Thequiemus !
Band 1
Mörders Saaten
Kapitel 1 ~Brandstelle~
„Der muss eine eigene Sodbrennerei besitzen, so sauer wie der ist!“, stieß der Polizist seinen Kollegen an, als Kriminalhauptkommissar Thequiemus mit großen Schritten und düster verhangenem Blick die Brandruine verließ um den oberhalb geparkten Audi der Fahrbereitschaft anzusteuern.
„Was soll er schon haben? - Die Hütte ist Asche und die Leiche da drin ist sicher auch kein schöner Anblick.“ - Der Kollege den Nacken hoch. Die Nacht war lang gewesen und die noch müde Spätherbstsonne schien die Kälte nur noch intensiver unter ihre Jacken zu drücken.
„Ne ne, ich habs selbst gehört, es gibt wieder den Knaatsch mit den Leuten dieser Tatortgruppe, die wären allesamt um den Leichnam rumgestanden und hätten mal wieder zu viele Spuren vernichtet. Ist doch immer der selbe Mist!“
„Da sagst Du was! - Als der Kallenbach die Gruppe vor zwei Jahren auch aus der Taufe gehoben hat, war doch schon klar, dass die Ermittler dem Präsidenten dafür kein Denkmal gießen.“
Der Nebenmann reckte den Kopf: „Ist denn seine Kollegin heute gar nicht hier? - Diese Schwarze, - ein ganz ein heißer Feger sage ich Dir!“
„Wie sprichst Du denn über eine Kollegin, hör mal?“
„Was denn? - Darf ich eine Frau nicht mehr scharf finden, nur weil sie im selben Verein spielt?“
„Im selben Verein, ganz recht, - und auch in einer völlig anderen Liga! - Du redest da von Bonnie Bruneau und die ist die Stellvertreterin vom Thequiemus, `ne Kriminalhauptkommissarin und dagegen ist Dein Polizeihauptmeister bestenfalls Kreisklasse. - Die ist gut, Junge, die hat ein schlaues Köpfchen!“
„ - Und es wippt da auch schön was im Körbchen, - Größe D wette ich und in aller leckersten Schokobraun, wow, da würde ich gerne mal von abbeißen!“
„Sascha, Du bist und bleibst ein Schwein in diesen Dingen! - Und wenn er das hört, der Thequiemus, macht er Dich rund wie‘n Jojo. Der kann solche Sprüche gar nicht ab!“
Unterdessen schimpfte eben jener Erste Kriminalhauptkommissar Thequiemus in sein Smartphone: „Bo, wie denn nun? - Kann oder will der uns nicht endlich sagen wer die Gartenlaube gepachtet hat? - Mach dem Vorstand klar, dass wir hier in einem engen Zeitrahmen arbeiten verdammt nochmal! - Ach nein, ich bin doch nicht sauer auf Dich! Aber hier liegt ein Toter in einem Haufen Asche und mit einer Wäscheleine um den Hals und ich hätte gerne endlich mal was zu Ermitteln hier!“
Nicht genug, dass sich durch die Löscharbeiten und Dank der Tölpel aus den eigenen Reihen, in den Brandresten wohl kaum brauchbare Spuren finden würden. Jetzt tanzte auch noch der Vorstand dieses Kleingartenvereins auf seinen Nervensträngen herum. Er ahnte ein Warum und bot an: „Ist er nicht farbenblind genug? Soll ich ihn mal vorknöpfen?“
„Nee Du, danke“, ächzte es aus der Leitung. „Der gute Mann meint eben die Datenschutzregeln ließen ihm hier keine andere Wahl. Er will den Pächter selbst anrufen und fragen, ob er die Kontaktdaten raus geben darf. Aber vor Sieben will er ihn nicht anrufen. Er checkt die Zusammenhänge einfach nicht. Das ist auch alles. - Tigran, - ich arbeite daran, okay?“
Ihn hatte man jedenfalls heute um halb drei Uhr aus dem Bett geklingelt und er fror seit Stunden. Noch lag alles im Dunkel. Unten auf dem Zubringer, leckten die Scheinwerfer der Autos mit scharfen Zungen über einen frostfunkelnden Asphalt, während der rauchende Rest des Gartenhäuschens verätzte Wärme in den klirrenden Morgen keuchte. Was als Scheiterhaufen gedacht gewesen sein mochte, war den Lebenden ringsum eine beklommen empfangene Quelle der Wohltat. Was allen fehlte war Schlaf.
- Bonnie Bruneau, seiner Kollegin war es kaum besser ergangen, sie hatte sich noch durch jeden Herbst und Winter zu frieren gehabt. Bei Tagesanbruch hatte er sie dann wohl weißlich zu Vorstand Bichlers Adresse geschickt. Er hatte gehofft in dessen Wohnung würde sie sich bestimmt etwas aufwärmen können. Jetzt fand sie dort nichts als eine kalte Schulter.
Er setzte sich in den Wagen und klappte seinen Notizblock auf, die Informationen waren dünn: Vom Zubringer zur Autobahn Richtung Habichtshausen aus waren die Häuser und Gärten der Anlage Fliederau gut zu sehen. Aus einem Auto heraus war der erste Notruf über den Brand um 22:25 Uhr eingegangen, weitere waren gefolgt.
Gerade hatte er wiederholt einen Blick auf den Leichnam geworfen. Wie ein toter Käfer lag er rücklings auf einem unheilvollen rauchenden Teppich aus Asche, umfangen von einem beißenden ätzenden Dunst. Arme und Beine von der versengten, sich zusammen ziehenden Muskulatur in einem fast rechten Winkel hochgezogen. - Der Gerichtsmediziner in der Gruppe hatte sich auf nichts außer dem Geschlecht festlegen wollen, die Leiche sei männlich, aber nicht einmal das Alter wollte er schätzen.
„Die Feuerwehr hat nicht erwähnt, dass der Brand besonders lang gewütet hätte, oder besonders angeheizt von irgendwelchen Substanzen die hier gelagert gewesen wären, es brauchte jedenfalls keiner gesonderten Mittel in der Brandbekämpfung“, hatte Thequiemus laut überlegt, „trotzdem verblüfft es mich immer wieder, wie ein menschlicher Körper von einem simplen Holzfeuer derart zugerichtet werden kann.“
Der Mediziner hatte genickt und gemeint, auch ihm sei das aufgefallen und er habe dazu auch schon eine erste Theorie, aber so recht raus rücken damit hatte er nicht wollen und die Ungeduld des Ermittlungsleiters knapp abgegolten: „Nach der Obduktion, wie es sich gehört!“
Er klappte die Notizen wieder zu. Zwei Uhrzeiten und nur eine Handvoll Wörter, das war unmöglich eine Ausbeute womit ein Tigran Thequiemus zufrieden sein konnte. Es blieb gerade noch genug um wenigstens mal Stellmacher und Grasshoff in seinem Kommissariat den Auftrag geben, die Vermisstenmeldungen durch zu ackern. - Wenn dieser Vorstandsschädel nicht endlich Bonnie mit dem Namen des Pächters versorgen würde, hatte der junge Tag für ihn bereits hundert Prozent Schnauzvolligkeit erreicht.
Das Smartphone schepperte. - Daniel Schüssler, ein weiterer seiner vier Kriminaloberkommissare hatte interessante Neuigkeiten: „Meister, - pass auf, das wird selbst Dich umhauen! Nachdem die regionalen Radiostationen heute Früh über den Toten berichtet haben, trudeln immer neue Meldungen ein von Zeugen, die gestern Abend einen Mann auf dem Zubringer haben laufen sehen. Ja, richtig, - laufen! - Und sie sagen alle eines übereinstimmend, er hätte dabei Mundharmonika gespielt! Hammer, was? - Auch die Personenbeschreibungen gleichen sich ziemlich. Junger langer Mann, so zwischen 20 und 30 Jahre, schlank, weiße Turnschuhe - und er soll eine Mütze getragen haben, mit so einem Reflektorstreifen. - So wie ich das jetzt hier lese war das zwischen 21:45 Uhr und 22 Uhr. - Könnte passen, oder?“
In Thequiemus zuckte ein Nerv: „Du kannst mal die Leitstellen sensibilisieren, die Streifenbesatzungen sollen mal die Augen offen halten, ihn kassieren und uns zur Befragung überstellen!“
„Joa, geht klar!“
Er hechtete zurück zu den Leuten der Spurensicherung. „Eine Mundharmonika! - Sucht gezielt danach! Bei Fund sofort Meldung an die MoKo, verstanden?“
Wieder schepperte das Smartphone. „Bonnie? - Und? - Moment, ich notiere! - Rüdiger Lude, - Krimsteiner Straße 7. - Alles klar! - Ich hole Dich ab und wir fahren zusammen hin!“
„Bin ich froh, dass Du endlich da bist!“, jammerte sie als sie sich neben ihn in den Audi fallen ließ. „Ich schwöre Dir mir wird heute bestimmt nicht mehr warm!“
Selbst auf die Distanz kletterte der wohlige Geruch zu ihm in die Nase, der geliebte Weichspülerduft. Wo immer sie stand, oder saß, sich zu einem umdrehte, vorüber lief, oder sobald sie wie grade eben auf den Beifahrersitz plumpste, umgab sie eine wundervoll wohlriechende Wolke dieses einen gewissen Weichspülers. Eine satte Woge Frische, gemischt mit einer fantastischen Brise saftig blauen Himmels. Welch eine Wohltat nach dem Gestank des Brandes und des verkohlten Körpers.
„Du konntest Dich da drinnen nicht mal aufwärmen?“
„So ein Spinner! - Er schmeißt seine Öfen nicht vor neun Uhr morgens an. Da frühstücke er mit seiner Besten und ein Toter in einer abgebrannten Hütte auf einem Areal für das er verantwortlich ist, reicht nicht aus ihn von diesem Ritual abrücken zu lassen. - Warum sind diese Laubenkolonisten immer solche Heiopeis, sag mal?“ - Sie warf ihre lange Braids-Zopf-Mähne nach vorn und wischte sie gleich wieder um ihre Schulter herum, zog den Gurt darüber.
„Hat er Dich angemacht?“
„Ach Tig, dumm gucken tun sie doch immer erst mal sobald der afrikanische Kontinent so dicht vor ihrer Nase auftaucht. Aber nein, er war viel zu beschäftigt empört darüber zu sein, dass man ihn aus dem Bett gescheucht hat. - Jedenfalls, zu diesem Rüdiger Lude fiel ihm nichts besonderes ein. Der hätte die Parzelle 7/30 zwar schon das vierte Jahr, wäre aber nie aufgefallen. Er hielt alles recht gut in Schuss, hielt sich an die Regeln, alles ordentlich. Auch sei ihm nicht erinnerlich, jemals wen anderen als ihn auf der Parzelle gesehen zu haben.“
„Alles ordentlich“, wiederholte der Nebenmann und verzog die Mundwinkel. „Das ist es nun nicht mehr.“ - Er startete den Motor - und drehte die Heizung noch mal höher.
