Ich freue mich, meine lieben Zuschauer, Sie auch heute Abend wieder an den Bildschirmen begrüßen zu dürfen. Wie Sie bereits bemerkt haben, spreche ich ganz leise, denn die Kreatur, der wir uns heute nähern wollen, ist extrem scheu und äußerst lärmempfindlich.
Von Professor Doktor Heimelhuber, dem führenden Experten auf diesem Gebiet, haben wir erfahren, dass eines dieser Wesen sich hier in der Nähe aufhalten soll. Wenn Professor Heimelhuber Recht behält, so handelt es sich dabei um das letzte Exemplar seiner Gattung. Das ist schon allein deshalb mehr als bedauerlich, da es gerade diese Spezies war, die in der Vergangenheit so viele Menschen in grenzenloses Entzücken versetzt hat.
Hier, in seinem natürlichen Lebensraum wurde lange Zeit versucht, ihm ein Überleben zu sichern. Das Scheitern dieser Natur- und Umweltschutzmaßnahme haben wohl jene zu verantworten, die rücksichtslos und in zerstörerischer Absicht immer wieder degenerierte Artgenossen ausgesetzt und so den Erhalt dieser zauberhaften und seltenen Wesen nachhaltig verhindert haben. Welche Interessen hinter dieser Barbarei stehen, kann nur vermutet werden, allerdings dürften wie so oft finanzielle Gründe eine entscheidende Rolle spielen.
Doch still, meine lieben Zuschauer, ich werde mich jetzt hier hinter dieser erhabenen Säule verbergen, denn ich höre, dass sich ein Wagen nähert. Das ist ein unendlich spannender Augenblick.
Und da haben wir ihn leibhaftig vor der Kamera. Diese Bilder sind wirklich sensationell, meine Damen und Herren. Hier, mitten in der Hauptstadt, vor dem Reichstag steigt er aus seinem Auto und betritt den Bürgersteig. Ob er sich dessen bewusst ist, dass außer ihm kein weiteres Exemplar mehr existiert?
Der Chauffeur wendet. Er ist offensichtlich auf der Suche nach einem Parkplatz und lässt unser Wesen alleine stehen. Sehen Sie nur, wie er sich umschaut. Vielleicht nimmt er Witterung auf. Was hofft er wohl zu entdecken? Korruption? Schwarzgeldkonten? Doktoren, die diesen Titel nicht verdienen?
Ach, meine lieben Zuschauer, ich muss ehrlich sagen, dass mein Herz vor Freude ob dieses Anblicks höher schlägt. Doch halt. Er hat wohl tatsächlich eine Fährte aufgenommen. Er kommt jetzt direkt auf mich zu, geht an mir vorbei Richtung Eingang. Sehen Sie nur diesen federnden Gang, gänzlich unbelastet von schlechtem Gewissen.
Aber halt. Was ist das? Ich sehe einen Vertreter der Pharmaindustrie auf unser Exemplar zugehen. Hädeschütteln. Oh nein, der Pharmamitarbeiter zückt einen brauen, gefütterten Umschlag und überreicht ihn unserem Wesen. Jetzt, meine lieben Zuschauer, wird es sich entscheiden. Wir werden Zeuge eines Bestechungsversuchs und... oh nein, das darf doch nicht wahr sein. Der Umschlag wechselt tatsächlich den Besitzer.
Es bietet sich uns ein schreckliches Bild, meine lieben Zuschauer. Dies ist ein schwarzer Tag für uns alle. Ich bin fassungslos. Soeben haben wir das letzte Exemplar des ehrlichen Politikers verloren. Welch ein Verlust. Wir werden die Übertragung an dieser Stelle abbrechen. Guten Abend, meine lieben Zuschauer.
Texte: Alle Rechte liegen bei der Autorin.
Bildmaterialien: http://office.microsoft.com/de-de/images/results.aspx?qu=berlin&ex=2#ai:MC900415698|
Tag der Veröffentlichung: 07.02.2013
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