„Hier musst du auch noch mal drüberputzen.“
Seine Stimme kam leicht gepresst aus dem Badezimmer. Mit dem Zeigefinger bog Thomas seine Nasenspitze nach oben und inspizierte seine Nasenlöcher.
„Du weißt, was auf dem Spiel steht.“
Jetzt waren die Ohren dran. Er drehte den Kopf und versuchte gleichzeitig in den Spiegel zu schielen. Auch hier war, soweit er das beurteilen konnte, alles in Ordnung. Zufrieden gratulierte er sich still zum Kauf des Nasen- und Ohrenhaarschneiders. Nichts ging über ein gepflegtes Erscheinungsbild.
„Hab ich dir schon erzählt, dass der Krenke es vermasselt hat?“
Mit der Zunge feuchtete er die Spitze seines kleinen Fingers an und strich vorsichtig über die dezent korrigierten Augenbrauen.
„Krenkes Frau hat Austern gekauft, Austern! Hat wohl gedacht, sie könnte so beim Alten Eindruck schinden, aber der Schuss ist nach hinten losgegangen. Austern“, Thomas schnaubte durch die Nase, „dabei hätte ihr jeder in der Firma sagen können, dass seine Frau eine Meeresfrüchteallergie hat.“
Er öffnete die Flasche „Le Male“, spritzte ein paar Tropfen in seine Handflächen und verteilte das Parfüm klatschend auf seinen Wangen.
„Auf jeden Fall ist Krenke jetzt aus dem Rennen. Um den brauchen wir uns keine Sorgen mehr zu machen.“
Thomas warf einen letzten Blick in den Spiegel und zog den Krawattenknoten nach, bevor er federnden Schrittes die Treppe herunterkam.
Sabine stand, noch im Morgenmantel, mit verschränkten Armen in der Küchentür, eine Tasse Kaffee in der Hand.
„Möchtest du...?“
Er schob den Ärmel seines Hemdes nach oben und warf einen Blick auf die Armbanduhr an seinem Handgelenk.
„Keine Zeit, Schatz, bin spät dran.“
Sabine zuckte mit den Achseln und blies in die Tasse.
„Dann trinke ich ihn selbst.“
„Ja, tu das, Schatz“, flüchtig drückte er ihr einen Kuss auf die Wange. „Und denk dran, ich komme um sechs. Der Chef und seine Frau werden so gegen sieben hier sein. Bis dahin muss alles fertig sein. Du schaffst das doch.“
Wieder ein Achselzucken.
„Kein Problem.“
„Gut, dann bis heute Abend.“
Schwungvoll warf er sich das Jackett über den Arm und nahm Akten- und Laptoptasche.
„Ich nehme keinen Hausschlüssel mit, du bist ja hier.“ Sie nickte, als er zu ihr schaute.
„Na dann.“
Sabine sah ihm nach und blieb in der Tür stehen, selbst als er das Haus schon längst verlassen hatte und sie gehört hatte, wie er mit dem Wagen weggefahren war. Dann blies sie erneut auf den Kaffee und nahm ein paar kleine Schlucke.
Schon seit zwei Wochen bereiteten sie jetzt den Besuch des Chefs und seiner Frau vor; seit der Termin festgestanden hatte. Thomas war einer von vier jungen, aufstrebenden Mitarbeitern, die in die engere Wahl gekommen waren, Bauer zu ersetzen, der in fünf Monaten in Rente gehen würde und er rechnete sich gute Chancen aus. Immerhin war er beim Managerseminar einer der wenigen gewesen, dem eine glänzende Zukunft prophezeit worden war und in den letzten sechs Jahren hatte er keine Mühen gescheut, endlich in die obere Chefetage aufsteigen zu können.
Bauer hatte das gesamte Ressort Australien unter sich und Thomas und Sabine hatten ihre letzten Ferien dort verbracht, als sich herauskristallisiert hatte, dass der Chef Thomas als möglichen Nachfolger im Auge hatte. Wenn er den Posten bekäme, müsste er ohnehin mehrmals im Jahr für ein paar Wochen dorthin.
