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Prolog

Lästerlich fluchend saß Xitroca, der Protektor Ximons, in seiner kleinen bizarr dekorierten Kammer in der schwarzen Burg des Dämonenfürsten Xytramon. Dieser genoss es, seit der Diener Ximons, des ungeliebten Herrn aller Dämonen bei ihm angekommen war, ihn mit den niedrigsten Aufgaben zu schikanieren. Mehr als einmal hatte Xitroca den Tag verflucht, an dem er aus Todesangst von Burg Samarkon in den Orcus geflohen war. Fürst Xytramon verfolgte ihn mit seinem ätzenden Spott, und die ganze Dämonenbrut lachte jedes Mal, wenn sie ihm in den muffigen Gängen der Festung begegneten.Finsterer Hass brodelte in ihm und er schwor sich, es den aufgeblasenen Dämonen heimzuzahlen, wenn er erst einmal wieder zurück auf Makar war, zurück in der Dimension, in der sein Herr herrschte. Dann würde er sie für die Schmach leiden lassen, denn dort waren sie seinen Kräften ausgeliefert und waren gezwungen seinen Befehlen zu gehorchen. Hier im Orcus war ihm das nicht möglich, denn in ihrer Heimat waren die Dämonen frei und konnten von ihm nicht gebannt werden. Also ertrug er zähneknirschend die Demütigungen, weil er in einer direkten, körperlichen Auseinandersetzung mit den Dämonen immer den Kürzeren ziehen würde. Mit seinem kultivierten, aber nicht sonderlich trainierten, Zivilisationskörper hätte er gegen ihre Fänge und Klauen keinerlei Chance. Sie würden ihn zwar aus Furcht vor Ximon, seinem finsteren Herrn, nicht töten, aber sie würden ihm jeden auch nur erdenklichen Schmerz zufügen, falls er es wagen würde, einen der Ihren anzugreifen.

 

Der einzige Trost, der ihm momentan blieb, war, dass ihm der Dämonenfürst versprochen hatte, ihm am Ende seiner Dienstzeit einen Kampfkörper zur Verfügung zu stellen, mit dem er erfolgreich auf Makar bestehen konnte. Natürlich war diese Gabe Xytramons nicht selbstloser Natur. Wenn wenn er nach der Erfüllung seiner Aufgabe seinen alten Körper zurückhaben wollte, würde er für ein weiteres Jahr im Orcus dienen müssen. Doch auf der anderen Seite musste er auf Makar nun fast nichts mehr fürchten, denn falls sein Kampfkörper je dort getötet werden würde, konnte sein Geist in seinen Originalkörper im Orcus zurückkehren. Dann wäre er zwar jedes Mal für ein weiteres Jahr zum Dienst bei Xytramon verdammt, aber das war immer noch besser als tot zu sein.Der Protektor Ximons seufzte aus tiefster Seele. Das Jahr im Dienste Xytramons hatte ja leider erst gerade begonnen und er hatte keine Wahl als eine gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Doch war das alles noch besser, als sich dem Zorn Ximons, seines finsteren Gottes, zu stellen, denn für sein Versagen auf Makar hatte er von ihm keine Gnade zu erwarten.

Orte der Handlung

Kapitel 1

Der Hochsommer regierte in Caer, dem mächtigsten Königreich auf dem Nordkontinent des Planeten Makar, welcher einsam um eine Riesensonne am Rand des Andromedanebels kreiste. Die große, rotgoldene Sonne stand strahlend am tiefblauen Firmament über der fruchtbaren Tiefebene der Grafschaft Kaarborg und sie versprach den Bauern eine gute Ernte, falls das Land in diesem Jahr vom Hagelschlag verschont blieb.

 

Für die Jungritter auf Burg Kaarborg, dem Sitz des mächtigen Grafen von Kaarborg, die sich gerade auf ihre Prüfung und den lang ersehnten Ritterschlag vorbereiteten, war das heiße und trockene Sommerwetter allerdings keine reine Freude. Wenn sie in ihren schweren, glutheißen Panzerrüstungen schwitzten, verfluchte so mancher von ihnen das schöne Wetter. Erst gegen Abend konnten die jungen Männer die Freuden der warmen Sommerabende genießen. Dann saßen sie meist im großen Biergarten ihrer Lieblingsschänke dem Hirschen, um das süffige Kaarborger Bier zu genießen und mit den sommerlich gekleideten Schankmägden zu flirten, welche mit ihren Reizen nicht gerade geizten.

 

Ragnor hingegen genoss das schöne Wetter in vollen Zügen. Die Hitze machte ihm nur wenig aus, denn sein ganzer Ehrgeiz war darauf gerichtet, beim Turnier in Caerum gut abzuschneiden. Er war im Moment eigentlich rundherum zufrieden mit sich und seinem Leben, denn jetzt gehörte er endlich dazu. Er war inzwischen sogar zu so etwas, wie dem heimlichen Führer der Jungritter aufgestiegen, da ihm seine Leistungen im gerade überstandenen Krieg mit dem Baron von Harkon und seinen Verbündeten mehr als nur Respekt verschafft. Selbst sein ehemals schwieriges Verhältnis zu Ralph da Caer, dem designierten Thronfolger des Königs, hatte sich erfreulich entspannt, denn die beiden jungen Männer hatten gelernt kameradschaftlicher und konstruktiver miteinander umzugehen. Das lag vor allem daran, dass der stolze Prinz kein Wort mehr über Ragnors bürgerliche Herkunft verlor, ihn im Gegenteil sogar besser behandelte als die anderen Jungritter und wann immer sich die Gelegenheit bot, das direkte Gespräch mit ihm suchte. Ragnor, dem die Anfeindungen der Vergangenheit nur noch zu gut im Gedächtnis haften geblieben waren, verhielt sich in der Gegenwart von Ralph da Caer in der Regel äußerst zurückhaltend und versuchte Themen zu vermeiden, bei denen er grundsätzlich anderer Meinung war als der äußerst konservative Prinz.

 

Der bullige Fukur da Seeborg hingegen, mit dem Ragnor noch ein Hühnchen wegen seines Anschlages auf seine Ziehtochter Mirana zu rupfen hatte, kapselte sich inzwischen vollständig von der Gruppe der Jungritter ab. Sobald die Kampfausbildung am Nachmittag beendet war, zog er sich zurück, wobei keiner von den anderen so recht wusste, was der verbitterte, junge Mann in seiner Freizeit eigentlich so trieb.

 

Neben dem Unterricht und der Turnierausbildung blieb Ragnor genauso wie den anderen Jungrittern nur wenig freie Zeit. Wann immer er und seine beiden Freunde Ansgar da Lorcamon und Lamar da Niewborg es einrichten konnten, verbrachten sie ein paar Stunden mit Ragnors alten Freunden aus Calfors Klamm. Insbesondere die kleine Mirana, Ragnors Mündel, war jedes Mal überglücklich, wenn sie ihren „Vater“, wie sie Ragnor liebevoll nannte, und ihren „Ritter“, das war Ansgars Spitzname, um sich haben konnte. Ihre liebste Beschäftigung war es, den jungen Männern stundenlang Löcher in den Bauch zu fragen. Ihrem „wieso“ und „warum“ konnte man kaum entkommen. Alles, was sie beim alten Lars in ihren Schulstunden am Morgen gelernt hatte, wurde von ihr am späten Nachmittag dann aufs Genaueste hinterfragt.

