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20.Kapitel



»Wird gemacht«, rief Aldran und streckte Laria die Hand entgegen. Sie ergriff Aldrans Hand. Der Faun lächelte und ergriff ihre Hand so kräftig, daß es beinahe schmerzte. Sie sprang in seinen Ärmel. Doch mitten im pfeilschnellen Flug geschah etwas Unerwartetes. Etwas Dunkles wischte vorbei. Es riss an Laria. Aldrans Hand rutschte weg.
Aldran, halt fest! Seine Finger glitten davon. Wir verlieren den Halt. Die Verbindung reißt. Oh, nein. Entzwei.
Sogleich verwandelte sich alles.
Aldrans erstauntes Gesicht verschwand in einem grünen Luftwirbel. Mit ihm die Wiese am See unter´m Berg, die Feenwelt, die Käfer, Schmetterlinge, all die Blütenpracht, die Bäume, das klare Licht, alles was die Blütenfee gewohnt war zu sehen.
Etwas Dunkles und Fremdes wirbelte heran. Schwärze fegte ihr Bewusstsein hinweg.
Laria hatte das Gefühl, als zöge ihr jemand den Boden unter den Füßen weg und das kalte, harte darunter war so fremd. Blitzschnell der Wechsel aus blendendem Leuchten in die Dunkelheit. Allmählich gewöhnten sich ihre Sinne an das, was sie erfassen konnten. Unter ihr das Kalte, worauf sie stand. Sie sah ihre Füße.
Ihre nackten Füße standen auf glattem, steinigen Boden. Nur wenige Schritte von ihr entfernt hob sich eine gelb leuchtende Kante ab, dahinter ein schwarzer Abgrund. Auf der anderen Seite der Schwärze eine Wand aus grünlichem Stein. Immer wieder huschten graue Schatten durch den immer deutlicheren Ausschnitt, den sie sah.
Die Verwandlung des Ortes nahm nur langsam Gestalt an, begann erst langsam an ihre Ohren zu dringen und der Geruch, der modrig unbestimmte Geruch und die Enge rund um sie erwachten nur langsam zu der Ahnung, daß der Faun sie erschrecken wollte mit Kälte, Lärm und Dunkelheit.
»Aldran?«
Sie sah um sich. Aldran war nirgendwo. Überall Menschen. Wo war ihr Begleiter?
»Aldran, Aldran!«
Kalte Luft ließ sie erzittern. Angst, ja geradezu Panik stieg in ihr hoch. Sie befand sich in einer riesigen und zugigen Höhle.
Eine laute Stimme aus einem Blechkasten übertönte das Gewirr der Stimmen. Menschen hasteten vorbei, wovor flüchteten sie?
»Aldran, laß mich bitte jetzt nicht allein!«
Sein Spaß hört jetzt auf, ein Spaß zu sein.
»Du treuloser Schuft.«
Sie stampfte mit dem Fuß auf und rief immer wieder seinen Namen. Ein paar Menschen blickten zu ihr. Sie hörte auf zu schreien, lächelte. Die Menschen schüttelten den Kopf, sahen in eine andere Richtung.
Keiner kümmerte sich um sie. Laria war ganz auf sich gestellt an diesem dunklen Ort, inmitten der vielen Menschen. Es war nicht so wie auf ihrer Wiese, wo sich jeder kannte, immer Zeit für einen kurzen Gruß oder einen freundlichen Blick.