„Apropos Heiopei, - hat Dir Daniel schon durch gegeben, was da gerade für Meldungen einlaufen?“
„Zu Fuß auf dem Autobahn-Zubringer unterhalb der Gärten und mit Mundharmonika im Anschlag“, nickte sie. „Du glaubst der hat was damit zu tun?“
„Sagen wir so, ich kann mir nicht vorstellen, dass er rein gar nichts damit zu hat.“
Sie wiegte den Kopf: „Ich habe mir das ja auch überlegt, allerdings wird das nicht wirklich rund. So wie Daniel es mir durchgesagt hat, war die letzte bekannte Sichtung des Kerls um 22 Uhr, einer der Zeugen war sich sicher, weil da im Radio die Nachrichten liefen. Die ersten Anrufe wegen der brennenden Hütte kamen um 22:25 Uhr, richtig? - Also um Opfer zu sein wird das Zeitfenster schon mal klein. Fünfundzwanzig Minuten um hinauf zur Hütte zu kommen, dort getötet zu werden, - wie wir vermuten stranguliert mit einer Wäscheleine, das braucht ja auch alles mehr als ein paar Minuten. Dann muss der Mörder noch die Behausung in Brand stecken, die ja bei der ersten Sichtung von weitem zu sehen war, quasi da bereits in Vollbrand stand.“
„Und um der Täter zu sein wäre Dir ein solches Verhalten zu auffällig, stimmts? - Genau das denke ich nämlich nicht“, entgegnete er. „Ich wette Opfer und Täter kannten sich. Tötung plus eines Feuers das den Leichnam verzehrt, kann sehr wohl Ausdruck eines Overkill gewesen sein. Etwas ist passiert, was beim Täter ein Lämpchen ausgeknipst hat und ungeahnt rabiat hat vorgehen lassen.“
„Und so angeknackst läuft er dann musizierend über die Fahrbahn?“
„Einer meiner ersten Vorgesetzten im Kriminaldienst, der alte Krummbiegel, mahnte immer: Wundere Dich nicht, dass Menschen verrückt werden. Wundere Dich eher darüber weswegen sie es nicht werden. - Dieser Fall hat eine fatale Vorgeschichte, das rieche ich förmlich. Da durch zu stechen wird ein Höllenritt.“
Sie lächelte und stupste ihn aufmunternd: „Alte Unke … !“
Rüdiger Lude, der Pächter der Parzelle 7/30 stand vor ihnen wie vom Donner gerührt. Er stellte die Laptoptasche langsam neben sich ab, als Bonnie und Tigran ihn auf dem Treppenabsatz auf dem Weg zur Arbeit abfingen und erklärten, was mit seinem kleinen Idyll passiert sei. Der Fund eines Toten darin machte ihn sichtlich fassungslos.
„Sie haben keine Ahnung, wer das gewesen sein könnte? - Niemand außer Ihnen hatte Zugang in die Hütte?“, suchte Thequiemus sich zu vergewissern.
„Nein, ich sage Ihnen doch, ich war immer alleine dort. Nachdem ich die Parzelle vor wenigen Jahren übernommen hatte, musste ich eine Menge Arbeit reinstecken, der Vorpächter war alles andere als ein Kümmerer! - Und jetzt ist das alles weg?“
„Hatten Sie die Schlösser ausgetauscht?“
„Habe ich nicht. - Aber einen zweiten Riegel eingebaut, den ich mit einem Bügelschloss versehen hatte, ganz so blöde bin ich ja auch nicht.“
„Haben Sie in der Hütte eine Wäscheleine aufbewahrt?“
„Wozu das denn, bitteschön! - Ich wohne dort draußen doch nicht!“
„Die Fliederau zählt 45 Parzellen, aber ausgerechnet Ihre wurde in ein solches Drama verwickelt – und Sie können sich nicht vorstellen, weshalb?“
„Nein, Herr Kommissar, ich bin ein unbescholtener Bürger, habe mir noch nie das Geringste zu schulden kommen lassen, gehe Menschen und erst Recht Schwierigkeiten wenn immer möglich aus dem Weg! Ja, ich lebe ein langweiliges und ruhiges Leben, aber es ist ein überschaubares Leben, verstehen Sie? Ich habe es im Griff! - Was man ja weder von dem Opfer, geschweige denn diesem Mörder ebenso behaupten kann, oder?“
So kamen Sie nicht weiter. Sie verabschiedeten sich und trabten wieder hinaus zu ihrem schwarzen warmen Audi.
„Ein langweiliges, ruhiges und überschaubares Leben“, ächzte Bonnie.
„Der Mann mag eine menschliche Reiswaffel sein, aber eben deswegen auch über die Maßen ausrechenbar. - Könnte durchaus sein, dass diese Parzelle bewusst ausgesucht worden war und man sich die Mühe machte in den Gärten zu baldowern.“
„Du denkst an einen regelmäßigen Gast der Fliederau? - Wenn die anderen Pächter nur halb so schwerfällig sind, wie der Häuptling des Haufens“, blies Bo die Backen, „kann das herauszufinden ewig dauern.“
„Darum können sich Pavel und Tenna kümmern, sollte es darauf tatsächlich ankommen. - Ich will jetzt endlich in die Dienststelle und diesen Tatortgrupplern auf den Zahn fühlen. - Wir müssen endlich mehr über das Opfer erfahren!“
„Was wenn es doch Zufall war?“, gab die Kriminalkommissarin während der Fahrt zu bedenken. „Dass Täter wie Opfer in das Häuschen einbrachen, es dort zum Streit kam der dann tödlich endete?“
„Aber warum stranguliert man das Opfer mit einer Wäscheleine, - die ja vor Ort nicht herumgelegen haben kann? - Lude hat viel herum gebaut, es gab bestimmt Werkzeug oder Gartengerät, das eher in Frage gekommen wäre um an jemandem Schaden anzurichten! - Diese Wäscheleine, Bonnie, die stört mich. - Voraus gesetzt sie war todesursächlich kann es natürlich auch sein, dass sich da jemand selbst getötet hat und eine brennende Kerze oder ähnliches hat anschließend den Brand ausgelöst und wir somit erst gar keinen Täter hätten. Mag aber auch sein, dass ein Täter mit der Leine genau ein solches Szenario vortäuschen wollte. Dazu jetzt diese Nachrichten über den Typ mit der Mundharmonika …Ich weiß, wir stehen ganz am Anfang, aber mir sind das schon jetzt viel zu viele Fragezeichen!“
„Moin Meister“, grüßte Daniel und hob seine Meter fünfundneunzig aus dem Sessel hinter seinem Schreibtisch, „diese Meldungen über den Kerl auf dem Zubringer haben das Zeitfenster zwischen 22 und 22:30 Uhr, bislang kam keine rein die ihn später gesehen haben will.“
„Erstmaltasskaff“, schlotterte Bonnie Bruneau an ihnen vorbei auf die kleine Küchenzeile zu, die sich gegenüber der Fensterfront in die Ecke zwängte.
Tigran hängte seinen Mantel an eine Garderobenleiste hinter einer breiten Glasfront, die sein Büro trennte von jenem halboffenen Raum, in dem jeweils in Zweiergruppen die Tische seiner Leute standen.
„Wo sind Pavel und Tenna?“, stutzte er.
„Ihn habe ich schon vor einer Stunde angerufen, aber er war wohl wieder mal außerhalb eingeladen und kommt wegen eines Staus nicht so schnell in die Stadt rein. Tenna muss jede Minute eintreffen, hat verpennt.“
„ – Ich hasse das, wenn wir am Morgen eines neuen Falls ewig brauchen um uns kurz zuschließen! Die beiden müssen heute noch in diese Gartenanlage und sich da umhören!“
„Müssen wir echt warten, bis die Sabbelköppe von der Tatortgruppe fertig sind?“, beschwerte sich Schüssler. „Gabs da draußen wirklich keine brauchbaren Infos abzufischen?“
„Die Hütte ist komplett niedergebrannt. Alles was auffiel war der hohe Grad der Zerstörung des Leichnams. Die Feuerwehr meinte an dem Brand wäre nichts Außergewöhnliches, während der Löscharbeiten kamen denn acuh keine besonderen Brandbekämpfungsmittel zum Einsatz.“ - Der Chef hob den Kopf über die Tische: „ - Was machen die Vermisstenmeldungen, irgendwas Passendes?“
Norbert Stellmacher erhob sich von seinem Platz hinter dem letzten Tisch der Reihe. „Nun ja“, rieb er sich über sein faltiges Gesicht, „ohne Altersangaben wird das spontan schon schwierig da was zuzuordnen. - Die jüngste Meldung ist drei Wochen alt, von einem 76 Jährigen, der aus dem Hospiz getürmt ist.“
Schüssler war spontan amüsiert: „Jau, dem war schon mal nicht nach sterben und so!“
„ - Du hast doch die meisten Dienstjahre und Todesfälle miterlebt, - was hältst von den Meldungen über diesen Musiker? Könnte der zu diesem Geschehen gehören?“
Der Senior des Kommissariats strich sich nachdenklich durch seinen grauen Bart, dann: „Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, wie er so gar nichts mitbekommen hat.“
„Mir war eher nach Deinem Bauchgefühl, ob ein solches Verhalten auch Täterverhalten sein könnte?“
„Auszuschließen ist da gar nichts. Aber Du würdest nicht fragen, wenn Dir das nicht selbst klar wäre.“
„Da ist dieser hohe Grad der Zerstörung der Leiche und die Sache mit der Wäscheleine und beides stört mich. Ich denke nicht dass diese Hütte ein Tatort war. Der Mann könnte schon eine Zeit tot gewesen sein und eine erste Phase der Zersetzung des Körpers bereits eingetreten sein. Ich kann mir zwar vorstellen, dass man mit dem Feuer nur Spuren vernichten wollte, aber genauso gut, dass man die Identifizierung zusätzlich erschweren wollte. Vielleicht um Zeit zu gewinnen, oder eben aus dem psychologischen Momentum eines Overkill.“
„Die Leiche wird aber kaum in einem Rucksack den Weg dahin gemacht haben“, gab Schüssler zu bedenken.
„Es sei denn“, kam Bonnie heran, „er hätte nicht alleine gehandelt, dann machte alles wieder mehr Sinn. - Dann kann eine, oder mehrere Personen die Leiche in die Anlage geschafft haben, man bricht in Ludes Hütte ein, legt sie ab und steckt alles in Brand.“
Thequiemus nickte: „Und da die Tatortgruppler natürlich mit dem schweren Kastenwagen bis direkt vor die Hütte gefahren sind, haben wir kaum Chancen frische Spuren zu finden. - Ich habe von Anfang an gesagt, dass das ein sackdoofer Einfall ist, die Ermittlerteams zu bündeln und mit dieser einen großen Karre auszustatten! Wo die lang fährt fräst die uns das Spurenmaterial nur so weg!“
„Allerdings, wer sagt denn die Täter hätten wissen können, welche Probleme wir uns selbst machen?“, setzte sich die Frau in ihren Schreibtischsessel und hielt die Tasse Heißes eng umfaltet. „Sie müssten die Leiche schließlich ein Stück weit getragen haben.“
„Stimmt schon. Fremdablage würde bedeuten, man könnte Spuren auf der Parzelle finden. Nur dass auch die Feuerwehr ankam um einen zu Brand löschen, die nahm keine Rücksicht auf vorhandene Spurenlagen. Auch jenseits davon sieht es eben schlecht aus, die Fliederau-Anlage hat nicht den einen zentralen Zugang, man kann zu Fuß aus allen Himmelsrichtungen hinein gelangen“, wischte sich Thequiemus angespannt über den Nacken. - Da war es wieder, dieses frustrierende Gefühl, das sich schon vor Ort in ihm breit gemacht hatte. Die ersten 48 Stunden nach einem Leichenfund waren entscheidend. Dass es die auch die Leute aus dem eigenen Haus waren, die ihnen wertvolle Zeit von der Uhr nahmen, war namenlos frustrierend.
Monheim kurvte um die Ecke als ein wohl gekleideter heraus geputzter und glänzend gelaunter Stenz, der seinen Mantel lässig über den Arm gelegt hielt und eine satte Wolke Wohlgeruch in den Raum hängte.
