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Leseprobe

Wir sind mehr als Liebe

Riaz

 

 

A.K. Linn

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Copyright © 2017 Allie Kinsley

All rights reserved.

SW Korrekturen e.U., www.swkorrekturen.eu

Cover: D-Design Cover Art

 

 

 

 

 

 

1. Alles wie immer … fast

 

 

 

Genervt starre ich auf meinen Bildschirm. Eigentlich mag ich meinen Job. Ich bin selbstständiger Immobilienscout und kann mir meine Arbeit außerhalb von meinen Kundenterminen selbst einplanen. Mit gerade mal dreißig Jahren so selbstständig zu sein gefällt mir.

Aber heute will die Zeit einfach nicht vorbeigehen. Es könnte daran liegen, dass ich gleich mit meinen besten Freunden zum DVD-Abend verabredet bin und ich sie alle schon viel zu lange nicht mehr gesehen habe.

Wir sind zu fünft, seit jeher. Damien kenne ich seit dreißig Jahren, also unser gesamtes Leben lang. Elyas, Curley und Roy seit neunundzwanzig. Was aber nur daran liegt, dass sie ein Jahr jünger sind als ich. Curley sogar fast zwei. Wir sind ein eingeschworenes Team, aber das Leben macht es uns viel zu schwer, regelmäßig Zeit miteinander zu verbringen. Ja, Damien und Elyas sehe ich öfter, schließlich haben wir eine WG miteinander, aber es ist nicht das Gleiche, wenn wir nicht alle fünf zusammen sind.

Ich schaue auf das kleine Bild, das Curley mir für den Schreibtisch geschenkt hat. Es ist ein Foto von uns beiden. Sie küsst mich auf die Wange und darunter steht mit Photoshop eingefügt: "Für meinen besten Freund Riaz." Ich habe es aufgestellt, obwohl ich weiß, dass wir alle vier das gleiche Geschenk zu Weihnachten bekommen haben. So ist Curley nun mal, und ich liebe sie genau so, wie sie ist.

Ich sehe aus dem Fenster und kann das Treiben auf dem Supermarktparkplatz beobachten. Mein Büro liegt direkt über dem Lebensmittelriesen. Es hat Vorteile, ich kann nach dem Arbeiten kurz was einkaufen, ohne einen zusätzlichen Stopp einzulegen, zum Beispiel.

Es hat aber auch Nachteile. Es gibt keine separaten Mitarbeiter-Parkplätze, weshalb ich mein Baby ungeschützt all den Einkaufswagen aussetzen muss, die dort umher geschoben werden. Mein Baby heißt Carmen und ist ein Porsche 911. Ganz klassisch in Grau. Ich liebe sie. Außer Curley ist sie die einzige Frau, für die Platz ist in meinem Leben.

Eine Abgaswolke, einige Parklücken von Carmen entfernt, erregt meine Aufmerksamkeit. Belustigt beobachte ich denjenigen, der versucht, das winzig kleine Auto aus der Parklücke zu manövrieren. Ein Smart ist einfach nicht das richtige Winterauto für Philadelphias Straßen. Die Trennscheiben, die sie an diesem Bobbycar Reifen nennen, drehen in dem bisschen Schnee laufend durch. Jemand sollte ihr sagen, dass es keinen Sinn macht, auf dem Gas zu bleiben, wenn das ESP schon lange dichtgemacht hat.

Kopfschüttelnd wende ich mich wieder meinem PC zu und stelle erfreut fest, dass es endlich Zeit ist, zu gehen. Ich ziehe mir meine Lederjacke über und die Beenie auf den Kopf. Ich bin der Jeans-und-Sweatshirt-Typ. Wenn ich also nicht gerade einen Anzug tragen muss, weil ich einen Kundentermin habe, sieht man mich für gewöhnlich immer nur in lässigen Klamotten.

Ich glaube, ich kann mit Stolz sagen, ich bin der Einzige, an dessen Klamotten Curley nicht rumnörgelt.

Vielleicht aber auch nur, weil sie weiß, dass sie bei mir auf Granit beißen würde. Ich würde mich nicht unbedingt als stur bezeichnen. Ich weiß eben nur, was ich will. In jeder Beziehung.