 

Als Ragnor sich deshalb einmal bei seinem alten Lehrer ein wenig genervt beklagt hatte, lachte der Alte herzlich, was er, seit Tanas Tod, kaum mehr getan hatte, und wies diesen daraufhin spöttisch mit folgenden Worten zurecht: „Ich weiß gar nicht, was du eigentlich willst. In diesem Punkt könnte Mirana ja direkt deine leibliche Tochter sein. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie du mir in diesem Alter andauernd mit deinen Fragen auf die Nerven gegangen bist. Also trage es mit Fassung! Es gab Tage, da hätte ich dir gerne auch mal den Mund zugebunden, weil du so gar keine Ruhe geben wolltest.“

 

Lachend gab sich der junge Mann daraufhin geschlagen, denn sein alter Mentor hatte nur zu Recht. Schuldbewusst grinsend bot er seinem Lehrer einen frischen Krug Bier an, doch der alte Mann lehnte dankend ab. Seit Tanas grausamem Tod trank er nur noch selten, so als ob es ihm, ohne Tanas ewige Mahnungen, doch weniger zu trinken, keine Freude mehr machte. Trotzdem beunruhigte es Ragnor nicht, denn sein alter Lehrer schien sich in der Zeitspanne, als er selbst im Krieg gegen die Harkonen gestanden hatte, wieder gefangen zu haben. Und doch war zwar stiller und ernster geworden. Dafür machte er den Anschein wieder voll und ganz in seinem alten Beruf als Lehrer aufzugehen, und es machte ihm scheinbar nichts aus, so manchen Tag mehr als zehn Stunden ununterbrochen zu arbeiten. Im Gegenteil, es machte ihm großen Spaß, den Kindern der Burg das Lesen und Schreiben beizubringen. Doch das noch größere Vergnügen war für ihn, die „ungebildeten“ jungen Adeligen am Nachmittag mit Mathematik und Ballistik zu quälen. Zusammen mit dem Kastellan Svartan da Kaarkon und dem greisen General Milas hatte er sich zur Aufgabe gesetzt, eine neue militärische Elite heranzuziehen, die mehr konnte als tapfer mit der Lanze in der Faust einem Feind entgegenzustürmen. Dabei hatte sich zwischen den alten Männern, zu denen auch noch Linus der Haushofmeister gehörte, eine echte Freundschaft entwickelt. Sie verbrachten so manchen gemeinsamen Abend bei Gesprächen über die Zukunft des Reiches oder hin und wieder auch einfach mit Kartenspielen.

 

An einem der lauen Sommerabende, den Ragnor wie gewöhnlich mit seinen Freunden im Biergarten verbrachte, saßen sie nach ihrer schweißtreibenden Tagesarbeit wieder einmal beieinander und ließen die Bierkrüge kreisen. Sie hatten auch Grund zu feiern, denn sie hatten alle die schriftliche Prüfung bestanden, für die sie die letzten Wochen gebüffelt hatten. Obwohl es für einige der jungen Männer recht knapp gewesen war, war der Kastellan mit den Ergebnissen sehr zufrieden gewesen. Schließlich waren sie die erste Generation von Rittern, die über eine vernünftige Grundbildung in Geschichte, Mathematik und Militärtaktik verfügte. Von den meisten Gästen nicht beachtet, betrat ein bunt gekleideter Bänkelsänger den Biergarten. Die jungen Männer bemerkten ihn zuerst nicht, da die Bewohner des Königreiches Caer von einem eher nüchternen Menschenschlag sind und daher nicht all zu viel für Musikanten übrig haben. Ragnor war in seinem bisherigen Leben noch keinem Spielmann, geschweige denn einem der legendären Barden, welche im Nachbarkönigreich Lorca so hoch geschätzt wurden, begegnet.

 

Als der reisende Bänkelsänger dann begann zur Laute zu singen, empfanden das die Jungritter zunächst eher als störend, denn der Sänger war nicht besonders gut und seine Stimme konnte oftmals den Ton nicht richtig halten. Einzig Rolf da Maarborg schien sich anfangs für ihn zu interessieren, doch konnte man auch seinem Gesichtsausdruck entnehmen, was er von der Kunst des Spielmanns hielt. Nach einer Weile hatte dieser ebenfalls genug und ging, als der Spielmann eine Pause machte, zu ihm hinüber und bat ihn, ihm seine Laute einmal für einen Moment zu borgen. Der Spielmann war zuerst erstaunt über das Ansinnen des jungen Mannes, wagte es dann aber natürlich nicht einem Adeligen seine Bitte abzuschlagen und reichte ihm schließlich das Instrument.

 

Rolf setzte sich auf den Platz, auf dem der Spielmann vorher gesessen hatte, und begann mit einer ausdrucksvollen, männlichen Stimme ein Liebeslied zu singen, wobei er sich gekonnt auf der Laute begleitete. Ragnor und die anderen Jungritter waren sehr überrascht, denn keiner hätte vermutet, dass ihr oftmals mürrisch wirkender Kamerad über derartige Talente verfügte. Ragnor unterbrach sein Gespräch, welches er gerade mit Lamar da Niewborg geführt hatte und hörte fasziniert zu. Ralph da Caer hingegen ließ es sich nicht nehmen, ein wenig zu sticheln, als Rolf an den Tisch zurückkam: „Heil dir ‚Barde von Maarborg’.“ Rolf schaute ihn daraufhin mit ernster Miene an und erwiderte mit fester Stimme, in der ein merklich ärgerlicher Unterton mitschwang: „Es wäre eine Ehre für mich, wenn man mich irgendwann einmal so nennen würde. Du kannst das vielleicht nicht verstehen, aber die Musik gibt mir sehr viel mehr als das Schwert und das ganze verdammte Rittertum.“ Ragnor, dem das Lied ausgezeichnet gefallen hatte, hielt sich auf ihrem Rückweg zur Burg neben Rolf und fragte ihn schließlich neugierig: „Wie bist du zu Laute und Gesang gekommen. Ich bin zwar noch nie einem Spielmann begegnet, aber das, was du da gesungen hast, hat mir wirklich gut gefallen. Ich hätte nicht gedacht, dass ein Lied die Gefühle so ansprechen kann. Ich habe während deines Vortrages immerzu an deine Cousine Heike denken müssen und was ich für sie empfinde.“

 

Rolf war ausgesprochen erfreut darüber, dass sich Ragnor zum einen für seine Musik interessierte und zu anderen, dass er seine Cousine nicht vergessen hatte, und antwortete ihm daher bereitwillig: „ Es freut mich, dass dir meine Musik gefallen hat. Du musst wissen, meine Mutter stammt aus Lorca und sie hat mir das Spiel auf der Laute beigebracht. Dabei habe ich meine Leidenschaft für das Komponieren von Liedern entdeckt. Das Lied, das ich heute Abend gesungen habe, habe ich auch selbst komponiert.“ „Es hat mir wirklich sehr gut gefallen“, sagte Ragnor leise und mehr zu sich selbst, um sich dann wieder an Rolf zu wenden und ihn fast schüchtern zu fragen: „Meinst du es wäre möglich, dass du mir das Spielen auf der Laute beibringen kannst? Ich würde es wirklich gerne lernen.“ Rolf lächelte freundlich und antwortete lebhaft: „Na klar! Ich würde mich freuen. Aber stelle es dir nicht so leicht vor. Am Anfang ist das ziemlich schwierig und klingt meistens fürchterlich.“

 

