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Leseprobe

New York Bad Boys – Deacon

Verliebt in einen Nerd

 

Yearn for – Band 3

 

 

Allie Kinsley

 

 

 

 

 

 

1 Die Neue

 

 

DEACON

 

Seit genau einer Woche drückte er sich davor, ins Training zu gehen. Genau genommen seit dem Tag, an dem Slade Hazel eingestellt hatte.

Ihr Anblick hatte ihm vollkommen den Boden unter den Füßen weggerissen. Die großen, braunen Augen, die so voller Schmerz waren, sahen exakt aus, wie Melias es damals getan hatten.

Sie hatten die gleiche Farbe, die gleiche Form und waren genauso von dichten, dunklen Wimpern umgeben.

Es war aber vor allem der Ausdruck darin, der Deacon so verstörte. Es waren die dunklen Schatten, die er bei Melia übersehen hatte, die ihm schließlich alles genommen hatten.

Ansonsten hatte Hazel nicht allzu viel mit Melia gemein. Melia war eine kurvige, junge Frau gewesen. Lange, braune Haare und einen Körper, mit dem sie fast jedem Mann den Kopf verdreht hatte.

Hazel war anders. Klein und zierlich, ohne nennenswerte Rundungen. Die Haare waren kinnlang, glatt und braun. Sie war nicht geschminkt, aber das war bei den ausdrucksstarken Augenbrauen und den hohen Wangenknochen auch gar nicht nötig. Sogar die eher schmalen Lippen hatten einen perfekten natürlichen Rosaton.

Ihr Gesicht wirkte durch den schüchternen Ausdruck meist irgendwie mädchenhaft. Dennoch schaffte sie es problemlos, die Jungs in Slades Boxclub in Schach zu halten. Zumindest nach allem, was er von Adam, Liam und Nick gehört hatte.

Deacon hatte da seine eigene Theorie. Ihr mädchenhaftes Aussehen kam ihr im Club durchaus zu Hilfe. Wahrscheinlich hatte sie diesen Haufen Männer genau deshalb im Griff, weil keiner von ihnen auf die Idee kommen würde, das Wort gegen Hazel zu erheben. Dafür war sie irgendwie zu zerbrechlich und zart.

Dieses kleine Wesen schaffte es ebenso mühelos, ihn von seinem zweiten Zuhause fernzuhalten.

Seit er vor über zehn Jahren in das Anti-Aggressionsprogramm von Noel aufgenommen worden war, war er jeden Tag im Central gewesen. Hier hatte er seine besten Freunde kennengelernt, hatte in Noel einen wirklichen Vater gefunden und einen Ort, an dem er immer willkommen war.

Jetzt war er dreißig verdammte Jahre alt und ließ sich von dieser kleinen Frau von allem fernhalten, was ihm wichtig war.

Er schämte sich für sich selbst, als er hinab auf die Krankmeldung sah, die er sich von Aiden, Adams Bruder, hatte ausstellen lassen. Die Schmerzen in seiner Schulter waren zwar real, das Training im Club hatte sich aber in den letzten drei Jahren nie negativ darauf ausgewirkt. Im Gegenteil, Sport machte es meist besser, da die Entzündung von der falschen Haltung am PC kam.

Er packte die Krankmeldung und warf sie in den Müll. Sobald er Hazel ein wenig besser kennengelernt hatte, würde das alles kein Problem mehr sein. Dann war sie nur noch eines von vielen Mädchen, das eben zufällig die gleichen Augen hatte wie Melia. Alles kein Problem.

Wäre ja noch schöner, wenn er sich nach all den Jahren selbst beschränken würde.

Fest entschlossen griff er nach seiner Sporttasche und warf sie sich über die Schulter. Dann verließ er das Haus und joggte die wenigen Meter bis zu seinem Wagen.

Der alte, schwarze Ford hatte seine besten Tage definitiv schon hinter sich, aber Deacon konnte sich einfach nicht überwinden, ihn wegzugeben.

Die vielen Beulen, die Melia hineingefahren hatte, waren ihm genauso wichtig wie die einhundert verschiedenen Nagellackfarben, die sie und ihre Freundinnen auf dem Armaturenbrett ausprobiert hatten.

Der Gedanke an sie schmerzte. An diesem Morgen ganz besonders. Eigentlich sogar die ganze Woche. Seit er Hazel in die Augen gesehen hatte, war Melia so präsent wie schon seit Monaten nicht mehr. Vielleicht war es sogar Jahre her, dass die Erinnerung an sie so starke Schmerzen in seinem Herzen ausgelöst hatte.

Während er den Wagen zu Slades Club steuerte, fischte er sich seine Notfallzigaretten aus dem Handschuhfach. Slade und auch Faith würden ihm dafür in den Arsch treten, aber an manchen Tagen war es einfach besser so. Er brauchte etwas, an dem er sich festhalten konnte, wenn seine Nerven völlig blanklagen. Zu neunzig Prozent also dann, wenn er an Melia dachte.

Er zündete sich die Zigarette an und zog den Rauch tief in seine Lungen, während seine Hand fast schon automatisch die Melia-Tracklist auf seinem iPod wählte.

Der satte Bass von I'll be missing you dröhnte aus den Kopfhörern, die er schon beim Verlassen des Hauses routinemäßig in seine Ohren gesteckt hatte.

Die Anlage des Fords spielte schon seit Ewigkeiten keine Musik mehr, genau genommen seit Melia versucht hatte, mit Nagelfeilen und anderem Werkzeug das CD-Deck zu öffnen, weil sie fest davon überzeugt gewesen war, dass ihre Lieblings-CD noch immer darin sein musste.

Wütend schlug er auf das Lenkrad, weil er nicht in der Lage war, einen einzigen Moment lang nicht an sie zu denken.

