Cover

Prolog

Der Angriff auf den Nordkontinent war auf ganze Linie gescheitert. Xitroca, der Statthalter des bösen Gottes Ximon, biss sich auf die Lippen. Zu allem Überfluss war nun auch mehr als klar, dass dieser verdammte Hüter Amas nicht tot war. Dieser hatte die Überreste seiner Invasionstruppen, darunter einhundert seiner Priester in der Hafenstadt Kiers eingeschlossen. Obwohl diese, durch die Errichtung eines schwarzen Schutzschildes bisher der Eroberung durch den Feind widerstand, machte sich Xitroca keine Illusionen. Die Anhänger Amas würden einen Weg finden die Stadt zu erobern und seine Truppen zu vernichten. Er war zutiefst beunruhigt über die hohen Verluste an Dämonen, denn der Dämonenherrscher Xytramon machte ihm die Hölle heiß, nachdem die Knechte Amas einige zehntausend Dämonen problemlos getötet hatten. Inzwischen wusste er auch, wie sie das gemacht hatten, denn vor ihm lag eine schwarze Lanzenspitze aus Tamiumeisen. Die Tatsache, dass auch fast zweihunderttausend Khitarer und Gheitaner den Tod gefunden hatte, berührte ihn hingegen nicht. Die Bewohner Makars waren für ihn lediglich Dämonenfutter.
Nun hieß es, vor allem Zeit zu gewinnen, denn es war klar, dass der Gegner irgendwann zum Gegenangriff übergehen würde, wenn er erst Kiers zurückerobert hatte. Was Xitroca jetzt vor allem brauchte, war Zeit, viel Zeit, da die Einrichtung einer permanenten Dämonendomäne, in welcher diese Wesen aus einer anderen Dimension auf Dauer auf Makar weilen konnten, kompliziert und aufwendig war. Also musste zunächst dafür gesorgt werden, dass die Armee des Nordkontinentes, wenn sie über das Meer nach Gheitan übersetzte, sich mit Khitaras Armee würde auseinandersetzen müssen. Also befahl er das kleine Sultanat zu annektieren und zweihunderttausend Soldaten dorthin zu verlegen, deren Aufgabe es sein würde eine wirksame Küstenverteidigung einzurichten. Ihre Aufgabe würde es sein, des Hüters Armee bei dem zu erwartenden Landungsversuch massive Verluste beizubringen. Darüber hinaus befahl er den großen Wall, welcher die Grenzen zu Gheitan und auch zu Zephir schützte, instand zu setzen und reichlich mit Kriegsmaschinen zu bestücken. Dieses gewaltige Bauwerk, welches ein paranoider Kaiser vor dreihundert Jahren hatte errichten lassen, war bestens dazu geeignet, den Feind lange Zeit aufzuhalten, sollte es ihm wider Erwarten gelingen, erfolgreich in Gheitan zu landen und die dortigen Streitkräfte niederzuringen. Eine Mauer fast zwanzig Klaftern Höhe war fürwahr nicht einfach zu überwinden. Nicht einmal den mächtigen Balrogs würde das gelingen.

Orte der Handlung

 

Kapitel 1

In der belagerten Hafenstadt Kiers traf sich der ehemalige Botschafter Gheitans Shahrukh Bey mit dem Sprecher der Ximonpriester zu einer Lagebesprechung. Vor der Stadt war es die letzten Tage merkwürdig ruhig geblieben, denn es hatte seit der Schlacht vor den Toren keine Angriffe mehr gegeben. Die Caerer hatten nicht einmal mehr versucht mit ihren weitreichenden Bliden auf den Schutzschirm einzuhämmern.

„Wie schafft ihr es eigentlich, den Schutzschirm Tag und Nacht aufrechtzuerhalten“, fragte der Gheitaner den ganz in schwarz gekleideten khitarschen Priester des finsteren Gottes.
„Oh das ist ganz einfach!“, antwortete dieser verächtlich grinsend. „Wir benötigen nur zehn Priester gleichzeitig um ihn aufrechtzuerhalten, sobald er einmal etabliert wurde. Natürlich wird er so keinem ernsthaften Beschuss standhalten. Aber falls der Feind die Beschießung erneut aufnimmt, kommen wir wieder alle zusammen und verstärken ihn!“
Dieser letzte Satz beruhigte den Gheitaner, denn er hatte eine panische Angst davor, hier in dieser elenden Stadt sterben zu müssen, nachdem er mit angesehen hatte, wie des Hüters Truppen die khitarschen Soldaten, welche die Schlacht überlebt hatten, samt und sonders hingerichtet hatten. Deshalb fragte er noch einmal nach: „Könntet ihr den Schutzschirm so erweitern, dass er nicht nur über der Mauer liegt, sondern diese ebenfalls einschließt?“
„Im Prinzip könnten wir das machen“, antwortete der Oberpriester mit einem ärgerlichen Stirnrunzeln. „Aber dann müssten wir permanent etwa dreißig Priester einsetzen, um ihn aufrechtzuerhalten. Außerdem hätte er, im Falle eines ernsthaften Angriffes, nur etwa die halbe Stärke. Ich würde Euch das also nicht empfehlen. Sollen sie sich doch damit beschäftigen die Mauern und das Tor zu beschießen, das schont die Kräfte der Jünger Ximons. Die werdet ihr noch brauchen, falls sie einen ernsthaften Angriff versuchen!“
Diese Aussage gefiel Shahrukh Bey überhaupt nicht, aber er musste sich damit zufriedengeben. Sie nahm ihm umgehend wieder das Gefühl der Erleichterung, welches er zu Beginn des Gespräches empfunden hatte. Doch hatte des Priesters Weigerung zumindest den Vorteil, dass man von der Mauer aus Pfeilballisten und Armbrustschützen im Falle eines Angriffes einsetzen konnte. Onager und Bliden natürlich nicht, weil deren Geschosse beim Aufstieg von unten in den Schutzschirm krachen würden.
Nachdem ihn der Oberpriester Ximons wieder verlassen hatte, nahm er einen tiefen Schluck aus seinem edelsteinbesetzten Weinpokal. Man konnte es drehen und wenden wie man wollte, die Invasion von Caer war gescheitert. Wenn er seine Zeit am Hof von Caerum so Revue passieren ließ, hatte er wirklich Spaß daran gehabt, den aufgeblasenen König von Caer an der Nase herum zu führen und seine Intrigen zu spinnen. Wäre dieser blöde Hüter nicht gewesen, hätte er wohl Erfolg gehabt. Zum wiederholten Male verfluchte er seinen Geiz. Hätte er damals beim ersten erfolgreichen Anschlag auf Ragnor da Vidakar nicht geknausert, wäre dieser jetzt tot, und er der glorreiche Eroberer von Caer.