Rolf da Maarborg sollte in dieser Sache Recht behalten. Die ersten Versuche mit der Laute, welche ihm Rolf von einem Händler aus Lorca besorgt hatte, waren wenig ermutigend. Jedoch wollte Ragnor, wie es eben seine Art war, so schnell nicht aufgeben. Es gelang ihm schließlich durch zähes Üben, bei dem er mehr als einmal seinen Pagen Klaus in die Flucht getrieben hatte, die ersten Grundakkorde sauber spielen zu lernen. Das Singen gelang ihm erheblich besser und Rolf meinte sogar, dass er über eine talentierte Stimme verfüge. Das spornte ihn weiter an, auch wenn er es in Gegenwart der anderen Jungritter nicht wagte zu singen, genoss er es jedes Mal, Rolf da Maarborg dazu zu bringen, seine Laute auszupacken und für ihn und seine Kameraden zu singen und zu spielen. Die gemeinsame Leidenschaft für die Musik vermochte, was die Befreiung von Farsborg nicht fertig gebracht hatte. Sie machte Rolf da Maarborg endlich zu einem echten Freund. Dessen Achtung und Loyalität war sich Ragnor ja bereits vor Farsborg sicher, als er Rolfs Verwandte durch seinen Angriff auf die Kralapiraten rettete, die zuvor versucht hatten, die kleine Burg zu stürmen. Doch es war trotzdem immer eine innerliche Distanz da gewesen, die sie bis dahin nicht fähig gewesen waren zu überwinden. Sie war sogar aufgrund von Ragnors Führerrolle und einiger anderer unerfreulicher Ereignisse im vergangenen Krieg eher sogar größer geworden. Doch nun im kleinen Kreis von Ragnors Freunden, bei denen sich die kleine Mirana als begabte Sängerin hervortat, schwand diese distanzierte Haltung mehr und mehr. Dabei wurde Rolf da Maarborg von Mal zu Mal mehr bewusst, dass er Ragnor und seine Freunde wirklich mochte. Sie waren offen in ihren Äußerungen und Gefühlen, und man hatte nicht das Gefühl, wie es bei Ralph da Caer oder Oswald da Kormon gewesen war, dass alles, was sie taten und sagten nur aus purer Berechnung geschah. Und so kam es, dass aus dem Trio der verschworenen Freunde ein Quartett wurde, was auch Ansgar und Lamar begrüßten, nachdem sie erkannt hatten, dass hinter der schroffen Fassade von Rolf da Maarborg ein wirklich netter und ehrlicher Kerl steckte.

 

Ralph da Caer blieb diese Entwicklung natürlich nicht verborgen, und er verdoppelte seine Bemühung sich Ragnor zum Freund zu machen, soweit er, gefühlskalt wie er war, überhaupt wissen konnte, was Freundschaft war. Es beunruhigte ihn irgendwie schon, wenn er sah, wie leicht es Ragnor gelang, loyale Freunde zu gewinnen. Die Kluft, die sich zwischen Ragnor und den anderen Jungrittern während des Feldzuges aufgetan hatte, war in der Normalität ihres Jungritterdaseins auf Burg Kaarborg langsam wieder geschlossen worden. Insbesondere nach der Rückkehr von Lamar da Niewborg, der ja bei all diesen schrecklichen, teilweise auch übernatürlichen Ereignissen nicht dabei gewesen war, hatte sich Ragnors Freundeskreis schnell wieder gefunden.

 

In der Burg schritten inzwischen die Vorbereitungen für den Reichstag in Caerum zügig voran und nichts schien mehr an den gerade überstandenen Krieg zu erinnern. Doch das sollte nicht so bleiben! An einem Spätnachmittag, etwa zwei Wochen vor ihrem geplanten Aufbruch nach Caerum, holte den jungen Mann die Vergangenheit erbarmungslos wieder ein. Graf Rurig war am Morgen dieses Tages aus Caerum zurückgekehrt und auch Admiral Mennos Flaggschiff, der Falke von Lorcamon, hatte gegen Mittag desselben Tages im Hafen der Insel Kaar festgemacht.

 

Ragnor dachte sich eigentlich nichts dabei, als Menno, der ihn wie immer freundlich begrüßte, zwischen Tür und Angel mitteilte, dass er sich zusammen mit seinen Freunden am Abend bei Graf Rurig einfinden solle. Es gäbe einige Neuigkeiten zu besprechen. Als er ihn fragte, ob er Rolf da Maarborg auch einladen dürfe, da er ihn nun ebenfalls zu seinen Freunden zählte, zögerte Menno einen Augenblick, stimmte dann aber kopfnickend zu. Die jungen Männer versammelten sich zu Beginn der Abenddämmerung in Graf Rurigs Gemächern. Jeder von ihnen wurde vom Grafen mit Handschlag begrüßt, was vor allem Rolf da Maarborg sehr beeindruckte und ihn am Anfang ein wenig verlegen herumstehen ließ. Doch er bemerkte schnell, dass sich sein Lehnsherr in diesem Kreis völlig ungezwungen bewegen konnte und er war sehr stolz darauf, dass er nun ebenfalls dazu gehören durfte. Zwar hatte ihn Lamar da Niewborg in die Besonderheiten dieser Treffen mit dem Grafen, als Ragnor die Einladung zu Beginn des Nachmittagsunterrichtes ausgesprochen hatte, eingeweiht, jedoch hatte er sich das trotzdem alles nicht so recht vorstellen können. Es wurde ihm schnell klar, dass Graf Rurig in dieser Runde nicht nur Höflichkeiten austauschte, wie das meistens der Fall war, wenn er mit seinen Vasallen oder zu offiziellen Anlässen in großem Kreis, auftrat. Es ging ihm bei diesem Treffen mit seinen Freunden ganz offenbar um wirklich wichtige Dinge. Nachdem sich alle gesetzt hatten, prostete ihnen Graf Rurig zu und bemerkte dann ernst: „Leider findet unser heutiges Treffen nicht nur aus dem Grunde statt, dass ich euch einige Wochen nicht gesehen habe. Es gibt Einiges zu besprechen.“ Der Graf räusperte sich kurz und fuhr dann fort: „Nun zuerst zu den guten Nachrichten. Der König war sehr zufrieden mit dem Verlauf des Krieges und hat unsere Entscheidungen in allen Punkten gebilligt. Er hat auch, wie wir erhofft hatten, beschlossen, auf dem Reichstag, die Frage der Nachfolger von Kreeg da Harkon und Klees da Ahrborg abschließend klären zu lassen. Leider ergibt sich daraus bereits der erste unerfreuliche Aspekt. Er hat nämlich allen Anwärtern auf eine der beiden Baronien, also auch Atz da Ahrborg freies Geleit und Unantastbarkeit zugesichert, solange sie beim Reichstag in Caerum weilen.“

 