Sein Chef war angefressen genug: „Pavel? - Warum kann man Dich nicht binnen einer Stunde in der Dienststelle haben?“
„Meine Eltern waren beim japanischen Botschafter eingeladen, da kann ich doch nicht …“
„Und ob Du kannst! - Dein Vater war Staatssekretär, - nicht Du! - Du bist Kriminaloberkommissar in einer Mordkommission die ich leite und das verpflichtet Dich dazu Dich zur Verfügung zu halten!“
Der Angeschnauzte verzog etwas die Mundwinkel, diese Ansprache hatte er so oder so ähnlich schon öfter gehört, Anlass zu einer Sorge oder Reue hatte sie ihm noch nicht geboten. Tigran hatte wenig Einsichten welche Pflichten sich aus seiner Teilhabe an einer Familie ergaben, die sich auf dem politischen Parkett bewegte. Er war überzeugt, dass vier weitere Beamte plus eines Ermittlungsleiters ausreichend Mordkommission bildeten um auch mal ein oder zwei Stunden ohne sein Genius auszukommen. Nein, an Selbstbewusstsein mangelte es ihm nicht, sein Mind-Setting ruhte sicher auf dem Gewicht des väterlichen Namens.
Er zwinkerte zu Bonnie hinüber, die den Gruß mit einem kleinen Lächeln über ihrer Tasse quittierte.
„Brauchst es Dir heute Morgen hier gar nicht erst gemütlich zu machen“, blieb der Chef in Fahrt, „sobald Tenna eingetroffen ist, Blitzbriefing für Euch beide und dann hievt ihr euch raus in die Gartenanlage und interviewt jeden den ihr da draußen trefft. Alles was auffällig gewesen sein könnte will ich eingesammelt haben! - Bonnie, Du versorgst uns bitte mit der Telefonliste der Pächter. Der Bichler kennt Dich schon, Dir wird er sie geben. - Leute, wir müssen uns ein Bild darüber verschaffen, was sich die letzten Tage dort oben abgespielt hat. - Der Tod dieser Person hatte eine Vorlaufzeit, da lege ich mich fest. Eine in der der oder die Täter weniger vorsichtig gewesen sein könnten. - Daniel, - diesen Mundharmonika-Spieler, sobald die Streifen ihn zu fassen bekommen, kriegen wir ihn serviert, das habe ich schon so angeordnet. Du hältst den Kontakt zu unseren Leuten aus dem Einsatz ja ohnehin schon seit heute Morgen.“
Pavel hob interessiert sein Kinn in die Höhe: „Und der Chef vons Janze?“
„Steht der Gerichtsmedizin auf den Füßen! - Bonnie, Du kommst mir dann nach sobald Du die Liste hast“, zog Thequiemus sein Smartphone aus der Tasche seiner Jeans um sich bei der Forensik anzumelden. Schon war er hinaus auf den Flur entschwunden.
Monheim rollte die Augen: „Der hat ja wieder Laune, was?“
„Geht ja auch um was. Die Spurenlage ist echt bescheiden und die Tatortgruppe mit ihrem Monstertruck können daran einen maßgeblichen Anteil haben“, erklärte Bonnie.
„Aber warum bin ich bei ihm jedes Mal der Hund der mit der Zeitung eins übers Maul bekommt?“
„Tigran ist ein ausgemachter Tierfreund, der macht so was nicht“, erwiderte Daniel kühl und schielte demonstrativ hinüber zu seinem Kollegen Max Grasshoff. „Im Gegensatz zu anderen hier.“
Monheim folgte dem Blick. „Ach komm, das wird er mir doch kaum so übel nehmen!“, kam es dann überzeugt, „Ich ziehe das Mäxle doch nur ab und an ein bisschen auf. Ein bisschen kollegiale Frotzelei, weiter nichts! - Du neckst Tenna doch auch schon mal und nennst sie andauernd Mäusle, darüber hat sich ja auch noch keiner beschwert!“
Der Erwähnte kehrte sich zu Bonnie: „Rufst Du diesen Vorstand gleich an, ja? - Je eher wir loslegen können, desto besser.“ - Er erwiderte den Blick des schicken Kommissars nicht. Nur nichts heraus fordern. Könnte passieren, dass die anstehende Telefonaktion den dazu provozieren könnte, ihn schon wieder eine Bemerkung über die Größe seiner Ohren machen zu lassen, oder dass er sich ruhig ein paar graue Haare wachsen lassen solle, damit seine glänzende Persönlichkeit nicht noch mehr durch seinen nackigen Schädel scheine.
„Guten Morgen, zusammen!“ - Eine junge atemlose Frau in wehendem Mantel stapfte in hohen Turnschuhen aus dem Gang um die Ecke und steuerte auf den Tisch neben den Stellmachers zu.
„Na Tenna, auch schon aus den Federn gekommen?“
„‘Tschuldige Bonnie, aber mein Smarty war draußen im Flur am Ladegerät, ich habe Eure Anrufe nicht gehört! - Das wird bestimmt nicht mehr vorkommen!“
„Schon gut, schon gut. - Lass Dir mal von Daniel die Datenlage geben. - Du und Pavel habt heute die Aufgabe vor Ort in dieser Gartenanlage Stimmen zusammen zu tragen. Es ist schwer anzunehmen, dass der Brand einige von den Pächtern auf ihre Parzellen lockt. Ungewöhnliche Besucher, Autos von außerhalb die dort parkten, Dinge die abgeladen wurden …“
„Wir haben eine Leiche, richtig? - Wissen wir da schon Näheres?“
„Nichts. - Tigran ist schon runter in die Gerichtsmedizin um sich auf den neuesten Stand bringen zu lassen. - Sobald er was hat, klemmen er und ich uns dahinter.“
„Oh! - Könnte ich nicht mit in die Forensik? Bitte, Bonnie! - Meine erste Brandleiche…!“
„Tenna, nein! - Dein Lerneifer in allen Ehren, aber schau, direkte Zeugenbefragungen sind schließlich auch eine der Königsdisziplinen in diesem Job, da muss man schon ordentlich empathisch und in Bezug auf Körpersprache sehr aufmerksam sein. Eine ziemliche Verantwortung die ihr beide da draußen habt.“
Doch das Lob kam nicht an, die Miene der Kollegin Mauren blieb die einer enttäuschten jungen Kripobeamtin, deren Wissensdurst schlicht unstillbar schien.
Sie fand ihren Chef im Keller an den Türen zu den gekachelten Räumen der Rechtsmedizin lehnen. Er wirkte auf sie auch heute wieder müder als gut war. Doch der wenige Schlaf war es nicht. Er war ein guter Mann, wusste sie, aber kein glücklicher.
Von Zeit zu Zeit überließ er ihr den Dienstwagen, der eigentlich von der Fahrbereitschaft für den Dienststellenleiter bereitgestellt wurde, damit die Alleinerziehende für sich und ihren kleinen Sohn Frei Besorgungen machen konnte. Dafür musste sie ihn dann anderntags zu Hause abholen. Sie kannte seine Frau Ines vom Sehen und von ein paar Sätzen Smalltalk zwischen Tür und Angel, Kommen und Gehen. Dass seine Ehe für ihn kein Krafttank war, war kein großes Geheimnis. Aber wie schlecht die Stimmung zwischen beiden war, wie verstummt, zermürbt und abwesend er zuweilen im Auto neben ihr gesessen war, diese Eindrücke und Einblicke, hatte sie exklusiv. Sie hatte dennoch nie wirklich bei ihm nachgehakt, nie ein Wort darüber verloren. Er war ein verschlossener Mensch. Nicht ohne Temperament, das auch schon mal plötzlich hervor brechen konnte, aber dann auch wieder seltsam verhalten und in sich gekehrt. Selbst sein Sohn Lion war zuweilen nichts als ratlos mit seinem alten Herrn. - Sie waren sich diesen Sommer mal wieder in der Stadt über den Weg gelaufen und hatten sich länger unterhalten. Fast mit der Verabschiedung hatte er ihr gestanden, dass er nie wisse, was im Kopf seines Vater vorginge. Seinen Eltern ginge es miteinander nicht gut, hatte er noch gemeint - und sie dabei seltsam angesehen. Es passierte ihr immer noch dass sie sich fragte, ob sein Blick ihr daran eine Mitverantwortung unterstellte.
„Schon was Neues?“
„Der Tote war männlich, zirka 1, 78 cm groß und schon mausetot als die Hütte in Brand gesteckt wurde. - Doc Khalid hat sogar verbrannte Maden am Leichnam gefunden, Todesfliege und Schmeißfliege. Der war also bereits fäulnisverändert und in diesem Zustand natürlich sein ganz eigener Brennstoff. - Bleibt die Frage nach der Todesursache. Aber so viel kann er schon sagen, Schilddrüsenknorpel und Zungenbein sind gebrochen.“
„Diese Wäscheleine kann also als Strangwerkzeug gedient haben?“
„Zu diesem Zeitpunkt lege ich mich da noch nicht fest, aber diese beiden Spuren legen den Verdacht sehr nahe.“
„Und der Fundort war eine Fremdablage, die Madenbildung macht deutlich, dass er zuvor nur notdürftig verscharrt gewesen sein kann. - Ist doch schon mal was!“
„Auf die Maden ist bei einer Brandleiche kein Verlass. Und diese Sache mit der Ablage“, ächzte der Ermittlungsleiter, „da waren verflucht Viele vor Ort und haben Material vernichtet.“
„Tigran, komm schon, so ganz ohne Spuren sind wir noch bei keinem Fundort geblieben“, versuchte sie wieder eine Aufmunterung.
„Das Opfer war schon tot!“, fuhr er darüber. „Wir haben keine Ahnung, wie lange bereits. Es kann über einen längeren Zeitraum transportiert worden sein und weiß Gott woher stammen. - Ich hasse solche Fälle!“
„Na, - hör Dich an!“, wunderte sie sich. „Was ist los? - Warum so kleingläubig?“
„Die Aufklärungsquote dieser Mordkommission war schon um Längen besser! - Seit dem dieser Fatzke mitmischt, haben wir irgendwie verlernt an einem Strang zu ziehen. Wir arbeiten nicht mehr wirklich füreinander!“
„Du sprichst von Pavel? - Komm schon, er ist ein guter Kopf, ein brauchbarer Kriminalbeamter mit einem feinen Näschen.“
„Und einer verflucht losen Klappe seinen Kollegen gegenüber, von mir ganz zu schweigen. - Ja, ja“, schimpfte er, „ich habe schon verstanden, Dir gefällt er! Du findest ihn toll! - Damit stehst Du allerdings zunehmend alleine da!“
„Ich weiß nicht was Du willst? - Er macht seinen Job und das tut er gut. Ja, er hat eine eigene Art an sich, er ist sein eigener Mensch. Du nennst es lose Klappe, ich nenne es erfrischend.“
„Dir gefällt dass er mit Dir flirtet“, wurden seine Lippen schmal. „Du darfst ihn gerne darauf hinweisen dass die personelle Zusammensetzung einer polizeilichen Dienststelle kein Paarungsaufruf ist!“
Bonnie schnaufte tief durch: „Ich bin sicher er kennt die Dienstvorschriften genauso gut, wie Du!“
Er schob die Hände in die Taschen. „Er nimmt sie aber nicht ernst. Er legt sie aus - und das zu seinen Gunsten. So funktioniert das aber nicht. Ich bin der Chef dieses Haufens, Bonnie und keine bloße Karikatur davon! Es ist meine Aufgabe, diese Kommission zu einem erfolgreich funktionierenden Werkzeug zu formen, es zum klingen zu bringen, damit ihm keine Nuance, kein Detail entgeht! Und Dein Monheim stört dabei.“
„Willst Du ihn abstoßen?“
„Ich kann ihn nicht zurückverweisen an die Koordinierungsstelle. Seine Planstelle würde wir nicht ersetzt kriegen und wir sind doch schon viel zu wenige!“
„Komm schon, so schlimm ist er doch gar nicht“, versuchte sie ihn zu beruhigen, „der liebe Herrgott hat einen großen Zoo, da ist Platz für viele Rindviecher, - so hast Du selbst mal gesagt.“
„Eine Mordkommission ist kein Zoo, Bonnie und mein Bedarf an Rindviechern in meinem Leben ist bereits mehr als gedeckt! Meine Geduld mit Herrn Monheim läuft gerade aus, jetzt wo wir hier stehen und reden!“
Die große Seitentür schob sich auf und Dr. Khalid erschien darin, nickte zu den beiden Beamten herüber. „Ich kann Euch keine Angaben machen zu einer Anreicherung von Kohlenmonoxid und Globulin im Blut um einen Todeszeitpunkt zu bestimmen. Da sind keinerlei Rückstände von Blut verblieben. Auch Rauch in der Lunge ist nicht nachweisbar, das Gewebe ist zu zerstört.“
„Verstehe ich das richtig? Sie wollten sicher gehen, dass er nicht zuvor schon einmal mit Feuer in Kontakt gekommen war?“
„Bei dem Zustand der Leiche war das von Anfang an nicht von der Hand zu weisen. Ein Feuer war nicht erfolgreich genug und man versuchte mit einem zweiten ein Zerstörungswerk zu vollenden. - Einzig was ich schon sicher sagen kann, ist das was ich schon in die Fallakte getippt habe: Zungenbein gebrochen auf einer Höhe, die vermuten lassen kann dass der Mann tatsächlich stranguliert worden ist, ob mit dieser Wäscheleine ist natürlich zum jetzigen Zeitpunkt pure Spekulation. Die war übrigens mit grünem PVC ummantelt, das haben sie drüben bei der SpuSi schon fest machen können, aber lest das lieber nochmal selber nach. Wir haben eine eine erste Röntgen-Aufnahme vom Schädel fertig, die uns wissen lässt, dass er wohl mal eine Fraktur gehabt haben muss, oberhalb des rechten Schläfenbeins. Doch die war nicht todesursächlich und eher erlitten als die Person sich noch im Wachstum befand. - Gepflegtes Gebiss, vollständig, Weisheitszähne extrahiert, nur zwei Plomben in den unteren Backenzähnen, Komposit-Füllungen, ordentlich ausgeführt, ich würde vermuten in unseren Breiten gemacht.“
Die beiden Beamten notierten fleißig.
