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Das Fake-Ich

Das Geräusch von aufeinander schlagendem Holz veränderte mich. Es weckte Elenora in mir, die stolze Vampirkriegerin des Silverclans. Ich wusste, dass sie noch tief in mir schlummerte, genauso wie ihr Mut, ihre Leidenschaft und ihre Liebe zu Leonard, so wie auch meine, denn Elenora war ich.

Ich blickte in Leonards stahlblaue Augen, die mich vom ersten Augenblick an in eine Welt entführt hatten, die ich mir nie zu erträumen gewagt hätte. Eine Welt, in der mehr zählte, als man es mich je gelehrt hatte, in der er mir zeigte, was es bedeutet für das Wertvollste zu kämpfen, das man besitzen konnte.

„Du musst gehen“, hauchte ich meiner großen Liebe mit brüchiger Stimme zu. „Wir leben in einem Krieg. Wir können es uns nicht leisten, uns zu lieben!“

Er sagte nichts und sah mich nur an, mit seinem starren kalten Augen. Wie ich war er ein Krieger, geprägt von Stolz, Ehre und Treue. Doch seine Loyalität galt nicht mir, so wie meine nicht ihm galt, sondern seinem Volk.

Leonard entfuhr ein inbrünstiges Knurren aus der Kehle und mit einem Satz stand er auf seinen Füßen.

„Das ist mir egal!“, schnaubte er. „Es war mir egal, als mir zum ersten Mal bewusst wurde, dass es nichts auf dieser Welt gibt, das ich nicht für dich tun würde, als mir klar wurde, dass ich kein Leben führen will, in dem du nicht an meiner Seite bist! Es war mir egal, als du meinen Bruder getötet hast! Und es wird mir egal sein, wenn dein Volk meines vernichten sollte.“

Wieder blickte er mich durchdringend und beinahe zornig an, der Stahl in seinen Augen schimmerte wie die Klinge eines scharfen Messers.

„Ich bin ein Killer!“, schrie ich ihn schließlich an, in der Hoffnung, ihm die Augen öffnen zu können, wenngleich ich wusste, dass er Recht hatte. Er griff meine Hand und zog mich auf die Beine, durchdrang mich mit seinem Blick, als die Wärme seiner Liebe meinen Körper überfiel und all meine Zweifel eine Niederlage erlitten. „So, wie ich!“

Herrisch und dennoch in tiefer Verbundenheit und Hingabe, presste er seine heißen Lippen auf meine. Ein Moment, der in der Luft stehen zu bleiben schien, während die Zeit an ihm vorbeirauschte.

„Schnitt!“

Elenoras Geist entschwand aus meinem Bewusstsein und ließ mich allein – mit mir selbst.

„Großartig! Das nehmen wir so!“, rief der Regisseur.

Ich atmete tief durch und sah in das Gesicht meines Gegenübers, von dessen Lippen ich mich löste. Mein stolzer Krieger sah mich an und doch war er es nicht mehr. Es war Alec, mein Kollege und der größte Idiot, der mir je begegnet ist. Er lächelte mich an, so wie es Leonard nie tun würde, der irgendwo tief in ihm zu schlafen schien. Ein breites Grinsen voller Hochmut und Arroganz, so fest von sich selbst überzeugt, suhlend in seinen Erfolgen. Das Einzige, was er mit dem Vampirkrieger Leonard gemein hatte, war nichts weiter als eine hübsche Verpackung. So wenig ich Alec auch schätzte, so wenig konnte ich ihm eine Eigenschaft absprechen. Er war der wohl beste Schauspieler, mit dem ich je zusammengearbeitet hatte. Er war Leonard, auch wenn er es nicht war. Er war sein Fake-Ich, so wie Elenora meines war.

Alecs Zunge bleckte mir kurz entgegen und seine Augenbrauen bewegten sich auffordernd nach oben.
„Na, Süße? Lust auf eine zweite Runde?“

Ich stöhnte genervt auf und verließ das Set, auf dem der Regisseur dem Team die nächste Szene erklärte.

Seufzend ließ ich mich auf den Stuhl mit der Aufschrift „Leana De Luca“ fallen und konzentrierte mich darauf Alecs Kommentare zu überhören.