Im Versuch, ruhig zu bleiben, atmete er mehrmals tief durch und konzentrierte sich auf den Verkehr. Sobald die Begegnung mit Hazel normal geworden war, würden diese Trips in die Vergangenheit auch endlich ein Ende nehmen.

Es wurde also Zeit, dass er sich Hazel stellte und all dem ein Ende setzte.

Entschlossen stoppte er den Song, bog auf den Parkplatz des Boxclubs ein und hielt mit quietschenden Reifen vor dem Eingang. Er sprang aus dem Wagen und schnippte seine Zigarette weg.

Als er sich in den Wagen bückte, um seine Tasche zu holen, hörte er ein gezischtes: "Arschloch!"

Er richtete sich wieder auf und sah sich um. Nur wenige Meter weiter reckte sich ihm ein wirklich entzückender, kleiner Arsch entgegen. Mit schräg gelegtem Kopf musterte er die schmalen Beine in den dunklen Stoffhosen.

Heiß! Definitiv so, wie er seine Frauen mochte.

Dann richtete sich Miss süßer Hintern auf und wirbelte zu ihm herum.

"Noch mal Glück gehabt. Die Hose ist neu, da brauche ich kein Brandloch!", zischte Hazel in einem giftigen Ton, von dem Deacon niemals erwartet hätte, dass er aus ihrem Mund kommen könnte.

Dann drehte sie sich um und stapfte mit diesem süßen Arsch schwingend in den Club.

Deacon lächelte. Immerhin hatte sie nicht diesen weidwunden Blick gehabt, der ihm durch Mark und Bein ging. Mit wütend blitzenden Augen gefiel sie ihm. Und ihr Hintern sowieso. Vielleicht sollte er also einfach nur dafür sorgen, dass sie sauer auf ihn war, dann konnte er wieder gefahrlos in den Club gehen.

Er warf die Tür des Fords zu und sperrte ab, dann schulterte er seine Tasche und ging pfeifend in den Club.

Läuft nicht schlecht. Jetzt nur noch trainieren, ohne sie wiederzusehen.

 

HAZEL

 

Rücksichtsloser, arroganter Mistkerl!, schimpfte sie in sich hinein.

Ein Brandloch in ihrer neuen Hose wäre genau das, was zu diesem absolut verkorksten Tag passen würde.

Sie arbeitete gerade einmal eine Woche hier und hatte schon verschlafen. Ihre einzige Rettung war Nick gewesen. Er war einer von Slades Freunden und hatte ebenso wie ihr Boss einen Schlüssel zum Club.

Nachdem sie sich Hunderte Male entschuldigt hatte, war durch die Leitung nur noch ein lautes Lachen zu hören.

Sie hatte eben Glück gehabt, dass es Nick gewesen war und nicht Liam. Liam hätte ihr mit ziemlicher Sicherheit die Hölle heißgemacht. Der war vor zwei Tagen schon wegen einfachen fehlenden Handtüchern ausgeflippt.

"Guten Morgen", sagte sie ein wenig abgehetzt, als sie bei Nick ankam.

"Hey, Kleine", antwortete er gut gelaunt und gab ihr ein Küsschen auf die Wange. Obwohl sie solche Gesten von eigentlich fremden Menschen nicht mochte, hatte sich diese Begrüßung bei Nick schon etabliert.

"Es tut mir so leid! Ich weiß nicht, wie das passieren konnte!" Doch, wusste sie schon. Sie hatte bis spät in die Nacht ihre Unterlagen gewälzt, um eine Lösung für ihr Problem zu finden. Die vielen Schulden nahmen ihr die Luft zum Atmen.

"Kein Problem. Mach dir nicht immer so viele Gedanken."

"Danke", sagte sie noch einmal und deutete hinter sich zum Büro. "Ich sollte …"

Nick grinste. "Hau schon ab." Dann wandte er sich wieder dem Speedball zu und bearbeitete diesen.

Auf dem Weg zu den Büroräumen kam ihr der Typ vom Parkplatz entgegen.

Er sah aus, als wäre er genau wie sie gerade erst aus dem Bett gekrochen. Seine braunen, kurzen Haare standen ihm wirr vom Kopf ab und sein Gesicht zierte ein Dreitagebart.

Er war kein klassischer Schönling so wie Nick oder Liam. Er war eher eine Mischung aus Adam und einem sexy Nerd. Breit gebaut und muskulös, vielleicht 1,85 Meter groß und nur eine wirre Folge aus Nullen und Einsen auf seinen linken Arm tätowiert.

Der Blick aus seinen dunkelbraunen, von dichten Wimpern umgebenen Augen war nachdenklich und die Lippen hatte er zu einem schmalen Strich zusammengepresst.

Er passte nicht wirklich in diesen Club. In Slades Trainingszentrum gab es zwei Typen. Die, die stinkreich waren und den hohen Clubbeitrag bezahlen konnten, und jene, die eine Art Stipendium vom Boss selbst bekamen. Nach welchen Kriterien diese ausgewählt wurden, hatte Hazel noch nicht herausgefunden.

Sie waren allesamt jung, maximal Anfang zwanzig. Also fiel auch solch eine Förderung für diesen Typen aus.

Zu den Reichen konnte er kaum zählen. Seine graue Jogginghose hatte ihre besten Tage definitiv hinter sich und auch das schwarze Tanktop war schon eher anthrazit vom vielen Waschen. Von dem klappernden Ford einmal ganz abgesehen, den er mit quietschenden Reifen auf dem Parkplatz gehalten hatte.

Vielleicht war er ein Schichtarbeiter oder arbeitslos, dass er um kurz nach zehn Uhr morgens bereits im Boxclub sein konnte.

Sie schüttelte den Gedanken ab und straffte sich ein wenig. Dann ging sie, ohne einen weiteren Blick auf ihn zu werfen, an ihm vorbei zum Büro, sie hatte Besseres zu tun, als über einen Typen nachzudenken.