„Wir brauchen über das Zahnmaterial einen brauchbaren DNS-Identitätsausweis von Euch, wie schnell kann das gehen?“, wollte der Chef wissen. „Je eher wir unsere Datenbanken an Vermisstenmeldungen mit einer Blutgruppe füttern können, desto besser.“
„Ich bringe das Material gleich rüber ins Kriminallabor, aber wie lange die brauchen ...“, er hob die Schultern, „steht mehr denn je in den Sternen.“
„Und zum Alter, irgendwas?“
„Der Mann war ausgewachsen, so viel kann ich schon sagen. Ich schließe mal aus, dass er jünger war, als 25 Jahre.“
„Na bitte“, brummte Bonnie als sie zusammen den Rückweg antraten, „das Bild zeichnet sich so langsam. - Wenn die Datenbanken einen entsprechenden Vermissten haben, Tenna und Pavel eine interessante Zeugenaussage mitbringen und eine Streife den komischen Musiker aufgreift, sind wir doch alle zusammen wieder auf einem richtig guten Gleis unterwegs.“
„Bonnie, wir arbeiten nun schon das sechste Jahr zusammen, - hatten wir in der Zeit auch nur ein einziges Mal einen Fall bei dem sich die Indizien wie von selbst zusammen gefügt hätten?“
„Wer hat das noch gesagt? Unmögliches sind die Ausflüchte steriler Gehirne?“, zwinkerte sie, lächelte und stupste ihm dazu aufmunternd in die Rippen.
Ja, vor sechs Jahren war Bonnie zur MoKo gestoßen. Ihr Ruf war nicht der Beste gewesen und ihr Verbleib in der Vermisstenstelle war unmöglich geworden, nachdem der damalige Dienststellenleiter heraus bekommen hatte, wie sie eine Beziehung zu einem Kollegen unterhalten hatte. Es war nicht die erste Liaison in solcher Konstellation gewesen und im Präsidium hatte man zu diesem Zeitpunkt keinen Pfifferling mehr auf ihre Karriere gegeben. Die Bemerkungen die Tigran darüber und über sie im Speziellen, in der Kantine aufgeschnappt hatte, waren derart herabsetzend, dass er gar nicht mehr anders gekonnt hatte, als sich beim Präsidenten Kallenbach persönlich einen Termin geben zu lassen und zu fordern, wenn er schon keine zusätzliche Planstelle erhalten würde, er nur zu gerne den Problemfall übernehmen würde. Das süffisante Grinsen des Präsidenten hatte ihn aus dessen Büro begleitet, aber die Versetzung war ihm binnen zwölf Stunden genehmigt worden. In der Folge hatte er eine Polizistin kennengelernt, die nichts anderes gewollt hatte als genau das zu sein, eine Polizistin – und er hatte sie gelassen. Er ebnete ihr die Wege in jede Fortbildung und Zusatzausbildung, unterstützte sie nach Kräften bei ihrem Lehrgang zur Hauptkommissarin. Sie beide bildeten ein eingespieltes Tandem, das eine Mordkommission führte, die als eine gut geführte Einheit erfolgreich funktionierte.
Bis dann Pavel Monheim zu ihnen stieß, Spross eines Staatssekretärs im Auswärtigen Amt, der geschickt schon drei Kanzlerschaften überstanden hatte und als glänzend verkontaktet galt. - Ausgerechnet den Max Grasshoff hatte er sich zur Zielscheibe seines Spotts ausgesucht. Obwohl Max ein intelligenter Ermittler war, zusammen mit Stellmacher für das Informationsmanagement des Dezernats zuständig und aus dem Internet die brauchbarsten Informationen zog, schien er den schmucken Politikersohn regelrecht zu triggern. Als er dann noch erfuhr wie der Chef den Kollegen generell nicht mit zu Leichenfundorten nahm, weil es dem dabei stets zu aller erst nur den Magen umdrehte, wähnte sich Pavel wie von der Leine gelassen. Mochte sein, er glaubte wirklich er nähme sich dabei noch sehr zurück und die Bemerkungen im Grunde nur belanglos wären. Aber nicht nur nach Tigrans Meinung konnte man das nur annehmen, sofern man noch nie auf etwas angewiesen war, das man Teamgeist nannte.
„Warum hörst du denn dann nicht endlich auf damit!“, schimpfte Tenna mit Pavel schon seit sie im Audi den Präsidiumsparkplatz verlassen hatten.
„Was ihr alle immer habt! - Max ist ein großer Junge, oder nicht? Wenn es ihm quer liegt, was ich da so von mir gebe, kann er mir das doch einfach sagen.“
„Thequiemus bringst Du schon regelmäßig in Rage – und Du weißt das auch!“
„Der gute Tigran reibt sich an mir, weil er sich reiben will!“, widersprach Monheim sofort. „Die ganze Kommission ist doch ein einziges Kuriositätenkabinett. - Stellmacher steht kurz vor der Rente und sitzt bei uns herum und schüttelt mal eben seine letzten Monate bei uns ab. - Und Daniels Klappe ist auch nicht eben immer die Feine, auch im Umgang mit Kollegen!“
„Ich komme sehr gut mit ihm klar, mich hat er noch nie abgekanzelt, so wie Du andauernd den armen Max!“
„Bei der Befragung von dem Neffen der getöteten Imbissbesitzerin, standen Tigran und ich neben Deinem ach so friedlichen Daniel – und hatten zu zweit verdammte Mühe ihn zurück zu halten! - Da hat der Chef aber hinterher nie wieder ein Wort darüber verloren!“
„Wie bitte? - Daniel musste zu einem Sensibilisierungsgespräch des Disziplinarausschusses, weil Thequiemus es in seinem Bericht natürlich erwähnt hatte! Wie kannst Du da behaupten, er würde bei uns bei so was verschiedene Maßstäbe anlegen!“
„Aber danach hat er Daniel keinen Deut anders behandelt! - Dem wurde nichts nachgetragen, alles fein! - Soll ich Dir verraten, weswegen er mich auf dem Kieker hat? - Wegen Bonnie. Ihm gefällt nicht, dass wir uns so gut verstehen.“
„Du machst ihr schöne Augen, das ist was anderes! – Die Dienstvorschriften sagen aber klipp und klar dass es keine Techtelmechtel zu geben hat innerhalb einer Dienststelle – und das hat auch gute Gründe!“
„Ach bitte! Was sie sich alles für Märchen für Euch Kinder auf der Polizeiakademie ausdenken, - da musst Du nicht viel drauf geben. - Zwei Erwachsene kriegen so was schon hin, ohne dass irgendwelche Typen von oben aus der Teppichabteilung ihnen dabei die Lampe halten müssen.“
„Ach was, Lampen! - Persönliche Beziehungen können im Einsatz dazu führen, dass die Partner zu emotionalisiert auf eine Gefahrenlage des Partners reagieren und dadurch ihre anderen Kollegen in eine zusätzliche und unüberschaubare Gefahrensituation bringen. - Ganz zu schweigen, was sich entwickeln kann, sobald sich die Kehrseite aller Romantik einstellt, schließlich sind die dann ja im Dienst auch bewaffnet unterwegs!“
„Wow! – Wie kann ein so junges Ding einen so alten Kopf auf dem Hals tragen?“
Sie blitzt böse zum Fahrer und rutschte noch tiefer in den Sitz des Audi.
„ - Auf mich ist er sauer, weil er denkt, ich schnappe sie mir so wie so. Damit kommt er nicht klar. Seine Ehe ist doch wohl ein Trümmerhaufen nach dem was man so hört, aber die hübsche Bonnie ist für ihn tabu, - gerade für ihn als Chef. Da kriegt er wohl das gewisse Mausen.“
„Du hast doch einen Pfeil im Kopp!“
„Von Amor“, grinste Pavel. „Bonnie ist eine Granate, dass Du es weißt. Und der Thequiemus, meine Liebe, der ist so wenig blind, wie ich.“
„Du legst Dir die Dinge so zurecht, wie Du sie brauchst, Pavel! - Er und sie kennen sich seit Jahren, sie ist seine Stellvertreterin und darüber hinaus sind sie eben befreundet, nichts weiter.“
Der Mann warf ihr einen mitleidigen Blick zu: „Wer rückt sich jetzt hier die Dinge hin nach belieben?“
Tigran hatte Recht behalten und zumindest Tenna erfüllte das mit nicht wenig Genugtuung: Das dramatische Geschehen hatte das Gros der Pächter in die Anlage gelockt.
Die beiden Kriminalbeamten sahen sich zu erst die Ruine an und erkundigten sich bei der SpuSi nach Neuigkeiten. Doch die enthielten nichts das so nicht schon in Bonnies schnellem Briefing enthalten gewesen wäre. Eine Mundharmonika hatten sie nicht gefunden.
Es gab ein direkt angrenzendes Grundstück und gegenüberliegend zwei Parzellen mit kleinen Häuschen darauf, zu deren Füßen sich Leute an etwas zu schaffen machten. Aber den Kripobeamten war rasch klar, dass es an einem so finsteren Novembermorgen wohl kaum etwas zu gärtnern gab. Hier war man neugierig, konnten sie annehmen, ein Wesenszug, der sie unter Umständen zu brauchbaren Zeugen machen würde.