Im Lager von Herzog Ragnor, seinem Gegenspieler, trat zur selben Zeit der große Kriegsrat zusammen, nachdem nun auch die Lorcaner und die Streitkräfte der Westallianz vor Kiers eingetroffen waren. Es waren nun einhundertachtzigtausend Mann hier versammelt, und es war allen klar, dass man für die Belagerung weit weniger Soldaten benötigen würde. Hier waren vor allem die Spezialisten des mercanschen Korps und die Belagerungsregimenter gefragt.
Ragnor ließ seinen Blick einen Moment über die versammelten Kommandeure streifen und ein Gefühl der Zufriedenheit erfüllte ihn, denn nun waren Menschen verschiedenster Nationalitäten, Orks und Goblins versammelt, um gemeinsam ihre Welt gegen den Angriff aus dem Orcus zu verteidigen. Er spürte die warme grüne Welle der Sympathie, die er aufgrund seiner besonderen empathischen Fähigkeiten wahrnehmen konnte, und war dankbar dafür. Dann straffte er seine Schultern, sah zu seinem Freund Ansgar da Burgos hinüber, der ihm kurz zunickte und eröffnete den großen Kriegsrat:
„Wir sind heute hier zusammengekommen, um die nächsten Schritte in unserem Kampf gegen Ximons Horden zu beraten. Dabei geht es mir nur am Rande um die Eroberung von Kiers, denn es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Stadt fallen wird. Viel wichtiger ist mir heute unsere Vorbereitung für unseren Sprung über das Binnenmeer, um zunächst Gheitan und dann Khitara niederzuwerfen. Deshalb erteile ich zunächst Admiral Paolo di Nolfo das Wort, denn unsere Seestreitkräfte müssen den Transport vieler Soldaten und Nachschubgüter bewältigen!“
Paolo di Nolfo erhob sich, verbeugte sich kurz und ging zu der großen Landkarte hinüber, welche die bekannte Welt, Nord- und Südkontinent zeigte.
„Wie ja bereits in den Vorgesprächen, welche der Hüter mit allen Volksgruppen geführt hat, festgelegt wurde, planen wir mit einer Armee von etwas einhundertzwanzigtausend Mann über das Meer zu setzen. Zusätzlich zu den Soldaten kommen noch einmal etwa zwanzigtausend Mann an Hilfskräften, vom Feldscher bis zum Koch, hinzu. Außerdem müssen Tonnen an Material, von der Kriegsmaschine bis zu den Vorräten übergesetzt werden. Die Werften in Lorca, Caer und Krala arbeiten auf Hochtouren um den benötigten Schiffsraum zur Verfügung zu stellen. Aber es wird wohl etwas mehr als ein Jahr dauern, bevor wir mit genügend Fracht- und Kampfschiffe gebaut und bemannt haben werden.“
Ragnor nickte seinem Freund zu und erhob sich erneut:
„Vielen Dank lieber Paolo. Aufgrund dieser Tatsachen wollen wir alle die Zeit nutzen, unsere Kampfverbände zu modernisieren. Zunächst möchte ich meinen Freund Kamar bitten, für die Orks zu sprechen.

„Wie bereits mit dir besprochen, werden wir in der nächsten Woche damit beginnen unsere Rückkehr in die Orksteppe vorzubereiten. Die Ostorks und die Goblins werden von Ragnors Flotte an den Drachenstrand verschifft werden, während die Westorks, begleitet von Lamar da Niewborg und seiner Miliz, über Mors und den großen Pass marschieren werden. Dort werden wir unsere Kämpfer für die Invasion mit schwarzen Lang- und Kurzschwertern ausrüsten. Deshalb werden beide Verbände von einigen Metallurgen der Mercaner begleitet werden, die im Drachenlager und im Wolfslager große Schmiedezentren errichten werden. Das benötigte Tamium werden wir größtenteils aus unseren alten Bronzeschwertern zurückgewinnen können, was uns noch fehlt, werden die Goblins liefern.“
Nun wies Khan Kamar mit der Hand auf den Anführer der Goblins und fuhr fort: „Rallog und sein kleines Volk werden im nächsten Jahr eines der wichtigsten Mitglieder unseres Bündnisses sein, denn sie werden so viel Tamium fördern wie sie nur können. Denn es gilt vor allem Unmengen von Bolzenspitzen für die neuen Schnellarmbrüste zu fertigen, welche die Feuerkraft unserer Armee um ein Vielfaches erhöhen werden.“
Der kleine Rallog strahlte, ob der lobenden Worte des Orks, denn endlich hatte das kleine Volk seinen Platz in der Gemeinschaft der Völker des Nordkontinents gefunden. Und nicht nur einen Platz, nein sie konnten sogar einen wirklich wichtigen Beitrag leisten, und das machte ihn wirklich stolz.

Als Nächster trat Graf Ansgar da Burgos nach vorne:
„Liebe Schwertbrüder. Auch die Lorcaner Truppen werden per Schiffstransport nach Hause zurückkehren. Ich stimme mit Ragnor voll überein, dass der Kampf um Kiers möglichst ohne ausländische Truppen geführt werden sollte. Wir werden ebenfalls von mercanschen Waffentechnikern begleitet werden und unsere Milizregimenter, ebenso wie in Caer neu organisieren. Zukünftig werden sie ebenfalls zur Hälfte aus Armbrustschützen bestehen, welche mit den neuen Schnellfeuerarmbrüsten ausgestattet werden. Darüber hinaus wird jedes Regiment, nach dem Vorbild der Amalegion, mit jeweils fünfzig technisch verbesserten Pfeilkatapulten versehen werden.“
Nun wich sein ernster Gesichtsausdruck einem freundlichen Lächeln, als er hinzufügte: „Ich will diese Gelegenheit wahrnehmen, Euch alle zu meiner Hochzeit mit Königin Mirana nach Moron einzuladen. Als Termin wählen wir das Amafest im nächsten Jahr. Bis dorthin sollten unsere Vorbereitungen größtenteils abgeschlossen sein. So können wir im Anschluss an die Feierlichkeiten einen großen Kriegsrat abhalten, und die logistischen Details für das Sammeln unserer Invasionstruppen festlegen!“

Khan Pekartok vom Schlangenklan knuffte Khan Egoman freundschaftlich mit dem Ellenbogen und brummte: „Nun wirst du doch einmal in eine große Stadt der Menschen einziehen, wenn auch nicht als Eroberer, sondern als geladener Hochzeitsgast.“
Der hünenhafte Egoman grinste breit und entgegnete sichtlich gut gelaunt: „Ist doch besser als nichts! Inzwischen kämpfe ich lieber mit den Menschen gegen Dämonen, als gegen sie. Außerdem wird unseren Klans das Handelsabkommen mit dem Hüter ein besseres Leben ermöglichen.“
Pekartok nickte zustimmend und fügte leise, fast wie zu sich selbst, hinzu: „Ja, im vergangenen Jahr ist wirklich viel passiert. Aus Feinden wurden Freunde, und es wurden Bündnisse über unüberwindlich scheinende Rassengrenzen hinweg geschmiedet. Wir sollten Ama wirklich dafür danken, dass er uns den Hüter geschickt hat!“

Etwas später am Tage, nach einem opulenten Abendessen, befassten sich die Kommandeure mit der Truppenentflechtung und dem Abzug der nicht mehr benötigten Regimenter.
Sie hatten vereinbart, dass jeder caersche Baron ein Regiment und jeder Graf zwei Regimenter Miliz zu stellen hatte. Damit standen zehntausend Mann Milizen, fünftausend Legionäre, die drei Belagerungsregimenter, die drei Langbogenregimenter, das mercansche Korps und zwölfhundert Reichsritter zur Verfügung um die Besatzer von Kiers zu bezwingen.
Man hatte nach längerer Überlegung darauf verzichtet, auch einige Chorosanirotten hier zu behalten. Ragnor hatte es als wichtiger erachtet, dass auch die Steppenreiter genügend Zeit hatten, sich auf die Invasion vorzubereiten. Sie sollten ihr Hauptaugenmerk auf die Ausbildung ihrer Schlachtpferde richten, denn die berittenen Bogenschützen sollten eine Schlüsselrolle bei der Invasion des Südkontinentes spielen.
Während sie ihre Pferde ausbildeten, würde ihnen Ragnors Schmiede aus Vidakar mit Tamium bewehrte Rüstungsteile und vor allem schwarze Säbel aus Tamiumstahl fertigen. Auch die abertausende von Pfeilen für die schnellen Reiter würden in den Manufakturen von Vidakar facere von den Pfeilmachern der Waldleute hergestellt werden. Timur und Tamerlan, die beiden Anführer der Chorosani hatten in einem langen Gespräch mit Ragnor zugestimmt, obwohl sie sich zunächst gegen den kompletten Abzug gestemmt hatten, weil weitere Bogenschützen bei der Belagerung sicherlich hilfreich gewesen wären. Doch sie hatten eingesehen, dass die Invasionsarmee, wenn sie erst die unendlichen Weiten Khitaras erreicht hatte, auf die weiträumige Aufklärung durch Chorosani angewiesen sein würden, und dass eine perfekte Vorbereitung der Pferde und deren Ausbildung vordringlich war.
Die Chorosani würden mit den Kaarborger Truppen zusammen abrücken und dann über die Pässe im Lorcawald das Königreich Caer verlassen. Es war Ragnor da Vidakar na Krala und den verbündeten Fürsten wichtig, dass der Abzug der ausländischen Truppen unter Aufsicht caerscher Begleiter erfolgte, um jeder Form von Gerüchten den Boden zu entziehen, dass hier fremde Invasoren ihr Unwesen trieben.