Wenn sie nicht alles täuschte, hörte sie ihn leise lachen. Reichlich unverschämt dafür, dass er ihr gerade noch seine Zigarette ans Bein gespickt hatte.

Sie presste die Zähne aufeinander und ging ins Büro. Bevor sie ihn anschnauzte, sollte sie wissen, warum er hier war. Dann konnte sie ihn leichter wieder hinauswerfen.

 

DEACON

 

"Was hast du denn mit Bambi gemacht?", fragte Nick lächelnd und deutete in Richtung Hazel, als Deacon zu ihm ging.

"Kann ich dir gar nicht so genau sagen. Sie hat auf einmal gefaucht wie ein Mini-Tiger und ist dann verschwunden", gab er lachend zurück.

Nick lachte auf und ging zusammen mit Deacon zu den Laufbändern. "Wo warst du überhaupt die ganze Zeit? Hab dich ja nur noch bei Adam gesehen, seit Slade weg ist."

"Krank. Probleme mit der Schulter", wiegelte Deacon schnell ab.

Nick schnaubte. "Deine Füße funktionieren, hättest mit mir laufen gehen können."

"Ich wollte einfach mal die Zeit genießen, jetzt, wo der Sklaventreiber für zwei Wochen im Urlaub ist."

Nick lachte und erzählte Deacon, was er in der letzten Woche so alles verpasst hatte. Von Liams verkorkstem Fotoshooting, bis hin zu Hazel, die ein paar von den Jungsters, wie sie die Männer nannten, die Slade in sein Förderprogramm aufnahm, in ihre Schranken verwies.

Deacon konnte dabei die ganze Zeit nur an Hazel denken. Hazel, deren Blick einmal so verletzlich war und beim nächsten Mal wild und kämpferisch. Vielleicht hatte er sich bei ihrem ersten Aufeinandertreffen getäuscht. Vielleicht war sie gar nicht das kleine, zerbrechliche Wesen.

Zwar war Liam genau Deacons Meinung gewesen, aber Liam konnte wirklich Furcht einflößend sein, wenn er wollte. Auf seine Meinung sollte er sich also lieber nicht verlassen.

Und Nick? Nick schien geradezu besessen von Hazel zu sein, also auch nicht der optimale Ansprechpartner.

Deacon nahm sich vor, bei Gelegenheit mit Adam über sie zu sprechen. Und bis dahin würde er sich einfach selbst ein Bild von ihr machen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2 Kennenlernen

 

 

DEACON

 

Auch wenn er die Nacht mehr oder weniger durchgearbeitet hatte, quälte sich Deacon am nächsten Morgen aus dem Bett und in seinen Ford. Er hatte sich lange genug gedrückt und würde auf Dauer sowieso nicht drum herumkommen, sich mit Hazel auseinanderzusetzen.

Hazel. Die Frau, dessen kleiner, verführerischer Hintern sich einfach in seine Träume geschlichen hatte. Wie zum Teufel das passieren konnte, wusste er selbst nicht.

Sicher war nur, dass er dringend wieder auf die Piste musste, wenn ihm Bambi nicht zu Kopf steigen sollte. Es konnte nicht angehen, dass Slades neue Bürokraft der Mittelpunkt seiner Sexfantasien wurde. An diesem Abend würde er in Adams Bar gehen und jemanden aufreißen, der Hazel in seinen Träumen ablösen konnte.

Als er im Boxclub ankam, diskutierte Hazel gerade heftig mit einem der Nachwuchssportler. Die pulsierende Ader auf dessen Stirn machte ziemlich deutlich, dass seine Geduld mit ihren Ansprachen bald zu Ende sein würde.

Das war das Problem mit Slades Sozialprojekten. Die Jungs waren zwar sehr talentiert, aber leider auch sehr schnell reizbar und mit einem wirklich kurzen Geduldsfaden ausgestattet. An ihrer Impulskontrolle mussten sie allesamt noch arbeiten.

Sicherheitshalber stellte Deacon sich hinter Hazel. Der Junge sollte wissen, dass er lieber seine Klappe halten sollte, wenn er es nicht mit Deacon statt Hazel zu tun bekommen wollte.

Dass hier irgendetwas aus dem Ruder lief, nur weil Slade einmal für zwei Wochen nicht da war, kam überhaupt nicht infrage.

"Also würdest du bitte jetzt die Hanteln wegräumen!" Es war keine Frage, sondern definitiv eine Aufforderung von Hazel.

Deacon entdeckte die Hanteln am Boden vor dem Spiegel, das übliche Problem. Die Jungs benutzten Geräte oder Hanteln und hinterließen ihren Trainingsplatz nicht so, wie sie ihn vorgefunden hatten.

"Das reicht später doch auch noch!", knurrte Brad, einer der Nachwuchstalente, der sichtlich nicht vorhatte, sich Hazels Willen zu beugen.

Bevor die Sache aus dem Ruder laufen konnte, griff Deacon ein.

"Du musst doch einfach nur sagen, wenn sie dir zu schwer sind, Brad. Die Jungs helfen dir sicher gern. Wir verstehen das", sagte Deacon ruhig und lächelte Brad herablassend an. Zwischendurch brauchten diese Riesenegos auch mal einen Dämpfer.

Einen Moment zu spät erkannte Deacon, dass es zu viel Spott für das erhitzte Gemüt war. Brad stürzte sich ohne Rücksicht auf Verluste auf Deacon. Dieser konnte gerade noch Hazel aus der Schusslinie ziehen, dann landete Brads Faust bereits auf seinem Wangenknochen.

Gott sei Dank war es eher ein Streifschuss und würde nicht allzu sehr anschwellen. Aber die Wut über den kassierten Treffer rauschte heiß durch Deacons Adern. Er wollte es diesem Mistkerl heimzahlen, der nicht wusste, wie man mit einer Frau sprach, und der nicht erkannte, wann es genug war.

