Geißenpeter
Vom Läbe, vo de Liebi und en Krimi
E.R.Thaler, 2016
Personen und Handlungen dieser Geschichte sind frei erfunden.
Mit dieser Geschichte möchte ich niemandem zu Nahe treten und jede Ähnlichkeit zu lebenden und verstorbenen Personen, oder Persönlichkeiten
des öffentlichen Lebens, wären rein zufällig und von mir nicht beabsichtigt.
Der Tag war herrlich schön und warm. So wie es sich für einen Sommertag im Juli gehörte. Gemütlich lag ich zwischen den Steinen auf einem weichen Stück Gras, das bis ans Ufer des kleinen Bergbaches reichte. Mein Leben war friedlich, schön.
Meika lag neben mir, döste genauso wie ich und genoss ihr Hundeleben. Wir hatten es gut. Hier oben war ich frei. Hier wurde ich nicht gehänselt, da lachte niemand über mich. Nicht wie unten im Tal. Aber das war unten, Vergangenheit, ein anderes Leben. Ich musste nie wieder dahin zurück. Einzig die Wintermonate hatte ich im Tal verbracht, weil es einfacher war. Aber seit s'Grosi nicht mehr lebte, hatte ich keine Verpflichtungen und blieb das ganze Jahr hier.
Das war gut.
Sehr gut sogar.
Sicher, ich hatte mein Grosi sehr gern. Nachdem ein Lastwagen meine Familie ausgelöscht hatte und mich als halben Menschen zurückließ, hatte sie sich um mich gekümmert, wurde zu meiner Mutter. Ich war damals gerade sechs Jahre alt, überlebte als einziger im Auto den Unfall. Aber zu welchem Preis?
Meine ganze linke Seite war eingeklemmt. Jemand erzählte mir später, dass man mich erst aus dem Wrack befreien konnte, nachdem die Feuerwehr das Blech aufgeschnitten hatte. Es grenzte an ein Wunder, dass ich überlebte. Meine Eltern hatten da weniger Glück.
Die Verletzungen heilten, zurück blieben Narben, die meinen Körper verunstalteten. Doch die größten Narben - die in meinem Kopf - konnte selbst mein Grosi nicht heilen. Es waren Narben, welche die anderen Kinder schufen, in dem sie mich hänselten.
Ich zog mich zurück, wurde zu einem Einzelgänger, der seine Schulkameraden mied. Stattdessen las ich viel. Träumte von den gelesenen Geschichten, wurde zum Helden, der gesund und komplett über die Prärie ritt und vergaß, dass ich weit davon entfernt war, ein Held zu sein. Warum sollte ich mich mit den anderen Kindern abgeben, wenn es doch so spannend sein konnte, in fremde Welten einzutauchen, Abenteuer zu erleben, die niemand sonst erlebte?
„Ich bilde mir das ein, das wäre doch nicht so schlimm.“
Sätze von Erwachsenen, wenn ich versuchte, zu erzählen, was mich bedrückte. Sie nahmen mich nicht ernst. Einzig mein Grosi hörte mir zu, auf ihre oft bautzige Art, hatte sie mich gern. Herzlichkeiten verteilte sie zwar selten, denn das Leben hatte mit ihr auch nicht immer gut gemeint. Zuerst der Sohn, dann ihr Mann. Sie starben beide viel zu früh. Im Dorf munkelte man und Misstrauen war an der Tagesordnung, denn ihr Mann war ein Fremder, nicht aus unserem Land. Das weckte den Argwohn der Dörfler. Wie konnte eine Einheimische so einen heiraten? Dunkelhäutig, einen Tschinggen! Aber das störte sie nie, denn sie liebte meinen Großvater sehr und ich hatte nur gute Erinnerungen an ihn. Aber viele der Dorfbewohner sahen das wohl anders.
Das gehörte sich einfach nicht. Dass mein Vater dann auch noch eine Fremde, eine Spanierin, die in einem der Hotels arbeitete, geheiratet hatte, machte es nicht leichter. Auf alle Fälle wurde unsere Familie gemieden. Die Eltern meiner Mutter kannte ich nicht, denn der Tag, an dem wir zum ersten Mal, seit ich auf der Welt war, nach Spanien reisen wollten, wurde zum letzten meiner Familie. Meine Eltern hatten lange gespart, um sich diese Reise zu gönnen. Das Geld floss nicht in Strömen, aber wir waren glücklich. Nur zu gut erinnerte ich mich an diesen Tag.
Der Lastwagen, der vor uns ins Schleudern kam, wie er kippte, uns unter sich begrub …
Immer wieder träumte ich von dieser Situation. Wachte dann auf, rang nach Atem. Hatte das Gefühl, als würde ich immer noch eingeklemmt sein. Grosi hatte mir erzählt, dass Mamas Eltern wohl zur Beerdigung kamen, aber davon wusste ich nichts. Ich lag zu der Zeit immer noch im Krankenhaus, wo man um mein Überleben kämpfte. Ich erinnerte mich kaum noch an die Zeit im Krankenhaus. Vieles verschwamm mit den Jahren, doch eines vergaß ich nie, alle waren sehr nett zu mir. Mein Arm war so zertrümmert, dass die Ärzte gezwungen waren, ihn unterhalb des Ellbogens abzunehmen. Die Verletzungen waren zu heftig, abgequetschte Blutbahnen, mehrfach gebrochene und zersplitterte Knochen, machten es ihnen unmöglich, den Arm zu retten. Dazu kam eine Blutvergiftung, welche mich beinahe umgebracht hätte. Oft dachte ich später, es wäre besser gewesen, wenn ich wie meine Eltern, gleich tot gewesen wäre. Wenigstens konnten die Ärzte mein Bein retten, aber es blieb für immer steif und wenn das Wetter umschlug, begleiteten mich Schmerzen, die mich oft an den Rand des Wahnsinns trieben.
Nachdem ich wieder in die Schule zurückkehrte, wurde ich von den anderen Kindern oft beschimpft, ausgeschlossen und ausgelacht. Kinder konnten grausam sein, vor allem, wenn sie ein Opfer fanden, dass sich nicht wehrte. Ich war mir nur zu gut bewusst, was ich war.
Ein Krüppel.
Einarmig, mit Narben am ganzen Körper.
Hinkend, mit steifem Bein.
Ein Monster.
Jemand, der schnell zum Gespött der anderen Kinder wurde. Erwachsene sahen mich mitleidvoll an, sagten: „Der arme Bub.“ Helfen tat keiner.
Meinen Großvater nannte ich immer Nonno. Er starb mit sechzig unerwartet an einem Herzversagen. Das war für Grosi ein großer Schock, denn er strotzte doch immer so vor Kraft. Nach seinem Tod, wurde Grosi eigenbrötlerisch und ich verstand sie nur zu gut. Oft genug hörte sie, wie die Leute tuschelten, meinten, das komme davon, wenn man sich mit Fremden einließ.
Während andere eine Lehre begannen, schien niemand eine Verwendung für mich zu haben. Mitleid wollte ich keins. Ich hatte Glück. In einer Welt, in der Geld wichtig ist, bekomme ich eine kleine Invalidenrente. Das reicht für mich und nach Grosis Tod verkaufte ich das Haus, das am Rande von Linthal stand. Auch sie starb viel zu früh, allerdings war ich mittlerweile schon volljährig und so konnte ich mein Leben selber bestimmen. Die Alphütte und das dazugehörende Land, war Nonnos ganzer Stolz gewesen. Er hütete dort die Kühe und Ziegen, welche ihm von einigen Bauern aus Näfels anvertraut wurden. Auch wenn er ein Ausländer war, so gab es da doch einige, die wussten, dass er seine Arbeit verstand und sie schätzten sein Wissen.