Ich bin in der Unterwelt gelandet.
Laria war sich sicher.
Das hier ist die Unterwelt, und vielleicht finde ich hier Isilu. Egal was passiert, welches Ungetüm hier sein Unwesen treibt, hier finde ich meine Schwester. Denn nichts geschieht durch Zufall, alles ist Teil eines großen Plans, den ich, zugegeben, noch nicht verstehe!
Der kalte Zugwind wurde immer stärker. Die Leute waren alle so grau und unbedeutend in ihrer Hast. Hin und wieder wurde Laria beinahe umgestoßen.
Sie stand dort mitten im Durchgang, - inmitten einer unterirdischen Höhle.
Alle Vorbeieilenden nahmen den kürzesten Weg zu einer Art Plattform. Dahinter der dunkle Abgrund, der wie ein unterirdischer Fluss ohne Wasser aus einem runden Tor herauslief, am gelb begrenzten Abgrund vorbei und auf der anderen Seite der Höhle wieder im Dunkel eines zweiten dunklen Lochs hinein.
Aus diesem Abgrund strömte kalte Luft. Zwei helle, metallisch glänzende Wurzeln an seinem Grund ließ sie an die Straßen denken, auf denen die Kokons dahingezogen waren. Einer nach dem anderen. Aber wem diente dieser dunkle Abgrund als Weg?
Die meisten Menschen stellten sich unweit der gelben Kante auf. Einige gingen in Gedanken versunken hin und her. Sie glichen den eingesperrten Raubtieren in den Käfigen der Zirkuswagen. Keiner sah den anderen an. Inmitten der Menschenmenge fühlte sich Laria noch einsamer. Sie stand dazwischen, schüchtern, wie bestellt und nicht abgeholt.
Wo war Aldran der Faun?
Sie war im Augenblick völlig überfordert und versuchte alle Zaubersprüche die sie kannte.
Aldran mit seinem Ärmel!
Der Faun hätte ihr erklären können wo sie war und worauf sie alle warteten. Sie schloß ihre Augen und stellte sich ihre Blütenwiese vor.
»Keine Angst haben, ich will keine Angst haben», sagte sie sich immer wieder laut vor.
Mit einem Mal kam aus dem schwarzen Tor ein tiefes Grummeln. Kreischen und Klirren und noch andere eigenartige Geräusche und starker Zugwind kamen heraus. Kälte, wie ein Vorbote des Grauens kam dem voraus, was dahinter her kroch und rasch näher kam und jetzt mit jähem Sprung donnernd wie ein metallischer Wurm auf sie zu kam.
Das Wesen blieb prustend und kreischend stehen, als es die vielen Leute sah.
Laria, wie vor Schreck versteinert, war versucht sich einfach im Boden versinken zu lassen oder in eine erlösende Ohnmacht zu fallen aber sie konnte ihre Blicke gar nicht von dem Schauspiel wenden, das sich vor ihren Augen abspielte.
Das Untier öffnete sich mit vielen aufklaffenden Mäulern und spie unzählige Menschen aus, die sogleich das Weite suchten und dann geschah das Unfassbare. Die Menschen die auf der Plattform schon warteten, sprangen - kaum waren die Ausgespienen entkommen, freiwillig in die vielen hungrigen Mäuler dieses unheimlichen Wurmungeheuers hinein.
Ja, sie drängten sich geradezu danach in den Magen des gierigen Untiers hinein zu gelangen.
Endlich warnte eine unsichtbare aber dennoch gewaltige Stimme, die Leute sollten zurückbleiben.
Einige blieben aufstöhnend stehen, sie bedauerten, daß sie es nicht mehr geschafft hatten, in den Schlund des Wurms zu springen, - da gab das gefräßige Wesen ein unheimliches Pfauchen von sich und alle Mäuler schlossen sich wie auf ein geheimes Kommando.
Der metallische Wurm kroch grollend mit seiner Beute in ein zweites schwarzes Loch auf der anderen Seite der Halle.
Laria sah durch die Haut des Wurms hinein in das Innere des Raubwesens.
Da drinnen standen dicht an dicht gedrängt die Opfer mit müden Gesichtern, so als hätten sie den Kampf ums Überleben längst aufgegeben.


Copyright © 2010 EDITION BERNARDO Grünwald



Abdruck und Veröffentlichung nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags

Impressum

Texte: Edition Bernardo ISBN: 978-3000301827
Tag der Veröffentlichung: 20.12.2010

Alle Rechte vorbehalten

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