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Goldwinkel im April 20…
Geliebte Marianne,
nun sind es nur noch zwei Wochen, zwei süße, unendlich lange Wochen, bis wir endlich im Bund der Ehe vereint sind. Ich muss gestehen, dass ich es vor lauter Sehnen kaum noch aushalte. Ich will Dich endlich in den Armen halten, Dich küssen und herzen, Du über alles geliebte Freundin meiner Seele.
Wie freue ich mich, endlich den Rest Deiner Familie kennen zu lernen. Deinen Vater, von dessen Güte und Weisheit Du mir so oft berichtet hast und Deine Mutter, die mich, so wage ich zu hoffen, alsbald in ihr Herz schließen wird. Deine Schwestern haben mich, so denke ich mich rühmen zu dürfen, bereits bei unserer letzten Begegnung tief in ihr Herz geschlossen. Ihr warmes Willkommen wird für alle Zeiten eine süße, ja eine unendlich süße Erinnerung sein. Und auch wenn sie Dir natürlich ähneln, meine Liebste, so gibt es doch auf Erden kein reineres Geschöpf als Dich, meine Blume.
So will ich diesen Brief nun enden lassen, nicht ohne Dir noch einmal zu versichern, dass mir nie eine Andere mehr bedeuten kann als Du, mein Herz.
In Liebe Robert

Adelsheim im April 20…
Geliebter Robert,
ich habe meiner Mutter Deinen wunderbaren Brief gezeigt und hoffe, Du siehst darin nicht einen Vertrauensbruch. Ich tat es nur, um ihr zu zeigen, welch einen edlen Schwiegersohn sie in weniger als zwei Wochen wird an ihr Herz drücken können. Ich kann Dir versichern, sie war überaus entzückt von Deinen lieben Worten.
Ich möchte Dich ungern mit schnöden Einzelheiten belästigen, aber hast Du daran gedacht die Blumendekoration zu bezahlen? Die Einladungen sind allesamt verschickt und ich hoffe sehr, dass die Gefängnisverwaltung eine Ausnahme machen und meinem Bruder Karl gestatten wird, an der Hochzeit teilzunehmen.
Ich werde dem Restaurant noch Bescheid geben wegen des Essens. Darüber brauchst Du Dir also keine Gedanken zu machen.
Ich liebe Dich
Marianne

Goldwinkel im April 20…
Liebste Marianne,
ich hoffe doch, Du befindest Dich bei guter Gesundheit. Ich habe mich bei der Floristin vergewissert, dass mit den Blumen alles so klappt, wie wir beide uns das vorstellen.
Mir war gar nicht bewusst, dass Du einen Bruder Karl hast der sich in Haft befindet, Du erwähntest es nie. Wäre es vermessen von mir zu fragen, wessen er sich schuldig gemacht hat?
In Liebe Robert


Adelsheim im April 20…
Geliebter Robert,
verzeih mir, dass ich nicht eher von Karl und seinem Schicksal berichtet habe, aber das geschah nur aus Rücksicht auf meine Eltern. Sie können es nur schwer verkraften, ihr geliebtes Kind durch einen solchen Justizirrtum, wie er Karl widerfahren ist, leiden zu sehen. Es war einfach ein Missverständnis. Ich kann und will nicht glauben, dass mein Bruder sich mehrfach der schweren Körperverletzung schuldig gemacht hat. Wenn Du ihn kennen lernst, wirst Du feststellen, dass er der sanftmütigste und liebste Charakter ist, den Du jemals getroffen hast.
Er wird an unserer Hochzeit übrigens tatsächlich teilnehmen können. Der Direktor hat eingewilligt, ihn für diese Zeit aus der Haft zu beurlauben.
Ach ja, wärst Du bitte so nett, ihn um halb zehn am Hochzeitsmorgen am Bahnhof von Adelsheim abzuholen? Vater würde es ja gerne machen, aber er musste neulich seinen Führerschein abgeben.
Ich liebe Dich
Marianne


Goldwinkel im April 20…
Liebe Marianne,
wenn es Dir so viel bedeutet, werde ich mit Vergnügen Deinen Bruder abholen, auch, wenn ich dann etwas zu spät zur Kirche komme. Ich werde mich natürlich beeilen, aber bei dem Verkehr heutzutage weiß man ja nie. Vielleicht kannst Du dem Pfarrer sagen, dass ich es möglicherweise nicht bis zehn Uhr schaffe.
Ach, eine Frage, warum hat Dein Vater denn seinen Führerschein abgeben müssen?
Dein Robert