Als ich auf den Parkplatz komme, drehen die Trennscheiben des Smarts immer noch durch. Warum kann nicht irgendjemand für fünf Sekunden sozial sein und ihr helfen? Also außer ich, weil ich eigentlich zu Curley will.

Niemand – und ich meine wirklich niemand – auf diesem ganzen beschissenen Parkplatz macht Anstalten, zu diesem schwarzen Loch an Fahrerintelligenz zu gehen, also bleibt mir nichts anderes übrig, als ihr zu helfen.

Als ich an dem Bobbycar vorbeigehe, drückt der Fahrer noch mal richtig aufs Gas und bespritzt mich mit einer Ladung Schneematsch, was meine Laune gleich noch weiter hebt.

Etwas fester als nötig klopfe ich an das Fenster. Die Fahrerin … ehrlich gesagt habe ich auch nichts anderes erwartet, zuckt heftig zusammen. Dann lässt sie die beschlagene Scheibe herunter. Sie sieht süß aus. Kleines, blondes Ding mit riesigen blauen Augen, die – ich habe es befürchtet – bis zum Rand mit Wasser gefüllt sind.

Es gibt nichts, was ich in meinem Leben mehr hasse als heulende Frauen. Wirklich! Etwas in meinem Inneren sträubt sich mit Händen und Füßen dagegen.

Vielleicht liegt es daran, dass ich laut unserer Mum immer schuld war, wenn meine Schwester geheult hat.

Ich weiß es nicht. Ich bin schließlich kein Psycho-Doktor und gehe auch zu keinem.

"Ja?", fragt sie mit dieser Zitterstimme, die weinenden Prinzessinnen vorbehalten ist.

Normale Menschen können diese Kombination aus weidwundem Blick, bebender Unterlippe und einer dennoch verständlich artikulierten Frage nicht. Das ist ein Prinzessinnen-Ding, mit denen sie alles und jeden um ihre kleinen Finger wickeln.

"Wenn die Reifen durchdrehen, bringt es nichts, auf dem Gas zu bleiben." Ich merke sofort, dass mein Ton etwas zu schroff war, weil jetzt nicht nur ihre Unterlippe, sondern auch ihre Nase dieses Zittern hat. Eine süße kleine Nase, by the way. Aber auch das ist so ein Prinzessinnen-Ding. Würden sie nicht so niedlich aussehen, würde ihnen diese ständige Hilflosigkeit schließlich keiner abnehmen.

Zur Krönung schnieft sie. Ich habe keine Ahnung, wie sie es anstellt, aber sogar das sieht bei ihr irgendwie süß aus.

"Ich komme zu spät zu meinem ersten Arbeitstag und weiß einfach nicht, wie ich hier rauskomme." Ihre Stimme ist rau und klingt eher, als würde sie im Bett darum betteln, kommen zu dürfen.

Mein Schwanz findet es gut – wenn das Heulen nicht wäre.

Schnell schüttle ich den Gedanken ab. Die Telefonsexstimme tut jetzt nichts zur Sache.

"Du musst Gas geben; wenn die Reifen durchdrehen runter vom Gas, zurückrollen lassen und wieder Gas geben. Ich schiebe mit, dann bist du gleich draußen. Alles klar?"

Schniefend nickt sie, und ich bin mir nicht sicher, ob sie mich wirklich verstanden hat oder nur eine dieser notorischen Ja-Sagerinnen ist.

Ich gehe hinter den Wagen und ärgere mich darüber, wie dreckig er ist. Wann zum Teufel hat sie ihn zum letzten Mal gewaschen? Mit diesen Händen muss ich später Carmen anfassen … vielleicht gehe ich aber auch lieber noch mal rein und wasche mir die Hände. Ich bin noch gar nicht so weit, als sie das erste Mal Gas gibt. Zu viel natürlich, wodurch ich eine volle Ladung Schneematsch auf meine Hose bekomme.

"Weniger Gas!", rufe ich und bekomme prompt die nächste Ladung ab, aber das Prinzip mit dem Zurückrollen scheint sie zumindest verstanden zu haben.