Deacon holte aus und platzierte einen Haken auf Brads Kinn, ehe seine Freunde bei ihm waren und ein Coach den Jungspund ins Büro zerrte. Sein Glück, denn Deacon hätte ihm Manieren beigebracht. Es dauerte eine Weile, bis Deacon der Geduldsfaden riss, aber dann gab es kein Zurück mehr.

Mit zu Schlitzen verengten Augen beobachtete er, wie Brad durch die Tür verschwand, immer noch sichtlich geladen, aber er ließ sich von dem Coach handeln.

Wie durch Watte hörte er, dass Liam auf ihn einredete. Auch, dass Nick an seinem Arm zerrte, bekam er nur verzögert mit. Genau genommen in dem Augenblick, in dem die Tür des Büros hinter dem Coach und Brad ins Schloss fiel.

"… lass endlich los, Mann!", fluchte Nick, und Deacon fiel auf, dass er noch immer Hazels Handgelenk umklammert hielt.

"Sorry", murmelte er und löste seine Finger.

Nur langsam drang auch Hazels Tirade zu ihm durch.

"… wir vertreten hier eine Null-Toleranz gegenüber körperlicher Gewalt. Und um ganz ehrlich zu sein, ich habe noch nicht einmal einen Aufnahmebogen von dir zu Gesicht bekommen."

Verdutzt blinzelte Deacon. Aus irgendeinem Grund schien sie mächtig sauer auf ihn zu sein. Ihre Augen funkelten genauso wütend wie am Tag zuvor, als er sie versehentlich mit seiner Zigarette getroffen hatte.

Sie hatte die Hände in die schmalen Hüften gestemmt und starrte ihn mit hervorgerecktem Kinn an. Dass sie dabei höllisch sexy aussah, schien sie nicht zu wissen.

Völlig automatisch schlich sich ein Grinsen auf sein Gesicht. "Ich kann mich auch nicht daran erinnern, so einen Bogen jemals ausgefüllt zu haben", antwortete er wahrheitsgemäß. Hazel war nicht so hilfsbedürftig, wie sie manchmal wirkte, und er fand sie zum Anbeißen, wenn sie ihn wie in diesem Moment mordlüstern anstarrte.

Nick sah ihn mit gerunzelter Stirn an, während Liam langsam in sich hineinkicherte. Doch Deacon wollte keinem von beiden erklären, was genau ihn an Hazel faszinierte … ganz davon abgesehen, dass er es selbst nicht so genau sagen konnte.

Hazel schnaubte. "Dann muss ich dich bitten, den Club sofort zu verlassen. Ab sofort hast du hier Hausverbot."

Im Augenwinkel bemerkte er, wie Liams Schultern bebten. Verständlich, er selbst tat sich schwer, sich ein Lachen zu verkneifen.

"Kleines …", sagte Nick.

Doch Hazel schüttelte den Kopf.

"In diesem Club wird derartiges Verhalten nicht geduldet. Da er noch nicht einmal Mitglied ist, gibt es überhaupt keinen Grund zu diskutieren."

Sie deutete auffordernd in Richtung Ausgang und sah dabei herrlich zornig und ein klein wenig triumphierend aus.

Deacon überlegte gerade, ob er sie aufklären sollte, oder einfach gehen und dieses Schlamassel Slade überlassen sollte, als Andy, ein Jugendcoach, nach ihm rief. "Deac, kommst du? Ich brauche deine Hilfe!"

Andy und Deacon arbeiteten zweimal die Woche zusammen. Deacon half Andy beim Sparring für die besonders talentierten Jungs. Brad stand auch auf der Liste; nach der Aktion eben würde er aber bestimmt noch einige Monate warten müssen.

Deacon zuckte die Schultern. "Sorry, Hazel, aber der Coach braucht Hilfe." Er grinste entschuldigend und genoss ihre verwirrte Miene.

Gerne wäre er noch länger geblieben und hätte sich ihr Gestammel oder Nicks Erklärungen angehört, aber er wollte die Jungs nicht warten lassen. Er schnappte sich seine Tasche und schlenderte dann zum Central, in dem die Sparrings stattfanden.

Vielleicht würde er Liam heute Abend bestechen können, damit er ihm haargenau erzählte, was Hazel nun sagte.

 

HAZEL

 

Verwirrt starrte sie Deacon nach. Was zum Teufel ging hier vor sich?

Sie war sich zu einhundert Prozent sicher, dass es keinen Kundenvertrag für ihn gab, und auch unter den Mitarbeiter-Abrechnungen hatte sie ihn nirgends gesehen. Was war ihr also entgangen?

Das Kichern neben ihr nervte. Wütend wandte sie sich um und wäre beinahe zusammengezuckt, als sie erkannte, dass es von Liam kam. Liam, der Furchteinflößende. Liam, der, wenn sie richtiglag, selten lachte und eigentlich eher der Typ strenger Boss war.

"Was?", fauchte sie, als sie sah, dass auch Nicks Schultern bebten.

"Das war Deacon", sagte Nick schließlich mühsam beherrscht.

"Und was genau soll mir das sagen?", fragte sie unwillig. Eigentlich war sie nur so kratzbürstig, weil sie genau wusste, dass sie einen Fehler begangen hatte, der ihr schon sehr bald peinlich sein würde. Sie konnte es eindeutig an den Reaktionen der anderen erkennen. Abwehrend verschränkte sie die Arme vor der Brust. Auch wenn sie gefragt hatte, sie wollte die Antwort eigentlich nicht wissen.

"Er ist einer von Slades besten Freunden. Er braucht keinen Vertrag", sagte Nick.

Hazel schloss gequält die Augen. Warum musste das ausgerechnet ihr passieren? In ihrer ersten Woche. Warum hatte er nicht einfach etwas gesagt oder einer von den anderen? Nein, sie hatten alle gewartet, bis sie sich vor dem halben Club zum Affen gemacht hatte.