Doch nach seinem Tod stand die Hütte lange leer. Grosi brachte es nicht über das Herz, die Alp zu verkaufen. Nur ein einziges Mal erzählte sie mir, dass sie dort den schönsten Sommer ihres Lebens verbringen durfte und das Resultat dieser Zeit mein Vater war. Deshalb hatte sie den rassigen Italiener geheiratet. Nach ihrem Tod zog es mich in die Höhe, weg von all den kleinlichen Problemen der Dorfbewohner. Die Alp schien da genau das Richtige zu sein. Dort musste ich niemand sehen, hatte meine Ruhe und wurde nicht mit falschem Mitleid überhäuft. Während Nonno die Tiere befreundeter Bauern hütete und pflegte, wusste ich, dass ich das nicht wollte. Ich wollte eine eigene Herde Geißen! Schon seit jeher liebte ich die Tiere. Ihre muntere Art hatte mir schon als Bub immer gefallen. Es sollte eine kleine Herde werden, gerade mal acht bis zehn Tiere. Meine Wahl fiel auf Walliser Schwarzhalsziegen, die mich auf einer Viehschau - welche ich vor langer Zeit mit Nonno besuchte - fasziniert hatten. Ihr schwarz-weißes, langes Fell gefiel mir.
Schwarz-weiß, Gegensätze, so wie mein Hund, wie ich ... Die Ziegen wurden zum Sinnbild meines Körpers. Auf einer Seite, wo ich eingeklemmt gewesen war, hässlich schwarz, auf der anderen Seite perfekt, weiss … zumindest empfand ich das so.
Das Geld aus dem Verkauf des Hauses in Linthal gab für mich nicht nur einen sicheren Rückhalt, wenn ich an der Alphütte mal etwas reparieren lassen musste, sondern es war auch der Startschuss für meine eigene, kleine Zucht. Auch die elektrische und sanitäre Erschließung konnte ich davon finanzieren. Das war der einzige Luxus, denn ich mir gönnte und schätzte.
Die paar Ziegen, mein Zuchtbock Theophyl und Meika, meine Sennenhündin, waren mein ganzer Stolz und die Sennerhütte bot mir das gemütliche Heim, dass ich schon als Kind immer geliebt hatte. Als Schüler hütete ich jedes Jahr, während den Sommerferien die anvertrauten Geißen der Bauern und Nonno kümmerte sich um die Kühe. Ich half ihm bei den Stallarbeiten, so gut es mit einem Arm ging und er gab mir nie das Gefühl, ich wäre nur ein Krüppel. Dafür liebte und verehrte ich ihn. Die Tiere halfen mir ebenfalls, mich frei zu fühlen. Hier oben, im schönen und wilden Hochtal hinter dem Obersee, konnte ich vergessen, dass ich nur ein Krüppel war, der gehänselt wurde. In dieser Zeit lernte ich viel von Nonno.
Als Verdingbub kam er schon früh in die Schweiz und wurde von einer angesehenen Familie eingestellt. Der kinderlose Bauer, der ihn aufnahm, behandelte ihn wie seinen eigenen Sohn. Als er starb, vererbte er ihm seinen Hof und die dazugehörende Alp. Einigen Leuten im Dorf gefiel das überhaupt nicht, denn sie hatten mit dem guten Land und dem Gehöft geliebäugelt, doch sie konnten nichts dagegen machen. Die Heirat mit Grosi änderte nur wenig an der Einstellung der Dörfler und so waren immer alle froh, wenn der Sommer kam und man auf die Alp zog.
Seit ich dauerhaft das ganze Jahr hindurch auf der Alp lebte, ja sogar die Wintermonate konnte ich hier verbringen, ging ich alle zwei Wochen ins Tal. Kaufte ein, was ich gerade so brauchte und verkaufte dem Käser meinen Geißen-Frischkäse, den ich selber herstellte. Auch wenn es nur ein Tag war, so war ich jedes Mal froh, wenn ich wieder in meine kleine Welt zurückkehrte. Ich mochte die Hektik da unten, im Tal, nicht so. Den Lärm der Autos, die vielen Touristen – zum Glück verirrten sie sich nicht so oft hierher und ich konnte die Ruhe in meinem Reich genießen. Der kleine See, am Eingang zum Tal war die Attraktion. Nicht die kleine Hütte, hier am Ende des Tals.
Das war gut so.
Sehr gut sogar.
Ich hatte meinen Frieden.
Mit meiner kleinen Herde und Meika hatte ich es gut. Die Tiere sahen mich nie komisch an, lachten nicht über mich, nannten mich nicht Monster. Sie sahen mich, nicht die äußere Hülle, sondern das, was ich wirklich war. Mit ihnen fühlte ich mich wohl. Sie waren meine Familie und ich ein Teil ihrer Herde.
Einfach.
Unkompliziert.
An einem Tag, an dem ich so friedlich am Ufer des Bächleins lag und über mein Leben sinnierte, dabei den Wolken zusah, blieb mein Blick an einem Segelflugzeug hängen, dass hoch über den Felsen schwebte. Elegant glitt es durch die Luft, turnte um die Wolken, sank, erhob sich von neuem über den spitzen Zinnen des Bergkamms. Doch auf einmal löste sich ein großer Teil des Flugzeuges. War das ein Flügel? Gebannt verfolgte ich, was dann geschah. Jemand sprang aus dem trudelnden Flugzeug, ein Fallschirm öffnete sich, während das Flugzeug hinter dem westlichen Bergkamm, und aus meinem Blickfeld, verschwand. Ich konnte nicht mehr sehen, was damit geschah, aber sicher nichts Gutes.
Ich hatte schon oft zugesehen, wenn das Militär unten auf dem Flugplatz übte. Die Schirme öffneten sich zu runden Kappen, bevor die Männer daran sanft herunter schwebten. Das sah immer so elegant aus. Aber bei diesem Springer schien etwas nicht zu stimmen. Der Fallschirm öffnete sich zwar, bremste den Fall, doch kurz über dem Boden riss etwas und der Schirm klappte seltsam hoch. Die Person, die daran hing, stürzte nun viel zu schnell die letzten Meter und ich hielt den Atem an, als der Körper aufschlug. Der Aufprall des Körpers war zu weit weg und ich konnte nicht erkennen, ob er auf einen der Felsen gefallen war, oder daneben. Meika spürte meine Anspannung, als ich mich halb aufrichtete und zu dem Schirm starrte. Leise winselte sie und stupste mich an. „Wir müssen nachsehen, vielleicht lebt der ja noch.“ Meika schien gleicher Ansicht zu sein. Wie bei einer stummen Absprache machten wir uns auf den Weg. Zum Glück hatte es keine Bäume, die mir die Sicht verdeckten und der rote Schirm stach deutlich aus dem Grau-Grün der Umgebung hervor. Trotzdem brauchte ich fast eine Stunde, bis ich die Stelle erreichte, wo die verletzte Person lag.
Neugierig betrachtete ich den Verletzten, der kaum älter als ich war. Blut sickerte aus einer Wunde am Kopf, aber sonst konnte ich keine weiteren Verletzungen erkennen. Lebte er noch? Ich legte meine Hand auf seine Brust und spürte das Schlagen seines Herzens.
Gut.
Kräftig.
Der Mann lebte.
Aber wie schwer war er wirklich verletzt? Ein Stöhnen, er bewegte sich, setzte sich auf und sah mich an. Leere Augen, so als würde er nichts sehen. Dann sank er wieder bewusstlos zurück. Ich konnte gerade rechtzeitig verhindern, dass sein Kopf erneut auf den Stein unter ihm fiel. So schnell ging das. Ich überlegte. Zur Hütte brauchte ich, wenn ich schnell rannte, eine Stunde. Das Doppelte zurück. Die Sonne verriet, dass es wohl um die Mittagszeit war. Meika schnüffelte an dem Fremden und ich befahl ihr, hier zu warten und auf den Verletzten aufzupassen. Das sollte gehen.