„Hallo?“, rief Monheim von jenseits der kleinen Einlasspforte. „ - Wir sind von der Kriminalpolizei. Dürfen wir Ihnen ein paar Fragen stellen?“
Der Mann hob den Kopf, nickte, wischte sich die Hände an der Hose: „Lapöhn mein Name“, rief er im Näherkommen und streckte die Hand aus. „Ja, das da, das ist schon eine schöne Schweinerei …“
„Kriminaloberkommissar Monheim, meine Kollegin Mauren, guten Tag. - Ja, in der Tat. - Sagen Sie“, machte Pavel keine Umschweife, „waren Sie die vergangenen Tage hier, ab und zu? Ist Ihnen dabei etwas Ungewöhnliches aufgefallen?“
„Ja nun, hier war ich die Tage schon, der Ackersalat steht so gut, sehen Sie? Meine Frau wollte immer mal was davon gepflückt haben. Aber da drüben? Nein, da fiel mir nichts auf.“
„Sonst irgend etwas das sie merkwürdig fanden?“, hakte Tenna nach. „Haben Sie hier vielleicht Leute gesehen, die Sie zuvor hier nie gesehen haben? Oder Fahrzeuge, fiel Ihnen vielleicht ein fremdes Kennzeichen auf?“
„Nein, hier in der Anlage nicht. - Unten aber, am Ende vom Fußweg zum Zubringer, ja, da standen mal zwei Motorräder für eine gewisse Zeit. Richtig große Maschinen und die Männer dazu, herrje, das waren so richtige Rocker, voll die Lederklamotten, verstehen Sie? - Mit überall Fransen dran und so ganz schweren Stiefeln mit Metallplatten dran.“
„Vielleicht eine Panne?“
„Dachte ich mir ja auch, kommt ja auch schon mal vor. Aber die beiden haben sich da getroffen mit einem anderen, der war so ganz was anderes. Junger Mann, eher abgehalfterter Kerl, hatte nur eine Trainingsjacke an und Turnschuhe und Jeans …“
„Turnschuhe sagten sie?“, war Pavel wach. „Welche Farbe hatten die?“
„Hell auf jeden Fall, aber so sauber waren sie schon nicht mehr. Kann durchaus sein, dass er eine Zeit schon hier herum gestromert ist und sich ab und an durch unseren Matsch bewegt hat.“
„Sie glauben er hat sich hier länger aufgehalten?“
„ - Wissen Sie, manchmal versuchen solche Stromer in eines der Häuser zu kommen, oder machen es sich in einem der Gewächshäuser bequem. - Mir war mal als hätte von Hartmanns unten öfter mal was scheppern hören. Die haben sich da so eine Pergola ans Häuschen genagelt. Und einmal da roch es ziemlich eindeutig nach so einem Doseneintopf.“
„Zurück zu diesen Männern mit ihren Motorrädern“, hatte nun Tennas Neugier gezündet, „ - können Sie sich an irgendwelche Embleme, oder Schriftzüge erinnern, die sie an ihren Jacken getragen haben? Oder Teile davon?“
Doch Lapöhn schüttelte den Kopf: „Da kann ich Ihnen nichts zu sagen. - Woran ich mich aber erinnere ist, dass der eine mit den langen Haaren, ein Tuch um seinen Kopf hatte aber weiter habe ich da nichts in Erinnerung.“
Tenna ließ sich den Weg zur beschriebenen Pergola zeigen, während Pavel beim Fundort bleiben wollte und mit Bonnie telefonieren. Nach den Erfahrungen der letzten Wochen fiel es ihr nicht schwer sich vorzustellen, wie wenig sein Telefonat mit ihr nach einem Austausch von Informationen zwischen einem Oberkommissar und der Ermittlungsführung klingen würde. Vermutlich war sie nur wieder die Schönste der Schönen, die doch mal so gut sein möge und eine der Nummern heraussuchen und behaupten aus ihrem Mund und mit ihrer Stimme klänge sogar ein Zahlensalat wie eine Symphonie. Für die junge Beamtin klang er dabei allerdings nur wie ein arroganter Klappspaten. Seltsamerweise aber schien Bonnie von solchem Genöle weder abgeschreckt noch angewidert. - Wie scharf ihr Verstand auch arbeiten konnte, so versagte er sich ihr wohl regelmäßig sobald es um Männer ging. Stellmacher hatte erzählt, wie schwierig es Bonnie noch vor sechs Jahren gehabt hatte und weshalb. Frisch geschieden sei sie gewesen, als sie in die Vermisstenstelle gewechselt war. Ihr Mann, den sie schon mit Achtzehn geheiratet hatte sie, hatte sie zuvor jahrelang betrogen gehabt und sie keine bessere Idee gehabt, als sich umgehend zu revanchieren und eine Affäre nach der nächsten einzugehen. Auch noch nachdem sie in die MoKo gewechselt war, hatte Bonnie eine Liebelei mit einem Kollegen aus dem Einbruchsdezernat. Sybille aus der Gerichtsmedizin hatte ihr in der Kantine dazu erzählt, dass ihr Chef gehört habe, wie seine Sekretärin mit ihrer Kollegin damals darüber gesprochen hätte wie angefressen Tigran gewirkt habe, als einmal der andere Teil der Affäre, Bonnie vor der Tür zur Forensik zum Feierabend abgefangen hätte. Ganz zu schweigen von der Laune des EKHK nachdem Bonnie schwanger geworden war, von einem stadtbekannten schillernden Sohn eines italienstämmigen Schuhfabrikanten. Doch wer wie Tenna Mauren den Genuss des Vorgesetzten Thequiemus hatte, erlebte einen EKHK, der die Vorschriften und vorschriftsmäßige Arbeitsweise sehr hoch hing. Eine verkniffene Miene mochte Hinweis darauf gewesen sein, wie der Beziehungen nicht nur innerhalb der selben Dienststelle mit professionellem Argwohn betrachtete. Und die schwangere Stellvertreterin machte wohl den nicht froh, der darauf angewiesen war, dass sie ihn im Dezernat, aber auch in Außeneinsätzen vertrat. So hatte sie das Bille auch erklärt, aber es war zum Verzweifeln, wie fest vielerorts in diesem Präsidium der Glauben verankert war, es doch zwischen dem Herrn Strengbraue und der Frau Schönwimper, zwangsläufig irgendwann funken müsste. Monheims Verdacht war demnach nichts als Spiegel von ihm vorgefundenen Flurfunks. Schwer zu sagen was sie mehr ärgerte, die Gerüchteblase die ihrer Dienststelle anhing, oder wie ruchlos Pavel daran ging sie für seine Zwecke zu nutzen.
Dennoch kehrten sie nicht restlos mit leeren Händen zurück. Gerade als sie schon wieder in den Audi hatten steigen wollen, überraschten sie die Jungs von der SpuSi mit dem Fund eines Zettels, der wohl in den Dornen eines Stachelbeerstrauches fest gehangen hatte und dadurch nicht in den Sog des Feuers geraten war. Pavel fotografierte es und leitete das Bild an die Kollegen weiter, während die SpuSi versprach sich gleich daran zu machen, dem Wisch alles an Interessantem zu entreißen, was nur möglich war.
Es war ein Ausriss aus einem Briefumschlag, was man erkannte an einem Stück Klebestreifen am unteren Ende.
Mehr Kopfzerbrechen bereitete das was mit schwachem Bleistift darauf untereinander gekritzelt war:
Alicante-10
Banana Legs-10
Big Zack-20
Blue Keys-5
Bloody Butcher-10
Gargamel-20
Indigo Rose-20
Maria Hock-5
König Humbert-20
Sibirischer Apfel-10
The President-5
Vagabund-10
Yellow Pink-10
Kapitel 2 ~Brandblase~
„In alphabetische Reihenfolge, - als ob man es abgeschrieben hätte, aus einem Katalog, oder Register“, überlegte Tigran laut und teilte doch seine Ratlosigkeit mit dem Rest seiner Leute von der MoKo.
„Ich bleibe dabei“, kommentierte Pavel die Diskussion nach einer Stunde, „das sind Namen von Pferden, die über irgendeine Rennbahn laufen! - Der Täter hat vielleicht Wettschulden, oder ist in irgendwelche Betrugsmaschen verwickelt. Ich finde immer noch wir sollten uns mit dem entsprechenden Dezernat kurzschließen!“
„Ein Rennpferd namens Banana Legs? Oder Maria Hack? - Sibirischer Apfel? Mal ganz zu schweigen von Bloody Butcher?“
„Ich habe mal einen erheblichen Batzen verloren, weil ich auf eins gesetzt hatte, das hieß MyBlueJeans!“
„Wie erklärst Du Dir dann Yellow Pink?“, höhnte Tenna. „Exotisches Zebra, oder was?“
„Bei Rennpferden ist es nicht so wie bei den Warmblütern“, nickte Max der Kollegin zu, „deren Züchter sind mit ihren Stutbüchern nicht verpflichtet bei der Namensfindung für Fohlen Rücksichten zu üben auf die Namen der Elterntiere. Auch ist nicht jeder Name der im Stutbuch steht auch automatisch der Renn-Name. - Mit anderen Worten…“
„Davon gibts `ne Kurzversion, - großartig!“
„Mit anderen Worten, zwar würde Yellow Pink klingen nach einer Verlegenheitslösung eines Rennpferdebesitzers, allerdings ist er in keiner Verlegenheit.“
„Ach schau, das Mäxle! Was der alles weiß!“
„Ich habe Freunde, die züchten Pferde…“
„Du hast Freunde, ja klar!“, spottete Pavel weiter. Er hatte Spaß, endlich begann Max munter zu werden und sich an seinen kleinen Scharmützeln zu beteiligen.
„Freunde, die selbst züchten, Trakehner und dabei schon mal das ein oder andere Vollblut einkreuzen, da schnappt man eine Menge auf über so was, - ja!“
„Diese Sache mit dem Sibirischen Apfel, The President, Big Zack“, schüttelte Daniel den Kopf, „bin ich wirklich der Einzige hier der dabei unwillkürlich an Badesalze denkt, oder Kräuterpäckchen, Legal Highs und so'n Zeugs?“
„Bist Du nicht“, unterstrich Tigran, „mich necken diese Zahlen dahinter mehr als die Namen davor. Sind das vielleicht Bestellmengen, oder Bestellaufträge? Wenn diese Bindestriche eben nicht Minus bedeuten, sondern einfach nur zu dicht aufgemalt sind?“
„Das haben wir doch gecheckt“, erwiderte Bonnie und rieb sich müde über das Gesicht, „es gibt zwar eine Mischung The President, und Tranquilizer Yellow Pink, aber das wars auch. Keiner der anderen Namen taucht in unseren Listen auf.“
„Was hat es mit diesem Sibirischen Apfel auf sich? Die Blätter? Vielleicht ist das was Neues? Vielleicht schmauchen die da das?“
„DieDaDas“, kicherte Pavel und kaute grinsend auf seinem Bleistift herum.
„Du hast Dich heute Morgen mit dem Hammer gekämmt, - kann das sein?“, schimpfte Daniel und blitzte böse nach hinten.
„Donnikowski, Danni, - bei Dir löst ja heute ein Geistesblitz den nächsten ab!“
„ - Nicht mehr lang und ich hau Dir Lappen mal ordentlich die von die Muscheln vom Stamm, Du!“
„Hey, Alter, - geh mir hier besser nicht auf'n Piss, verstanden?“
Tenna warf die Kappe ihres Gelschreibers in Pavels Richtung: „Warum hat jemand der so hohl in der Birne ist, eigentlich keinen Hall auf der Stimme?“
„Vorsicht da hinten auf den billigen Plätzen!“, hob Monheim den Mittelfinger vor das Gesicht der jungen Frau.