„Komm schon! Du willst es doch! Auch wenn du es vielleicht noch nicht weißt!“

Würde er so mit Elenora sprechen, sie würde ihm wohl ohne mit der Wimper zu zucken den Hals umdrehen. Ich mochte sie. Sie war stark, unabhängig und hätte es nie nötig gehabt, sich von einem Mann beschützen zu lassen. Aber es tat ihr gut, sich in seinem Schutz zu wissen. Sie liebte Leonard so sehr, dass sie ihr eigenes Volk für ihn verraten hatte.

 

„Alec! Leana! Kommt mal her, ich muss mit euch reden!“ Ich blickte auf und sah unseren Produzenten Bob auf der anderen Seite des Studios, wie er uns zu sich winkte. Nur einen kurzen Blick warf ich zu Alec, der sich schon gehorsam auf den Weg machte. Seufzend erhob ich mich aus meinem Stuhl und schlurfte hinterher. Bob wollte uns sicher wieder eine seiner brillanten Ideen vortragen, die mir eigenartigerweise nie gefielen.

„Okay, Leute“, begann Bob mit seiner Rede und rieb sich aufgeregt die Hände. „Wir liegen bestens in der Zeit, nächste Woche beenden wir die Dreharbeiten und der Film kann wie geplant in fünf Monaten in die Kinos kommen. Also sollten wir uns schon jetzt eine Promo-Strategie überlegen, um den Film zu supporten.“ Ich versuchte ganz unbemerkt mit den Augen zu rollen. Was hatte er nur schon wieder vor? Dies war kein Film, auf den ich besonders stolz war. Es war ein Blockbuster-Garant. Ein Buch, das weltweit mehrere Millionen Mal verkauft wurde, ist dazu verdammt, ein ebenso erfolgreicher Film zu werden. Schuld daran sind die Fans. Junge Teenager da draußen, die ganz verzückt sind von silbernen, goldenen und natürlich glitzernden Vampirpärchen, die etwas märchenhaften Feenstaub in ihr verträumte Welt bringen.

„Und was schwebt dir vor?“, fragte Alec und ich konnte den Enthusiasmus in seiner Stimme nicht überhören.

„Das Beste, was eine Liebesgeschichte bewerben kann, ist eine Liebesgeschichte!“, verkündete Bob und zwinkerte uns zu.

„Oh nein!“, entfuhr mir ein genervtes Stöhnen und sofort traf mich Bobs fragender Blick. „Oh nein, … hör nicht auf zu reden!“, revidierte ich lächelnd meinen Ausspruch.

„Du meinst, wie bei Twilight?“, fragte Alec nachdenklich und sehr ernst. Der Produzent setzte ein begeistertes Lächeln auf und wandte seine Aufmerksamkeit von mir ab zu Alec.

„Exakt wie bei Twilight!“, erklärte er euphorisch, legte einen Arm um Alec und schrieb eine Schlagzeile in die Luft. „Leana De Luca und Alec Kiss. Wie ‚Silbernes Gold‘ ihre Liebe schuf!“, formulierte er. „Das sollt ihr natürlich nicht umsonst machen. Rechnet dreißig Prozent auf eure Gage hinzu. Na? Sind wir im Geschäft?“

Alec und Bob schienen sich einig zu sein, nur meine Meinung dazu war gerade nicht von essenzieller Bedeutung und genauso wenig erwünscht, denn ich war nur wieder diejenige, die einen Strich durch diese grandiose Rechnung machen würde.

„Hab ich die letzten Monate nur mit zweieinhalb Gesichtsausdrücken gespielt oder warum genau haltet ihr mich für Kristin Stewart?“, brach es aus mir heraus. Etwas verdattert schauten mich die beiden Männer an.

„Hast du ein Problem? Willst du den Film nicht promoten?“, fragte mich Bob und sein Blick traf mich voller Vorwurf. Als würde ich alles vermasseln, würde nicht für diesen Film und das Team stehen.