Die Kaffeetasse war leer und Sabine stellte sie in die Spüle. Sie hatte von Anfang an gewusst, worauf sie sich eingelassen hatte, als sie seine Frau geworden war, aber es war nicht immer leicht. In den zehn Jahren ihrer Ehe waren sie acht Mal umgezogen. Jedes Mal hatte sie sich an ein neues Haus, an neue Nachbarn gewöhnen müssen.
Von den eigentlich ganz passablen zweiundsechzig Kilo, die sie gewogen hatte, als sie ihn kennen gelernt hatte, waren nur achtundvierzig übrig geblieben, weil er gefunden hatte, sie sähe in Abendgarderobe fett aus. Die braunen Locken hatten langem, glattem, blondem Haar Platz machen müssen, denn er hatte betont, dass sie sich so an seiner Seite sehen lassen konnte. Sabine öffnete den Wasserhahn und hielt die Hand unter den Strahl. Als das Wasser langsam warm wurde, stellte sie die Kaffeetasse darunter und sah zu, wie sie sich füllte.
Kinder waren ein Thema gewesen, zumindest für sie. Aber in vielen langen, vernünftigen Gesprächen hatte er ihr klar gemacht, dass sie besser noch warteten, ehe sie eine Familie gründeten. Es wäre einfach noch nicht der richtige Zeitpunkt, hatte er erklärt und er könne nicht begreifen, warum sie darüber Tränen vergoss, immerhin hätten sie noch viel Zeit, sie wäre ja erst Anfang dreißig. Das war jetzt fünf Jahre her und ihr war klar geworden, dass für ihn niemals der richtige Zeitpunkt kommen würde. Die Karriere nahm ihn zu stark in Anspruch und Sabine spielte für das Erreichen seiner Ziele eine wichtige Rolle.
Wie wichtig, war ihr erst auf der letzten Weihnachtsfeier so richtig bewusst geworden. Diese richtete der Chef jedes Jahr für die besten Mitarbeiter auf Firmenkosten aus und in den letzten drei Jahren waren sie auch eingeladen worden. Thomas war völlig aus dem Häuschen gewesen, als er die erste Einladung in der Hand gehalten hatte.
„Das ist unsere große Chance“, hatte er gemeint und ihr die Karte unter die Nase gehalten. „Jetzt haben wir es geschafft, endlich. Weißt du, was das ist? Oh, nein, das ist nicht nur eine Einladung, das ist wie eine Eintrittskarte. Jetzt gehören wir dazu, Sabine, genau wie wir uns das immer gewünscht haben.“
Sie hatte gelächelt und so getan, als würde sie sich genau so über die Einladung freuen wie er, aber sie hatte schon damals gewusst, wie es weiter gehen würde. Er wäre noch engagierter bei der Sache, würde noch länger arbeiten und käme noch später nach Hause. Und genau so war es gekommen.
Ab und zu wurden sie zu offiziellen Anlässen eingeladen und sie musste ihn begleiten, immer die lächelnde, hübsche Frau an seiner Seite.
Sabine zog die Spülhandschuhe an, um ihre frisch manikürten Fingernägel zu schützen. Dieses Ritual war ihr in Fleisch und Blut übergegangen. Sie konnte sich kaum noch an eine Zeit erinnern, da sie ihre bloßen Hände in Spülwasser getaucht hatte. Sie wischte die Kaffeetasse sauber und stellte sie zum Trocknen auf das Gestell.
Die letztjährige Weihnachtsfeier war von Anfang an komisch gewesen. Die Chefin hatte wegen eines nicht näher erwähnten Infekts kurzfristig absagen müssen und so hatte der Chef seine Mitarbeiter allein begrüßt. Sabine hatte da schon den Verdacht gehabt, er könnte ein wenig zuviel getrunken haben und sie beobachtete, dass der Chef sich den ganzen Abend über an immer neuen Gläsern festhielt. Sie hatte Thomas darauf angesprochen und ihm vorgeschlagen, er solle mit dem Chef reden, aber ihr Mann hatte sie nur entsetzt angesehen.