„Kackknödel!“
Auch Bonnie kam an ihre Grenzen als sie ächzte:„ - Vielleicht irgendeine Waffe, die an eine Maria Hock geliefert werden soll? Irgendwas Granatmäßiges? Und in Alicante werden sie angeliefert? - Banana Legs ist dann so eine Art Haubitzenmunition?“
Daniel war baff: „Wann hast Du Deine Waffe das letzte mal mit was Bananenförmigen aufmunitioniert?“
„Bananenförmige ballistische Flugkurven, vielleicht? - Ich meine doch, dass das eine Art Deckname für so etwas sein könnte! Irgendein Militär-Slang?“
„Banana Legs, Bonnie, - wenn Du weißt wie die Beine einer Banane aussehen, weißt Du mehr, als wir alle zusammen.“
„Dann von mir aus, der Spitzname für einen Kurier oder Mittelsmann mit O-Beinen?“
Seit über einer Stunde rätselten sie schon an dieser Liste herum. Einzig der alte Stellmacher war sich in etwas sicher und stützte die erste zaghafte These des Chefs: „Ich würde auch eher darauf wetten, dass es sich hier um eine Chiffre handelt, das das Pseudonyme sind für irgendwas. - Diese Zahlen sind wichtiger, als das was davor geschrieben steht.“
„Okay“, ergab sich Bonnie, „ich bin raus! Was wirklich Intelligentes fällt mir nicht mehr ein!“
„König Humbert ist nur der eingedeutschte Name des König Umberto von Italien. Zudem noch The President, das kann uns leiten in Richtung USA, oder nicht?“, blieb Daniel Schüssler bei seiner Linie: „Was wenn es sich um etwas handelt was mit Russland und Italien und Übersee zusammenhängt, ein Zusammenschluss von mafiösen Strukturen. - Bonnie, dann wären wir auch in der Nähe von Deinen Waffenhändlern. - Ich meine, kommt Leute: Bloody Butcher!“
„Kommst Du aus Blödmannshausen, oder woher hast Du bloß so doofe Ideen?“
„Irgendwann nehme ich ich die Reste meines Geduldfadens und nähe damit hier jemandem ganz fest das Maul zu!“, schimpfte Tigran und nahm mit einem vernichtenden Blick Maß an dem schmucken Kommissar.
„Ach lass doch den Sabbelkopp!“, winkte Schüssler ab. „Von der Flachbirne ist doch noch nie was Ordentliches zu hören gewesen!“
„Pferdewettennn!“
Aber Max Grasshoff blieb stabil: „Kannst es gerne gegen prüfen, es gibt auf keiner Rennbahn dieses Landes ein Pferd das unter dem Namen Bloody Butcher laufen würde. Oder Sibirischer Apfel! - Und auch keine Maria Hock!“
Thequiemus wandte sich ab mit dem Grausen, das einen Ermittlungsleiter einfach packen musste angesichts dieses Desasters das seine Einheit schon wieder aufführte. Er kroch hinter seinen Schreibtisch, hinter der dicken Scheibe die ihn von diesem Krach seiner Leute trennte. Da lagen Welten zwischen dem was er sah und erst recht hörte - und dem was sein sollte.
Im Intranet ging er nochmal alle Einträge der digitalen Fallakte aus der Gerichtsmedizin durch. Diese Fraktur oberhalb des Schläfenbeins die der Tote zu Lebzeiten erlitten hatte, versuchte er sich vorzustellen, wie bei einem Reitunfall zugezogen. Doch schon gleich danach siegte das tiefe Vertrauen, das er gegenüber Norbert hatte. Nicht von ungefähr hatte er ihn dem Informationsmanagement zugeteilt, kaum, dass er die MoKo und damit auch den lang gedienten Kommissar übernommen hatte. Er war ein altes Schlachtross, das so schnell nichts aus dem Felde warf. Ihm sah man noch am wenigsten einen Stress an, der durch das Großmaul in den Alltag der Kommission eingekehrt war.
Er rief in der Fallakte das Bild des Zettels auf und kehrte zurück zu einer Suche nach einem Hinweis, der ihnen allen einen Schritt weiter half.
Die Fingerabdrücke, die man darauf gefunden hatte, waren nicht im System, aber sicher männlich, die erhöhte Dichte der Papillarlinien waren ein sicheres Indiz hierfür. Immerhin, dachte er grimmig, ein Indiz. Eine Auswertung von DNS durch Speichel am Briefumschlag hingegen war nicht zu erwarten, da die Lasche selbstklebend gummiert gewesen war.
Auch an der Wäscheleine fand man nichts außergewöhnliches. Schon der verwendete Draht ließ ahnen wie es sich dabei um ein Allerweltsprodukt gehandelt hatte. Die Kriminaltechnik machte darüber hinaus klar, dass die Art wie der Draht gewickelt war auf einen Ursprung in Fernost hinweisen würde. Die Markierung die ein sogenannter Ziehstein bei der Produktion auf dem Geflecht der Drahtfäden hinterlassen hatte, würde sich deshalb sicher über viele Leinen-Kilometer ziehen und so wäre selbst bei einem Fund eines Leinenstückes mit gleicher Markierung bei einem Verdächtigen, die Beweislast gleich Null. Es bräuchte schon des abgeschnittenen Gegenstückes, von dem Meter Leine, die um den Toten gelegt war, um hier Auswertbares zu erhalten.
Auf eben diesem niedrigen Level bewegte sich denn auch seine Stimmung als er erfuhr, wer der ermittelnde Staatsanwalt sein würde, mit dem er und die MoKo zusammen gespannt würden.
Dr. Konrad Peuker seinerseits war gleichsam wenig begeistert und aus dem selben Grund. Der Staatsanwalt galt als ein Griffelspitzer, ein Anwalt des Rechts und dessen minutiöser Umsetzung, Extratouren und Extravaganzen hatte er klar den Kampf angesagt. Als Schüssler und Grasshoff einmal vor dem Haus einer Zeugin eintrafen und Gasgeruch sie dazu veranlasst hatte, die Tür aufzubrechen und nach dem Rechten zu sehen, brauchte es anschließend einer drei Monate dauernden Untersuchung und etlicher Befragungen von Sachverständigen, ehe Peuker sich bereit erklärte diesen Vorfall unter der Maßgabe „Gefahr im Verzug“ abzuschließen.
Gleich nach Betreten von Tigrans Büro, begann er denn auch mit einem ausführliches Statement darüber, dass sich in diesem Fall nichts täte, ohne dass es zuvor mit ihm abgesprochen würde.
Auf die bisher dünne Ausbeute reagierte er ebenso empfindlich: „Sind sie sicher, dass Sie und Ihre Leute bei den benachbarten Pächtern nichts überhört haben, oder am Brandort übersehen?“
„Ich traue meinen Leuten rundweg zu, ihren Job sehr gewissenhaft zu erledigen.“
„Ich habe den Bericht gelesen, erstellt von Frau Mauren. Sie ist die unerfahrenste Mitarbeiterin hier. - Zeugenbefragungen sind aber doch wohl eher was für die Leute mit dem geschulten Auge und den erfahrenen Ohren. Oder nicht?“
„Tenna Mauren hat mein volles Vertrauen. Sie sagen Sie hätten den Bericht gelesen, dann erklären Sie mir wo Sie da Defizite sehen? - Sie – und ihr Kollege Monheim hatten einen einzigen Pächter angetroffen, auf der Parzelle gegenüber dem Brandort, der Parzelle 7/30. Der sagte aus, dass ihm nicht Ungewöhnliches aufgefallen sei. Keine Besuche, keine Veränderungen in der Parzelle oder an der Hütte, kein Fahrzeug, keine Fahrzeugspuren, nichts. Frau Mauren erhielt allerdings von diesem Pächter die Information über die Parzelle 4/17, die als ein möglicher Unterschlupf eines Obdachlosen in Frage kommen konnte, auf den ein Teil der Beschreibung dieses ominösen Mundharmonika-Spielers zu trifft. Er hatte ihn gesehen, als er sich längere Zeit mit zwei Motorradfahrern unterhielt, am Zubringer zur Schnellstraße nach Habichtshausen. Frau Mauren selbst hatte noch vor Ort Kontakt mit den Pächtern aufgenommen, die nach persönlicher Augenscheinnahme heute Vormittag, nichts fanden, was sich verändert hätte, oder fehlen würde. - KHK Bruneau hat überdies den Vorstand der Laubenkolonie gebeten sämtliche Pächter zu kontaktieren mit der Bitte, sich zu melden wenn man etwas mitteilen möchte, was mit dem Brand und dem Toten in Verbindung stehen könnte. Mein Kollege Stellmacher fragt alle 15 Minuten in der Internen nach, ob neue Vermisstenmeldungen eingehen…“
„Und von diesem Musikanten haben wir noch immer keine Spur?“
„Unauffindbar wie es scheint. - Ich würde gerne bei Diether Sandmann vom Drogendezernat nachfragen, ob ihnen eine solche Type bekannt ist. Sein Verhalten war immerhin verdammt selbst gefährdend, die Einnahme von Betäubungsmitteln würde Vieles daran erklären.“
„Ich bin kein Freund von zu viel hin und her“, schüttelte Peuker den Kopf. „Die Streifen haben eine ziemlich umfängliche Beschreibung von dem Kerl, mag sein, denen ist er erst recht kein Unbekannter. - Wir kriegen ihn schon!“
„Wir sollen uns ernsthaft um alle mögliche Fahndungssynergien bringen?“
„Wir sollen uns zuvorderst um unseren eigenen Kram kümmern! - Sandmann und seine Leute haben genug um die Ohren, da müssen wir sie nicht noch zusätzlich belasten!“
„ - Belasten? - Dr. Peuker, unsere Dienststellen teilen in diesem Gebäude ein und das selbe Dach - und ich denke, das sollte uns etwas sagen!“
„Haben Sie mich gehört, oder nicht?“
Tigran hatte. Und dachte sich seinen Teil.
Pavel war schon dabei den Feierabend einzuläuten, sein PC fuhr schon runter, als Tigran aus seinem Büro stürmte: „Vermisstenmeldung, gerade rein gekommen! Ein Kevin Kobler, 26 Jahre, von seinem Arbeitgeber vermisst gemeldet, ist seit zwei Wochen dort nicht aufgetaucht und war auch nicht erreichbar. Er hätte auch versucht ihn zu Hause anzutreffen, ein Nachbar habe ihm gesagt, der hätte Kobler seit Monatsersten nicht gesehen, das sind also 20 Tage.“
„Käme hin, die Larven der Todesfliegen und Schmeißfliegen waren schon voll ausgebildet“, kam Bonnie heran.
„Max“, hob Thequiemus den Blick zu den Tischen, „wir brauchen Daten zu irgendwelchen Angehörigen. Wir haben zwar eine Adresse, aber da kommen wir nicht rein, ohne Zustimmen mindestens von Verwandten, - Ihr wisst ja wie peinlich Peuker auf so was achtet!“
„Ich sehs mir mal an, Chef!“
„Bonnie, wir beide fahren raus zu diesem Arbeitgeber, ich will da mehr Input kriegen!“
„Sollten wir nicht erst abwarten, was die Kollegen zusammen tragen, die die Vermisstenmeldung bearbeiten?“, fragte Monheim launisch. „Das wäre doch jetzt die richtige Vorgehensweise, oder nicht?“
„Warum auf andere warten, während wir hier nur herum sitzen und über Rätseln brüten, die uns nichts als mürbe machen? - Wenn das für Dich Sinn macht, bist Du hier herein falsch abgebogen“, erklärte ihm Tigran kategorisch und angelte schon nach seinem Mantel.