Ragnor konnte nicht glauben, was er da gerade zu hören bekam und unterbrach Rurig aufgebracht: „Aber wie kann er so etwas tun. Atz da Ahrborg ist ein Verbrecher, der nicht nur Tana, sondern ja ganz offensichtlich auch seinen eigenen Vater umgebracht hat.“ „Dafür gibt es aber keine hieb- und stichfesten Beweise und es ist leider üblich, allen Bewerbern für ein Kronlehen freies Geleit zuzusichern. Normalerweise eigentlich eine ganz sinnvolle Einrichtung, denn ansonsten könnte man unliebsame Bewerber auf dem Wege einer Forderung zum Zweikampf bequem ausschalten“, antwortete ihm der Graf mit offensichtlichem Bedauern in der Stimme und fuhr dann grimmig fort: „Wenn wir schon mal bei den unangenehmen Dingen sind: Per da Loza, der regierende Baron von Loza, hat beim hohen Gericht Anklage gegen dich wegen Mordes an seinem Sohn Hamkar erhoben.“ Als Ragnor wiederum wütend hochfahren wollte, legte ihm sein väterlicher Freund die Hand auf die Schulter, drückte ihn wieder auf seinen Platz zurück und sagte streng und fast ein wenig ärgerlich: „Nun rege dich nicht schon wieder so maßlos auf. Es ist doch ganz normal, dass er das tut! Schließlich hast du seinen Sohn erschlagen. Aber wir werden seiner lächerlichen Anklage angemessen begegnen. Schließlich liegt ein schriftlicher Bericht von Fulk da Leca vor, den Boos da Maaslund als Vertreter der Reichsritter ebenfalls unterzeichnet hat. Damit sollte die Sache schnell erledigt sein. Aber wir müssen uns auf jeden Fall darauf einstellen, dass der Baron von Loza die Sache nicht dabei bewenden lassen wird. Er wird versuchen uns Schwierigkeiten zu machen, wo immer er kann, und er ist ziemlich gut in diesem Punkt, das kann ich euch aus eigener Erfahrung sagen.“ „Was meinst du, wird er unternehmen?“, fragte sein alter Weggefährte Menno besorgt nach. „Ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung“, gestand der Graf nachdenklich ein. „Ich weiß momentan nicht einmal so recht, mit wem er es in letzter Zeit hält. Ich denke, dass er zumindest bei den Beratungen im Kronrat keine Gelegenheit auslassen wird, um mir Ärger zu machen. Ich hoffe nur, dass er es nicht so weit treibt und das traditionelle Bündnis Lozas mit dem König aufkündigt. Aber selbst das wäre ihm zuzutrauen.“ Ernst nahm der Graf einen tiefen Schluck aus seinem kostbaren, aus getriebenem Silber gearbeiteten, Bierkrug und schwieg für einen Augenblick. „Gibt es sonst noch etwas Berichtenswertes, Herr Graf?“, fragte Lamar da Niewborg respektvoll nach. „Ach, ja“, antwortete Rurig lächelnd. „Das hätte ich ja fast vergessen. Ich habe in Caerum mit Koveatas, dem ersten Amapriester von Caer, gesprochen. Das Priesterkollegium der Hauptstadt hat die versteinerte Klaue untersucht, die Admiral Menno von Santander nach Caerum geschickt hatte und zweifelsfrei festgestellt, dass es sich tatsächlich um die Hand eines Dämonen handelt. Dieser Umstand wird uns sicherlich helfen und ich hoffe, dass wir mit der Aussage des allseits geachteten Amapriesters den Kronrat in unserem Sinne beeinflussen können, wenn es um die Würdigung des Krieges und die Klärung der Nachfolgefrage in Harkon und in Ahrborg geht.“ An Ragnor gewandt fuhr Rurig fort: „Der ehrwürdige Koveatas hat mich übrigens gebeten, dich von ihm zu grüßen. Er erwartet von dir, dass du bei unserem Aufenthalt in Caerum Zeit findest, ihn auf ein Gespräch zu treffen. Er würde sich gerne einmal mit dir über den Vorfall persönlich unterhalten. Das Auftauchen eines Dämons nach mehr als einhundert Jahren der Ruhe hat ihn sehr beunruhigt.“

 

Es wurde ein langer Abend, denn die Runde unterhielt sich äußerst angeregt bis in den frühen Morgen. Es herrschte ja auch kein Mangel an Gesprächsstoff. Insbesondere die Nachfolgefrage der beiden vakanten Baronien stand im Zentrum der Diskussionen. Das war auch ein kein einfaches Thema, denn der König war durch das verbriefte Standesrecht, welches seine Feudalfürsten zu Lebzeiten seines Vaters sehr zu ihren Gunsten verändert hatten, gebunden. Die Ablösung einer regierenden Familie war ihm danach nur dann gestattet, wenn sich alle der nachfolgeberechtigten Mitglieder eines Hauses ohne Ausnahme des Hochverrates schuldig gemacht hatten. Für den Ausschluss eines einzelnen Bewerbers von der Erbfolge galt dabei derselbe Maßstab. Basierend auf diesen Rahmenbedingungen würde es für Kaarborg und seine Verbündeten vor allem darum gehen, möglichst das Geschlecht der Harkonen für immer los zu werden und in Ahrborg zumindest den Antritt des Erbes durch Atz da Ahrborg zu verhindern. Aber es stand auch fest, dass es für sie nicht einfach werden würde, da die anderen Feudalfürsten in der Regel eifersüchtig darüber wachten, dass sich das Machtgefüge nicht zugunsten des Königs veränderte. Sie hatten keinerlei Interesse daran, dass Ralph V die Gelegenheit bekam, sich durch die Neuvergabe eines Reichstitels einen neuen Verbündeten zu schaffen. Es würde also mehr als schwierig werden.

 

Als Ragnor dann schließlich zu Bett ging, waren am Horizont schon die ersten zartrosa Grauschleier des erwachenden Tages zu erkennen. Obwohl er hundemüde war, konnte er lange nicht einschlafen. Es fraß an ihm, dass er nichts gegen Atz da Ahrborg würde unternehmen können, wenn dieser auf dem Reichstag in Caerum erschien. Graf Rurig, der sehr wohl bemerkte, wie bereits den ganzen Abend die Wut an Ragnor genagt hatte, nahm ihn, kurz bevor dieser zu Bett ging, noch einmal zur Seite und erklärte diesem eindringlich, dass daran nichts zu ändern war. Man durfte dem Ahrborger während der Schutzfrist nicht einmal die Forderung zu einem Zweikampf übermitteln. Trotzdem tröstete es Ragnor ein wenig, dass Rurig ihm glaubhaft versichern konnte, dass auch er ebenfalls und auch weiterhin entschlossen war, den Tod Tanas zu rächen und den Ahrborger nicht so einfach davon kommen zu lassen.

 

Die Abreise zum Reichstag näherte sich nun mit Riesenschritten und die Jungritter hatten alle Hände voll damit zu tun, all die Anforderungen, die ihre Lehrer an sie stellten, zu erfüllen. Wenn sie sich am Abend im Biergarten des Hirschen trafen, lechzten sie nach etwas Abwechslung vom langweiligen Unterricht. An einem der Abende hatte Rolf da Maarborg wieder einmal seine Laute mitgebracht, um ein paar Lieder zum Vortrag zu bringen. Das machte den sonst eher schüchternen Rolf zum bewunderten Helden der Schankmädchen, was ihm die uneingeschränkte Anerkennung der Jungritter einbrachte, die mit seinen Minneliedern ansonsten eher weniger anfangen konnten. Rolf hatte gerade seinen Vortrag beendet und die Laute zur Seite gestellt, um sich mit einem Schluck Bier die Kehle anzufeuchten und einen Happen zu essen, da nahm Ragnor Rolfs wunderschön gearbeitete Laute auf, um sie näher zu betrachten. Ganz in Gedanken begann er, nachdem er zuerst nur ein wenig herum gezupft hatte, die Melodie des „Liedes von Arcanor“ zu spielen, das er immer in seinen Meditationsträumen hörte und die er auf seinem eigenen Instrument eingeübt hatte. Rolf unterbrach verblüfft sein Mahl, sah auf und lauschte der Melodie, die mit ihrer merkwürdigen Harmoniefolge so ganz anders klang als die Musik, die üblicherweise auf dem Nordkontinent gespielt wurde. „Was spielst du denn da? So eine seltsame Melodie habe ich noch nie gehört?“, fragte er neugierig, nachdem die Melodie verklungen war. „Nun ja“, Ragnor wusste zunächst nicht so recht was er sagen sollte. Er überlegte einen Moment, ob er Rolf ehrlich antworten sollte, aber da auch Ralph da Caer mit am Tisch saß, antwortete er lediglich ausweichend: „Die Melodie habe ich bei einem fahrenden Sänger in Mors auf dem Jahrmarkt aufgeschnappt.“ Rolf da Maarborg gab sich erst einmal damit zufrieden, bestand aber darauf, dass ihm Ragnor erlaubte das Stück in den nächsten Tagen von ihm zu übernehmen. Obwohl die Melodie seltsam fremdartig klang, war der junge Musiker von ihrer mächtigen Harmonie geradezu fasziniert.