Überraschenderweise macht sie es nicht halb so schlecht wie erwartet. Schon beim dritten Anlauf ist sie aus der Parklücke draußen. Meine Hose ist nass und voller Matsch, aber ich habe eindeutig Karma-Punkte gesammelt.

Sie bremst den Wagen noch mal ab und öffnet die Tür. Sie schwingt ihre Beine aus dem Wagen. Beine, die in verdammt sexy Stiefeln stecken, die absolut nicht dazu gemacht sind, sich im Winter draußen zu bewegen. Wo zum Teufel arbeitet sie? In einem Stripclub? Ihre Beine sind schlank und ihr winziger Apfelarsch wird von einer knallengen Jeans verdeckt.

Während ich sie mustere, gehe ich weiter auf sie zu. Sie ist heiß, definitiv heiß. Als ich vor ihr stehen bleibe, wandert mein Blick wieder zu ihrem Gesicht. Man sieht noch deutlich die Spuren ihrer Heulattacke, was mich sofort wieder abturnt.

Plötzlich hebt sie ihre Hand und wischt mir über die Stirn. "Matsch am Kopf", sagt sie, als wäre das nicht ihre Schuld. Ich will sie gerade darauf hinweisen, als sie schon weiterplappert. "Vielen Dank für die Hilfe! Ich mache gleich nach dem Arbeiten einen Termin zum Reifenwechseln aus. Geht wohl doch nicht mit Sommerreifen." Dann kichert sie.

SIE KICHERT!

Mir klappt der Mund auf. Nicht nur sinnbildlich, sondern wirklich. Ist das ihr Ernst? Philadelphia! Im Januar! Ich würde sie gern schütteln, doch sie lehnt sich einfach nach vorn und küsst mich auf die Wange. "Vielen Dank!" Zack, schwingt sie ihren süßen Arsch ins Auto, strahlt mich noch einmal aus diesen riesigen blauen Augen an und fährt winkend vom Parkplatz.

Ich bin ehrlich gesagt ein bisschen fassungslos. Über die Stimmungsschwankungen von heulend zu strahlend, über die Sommerbereifung von Bobbycar und Frau, über die Selbstverständlichkeit, mit der sie einen Wildfremden auf die Wange küsst, und darüber, dass sie mir meine Vierhundert-Dollar-Jeans versaut hat und nicht mal auf die Idee kommt, zu fragen, ob sie die Reinigung übernehmen soll.

Das Klingeln meines Handys reißt mich aus dieser Starre. Eine Nachricht von Curley. Einer normalen Frau. Gott sei Dank. Jeden anderen hätte ich nach dieser Aktion wahrscheinlich blöd angemacht.

 

C: M&M's bitte, bitte!!

 

Ich verdrehe die Augen. Sie weiß ganz genau, dass ich schon auf dem Weg zu ihr bin … oder sein sollte, wenn ich Prinzessin Sommerlich nicht gerade den Arsch gerettet hätte.

Ich schicke ihr einen Stinkefinger und bin nicht sonderlich überrascht, dass ich ein Küsschensmiley zurückbekomme. Curley weiß einfach, dass sie mich am Sack hat. Sie ist wie die gute kleine Schwester. Nicht wie June, die für mich irgendwie immer nur Ärger bedeutet.

June ist ein bisschen wie Prinzessin Sommerlich.

Die beiden leben einfach so in den Tag hinein und verlassen sich darauf, dass irgendjemand ihnen schon den Arsch retten wird.

Energisch schüttle ich diese beschissenen Gedanken ab. Es kann mir ganz egal sein. Sie kann mir ganz egal sein. Ich bin nur noch eine M&M's-Packung von meinen Freunden und einem perfekten Abend entfernt.

 

Ich weiß, dass sie mich erwarten, also klingle ich nicht, sondern schließe die Tür einfach auf und gehe hinein. Ich habe schon immer einen Schlüssel zu Curleys Zuhause, ob es nun diese WG ist oder damals das Haus von Curleys Mum. Wenn ihre Mutter manchmal nicht über Nacht nach Hause gekommen ist, hat Curley einen von uns angerufen, damit wir ihr Gesellschaft leisteten und sie keine Angst zu haben brauchte.