„Es kann in Bischoffsbrück einige junge Kerle geben, die mal eben 14 Tage die große Biege machen, vor einer schwangeren Freundin abhauen, oder ganz einfach mal irre Einen abgesackt haben und ihrem Arbeitgeber vorher nicht um Erlaubnis fragen! - Was macht Kobler zu unserem Kandidaten? Dass er ein Kerl ist, 178 groß und seit zwei Wochen abgängig? - Das kann reiner Zufall sein, ist Euch das nicht klar?“
Thequiemus zog sich langsam den Mantel auf die Schultern und stellte sich dicht von Monheim hin: „Wir sind Kriminalbeamte. Wir glauben nicht an irgendwelche Zufälle.“
Die Gärtnerei Rauschnabel lag unweit des Quellbrunner Friedhofes. Obwohl darauf seit Jahrzehnten keine neuen Beerdigungen und Trauerfeiern mehr abgehalten wurden, hielt sich das alte Familienunternehmen auf dem benachbarten Terrain recht gut über Wasser. Tigran erinnerte sich an Werbung die im Bischoffbrücker Amtsblatt von Rauschnabel geschaltet worden war, worin es um ein Angebot an Jungbäumen von alten Apfelsorten gegangen war und den Verkauf von allerlei Samentütchen mit biologischem Qualitätssiegel.
Als sie durch den hohen floral geschwungenen schmiedeeisernen Bogen fuhren, waren sie dennoch überrascht, wie wenig ausladend das Gelände war. Rechter Hand befand sich ein Ladengeschäft mit einer großzügigen Freiluftverkaufsfläche, von Bauzaunelementen umschlossen. Was man dort an Quadratmetern investierte, sparte man an den ausgewiesenen Parkplätzen. Zwischen dem Laden und dem Wohnhaus duckten sich gerade mal drei Stellplätze.
Jenseits dieses Innenhofes erhoben sich drei lang gezogenen Gewächshäuser, die in ihren Ausmaßen an kleinere Bierzelte erinnerten.
Laut Schild an der Tür, war der Laden war schon seit einer dreiviertel Stunde geschlossen und so versuchten sie es am Wohnhaus.
„Sorry Leute, aber wir haben schon geschlossen!“, tönte eine Frauenstimme durch einen rasch geöffneten Spalt.
„Kriminalpolizei, - wir möchte mit Ihnen über ihren vermissten Mitarbeiter sprechen!“, hielt Tigran den Ausweis hinein.
Neben dem aufgezogenen Einlass tauchte eine Frau auf, an die Mitte Fünfzig, die kurzen Haare duschfeucht und in ihrer erkennbaren Überraschung lag auch etwas Empörtes: „Kriminalpolizei? - Nur weil der Kev nicht zur Arbeit gekommen ist?“
„Kriminalhauptkommissar Thequiemus, das ist meine Kollegin Bruneau“, klärte Tigran auf. „Wir sind hier, weil der Verdacht vorhanden ist, dass Herr Kobler Opfer eines Verbrechens geworden sein könnte.“
„Um Himmelswillen! - Was lässt Sie denn das denken?“
„Regen Sie sich bitte nicht auf. Wir haben auch nur ein paar Fragen“, beruhigte Bonnie.
Die Frau drehte ihren Kopf nach hinten: „Ralf! Ralf! - Hier ist die Kripo! Wegen dem Kevin!“ - Zu den Beamten gewandt erklärte sie: „Ralf ist mein Sohn. Er und der Kevin waren quasi befreundet. Der kann Ihnen da sicher am meisten erzählen. Wo der Kev öfter mal hingegangen ist und solche Sachen.“
„Die Anzeige hat allerdings ein Richard Rauschnabel aufgegeben. - Ist das Ihr Mann?“
„Allerdings. Er hat sich eben Sorgen gemacht. Dass der Kevin nicht mehr kommt, sich auch nicht meldet, das ist noch nie vorgekommen. Eigentlich ist er immer zuverlässig.“
„Ihr Mann ist nicht hier?“, fasste Tigran nach.
„Nein, der ist zu einem Treffen ins Kathrianus gefahren und kommt sicher nicht so bald zurück.“
„Ins Kloster Kathrianus?“
„Er ist da in einem Freundeskreis der sich der Erhaltung der Vielfalt der Kräuterbeete dort verschrieben hat, wissen Sie, das ist…“
Ein junger runder Männerkopf schob sich neben seine Mutter hin. Dessen Eigner machte einen ausnehmend aufgeräumten Eindruck: „Na, das ist aber mal eine prompte Bedienung!“, grinste er, „ - Mein Vater hat doch erst vor zwei Stunden mit der Polizei telefoniert!“
„Stell Dir vor, die meinen, dem Kev wäre was passiert! - Ein Verbrechen.“
„Dem Kev?“, - Ralf Rauschnabel winkte ab. „Niemals. Der fällt doch immer auf die Füße. - Komm Sie“, zog er die beiden vom Wohnhaus in Richtung der Gewächshäuser. „Das muss jetzt meine Mutter nicht mitkriegen“, erklärte er dazu leise.
Auf halben Weg kam ihnen eine grau-getigerte Katze entgegen, den Schwanz zu einem freundlichen S geformt und mit einem sanften Maunzen. Bonnie seufzte leise, denn sie wusste, was nun folgen würde. Natürlich hatte Tigran das Tier schon im Augenwinkel wahrgenommen und natürlich hatte er auffordernd in dessen Richtung mit der Zunge geschnalzt. Das Tier kam heran, Tigran blieb stehen und schon strichen seine Hände nur zu bereitwillig über das weiche Fell einer begeistert schnurrenden Fellnase.
Das war nun mal dieses Besondere an der Arbeit mit Tigran. Daniels Kommentar darüber wie tierlieb der Chef sei, war kein kleines Detail, das ihrer aller Arbeit nicht beeinflusste. So geschah es immer mal wieder, dass Tigran an einem frischen Tatort, mehr Interesse darauf verwendete den Hund eines Tatzeugen zu kraulen, als den aufgewühlten Zeugen zu beruhigen. Betrat man mit ihm einen Hauseingang und scheuchte dabei schon mal ein paar Spatzen vom Meisenknödel auf, oder störte eine Amsel auf einer Wiese beim Würmerstechen, kam vom Chef der Ständigen Mordkommission von Bischoffsbrück immer umgehend eine aufrichtige Entschuldigung. Es kostete ihn ein Gutteil der Aufmerksamkeit, die er besser und von Beginn an ganz auf seine Gegenüber verwenden sollte. Er wusste sehr gut, wie er deswegen von seinen Leuten abhing. Sie hatten so lange für ihn Augen und Ohren zu sein, wie er einer Natur folgte, die er ebenso wenig von sich abstreichen konnte, wie dessen traurigen Ursache ausblenden.
Ralf stutzte etwas, verhielt aber bei Kommissar und Katze. „Der Kevin also“, begann er dann, „der hatte hier eigentlich die Nase ziemlich voll.“
Noch immer hoben sich Tigran Augen nicht zu dem jungen Mann, was den durchaus irritierte. Bonnie hatte ihren Notizblock schon gezückt und notierte diesen Umstand. Hier ging es wohl nicht nur darum, eine Info weiter zu geben, fand sie.
„Ihre Mutter meinte gerade, Kevin Kobler wäre zuverlässig gewesen, sein Fernbleiben sehr ungewöhnlich“, meinte Bonnie. „Wissen Sie da anderes?“
„Was meine Mutter nicht weiß: Der Kevin ist meinem alten Herrn hier hinter mir, im Vermehrungshaus mal über den Weg gelaufen, als der ziemlich zugedröhnt war. Das hat dem Alten nicht gepasst, hat den Kev richtig rund gemacht. Und seitdem hat er ihm nicht mehr so richtig über den Weg getraut, ihn nie so ganz aus den Augen gelassen, verstehen Sie? Das hat ihn immer mehr genervt.“
Bonnie dachte an Daniels Drogenthese und hakte nach: „War er das denn öfter? Bekifft? Oder hat sich was eingeworfen?“
Ralf hob die Schultern: „Darüber weiß ich nichts.“
Nun erst löste sich Tigran vom Tiger und schaltete sich in die Unterhaltung ein: „Ihre Mutter eben meinte aber, Sie wüssten über den Kevin am meisten Bescheid und dass sie sogar befreundet seien, mit einander abhingen, nein?“
„Na ja , wir hatten uns uns zusammen schon mal ein Feierabendbier gegönnt drüben am Brunnenhäusle, haben ein bisschen gequatscht. Das kriegt meine Mutter vielleicht in den falschen Hals.“
„Wieso? Mögen Sie Herrn Kobler nicht?“ - Die Streicheleinlage hatte Thequiemus Reflexen gut getan.
„Na ja “, klang es nun schon etwas gedehnter, „er ist ein bisschen eigen, kommt nicht aus so einem ganz guten Stall, Vater hat gesoffen, die Mutter wurde vom Laster überrollt, da passte er gerade mal in den Kindergarten. So ein ganz Sozialer war er nie. Eher zurück genommen, verstehen Sie? – Und bevor ich es vergesse“, wurde die Stimme plötzlich eifrig, „einmal hat er sogar davon gesprochen, zur Fremdenlegion zu wollen.“
„Zur Legion, - als Kiffer?“
„Ich habe ihm ja auch den Vogel gezeigt. Aber er meinte nur, dass sei seine einzige Chance nochmal ganz von vorne anzufangen. Seinem Leben eine ganz neuen Richtung zu geben.“
Tigran und Bonnie sahen sich an. Das erste Mal war es nicht, dass sie diese Auskunft bekamen, eine vermisste Person hätte zuvor von der Legion gesprochen.
„Was wissen Sie sonst so? Hat er eine Freundin? Oder eine Ex?“
„Darüber haben wir nicht gesprochen.“
Fragend zog Tigran die Augenbrauen hoch. „Zwei junge Kerle beim Bier und quatschen nicht über Frauen? “
„Das Thema kam nicht auf. - Echt nicht! - Vielleicht stand er ja nicht auf Busen?“
Auch Bonnie zweifelte: „Worüber haben Sie denn dann miteinander geredet?“
„Smartphones, da war er gut drin, wusste Bescheid. Und über die Arbeit, - also die alten Obstsorten und Gemüsearten, die wir hier alles kultivieren und zu erhalten versuchen, die Rolle der Saatgutindustrie und solche Sachen. Biodiversität, darüber hat er sich echt Sorgen gemacht.“
„Und in welchem Kontext dazu tauchte dann das Reden über die Fremdenlegion auf?“
„Ne, das hat er hier mal erzählt, in der Pause, als der Alte ihn wieder mit irgendwas genervt hatte. Da hat er die Bombe platzen lassen, wie man wohl so sagt“, lachte Ralf und meinte noch lapidar: „Wissen Sie, ich denke, irgendwann steht der hier einfach wieder auf der Platte und sticht in den Kompost, als wäre nichts gewesen. Kevin war doch ein harmloser Kerl, warum sollte dem jemand etwas tun wollen?“
Der Kommissar hatte genug gehört. „Wissen Sie, ob jemand Schlüssel zu seiner Wohnung hat?“
„Keine Ahnung. Da war ich nie.“
Thequiemus strich zum Abschied der Katze freundlich über die Schwanzkuppe: „Danach hatte ich auch nicht gefragt.“
Bonnie hatte sich gerade in den Sitz des Audi fallen lassen, Tigran den Wagen noch nicht gestartet, da erklärte der schon: „Der Vater erwischt ihn hier bekifft – aber ausgerechnet der Junior sieht ihn so kein einziges Mal? - Das ist doch dreist gelogen!“
„Und schon wieder mal die Mär mit der Fremdenlegion. Hatten wir länger nicht.“
„Noch jedes verdammte Mal wo uns jemand diese Story hatte auftischen wollen, lag der vermeintliche Legionär irgendwann bei uns in der Rechtsmedizin!“, wusste Thequiemus nur zu gut.
