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Erwin blätterte durch die Post.
„Irgendwas Wichtiges dabei?“, fragte Veronika ohne von ihrem Buch aufzusehen.
„Eine Rechnung über vierunddreißig, achtzig vom Hundefrisör für letzte Woche.“
Veronika schaute jetzt doch noch hoch und seufzte. „Die sind also auch wieder teurer geworden. Sonst noch was Interessantes?“
„Da hält einer einen Vortrag im Bürgersaal“, Erwin drehte einen Flyer in der Hand.
„Um was geht’s denn?“
„Die Welt der Indianer.“
Veronika schaute wieder ins Buch.
„Uninteressant“, sagte sie.
„Also, ich weiß nicht“, erwiderte Erwin, „das könnte doch ganz spannend sein.“
Veronika verzog spöttisch das Gesicht.
„Indianer? Was soll denn daran interessant sein?“, fragte sie.
„Na hör mal“, Erwin war gekränkt, „immerhin habe ich früher auch meinen Karl May gelesen.“
„Du hast gelesen?“, das spöttische Grinsen vertiefte sich. „Das ist ja mal was ganz Neues.“
„Oh ja, als Kind habe ich viel gelesen, du würdest dich wundern.“
„Und jetzt willst du also zu diesem Vortrag?“
„Das habe ich doch gar nicht gesagt“, Erwin war immer noch gekränkt. „Ich habe nur gesagt, dass es interessant klingt.“
„Meine Brüder haben immer Indianer gespielt“, sagte Veronika. Sie hatte drei jüngere Brüder. „Ich weiß noch, einmal hat Willi eine von meinen Barbies an den Marterpfahl gebunden und angezündet.“
„Ehrlich? Willi? Ich dachte, er ist dein Lieblingsbruder.“
„Damals noch nicht“, sagte Veronika. „Das ganze Haus hat gestunken.“
„Um Himmels Willen, hat er das Ding etwa im Haus angezündet?“
„Das Ding?“, jetzt war Veronika gekränkt, „das war eine wunderschöne, blonde Barbie.“
„Und warum hat Willi sie im Haus angezündet?“
„Draußen war es saukalt. Kurz nach Weihnachten.“
„Au weia, und die Barbie war ein Weihnachtsgeschenk?“
„Nein, natürlich nicht, das hätte Willi nicht überlebt. Die hatte ich schon länger.“
Erwin strich sich nachdenklich über das Kinn. Er sollte sich mal wieder rasieren.
„Willi schuldet mir noch Geld“, sagte er.
„Wofür das denn?“
„Ich hatte ihm doch die Gans mitgebracht, als ich das letzte Mal in Polen war.“
„Die hattest du ihm doch geschenkt“, sagte Veronika.
„Wer hat das denn behauptet?“
„Willi.“
„Der hat sie doch nicht alle. Das Ding hat dreißig Euro gekostet. Die will ich wieder haben.“
Veronika verdrehte die Augen.
„Du bist immer so kleinlich“, sagte sie, „was hast du für ein Problem? Die dreißig Euro machen uns ganz sicher nicht arm.“
„Dein Bruder verdient dreimal so viel wie ich. Da kann er mir das Geld für die Gans ruhig zurückgeben.“
„Wie teuer ist das eigentlich?“, fragte Veronika.
„Dreißig Euro, habe ich doch gerade gesagt. Du hörst mir nie zu.“
Veronika schüttelte den Kopf und schnalzte genervt mit der Zunge.
„Doch nicht das, was dir Willi angeblich noch schuldet. Der Vortrag. Was wollen die an Eintritt?“
„Ach so“, Erwin drehte den Flyer und setzte seine Lesebrille auf, „acht Euro an der Abendkasse, sieben im Vorverkauf, Schüler, Studenten und Rentner sechs, fünfzig.“
„Die sind doch wohl verrückt. Acht Euro für einen Vortrag. Wer soll denn da hin gehen?“
„Ist ein Diavortrag. Mit Musik.“
„Ach so, na dann.“
„Außerdem ist das ein Professor, der den Vortrag hält.“
„Echt?“
„Ja, ein Professor Doktor Hummel.“
„Kenn ich nicht.“
„Aus Heidelberg.“
„Da soll es ja auch schön sein“, Veronika schaute versonnen in die Ferne. „Wann fahren wir eigentlich mal wieder weg.“
„Wohin denn?“, Erwin war gerne zu Hause.
