Ein herzliches Willkommen, Liebe Hörer, hier bei Radio Klassiik „Interview am Nachmittag“. Am Mikrofon für Sie, wie immer, Holger Frohwein, heute im Gespräch mit dem zeitgenössischen Komponisten Hieronymus von Hellwinckel, den meisten von Ihnen bekannt durch sein Klavierkonzert „Andromeda, Frau und Nebel“ zu siebzehn Händen und drei Füßen, welches er für seinen Freund, den einarmigen Klaviervirtuosen Frank Bilslin geschrieben hat.
Heute Nachmittag werde ich mit ihm über sein neustes Werk, die Oper „Stratosphäre und Mariannengraben“ sprechen, welche morgen Abend an der Staatsoper Berlin ihre Uraufführung erlebt.
Frohwein: Herr von Hellwinckel, Sie gehen mit Ihrer Oper musikalisch völlig neue Wege, da Sie hier Klänge verwenden, die nie zuvor auf der Bühne zu hören waren. Können Sie dem Hörer erläutern, was ihn bei diesem Werk erwartet.
v. Hellwinckel: Selbstverständlich, mein lieber Herr Frohwein. Sehen Sie, die Oper wurde von der Presse bisher „Ultraschalloper“ genannt, aber das ist nur die halbe Wahrheit. Es ist nämlich so, dass ich hier sowohl Ultraschall als auch Infraschall benutzt habe. Die ganze Oper besteht nur aus Tönen, die das menschliche Ohr nicht zu hören vermag.
Frohwein: Das heißt, der Zuhörer hört von Anfang bis Ende nichts?
v. Hellwinckel: Genau. Und doch sind die ganze Zeit über Töne messbar. Wissen Sie, es lag von Beginn an in meiner Absicht, einen philosophischen Diskurs zu initiieren. Das Werk hat starken Symbolcharakter, betont die Extreme, zeigt nur die Höhen und die Tiefen, wenn Sie verstehen, was ich meine.
Frohwein: Ah, ja. Interessant. Wie haben Sie das Ganze denn technisch gestaltet. Ich stelle mir das schwierig vor.
v. Hellwinckel: In der Tat, ich stand vor großen Herausforderungen. Ein befreundeter Ingenieur, Dr. Schrubsel, hat die Instrumente entworfen. Für die extrem tiefen Töne hat er einen Oktobass zum Beispiel so stark vergrößert, dass jetzt selbst auf der höchsten Saite nur Töne im Infraschallbereich gespielt werden können. Die Ultraschallinstrumente sind dagegen sehr klein. Dr. Schubsel hat sich hier an Hundepfeifen orientiert.
Frohwein: Das Spielen der Instrumente ist für die Musiker doch sicherlich eine große Herausforderung.
v. Hellwinckel: Natürlich. Da sie die Töne, die sie produzieren, ja nicht hören können, steht jedem von ihnen ein Messinstrument zur Verfügung, welches die genaue Tonhöhe zweifelsfrei ermittelt. Es hat eine Weile gedauert, aber die Proben haben sich bezahlt gemacht. Wenn Sie es nachmessen, werden Sie sehen, wie gut jeder der Instrumentalisten zurechtkommt.
Viel schwieriger war und ist es für die Sänger und Sängerinnen. Ludmilla Genorowa, die Sopranistin, welche die Rolle der Sonne singt, hat sich speziell für diese Rolle die Stimmbänder verkürzen lassen. Ein großes Opfer, zugegebenermaßen, aber ein lohnendes. Ihr Timbre ist unübertroffen.
Frohwein: Sie haben für die Rolle des Erdkerns den berühmten Bassisten Wolfgang van der Blochheide verpflichten können. Waren bei ihm ebenfalls chirurgische Eingriffe nötig?
v. Hellwinckel: Zum Glück nicht. Herr van der Blochheide hat von Natur aus eine ungewöhnlich tiefe Stimme. Er schafft den Infraschallbereich mühelos.
Anfangs hatte ich daran gedacht, den Mond mit einem Kastraten zu besetzen, aber das Opfer, welches nötig gewesen wäre, diese Rolle zu übernehmen, wollte keiner der angefragten Tenöre erbringen, sodass ich schließlich gezwungen war, die Rolle ganz fallen zu lassen. Schade. Die Version mit Mond habe ich aber nicht verworfen. Vielleicht wird sich ja in Zukunft jemand finden, der diese Rolle übernehmen möchte.
Frohwein: Die Oper ist als Gesamtkunstwerk angelegt. Wie darf ich das verstehen?
v. Hellwinckel: Gut, dass Sie fragen. Isolde Häberle hat das Bühnenbild genau dem Thema der Oper angepasst. Die Bühne ist vollständig in weiße Tücher gehüllt, auf welche mit Infrarot- und Ultraviolettstrahlern Bilder projiziert werden. Diese sind für das Auge genauso wenig sichtbar, wie die Töne für das Ohr hörbar sind. Ein fantastischer Eindruck, der hier entsteht.
Frohwein: Jetzt muss ich aber doch mal fragen. Wenn die Zuschauer nicht hören, was gesungen wird, wie können sie dann die Oper verstehen?
v. Hellwinckel: Das ist ganz einfach. Das gesamte Libretto ist im Programmheft abgedruckt. Hier bitte, ich habe Ihnen ein Exemplar mitgebracht.
Frohwein: Oh, vielen Dank. (Geblätter) Das ist aber nicht Deutsch.
v. Hellwinckel: Nein, natürlich nicht. Das würde ja die Botschaft verfälschen. Johannes Winter, der den Text geschrieben hat, hat für die Stellen, welche im Ultraschallbereich liegen, Nepali verwendet, wie man es in Nepal spricht. Quasi die Sprache, die auf dem Dach der Welt gesprochen wird. Für die Infraschall-Teile verwendete er Kisuaheli aus dem tiefsten Afrika. So bilden Musik, Bühnenbild und Sprache eine geradezu symbitotische Einheit. Ein wunderbares Erlebnis.
Frohwein: Was für ein passendes Schlusswort. Vielen Dank an Hieronymus von Hellwinckel für dieses Interview. Ihnen viel Erfolg für diese Oper.
Und an Sie, liebe Zuhörer noch der Hinweis, dass Radio Klassiik am kommenden Sonntag von 18.00 Uhr bis 23.00 Uhr die gesamte Oper live aus der Staatsoper Berlin übertragen wird.
Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Nachmittag und jetzt noch, als krönender Abschluss, das bekannteste Werk Hieronymus von Hellwinckels, das Klaverikonzert zu siebzehn Händen und drei Füßen „Andromeda, Frau und Nebel“. Viel Vergnügen.
Texte: Alle Rechte liegen bei der Autorin.
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Tag der Veröffentlichung: 02.12.2012
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