Seine Kollegin nickte: „Er weiß bedeutend mehr, als er uns gerade eingeschenkt hat.“
„Du“, räusperte er sich dann, „Du hast ihn ja ständig im Blick gehabt, - fiel Dir was auf? Körpersprache?“
„Nur so ein Gefühl, aber da war mehr Anspannung in ihm, als er preisgeben mochte. Da wirkte Einiges gewollt.“
„Und“, startete Tig den Audi, „er sprach ihm in der Vergangenheit. Er war gut in Smartphones. Das merken wir uns auch mal.“
Der Tag war noch nicht fertig. Das Grau der Stadt wurde silbrig und die Häuser schoben sich bereits gegenseitig die Schatten zu.
Er war schon im Begriff den Wagen Richtung Präsidium zu steuern, da entschied er sich plötzlich um: „Wir müssen in seine Wohnung!“
„Simonthaler-Straße 35“, las Bonnie auf dem Tablet aus der digitalen Fallakte, „aber es bringt nichts hinzufahren, nur um dann vor verschlossenen Türen zu stehen.“
„In der Vermisstenmeldung war doch die Rede davon, dass der alte Rauschnabel ihn zuhause hatte aufsuchen wollen, aber der Nachbar was davon erzählt hätte, er hätte den Kevin Kobler seit Monatsersten nicht gesehen, richtig?“ - Entschlossen kurbelte er den Wagen aus der Schlange vor der roten Ampel und auf die Linksabbiegespur. „Na, das soll er uns doch nochmal erzählen!“
„Also wirklich, das nimmt jetzt aber Ausmaße an!“, begrüßte sie der Nachbar Gehrke genervt. „Da waren doch gerade erst zwei Heinis von Euch hier! - Redet Ihr denn nicht miteinander?“
„Doch, doch!“, versicherte Tigran und klang dabei sogar überzeugend, „Die Kollegen haben nur einen anderen Ansatz, als wir. Wir sind von der Kripo, verstehen Sie? - Also, wann und wo haben Sie Herrn Kobler das letzte Mal gesehen?“
„Mittwoch, am Ersten. Ist hier so um Fünfe abends hier die Treppe rauf, in Arbeitsklamotten. So um die Uhrzeit kommt er immer hier an.“
„Und hat er an dem Abend das Haus wieder verlassen, wissen Sie darüber etwas?“
„Woher soll ich das wissen? - Aber annehmen kann man das bei dem schon, wenn der nämlich wieder was gebraucht hat, ist er nochmal los. - Der hat ein kleines Drogenproblem, wenn Sie verstehen was ich meine?“
„Wir wissen, dass er schon mal bekifft aufgefallen ist, meinen Sie das?“
„Nicht dass ich mich da so doll auskenne, aber der sah schon manches Mal richtig ordentlich zugeballert aus, wenn er einem hier frühmorgens auf der Treppe begegnet ist. Gerade an den Wochenenden, da hat er es sich ganz gerne gut gehen lassen.“
„Wissen Sie etwas von einer Freundin? - Oder generell von Leuten mit denen er so verkehrt ist?“, fragte Bonnie.
„Meine Frau und ich, wir horchen nicht an andrer Leute Wände, verstanden!“, patzte Gehrke zurück.
„Haben Sie ihn mal in Begleitung gesehen?“, versuchte Thequiemus zu beruhigen und dennoch seine Information zu bekommen.
„Nicht hier im Haus jedenfalls. Aber drüben, im Michaelis-Park, da ist er mal mit einem Kollegen gehockt. Der trug jedenfalls die gleiche grüne Arbeitshose wie der Kobler.“
„Und die haben da nur so gehockt, sagen Sie?“
„Eis haben sie gegessen. Aus Waffeltüten. - Wars das jetzt?“
„Eine Frage noch bitte, - haben Sie eine Ahnung ob sich Herr Kobler irgendwie für Militär interessiert hat? Entsprechende Klamotten getragen hat, oder so was?“
„Ich habe den fast immer in seiner Arbeitskluft gesehen. Sonst trug er normale Jeans und T-Shirt, oder diese Dinger mit der Kapuze. Er war ein absoluter Normalo. Durchschnittstyp, klar soweit?“
„Wissen Sie ob hier irgendwer einen Schlüssel zu der Wohnung hat?“
„Na, der Vermieter wird einen haben, klar. Ich glaube kaum, dass der Kobler die einem Mieter hier mal in die Hand gedrückt hat. Der hat zwar einen immer gegrüßt auf der Treppe, aber mehr kam da nie. Der hatte mit keinem hier richtig Kontakt.“
Das waren schmale Auskünfte und Bonnie merkte Tigran seine Unzufriedenheit auch an. Zurück im Auto meinte sie: „Lass uns Feierabend machen. Heute kommen wir nicht mehr weiter. Morgen haben wir möglicherweise schon mehr Ergebnisse der SpuSi und der KT – und den Leuten von der Brandermittlung.“
Doch erschüttelte den Kopf: „Ich will wieder in die Kommission. Du kannst dann den Wagen haben, wenn Du magst, ich nehme mir später ein Taxi.“
Sie wusste was das in Wirklichkeit hieß: Er würde kein Taxi rufen, die Nacht in seinem Glaskasten vor dem PC verbringen, sich irgendwann was vom Chinesen bestellen und später vielleicht ein paar Stunden Schlaf auf der blauen Büro-Couch finden. Nach einer Dusche in den Räumen der Einsatzkommandos, würde er sich ein frisches Hemd aus einer Schreibtisch-Schublade ziehen und so Morgen das Eintreffen seiner Leute erwarten. Es war ihr unangenehm und beklemmend zu erleben, wie ungern Tigran nach Hause fuhr. Der neue Fall forderte einen Ermittlungsleiter, der konzentriert an die Arbeit gehen konnte, der wach war und belastbar und so gut es ging nicht abgelenkt war von Dingen, die nicht zum Polizeialltag gehörten. - So klang Tigrans Anspruch an sich selbst. Eine strenge Linie. Doch Bonnie meinte in all der Strenge gegen sich selbst, eine stete und auch wachsende Verzweiflung durchschimmern zu sehen. Natürlich lag es nahe seiner Frau Ines daran einen satten Anteil zu zu sprechen. Sie war eine unbestreitbar schöne Frau, kapriziös und das spanische Temperament ihrer Mutter flammte ihr nicht nur aus den dunklen Augen. Sie war ein fortwährender Beweis für Bonnies These, nach der die nettesten Männer stets die unmöglichsten Frauen hatten. Ines hatte schon am Telefon mit ihrem Mann zuweilen einen ausnehmend herrischen Ton, wie sie dutzende Male als seine Beifahrerin mitzuerleben hatte. Bonnie mochte sich kaum vorzustellen wie sie ihm erst in den eigenen vier Wänden zusetzen würde. Was diese beiden Menschen jemals zueinander hatte finden lassen, war ihr ein einziges Rätsel. Sie dachte an die Worte von beider Sohn und den Blick hin zu ihr. Lion hatte da ein schweres Los zu tragen, so viel war sicher.
Neuer Morgen, alte Wolken, gleicher Ort.
Tigran und Tenna standen auf der 7/30 zwei Ermittlern der Brandinspektion gegenüber. Sie klärten sie darüber auf, wie zwar das Bügelschloss, das Lude angebracht hatte und das man in der Asche gefunden hatte, sichtlich zerstört worden sei, doch das alte Kastenschloss, das noch der Erbauer angebracht hatte, war heil geblieben. Auch am verkohlten Türrahmen hatte man auf der Höhe der darin eingelassenen Schlossfalle keine gewaltsamen Veränderungen feststellen können. Bei der Ursache des Brandes aber, waren sie sich uneinig. Der Eine wollte einen Stapel mit Holzscheiten, der an einer Wand geschichtet war als erste Feuerquelle ausgemacht haben, dessen Kollege aber blieb dabei dass der Körper des Opfers die größten Zerstörungen aufwiese und darum auch dort das Feuer seinen Ausgangspunkt gehabt haben müsse. Auch der Fakt nach dem der Leichnam wohl zu diesem Zeitpunkt schon einen erheblichen Verwesungsgrad aufwies, ließ ihn nicht davon abkommen. Einig waren sie sich lediglich darin wie unwahrscheinlich es war, dass man mit einem Brandbeschleuniger nachgeholfen hatte.
„Der Grund für die Brandstiftung war nicht jemanden damit zu töten“, hielt Tenna fest, „es ging allein darum Spuren zu vernichten.“
Aber Thequiemus ließ das so nicht stehen: „Die SpuSi wird schon noch was finden und kein Täter fühlt sich so sicher. - Ich denke eher ihnen ging es darum den Toten durch das Feuer komplett unkenntlich zu machen. - Wer immer das getan hat wusste, dass dessen Identität uns zu ihm führen könnte.“
Die junge Frau war überrascht. Nach Datenlage dachte ihr Vorgesetzter zu abstrakt. Allerdings, nach ihrer Ausbildung auf der Akademie galt sie gerade mal als eine grundausgebildete Bachelor der Kriminalistik, deren Erfahrungswert bescheiden war. Ihre Teilhabe an der MoKo zählte gerade mal zehn Monate, gerade genug um skeptisch zu bleiben: „Na ja, gestern kamen sie mit keinem einzigen Schuhabdruck zurück ins Präsidium, keiner Spur, nichts.“
„Ach nein? - Nimm doch nur den Fakt dass zwar Ludes Schloss geknackt werden musste, das von dessen Vorgänger aber nicht. Wer immer zuletzt in der Hütte war, hatte einen alten aber passenden Schlüssel.“
„Also Bonnie anrufen, die soll den alten Pächter auftun?“
„Ruf Du sie an.“ - Rasch kehrte er sich ab. Schon den ganzen Morgen über hatte er gemerkt wie Bonnie begonnen hatte ihn anzustrengen in einer Art an, die ihm neu war. Das Auftauchen des feschen Oberkommissars hatte also angefangen auch auf ihrer beider Selbstverständnis füreinander einen unguten Einfluss auszuüben. Monheim war ein vor Selbstbewusstsein strotzender und vor allem unkomplizierter Geselle. Es war für ihn unübersehbar, wie wohl sie sich an dessen Seite fühlte. Schon in der Vergangenheit hatte sie eine Vorliebe für eine solche Art von Mann gezeigt. Nicht dass sie ihr bekommen wären, aber was immer er von ihren Präferenzen hielt, - und er fand es schon ungeheuer, dass er überhaupt über ihre Vorlieben nachdachte, - einer Bonnie Bruneau waren sie allem Anschein nach so wichtig, dass seine Einwände wegen des mangelhaften Charakters des Mitarbeiters, an ihr abperlten. Und noch schlimmer, seine Bedenken trieben Bonnie von ihm weg - und geradewegs auf Pavel zu. Das alleine schon kniff ihm gemein in die Brust.
Noch immer ratlos zirkelte schließlich sein Blick über das Gartenstück und er fand es immer noch grässlich aufgeräumt. Sein Bungalow, den er vor wenigen Jahren von seinem Vater geerbt hatte, umschloss ein Garten dreimal so groß, Rasen, Rosen und alte Bäume und abgesehen von den Wochenenden an denen er mal mähte oder Laub rechte, investierte er keine besonderen Mühen mit der Pflege. Er fühlte sich so unwohl in diesem Haus wie schon zu Kindertagen und hatte wenig Bedürfnis es wie ein Zuhause zu behandeln und ihm nach außen hin eine Wohnlichkeit überzustülpen, die im Innern kaum zu spüren war. - Ganz anders die menschliche Reiswaffel. Ludes Beete waren so perfekt leergeräumt
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 09.07.2023
ISBN: 978-3-7554-4657-6
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