„Doch“, gab ich kleinlaut zu. „Aber nicht so. Ich bin Schauspielerin und nicht …“

„Ganz genau!“ fiel mir Bob ins Wort „Und ich erwarte von dir, dass du schauspielerst! Oder ist das zu viel verlangt?“

Ich seufzte resigniert. Wie hätte ich ihm das erklären sollen? Ich hasste Alec, es war für mich unmöglich so zu tun, als könnte ich ihn lieben. Elenora könnte es wohl auch nicht und selbst wenn, sie ist nur mein Fake-Ich. Wie alle Rollen, die ich gespielt habe, wurde sie mit dem ersten Lesen des Skriptes geboren, wuchs auf mit dem Dreh jeder einzelnen Szene und entwickelte sich und wie alle meine Fake-Ichs wird sie sterben, wenn die letzte Klappe fällt. Könnte ich sie womöglich länger am Leben halten? Sie sein und leben auch nach dem Film? Wäre ich dann noch ich?

„Hey, das ist doch gar nicht weiter schlimm“, mischte sich Alec plötzlich ein und riss mich aus meinen Gedanken. „Wenn du willst, darfst du mich auch mit einem vierzigjährigen Regisseur betrügen.“ Er lachte über seinen eigenen Witz, der alles andere als lustig war und ich spürte meinen Groll gegen ihn in mir rumoren.

„Denk drüber nach, Leana“, sagte Bob abschließend. „Morgen will ich eine Antwort.“ Mit diesen Worten ging er zum Regisseur, der im Begriff war, die nächste Szene zu drehen, in der Alec und ich nicht mitspielten.

 

“Ist das wirklich dein Ernst?”, fuhr mich Alec an, als Bob außer Hörweite war. „Dreißig Prozent oben drauf. Das ist ein ordentlicher Batzen Geld! Ich versteh nicht, wie …“

„Ich bin keine Hure!“, unterbrach ich ihn schroff.

„Was?“ Alec sah mich verständnislos an, dann musterte er mich abschätzig von oben bis unten. „Also glaub mir, ich könnte Bessere haben!“

Meine Hand kribbelte, als würde sie gerade von einer Ameisenkolonie erobert werden, doch ich widerstand dem Drang, Alec seine wohlverdiente Ohrfeige zu verpassen, drehte mich um und stapfte davon. Aber es dauerte nicht lange, da hörte ich Alecs eilige Schritte, die mir folgten.

„Hey, warte mal! So war das nicht gemeint!“, rief er mir nach. Ich wusste nicht warum, aber ich blieb abrupt stehen und Alec lief in mich hinein. „Bremslicht ausgefallen?“, kommentierte er und wieder lachte er über seinen schlechten Witz.

„Wie war’s denn gemeint?“, fragte ich, wandte mich zu ihm um und funkelte ihn wütend an.

„Naja, so wie ich nicht dein Typ bin, so bist du nicht meiner. Aber hey, wenn es sich lohnt?“ Sein erwartungsvolles Grinsen widerte mich an.

„Und vor der Kamera funktioniert es doch auch“; sagte er schnell, ehe ich mich wieder davon machen konnte.

„Beim Dreh sind du und ich aber nicht du und ich“, erwiderte ich.

„Ja, aber wenn wir am Set unsere Rollen spielen können, warum denn nicht im echten Leben?“, fragte er.

Sorgfältig wiegte ich meine Antwort in meinem Kopf hin und her. Würde er Leonard auch für die Presse und die ganze Welt da draußen spielen und ich Elenora, wären wir dann ein überzeugendes Liebespaar? Bestimmt. Aber konnte ich Elenora so lange in mir behalten? War ich überhaupt eine gute Schauspielerin, wenn ich meine Arbeit nur tun konnte, wenn die Figuren ein Teil von mir sind?

Es ging um so viel mehr, als um das Geld, den Film oder Alec. Es ging einfach nur um mich. Wenn ich mein Fake-Ich mit in mein Leben holte und seine Gedanken und Gefühle lebte, was passierte dann mit meinem wahren Ich? Was bliebe davon noch übrig? Hatte ich überhaupt ein wahres Ich?


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Texte: Alle Rechte liegen bei mir
Tag der Veröffentlichung: 10.07.2014

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