„Na, zum Beispiel nach Heidelberg. Da soll es ja auch schön sein.“
„Das sagtest du bereits“, Erwin lächelte zuckersüß.
„Du kommst mit deinem Hintern nie von der Couch hoch. Nie unternehmen wir mal was.“
„Wenn du es noch nicht mitbekommen hast, ich arbeite hart. Jeden Tag. Außerdem waren wir letzten Mai in Wanne-Eickel.“
„Zum Geburtstag deiner Tante.“
„Wir haben uns auch die Stadt angesehen“, Erwin war beleidigt. Veronika verlangte immer zuviel von ihm.
„Wanne-Eickel. Das ist doch wohl was Anderes als Heidelberg.“
“Stadt ist Stadt.“
„Das sagst auch nur du“, Erwin konnte stur wie ein Esel sein. „Im Bürgersaal hast du gesagt?“
„Was jetzt?“
„Der Vortrag“, Erwin konnte wirklich manchmal schwer von Begriff sein. „Im Bürgersaal ist immer so schlechte Luft.“
„Wir waren doch erst einmal da“, Erwin war irritiert.
„Da war die Luft aber grauenhaft“, erwiderte Veronika.
„Das war ja auch mit Essen. Wenn ich mich richtig erinnere gab es damals Schlachtplatte.“
„Gibt es dieses Mal auch was zu essen?“
„Bei dem Vortrag über Indianer? Was soll es denn da zu essen geben?“
„Ja, was weiß denn ich? Was Indianer eben so essen. Was essen Indianer denn so?“
„Keine Ahnung.“
Veronika grinste süffisant. „Ich denke, du hast Karl May gelesen.“
„Da stand doch nichts von essen drin. Außerdem kommt das wohl drauf an, um welche Indianer es geht.“
„Wie – um welche?“
„Na, es gibt doch eine Menge verschiedene Stämme“, Erwin fühlte sich überlegen. Mit seinem Wissen würde er Veronika beeindrucken. „Komantschen, Apachen, Schwarzfuß-Indianer und noch viele andere Stämme.“
“Ja richtig, ich erinnere mich.“
„Wie, du erinnerst dich? Ich denke, du hast keine Ahnung.“
„Ach du meine Güte, Erwin. Das, was du da sagst, weiß doch jedes Kind.“
Erwin war beleidigt. Jedes Kind, hatte sie gesagt. Die Kinder heute kannten Karl May doch gar nicht mehr, woher sollten die wissen, was es für Indianer gab.
„Außerdem steht hier gar nichts von Essen“, sagte er.
„Wann soll denn der Vortrag sein?“, Veronika wollte es wirklich ganz genau wissen.
„Am fünfzehnten“, erwiderte Erwin.
„Da können wir sowieso nicht.“
„Warum das denn?“
„Margot hat Geburtstag.“ Margot war Veronikas beste Freundin. Eine Nervensäge vor dem Herrn.
„Wir sind doch aber hoffentlich nicht eingeladen.“
„Doch, zum Kaffee.“
„Mist.“
„Du musst ja nicht mitkommen.“
„Damit ihr in aller Ruhe über mich reden könnt. Nee, nee, vergiss es, da komm ich lieber mit.“
Veronika betrachtete ihren Gatten kritisch. „Untersteh dich aber so ein Gesicht zu machen.“
„Was denn für ein Gesicht?“
„Genau so eins wie das, das du gerade machst.“
„Außerdem geht es erst um acht los.“
„Nein, um drei“, erwiderte Veronika.
„Ich meine doch nicht den Geburtstag, der ist mir herzlich egal. Ich meine den Vortrag.“
„Ach so. Das heißt aber nicht, dass wir da hingehen müssen.“
„Na gut, dann besorge ich mal zwei Karten. Im Vorverkauf, da sind sie ja billiger.“

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Texte: Alle Recht liegen bei der Autorin.
Tag der Veröffentlichung: 26.12.2012

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