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Begegnung im All

Captain Frank E. Dropfire war versucht, die Füße auf den Schreibtisch zu legen. Diese Patrouillenflüge durch Sektor 21 waren reine Routine. Morgen würden sie den Außenposten auf Riva 9 erreichen und dann ginge es zurück ins Raumdock. Gerade wollte er den Einsatzbericht seines Ersten Offiziers John Lightning durchgehen, als sich Rhonda, Verbindungsoffizierin für interstellare Kommunikation über Teleprompt meldete.

„Sir, wir haben soeben einen Notruf empfangen, aber …“

„Was ist denn los, Rhonda?“

„Tja, Captain, ich weiß auch nicht. Es wäre wohl besser, wenn Sie auf die Brücke kommen.“

Dropfire ließ den Einsatzbericht liegen und machte sich auf den Weg. Es sah Rhonda gar nicht ähnlich, so besorgt zu klingen. Auf der Brücke erwarteten ihn verwirrte Gesichter.

„Lagebericht, Rhonda“, sagte er.

„Sir, der Notruf, den wir empfangen haben, hat eine alte Raumflotten-Signatur. Das Signal stammt aus einem Teil des Raumes, etwa drei Parseks von hier entfernt, aber da kann etwas nicht stimmen.“

Rhonda, eine überaus attraktive Sirianerin, schaute ratlos auf den Bildschirm vor sich.

„Sir, wenn ich die Signatur richtig deute, stammt der Notruf von der „Beagle“.“

Captain Dropfire fühlte sich, als wäre ihm gerade etwas Schweres in den Magen gefallen. Die „Beagle“ war vor fünfundvierzig Jahren das erste Raumschiff gewesen, das diesen Sektor erkundet hatte. Zu Anfang waren von dort Botschaften an die Raumflotte übermittelt worden, aber dann hatten diese eines Tages abrupt aufgehört. Man hatte damals angenommen, das Schiff sei zerstört worden, da keine der ausgesandten Rettungsmissionen auch nur eine Spur der „Beagle“ gefunden hatte.

Inzwischen war der Sektor längst besiedelt worden und die meisten hatten die „Beagle“ vergessen. Aber Captain Dropfire erinnerte sich nur allzu gut an das Schiff. Sein Vater war damals als Erster Offizier mit an Bord gewesen.

„Wie lange werden wir brauchen, bis wir die Quelle des Signals erreicht haben?“, fragte er.

John Lightning checkte die Daten.

„Wenn wir unsere derzeitige Geschwindigkeit beibehalten, haben wir die Quelle in drei Minuten erreicht. Wir können aber über Subraum jetzt schon erste Bilder empfangen.“
„Auf den Schirm“, sagte Captain Dropfire und er spürte, dass er ganz gegen seine Gewohnheit nervös wurde.

Der holographische Bildschirm zeigte den weiten Raum und in der Mitte konnte die Crew einen winzigen Punkt erkennen.

„Zoomen Sie ran“, sagte der Captain.

Das kleine Ding wurde herangezoomt, war einige Sekunden lang nur verschwommen zu erkennen, doch schließlich wurde das Bild scharf und die Brückenbesatzung sah ein still im All schwebendes Raumschiff. Der Captain hätte es unter Millionen erkannt. Es war die „Beagle“.

„Lebenszeichen?“, fragte der Captain. Er klang sehr viel ruhiger als er sich fühlte.

Rhonda schüttelte den Kopf. „Nein, Sir, keine“, sagte sie.

Dropfire betätigte den Teleprompt.

„Doktor Hallway, kommen Sie in den Transporterraum. Und Sie kommen auch mit mir“, wandte er sich an John Lightning. „Wir gehen auf eine Außenmission.“

Chefingenieur Newton hatte die Bahn genau berechnet. Wie geplant landete der Außentrupp auf der Brücke der „Beagle“. Neben Captain Dropfire, dem Ersten Offizier John Lightning und Doktor Hallway waren auch noch zwei Sicherheits-Crewmitglieder mit herübergebeamt. Sie hielten die Phaser im Anschlag, aber es gab keinerlei Anzeichen einer Bedrohung.