Wenn ich Glück hatte, waren die Geißen nicht allzu weit von der Hütte entfernt und ich konnte zwei vor das kleine Wägelchen spannen. Ich transportierte damit meinen Käse und meine Einkäufe und die Tiere kannten das Prozedere. Bestimmt konnte ich so den Verletzten auch zu meinem Häuschen transportieren, ohne dass er noch mehr Schaden erlitt.
Meika legte sich dicht bei dem Verletzten hin. Sie würde auf ihn aufpassen, das war gut. Ich rannte runter, zur Hütte und zog den kleinen Wagen raus. Zwei der Geißen waren tatsächlich in der Nähe und ich pfiff nach ihnen. Folgsam kamen sie näher und ich konnte sie ohne Probleme vor das Wägelchen einspannen. Ich holte noch ein paar Decken und wir machten uns auf den Weg zu dem Verletzten. Die ersten Schatten bildeten sich bereits, als ich wieder an der Stelle ankam. Meika hatte dem Verletzten Wärme gespendet, aber der Mann war immer noch bewusstlos. Vielleicht war das ganz gut so, denn mit einem Arm seinen Körper auf den Wagen zu bringen, war nicht einfach. Obwohl er schlank gewachsen war, war ich überrascht, wie schwer sein Körper war. Ich hoffte, er bekam nicht allzu viel mit, wenn ich an ihm herumzerrte. Hin und wieder stöhnte er kurz auf, aber da musste er durch. Ich half meinen Geißen, beim ziehen des Wagens und so vorsichtig wie möglich machten wir uns auf den Heimweg. Ihn ins Haus zu bringen, würde wohl nochmals eine Herausforderung werden und er würde nochmals leiden müssen, aber auch da musste er durch.
Die Schatten berührten schon den Boden im engen Talkessel, als wir ankamen. Wir hatten für die Strecke länger gebraucht, als ich dachte und ich war froh, dass er noch nicht wieder aufgewacht war. So vorsichtig, wie ich nur konnte, schaffte ich ihn in das schützende Gebäude, kämpfte mich mit ihm die Stufen hoch und legte ihn auf mein Bett. Anschließend kochte ich Wasser auf, um die Wunden zu reinigen. Bis es soweit war, zog ich ihm die zerfetzte Kleidung aus. Er war schön, makellos. Einzig die Schrammen störten diesen Anblick. Ehrfürchtig ließ ich meine Hand über seinen Körper wandern, fühlte die Hitze, die seinen Körper zum Glühen brachte.
Fieber! Nicht gut! So konnte ich ihn bestimmt nicht allein lassen und im Hotel am See Hilfe holen, wie ich zuerst geplant hatte. Vorsichtig tastete ich seinen Kopf ab. Seine blonden Haare waren so weich, schmeichelten meiner Hand. Einzig das bereits getrocknete Blut machte es stellenweise hart und sterrig. Die Schrammen schienen nicht so schlimm zu sein, wie ich zuerst annahm, aber reinigen musste ich sie trotzdem.
Mittlerweile kochte das Wasser und ich plünderte meinen Vorrat an Kamille, den ich gesammelt und getrocknet hatte. Sicher hätte Grosi besser gewusst, was zu tun wäre, aber bei Kamille wusste ich, dass sie entzündungshemmend wirkte und vor allem, ich kannte die Pflanze. Ich nutzte sie oft, wenn eines der Tiere Durchfall hatte als Tee, den ich ins Wasser tat, oder wenn ich kleine Schrammen auswaschen musste.
Während der Sud langsam abkühlte, tastete ich seinen Körper auf Brüche ab, aber er schien Glück gehabt zu haben. Die Gelenke fühlten sich richtig an, allerdings bildeten sich schon blaue Flecken, da wo er aufgeschlagen war. Schnell wurde es dunkel in meinem Heim und ich war gezwungen, das Licht einzuschalten. Das Bimmeln der Glöckchen mahnte mich, dass ich die Ziegen melken musste. Auf ein paar Minuten würde es wohl nicht ankommen. Routiniert, da es eine der wenigen Pflichten war, die ich hatte, molk ich die Tiere, füllte die Milch in die Kanne und stellte sie in den kühlen Raum, der hinter dem Stall in die Felswand geschlagen worden war. Selbst in der größten Hitze war es da kalt und bot so die Funktion eines natürlichen Kühlschrankes. Einen Krug füllte ich gleich und trug ihn ins Haus. Falls der Unbekannte aufwachte, konnte ich ihm so von der Milch etwas geben. Schließlich war sie nahrhaft und gesund.
Mittlerweile war der Sud soweit abgekühlt, dass ich es wagen konnte, seine Verletzungen auszuwaschen. Vorsichtig tupfte ich die verletzten Stellen ab, entfernte kleine Steine und Dreck. Danach verteilte ich großzügig das Jod auf der Kopfwunde. Doch je später es wurde, desto mehr glühte sein Körper. Immer wieder wimmerte er im Schlaf auf und ich holte eisiges Wasser aus dem Bach. Legte ihm eiskalte Wickel um die Füße und seine Waden, kühlte die Stirn, murmelte beruhigende Worte. Ein Arzt wäre wohl wirklich besser gewesen, aber ich traute mich nicht, ihn alleine zu lassen. Zudem hatte ich kein Telefon. Wozu auch? Ich kannte niemanden, der mich angerufen oder vermisst hätte.
Immer wieder kühlte ich seinen Körper, versuchte, die Temperatur zu senken. Meika hatte sich in ihrem Korb zum Schlafen hingelegt, doch hin und wieder spürte ich ihren Blick auf mir.
Wissend.
Verstehend.
Sie nahm es mir nicht übel, dass ich keine Zeit für sie hatte.
Die Zeit hatte keine Bedeutung. Draußen wurde es hell und ich kämpfte gegen das Fieber in seinem Körper. Kühlte ihn, flößte ihm die gesunde und kräftigende Geißenmilch in wachen Momenten ein und versuchte alles Erdenkliche, um ihm zu helfen. Wenn er sich allzu unruhig wand, legte ich mich neben ihn, stützte ihn mit meinem Arm, versuchte zu verhindern, dass er aus dem Bett fiel.
Wer er wohl war? Trotz seines wohlgeformten Körpers wirkte er zart und zerbrechlich. Wie ein Engel wirkte er auf mich. Nun ja, zumindest vom Himmel ist er schon mal gefallen.
Wobei, diese Gedanken waren angeblich verwerflich. Das hatte mir Pfarrer Benedict zumindest weismachen wollen. Nur zu gut erinnerte ich mich an dieses Gespräch, nach Grosis Tod. Seine Worte verhöhnten mich, auch wenn es ihm nicht bewusst war. Er sprach davon, dass ich eine Frau suchen sollte, Kinder zeugen und eine Familie gründen müsste. Aber ehrlich, welche Frau würde sich mir zuwenden? Mir, dem einarmigen, vernarbten Monster? Er sprach von der Liebe Gottes, dass die Menschen sich nur mit dem anderen Geschlecht verbinden durften. Doch warum spürte ich keine Anziehung bei Mädchen? Warum faszinierte mich das Männliche mehr? Der Pfarrer sah mich geschockt an, riet mir, dieses Ansinnen zu überdenken, drohte mir sogar, dass Gott solche wie mich verdammte.