Etwa zwei Wochen später, nachdem die Verbündeten und die überzähligen Truppen abgezogen waren, begannen die Mercaner Techniker und das Belagerungsregiment acht riesige Belagerungsbliden zu montieren, mit denen der rauchgraue Schutzschirm beschossen werden sollte. Das Dutzend fahrbare Bliden der Belagerungsregimenter wurde so umgruppiert, dass sie das stark befestigte Stadttor unter Beschuss nehmen konnten. Parallel zu diesen Tätigkeiten hatten die Bergbauspezialisten der Mercaner in einem nahen gelegenen Steinbruch damit begonnen Geschoßkugeln aus weißem Sandstein herzustellen. Granit wäre zwar besser gewesen, aber den gab es hier nun einmal nicht.
Von den Großadeligen waren noch Raskal da Momland und Lamar da Niewborg bei der Belagerungsarmee verblieben, während alle anderen mit ihren Haustruppen in ihre Stammlande zurückgekehrt waren. Baron Oswald da Kormon würde bei seiner Rückreise, wie mit Ragnor abgesprochen, beim König in Caerum vorbeischauen, um zu sehen, wie er die Nachricht vom Sieg gegen die Invasionsarmee und die Dämonen aufgenommen hatte. Gleichzeitig würde Oswald versuchen in vier Monden die Einberufung eines großen Reichstages in Caerum vorzuschlagen, denn es galt, das Reich zu befrieden und vor allem den König und seine Anhänger wieder in die Allianz wider Ximon einzubinden. Dies musste schnell gelingen, denn mit einem potenziellen Feind im Rücken, war an eine Invasion des Südkontinentes nicht zu denken. Dies war nach Ansicht aller Fürsten, die Ragnors Kurs folgten, das größte Problem, welches es zu lösen galt, da es darüber entscheiden würde, wann und ob der Angriff auf die Ximonisten in ihren Stammlanden überhaupt gestartet werden konnte.


Baron Oswald da Kormon hatte auf seinem Weg nach Caerum eine Menge Stoff zum Nachdenken. Insbesondere ging ihm die Orkkriegerin Brelara nicht mehr aus dem Kopf.
Sie gehörte zur neu formierten Leibwache von Ragnor da Vidakar, die er in den letzten Tagen zusammengestellt hatte, um allen zu signalisieren, dass er alle seine Verbündeten gleich schätzte und ihnen vertraute. Die Einheit bestand nun aus vier Orks, darunter zwei Frauen; vier Amarittern, davon zwei aus Caer und zwei aus Lorca, vier Chorosani, vier Bogenschützen der Waldleute, wiederum zwei davon Frauen, vier Legionären und dem Goblin Rallog. Kommandiert wurden sie von den beiden Gromorern Maramba und Okabe. Zusammen mit Ragnors Knappen Klaus also zweiundzwanzig Kämpfer stark.
Oswald da Kormon hatte eines Abends das Gespräch mit der muskelbepackten Orkfrau gesucht, weil er mehr über Ragnors Taten in der Orksteppe hatte erfahren wollen. Diese war allein an einem der Tische im Kantinenzelt gesessen, sodass er sich einfach hatte dazu setzen können. Die Kriegerin hatte ihn zunächst überaus reserviert aus ihren stahlblauen Augen gemustert, war aber dann im Laufe des Abends aufgetaut und hatte ihm freimütig von ihren Erlebnissen berichtet. Ihr Bericht hatte den ansonsten so kühlen und berechnenden Oswald mehr als gefesselt, und er musste zum wiederholten Male eingestehen, dass Ragnor es meisterhaft verstand, Hingabe und Loyalität hervorzurufen. Dabei beeindruckte ihn am meisten, dass er das nicht mit taktischen Schachzügen oder irgendwelchen lauwarmen Versprechungen tat, sondern ausschließlich Taten sprechen ließ. Natürlich hatte ihm Brelara auch mit leuchtenden Augen von der Prophezeiung der Orks erzählt, wodurch er nun die Gegenwart von Wolf und Tiger, welche sich während der Verhandlungen stets im Ratszelt aufgehalten hatten, endlich einordnen konnte.
Wenn er alles bedachte, was ihm die Orkfrau an diesem langen Abend berichtet hatte, war es für alle Völker Makars überlebensnotwendig unter Ragnors Führung gegen Ximons Horden vorzugehen.
Ein kurzes Stolpern seines Schlachtrosses unterbrach den Gedankengang des Barons für einen Moment, sodass er gewahr wurde, dass am Horizont inzwischen bereits die Silhouette von Caerums mächtigen Befestigungsanlagen zu erkennen war.
Es würde nicht leicht werden den König wieder in die Spur zu bringen, aber Oswald war entschlossen alles dafür zu tun, was in seiner Macht stand. Er war selbst erstaunt darüber, wie sehr ihn der Kampf vor Kiers und das Gespräch mit Brelara verändert hatte. Wie unbedeutend waren seine Goldgier und sein infantiles Gekungel mit Ralph um einiger billigen Vorteile willen doch gewesen, und zum wiederholten Male bedauerte er zutiefst, dass er Ragnors Freundschaft vor einigen Jahren so leichtfertig verspielt hatte.
Wiederrum kehrten seine Gedanken zu dieser erstaunlichen Orkfrau zurück, die ihn irgendwie nicht losließ. Warum eigentlich, fragte er sich selbst! Sie war nach menschlichen Maßstäben eigentlich nicht attraktiv. Sie war so groß wie er selber aber erheblich breiter und muskulöser. Dennoch fühlte er sich von ihr angezogen, was gewiss nicht an ihrer durchaus beeindruckenden Oberweite lag. Vielleicht war es der Umstand, dass sie in Entschlossenheit und Wesen, Ragnors vormaliger Gefährtin Dana, welche vor Burg Harkon gefallen war, sehr ähnelte. Auch diese Bogenschützin aus dem Waldvolk, hatte ihm sehr viel bedeutet.
Bei diesem Gedanken huschte ein wehmütiges Lächeln über das meist ernste Gesicht von Oswald da Kormon und ein auch ein kleines Tränchen machte sich bemerkbar, als Danas Gesicht vor seinem inneren Auge für einen Moment auftauchte.
Gefühle für ein Mädchen aus dem Waldvolk, waren ja noch akzeptabel, aber für eine Kriegerin der Orks. Doch auch ein fast resignierendes Kopfschütteln half ihm nicht die Gedanken an Brelara zu verdrängen. Der Ausdruck ihrer Augen verfolgte ihn sogar nachts in seinen Träumen, und es waren beileibe keine Albträume gewesen.

In Ragnors Feldlager waren inzwischen die acht Großbliden aufgebaut worden und sobald genügend Steinkugeln im nahe gelegenen Steinbruch gefertigt worden waren, konnte die Beschießung beginnen. Doch in der Zwischenzeit hatten die Belagerer die Hände nicht in den Schoß gelegt, sondern die Belagerungsregimenter hatten begonnen einen großen Stollen Richtung Stadtmauer vorzutreiben. Dabei kam ihnen zu Gute, dass es an der Seeseite, rechts von Kiers, eine Felsformation in Form einer hohen Klippe gab, sodass der dahinterliegende Strand von den Türmen der Stadt aus nicht eingesehen werden konnte. Ziel dieser Aktion war die linke Landmauer mit ihrem großen Eckturm. Er sollte unterhöhlt und dann durch den Einsatz von Vidakarer Feuer zum Einsturz gebracht werden. Unterstützt durch einige mercansche Belagerungsexperten ging der Vortrieb des Zugangsstollens gut voran, sodass Oberst Briscot guten Mutes war, dass man innerhalb von zwei Monden die Fundamente des Turmes erreichen würde. Da Kiers eine vormals freie Reichsstadt war, wusste der Oberst, dass die Fundamente der hohen und dicken Stadtmauer nicht sonderlich tief gingen. Das lag daran, dass die Fundamente ursprünglich einmal für eine viel niedrigere Mauer konzipiert worden waren. Als sie dann nach dem letzten Orkkrieg hastig verstärkt und erhöht worden war, hatte man sich auf Verbreiterung und Erhöhung konzentriert und einer Verstärkung der Fundamente keine Aufmerksamkeit geschenkt. Diesen Umstand gedachte er sich nun zunutze zu machen.
Ragnor Eroberungsplan zielte darauf ab, die Stadt mit möglichst geringen Verlusten einzunehmen. Das war am einfachsten zu bewerkstelligen, indem man sie mit Vidakarer Feuer beschoss. Auf die ehemaligen Bürger der Stadt brauchte er dabei keine Rücksicht mehr zu nehmen, denn diese waren von den Dämonen vor ihrem Angriff getötet und gefressen worden, wie er aus den Verhören gefangener Khitarer vor deren Hinrichtung sicher wusste. Der zweite wichtige Aspekt dabei war, dass man durch schweren Dauerbeschuss des Schutzschirmes die Ximonpriester zu schwächen gedachte, dass sie nach dem Bruch von Mauer und Tor nicht mehr in der Lage waren, eine große Anzahl von Dämonen zu beschwören, denen ja bekanntlich Feuer nichts ausmachte. Sein Plan war also die Stadt in Schutt und Asche zu legen und die dreißigtausend Khitarer und Gheitaner darunter zu begraben.