„Bist du verrückt“, hatte er gezischt, „das ist seine Weihnachtsfeier und er kann machen, was er will. Und ich bin sicher nicht so blöd, ihm das Trinken zu verbieten, da kann ich ja gleich am Montag meine Papiere abholen.“ Richtig unangenehm war es aber erst geworden, als sich der Chef kaum noch auf den Beinen hatte halten können. Er hatte angefangen, Weihnachtslieder zu grölen und die Anwesenden dazu verdonnert, mitzusingen. Der Alkohol war in Strömen geflossen und jeder war genötigt worden, ein um das andere Mal mit ihm auf die Gesundheit seiner Frau anzustoßen. Sabine hatte sich soweit es ging zurückgehalten, aber Thomas war einer derjenigen gewesen, die am lautesten mitgesungen hatten. Schließlich hatte sie das Treiben nicht mehr länger mit ansehen wollen und war im Badezimmer verschwunden.
Als sie wieder herausgekommen war, hatte der Chef vor ihr gestanden. Sie hatte an ihm vorbei gehen wollen, aber er hatte ihr im Gang den Weg versperrt.
„Wissen Sie, Sabine“, hatte er gelallt, „Sie sind wirklich eine tolle Frau. Thomas hat Glück gehabt, Sie zu bekommen.“ Dabei hatte er ihr in die Haare gegriffen und eine der Strähnen um seinen Finger gewickelt.
Sie hatte gelächelt, „vielen Dank“ gemurmelt und versucht sich irgendwie an ihm vorbei zu quetschen. Dabei hatte ihr Busen seinen Arm gestreift und der Chef hatte sich eng an sie geschmiegt.
„Ich glaube nicht, dass Thomas etwas mitbekommen würde, wenn wir beide uns für eine Weile zurückziehen würden“, sein Alkoholatem war so dicht an ihrem Gesicht gewesen, dass sie kaum noch Luft bekommen hatte und sie hatte den Kopf zur Seite gewandt.
„Na kommen Sie, Sabine. Wissen Sie, ich kann viel dafür tun, dass Ihr Mann es bei uns weit bringt. Sie müssen nur ein bisschen Entgegenkommen zeigen.“
Dann hatte er sie mit einem Mal frei gegeben.
„Überlegen Sie es sich. Das Angebot steht.“
Sie war förmlich aus dem Gang geflohen und hatte sich in Thomas’ Arme geworfen.
„Lass uns gehen, bitte.“
„Was ist denn los?“
„Dein Chef hat versucht mich anzumachen. Bitte Thomas, ich will nach Hause.“
„Und was hat du zu ihm gesagt?“
„Ich bin weggelaufen, ich hab gar nichts gesagt, was soll ich denn deiner Meinung nach dazu sagen, wenn er mich ins Bett schleppen will?“
„Hat er das gesagt?“
„Ja, hat er“, Sabine hatte gefühlt wie ihr die Tränen in die Augen geschossen waren, „das wäre dann auch gut für deine Karriere, hat er gemeint. Dieser eklige, schleimige...“
„Und du hast ihn zurückgewiesen?“, Thomas’ Stimme hatte einen scharfen Ton bekommen und Sabine hatte sich gefühlt, als hätte er sie ins Gesicht geschlagen.
„Natürlich, was denkst du denn.“
„Mensch, Sabine, so dumm kann man doch gar nicht sein. Geh zu ihm hin und sag es tut dir Leid. Denk doch mal an meine Karriere.“
Sabine war ganz ruhig geworden aber ihr Magen hatte sich angefühlt, als wäre er mit eisigen Schwertern gefüllt.