Heute hat sie Roy; aber wer weiß, wenn dieser Idiot sie mal wieder so zum Weinen bringt wie vor ein paar Monaten, komme ich höchstpersönlich und hole Curley ab. Schließlich ist sie immer noch meine Curley, einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben.

Nachdem ich die Bande begrüßt habe, ziehe ich Curley mit mir auf die Sofaliege. Ich würde es niemals offen zugeben, aber sie fehlt mir. Sie fehlt mir so sehr, dass ich manchmal nachts wach liege und nach Ausreden suche, warum ich zu den beiden fahren sollte.

Ja, natürlich, im Prinzip hat sich nichts an unserer Freundschaft geändert.

Wenn man es genau nimmt, waren es ja schon immer Roy und Curley und der Rest. Nur musste ich mir einfach nie Gedanken machen, ob ich die beiden bei irgendetwas stören würde, wenn ich zu ihnen gefahren war.

Jetzt ist das anders. Wenn ich jetzt nachts um zwölf in ihre Wohnung fahre, kann es gut sein, dass die beiden Sex haben – und bei Gott, das ist kein Anblick, den ich wiederholt sehen möchte. Es ist, als würde man seine Geschwister beim Sex ertappen. Miteinander.

Mir läuft es eiskalt den Rücken runter. Ich traue mich kaum noch in ihre Wohnung. Immerhin ist die Gefahr doppelt so hoch. Zum einen könnte ich Roy und Curley vögeln sehen, zum anderen auch meine Schwester. Die ist vor wenigen Wochen bei den beiden eingezogen. Erst dachte ich, es wäre eine gute Idee. Ich könnte sie im Auge behalten. So war der Plan. Was ich allerdings vergessen habe einzuplanen: wie es so ist, eine sehr verwöhnte kleine Schwester zu berücksichtigen. Aber das ist ein ganz anderes Thema.

Curley kichert, als ich sie an meine Brust ziehe. Ich habe sie vermisst. Wirklich. Curley ist wie nach Hause kommen. Ich kann sie im Arm halten, ohne dass sie von mir mehr erwarten würde. Und ja, manchmal will auch ich einfach nur ein bisschen Nähe.

Vielleicht ein Kindheitstrauma, wer weiß das schon.

Curley ist weich; als sie sich an mich schmiegt, erinnere ich mich wieder daran, wie gern ich das mag. Sie legt ihre Wange auf meine Brust und brabbelt irgendwas. Ich höre ihr nicht zu, genieße einfach nur den Augenblick.

Damien hat uns entdeckt, und ich sehe genau, dass er den gleichen Gedanken hat wie ich. Er lässt Roy mitten im Gespräch stehen und wirft sich auf Curleys andere Seite. Sie will sich zu ihm umdrehen, aber ich lasse sie nicht.

"Bleib", sage ich leise und drücke sie fest an mich. "Ihr seid böse!", beschwert sie sich.

"Roy hat dich die ganze Woche, heute gehörst du allein uns", sagt Damien und tätschelt ihren Arsch.

Elyas fängt mit Damien eine Diskussion darüber an, wie unfair es sei, dass er gar nichts von Curley habe, aber mir ist es egal. Ich ignoriere die beiden und genieße es lieber, Curley im Arm zu halten.

Sie riecht so gut. Nur nach Curley und nicht nach tonnenweise Parfüm und Bodylotion, die echt ekelhaft schmeckt.

"Geht’s dir gut?", fragt Curley plötzlich leise.

"Immer doch, Süße." Sie drückt mich fester an sich, und in diesem Moment ist wirklich alles gut, weil alles wie immer ist.

Es sind nur Roy, Damien, Elyas und ich und wie wir uns darum streiten, wer mehr Anspruch auf Curley hat. Ich liebe diese Idioten. Allesamt!

"Riaz?" Curleys streichelnde Hand auf meiner Brust macht mich ganz schläfrig. "Roy fährt nächste Woche weg. Kann ich bei euch pennen?"