Jetzt musste sie da durch. Ob sie nun wollte oder nicht. Also straffte sie die Schultern, setzte eine möglichst gleichgültige Miene auf und öffnete die Augen.

"Okay, das erklärt, warum ich ihn nirgendwo finden konnte."

Liams Lachen kam unerwartet. "Süße, wenn du seine Nummer willst, musst du doch nur fragen."

Sie biss die Zähne fest zusammen, aber als Nick daraufhin in schallendes Gelächter ausbrach, konnte sie nicht anders, als auf dem Absatz kehrtzumachen und sich in ihr Büro zu verziehen.

In diesem Moment hasste sie alle drei. Nick, Liam und vor allem Deacon. Sie würde es ihm heimzahlen. Bei ihr kam er mit diesem unverschämt sexy Lächeln nicht durch. Aber vorerst musste sie sich auf ihren Job konzentrieren, denn den hatte sie mehr als nur nötig, sie konnte es sich nicht leisten, ihn zu verlieren.

 

 

DEACON

 

"Und, erzähl mal … wie war es noch mit Slades neuer Bürotussi?", fragte Deacon, als sie am Abend zusammen in Adams Bar saßen.

Liams hochgezogene Augenbraue sagte Deacon deutlich, dass der Themawechsel nicht halb so gelungen und unauffällig war, wie Deacon gehofft hatte.

Adam rettete ihm Gott sei Dank den Arsch, indem er fragte: "Was ist mit Hazel?"

Nick, der Deacons Neugier wohl nicht mitbekommen hatte, antwortete: "Sie wollte Deacon heute vor die Tür setzen, weil es Ärger mit Brad gab."

Aiden lachte. "Habe ich gehört. Hast du ihm echt die Fresse poliert?"

Deacon zuckte mit den Schultern und deutete auf seinen leicht geröteten Wangenknochen. "Hab nicht damit angefangen."

"Hazels Handgelenk wird zu einhundert Prozent auch blau", sagte Liam.

Deacons Magen verkrampfte sich. Er hatte ganz vergessen, dass er Hazel so fest gehalten hatte.

"Was zum Teufel war los? Kann mich mal einer aufklären? Da kommt man einen Tag nicht zum Training und dann das!"

Nick übernahm diese Aufgabe gern und schilderte bis ins Detail, was an diesem Vormittag passiert war.

"Und dann wollte sie Deacon Hausverbot erteilen." Nick grinste und verstellte seine Stimme so, dass er beinahe wie eine Frau klang. "Wir vertreten hier eine Null-Toleranz gegenüber körperlicher Gewalt!"

Liam lachte und machte es Nick nach, wenn auch weniger gekonnt. "Dann muss ich dich bitten, den Club sofort zu verlassen. Ab sofort hast du hier Hausverbot."

Aidens Blick wanderte zu Deacon. "Sie hat dir Hausverbot erteilt?"

Als Deacon antwortete: "Zu Recht. Immerhin habe ich keinen Aufnahmebogen ausgefüllt", brachen alle Anwesenden in Gelächter aus.

Auch Deacon musste grinsen. Hazel so bissig zu sehen, hatte ihm verdammt viel Spaß gemacht.

Vom Sparringsring aus hatte er beobachtet, wie sie mit vor Zorn energisch schwingenden Hüften ins Büro geflüchtet war. Ihr Hüftschwung hatte ihn dabei so fasziniert, dass er sogar einen weiteren Treffer in die Nierengegend kassiert hatte.

Es gefiel ihm, Hazel so auf die Palme zu bringen. So hatte sie überhaupt nichts mit Melia gemein. Alles war in Ordnung, solange sie nicht diesen verdammt traurigen und zu Tode verletzten Ausdruck in ihren wunderschönen braunen Augen hatte.

"Milo? Scotch, ohne Eis, doppelt", rief er dem Barkeeper zu, während er weiter dem Gespräch seiner Freunde lauschte.

"… und dann hat sie angefangen, wie eine Raubkatze zu fauchen", sagte Nick, dessen Körper vor Lachen bebte. "Wollte wissen, wer zum Teufel du bist, und als wir es ihr gesagt haben, hat sie auf dem Absatz kehrtgemacht und ist verschwunden."

Deacon nahm einen Schluck von seinem Drink. Schade eigentlich, dass diese Story hier endete. Er hätte gern noch mehr über Hazel erfahren … ganz egal, was es gewesen wäre.

Faith trat zu ihnen und nahm sein Gesicht in beide Hände und begutachtete die leichte Schwellung. "Willst du das nicht lieber kühlen?"

Deacon lächelte sie dankbar an. Faith war eine von den Guten, eine besondere Frau, von der er sehr froh war, sie im Leben seines Freundes zu wissen.

"Das ist nichts", sagte Aiden. "Er braucht nur etwas, um von euch Frauen bemitleidet zu werden."

Faith verdrehte die Augen. "Ich hätte dir beinahe auch einen Kuchen zum Geburtstag gebacken, Aiden."

Dieser zuckte mit den Schultern. "Ich nehme mir etwas von Adams und stelle mir vor, du hättest ihn nur für mich gemacht", gab Aiden breit grinsend zurück.

"Kommt überhaupt nicht infrage!", konterte Adam.

Deacon nahm noch einen Schluck von seinem Scotch. Diese Unterhaltung … diese kleinen Neckereien kamen ihm viel zu vertraut vor. Wie viele Tausende Male hatte er sich mit seinem Bruder um ein Geschenk oder einen Kuchen gestritten? Es war wohl das Los von Zwillingen, die ihr Leben lang alles mit ihren Geschwistern teilen müssen.

Nun ja … fast alles, denn Devon hatte diese Clique, die für Deacon mittlerweile fast schon eine Familie war, nie kennengelernt.