„Du hast zu viel getrunken. Ich werde jetzt nach Hause gehen. Du kannst ja machen, was du willst.“ Damit hatte sie auf dem Absatz kehrt gemacht und war gegangen. Erst als sie im Taxi gesessen hatte, hatte sie angefangen zu heulen.
Thomas hatte diese Episode danach mit keinem weiteren Wort erwähnt und Sabine hatte sein Verhalten genau wie das des Chefs auf den erhöhten Alkoholkonsum geschoben.
Sie nahm eines der penibel sauberen, frisch gebügelten Küchenhandtücher aus dem Schrank, trocknete die einzelne Tasse ab und stellte sie zurück ins Regal. Dann ging sie nach oben ins Badezimmer. Gleichgültig blickte sie auf die Glasablage und sah die dünnen Ringe, welche die Zahnputzgläser hinterlassen hatten und von denen Thomas fand, sie müssten umgehend beseitigt werden. Sie würde sich darum kümmern, wenn sie fertig mit Duschen war.
Thomas hatte ihr angeboten eine Putzfrau zu bezahlen, aber sie hatte darauf bestanden, den Haushalt allein bewältigen zu können. Sie fühlte sich ohnehin oft nutzlos. Thomas wollte nicht, dass sie arbeiten ging. Er fand, das sähe so aus, als wäre er nicht in der Lage für sie zu sorgen. Er hatte aber nichts dagegen, dass sie sich ehrenamtlich beschäftigte und so half sie an zwei Tagen in der Woche in der Bibliothek aus. Den Rest der Zeit war sie meistens damit beschäftigt, das Haus in Ordnung zu halten, denn Thomas sagte ihr immer wieder, dass man nie wissen könne, wer unverhofft zu Besuch käme und er könne es sich nicht leisten, wichtige Menschen in einem ungepflegten Heim zu begrüßen.
Sie zog den Bademantel aus, hängte ihn auf und betrachtete sich im Spiegel. An ihrer Figur gab es nichts auszusetzen, auch wenn sie selbst sich zu mager fand. Im vergangenen Jahr hatte Thomas immer öfter Anspielungen darüber gemacht, dass er bereit war, ihr eine Brustoperation zu bezahlen, aber bisher war sie darauf noch nicht eingegangen. Jetzt schaute sie ihre Brüste kritisch an. Es stimmte schon, die Jahre und die Schwerkraft hatten das Gewebe erschlaffen lassen und ihr Busen war nicht mehr so fest und knackig wie vor ein paar Jahren, aber sie konnte sich immer noch sehen lassen. Außerdem hatte sie immer angenommen, ihr Mann wäre der einzige, der ihre Brüste textilfrei zu Gesicht bekommen würde.
Sabine duschte ausgiebig und versuchte nicht daran zu denken, was sie noch alles zu tun hatte. Sie war eine ganz passable Köchin, aber das Essen, das Thomas an diesem Abend auf dem Tisch haben wollte, hätte sie schlichtweg überfordert. Daher hatte sie ein Menü in einem Sterne-Restaurant bestellt. Es würde pünktlich um halb sieben geliefert, in Wärmeboxen, sodass sie es nur noch auf Tellern anrichten und auf den Tisch stellen musste. Trotzdem hatte sie genug zu tun. Um zehn Uhr hatte sie einen Friseurtermin und um eins musste sie zur Kosmetikerin. Sabine seufzte ein paar Mal, als sie aus der Dusche stieg und sich abtrocknete. Aber dann dachte sie daran, dass der Abend doch wohl interessant werden könnte und lächelte still.
Anfang der Woche hatte sie beim Chef zu Hause angerufen, um mit der Chefin zu sprechen. Sie wollte sich von ihr nur noch einmal den Termin bestätigen lassen, aber Magda, das Hausmädchen, hatte sie darüber informiert, dass die Chefin nicht zu Hause wäre.