In der Hauptstadt Caerum saß König Ralph beim Abendessen, welches ihm aber nicht so recht schmecken wollte. Seit seiner Rückkehr aus Kiers war jeder Tag schlechter als der vorhergehende gewesen. Zunächst hatte er noch jeden Abend mit den verbliebenen Prätoren der Reichsritter gezecht und sich von ihnen schmeicheln lassen, wegen seines taktisch so klugen Rückzugs. Doch selbst ihm, der bisher keine Lobhudelei verschmäht hatte, war dieses Schleimen von Mal zu Mal unangenehmer geworden. Als dann die Nachricht vom glorreichen Sieg von Ragnors Truppen gegen eine mit Tausenden von Dämonen verstärkte Armee aus Khitara eingetroffen war, hatte er sich vollkommen zurückgezogen.
Was war nur aus seinen hochfliegenden Plänen geworden. Anstatt ein starker König zu werden, war er nun der wohl schwächste Monarch, den das Königreich Caer in seiner tausendjährigen Geschichte gehabt hatte. Er hatte in seinem Machtstreben den dämonischen Feind selbst ins Land geholt und sich von Shahrukh Bey ein ums andere Mal über den Tisch ziehen lassen. Doch nicht genug damit. Seit Magnus da Momland, der in Caer im Kerker saß und auf seine Hinrichtung wartete, gestanden hatte, dass der gheitansche Botschafter die Ermordung von Rurig da Kaarborg, Mark da Loza und Ludolf da Seeland eingefädelt hatte, war ihm mehr als klar geworden, dass die Barone Roger da Vuerkon und Anton da Loza sich ebenfalls des Landesverrates schuldig gemacht hatten. Magnus da Momland hatte auf der Folter zwar noch versucht, alle Schuld auf den Gheitaner abzuwälzen, doch der König war sich sicher, dass insbesondere Roger da Vuerkon genau gewusst hatte, wer da als angebliche Söldner ins Land gekommen war. Momentan war er völlig ratlos und hatte überhaupt keinen Plan, wie er aus dieser Nummer wieder rauskommen sollte. Mit einem bitteren Lächeln gestand er sich ein, dass von seinen vormaligen Alliierten lediglich Oswald da Kormon die Interessen des Königreiches im Auge behalten hatte. Er war zwar ein eiskalter, goldgieriger Sack, aber er hatte immerhin das Format besessen an der Seite von Ragnor da Vidakar na Krala vor Kiers zu kämpfen. Seine eigene winzige Hoffnung, die er bei seinem Abzug noch gehegt hatte, dass das Gerede vom bevorstehenden Dämoneneinsatz sich nicht bewahrheiten würde, war mit dem Bericht seiner Beobachter von der Schlacht zu Asche zerfallen.
Was ihn fast wahnsinnig machte, war der Umstand, dass er nun darauf warten musste, bis sich seine Vasallen bequemen würden bei ihm in Caerum vorzusprechen, bevor er wusste, wie es weiterging. Inzwischen hatte er auch begriffen, dass Ragnors offizieller und beschworener Verzicht auf die Krone von Caer, ihm vermutlich seine Krone nicht retten würde. Die mehr als deutliche Mehrheit des Reichstages war gegen ihn und seine verbliebenen Verbündeten waren abtrünnig geworden oder Hochverräter.
Voller Wut nahm Ralph VI. die Karaffe mit teurem zephirschen Wein, die er, wie jeden Abend, fast bis zur Neige geleert hatte und warf sie gegen die Wand seiner Kemenate. Dann sank er auf sein breites Bett und ließ seinen Tränen freien Lauf.

Am nächsten Morgen, als der König mit brummendem Schädel über einer Schale Kalatee saß, wichen seine reuigen Gedanken des Vorabends kalter Wut. Er konnte und wollte nicht auf den Thron verzichten, also würde er um ihn kämpfen. Zuerst musste Magnus da Momland sterben, bevor ihn Ragnor verhören konnte. Mit dem Wissen aus der Folter hatte er damit Roger da Vuerkon und Anton da Loza vollkommen in der Hand. Das war dann zwar nur eine kleine, aber immer noch bedeutende Allianz in Caer. Mit immerhin fünfunddreißigtausend Mann an gut ausgebildeter Miliz und den achthundert Reichsrittern ein nicht zu vernachlässigender Machtfaktor. Aber es würde nicht genügen Magnus da Momland auf der Folter versehentlich sterben zu lassen. Nein auch alle Folterer, die beteiligt gewesen waren, mussten beseitigt werden. Nur gut, dass er die Mördergilde wieder hatte auferstehen lassen. Deren neuer Vorsteher mit Namen Rolf, war ein fähiger Mann und würde diese Aufgabe sicherlich gerne übernehmen.

Als einige Stunden später der Vorsteher der Mördergilde das Arbeitszimmer des Königs wieder verließen, war der König zum ersten Mal wieder etwas zuversichtlicher, was seine Zukunft anging.
Besagter Rolf grinste in sich hinein, als er die Unterkunft der Mördergilde betrat. Rolf war natürlich nicht sein richtiger Name, denn er stammte aus Gheitan. Da er aber nicht unbedingt so aussah, hatte er einen gängigen caerschen Namen gewählt. Eigentlich hieß er ja Chem und war dafür verantwortlich, dass Herzog Ragnor da Vidakar noch lebte. Als dieser zurückgekehrt war, hatte Chem blitzschnell reagiert und seinen eigenen Tod vorgetäuscht, denn der Alte vom Berge verstand keinen Spaß, wenn einer seiner Assassinen einen Auftrag nicht im Sinne des Auftraggebers erfüllte. Nach einer angemessenen Wartezeit in einem Versteck war er nach Caerum gegangen, wo er sich schnell einen Namen in der dortigen Unterwelt gemacht hatte, indem er einige der Anführer ausgeschaltet hatte. Dies war auch dem König zu Ohren gekommen, und so war der Assassine aus Gheitan schnell zum Vorsteher der wieder neu gegründeten Mördergilde aufgestiegen. Wirklich ärgerlich war, dass man kaum brauchbare Rekruten hier in Caer fand. Die Nordlichter waren für das Assassinenhandwerk eher unbegabt, sodass noch eine Menge Ausbildungsarbeit vor ihm lag, bevor die drei Rekruten, welche er ausgewählt hatte, ernsthafte Aufgaben übernehmen konnten. Doch die Beseitigung von ein paar Folterknechten war keine wirklich ernsthafte Aufgabe. Das würden selbst diese Stümper schaffen. Nein, es war im Gegenteil, eine Art sinnvolle Ergänzung zu seinem bisherigen Ausbildungsprogramm.