 

So kam es, dass er bereits am nächsten Abend nach dem Unterricht in Ragnors Kammer auftauchte, um ihn zu bitten, ihm die Melodie noch einmal vorzuspielen. Ragnor tat ihm gerne den Gefallen und bereits kurze Zeit später beherrschte Rolf das für ihn neue Stück perfekt. Ragnor bewunderte die Eleganz, mit der Rolfs Finger über die Saiten liefen, und die Leichtigkeit, mit der er die Melodie immer weiter variierte. „Gibt es eigentlich auch einen Text dazu?“, fragte Rolf beiläufig nach, als er gerade eine seiner farbigen Interpretation beendet hatte. Nun fand es Ragnor an der Zeit, ihm zu erzählen, woher er die Melodie tatsächlich kannte: „Nun ja. Ich habe zwar gestern erzählt, dass ich das Stück vom Jahrmarkt aus Mors kenne. Aber das entsprach nicht der Wahrheit. Ich wollte die wahre Herkunft des Liedes nicht in Gegenwart von Ralphs Kumpanen erzählen. Sie hätten es vermutlich nicht geglaubt und ich hatte keine Lust mich von ihnen aufziehen zu lassen.“ Das konnte Rolf nur zu gut verstehen, und er freute sich sehr darüber, dass es sich bei der Melodie doch um ein Lied handelte, also bat er Ragnor neugierig: „Komm singe es mir erst mal vor und erzähl mir vor allem endlich, woher du es kennst.“ „Ich kann es dir vorsingen, aber du wirst den Text nicht verstehen. Es ist in einer anderen Sprache geschrieben worden. Ich kann dir vielleicht irgendwie die Laute aufschreiben oder es versuchen zu übersetzen. Aber dann paßt es, so fürchte ich, nicht mehr so recht zur Melodie“, antwortete ihm Ragnor bedauernd und etwas unsicher, wie er weiter verfahren sollte. Das machte Rolf nun so richtig neugierig, und Ragnor kam nicht umhin, ihm die ganze Geschichte über die Herkunft des Liedes von Arcanor zu erzählen. Atemlos und ein wenig ungläubig hörte Rolf da Maarborg Ragnors Bericht, doch so richtig glauben konnte er die Geschichte erst, als Ragnor ihm das Lied zu seiner Begleitung in der fremden Sprache vorsang:

 

Cahal da paatras del Arcanor

Se prema en nomes del Ama

Se ruima com uno la shahlama

et crassa el mordos fercatar

del Orcus se mina quoro Xitar

Cahal da paatras del Arcanor

Se prema en nomes del Ama

 

Fremde Sprachen. Er hatte gar nicht gewusst, dass es so etwas auf Makar überhaupt gab. Zumindest hatte er selbst noch nie davon gehört. Doch als Ragnor ihm geduldig noch einige beliebige Sätze, die er sich schnell ausgedacht hatte, mühelos in diese Sprache übersetzte, war es dann doch wie ein Schock für ihn. Natürlich hatte ihn Ansgar da Lorcamon eingeweiht und ihm von Ragnors Schwertmeditation und einigen anderen unglaublich klingenden Dingen erzählt, aber so richtig hatte er eigentlich nie daran geglaubt. Eine gewisse Scheu, die er für einen Moment empfand, und die für einen kurzen Augenblick nicht überbrückbar zu sein schien, wich schnell wieder, als ihm Ragnor versprach ihm den fremden Text beizubringen. Rolf hatte zwar nicht vor die fremde Sprache zu erlernen, aber es war natürlich kein Problem ihn die melodisch klingenden Worte auswendig zu lernen. Denn sie passten so viel besser zu der schönen Melodie als ihre Übersetzung in die harte Sprache, die auf dem Nordkontinent von Makar gesprochen wurde.

 

Als Rolf da Maarborg schließlich gegangen war, empfand Ragnor tiefe Freude darüber, dass er dieses kleine Geheimnis mit Rolf da Maarborg geteilt hatte. Er war sich in seinem tiefsten Inneren nun ganz sicher, dass er in ihm einen ebenso ehrlichen Freund gefunden hatte, wie in Lamar und Ansgar und das erfüllte ihn mit großer Freude. So entspannt und gut gestimmt nahm er sein Quasarschwert Quorum und tauchte völlig gelöst in die Lichtwände ein und ließ sich wie gewohnt darin treiben. In seinem Kopf klang noch das mächtige Lied von Arcanor nach und er fühlte sich so wohl wie schon lange nicht mehr. Er hatte diese seltsame Tür knapp unter der Spitze von Quorum schon einige Male passiert und jedes Mal ganz entspannt auf die stille grasbewachsene Ebene geblickt, die sich seinen Augen dort immer nur für einen kurzen Augenblick darbot. Mit einem Mal veränderte sich aber das gewohnte Bild, als er gerade wieder daran vorbei schwebte. Plötzlich begann der Rahmen der Tür, durch die er blickte, in einem goldenen Farbton zu pulsieren, und erstaunt stellte er fest, dass sich sein eh schon langsamer Schwebeflug weiter verlangsamte. Dann war ihm, als ob ihn dieser pulsierende Rahmen anzöge, und als er fast instinktiv die Hand danach ausstreckte, zog ihn die fremdartige Kraft, als ob sie nur darauf gewartet hätte, kraftvoll durch die Öffnung. Einen Moment lang wurde Ragnor schwarz vor Augen, doch nachdem er seine Überraschung überwunden hatte, stand er auf der gras-bewachsenen Ebene, die kein Ende zu haben schien und von einem hellen kristallenen Himmel ohne Sonne überspannt wurde. Überrascht drehte er sich um, um sich seines Rückweges zu vergewissern. Doch die Tür, durch die er in diese seltsame Welt gekommen war, war verschwunden. Nur eine endlos scheinende Grasfläche erstreckte sich vor seinem Auge. Doch das war nicht die einzige Überraschung. Als er an sich herab blickte, stellte er erstaunt fest, dass er in einen seltsamen schwarzen Anzug gekleidet war, welcher auf der rechten Brustseite sein Wappen trug und dass Quorum und Quart in ihren Scheiden an seinen Hüften hingen. Vorsichtig zog er das Schwert aus der Scheide und betrachtete es ungläubig. Wie konnte es hier sein, wenn er doch kurz vorher in ihm meditiert hatte und was war das für eine seltsame Kleidung, die sich wie eine zweite Haut an seinen Körper schmiegte. Noch einmal vergewisserte er sich, ob er die Tür, durch die er gekommen war, vielleicht nicht doch wieder finden könnte. Doch da war absolut nichts und nachdem an der Stelle, an der sie hätte sein müssen, nichts als Luft zu finden war, setzte er sich, wenn auch zögerlich, in Bewegung um herauszufinden, wo er gelandet war. Nachdem der junge Mann längere Zeit über die endlos scheinende Ebene geschritten war, fiel ihm schließlich auf, dass der Boden völlig eben war. Es gab hier offenbar nicht die allerkleinste Bodenwelle und auch die Grashalme sahen sehr gleichförmig aus, so als ob sie alle gleich lang wären. Er bückte sich, um sich die Sache etwas näher anzusehen. Und tatsächlich, die Halme schienen alle gleich lang und gleich dick zu sein. Dieser Umstand beunruhigte ihn doch sehr, während er weiter schritt und doch irgendwie nicht voran zu kommen schien, wuchs seine Furcht davor, hier nie wieder herauszukommen. Dennoch ging er weiter, weil er ohnehin nicht wusste was er sonst hätte tun können, scheinbar ewig lange, wie ihm schien, bis ihm die Beine wehtaten. Dann setzte er sich schließlich frustriert und ziemlich erschöpft ins Gras, und weil ihn diese Hilflosigkeit wütend machte, zog er ein wenig resignierend seinen Dolch Quart aus der Scheide und spielte einen Moment unschlüssig mit der Klinge, um sie schließlich wütend in den weichen Boden zu rammen.