„Dann probiere ich es später noch einmal, wann wird sie denn zurück erwartet?“
„Oh, das tut mir Leid, die gnädige Frau ist noch für mindestens drei Wochen verreist.“
„Verreist?“
„Aber ja, sie fährt zu dieser Jahreszeit immer zur Kur nach Gran Canaria. Die Luft dort unten bekommt ihr so gut. Soll ich dem gnädigen Herrn ausrichten, dass Sie angerufen haben?“
„Nein“, Sabine hatte selbst gemerkt, dass sie fast in den Hörer geschrieen hatte und sich bemüht, ihre Stimme ruhig zu halten. „Danke, Magda, das wird nicht nötig sein. Es war nichts Wichtiges.“ Verwirrt hatte sie aufgelegt. Sicher handelte es sich nur um ein Missverständnis. Am Abend hatte sie Thomas darauf angesprochen:
„Bist du sicher, dass du den richtigen Termin mit deinem Chef ausgemacht hast?“
„Natürlich bin ich sicher.“ Er hatte Zeitung gelesen und sich nicht einmal die Mühe gemacht, sie anzuschauen. Sie hatte ihm schon von dem Telefonat erzählen wollen, aber er war fortgefahren:
„Ich habe heute Mittag noch mit der Chefin geredet. Sie freut sich so über die Einladung.“ Sabine hatte verblüfft den Mund zugeklappt und geschwiegen. Entweder hatte Magda sie angelogen, oder Thomas. Nur, welchen Grund sollte er dafür haben? Misstrauisch hatte sie ihn den ganzen Abend über beobachtet und als er im Arbeitszimmer verschwunden war, um „noch ein paar Telefonate zu führen“, wie er gesagt hatte, war sie ihm heimlich nachgeschlichen und hatte an der Tür gehorcht. Zuerst hatte sie nur das Rascheln von Papier gehört, aber dann hatte er gedämpft ins Telefon gesprochen und sie hatte sich sehr anstrengen müssen, ihn zu verstehen.
„Ich wollte nur noch mal... Aber ja doch, Herr Direktor... Nein, nein, es wird keine Probleme geben, ganz sicher nicht... Ja, habe ich besorgt... Nein, keine Angst, es ist gut genug versteckt, sie findet es nicht, sie kommt ohnehin nur in mein Büro, um sauber zu machen... Ja, ganz sicher... Aber ja, Sie müssen sich um gar nichts kümmern... Und Ihre Frau?... Ach so, natürlich... Und den Posten?... Ja, ich weiß, dass wir hinterher noch mal darüber reden, ich dachte nur... Oh, natürlich habe ich vollstes Vertrauen zu Ihnen, es ist nur... Nein, nein, sie wird sich an nichts erinnern, das habe ich abgeklärt... Ja danke, Herr Direktor, auf Wiederhören.“
Sie hatte am nächsten Morgen eine Viertelstunde gebraucht, das Fläschchen mit den KO-Tropfen zu finden und weitere zehn Minuten, um im Internet die Wirkungsweise zu recherchieren. Dann hatte sie eine Weile stumm dagesessen und das Fläschchen angestarrt. Sie hatte in den vergangenen zehn Jahren nicht oft Gelegenheit gehabt, Ihren Geist zu benutzen, aber sie ließ sich nicht gerne für dumm verkaufen. Der Plan der beiden Männer war nur allzu offensichtlich und sie hatte die kalte Wut in sich aufsteigen gefühlt, als ihr klar geworden war, dass Thomas sie als Sprungbrett für seine Karriere benutzen wollte. Sie hatte daran gedacht, einfach wegzugehen, aber damit wäre er zu billig davongekommen. So hatte sie einen Plan gefasst und sich daran gemacht, ihn in die Tat umzusetzen.
Der Tag verging wie im Flug. Sabine nahm all ihre Termine wahr und als das Essen geliefert wurde, war sie perfekt geschminkt, frisiert und angezogen und das Badezimmer blinkte vor Sauberkeit. Thomas schaffte es tatsächlich, pünktlich zu sein und er half ihr sogar dabei, den Tisch fertig zu decken. Um sieben Uhr schellte es an der Tür. Thomas öffnete und kam kurz darauf mit seinem Chef zurück ins Esszimmer.