Dabei war er es, der auch gesagt hatte, Gott würde seine Schöpfungen lieben. Dem Menschen war er sogar mehr zugetan, als allen anderen. Nun würde er mich nicht mehr lieben? Nur, weil ich mich nicht von Frauen angezogen fühlte? Das überstieg meinen Verstand. Nun hatte mir Gott diesen Mann geschickt. Wenn die Worte des Pfarrers wahr gewesen wären, hätte es eine Frau sein müssen. Aber nein, dieser Engel war ganz deutlich ein Mann, also hatte sich Pfarrer Benedict geirrt.
Tiefsinnige Gedanken, vielleicht umsonst. Ein Kichern löste sich und ich schüttelte meinen Kopf. Ich durfte nicht einfach davon ausgehen, dass er ein Interesse an mir finden würde. Schließlich entsprach ich keinem Schönheitsideal. Außerdem konnte ich nicht erwarten, dass gerade dieser Mann sich von Männern angezogen fühlt. So wie er aussah, hatte er sicher genug Frauen, die um seine Gunst buhlten. So wie ich gerade aussah, wirkte ich eher wie so ein wildes Bergmannli. Damit ich die Narben nicht jeden Tag sehen musste, hatte ich mir angewöhnt, einen Bart zu tragen. Im Moment war er nicht gerade besonders gestutzt und wucherte wild. Aber es störte mich nicht, denn hier oben sah es ja niemand. Außer dem Fremden. Seltsam, auf einmal störte mich die Putzwolle in meinem Gesicht. Ich ging ins Bad, betrachtete mich im Spiegel und beschloss, bei meinem nächsten Ausflug runter, beim Frisör vorzusprechen.
Allerdings musste der Fremde zuerst soweit genesen, dass ich ihn alleine lassen konnte.
Nach drei Tagen war das Fieber gesunken und die Momente, in denen er wach wurde, wurden länger. Dabei beobachtete er mich neugierig, doch er sprach kein Wort. Sah mir nur zu, bis er wieder einschlief. Am Morgen des vierten Tages, ich hatte gerade die Geißen gemolken und wollte nach ihm sehen, da fragte er mich auf einmal mit krächzender Stimme: „Wo bin ich?“
Ich trat zu ihm und setzte mich ans Bett, erklärte ihm, dass ich ihn beobachtet hatte, wie er mit seinem Fallschirm abgestürzt war. Er sah mich verwundert an, griff sich an den Kopf und schüttelte ihn vorsichtig. „Ich kann mich nicht erinnern. Wer bin ich? Wo bin ich? Du sagst, ich sei mit einem Fallschirm abgestürzt? Habe ich deshalb überall Schmerzen?“
„Bestimmt“, antwortete ich und fuhr mit rauer Stimme fort, „du hast dir den Grind doch heftiger angeschlagen, als ich wohl dachte, aber das legt sich wieder. Erhole dich erst einmal und dann sehen wir weiter. Soweit ich feststellen konnte, hast du dir nichts gebrochen und ich hoffe, dass ich mich nicht geirrt habe. Wenn du magst, ich habe saubere Kleidung. Deine wurde beim Absturz arg in Mitleidenschaft gezogen.“
Dankbar nickte er und ich brachte ihm meine Sonntagshose und das frische Hemd. Meika, die von unseren Stimmen angezogen wurde, kam zu uns und legte ihren Kopf auf das Bett. Der namenlose Fremde streichelte ihren Kopf und lächelte. Ich zog mich zurück und gab ihm Zeit, um sich anzukleiden, aber als ich sah, dass er dazu zu schwach war, kam ich zurück, um ihm behilflich zu sein. Da er wissen wollte, wo er war und nach draußen wollte, half ich ihm vorsichtig die Treppe runter. Gemeinsam, wobei er sich fest auf mich stützte, erreichten wir die Tür und er ließ neugierig seinen Blick über die Umgebung wandern.
Meine Geißen hatten sich noch nicht vom Haus entfernt und kamen nun auf uns zu. Beschnupperten ihn und Schneewittli knabberte frech an seiner Hose. Er lachte begeistert auf und kraulte sie zwischen den Ohren. Ich wusste, das war ihre Lieblingsstelle und als er aufhören wollte, stieß sie ihn fordernd mit dem Kopf. Ich musste schmunzeln und murmelte nur: „Geißenpeter.“
Der Fremde hatte es aber gehört und formte den Namen leise mit den Lippen. Dann strahlte er. „Ja, Peter, das ist ein guter Name!“, rief er entzückt und wir beschlossen, ihn so zu nennen, bis ihm sein Name wieder einfiel.
Ich trieb durch die Dunkelheit. Schmerzen, alles tat weh. Wie lange ich so dahin dümpelte, konnte ich nicht einschätzen, aber ich war nicht alleine. Sehr deutlich spürte ich die Anwesenheit einer Person. Eine raue Hand, die mich berührte, eine Stimme, die so sanft wie ein Lufthauch war und ich fühlte mich geborgen.
Schummriges Licht erhellte den Raum, als ich die Augen öffnete. Neugierig betrachtete ich den unbekannten Mann. Mein Kopf fühlte sich an, als wäre er in einem Schraubstock gefangen. Fragen stürmten auf mich ein, doch es waren zwei, die mich am meisten Beschäftigten. Wer bin ich? Wo bin ich? Antworten? Ich fand keine. Irgendwo meckerte ein Tier. Ziegen? War ich Hirte auf einer Alp? Krampfhaft überlegte ich, bis ich so müde war, dass ich mich in eine wohlige Dunkelheit zurückzog. Ich träumte, von Ziegen und einem Jungen, der auf einer schönen, saftigen Bergwiese herumsprang. Glöckchen bimmelten und ich folgte den Tieren. Sprang mit ihnen über Stock und Stein, das Leben war einfach schön. Bestimmt gehörte ich hierher, war wie die Ziegen ein Teil der Berglandschaft, die mich umgab. Ich war frei, unbeschwert und es fühlte sich so gut an.
Das Nächste, was ich erkannte, war der Mann mit dem wilden Bart, den ich schon beobachtet hatte. Wer war er? Mein Bruder? Mein Geliebter? Woher kam dieser Gedanke?
Vielleicht konnte er mir helfen? Wo ich war, konnte er beantworten, aber wer ich bin, wusste auch er nicht. Ein Hundekopf musterte mich, ich kraulte den Kopf. Fühlte sich gut an. Vertraut? Ich konnte mir die Frage nicht beantworten. Ich war ratlos und der Fremde vor mir konnte auch nur einen Teil der Fragen beantworten. Wenigstens wusste ich nun, dass ich in einem Hochtal war, zu dem ein kleiner See gehörte. Der Obersee. Nur dummerweise konnte ich mir nichts darunter vorstellen. Daraus schloss ich, dass ich wohl nicht von hier war. Die Fragen quälten mich zwar, aber ich spürte, dass es im Moment wohl nichts brachte, wenn ich sie dauernd in meinem Kopf umdrehte. Dankbar nahm ich die Sachen an, die er mir brachte. Er zog sich zurück und ich versuchte, mich anzukleiden. Aber ich hatte mehr Mühe, als ich dachte und es schien, als hätte mich der unbekannte Mann beobachtet. Denn er kam zurück und half mir beim ankleiden. Auf meine Bitte, die Gegend zu sehen, ging er ein und er stütze mich, während wir langsam das Zimmer verließen. Vor dem Haus sprangen ein paar schwarz-weiße Geißen fröhlich herum und eine kam sogar gleich zu mir. Knabberte frech an den Hosen und ich kraulte sie. Die Stelle, zwischen den Hörnern schien sie besonders zu mögen. Kaum hörte ich auf, schubste sie mich und wollte mehr.