Deacon exte das Glas und bedeutete Milo, ihm einen weiteren Scotch zu bringen.

Während er hier saß und sich über Kleinigkeiten wie eine Schwellung an seiner Wange oder die neue Bürotante in Slades Club ärgerte, hatte seine Familie ganz andere Probleme.

Melia war tot, Devon im Gefängnis, seine Mutter in einer Psychiatrie und sein Vater untergetaucht. Viel schlimmer hätte es wohl nicht kommen können, nur er hatte Glück im Unglück gehabt.

Angeekelt von seinem Selbstmitleid trank er das nächste Glas leer und ignorierte dabei die besorgten Blicke seiner Freunde.

Um ihnen nicht noch mehr Sorgen zu bereiten, schüttelte er den Kopf, als Milo ihn fragte, ob er einen neuen Drink möchte.

"Ich muss gleich arbeiten und brauche einen klaren Kopf."

Ganz so stimmte es nicht. Er musste heute Nacht ein paar Fehler aus seinem letzten Programm entfernen, aber damit würde er vor drei Uhr bestimmt nicht beginnen. Vorher musste er den Kopf frei bekommen, was er hier, unter den wachsamen Blicken seiner Freunde, nicht würde schaffen können.

Deshalb verabschiedete er sich und ging heimlich ins Infinity. Der Club von Andrew Drake lag ganz in der Nähe und sorgte für jede Art von Ablenkung, die er brauchen konnte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

3 Heimkehr

 

 

DEACON

 

"Hey! Slade, wie schön, dich wieder hier zu haben!", sagte Deacon, als er beim Betreten des Boxclubs sah, dass sein Freund aus den Flitterwochen zurück war.

Slade drehte sich grinsend um und breitete die Arme aus. Das Angebot nahm Deacon gerne an, er hatte seinen Freund vermisst.

"Ja, so gerne ich Lilly auch für mich allein habe, ich konnte es nicht erwarten, euch endlich wiederzusehen. Geht es dir wieder besser? Der Coach meinte, du hast oft gefehlt."

Deacon tat sich schwer, sein Lächeln aufrechtzuerhalten. Vor seinem ältesten Freund wollte er bestimmt nicht zugeben, dass er sich wegen Hazel gedrückt hatte, in den Club zu kommen.

Der Gedanke an sie zauberte ein Lächeln auf sein Gesicht. Seit über einer Woche schaffte er es, dass sie quasi durchgängig sauer auf ihn war.

Ständig funkelte sie ihn aus zusammengekniffenen Augen an, auch wenn sie ihm nicht mehr mit einem Rauswurf gedroht hatte.

Dabei hatte er nichts unversucht gelassen. Von liegen gelassenen Hanteln, über Trainieren auf den Geräten ohne Handtuch, all die üblichen Anfängerfehler eben.

Gestern hatte er sogar in der Umkleide geraucht, nur um sie noch mehr zu provozieren. Leider hatte sie es lediglich Liam gesteckt, der ihn daraufhin in die Mangel nahm.

"Ja, ja, waren nur Probleme mit der Schulter", antwortete er und winkte ab.

Slade runzelte die Stirn.

"Nicht eher Probleme mit Hazel?", fragte er dann. "Ein paar der Jungs meinten, die Situation zwischen euch sei ziemlich angespannt, seit sie versucht hat, dich rauszuwerfen."

Deacon konnte gerade noch verhindern, nicht zusammenzuzucken.

Er wollte wirklich nicht, dass Hazel seinetwegen Probleme bekam oder – worst case – sogar ihren Job verlor. Das war es nicht wert, das alles war nicht ihr Fehler.

Deacon winkte ab. "Nein, nein, alles in Ordnung, mach dir keine Sorgen."

Slades Stirnrunzeln vertiefte sich. "Sicher? Ich rede auf jeden Fall mit ihr. Ich hätte sie nie so früh mit alldem alleine lassen dürfen, klar, dass das nicht funktionieren kann."

 

HAZEL

 

Mit geschlossenen Augen versuchte sie gegen die Panik anzukämpfen, die sie zu überwältigen drohte. Ihr war eiskalt, obwohl sie in der Sonne auf einer Bank hinter dem Club saß. Sie war überraschend warm und kräftig für diese Jahreszeit, dennoch drang die Wärme nicht zu ihr durch.

Die Kälte kam aus ihrem Inneren, es war die Angst, dass ihr dummes, kindisches Verhalten in der letzten Woche Deacon gegenüber ihr schlussendlich den Job kosten würde.

Slade hatte zwar nichts dergleichen gesagt, aber die Art, wie er nach den Streitigkeiten zwischen ihr und Deacon gefragt hatte, hatte deutlich gemacht, dass er sich um seinen Freund sorgte.

Natürlich konnte sie verstehen, dass für Slade das Wohlbefinden seines Freundes an erster Stelle stand, aber sie konnte es sich einfach nicht leisten, ihren Job zu verlieren. Wie sonst sollte sie den Schuldenberg jemals abtragen?

Sie dachte an das Haus und das Auto, das sie verkaufen sollte, um ihre Situation zu verbessern, doch allein der Gedanke daran schnürte ihr die Kehle zu. Es war vollkommen irrational, schließlich waren es doch nur leblose Dinge, keine Freunde oder Familie, die sie verlieren würde. Und dennoch konnte und wollte sie diese Erinnerungsstücke nicht aufgeben.

Sie spürte, wie eine Träne über ihre Wange rollte, und wischte sie mit dem Ärmel ihrer Jacke weg, noch bevor sie ihr Kiefer erreichte. Sie wollte nicht weinen, wollte stark sein und weiterkämpfen, wie sie es seit zwei Jahren bereits tat. Aufgeben war keine Option, nicht für sie, niemals.