Adelsheim im April 20…
Geliebter Robert,
nur noch eine Woche und wir beide sind endlich Mann und Frau. Denk Dir nur, diese Freude! Meine Tante Klara, sicherlich habe ich Dir von ihr erzählt, wurde vorgestern als geheilt entlassen. Die Ärzte meinen, sie zeige genug soziale Stabilität, dass sie an unserer Hochzeit teilnehmen könne. Ich bin sehr glücklich darüber, meine Tante Klara hat auf Familienfeiern immer für gute Stimmung gesorgt und ich bin sicher, sie wird das auch auf unserer Hochzeit tun. Ich kann mir nicht vorstellen, dass noch einmal so etwas passiert wie auf dem Geburtstag meiner Schwester Laura.
Mein Vater, um Deine Frage zu beantworten, ist bei einer Kontrolle an besonders rücksichtslose Polizisten geraten. Es ist wirklich ein Jammer. Die beiden glaubten doch tatsächlich, dass mein Vater fahruntüchtig sei. Dabei hatte er nicht mehr als zehn Bier getrunken. Einfach unverzeihlich.
Ich freue mich auf nächsten Samstag. Ich liebe Dich
Marianne


Goldwinkel im Mai 20…
Marianne,
ich sehe unserer Hochzeit inzwischen mit gemischten Gefühlen entgegen. Nach allem, was ich jetzt von Dir über Deine Familie erfahren habe, beschleicht mich doch ein ungutes Gefühl. Aber wenn Du, meine Liebste, bei mir bist, trotze ich allen Widrigkeiten.
Bis in fünf Tagen
Robert


Adelsheim im Mai 20…
Geliebter Robert,
sorge Dich nicht. Es ist ganz normal, dass Du diese Empfindungen vor der Hochzeit hast. Ich bin sicher, alles wird gut werden. Du wirst sehen, schon Samstagabend sind wir verheiratet und auf dem Weg in die Flitterwochen.
Meine Mutter, die gute Seele, erinnert mich gerade daran, dass Du das Essen noch bezahlen musst. Ich kann Dir kaum sagen, wie sehr es mich bedrückt, Dich an solch profane Dinge zu erinnern, aber der Wirt des Gasthauses besteht leider darauf. Er meinte, Du möchtest bis spätestens Donnerstag zahlen, das sei früh genug.
Ich fühle mich ein wenig unwohl und ziehe mich nun zurück.
Ich liebe Dich
Marianne


Goldwinkel im Mai 20…
Liebste Marianne,
Dein Wunsch war mir Befehl, meine liebe Braut. Ich habe die ausstehende Rechnung selbstverständlich umgehend beglichen. Nun wird unserer Hochzeit nichts mehr im Wege stehen.
Ich hoffe doch sehr, Dir geht es wieder besser.
In Liebe
Dein Robert


Adelsheim im Mai 20…
Geliebter Robert,
gerade komme ich vom Arzt. Der Doktor hat mir versichert, dass mein Leiden unserer Hochzeit nicht im Wege stehen wird, allerdings empfiehlt er Dir dringend, einen Mundschutz zu tragen, damit Du Dich nicht ansteckst. Auch Handschuhe wären wohl angebracht.
Mach Dir keine Sorgen. In zwei bis drei Monaten, so versicherte mir der gute Doktor, sind die ersten Symptome wieder abgeklungen. Allerdings werden wir wohl für den Rest unseres Lebens enthaltsam sein müssen, was gewisse körperliche Aktivitäten angeht. Ich bin sicher, Deine Liebe zu mir ist stark genug, das auszuhalten.
Ich liebe Dich
Marianne

 


Goldwinkel im Mai 20…
Hallo Marianne,
natürlich ist meine Liebe stark genug, was denkst Du denn von mir. Ich denke aber, auch im Hinblick darauf, was ich alles von Dir in den letzten beiden Wochen erfahren habe, dass es besser wäre, die Hochzeit zu verschieben. Sicherlich muss ich für die Unkosten aufkommen und das tue ich auch mit Freuden, aber lass uns in der nächsten Zeit noch einmal gründlich darüber nachdenken, wie wir unser Leben weiterhin gestalten wollen. Dies ist kein Abschiedsbrief, versteh mich nicht falsch. Ich brauche nur ein wenig Zeit, über alles nachzudenken.
Dein Robert


Adelsheim im Mai 20…
Thomas, mein Schatz,
es hat alles wunderbar geklappt, gerade so, wie Du es vorausgesagt hast. Ich habe mich genau an unsere Absprache gehalten und der gute Robert hat nichts gemerkt. Der hat gar nicht geschnallt, was wir da abgezogen haben. Das Essen ist genauso bezahlt wie die Blumen. Der Pfarrer steht bereit. Ich freu mich auf Samstag, wenn wir endlich heiraten können.
Meinen Eltern habe ich nichts davon verraten, wie wir Robert reingelegt haben, aber meine Schwestern haben sich kaputt gelacht. Sie konnten ihn noch nie leiden.
Ich muss aber auch sagen: Dass er Dir letzten Sommer keine Gehaltserhöhung gegeben hat, war eine Schweinerei. Immerhin ist er Dein Bruder und Du bist sein bester Mitarbeiter. Jetzt muss ich aber los, mein Brautkleid von der Änderungsschneiderei holen.
Ich liebe Dich
Marianne

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Texte: Alle Rechte liegen bei der Autorin-
Bildmaterialien: http://openclipart.org/detail/171050/valentines-day---love-letter-by-gnokii-171050
Tag der Veröffentlichung: 02.11.2012

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