 

Das Ergebnis dieser Tat war verblüffend!

 

Schlagartig verschwand die endlose Grasebene und vor seinen Augen erhob sich wie aus dem Nichts eine funkelnde Burg mit schlanken Türmen, welche sich hoch über einer glatten Kristallebene erhob, auf der er nun ebenfalls saß. Verwirrt erhob sich der junge Mann und spähte zu dem merkwürdigen Bauwerk hinüber. Nachdem sich dort niemand sehen ließ und sich nichts rührte, ging er schließlich langsam auf das weit geöffnete Tor zu, welches, wie alles hier, aus Quasarkristallen gemacht zu sein schien. Alles hier war so unwirklich. Doch dieser Eindruck des Unwirklichen verflüchtigte sich schnell, nachdem er schließlich vorsichtig durch das Tor getreten war. Innen erwartete ihn ein freundlicher gepflasterter Burghof mit einem plätschernden Brunnen. Selbst das Kristalltor, das sich lautlos hinter ihm geschlossen hatte, sah von innen aus, als ob es aus ganz normalen Eichenbohlen mit Eisenbeschlägen gefertigt worden wäre. Vorsichtig mit seinem Schwert in der Hand sah er sich um. Als sich auch hier niemand sehen ließ, lief er schnell zu dem Brunnen hinüber und labte sich an dem frischen Wasser, denn sein Fußmarsch hatte ihn sehr durstig gemacht. Kaum hatte er seinen Durst gelöscht, meldete sich sein Magen. So machte sich Ragnor auf, die Burg zu erforschen, um vielleicht auch etwas Essbares zu finden. Er lief die Treppe zum Pallas hinauf, welches wie die ganze Burg aus massivem roten Sandstein gebaut zu sein schien, und tatsächlich fand er im Rittersaal, zumindest hielt er ihn dafür, einen reich gedeckten Tisch mit Wildbret, Brot, Käse, Obst und Wein. Nachdem er sich gestärkt hatte, durchsuchte er den gesamten Pallas, aber es war keine Menschenseele zu finden. Zurück im Rittersaal sich langsam damit abfindend, dass er hier ganz alleine war, erlebte er die nächste Überraschung. Irgendjemand hatte inzwischen den Tisch abgeräumt und auch alle Reste seiner Mahlzeit verschwinden lassen. Doch, anstatt ihn ängstlich werden zu lassen, machte es ihn richtiggehend wütend, dass ihn hier irgendjemand offenbar kräftig an der Nase herumführte. Er stellte sich in die Mitte des Rittersaals mit gezogener Waffe und rief laut: „Kommt endlich heraus und zeigt euch! Ich habe keine Lust mit euch verstecken zu spielen. Gebt euch endlich zu erkennen.“

 

Doch er wartete vergebens auf eine Antwort. Nachdem das Echo seiner Stimme verhallt war, war es so still wie zuvor. Erschöpft setzte sich Ragnor auf einen der geschnitzten Stühle im Rittersaal und überlegte, was er noch tun konnte, um den Unbekannten dazu zu bringen, sich sehen zu lassen. Doch es fiel ihm nichts Rechtes ein, also beschloss er sich erst einmal in einer der Kammern, die er auf seinem Rundgang gefunden hatte, niederzulegen. Denn er war einfach hundemüde von all den Anstrengungen des Tages. Vollständig angekleidet und mit dem Schwert in der Hand, schlief er wider Erwarten schnell ein und als er schließlich wieder erwachte, fühlte er sich frisch und ausgeruht, auch wenn er im ersten Moment nicht so recht wusste, wo er sich befand. Nachdem er sich wieder orientiert hatte, stellte er fest, dass sich nun eine Schüssel mit handwarmem Wasser und Handtüchern im Zimmer befand, obwohl er doch zur Sicherheit den Türriegel vorgelegt hatte. Trotzdem wusch er sich, nun zumindest sicher, dass ihm der oder die Fremden offenbar im Moment nichts Böses wollten. Als er anschließend wieder den Rittersaal betrat, fand er ein üppiges Frühstück vor, dass er sich schmecken ließ. Danach machte er sich frisch gestärkt daran, die seltsame Burg etwas näher zu erforschen. Die Tatsache, dass er bei seinen Rundgängen in der weitläufigen Anlage niemanden antraf, wohin er auch ging, stand im krassen Gegensatz zum tadellosen Zustand, in welchem sich alle Räume befanden. Alles war auf das Feinste eingerichtet und kein Stäubchen störte das schöne Bild. Doch gerade diese Makellosigkeit ließ ihn wachsam bleiben. Da war jemand und dieser jemand beobachtete ihn sicherlich. Anders waren die Mahlzeiten und all die Perfektion nicht zu erklären. Schließlich betrat er die Bibliothek der Burg, die tausende von Büchern zu beherbergen schien. Inmitten des großen hellen Raumes, welcher an drei Wänden mit Bücherregalen, die bis zur Decke des mehr als zwei Mann hohen Raumes reichten, bestückt war, stand ein großer eichener Tisch. An dessen Stirnseite stand ein massiver, lederbezogener Ohrensessel und auf diesem Tisch lag aufgeschlagen ein dickes, leinengebundenes Buch. Er trat langsam näher, nahm das Buch vorsichtig vom Tisch auf und sah hinein. Die Worte, die auf blütenweißem Papier in einer klaren äußerst gleichmäßigen schwarzen Schrift niedergeschrieben waren, erkannte er sofort und es traf ihn die Erkenntnis wie ein Schlag. Das Buch war in der melodischen Sprache des Liedes von Arcanor abgefasst und nicht im harten Idiom von Makar. Fasziniert las er einen Moment in der Abhandlung, welche von einer mit Dampf betriebenen Maschine handelte, die er nicht kannte. Obwohl er nicht wirklich verstand, was er da las und worum es sich dabei im Detail handelte, erschien ihm die Beschreibung seltsam logisch und in sich schlüssig. Als er sich schließlich aus der Abhandlung gelöst hatte, legte er das Buch weg und kehrte einen Moment in sich. Dann drehte er sich entschlossen um, zog sein Schwert und sagte laut und vernehmlich in dieser Sprache von Arcanor: „Kommt heraus und zeigt euch!“

 