"Hey … alles okay bei dir?" Nicks Stimme ließ sie erstarren, sie wollte nicht, dass er sie so sah.

Sie schluckte und straffte ihre Schultern, dann schaffte sie es mit viel Anstrengung, ein Lächeln auf ihr Gesicht zu zaubern.

"Klar, alles bestens", sagte sie, ohne ihn anzusehen, damit er die verräterischen Tränen in ihren Augen nicht sehen konnte.

"Wenn alles bestens ist, weint man für gewöhnlich nicht", antwortete Nick und setzte sich neben sie.

Ihr Lächeln verrutschte, und als sie zu ihm aufsah, bemerkte sie die Sorge und das Mitleid in seinem Blick.

Dieser Ausdruck sorgte dafür, dass ihr Lächeln erlosch und sie heftig blinzeln musste, um die neuen Tränen zu vertreiben.

Nick seufzte und legte ihr einen Arm um die Schultern, dann zog er sie an sich und bettete sein Kinn auf ihrem Scheitel.

Es fühlte sich so verdammt gut an, endlich mal wieder gehalten zu werden. Sie konnte sich schon fast nicht mehr daran erinnern, wie es war, sich an jemandem anlehnen zu können, zu wissen, dass da jemand war, der einen auffing, wenn einem alles zu viel wurde.

Diese einfache Geste sorgte dafür, dass sie ihre Tränen nicht länger unter Kontrolle halten konnte, dass sie sich nicht gegen seinen Griff wehren konnte, sondern sich fast schon verzweifelt an ihm festklammerte.

Sie wollte das hier nur für einen Moment genießen, nur einen Moment lang glauben, dass da jemand war, dem sie etwas bedeutete, der für sie einstand und ihr half. Auch wenn sie sich selbst betrog, fühlte es sich doch gut an, zu wissen, dass sie nicht allein auf der Welt war und auch einmal, wenn auch nur für wenige Minuten, nicht kämpfen musste und schwach sein durfte.

"Welchem dieser Idioten muss ich den Kopf abreißen?", fragte er nach einiger Zeit.

Hazels Lippen zuckten, als sie sich wieder aufrichtete und ihn dankbar anlächelte. Sie wollte nicht, dass es vorbei war, auch wenn sie wusste, dass dieser Moment nur gestohlen war. Es war nicht echt, Nick empfand nichts für sie, war einfach nur empathisch genug, um ihr in diesem Moment zu helfen.

"Niemandem", sagte sie ehrlich. Es war nicht Slades Schuld, dass sie sich von Deacon immer wieder provozieren ließ.

"Hmm … wenn ich jetzt da reingehe und frage, mit wem du als Letztes gesprochen hast, ist die Antwort dann auch niemand? … oder vielleicht Deacon?"

Sie legte den Kopf in den Nacken und atmete tief durch.

"Nein, tatsächlich nicht. Ich habe nur mit Slade gesprochen, dem die Situation wohl aufgefallen ist, und irgendwie ist mir dann kurz alles über den Kopf gewachsen. Es geht schon wieder."

Nick schwieg eine Weile und sah nachdenklich den Personen zu, die auf dem Parkplatz hielten, den Club betraten oder verließen.

Dabei hatte er die Arme auf der Rückenlehne der Bank ausgebreitet und strahlte eine Ruhe aus, um die Hazel ihn beneidete.

Sie selbst fühlte sich ständig getrieben, ihr Kopf ruhte nie, ihre Gedanken drehten sich im Kreis auf der Suche nach Antworten.

Auch Deacon kam nach einiger Zeit nach draußen auf den Parkplatz. Die schwarze Trainingstasche hatte er wie so oft über die Schulter geworfen, und er steuerte ohne nach links oder rechts zu laufen auf seinen alten Ford zu.

Das Teil schien fast schon auseinanderzufallen und wäre eher das Modell, das sie sich leisten konnte. Ihr teurer Minivan lag jenseits von dem, was ihr Budget eigentlich zuließ.

"Weißt du … ich kenne Deacon so gar nicht", sagte Nick, der seinen Freund beim Ausparken beobachtete.

"Wie?", fragte Hazel völlig automatisch.

Nick musterte sie. "So provozierend. Deacon ist eigentlich jemand, mit dem sich jeder versteht."

Hazel schnaubte. Deacon war vom ersten Moment an aggressiv und unverschämt gewesen. Also alles andere als umgänglich.

Aber Nick schüttelte nur den Kopf. "Nein, im Ernst. Er ist nicht so … Langsam habe ich das Gefühl, dass er das mit Absicht macht."

"Mich auf die Palme zu bringen? Einfach so?", fragte sie ungläubig.

Wieder nickte er. "Ich glaube, er versucht dich auf Abstand zu halten, weil du ihn an seine kleine Schwester erinnerst."

Hazel runzelte die Stirn. "Das ergibt überhaupt keinen Sinn."

Nicks Lächeln wurde traurig. "Doch … sie ist tot und er ist nicht darüber hinweg."

Nicks Worte trafen sie wie ein Faustschlag in ihren Magen.

Konnte das wirklich sein? Versuchte Deacon nur sich selbst zu beschützen?

Wenn es so war, konnte sie ihn nur allzu gut verstehen. Sie würde alles tun, um ein bisschen Frieden zu finden, auch wenn sie damit jemand anderen verletzen würde.

Nick drückte ihre Schulter und stand auf. "Ich muss jetzt leider los. Nimm dir das alles nicht so zu Herzen, Kleines. Deacon ist wirklich kein schlechter Kerl, und mach dir um Slade keine Sorgen, der ist viel mehr von den Jungs gewohnt als nur ein paar Sticheleien."

Sie nickte, auch wenn sie sich nach dem Gespräch mit Slade nicht so sicher war.

Er hatte sich wirklich besorgt angehört. Wenn Deacon sonst mit niemandem Probleme hatte, machte es auch durchaus Sinn, dass gerade in dieser Situation Fragen aufkamen.