Im fernen Zephir, jenseits des Binnenmeers empfing Kalif Halef al Raschid den Kommandeur seiner Wüstenreiter Murad al Chalid, mit dem ihn inzwischen eine echte Freundschaft verband. Seit sie vor der Wüstenfestung Sahar Hisar gemeinsam gegen die Khitarer und ihre Dämonen gekämpft hatten, waren Murads Hedschinreiter seine Augen in der Wüste. Ihre Aufgabe war, rechtzeitig Alarm zu schlagen, falls die Khitarer noch einmal versuchen sollten eine Armee durch die todbringende Wüste gen Zephir zu schicken. Während Murad kundschaftete, baute der alte General Kara Mustafa die alte Wüstenfestung zu einem gewaltigen Bollwerk aus, welche in der Lage sein würde, das komplette Wadi zu sperren.
Nachdem die beiden Männer ihre Pokale geleert hatten, meinte Murad grinsend, während er seine Beine genüsslich auf dem Diwan ausstreckte: „Der liebe Kara war gar nicht erfreut, als ich ihm berichtet hatte, dass die Khitarer vermutlich nicht kommen werden. Jetzt, da seine Superfestung fast fertig ist, brennt der alten Haudegen darauf, ihren Wert zu beweisen!“
Der Kalif lächelte ob der Botschaft, denn er kannte den alten General nur zu gut. Die Nachrichten, welche Murad überbrachte, waren wirklich bestens. Dieser war sogar mit zwei Begleitern bis an die Grenze nach Khitara vorgestoßen und hatte berichtet, dass der Feind seine eigenen Grenzbefestigungen, welche lange Jahre vernachlässigt worden waren, fieberhaft wieder in Stand setzte, so als ob er selbst mit einem Angriff auf Khitara rechnen würde.
„Das kann nur einen Grund haben, mein lieber Murad“, resümierte der Kalif schmunzelnd. „Ragnor muss den Feind auf dem Nordkontinent vernichtend geschlagen haben. Im Abschlussbericht von Wali Toros über die Vernichtung der Ximonpiraten, stand ja, dass dieser Oberst Briscot und Konsul Octavian von der Amalegion nach Caer übergesetzt hatten, um am Feldzug gegen die Invasoren teilzunehmen. Ich werde morgen gleich Depeschen fertigmachen lassen um sie nach Caer zu schicken. Vielleicht erfahren wir ja in der Antwort, was dort inzwischen geschehen ist!“
Murad al Chalid runzelte die Stirn und fügte mit hörbarem Bedauern in der Stimme hinzu: „Wenn ich ehrlich bin, würde ich gerne an des Hüters Seite in Caer kämpfen, anstatt Wüstenflöhe zu zählen!“
Der Kalif lächelte verständnisvoll, denn er verstand den heißblütigen Wüstenkrieger durchaus. Wenn Ragnor da Vidakar tatsächlich vorhatte, in nächster Zeit zum Gegenangriff überzugehen, dann würde er ihn natürlich unterstützen, und vielleicht würde sich dann eine Möglichkeit ergeben Chalids Wunsch zu entsprechen. Aber jetzt war nicht die Zeit dem jungen Mann falschen Hoffnungen zu machen. Noch war nicht klar, wie und wann der Kampf gegen Ximons Horden weitergehen würde.


„Baron Oswald da Kormon, bittet um eine Audienz, mein König“, verkündete der Haushofmeister, nachdem er zweimal mit seinem Zeremonienstab auf den Boden geklopft hatte, worauf sich des Königs Blick auf ihn gerichtet hatte, der gerade mit einigen der jungen Prätoren der Reichsritter in ein Gespräch vertieft gewesen war.
Ralph VI. runzelte einen Moment die Stirn und antwortete dann kurz, Desinteresse heuchelnd: „Teilt dem Baron mit, dass ich ihn heute Abend zur achten Stunde in meinen Privatgemächern erwarte!“
An die Prätoren gewandt, bemerkte er mit hörbarer Verachtung in der Stimme: „Mal sehen, ob er jetzt zu mir zurückgekrochen kommt, oder ob er zukünftig als Stiefellecker von Ragnor da Vidakar aufzutreten gedenkt!“
Aufmerksam beobachtete er ihre Reaktion auf seine Worte. Bei dreien von ihnen erkannte er Zustimmung, wie meist, wenn er etwas sagte. Nur der vierte von ihnen schien eher nachdenklich auf seinen Spruch zu reagieren. Also sprach er ihn in leicht spöttischem Ton an: „Na, Gundolf da Branstett, ihr scheint nicht meiner Meinung zu sein!“
Der junge Mann zuckte zusammen, ob der Rüge, antwortete dann aber nach kurzem Zögern mit fester Stimme: „Nun ich sehe in des Barons Entscheidung, gegen die Khitarer und ihre Dämonen vor Kiers zu kämpfen, nichts Ehrenrühriges. Aber ich gebe Euch recht, dass es nun zu prüfen gilt, wem er sich fürderhin anzuschließen gedenkt!“
„Wohl gesprochen, mein lieber Gundolf“, belobigte ihn der König, ob dieser Antwort. Dieser Prätor hatte Format, im Gegensatz zu den anderen drei Jasagern. Also beschloss der König ihn zukünftig im Auge zu behalten. Er konnte möglicherweise ein brauchbarer Nachfolger für Winfried da Kormon im Amt des Großmeisters sein, der zu den Amarittern übergetreten war, wie der König inzwischen erfahren hatte. Das war auch so ein Punkt, den er mit seinem Bruder Oswald bei ihrem bevorstehenden abendlichen Gespräch würde ansprechen müssen.
Was seine Reichsritter und deren aktuelle Prätoren anging, plante der König, sie in den nächsten Monaten hart ranzunehmen, um sie endlich zu einer wirklichen Waffe zu formen. Da würde es nicht ausbleiben, dass der eine oder andere unwillige Faulenzer ihm von der Fahne gehen würde. Aber das war vermutlich nicht zu ändern.