"Warum fragst du?" Es ärgert mich, dass sie fragt. Sie könnte noch heute mit Sack und Pack in der Wohnung auftauchen und einziehen. Sie gehört zu uns, wir sind eine Familie. Nicht blutsverwandt, aber es ist viel mehr zwischen uns. Wir haben unser gesamtes Leben miteinander verbracht. Vom Sandkasten über die Schule und die Uni, bis jetzt.

"Weil Tony noch hier wohnt und Roy nicht so begeistert ist, dass …"

Bevor ich Curley schütteln kann, tätschelt Damien ihr abermals den Arsch. "Er meint, warum du fragst. Sonst bist du doch auch einfach gekommen. Mi casa es tu casa. Du kannst immer noch kommen und gehen, sooft du willst."

Ich spüre Curleys Lächeln auf meiner Brust und muss einfach meine Lippen auf ihren Scheitel drücken.

"Öfter kommen und weniger gehen würde mir besser gefallen", sage ich leise und streichle über ihren Rücken.

"Ich gelobe Besserung."

Elyas und Roy haben aufgegeben und quetschen sich neben mir und Damien auf die Liege. Dass es mittlerweile eine zweite in der Wohnung gibt, ist irrelevant. Wir sind irgendwie doch auch nur Gewohnheitstiere.

"Das ist meine Wohnung und Curley ist meine Freundin. Warum genau hab ich diesen beschissenen Randplatz?"

"Was mein, ist dein und so", murmelt Damien, der schon in die Fernbedienung vertieft ist, um den Film zu starten.

"Außerdem gibt es bei DVD-Abenden sowieso die Keine-Freundin-Regel, erinnerst du dich?", fragt Elyas und drängelt, damit er mehr Platz am Rand hat.

Curley wird zwischen Damien und mir eingequetscht. Sie kichert, doch bevor sie etwas sagen kann, ruft Roy: "Keine sexuellen Anspielungen, Curley. Wir haben Mitbewohner, die das nicht verstehen."

"Was verstehe ich nicht?", fragt Tony, der genau in diesem Moment zur Tür hereinkommt. Dann runzelt er die Stirn.

"Also außer dass ihr zu fünft auf einer Liege liegt, obwohl es eine zweite gibt." Sein Stirnrunzeln vertief sich, als er sieht, wie Curley an mich geschmiegt daliegt. "Also und das." Er macht eine Handbewegung, die Curley und mich einschließt.

"Das alles musst du gar nicht verstehen, Tony. Wir sind mehr als Liebe. Entweder setzt du dich jetzt hin oder du gehst wieder. Der Film fängt an", sagt Curley.

Kopfschüttelnd verzieht Tony sich auf seine eigene Liege. Es stört mich, dass er im Raum ist, aber ich habe wohl kaum Mitspracherecht.

"Weißt du, Curley, in solchen Momenten bin ich echt froh, dass es mit uns nicht geklappt hat", sagt Tony.

Der Kerl nervt mich wirklich. Ich will ihn nicht hier haben. Es ist, als würde man mit der Familie essen und der Typ vom Finanzamt, der einem schon die ganze Zeit auf den Sack geht, sitzt mit am Tisch.

Roy schnaubt. "Als hätte ich das zugelassen. Curley ist viel zu gut für dich und mit uns ist alles in Ordnung."

"Ich mein ja nur … welcher normale Kerl würde das mitmachen?", legt Tony nach, und ich schwöre, wenn ich nicht Curley im Arm hätte, würde ich ihn eigenhändig aus der Wohnung werfen.

"Ich bin dafür, dass Elyas ihn rauswirft", sagt Damien, als hätte er meine Gedanken gelesen.

"Warum ich?" Elyas greift nach Curleys Hand, die auf meiner Brust liegt, und ich bin kurz davor, ihn von der Liege zu schubsen.

"Weil Roy ihn nicht rauswerfen darf, ohne Ärger mit Curley zu bekommen, und weder Riaz noch ich aufstehen werden und damit unsere Plätze aufgeben", erklärt Damien, als wäre Tony gar nicht im Raum.