„Doktor, Sie kommen mit mir“, sagte der Captain, „und Sie auch“ wandte er sich an einen Männer. „Wir durchsuchen die Decks Eins bis Acht. Du, John und Sie“, das galt dem anderen Sicherheits-Crewmitglied, „ihr nehmt euch die Decks Neun bis Fünfzehn vor. Wir bleiben in ständigem Kontakt. Wenn irgendetwas Ungewöhnliches auftaucht, meldet euch sofort.“

„Alles klar, Frank“, sagte John Lightning beim Hinausgehen.

„Das ist wirklich seltsam“, sagte der Captain. „Nach all den Jahren, die vergangen sind, seit die „Beagle“ verschwunden ist, sollte man doch meinen, dass das Schiff nicht mehr intakt wäre. Aber alles funktioniert. Die Lebenserhaltung, die Turbo-Lifte, die Konsolen. Es gibt nicht den kleinsten Kratzer. Ja, es gibt noch nicht einmal Staub auf den Armaturen, sehen Sie nur, Doktor. Als wäre die Zeit stehen geblieben.“

Der Doktor hatte mit seinem Trikorder ein paar Messungen durchgeführt.

„Wenn die Daten hier mich nicht täuschen, so ist dieses Schiff nicht älter als vier Jahre“, sagte er.

„Vier Jahre?!“, Captain Dropfire konnte es nicht glauben. „Also keinen Tag gealtert, seit es verschwunden ist. Wie ist das nur möglich?“

Doktor Hallway zuckte mit den Schultern. „Ich kann mir das nicht erklären, Captain“, sagte er. „Ich weiß nur, dass laut der Trikorder-Daten dieses Schiff vier Jahre alt ist und es gibt keinerlei Lebenszeichen an Bord.“

„Kommen Sie, Doktor“, sagte der Captain, „wir wollen sehen, ob wir nicht doch noch jemanden finden.“

Sie durchstreiften die einzelnen Decks, doch wohin sie auch kamen, es war überall dasselbe Bild. Jeder Raum war sauber und aufgeräumt,nirgendwo gab es Aufzeichnungen über die Crew oder deren Verbleib, ja es gab überhaupt keine Anzeichen, dass sich einmal humanoide Wesen an Bord befunden hatten. Auch der zweite Suchtrupp war erfolglos.

In der Messe trafen die beiden Gruppen wieder zusammen.

„Ich verstehe das nicht“, sagte John Lightning, „wir haben alles abgesucht. Wo kann denn nur die Crew abgeblieben sein?“

Dann wandte er sich an seinen Captain und seine Stimme war voll Mitgefühl.

„Frank, es tut mir so leid. Ich hätte dir gewünscht, dass du etwas über deinen Vater erfahren hättest.“

„Danke, John.“

 

Captain Dropfire holte den Teleprompt aus der Tasche.

„Rhonda?“

Statt einer klaren Antwort bekam er nur ein verzerrtes Rauschen, in dem lediglich einzelne Worte zu verstehen waren.

„ … Interferenzen, Sir … Subraum … Emitterstörung … wir … die Raumflotte …“

„Nichts zu machen“, sagte der Captain. „John, wir …“

„Captain, sehen Sie nur“, einer der Crewmen deutete auf die Bar. Für den Bruchteil einer Sekunde waren dort Schemen zu erkennen gewesen, Schemen, die eindeutig zu humanoiden Wesen gehörten, doch sie waren schon wieder verschwunden.

Dropfire untersuchte den Barhocker.

„Nichts zu erkennen“, sagte er.

„Ich kann auch nichts finden“, Hallway hatte wieder seinen Trikorder gezückt.

„Captain, Doktor, helfen Sie mir!“

Einer der Sicherheits-Crewmitglieder war dicht an die Bar getreten und den anderen stockte der Atem, als sie sahen, was passierte. Der Crewman löste sich vor ihren Augen in Luft auf. Zuerst verschwand sein Arm.

„Captain, ich werde hinein gezogen“, rief er.

Dropfire packte den noch sichtbaren Arm und wollte den Mann zurück ziehen, doch vergebens. Eine Kraft, die seine eigene um ein Vielfaches überstieg, zerrte den Mann erbarmungslos ins Nichts. Dropfire musste ihn schließlich loslassen, bevor er selbst hineingezogen wurde.

 

„John, Doktor, was ist denn nur pasiert?“.

Der Captain war blass geworden.

„Doktor, scannen Sie die Umgebung! Ist der Crewman noch irgendwo?“

Noch bevor Hallway seine Scans beendet hatte, kam von dem zweiten Crewman ein heiserer Aufschrei.