"Geißenpeter.“ Leise murmelte der Unbekannte das Wort und ich hatte Mühe, ihn zu verstehen. Aber Peter klang vertraut. Ich nickte zustimmend, ja, Peter, dann heiße ich mal so, bis ich wieder wusste, wer ich wirklich war. Ich musterte ihn aufmerksam. War mir im Zimmer sein verwildertes Aussehen schon aufgefallen, so konnte ich ihn nun im Tageslicht genau studieren. Schwarzes, lockiges Haar - südländischer Einschlag vermutete ich - umrahmten sein rundliches Gesicht, das von einem wilden Bart verdeckt war. Knapp erkannte ich seine Lippen, die er zusammengepresst hatte und er starrte mich genauso an, wie ich ihn. Misstrauisch, unsicher. Die Frage, wie es nun weitergeht, verschaffte mir ein flaues Gefühl im Magen. Seine braunen Augen zogen mich in ihren Bann. Meine Beine fühlten sich an, als wären sie aus Gummi und unsere Blicke lösten sich, als er mir half, mich auf der Sitzbank vor dem Haus zu setzen. Er hinkte ins Haus zurück und nun erkannte ich auch, dass er nur einen Arm hatte. Ein Gefühl sagte mir - diesen Mann kannte ich definitiv nicht - ich hatte ihn noch nie gesehen. Mir fiel wieder ein, dass er von einem Fallschirm gesprochen hatte. Verdammt, warum konnte ich mich nicht erinnern? Seufzend setzte ich mich auf die Bank vor dem Haus. Der schwarz-weiße Hund legte seinen Kopf auf mein Bein und wedelte mir vertrauensvoll zu.
Eine Tasse Milchkaffee tauchte in meinem Sichtfeld auf und ich sah zu meinem Retter hoch. Knapp stellte er sich und den Hund vor, bevor er sich neben mich setzte. „Meika, meine Hündin, Mario Castella, das bin ich. Schneewittli heißt die Geiß, die du gekrault hast. Die anderen stelle ich dir vor, wenn sie mal da sind.“ Ich nickte, das war doch schon ein Anfang.
„Und ich bin wohl der Peter. Denk ich mal. Hm, zumindest, bis mir einfällt, wer ich wirklich bin. Du wohnst hier ganz alleine? Nur mit deinen Tieren?“
Er warf mir wieder einen seltsamen Blick zu und zuckte nur mit den Schultern. Hatte ich etwas gesagt, dass ihm nicht gefiel? Seine Reaktion irritierte mich und traute mich fast nicht weiter zu fragen. Doch meine Neugierde war größer, deshalb fasste ich mir ein Herz und sprudelte meine Fragen hervor: „Wurdest du nur mit einem Arm geboren? Wie hast du mich damit hierher gebracht? Ich meine, ich bin wirklich beeindruckt. Ehrlich! Ist sicher nicht leicht, nur mit einem Arm zu leben, oder?“ Ich biss mir auf die Lippen, hatte ich zuviel gefragt? Unsicher sah ich zu ihm auf, während er etwas Unverständliches brummte. In seinen Augen blitzte einen Moment so etwas wie Wut auf und ich spürte so etwas wie aufkeimender Ärger. Verdammt, so beschissen es mir im Moment ging, aber hatte ich nicht auch ein Recht auf Informationen?
„Hei, was ist mit dir los? Es tut mir leid, wenn ich deine Idylle gestört hab, war sicher keine Absicht. Aber es wäre schön, wenn ich auch etwas über dich erfahren könnte“, rutschte es mir gröber raus, als ich es eigentlich sagen wollte.
Mit einer seltsam rauen Stimme antwortete er hastig: „Ich bin es nicht gewohnt, Fremde hier zu haben“, dabei schluckte er und etwas ruhiger fuhr er fort: „Helfen war selbstverständlich, aber normalerweise sehen mich die Leute nur komisch an, weichen mir aus. Ich bin nicht wie sie.“
'Ja, das habe ich bemerkt', dachte ich und seufzte.
„Hier oben habe ich meine Ruhe. Verstehst du?“ Ich nickte.
„Es war ein Unfall. Man hat mir genug gesagt, dass ich ein Monster bin. Es wundert mich, dass du nicht schreiend davon rennst.“
Seine Worte trafen mich wie ein Peitschenhieb und ich zuckte zusammen. „Also ehrlich“, dachte ich, „so hässlich ist er doch nicht“?
„Ich könnte mir vorstellen, dass unter dem Gestrüpp, dass du wohl Bart nennst, ein gut aussehender Kerl versteckt ist“, versuchte ich ihn, aus der Reserve zu locken.
Fasziniert beobachtete ich, wie sein finsterer Blick sich in Belustigung änderte. Dann schüttelte er energisch den Kopf.
„Eindeutig, du hast dir den Grind fester angeschlagen, als es gut ist. Du hast ja keine Ahnung. War wie gesagt ein Unfall ...“, dabei bewegte er seinen Stummel und fuhr fort. „Sie konnten den Arm nicht retten. Ich war damals sechs. Kannst du dir vielleicht vorstellen, wie andere Kinder mit so was umgehen? Monster war noch das Netteste, dass man mir zurief.“
Ich schluckte. Gut, das war bestimmt heftig und sicher nicht angenehm. Irgendwie konnte ich sein Verhalten nachvollziehen. Trotzdem fühlte ich mich verlegen und nuschelte mehr, als dass ich richtig sprach:
„Mich stört es nicht. Nicht weil du mich gerettet hast, sondern weil ich glaube, dass du bestimmt ein toller Mensch bist. Etwas eigen, aber, ich bin überzeugt, du hast dein Herz am rechten Fleck. Da bin ich mir ganz sicher.“ Er warf mir wieder so einen seltsamen Blick zu und stand auf. Brummte etwas Unverständliches und verschwand im Haus.
Sollte ich ihm folgen? Die Entscheidung wurde mir von Meika abgenommen. Sie kam zu mir und legte ihren Kopf auf meine Beine. Dabei sah sie mich so lieb an, dass ich nicht widerstehen konnte und anfing, sie zu kraulen. Mit einem zufriedenen Seufzer legte sie sich auf den Rücken, doch als ich mich nach vorne beugte und ihr den Bauch kraulen wollte, schoss ein stechender Schmerz durch meinen Kopf und mir wurde schwindlig. Viel zu hastig richtete ich mich auf und das Pochen verstärkte sich. Benommen saß ich da und versuchte, das Drehgefühl zu bändigen. Dieser Mario hatte recht, ich hatte mir den Kopf wirklich heftiger angeschlagen, als es guttat. Zudem konnte ich mich wirklich an nichts erinnern und diese Unwissenheit machte mich beinahe irre.
Verdammt, warum?
Auf einmal hatte ich das Gefühl, alles durch einen Nebel zu sehen, nur ein kleines Loch war noch klar, bis alles schwarz wurde.
So viele Fragen, sicher, ich konnte es ja verstehen. Hätte ich an seiner Stelle vielleicht auch. Hatte ich zu viel gesagt? Aber er hatte mich nur angestrahlt. Dafür, dass er sich nicht erinnern konnte, redete er wie ein Buch. Die letzten Tage war es ja schön, da schlief er ja nur. Aber ging das jetzt so weiter? Ich war es nicht gewohnt, dauernd zu reden. Am meisten irritierte mich, dass ihn mein Arm kalt ließ. Normalerweise verzogen die Leute ihr Gesicht, heuchelten Mitleid oder sahen mich angewidert an. Der Kerl hatte ja echt einen an der Klatsche, hatte er doch tatsächlich etwas von gut aussehend gesagt!