„Denk dir nur, Sabine, der Herr Direktor ist allein gekommen. Seine Frau ist krank.“
„Sie lässt Ihnen schöne Grüße ausrichten, aber es geht ihr wirklich schlecht. Sie muss das Bett hüten.“
„Oh wie schade“, sagte Sabine und nahm den großen Blumenstrauß, den ihr der Chef entgegen streckte. „Was fehlt ihr denn?“
„Ein Virus“, erwiderte der Chef.
„Rückenschmerzen“, sagte Thomas zur gleichen Zeit.
„Nun ja, es ist ein Virus, der den Rücken angreift“, meinte Thomas schnell.
„Ja genau, sie hat starke Schmerzen, leider“, ergänzte der Chef und Sabine hätte am liebsten laut losgelacht, als sie merkte, wie die beiden Männer sich in ihre Lügen verstrickten und wie sie sich winden mussten, um aus dem Schlamassel wieder herauszukommen. Der Abend versprach recht amüsant zu werden.
Sie hörte Getuschel, als sie nach der Suppe mit den benutzten Tellern in der Küche verschwand. Vorsichtig spähte sie durch den Türspalt ins Esszimmer und sah, wie Thomas das kleine Fläschchen aus der Tasche zog und einen Teil der darin enthaltenen Flüssigkeit in ihr Glas mischte. Er wollte seinen Plan also wirklich in die Tat umsetzen. Nun gut, dann hatte er es nicht anders verdient. Sabine griff in den Küchenschrank und zog ein kleines Döschen hinter den Bohnen hervor. Vorsichtig öffnete sie es und betrachtete die farblose Flüssigkeit. Dann schenkte sie einen selbst gemixten Cocktail in drei Gläser und verteilte den Inhalt des Döschens gleichmäßig auf zwei von ihnen. Die Dosis war gut bemessen, sie würde die beiden Männer eine ganze Weile außer Gefecht setzen.
Nachdem sie damals die KO-Tropfen in das Döschen umgefüllt hatte, hatte sie das Fläschchen mit Wasser gefüllt und zurück gestellt, genau dorthin, wo sie es gefunden hatte. Thomas hatte offensichtlich nichts gemerkt.
Lächelnd kam sie mit den Cocktailgläsern zurück ins Esszimmer.
„Ich habe uns einen Cocktail gemixt, als Zwischengang“, flötete sie.
„Ich dachte, wir trinken erst mal den Wein“, meinte Thomas, aber Sabine sah ihn mit traurigen Augen an.
„Ach bitte, ich habe mir solche Mühe gegeben, und den Wein können wir hinterher auch noch trinken.“
Sie stellte die Gläser vor den Männern ab, prostete ihnen zu und nippte selbst von ihrem eigenen Cocktail.
„Willst du nicht von deinem Wein trinken?“, fragte Thomas, aber Sabine schüttelte den Kopf.
„Erst, wenn wir alle den Cocktail getrunken haben“, erwiderte sie.
„Er schmeckt wirklich köstlich“, sagte der Chef nachdem er davon gekostet hatte und kippte das ganze Glas auf einmal hinunter. Thomas beeilte sich, es ihm nachzutun.
„Hui, der hat’s aber in sich“, meinte er und schüttelte sich.
„Du hast ihn nur zu schnell getrunken“, sagte Sabine. „Ich gehe in die Küche und bereite den nächsten Gang vor. Unterhaltet Euch doch in der Zwischenzeit ein wenig, ja? Thomas, du kannst dem Herrn Direktor ja im Arbeitszimmer zeigen, welche wunderbaren Pläne du für die Firma noch hast. Wissen Sie“, wandte sie sich an den Chef und sah ihm tief in die Augen, „Thomas ist immer so fleißig, er würde wirklich alles für die Firma tun.“ Belustigt sah sie die hungrigen Blicke, die der Chef ihr zuwarf, als sie sich anschickte, in die Küche zu entschwinden.
