. Und als er endlich den Blick vom Boden auf das Mädchen wendete, wurde ihm klar, dass sie es tun würde. Allison.

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Texte: James Editor
Bildmaterialien: Texturen: James Editor Coverbearbeitung: James Editor
Tag der Veröffentlichung: 09.02.2013

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