So ist es immer. Wir fünf sind ein Team und der Rest interessiert uns einen Scheißdreck.

"Curley ist jedem von euch böse, der Tony rauswirft", sagt mein Lieblingsmädchen und wedelt dann mit der Hand in Damiens Richtung. "Du hast genau fünf Sekunden, um den Film zu starten, sonst hole ich Twilight und wir schauen den an!"

Schon bei Twilight hatte Damien auf Start gedrückt.

 

Irgendwann im Laufe des dritten Films muss ich eingeschlafen sein. Ich wache erst auf, als Roy Curley von mir wegzieht. "Komm, wir gehen schlafen, Baby", flüstert er. Es wird scheißkalt neben mir, auch wenn Curley eine Decke über mir ausbreitet. Widerwillig schlage ich die Augen auf.

"Hey … schlaf weiter", flüstert sie. Aber ich will nicht. Sie fehlt mir, und es stört mich, dass nicht mehr alles so ist, wie es einmal war. Das macht keinen Sinn, das ist mir durchaus klar.

Finster funkle ich Roy an, der hinter Curley steht und sie im Arm hält. Immerhin ist es seine Schuld.

Er hat mit seiner beschissenen Verliebtheit alles auf den Kopf gestellt.

"Die anderen sind nach Hause gegangen", sagt Roy und hat diesen Blick drauf, der mir nahelegt, das Gleiche zu tun. "Oder du bleibst einfach hier, wie Tony."

Wie der streunende Hund, dem man Obdach gewährt. Nein, danke!

"Du kannst auch bei uns pennen", sagt Curley. Sie sieht nicht, dass Roy sein Gesicht verzieht, weil er sie lieber für sich allein hätte.

"Passt schon", sage ich und stehe auf. Ich gehe lieber nach Hause, das ist besser, als hier wie das fünfte Rad am Wagen rumzuhängen.

Weil ich sauer bin auf Roy … und, ja okay, zugegeben, weil sie mir verdammt noch mal fehlt, küsse ich Curley auf den Mund.

Ehe noch einer von beiden einen Kommentar abgeben kann, verziehe ich mich aus der Wohnung.

Es tut zu sehr weh, aus etwas ausgeschlossen zu werden, was ich irgendwie schon seit je her für sicher gehalten hatte.

Vor dem Haus steht meine geliebte Carmen. Wie immer beruhigt mich das gleichmäßige Schnurren ihres Motors, als ich ihn anlasse und sie aus der Parklücke steuere.

Die Straßen sind beinahe leer und ich komme viel zu schnell zu Hause an. Es ist nicht so, dass ich ungern in der Wohnung bin, aber an Tagen wie diesen, an denen mir bewusst wird, dass alles irgendwie anders geworden ist, ist es schwieriger.

Irgendwie ausgelaugt schleppe ich mich die Treppen nach oben zu unserer WG.

Es ist verdammt noch mal nur ein beschissener Abend. Morgen schaut die Welt schon wieder viel besser aus.

 

 

 

 

 

 

 

2. Sie schon wieder

 

 

 

Ich habe mich so lala vom Vorabend und der Erkenntnis, dass bei Weitem nicht alles so ist, wie ich es haben will, erholt.

Aber eben nur so lala. Heute Nacht habe ich beschlossen, dass es mir eindeutig besser gehen wird, wenn ich mal wieder Sex habe. Dieses übermäßige Bedürfnis nach Nähe ist schließlich auch nur ein Ergebnis von zu wenig Sex gepaart mit zu wenig Qualitytime mit meinen Freunden.

Also werde ich morgen Abend ausgehen. Ja, das tue ich eigentlich jeden Tag, aber es ist ein Unterschied, ob ich mit den Jungs auf ein Bier in irgendeine Bar gehe oder ob ich in einen Club gehe, um eine Frau aufzureißen.

Der erste Unterschied besteht darin, dass ich definitiv noch zum Einkaufen muss, um Kondome zu besorgen. Safety first, dabei kenne ich keine Kompromisse. Für kleine Riaz' ist es definitiv noch viel zu früh.