Sabine lauschte auf die Geräusche aus dem Esszimmer und stellte zufrieden fest, dass die beiden Männer sich tatsächlich ins Arbeitszimmer zurückzogen. Sie wartete noch eine Weile. Zuerst wurde die Stimmung immer besser. Die Männer redeten und lachten laut, aber nach einiger Zeit wurde es ruhig. Sie ging hinüber und legte das Ohr an die Tür. Von drinnen war nichts zu hören. Vorsichtig drückte sie die Klinke nieder. Thomas saß hinter dem Schreibtisch, hatte den Kopf auf die Platte gelegte und schlummerte selig. Der Chef räkelte sich auf dem kleinen Sofa. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und schnarchte leise. Sie wusste nicht, wie viel Zeit sie hatte, bevor die beiden wieder aufwachten und so beeilte sie sich.
Vierundzwanzig Stunden später schlürfte Sabine am Strand von Mexiko an ihrer Piña Colada.
Eigentlich war es schade, dass sie die Gesichter der Mitarbeiter nicht hatte sehen können, als sie ihre E-Mails geöffnet hatten. Inzwischen hatte sicherlich jeder in der Firma die Fotos gesehen und sie war überzeugt, dass sich die Mühe gelohnt hatte. Es war gar nicht so einfach gewesen, die beiden Männer auszuziehen und in die verschiedenen, sehr eindeutigen Positionen zu legen, aber die Bilder waren gestochen scharf, die Gesichter genau wie die Körper gut zu erkennen. Sabine hatte es sogar geschafft, den Männern mit Hilfe von Klebefilm die Augenlider offen zu halten, so sah alles noch echter aus. Sie stellte sich vor, wie Thomas aufgewacht war, verkatert, den Kopf immer noch im Schoß seines Chefs, ohne die blasseste Erinnerung an den vorangegangenen Abend und schmunzelte.
Sabine winkte dem Kellner der kleinen Strandbar und ließ sich noch einmal nachschenken. Auch Thomas’ Gesicht hätte sie nur zu gerne gesehen, besonders in dem Moment, in dem ihm klar geworden war, dass sie sämtliche Konten leergeräumt hatte, auch diejenigen, von denen er geglaubt hatte, sie wüsste nichts davon.
Es war kaum anzunehmen, dass es ihm jemals gelingen würde, seinen Ruf wiederherzustellen, aber andererseits war er die Art von Mensch, die immer irgendwie auf den Füßen landete.
Würde er versuchen, sie zu finden? Sie wusste es nicht, aber wenn er es versuchte, würde er auf einige Schwierigkeiten stoßen. Sie hatte dreimal das Flugzeug gewechselt um ihre Spuren zu verwischen. Das letzte Stück hierher hatte sie mit dem Bus zurückgelegt und sie hatte vor, morgen weiter nach Norden zu reisen. In der Geldbörse des Chefs hatte sie zweihundert Euro gefunden und den protzigen Diamantring, den sie ihm abgenommen hatte, wollte sie genau so zu Geld machen, wie Thomas’ goldene Manschettenknöpfe.
In der Schule hatte sie fünf Jahre lang Spanisch gelernt und sie war schon einige Male in Lateinamerika gewesen. Sie würde zurechtkommen.
Der Kellner, ein hübscher junger Bengel, hatte kaum die Augen von ihr genommen, seit sie die Bar betreten hatte. Sie lächelte ihn an und deutete auf ihr Glas. Nicht mehr lange und die Nacht bräche herein. Der junge Bursche kam zu ihr herüber. Vielleicht wurde es ja noch ein perfekter Abend.
Texte: edge66
Bildmaterialien: edge66, auch das Cover
Tag der Veröffentlichung: 01.03.2012
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