Dieser Ruf war kaum verhallt, da begann die massiv scheinende Sandsteinmauer, an einer freien Wand, zu schimmern, und ein seltsam aussehendes Wesen trat hervor. Es war schlank und zierlich und etwa nur halb so groß wie Ragnor. Es besaß zwei Beine und Arme, doch damit endete die Ähnlichkeit mit einem Menschen auch schon, denn es besaß einen haarlosen, eiförmigen Schädel mit überdimensionalen Augen, welche von seltsam gläsern aussehenden Pupillen beherrscht wurde. Mund und Nase waren hingegen eher klein und das ganze Gesicht wirkte irgendwie seltsam ausdruckslos. „Heil dir, Herr von Quirinia. Euer Diener Quirin-1 steht Euch zu Diensten. Was ist Euer Begehr?“, fragte das seltsame Wesen mit einer merkwürdig monoton klingenden Stimme. Während es sprach, fiel Ragnor auf, dass das seltsame Wesen dabei offenbar den Mund nicht bewegte. Zumindest hatte er keinerlei Bewegung feststellen können. Da das kleine Wesen einen ähnlichen Anzug trug wie er selbst und auch sein Wappen auf der Brust trug, beschloss der junge Mann einfach zu fragen, wo er sich nun eigentlich befand. Da es ihn Herr genannt hatte, fühlte er sich in der Ansicht bestärkt, dass es ihm freundlich gesinnt sein musste. Also fragte er: „Sagt mir, wo befinde ich mich hier?“ Prompt kam die Antwort: „Ihr befindet euch in Eurer Domäne Quirinia, Herr.“ Mehr sagte der Kleine nicht und so ergab sich eine seltsame Unterhaltung, welche nur aus Fragen und Antworten bestand: „Was ist eine Domäne?“ „Eine Domäne ist die private Sphäre eines Hüters von Arcanor, die nur in seiner Begleitung betreten werden kann.“ „Woher weißt du, dass ich dein Herr bin?“ „Ihr tragt die drei Insignien der Domäne Quirinia und sie erkennen Euch als ihren Herren an.“ „Was bist du für ein Wesen?“ „Ich bin kein Wesen, ich bin ein Android.“ „Wieso bist du kein Wesen?“ „Ein Wesen ist ein Lebewesen. Ein Android ist eine Maschine.“

 

Nun musste Ragnor erst einmal tief durchatmen. Er kannte zwar Maschinen von Makar her. Aber diese waren meist aus Holz mit teurem Metall an ihren wichtigsten Teilen. Ihm wurde schlagartig klar, dass er hier in einer Welt gelandet war, die sich mit der seinen auch nicht im Entferntesten vergleichen ließ. Auf der anderen Seite schien ihm Quirin-1 jede Frage zu beantworten, falls es ihm gelang, die richtigen Fragen zu stellen. Also beschloss er, das seltsame Gespräch weiter fortzusetzen. Er erfuhr dabei, dass es außer Quirin-1 noch zweihundert weitere aktive Arbeitsandroiden gab und eintausend deaktivierte Kampfandroiden in den Katakomben der Burg lagerten. Als er nachfragte, wo die anderen Arbeitsandroiden denn wären und warum er sie nicht sehen könne, verstand er die Erklärungen des Androiden, der irgendetwas von Basiskörper der Burg und von Projektionsebenen erzählte, überhaupt nicht. Er konnte sich auf all das erst einmal keinen Reim machen. Enttäuscht, dass er offenbar nicht die richtigen Fragen stellen konnte, befahl er dem Androiden: „Hole die anderen Arbeitsandroiden in die Burg, damit ich sie sehen kann.“ Die Antwort verwirrte ihn noch mehr: „Sie sind bereits in der Burg und Ihr könnt sie jederzeit sehen, wenn Ihr es nur befehlt“. Ärgerlich bestand Ragnor trotzdem darauf und erlebte anschließend die Merkwürdigkeit, dass immer wieder ein Android durch die massiv erscheinenden Wände, welche für ihn auch nach sorgfältiger Untersuchung aus Stein zu bestehen schienen, eintrat, um irgendeine Arbeit zu verrichteten, um dann auf dem selben Wege wieder lautlos zu verschwinden. Müde wie er war, verbrachte Ragnor nun eine weitere Nacht in der wundersamen Burg. Als er wiederum gut erholt erwachte, war er wild entschlossen nun den Weg zurück zu erkunden und rief sofort nach Quirin-1. Dieser erschien, kaum dass sein Befehl verklungen war, und das seltsame Frage- und Antwortspiel nahm wieder seinen Lauf. „Gibt es eine Möglichkeit die Domäne zu verlassen?“ „Es gibt mehrere Möglichkeiten.“ „Kannst du mir den Weg aus der Domäne zurück in meine Welt zeigen.“ „Es gibt keinen Weg, den man zeigen könnte.“ „Aber wie kann ich die Domäne verlassen, wenn du mir den Weg nicht zeigen kannst.“ „Indem Ihr in eine eurer Insignien eintretet und zurückkehrt.“

 

Ragnors morgendlicher Schwung ließ so schnell nach, wie er aufgeflammt war. Darüber hinaus meldete sich energisch sein Magen und so entließ er Quirin-1, um zum Frühstück hinunter in den Rittersaal zu gehen. Es war zum Haare ausraufen mit diesem Androiden. Warum konnte er auf einfache Fragen nicht wie ein Mensch antworten? Er grübelte während des Essens über das Gesagte nach und beschloss, unmittelbar im Anschluss, in seinem Schlafraum eine Schwertmeditation zu versuchen. Vielleicht hatte der Android genau das mit seiner letzten Antwort gemeint. Im Schlafraum angekommen, setzte er sich auf sein Bett, zog Quorum aus der Scheide, konzentrierte sich auf die Klinge und versuchte wie gewohnt einzutauchen. Doch es war anders als sonst. Ein bisher unbekanntes Schwindelgefühl erfasste ihn und bevor er wusste wie ihm geschah, stand er auf der Bodenplattform seines Schwertes. Fast zögerlich löste er die Konzentration wieder und tatsächlich saß er in seinem Bett auf Burg Kaarborg mit dem Schwert Quorum auf seinen Knien. Langsam sah er sich um, doch nichts schien sich verändert zu haben. Hatte er das alles nur geträumt? Nein das hatte er nicht, denn erstaunt stellte er fest, dass er nackt war, auf seinem leinenen Schlafgewand saß und dabei seinen Schwertgurt noch auf der nackten Haut trug. Ein Blick zum Fenster sagte ihm, dass es immer noch Nacht war und so beschloss er, bis zum Morgen, noch ein wenig zu schlafen.

 

Am nächsten Morgen wurde er ausgesprochen unsanft geweckt, denn sein Page Klaus kam hereingestürmt und rief ganz aufgeregt: „Da seid Ihr ja wieder Herr. Wo seid Ihr letzte Nacht gewesen? Wir haben uns alle große Sorgen um Euch gemacht, denn Ihr und Eure Waffen waren mit einem Mal spurlos verschwunden. Nur euer Schlafgewand lag noch auf dem Bett.“ Einige Stunden später saß er dann mit Graf Rurig und seinen Freunden zusammen und versuchte ihnen zu erklären, was mit ihm geschehen war. Doch da er das selbst nicht so recht wusste, blieb ihm nur die Erzählung des Erlebten, was aber wirklich so verrückt klang, dass sich keiner seiner Zuhörer einen rechten Reim darauf machen konnte. Schließlich meinte Rurig leicht sarkastisch aber mit nachdenklich gerunzelter Stirn: „Wenn ich dich richtig verstehe, weißt du nicht so recht, wie du es auf einmal geschafft hast, dass du durch die seltsame Tür in deinem Schwert gezogen wurdest. Ich denke du solltest diese unglaubliche Burg sehr vorsichtig erforschen und da wir in zwei Tagen nach Caerum aufbrechen wollen, solltest du weitere Versuche auf die Zeit nach unserer Rückkehr verschieben. Ich möchte nicht, dass du nackt irgendwo zwischen Kaar und Caerum aufgelesen wirst oder in Caerum deinen Ritterschlag verpasst, weil du nicht rechtzeitig von einem Ausflug zurückkehren konntest.“ Ragnor beherzigte die Warnung seines väterlichen Freundes, obwohl es ihn unglaublich reizte, es gleich noch einmal zu versuchen nach Quirinia zu gelangen. Tagsüber fiel es ihm nicht so schwer, die Finger davon zu lassen, denn da hatte er alle Hände voll damit zu tun seine Ausrüstung reisefertig zu machen. Aber des Abends, wenn er schließlich auf seine Kammer ging, musste er sich schon gewaltig beherrschen, es nicht doch heimlich zu versuchen.