Am Abend, in des Königs Kemenate vor dem Kamin, ließ Ralph den Baron zunächst von der Schlacht berichten, obwohl er durch die Beobachter, welche er zurückgelassen hatte, bestens über deren Verlauf informiert war. Aber er wollte aus Oswald da Kormons Mimik und Erzählweise herauslesen, in wie weit sich dieser des Herzogs Pläne zu eigen machte.
Der kluge Oswald durchschaute diesen Plan natürlich und beobachtete seinerseits die Reaktion des Königs auf seinen Bericht. Da er ein recht talentierter Redner war, stellte er vor allem Ragnors taktische Finesse in den Vordergrund, welche die geringen Verluste erst möglich gemacht hatte.
So gelang es ihm, den König, ganz gegen dessen ursprünglich Absicht mit seinem Bericht zu fesseln, und er bemerkte, fast ein wenig amüsiert, dass sich in des Königs Gesicht die Faszination über den Verlauf der Schlacht mit blankem Neid auf seines Rivalen Fähigkeiten heftig stritten. Oswald da Kormon tat aber so, als ob er das nicht bemerken würde und bemühte sich seinen Bericht möglichst kühl rüberzubringen, um dem König keine Anhaltspunkte über seine eigenen zukünftigen Pläne zu liefern.
Als er schließlich geendet hatte, nahm der König einen tiefen Schluck aus einem prächtigen Weinpokal und resümierte in freundlichem Ton, in dem so etwas wie Reue mitschwang: „Vielen Dank, mein lieber Oswald. Danken wir Ama, dass der Herzog rechtzeitig die Pläne des verräterischen Botschafters durchschaut hat und die Invasionsarmeen vernichtet worden sind. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass mir das nicht gelungen ist, und ich mich von der vorgetäuschten Freundschaft dieses Schurken habe blenden lassen!“
Diese Aussage und die Art und Weise in welcher sie vorgebracht worden war, überraschte nun wiederum den Baron. Er musste anerkennen, dass der stolze Ralph einiges dazugelernt hatte, zumindest was Diplomatie und Ausdruck anging. Nun galt es, zu evaluieren, in wie weit sich sein politisches Streben verändert hatte.
Also bemerkte Oswald, des Königs Abbitte herunterspielend: „Nicht nur Ihr habt Euch täuschen lassen. Auch ich bin ihm lange auf den Leim gegangen. Er war wirklich gut darin uns mit Gold den Blick auf seine wahren Absichten zu verschleiern.“
Dieser Satz hatte den gewünschten Effekt, denn der König entspannte sich sichtlich, bei Oswalds Eingeständnis seines eigenen Versagens. Also fuhr der Baron fort, sich dem eigentlichen Thema seines Besuches nähernd: „Nachdem nun leider klar ist, dass Khitara beabsichtigte, den Nordkontinent zu erobern, müssen wir geeignete Gegenmaßnahmen einleiten. Ich denke, wir müssen die Ximonisten ihn ihren Stammlanden angreifen und vernichten. Sonst wird es niemals Ruhe geben!“
Der König schwieg einen Moment, bevor er Oswalds Aussage kommentierte: „Ich denke ihr habt recht damit, dass wir auch nach der Rückeroberung von Kiers nicht untätig bleiben dürfen.“ Mit einem schlauen Lächeln auf den Lippen fügte er hinzu: „Sicherlich hat Herzog Ragnor doch bereits Pläne gemacht, wie wir der Gefahr zukünftig begegnen können. Ich bin begierig zu erfahren, was er sich ausgedacht hat um der Gefahr Herr zu werden.“
Oswald tat so, als ob ihn des Königs Offerte überraschen würde, begann aber dann, wie er es mit Ragnor abgesprochen hatte von der Neuausrichtung der Milizregimenter und all den anderen Maßnahmen, welche im großen Kriegsrat vor Kiers besprochen worden waren, freimütig zu berichten.
Während er sprach, wiederholte sich in der Mimik des Königs der Widerstreit zwischen Faszination und Neid. Dennoch unterbrach er den Redefluss des Barons nur, um Verständnisfragen zu stellen, enthielt sich aber zunächst jeden Kommentars.
Als Oswald geendet hatte, schwieg er König erneut einen Moment, nahm abermals einen Schluck aus seinem Weinpokal, bevor er anhob zu sprechen: „Die vorgestellten Planungen erscheinen mit für einen ersten Wurf durchaus gelungen, insbesondere was die Einbindung unserer Verbündeten in den Feldzug jenseits des Meeres angeht. Was die internen Planungen in Caer angeht, schlage ich vor, dass wir einen Reichstag in Caerum abhalten, sobald Kiers gefallen ist.“
Oswald nickte zustimmend und bemerkte: „Dies ist auch der Wunsch von Herzog Ragnor. Er sieht das genauso wie Eure Majestät, dass die Planung des Feldzuges noch lange nicht abgeschlossen ist. Der aktuell vorliegende Plan ist, wie ihr richtig bemerkt habt, vor allem der Einbindung unserer ausländischen Verbündeten geschuldet. Schließlich sollten diese, nachdem die Reste des Feindes in Kiers eingeschlossen worden waren, so schnell wie möglich Caer verlassen.“
„Ja, das begrüße ich auch. Meine Späher haben mir berichtet, dass das Gros der Lorcaner bereits nach Duralum verschifft worden ist, und auch die Hälfte der Orkarmee durch Ragnors Flotte nach Norden gebracht wird. Alle anderen Verbände, welche sich auf dem Rückmarsch durch caersches Gebiet befinden, scheinen ohne allzu große Belästigung unserer Landbevölkerung abzuziehen. Es ist schon erstaunlich, wie es Ragnor gelungen ist aus der Barbarenhorde der Orks, eine disziplinierte Armee zu machen.“
Falls Oswald, das Lob für Ragnors Taten, welches in des Königs Worten durchaus mitschwang, überraschte, so ließ er es sich zumindest nicht anmerken und nahm selbst einen Schluck aus seinem Weinpokal. Doch bevor er sich äußern konnte, wechselte der König ins Private und fragte offen und unverblümt nach: „Nun mein lieber Oswald, wie werdet ihr es in Zukunft halten. Werdet ihr nach eurem Einsatz in Kiers wieder an meinen Hof zurückkehren, oder werdet ihr euch ganz und gar dem Hüter verschreiben!“
Mit einer so offen gestellten Frage hatte Oswald da Kormon nicht gerechnet und es entging ihm nicht, dass der König schmunzelte, als er seine Verblüffung und sein Zögern bemerkte. Ja, es war die Frage aller Fragen, die er sich momentan nicht einmal selber beantworten konnte. Also beschloss er ehrlich und mit offenem Visier zu antworten, was er ansonsten nie machte: „Eure Majestät, das weiß ich im Moment selbst nicht. Meine Welt liegt in Trümmern, wie die eure auch. Ragnor hat in allen Punkten recht behalten und lässt uns als Narren dastehen, ob er das beabsichtig hat oder nicht.“
Dieses Mal war es am König überrascht zu sein, denn dieser hatte erwartet, dass Oswald wortreich versuchen würde sich herauszuwinden. Mit einer geraden ehrlichen Antwort hatte er nicht gerechnet. Doch bevor er etwas erwidern konnte, fuhr der Baron in versöhnlichem Ton fort: „Ich trotz aller Ereignisse nicht vergessen, dass ich Euch viel verdanke. Deshalb bin ich bereit Euch auch weiter zum Wohle Caers zur Seite zu stehen, falls Ihr das wünscht. Aber es muss Euch bewusst sein, dass ich Ragnor bei seinem Kampf gegen Ximons Horden bedingungslos unterstützen werde, denn wir haben keine andere Wahl!“
Dieses ehrliche Angebot, war mehr als Ralph da Caer erwartet hatte, also prostete er Oswald freundlich lächelnd zu und sprach in ernstem Ton: „Ich bin froh, dass ihr so ehrlich mit mir umgeht. Inzwischen weiß ich das zu schätzen. Ich biete Euch hier und heute das Amt des Kanzlers von Caer an.“
Nach kurzer Überlegung streckte ihm Oswald die Rechte hin und antwortete: „Ich nehme Euer Angebot an. Gemeinsam sollten wir in der Lage sein das Königreich zu stabilisieren und im Einklang mit dem Kronrat vernünftige Entscheidungen zu fällen!“

Nachdem Oswald da Kormon gegangen war, rieb sich König Ralph zufrieden die Hände. Der erste Schritt zur Rettung seines Thrones war gemacht. Magnus da Momland war tot, Roger da Vuerkon und Anton da Loza hatte er in der Hand, und mit Oswald da Kormon als Kanzler hatte er einen Vermittler, um mit den Fürsten aus Ragnors Lager zurechtzukommen. Somit war die unmittelbare Gefahr einer Amtsenthebung durch den Kronrat wohl abgewendet.
So entspannt wie in dieser Nacht, hatte er sich schon lange nicht mehr zur Ruhe begeben. Die Dinge schienen nun in ein ruhigeres Fahrwasser zu geraten. Für alle Fälle hatte er ja immer noch Rolf und seine neu gegründete Mördergilde in der Hinterhand. Er würde sich keinesfalls kampflos vom Thron stoßen lassen, sollte das jemand ernsthaft versuchen. Schließlich hatte ja auch Ragnor einmal mit drastischen Mitteln die Machtverhältnisse im Thronrat verändert, ohne dass man ihn dafür hatte belangen können.

Als Oswald da Kormon am nächsten Morgen mit seinen Haustruppen nach Kormon aufbrach, resümierte er den gestrigen Tag. Nun der liebe Ralph ging inzwischen taktisch etwas klüger vor als früher. Es war unübersehbar, dass er momentan wohl innerlich zerrissen war zwischen dem Eingestehen seines Versagens verbunden mit moralischen Zweifeln und seinem verbissenen Kampf um den Thron.
Dies war eine labile, hochgefährliche Mischung, welche leicht außer Kontrolle geraten konnte. Ein gutes Beispiel war des Königs beiläufige Frage nach seinem Bruder gewesen, der ja sein Amt als Großmeister der Reichsritter aufgegeben hatte und inzwischen zu den Amarittern übergetreten war. Als Oswald ihm dann von Winfrieds Erlebnissen in der Schlacht um Kiers erzählte, in welcher er eigenhändig ein halbes Dutzend Dämonen mit einem der schwarzen Schwerter aus Krala getötete hatte, hatten die Augen des Königs geleuchtet. Er hatte nicht verbergen können, dass er es zutiefst bedauerte, bei diesen Heldentaten nicht dabei gewesen zu sein. Die Schlussfolgerung aus diesem Erlebnis seines Bruders, den Reichsrittern endgültig zu entsagen und den Amarittern beizutreten, hatte Ralph hingegen überhaupt nicht verstanden. Auch nicht, als ihn Oswald darauf hingewiesen hatte, dass es gerade die Ideale der Ritterschaft, welche der König den jungen Rittern immer gepredigt hatte, die Entscheidung seines Bruders maßgeblich beeinflusst hatten. Diese Reaktionen hatten Ralphs Zerrissenheit zwischen seinem moralischen Anspruch als erster Ritter von Caer und seinem Machtstreben als König mehr als deutlich gemacht. Ralph war, trotz aller Lektionen, die er seit seiner Thronbesteigung gelernt hatte, in seinem Herzen ein unreifer Jüngling geblieben.