„Nein!“, ich ermahnte mich, „Er hat sich den Schädel zu heftig angeschlagen, als er abgestürzt war! Das muss es sein!“
Ich musste weg, brauchte Ruhe. Er verwirrte mich, die Nähe zu ihm ließ mein Herz schneller schlagen und ich hatte Angst, etwas Dummes zu tun. Wenn er merkt, dass ich mich von ihm angezogen fühle …
Das durfte nicht sein, ich würde die Situation nur ausnützen. Zu Recht wäre er wütend auf mich. So wie der aussah, hatte er sicher eine Freundin. Eine Frau, die zu ihm passte.
„Aber seine Nähe fühlte sich gut an.“
In mir tobte ein Kampf, bei dem die Gefühle und Gedanken hin und her sprangen und ich wusste nicht, wie ich darauf reagieren sollte. Ich lief im Kreis in meiner Küche herum. Zerrte wütend auf mich, Lebensmittel hervor und fing an, zu kochen. Essen war immer gut, es beruhigt. Und meinem Gast würde es auch guttun, schließlich hatte er, außer Geißenmilch, keine richtige Nahrung zu sich genommen. Ich linste aus dem Küchenfenster und sah gerade noch, wie er von der Bank fiel.
„Verdammt!“, schoss es mir durch den Kopf und vor mich hin fluchend rannte ich raus. Meika leckte ihm das Gesicht und winselte verzweifelt. Beruhigend kraulte ich sie und redete ihr zu: „Schon gut, mein Mädchen. Sehen wir zu, dass wir ihn wieder wach bekommen. War wohl zu viel Aufregung. Hm?“ Ein kurzes Bellen war Meikas Antwort und ich kniete mich zu ihm hin. Zog ihn, so gut es ging auf meine Beine und hielt ihn fest. „Peter!“, sprach ich ihn an, einmal, zweimal – dabei schüttelte ich ihn. Flatternd öffnete er die Augen, stöhnte schmerzerfüllt auf und hauchte: „Was?“
Dabei sah er mir so tief in die Augen und ich hatte das Gefühl, in ihnen zu ertrinken. Seine Augen waren so intensiv grün, wie der See manchmal war, wenn die Bäume sich darin spiegelten. Gänsehaut ließ mich erschauern und ich konnte meinen Blick von seinen Augen nicht abwenden.
„Du, du bist einfach vom Bank gefallen ...“, stotterte ich und spürte, wie Hitze in mein Gesicht schoss.
„Oh, tut mir leid.“
Er hob eine Hand und legte sie auf meine Wange. Einen Moment war ich versucht, mich dem Gefühl, berührt zu werden, hinzugeben. Aber nein, das war sicher nur Einbildung! Ruckartig löste ich mich, sah ihn erschrocken an und nun war er es, der errötete.
„Sorry, ich wollte nicht ...“, nuschelte er und ein wehmütiger Blick lag in seinen Augen. Irritiert schüttelte ich meinen Kopf. Wie konnte er meine Nähe suchen? Meinen zerstörten Körper berühren? Ich zitterte. Sicher, ich hielt ihn in meinem Schoss, kniete neben ihm und stütze ihn. Aber das war etwas anderes.
Verwirrt.
Ängstlich.
Fasziniert.
Mein Herz raste wie wild in meiner Brust, widersprüchliche Gefühle jagten durch mich hindurch. Als er bewusstlos war, war es einfach für mich. Ihn zu pflegen war schön, seinen Körper zu berühren machte mir nichts aus, ja, es gefiel mir sogar. Seine makellose Haut zu spüren, hatte mich sogar erregt. Nun war er wach, sah mich. Seine Hand suchte die meine, hielt sie und ich spürte, wie auch meine Hand zitterte.
„Ich wollte dich nicht erschrecken. Mario? Sieh mich an!“ Ich starrte in sein Gesicht, das mich schüchtern anlächelte. „Ich weiß zwar nicht, wer ich bin, aber eines weiß ich ganz sicher, ich fühle mich zu dir hingezogen.“
„Das - das ist wohl eher - weil ich dich gerettet habe.“ Seltsam kratzig klang meine Stimme und wieder hob er seine freie Hand und legte sie auf meine Wange. Die andere hielt immer noch meine Hand. „Vielleicht. Aber ich fühle mich gerade sehr geborgen. Wenn du mich so hältst, spüre ich keine Schmerzen.“ Zaghaft lächelte er mich an. Ich wusste nicht mehr, wie ich reagieren sollte. Die Zeit schien still zu stehen, es gab nur ihn und mich. Erst Meikas lautes Bellen brachte mich in die Wirklichkeit zurück. Siedendheiß durchfuhr es mich, das Essen!
„Ich glaub, da ist was angebrannt!“ Ein stummes „oh“ formten seine Lippen und ich seufzte. „Geht es wieder? Glaubst du, du kannst aufstehen?“ Er nickte vorsichtig und wir lösten uns voneinander. Ich hastete in die Küche und zog schleunigst die Pfanne vom Herd. Die Nudeln waren bereits schwarz und ich schauderte bei dem Gedanken, dass ich beinahe das Haus in Brand gesteckt hätte. Vorsichtige Schritte näherten sich und mein Gast stand im Türrahmen, als ich mich umsah.
„Tut mir Leid, dass ich so Umstände mache. Ist es arg schlimm?“ Stumm hielt ich ihm die Pfanne hin und mit großen, erschrockenen Augen starrte er auf das Beinahe-Unglück. Unsere Blicke trafen sich und seine Augen zogen mich erneut in ihren Bann.
Wie zuvor draußen, schien die Zeit stillzustehen. Nach dem Schrecken, mit den eingebrannten Nudeln starrten wir uns an, keiner konnte etwas sagen. Es zog mich zu ihm, doch als ich den stützenden Rahmen der Tür losließ, spürte ich, wie mein Kopf sich erneut drehte. Ein Scheppern und ich spürte seinen Arm, der sich schützend um mich legte. Mein Kopf landete an seinem Brustkorb und durch das Hemd spürte ich seinen schnellen Herzschlag. Fest klammerte ich mich an ihn und wagte nicht, mich zu bewegen, denn meine Beine fühlten sich immer noch an wie Gummi. Verstärkt wurde dieses Gefühl durch seinen Geruch, den ich einatmete. Der Geruch nach Ziege verblasste, darunter kam ein herrlich männlicher Duft hervor, der mich magisch anzog. Ich schnupperte an seinem Hals entlang und er erschauerte.
„Was?“ Zittrig fragte er und ich unterbrach meinen Schnupperweg. „Du riechst gut.“, murmelte ich und er schüttelte seinen Kopf.
„Grind … angeschlagen … darf nicht ...“, nuschelte er und ich berührte seinen Hals mit meinen Lippen. Hastig schob er mich weg. War ich zu weit gegangen?
Für einen Moment sahen wir uns in die Augen. Dann senkte er seine Lider und mit krächzender Stimme erklärte er: „Versteh doch – deine Situation – du weißt nicht, wer du bist. Ich darf das nicht ausnutzen! Mein Körper ...“
„Idiot, glaubst du, das interessiert mich? Ich weiß nicht woher, aber ich fühle mich zu dir hingezogen. Es ist vertraut! Verstehst du? Vertraut!“ Ich schrie ihn an, spürte wie meine Beine endgültig ihren Dienst versagten und rutschte an ihm runter. „Vertraut ...“, wimmerte ich verzweifelt, während sich sein Griff verstärkte und er mich zu stützen versuchte.
„Was, wenn du dich erinnerst? Wenn du feststellst, dass du eine Frau hast? Verheiratet sogar? Dass alles nur eine Illusion ist? Ich weiß nicht, ob ich das kann. Denk darüber nach.“
Er hatte ja so Recht! Mein Kopf schmerzte, alles drehte sich und ich hing wie ein nasser Sack an ihm.