Pfeifend schlendere ich mit meinem Einkauf aus dem Supermarkt. Dabei werfe ich Carmens Schlüssel immer wieder in die Luft und fange ihn danach auf.

Plötzlich ertönt ein ohrenbetäubender Schrei. Erschrocken schaue ich auf, werde aber, noch bevor ich etwas erkennen kann, hart von weiß der Teufel was in Brust und Bauch getroffen.

Der Aufprall presst mir die Luft aus den Lungen und lässt mich zwei Schritte zurücktaumeln. Mein Brustkorb brennt ein bisschen, als ich einatme, und es dauert einen Moment, bis ich mich so weit sortiert habe, dass ich mich nach der Ursache umsehen kann.

Nichts, bis auf ein paar Menschen, die sehr erstaunt dreinblicken.

"Autsch, ah, verdammte Scheiße", höre ich eine mir bekannte, sehr weinerliche Stimme.

Ein Blick nach unten bestätigt meine Vermutung.

Zu meinen Füßen liegt Prinzessin Sommerlich inklusive ihrer Sommerstiefel und eines ziemlich knappen Röckchens, das durch den Sturz noch viel höher gerutscht ist.

"Was machst du denn da?", frage ich und stemme die Hände in die Hüften.

Ihr Blick schnellt nach oben. Es fühlt sich an, als hätte ich einen weiteren Hieb in den Magen bekommen, als ich sehe, dass ihre riesigen blauen Barbie-Augen schon wieder voller Tränen sind.

Vorsichthalber lasse ich meinen Blick zu ihren wirklich hübschen Schenkeln zurückwandern. Hübsche halb nackte Schenkel, die mitten im Schneematsch sitzen.

Noch genervter, als ich es von diesem Zusammenprall sowieso schon war, bücke ich mich und packe sie an den Oberarmen, um sie auf die Beine zu stellen. Dabei rieche ich zum ersten Mal ihr Parfüm. Zimt, glaube ich. Es ist süß, aber nicht allzu aufdringlich.

"Aua!", jammert sie, und ich suche ihren Blick, um herauszufinden, was genau denn nun schon wieder ist.

Tränen laufen über ihre Wangen … was auch sonst. Ihre volle rosa Unterlippe zittert dabei im Püppchenstil.

Sie wäre verdammt heiß und irgendwie süß, wenn sie nicht andauernd heulen würde.

"Was denn?", frage ich genervt und lasse ihre Arme los.

Sie quiekt, als hätte ich ihr wehgetan, und taumelt gegen meine Brust. Mit den Stiefeln reicht sie mir genau bis unter das Kinn – perfekte Größe, so wie Curley.

"Ich glaube …" Theatralisches Schniefen ihrerseits. "Ich habe mir den Knöchel verstaucht." Schniefen die Zweite.

Ich überlege, was ich daraufhin antworten soll. Will ja kein arroganter Arsch sein.

Okay. Ich will zumindest nicht wie ein arroganter Arsch klingen. Dass ich sehr wohl einer bin, hat Curley mir mehr als einmal bestätigt.

Da ich stumm bleibe, sieht sie mich, immer noch an meine Brust gelehnt, aus ihren riesigen, nassen Augen an. Plötzlich lächelt sie, und ich muss leider zugeben, das Lächeln ist atemberaubend.

Wäre ich kitschiger veranlagt, würde ich jetzt was von der aufgehenden Sonne in ihrem Gesicht erzählen und wie sie die Umgebung erhellt. So wie ich bin, denke ich einfach nur: Verdammt heiß!

"Oh, mein Held, den zweiten Tag in Folge!", neckt sie mich. Blinzelnd komme ich zurück ins Hier und Jetzt. Ich hätte beinahe vergessen, dass ich die hilflose Prinzessin im Arm habe und nicht irgendeine heiße Lady in einem Club.

"Ja, klar", murmle ich und schiebe sie von mir. Ihr Geruch verwirrt mich irgendwie.

Sie wimmert und ich schaue sie genervt an.

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 11.01.2019
ISBN: 978-3-7438-9294-1

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