Baron Lamar da Niewborg, der sich inzwischen mit den vier Regimentern seiner Miliz und fünfundzwanzigtausend Orks auf dem Weg zum großen Pass bei Mors befand, staunte über die Disziplin der Orks. Es hatte in den vergangenen zwei Wochen keinerlei Zwischenfälle mit der Landbevölkerung gegeben, an denen Orks beteiligt gewesen wären.
Als er am Abend mit Kamar und Egoman zusammensaß, bemerkte er deshalb voll des Lobes: „Ich muss Euch und Euren Kämpfern ein großes Lob aussprechen. Während ich bereits vier meiner eigenen Milizionäre wegen Belästigung von Frauen und Diebstahl bestrafen musste, haben sich Eure Krieger vorbildlich verhalten.“
Khan Egoman grinste ob dieser Aussage und bemerkte: „Nicht wirklich erstaunlich, so meine ich. Orks stehen nun mal nicht auf Menschenfrauen!“ Dann fügte er aber doch sichtlich stolz hinzu: „Seit wir dem Hüter folgen und erlebt haben, wie der Verfall der Sitten auch in unseren Klans uns geschadet hat, ist es eine Frage der Ehre für die Orks. Wir möchten um nichts auf der Welt den Eindruck wilder Barbaren erwecken, während wir durch das Gebiet unserer Verbündeten ziehen.“
Khan Kamar nickte zustimmend und prostete den beiden zu: „Sagt mal Lamar, könnten wir einige Brieftauben aus Mors mit hoch zum Pass nehmen. Ich möchte in Calfors Klamm einen kleinen Stützpunkt einrichten, in welchem ich unsere Brieftauben zurücklassen möchte. Das würde die Nachrichtenübermittlung zwischen Caer und meinem Dorf signifikant verkürzen!“
Lamar da Niewborg überlegte einen Moment, ob er eine Stationierung von Orks so nahe an seiner Grenze wirklich gut fand, schüttelte seine Zweifel dann aber ab und antwortete: „Das halte ich für eine wirklich gute Idee, mein lieber Kamar. Ich werde mich darum kümmern, sobald wir Mors erreichen.“
Kamar, der dem jungen Baron seine Zweifel bezüglich der Stationierung von Orks nahe Mors angesehen hatte, fügte lächelnd hinzu: „Ihr müsst Euch wegen der Stationierung keine Sorgen machen. Wir werden lediglich ein halbes Dutzend äußerst besonnener Kämpfer zurücklassen!“
Lamar war ein wenig verlegen, weil der Ork seine Mimik so treffend interpretiert hatte, bemerkte dann aber mit einem offenen Lächeln: „Lieber Kamar. Ihr seid ziemlich gut darin in den Gesichtern von Menschen zu lesen. Mir hingegen gelingt das bei Orks so gut wie gar nicht!“
Nun lachte Kamar und meinte: „Falls ihr das Lernen möchtet, müsst ihr, so wie ich es bei den vormaligen Bewohnern von Calfors Klamm getan habe, einfach einmal ein Jahr unter Orks verbringen. Dann könnt ihr das auch.“
Khan Egoman hob erneut seinen Krug, prostete Lamar zu und fügte sichtlich gut gelaunt hinzu: „Ich würde Euch dann natürlich zum Tigerklan einladen. Überlegt es Euch also, ob ihr uns besuchen wollt!“

Als der junge Baron dann am Abend unter seine Decke kroch, war er sehr zufrieden mit sich und der Welt. Je länger er mit den Orks reiste, desto höher waren sie in seiner Achtung gestiegen. Er mochte ihre Offenheit und Ehrenhaftigkeit. Wenn er so recht darüber nachdachte, war es doch ein merkwürdiger Zufall gewesen, dass Ragnor in seiner frühsten Jugend auf Kamar getroffen war. Manchmal konnte sich Lamar des Eindrucks nicht erwehren, dass vielleicht eine höhere Macht ihre Hand im Spiel gehabt haben mochte. Viele Ereignisse in den letzten Jahren hatten sich merkwürdig zu einem sinnvollen Ganzen gefügt.


Kanzler Oswald da Kormon hatte sich am ersten Abend nach dem Verlassen von Caerum in seinem Reisezelt gerade ein wenig entspannt, da wanderten seine Gedanken bereits wieder zu dieser merkwürdigen Orkfrau Brelara mit den tiefgründigen blauen Augen. Was war bloß los mit ihm, dass ihn diese Augen nicht mehr losließen. Er hatte schon so oft Gespräche mit interessanten Menschenfrauen geführt, die weitaus attraktiver gewesen waren als diese Orkfrau mit ihrem furchteinflößenden Gebiss. Ja, diese Orka war erstaunlich klug und weltoffen, und sie hatte seine Vorurteile gegen dieses Volk im Sturm hinweggefegt. Aber das erklärte nicht die Gefühle die er für sie zu entwickeln begann. Sie erinnerten ihn fatal an seine hoffnungslose Liebe zu Ragnors vormaliger Gefährten Dana, der Bogenschützin aus dem Waldvolk. Wo sollte das alles denn noch hinführen!
Fast ein wenig ärgerlich rief er sich in Gedanken zur Ordnung, dich ins Gedächtnis rufend, dass er, nachdem er in seiner Baronie alles Notwendige organisiert und angewiesen hatte, schleunigst wieder zu Ragnor nach Kiers zurückkehren musste, um sich mit ihm zu beraten. Trotz seines Paktes mit König Ralph, gedachte er Ragnor da Vidakar umfassend und ehrlich über alles zu informieren, was er erfahren hatte und diesem auch seine Einschätzung der Lage ohne jegliche Hintergedanken darzulegen. Vielleicht konnte er ja mit der Zeit wieder ein Stück Vertrauen zwischen sich und Ragnor aufbauen, welches er vor einigen Jahren, eines billigen Vorteils willen, so mutwillig verspielt hatte. Bei dem Gedanken lächelte er wehmütig und dennoch zufrieden darüber, dass er nun einen neuen Weg für sich und sein Leben gefunden hatte, von welchem er gedachte zukünftig nicht mehr abzuweichen. Zufrieden mit sich und der Welt drehte er sich zur Seite, um endlich zu schlafen. Doch da tauchten sie bereits wieder vor ihm auf, die strahlend blauen Augen der Orkfrau mit ihrer unergründlichen Tiefe.

Kapitel 2

Besagte Brelara inspizierte ein paar Tage später gerade, das Kommandozelt der Belagerungsarmee vor Kiers, als Ragnor da Vidakar eintrat, ein Bündel Pergamente unter dem Arm.