Kapitel 2

Es war ein heller, klarer Sommermorgen, als sich der kleine aber prächtige Kaarborger Tross in Richtung Caerum in Bewegung setzte. Graf Rurig, Großmeister Svartan da Kaarkon, die sechs Jungritter und zwölf Kaarborger Grafenritter machten sich mit ihren Knappen auf den Weg, um die Farben Kaarborgs beim großen Turnier in Caerum würdig zu vertreten. Während ihrer Abwesenheit übernahmen Admiral Menno und der greise General Milas die Verwaltung Kaarborgs. Die kleine Mirana, Ragnors Adoptivtochter, wäre nur zu gerne mit nach Caerum gereist, denn sie war wie alle kleinen Mädchen furchtbar neugierig auf all die Pracht, die es an einem Königshof zu sehen gab. Aber sie musste genauso zu Hause bleiben, wie all die anderen Angehörigen des gräflichen Haushaltes, die sicherlich ebenfalls gerne mit in die Hauptstadt gereist wären. Graf Rurig hatte verfügt, dass nur eine kleine Delegation, die im Stande war schnell zu reisen, den Reichstag besuchen sollte. Aus diesem Grunde war auch Maramba zu Hause geblieben, den Rurig und Ragnor gerne mitgenommen hätten. Aber der Mann aus den Urwäldern von Gromor war ein schlechter Reiter und die Aussicht wochenlang und fast ununterbrochen im Sattel zu sitzen, war ihm ein Gräuel, sodass Graf Rurig davon Abstand genommen hatte.

 

Die prächtigen Wappenröcke und die kostbaren, seidenen Wimpel an den Lanzen machten schon was her, als die Reiter begleitet von den Hochrufen der Bevölkerung, durch Dorf Kaar zur Seebrücke ritten, welche die Insel Kaar mit dem Festland verband. Trotzdem hielt sich der Prunk des Zuges in Grenzen, denn die Kaarborger verzichteten, gemäß ihrer kriegerischen Tradition, auf schwerfällige Wagen, welche die meisten Edlen der Bequemlichkeit wegen auf ihrem Weg nach Caerum begleiteten. Nur die Kampfbereitschaft schien ein wenig herabgesetzt. Die Männer ritten, aufgrund der zu erwartenden hohen Temperaturen, nicht in voller Panzerrüstung, sondern trugen lediglich die leichteren Kettenhemden. Die Plattenpanzer und die restliche Ausrüstung sind ausnahmslos auf ausdauernde Packpferde verladen worden, sodass einer schnellen Reise nach Caerum nichts im Wege stand.

 

Die recht weite Reise in die Hauptstadt des Königreiches Caer versprach friedlich und im Wesentlichen auch komfortabel zu verlaufen. Die Straße nach Caerum war eine viel benutzte Handelsstraße und konnte daher mit einer ganzen Reihe guter Gasthäuser aufwarten. Der Landfrieden, welchen der König für den Rest des Jahres wegen des kommenden Reichstages verkündet hatte, ließ die üblichen Streitigkeiten zwischen den Feudalherren, den freien Städten und den Adeligen untereinander vorerst ruhen. Auch wenn Machtstellung des Königs seit Ralph IV, dem Vorgänger des jetzigen Königs, sehr gelitten hatte, war doch den notorischen Streithähnen der Landfrieden so heilig, dass keiner es wagte, dagegen zu verstoßen. So war auf dieser Reise aufgrund lokaler Händel kaum mit ernsthaften Zwischenfällen zu rechnen, außer vielleicht bei der Durchquerung der Baronie Ahrborg, wo sich möglicherweise noch versprengte Söldner, aus dem vor kurzem beendeten Krieg, als Räuber versuchen könnten. Um ein schnelles Vorwärtskommen zu gewährleisten, war vorgesehen an jedem der Gasthöfe, in denen man vorhatte zu übernachten, die Pferde der Knappen und die Lastpferde auszuwechseln. Dieses Angebot, welches die Wirte an den Handelsstraßen des Reiches grundsätzlich zu den allen fünf Jahren stattfindenden Reichstagen einrichteten, brachte ihnen so manches zusätzliche Silbertalent ein. Sie erhielten nämlich nicht nur eine Leihgebühr für die Tiere, welche sie bereitstellten, sondern auch eine Vergütung für die Verpflegung der angenommenen Tiere. Sie wurde fällig, wenn die hohen Herrschaften im Herbst wieder vorbeikamen, um ihre Pferde auf der Rückreise zurück zu tauschen. Lediglich die Ritter würden von diesem Angebot keinen Gebrauch machen müssen, da sie aufgrund des bevorstehenden schweren Turniers, mit zwei speziell trainierten Schlachtrossen reisten, die sie auf der Reise abwechselnd reiten konnten.

 

Graf Rurig überließ bei dieser wichtigen Reise nichts dem Zufall und so sind die Gasthöfe von seinen Kurieren, die regelmäßig zwischen Caerum und Kaarborg verkehrten, vor reserviert worden. Zudem ist sichergestellt worden, dass genügend Ersatzpferde zur Verfügung stehen werden, wenn der Kaarborger Tross dort Station machte. Für Ragnor und die anderen Jungritter war es eine angenehme Erfahrung so entspannt und ohne einen potenziellen Feind im Nacken durch das Land reiten zu können. Sie genossen auch sichtlich die Begeisterung der Bevölkerung und dabei natürlich insbesondere die Aufmerksamkeit der jungen Frauen, wenn sie durch die adretten, wohlhabenden Dörfer in Kaarborg ritten. Die Abende in den sauberen Gasthöfen waren erholsam und angenehm, denn Graf Rurig ließ es sich nicht nehmen, seine Reisegefährten aufs Beste zu bewirten. Zum Leidwesen des einen oder anderen trinkfesten Ritters gab es jedoch auf Rurigs Anordnungen hin, keine Gelage bis in die frühen Morgenstunden. Seine Männer wurden stattdessen bereits kurz vor Mitternacht in die Federn geschickt, um sie beim ersten Morgengrauen des nächsten Tages, nach einem kurzen Frühstück, wieder in die Sättel zu jagen. Dies hielt nach seinem Dafürhalten nicht nur seine Männer in Form, sondern erlaubte auch lange Tagesetappen. Graf Rurig wollte nämlich unbedingt einige Tage vor Beginn des offiziellen Reichstages in Caerum eintreffen, um sich mit König Ralph, seinem alten Freund intensiv beraten zu können. Zu viel stand in der Nachfolge der Baronien Harkon und Ahrborg für die Zukunft des Königreiches auf dem Spiel.

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Jürgen Friemel
Bildmaterialien: Katja Friemel - Map; Andreykuzmin / Dreamstime.com - Narrow Medieval Metal Shield; standa_art / shutterstock.com - Silver metal plate with classic ornament; Tatjana Popova / shutterstock.com - Hand in glove with dagger
Lektorat: Katja Friemel
Tag der Veröffentlichung: 17.06.2014
ISBN: 978-3-7368-2078-4

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich möchte mich ganz besonders bei Beate Rocholz für ihr großartiges Cover-Design bedanken, welches der gesamten Saga ein Gesicht gegeben hat.

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