„Du solltest dich hinlegen, ich glaube, das war zu viel für dich. Komm, ich helfe dir hoch. Dann koche ich etwas und dann geht es dir vielleicht besser. Du hast seit vier Tagen nichts Rechtes gegessen. Geißenmilch ist gesund, aber für einen Mann reicht das nicht.“
Schwach nickte ich und ließ mich von ihm ins Schlafzimmer führen. Ich ließ es zu, dass er mich wie ein kleines Kind zudeckte und schloss meine Augen. Bildete ich es mir ein, oder strich er mit dem Daumen über meine Wange? Ich wagte nicht, ihn anzusehen, hatte Angst, ihn zu erschrecken. Aber etwas schlug Purzelbäume in meinem Kopf und ich konnte seinem Rat nicht folgen. Immer wieder ließ ich das Geschehene durch den Kopf gehen, immer wieder stieß ich an eine Barriere, die mir einen stechenden Schmerz durch den Kopf jagte.
Wer war ich?
Warum zog es mich zu ihm?
Antworten - krampfhaft suchte ich nach ihnen und fand sie nicht. Irgendwann war ich wohl eingeschlafen, denn als ich das nächste Mal die Augen öffnete, war es bereits dämmrig im Raum.
Vorsichtig stand ich auf und ging nach unten. Mario hörte mich wohl und kam aus der Küche. Auf meine Frage zeigte er mir das Badezimmer und anschließend ging ich zu ihm in die Küche. Eine einfache Mahlzeit erwartete mich, aber danach fühlte ich mich tatsächlich besser.
Er sprach nicht viel, trotzdem versuchte ich, mehr über ihn zu erfahren. Wenn ich schon nicht wusste, wer ich war, so wollte ich wenigstens etwas über meinen Retter erfahren.
Zuerst stockend, dann immer flüssiger erzählte er und ich war geschockt, über das Verhalten der Menschen. Sehr leise, ganz schüchtern gestand er mir, dass es ihn zu Männern hinzog. Dass er deshalb so zurückgezogen lebte und dass ich für ihn eine Versuchung war, er aber nicht wusste, wie er mit diesen Gefühlen umgehen sollte. Ich spürte wieder dieses pochende Schlagen in meinem Kopf, wieder blitzte es vor meinen Augen und eine schwarze Wand hinderte mich, weiter in mein Gedächtnis vorzudringen. Mario starrte mich mit großen Augen an.
„Was hast du? Tut mir leid, wenn ich dir zu Nahe komme oder zu aufdringlich bin. Ich verstehe das zu gut.“
„Nein, das ist es nicht. Du bist nicht aufdringlich!“, dabei rieb ich über meine Augen. „Es blockiert in meinem Kopf, etwas hindert mich, die Wahrheit über mich zu sehen. Aber ich spüre, dass ich irgendwie auch dem männlichen Geschlecht zugetan bin. Immer wenn ich denke, ich bin kurz vor der Lösung, dann habe ich diese furchtbaren Kopfschmerzen. Es hat nichts mit dir zu tun. Ich weiß nicht, wie alt ich bin, wer ich bin, woher ich komme – nur das, was du mir erzählt hast. Es macht mich irre.“
Mario starrte auf seinen Teller, dann sah er mich an.
„Tut mi ...“, wollte er anfangen zu sagen, doch ich unterbrach ihn. „Hör auf, dich dauernd zu entschuldigen!“, fuhr ich ihn zornig an und zuckte zusammen, als mir bewusst wurde, wie hart meine Stimme klang. War ich das? Erschrocken sahen wir uns an und ich sprang auf, achtete nicht auf den Stuhl, der scheppernd umfiel und rannte vor die Tür. Ignorierte den Schwindel, der mich beinahe zu Fall brachte und stützte mich an der Wand ab. Zitternd rang ich nach Luft, kämpfte gegen die Übelkeit und spürte, wie Tränen über mein Gesicht liefen. Frustriert schlug ich gegen die Wand. Verdammt, wer war ich? Warum hatte ich so zornig reagiert? Was war ich in meinem Leben, bevor er mich fand?
Leise Schritte kamen näher und ich spürte seine Hand auf meiner Schulter. Mit einem gequälten Wimmern wandte ich mich ihm zu und er zog mich einfach zu sich. So standen wir für eine Weile und langsam beruhigte ich mich wieder. Eine feuchte Nase stupste mich an der Hand und ich musste lächeln.
„Darf ich bei dir bleiben?“, nuschelte ich und er sagte leise:
„Ja, vielleicht können wir uns gegenseitig helfen, unsere Verletzungen zu heilen.“ Ich nickte, ein Kloß im Hals hinderte mich am Sprechen und seine Hand fuhr vorsichtig durch meine Haare. „Lass uns zu Bett gehen, morgen geht es dir bestimmt besser und dann sehen wir weiter. Bei Tageslicht sieht vieles, was jetzt im Dunkeln liegt, ganz anders aus.“
Wie Recht er doch hatte. Gemeinsam gingen wir ins Haus, wo er mir frische Wäsche und Badetücher gab. Sogar eine neue Zahnbürste packte er extra für mich aus. Im Bad gab es zwar nur eine Dusche, aber die Aussicht, mich darunter zu waschen war einfach zu verlockend. Er zog sich zurück, während ich mich duschte und kaum verließ ich das Bad, huschte er hinein und ich blieb ratlos zurück. Sollte ich in sein Bett kriechen? Oder war es ihm lieber, wenn ich das alte Sofa in der Stube in Beschlag nahm? Geduldig wartete ich, bis er fertig war, und fragte ihn, kaum dass er das Badezimmer verließ.
„Wenn es dich nicht stört, wenn ich auch da liege, darfst du gerne in meinem Bett schlafen. Schließlich habe ich dich als Gast aufgenommen, da ist es doch selbstverständlich, dass du bequem liegst.“
Die nassen Barthaare klebten an seiner Wange und ich konnte seine schön geschwungenen Lippen erkennen, die sonst verdeckt waren. Augenblicklich breitete sich eine angenehme Wärme in mir aus und ich lächelte ihm dankbar zu.
Bei seinem Ausbruch war ich zusammengezuckt. Seine Flucht hatte mich erschreckt. Trotzdem folgte ich ihm und fand ihn vor dem Haus. Er zitterte und bebte und ich hielt ihn einfach. Er war verwirrt, das spürte ich. Ja, wir konnten uns gegenseitig helfen, in seiner Gegenwart fühlte ich mich sicher. Eigenartig, aber dieser erste Tag hat etwas in mir bewegt. Vielleicht lag es daran, dass er sich nicht vor mir ekelte? Es war das erste Mal, dass mir jemand das Gefühl gab, dass ich nicht bloß ein Krüppel war. Er behandelte mich ganz normal und irgendwie tat es mir gut.
Nach dem Duschen fühlten wir uns beide wie neugeboren und er nahm mein Angebot, im selben Bett zu schlafen, ohne Zögern an. Mein Pyjama verdeckte die Narben, die mich zeichneten und so lagen wir bald im Bett. Wir plauderten noch eine Weile, bis uns die Müdigkeit übermannte und es fühlte sich einfach gut an.
Ich schlief so tief und fest, wie schon lange nicht mehr. Am Morgen wurde ich durch eine Hand geweckt, die sich auf meinen Bauch gelegt hatte. Es fühlte sich fremd an und ich wagte kaum zu atmen. Schlief er noch? Vorsichtig wandte ich mich ihm zu, drehte mich, bis ich auf meinem halben Arm lag und sah in seine entspannten Gesichtszüge. Im Schlaf bewegte sich seine Hand weiter und landete auf meiner Seite. Dabei zog er mich näher an sich und ich war gespannt, was das geben würde. Er brummelte etwas Unverständliches und weil ich nicht so recht wusste, was ich mit meinem rechten Arm tun sollte, legte ich ihn zaghaft auf seine Hüfte. Meine Gedanken rasten hin und her, ich hatte keine Probleme, ihn zu waschen, als er bewusstlos war, aber jetzt war es anders. Oder etwa doch nicht? Noch nie wachte ich mit jemandem im selben Bett auf.