„Guten Morgen Brelara“, begrüßte er die Orkkriegerin, welche heute das Kommando über seine Leibwache innehatte.
Die Orkfrau drehte sich um und erwiderte mit ihrem für Menschen gewöhnungsbedürftigen Orklächeln: „Guten Morgen Ragnor, ich hoffe ihr hattet eine gute Nacht!“
„Danke der Nachfrage. Wenn ich Euch heute schon einmal alleine antreffe, liebe Brelara, wollte ich Euch fragen, wie Ihr mit dem Leben unter lauter Menschen so zurechtkommt?“
Die Kriegerin stutze ob dieser sehr persönlichen Frage. Aber eigentlich war sie es gewohnt, dass der Hüter Amas ganz anders war, als die meisten Menschen oder gar ihre Artgenossen. Sie hatte lange gebraucht um sich daran zu gewöhnen, ihn einfach mit seinem Namen anzusprechen, ohne dass sie sich dabei verbeugte.
Also antwortete sie frei heraus: „Am Anfang war es nicht einfach, nachdem das Gros meines Volkes nach Hause aufgebrochen war. Aber dann habe ich nach und nach das Gespräch mit Menschen gesucht und dabei herausgefunden, dass wir uns weniger voneinander unterscheiden, als ich zunächst angenommen habe. Insbesondere die allabendlichen interessanten Gespräche mit Baron Oswald da Kormon, habe ich inzwischen sehr schätzen gelernt. Eigentlich schade, dass er nach Hause zurückkehren musste.“
Ragnor, ein wenig erstaunt darüber, dass sich ausgerechnet Oswald mit der Orkfrau so intensiv befasst hatte, fragte interessiert nach: „Und was haltet ihr von Oswald, so als Mensch?“
Während er diese Frage stellte, beobachtet er das Gesicht der Orkfrau eingehend. Und siehe da, es war einen Moment so etwas wie Verlegenheit, ja gar ein leichtes Erröten, darin zu sehen, bevor sie zögerlich antwortete: „Ich finde der Baron ist ein sehr kluger Mann. Er ist im Gegensatz zu der Mehrzahl meiner männlichen Artgenossen ausgesprochen höflich!“
„Findet ihr ihn vertrauenswürdig, meine liebe Brelara?“; bohrte Ragnor da Vidakar weiter, nun begierig darauf zu ergründen, was der schlaue Baron mit seiner Annäherung an seine Leibwächterin wohl bezweckt haben mochte.
Dieses Mal antwortete Brelara spontan und ohne zu zögern: „Ja, ich denke man kann ihm vertrauen. Er hat sich unserer Sache voll und ganz verschrieben. Er hat im Laufe unserer langen Gespräche sogar offen eingestanden, dass das nicht immer so gewesen ist, und er vor Jahren einmal Euer Vertrauen missbraucht hat. Das spricht meines Erachtens sehr dafür, dass er es ehrlich meint.“
Nun war es an Ragnor überrascht zu sein. Das sah gar nicht nach dem Oswald aus, den er kannte. Das war nicht kühl, überlegt und konsequent auch den eigenen Vorteil ausgerichtet. Vor allem war erstaunlich, dass er einer Fremden Dinge anvertraut hatte, die man ansonsten nur engen Freunden oder vielleicht noch seiner Liebsten erzählte.
In diesem Moment traf ihn die Erkenntnis wie ein Schlag. Sollte sich der kühle Oswald etwa in Brelara verguckt haben. Eigentlich schwer vorstellbar! Aber wenn er so recht darüber nachdachte, hatte er ein derartiges Verhalten bei Oswald da Kormon in der Vergangenheit nur einmal beobachten können, nämlich als er sich so hoffnungslos in Ragnors verstorbene Gefährtin Dana verliebt hatte.
Also nickte er Brelara freundlich zu, dabei ihrer Erscheinung einmal mit den Augen eines Mannes musternd. Dabei blieb ihm nicht verborgen, dass sie durchaus über eine exotische Form von Attraktivität verfügte, bevor er bemerkte: „Ich freue mich darüber, dass ihr Oswald so einschätzt. Wir werden jeden loyalen Verbündeten brauchen bei unserem Kampf gegen die Ximonjünger. Oswald da Kormon wird übrigens in etwa einem Mond wieder zu uns stoßen, sobald er in seiner Baronie die notwendigen Anweisungen für die Umrüstung seiner Miliz erteilt hat.
Bei dieser Nachricht, blitzten Brelaras stahlblaue Augen erfreut auf. Es schien also zumindest Hoffnung für Oswald zu bestehen, dass auch die Orkfrau etwas für ihn empfand. Ragnor würde es den beiden gönnen, auch wenn ihm klar war, dass es für die beiden keinen leichten Weg geben würde zueinander zu finden. Alles was über Waffenbrüderschaft oder Freundschaft hinausging, würde im konservativen Caer auf wenig Verständnis stoßen.

Einige Stunden später trafen sich die Kommandeure von Ragnors Belagerungsarmee im Versammlungszelt.
Der Stollen, den die Mineure gen Kiers vorantrieben, hatte die Ebene erreicht und näherte sich unaufhaltsam der Stadtmauer. Nun war es an der Zeit genügend Lärm zu veranstalten, damit in der Stadt niemand den Angriff von unter bemerkte.
Nachdem sich alle versammelt hatten, erteilte Ragnor dem Anführer der Mercaner, dem Meisterschmied Heimdal, das Wort. Er sollte den Anwesenden das geplante Vorgehen bei der Beschießung der Stadt erläutern.
Der inzwischen ergraute, stämmige Mercaner verbeugte sich knapp, blickte in die Runde und begann forsch und zielgerichtet, wie es so seine Art war, mit seinem Vortrag:
„Meine Herren. Wie ihr ja alle wisst, haben wir ein neuartiges Hindernis, so eine Art Schutzschirm, zu überwinden. Wir vermuten, dass er von den zauberkundigen Ximonpriestern errichtet wurde. Wir wissen gegenwärtig noch nicht, wie er auf massiven Beschuss reagieren wird, also gilt es, das herauszufinden. Wir haben deshalb eine Doppelstrategie ausgearbeitet, welche die Beschießung der Toranlage und die des Schutzschirmes kombinieren wird.“
„Können wir denn das Tor überhaupt treffen?“, fragt Baron Raskal da Momland skeptisch nach. „Dieser Schutzschirm beginnt doch, soweit ich das verstanden habe, oberhalb der Mauerkrone!“
„Das ist richtig“, antwortete Heimdal. „Es ist uns aber gelungen eine Flugbahn zu berechnen, sodass wir das Tor in der unteren Hälfte treffen werden. Das ist zwar nicht besonders effektiv, aber wir werden es kleinkriegen, denn wir beschießen es nicht nur mit Steinkugeln, sondern auch mit Vidakarer Feuer.“
Nun mischte sich Ragnor ein und bemerkte: „Das wird das Tor vermutlich nicht allzu lange aushalten. Gleichzeitig werden wir mit einer Art Trommelfeuer die Schutzschirmkuppel beschießen. Das wird die Ximonpriestern hoffentlich daran hindern ihren Schutzschirm einfach zu erweitern, um das Tor zu schützen.“
„Was ist ein Trommelfeuer“, fragte der Momländer nach, von dem bekannt war, dass er immer alles ganz genau wissen wollte.
„Nun wir werden mit den großen Belagerungsbliden im Abstand von etwa zwei Minuten feuern und dabei versuchen, die Geschosse alle auf den selben Punkt dieses Schutzschirmes zu platzieren.“, antwortete der Mercaner.
„Na dann wollen wir mal hoffen, dass unsere gewichtigen Steinschläge den verdammten Ximonpriestern ordentlich Kopfschmerzen bereiten werden!“, knurrte der Baron von Momland, nun erheblich zuversichtlicher als zu Beginn des Kriegsrates.
„Wir werden auf jeden Fall diesen rauchig roten Schirm genauestens beobachten. Vielleicht kann man an der Intensität der Färbung feststellen, was unser Beschuss bewirkt. Ich hatte eh den Eindruck, dass er die letzten Wochen recht schwach geleuchtet hat. Ich vermute, dass momentan nur wenige Priester ihn aufrechterhalten. Deshalb werden wir zuerst mit der Beschießung des Schirmes beginnen, bevor wir das Tor ins Visier nehmen, denn ich hoffe, dass der massive Beschuss die Ximonpriester daran hindert ihren Schirm umgehend zu erweitern.“, fasste Ragnor den Angriffsplan für alle Anwesende noch einmal zusammen.
Oberst Briscot, der Kommandeur der Vidakarer Belagerungsregimenter, hob seinen Krug und prostete seinen Kameraden zu: „Trinken wir auf den Erfolg unserer Beschießung. In fünf Tagen sind dann auch die Stollen unter der Landmauer so weit fertig. Dann können wir diese zum Einsturz bringen und dann Feuer mit unseren Pfeilkatapulten in die Stadt tragen.“

Auf dem Rückweg in sein Zelt ging Ragnor den Plan noch

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Jürgen Friemel
Bildmaterialien: McCarthy's PhotoWorks | shutterstock.com - Medieval Knights
Lektorat: Katja Friemel
Tag der Veröffentlichung: 15.08.2019
ISBN: 978-3-7487-1294-7

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich möchte mich ganz besonders bei Beate Rocholz für ihr großartiges Cover-Design bedanken, welches der gesamten Saga ein Gesicht gegeben hat.

Nächste Seite
Seite 1 /