"Bye … und danke", sagte sie.

Lächelnd nickte er ihr zu und wandte sich dann zum Gehen.

Hazel beobachtete Nick dabei, wie auch er zu seinem Wagen schlenderte und vom Parkplatz fuhr. Seine Worte geisterten noch lange durch ihren Kopf und sorgten dafür, dass sie immer mehr Mitgefühl für Deacons Situation empfand.

Sie nahm sich fest vor, nicht mehr auf seine Provokationen einzusteigen und einfach nur höflich zu ihm zu sein.

Professionalität würde ihm am meisten dabei helfen, mit dieser für ihn schwierigen Situation umzugehen, da war sie sich sicher. Immerhin hatte sie ein ähnliches Problem.

Es war schwer, über den Verlust eines geliebten Menschen hinwegzukommen, und jeder machte es eben auf seine Weise. Es gab einfach kein Trauer-Patentrezept.

Ob es nun lautes Weinen, stilles Trauern oder wütendes Um-sich-Schlagen war, musste jedem selbst überlassen werden.

Sie würde sich ihm nicht aufzwängen. Weder als Freundin noch als Streitpartner noch in irgendeiner anderen Art und Weise.

Sie würde ihm so gut es ging aus dem Weg gehen, damit er seinen Frieden mit ihr finden konnte.

Es war für sie beide das Beste, wenn sie so wenige Berührungspunkte wie möglich hatten. Sie würde ihn nicht an seine verstorbene Schwester erinnern und Deacon würde sie mit seinen Sticheleien nicht ihren Job kosten.

Einen Job, den sie auf gar keinen Fall verlieren durfte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

4 Veränderungen

 

 

DEACON

 

"Guten Morgen, Deacon", sagte Hazel so freundlich, wie er es noch nie von ihr gehört hatte.

Okay, das mochte nicht zu einem geringen Teil daran liegen, dass er alles versuchte, um sie wütend auf ihn zu machen. Aber woher diese neue Stimmungsschwankung zu zuckersüß kam, konnte er sich nicht erklären.

Mit zu Schlitzen verengten Augen antwortete er: "Morgen." Dann folgt er ihr den Gang entlang zu der Trainingshalle.

Dabei konnte er nicht anders, als ihren kleinen, straffen Hintern in der schwarzen Hose zu beobachten. Er mochte zarte Frauen, Frauen wie Hazel, sie war irgendwie … handlich.

Sofort schüttelte er den Gedanken ab. Er wollte Hazel nicht anziehend finden, sie war ein Ärgernis, das seine mühsam erarbeitete innere Ruhe ins Wanken brachte.

Hazel bog nach links zu den Büros ab, zu seinem Glück, und Deacon entschied, sich erst mal auf dem Laufband aufzuwärmen. Dafür brauchte er keine volle Konzentration und Hazels unnormale Freundlichkeit schwirrte noch zu offensichtlich durch seinen sowieso schon überstrapazierten Kopf.

 

Fünfzehn Minuten später kam Hazel mit einem Klemmbrett zurück in die Halle und sprach mit einigen der jüngeren Boxer. Sie sah gut aus … also das tat sie eigentlich immer, aber an diesem Tag wirkte sie entspannt und irgendwie beschwingt. Ihr obligatorischer Hosenanzug verriet nicht viel über ihre Figur, außer dass sie sehr schlank, wohl eher schon dünn sein musste.

Deacon ertappte sich bei dem Gedanken, dass er sich genauer vorstellte, wie ihr Körper wohl nackt aussehen würde. Schlanke, trainierte Beine, ein flacher Bauch, kleine, straffe Brüste.

Als hätte sie seinen Blick gespürt, drehte sie den Kopf in seine Richtung. Ihre Blicke begegneten sich und sie … ja, tatsächlich, sie lächelte!

Deacon kam für einen Moment aus dem Tritt und wäre beinahe der Länge nach auf dem Laufband gelegen. Er konnte sich gerade noch mit den Händen an den Haltegriffen abfangen und fand nur schwer zurück in seinen Laufrhythmus.

Nicks Lachen schallte von den Geräten zu ihm herüber, aber Deacon hütete sich, auch nur ansatzweise in Nicks Richtung zu sehen. Auf dessen Spott konnte er gut verzichten.

Deacon konnte schließlich nichts dafür, dass Hazel eine 180-Grad-Wendung hinlegte, und das alles ohne ersichtlichen Grund!

Wenn Hazel lächelte, sah sie aus wie ein anderer Mensch. Bei diesem Lächeln konnte er durchaus verstehen, dass all seine Freunde einen Narren an ihr gefressen hatten und die Jungs im Club nach ihrer Pfeife tanzten. Warum war ihm das bisher noch nicht aufgefallen?

Weil sie dich immer nur wütend angefunkelt hat, Idiot!, schalt er sich selbst.

Er konzentrierte sich eingehend auf das Display des Laufbandes, tat so, als würde er irgendetwas einstellen, nur um Hazel nicht noch einmal ansehen zu müssen.

Er verstand nicht, was hier vor sich ging, aber er hatte kein Interesse daran, es näher zu erforschen. Es hatte doch alles super funktioniert, wie es in der letzten Woche gelaufen war. Niemand musste irgendetwas daran ändern.

 

HAZEL

 

Für den ersten Versuch, freundlich zueinander zu sein, lief es doch gar nicht schlecht.

Er hatte zwar weder zurückgelächelt noch war er sonst irgendwie

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Allie Kinsley
Bildmaterialien: Motiv © Depositphotos.com - len_pri
Cover: nawillart-coverdesign.de
Korrektorat: SW Korrekturen e.U., www.swkorrekturen.eu
Tag der Veröffentlichung: 27.07.2023
ISBN: 978-3-7554-4783-2

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