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So hübsch die dunklen Glaskuller sein mögen, sehen können wir Teddybären nicht. Fühlen können wir dagegen gut. Obwohl die Haare unseres Fells synthetisch sind, nehmen sie eine Fülle an Empfindungen auf und haben ein kollektives Gedächtnis, das erst im Trommelmagen des Teddybärenmonsters gelöscht wird. Nein, sehen können wir nicht. Aber spüren und hören und riechen und fühlen und erinnern. Wir vergessen nie eine Hand, die uns angefasst hat - bis zum Ende im Magen des Monsters.

Ich erinnere mich an die grobe Hand, die mich aus dem Karton gezerrt hat, in dem ich mit Meinesgleichen fast gekuschelt hatte. Diese Hand rupfte mich aus der Tüte, setzte mich blitzartig in ein Regal und ließ mich so schnell wieder los, als hätte sie sich an mir verbrannt.

Ich erinnere mich an Tage und Wochen und Monate, in denen ich Musik gehört habe. Der Lautsprecher muss ganz in meiner Nähe gestanden haben. Die Musik erinnerte mich an die Plastikverpackung, die mich im Karton von Meinesgleichen getrennt hatte.


Ich erinnere mich an eine Hand, klein und zart und liebevoll und liebend. Sie tastete mich. Sie machte Oh. Sie nahm mich vom Regal. Und dann sagte sie ein größeres OH und ließ mich fallen. Die grobe Hand stellte mich zurück in das Regal zu dem Lautsprecher mit der Plastikmusik.

Ich erinnere mich an eine weitere kleine Hand, die mich nahm. Eine dazu passende zweite streichelte mich zwischen den Ohren. Ja. Diese Hand war es, nach der ich mich sehnte. Mir wurde ganz warm. Die Hand wurde riesig und ich spürte das Herz schlagen, als ich ganz doll gedrückt wurde, so wie es für einen Teddybären das reinste Glück ist.

Auch die kalte Hand vergesse ich nicht, die nach Seife roch und nach Nagellack. Ich lag hilflos auf einer glatten Glasfläche, es roch kurz nach Ozon, dann piepte es schrill. Hart klimperte etwas neben mir. Dann war ich wieder in der Hand. Meiner Hand. Die Hand, die zu mir gehörte. Die Hand, die größer war als ich, die mit dem schlagenden Herz.


Es stank und brummte und hupte, aber das störte mich nicht, weil ich in der festen Umarmung meines neuen Zuhauses war.

Es störte mich auch nicht, auf einem Teppich zu liegen, zwischen anderem Spielzeug. Da gehörte ich hin. Ich freute mich schon auf das Bett. Wie viele andere von mir dort wohl schon wohnen würden?

"Bring den Teddy", rief die kühle Seifenstimme.

"Nein! Den will ich behalten!", rief die Stimme des schlagenden Herzens.

Mir wurde kalt.

"Wir haben doch darüber geredet", sagte die kühle Stimme mit schlecht verborgener Ungeduld. "Der Teddy ist nicht für dich. Er ist für das Care-Paket. Ein armes Kind, das sich keine Kuscheltiere leisten kann, wird sich darüber freuen."

Aber ich gehörte doch hier her. Zu meiner Hand. Zu der Hand die mich jetzt nahm und drückte und nie wieder los lassen wollte.

Etwas Nasses tropfte auf mich und roch nach Salz.

Und dann legte mich die kleine, weiche Hand behutsam zwischen Bleistifte und Radiergummis, zwischen Zahnpasta und Gummibärchen. Deckel drauf. Geschüttel. Der Karton wurde gestapelt. Ich spürte die anderen, auf der anderen Seite in ihren Kartons, aber mehr noch als die Plastik- umhüllungen auf dem ersten Transport, hinderten diese Zellen uns daran, unserem Lebenszweck nachzukommen. Und mit Bleistiften wollte ich nicht kuscheln.

Später wurde es warm. Und laut. Kinderstimmen.

Der Deckel von meinem Karton ging auf und schwüle Luft kam herein. Eine andere kleine Hand nahm mich heraus. Älter aber mager. Zitternd und rauh. Zaghaft strich ein Finger über die Naht an meinem Kopf, die blinden Kulleraugen.

Ich erinnerte mich.

Ich vergesse nie eine Hand. Und ich vergesse nie die Finger, die die Watte in meinen Körper gestopft haben, die schwach und müde die letzte Naht schlossen, bevor sie mich zurück auf ein Förderband legten, zu arm, um sich ein Kuscheltier zu leisten.

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Tag der Veröffentlichung: 23.12.2009

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