„Oh mein Gott, Sir, sehen Sie! Das ist grauenhaft.“

Der verschwundene Crewman war wieder aufgetaucht. Allerdings nicht in einem Stück. Ein Teil seines Körpers lag vor der Bar und der Rest auf dem Tresen. Captain Dropfire stockte der Atem.

„Doktor, können Sie heraus finden, was hier passiert ist?“, fragte er.

Der Doktor schluckte schwer, machte sich aber sogleich an die Arbeit, den Leichnam zu untersuchen.

„Das ist merkwürdig, Sir“, sagte er. „Es ist nicht nur so, dass der Körper in einzelne Teile zerlegt wurde, er scheint auch unterschiedlichen Zeiten anzugehören.“
„Wie ist das möglich?“, wollte John Lightning wissen.

„Keine Ahnung, Sir“, sagte der Arzt, „aber ich empfange starke Schwankungen im Subraumfeld.“

 

„ … Rhonda, Sir, bitte … wenn Sie können. … dringend.“

Der Captain betätigte den Teleprompt. Dieses Mal war das Signal besser.

„Sir“, trotz der schlechten Verbindung konnte Dropfire die Besorgnis in Rhondas Stimme hören.

„Das Schiff befindet sich in einer Subraumspalte. Mister Newton ist es gelungen, sie für den Moment zu stabilisieren, aber wir müssen Sie alle so schnell wie möglich wieder auf unser Schiff beamen. Es besteht Lebensgefahr, wenn Sie der Spalte zu nahe kommen.“

Der Captain schaute traurig auf die Überreste des toten Crewman.

„Danke, Rhonda“, sagte er. Dann wandte er sich an die drei anderen.

„John, Hallway, Crewman, Sie lassen sich unverzüglich zurück beamen.“

John Lightning war alarmiert.

„Kommst du nicht mit Frank?“, fragte er.

„Ich komme nach, ich habe hier noch was zu erledigen.“

„Aber Frank!“

Der Captain winkte ab.

„Ich kann mir denken, was du sagen willst, aber es nützt nichts. Ich muss weiter versuchen herauszufinden, was passiert ist. Du kannst das Schiff zur Not allein zum Raumdock zurückbringen.

John Lightning wusste, wann es sinnlos war, den Captain umstimmen zu wollen.

„Pass auf dich auf, Frank“, sagte er. Dann betätigte er den Teleprompt. „Drei Mann zum Beamen.“

 

Dropfire sah, wie die Männer im Nichts verschwanden. Dann ging er näher an die Bar heran. Hier ganz in der Nähe verlief offensichtlich die Subraumspalte und die Verbindung von einer Zeit zur anderen war besonders stark.

„Dad“, rief er, „wenn du mich hören kannst, ich bin es, Frank.“

Er hatte nicht mit einer Antwort gerechnet, doch ganz in der Nähe hörte er eine Stimme. Die Stimme seines Vaters.

„Frank? Wie kommst du hierher? Und warum klingst du so erwachsen?“

„Das Schiff ist in einer Subraumspalte gefangen“, antwortete Dropfire. „Ihr steckt in der Zeit fest. Ich weiß nicht, wie lange ich noch mit dir reden kann, hier ist es nicht ungefährlich.“

Die Bar schien vor seinen Augen zu verschwimmen. Wieder sah er die schemenhaften Gestalten und dieses Mal gingen sanft pulsierende Wellen von ihnen aus. Die Wellen wurden immer stärker, sodass es aussah, als würde der ganze Raum sich schwimmend auflösen.

„Hör zu, Dad“, sagte Dropfire, „ich kann nicht länger bleiben, aber ich werde nun, da ich weiß, dass ihr alle noch existiert, alles daran setzen, euch aus der Spalte heraus zu holen.“

„ … Junge, du …“, aber sein Vater war nicht mehr zu verstehen.

Dropfire schluckte die Tränen hinunter und betätigte den Teleprompt.

„Eine Person zum Beamen“, sagte er.

 

Auf der Brücke seines eigenen Schiffes stehend, musste Captain Frank Dropfire mit ansehen, wie die „Beagle“ sich langsam wellenförmig auflöste.

„Ich komme wieder, Dad“, sagte er leise.

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Texte: Alle Rechte liegen bei der Autorin
Bildmaterialien: http://pixabay.com/de/raumschiff-all-weltraum-mond-erde-114493/
Tag der Veröffentlichung: 03.04.2015

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