Es war fremd, es gefiel mir und es wurde sehr heiß unter der Decke. Ich löste meine Hand und schob die Decke etwas weg. Kühle Luft umschmeichelte uns und seine Hand suchte vergeblich nach der Decke. Dabei wurde er wach und unsere Blicke trafen sich.
Sein Lächeln wärmte mein Herz und seine Hand, welche mich hielt, wanderte hoch, legte sich auf meine Wange und kraulte meinen Bart. Er rutschte näher, berührte dabei meinen linken Arm und ich zuckte zusammen, wollte aus dem Bett fliehen, doch mein Körper gehorchte nicht. Stumm lagen wir da, seine Hände erkundeten mein Gesicht und meinen Körper. Doch so schön sich seine Hände auf meinem Körper auch anfühlten, ich musste aufstehen. Meine Tiere brauchten mich und deshalb löste ich mich von ihm.
„Wenn du magst, kannst du noch liegen bleiben, aber ich muss aufstehen.“ 'Warum war meine Stimme so rau und kratzig?', fragte ich mich verwundert, und sah ihn verwirrt an.
„Kann ich dir helfen?“ Ich schüttelte den Kopf. „Nein, aber nach dem Melken und dem Frühstück steht Fellpflege an, damit das Fell der Geißen so seidig bleibt, wie es ist. Da kannst du helfen, wenn du magst.“
Sein strahlendes Lächeln war Antwort genug und ich schaffte es endlich, aufzustehen.
Die Stallroutine beruhigte mein aufgewühltes Innenleben und ich füllte noch eine Extraportion Heu in die Futterraufe, obwohl meine Geißen genug zum Fressen hatten. Verwundert über meine unnütze Handlung schüttelte ich den Kopf, ließ das Heu aber in der Futterraufe.
Danach brachte ich einen Teil der Milch in die Kühlkammer, dabei überprüfte ich die ältere Milch, die ich in einem speziellen Steinguttopf lagerte, um zu sehen, ob sich schon die Molke von der gestockten Milch getrennt hatte. Falls es soweit war, konnte ich meinen Käse würzen, und einlagern, damit ich ihn ins Dorf runter bringen konnte. Ich hatte schon mit einigen Gewürzen experimentiert und jede Geschmacksrichtung wurde begeistert gekauft. Am beliebtesten waren die Kräutermischungen, die aus einheimischen Wildkräutern gewonnen wurde. Es war kein großes Geschäft, aber der finanzielle Zustupf war durchaus willkommen.
Einen Teil der Milch nutzte ich für mich. Ich hatte zwar immer ein Glas Néskaffee rumstehen, aber ich trank lieber von der frischen Milch zum Frühstück, oder während des Tages, das kalte Wasser vom Hahnen.
Als ich ins Haus zurückkehrte stand Peter bereits in der Küche und werkelte um den Herd herum.
„T'schuldige, ich habe Wasser gekocht, hab das Glas mit dem Néskaffee gefunden und dachte, vielleicht magst du auch einen.“ Verlegen sah er mich an und ich musste grinsen. Dabei hielt ich den Krug mit der Milch hin und sagte:
„Ich mag lieber frisch gezapftes am Morgen. Aber du kannst ruhig von dem Kaffee nehmen. Wird eh nur alt bei mir. Ich hab nur gestern gedacht, du magst vielleicht eine Tasse, aber ich brauche nicht unbedingt Kaffee. Zucker hat es übrigens auch noch im Schrank über dem Schüttstein.“
„Frisch gezapft?“, fragend sah er mich an und ich schmunzelte.
„Ja, frisch von der Geiß. Schmeckt mir halt besser. Schon mal probiert?“
Peter schüttelte den Kopf.
„Nein, ich kenne nur Kuhmilch. Aus dem Tetrapack. Da ist nichts mit 'frisch gezapft'“, kicherte er und steckte mich mit seiner Fröhlichkeit an.
„Dann erinnerst du dich an etwas, vor dem Unfall?“
„Ja, aber ich finde immer noch nichts, dass auf meine wahre Herkunft hindeutet. Nach den höllischen Kopfschmerzen von gestern habe ich aber keine Lust, im Moment weiter zu rätseln. Hast du auch Brot hier? Oder sonst etwas, dass man essen kann? Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich habe so richtigen Kohldampf.“
Immer noch schmunzelnd zeigte ich ihm meine kleine Vorratskammer, in der ich meine Lebensmittel lagerte und in der auch ein kleiner Kühlschrank stand. Aus einem Brotsack zog ich ein Pfünderli. Es war nicht mehr ganz frisch, aber wenn man es etwas befeuchtete und in den Ofen schob, hatte man fast frisches Brot. Butter, Käse und Honig drückte ich ihm in die Hand und er half mir, die Lebensmittel in die Küche zu tragen. In kürzester Zeit hatten wir so ein fürstliches Frühstück zusammengestellt und Peter probierte alles. Ziemlich bald stand die Kaffeetasse unbeachtet daneben und er verdrehte verzückt die Augen, als er das erste Mal bewusst von der Geißenmilch probierte.
„Schmeckt wirklich nicht schlecht, ungewohnt, aber gut.“ Seine Aussage entlockte mir ein Lachen, denn seine Gesichtszüge waren einfach zu köstlich. Zwischen zweifeln, überrascht und genießerisch, wechselten sie hin und her, so als ob er sich nicht entscheiden konnte, ob es ihm schmeckte.
Nach dem Frühstück hieß es Fellpflege. Meika strich dabei dauernd um Peters Beine und stibitzte ihm den Kamm oder die Bürste. Bei mir hatte sie das auch immer gemacht, aber irgendwann aufgegeben. Ich beobachtete ihn dabei, amüsierte mich köstlich, wie er mit Meika stritt und freute mich, dass er dabei mit den Geißen liebevoll umging. Bald waren die Geißen von kleinen Ästen und Kletten befreit und drängten aus dem Stall. Immer wieder erfreuten mich ihre fröhlichen Sprünge, bis sie einen Platz zum Grasen fanden. Wir waren zu zweit wirklich schneller fertig und irgendwie fand ich es richtig schön. Dass ich dabei Peter oft sehr nah kam, um ihm besonders empfindliche Stellen bei den Ziegen zu zeigen, war eine neue Erfahrung. Denn er zuckte nicht zusammen, nahm es einfach hin, dass nur ein Arm da war und wenn ich ihn mit meinem linken berührte, hatte ich das Gefühl, er würde sich etwas zurücklehnen. Das war interessant, verwirrend aber auch gleichzeitig schön. Trotzdem hatte ich Angst, dass es nur daher rührte, weil ich ihn gefunden hatte.
Fellpflege bei den Geißen - den Gedanken fand ich amüsant, aber schon bald verstand ich, warum. Im langen, seidigen Fell hatten sich einige Kletten und Halme festgesetzt und ich konnte mir gut vorstellen, dass sich das Fell so verfilzte. Die Tiere merkten wohl, dass ich diese Arbeit noch nie gemacht hatte, und standen ruhig da. Hin und wieder spähte ich zu Mario, sah fasziniert zu, wie er mit nur einer Hand das Gröbste heraus zupfte, bevor er mit einem Kamm das Fell bändigte. Meika stahl mir dauernd meinen Kamm, wenn ich nicht aufpasste, und sah mich mit einem schelmischen Hundeblick an. Das Ganze war eigentlich mehr Spaß als Arbeit. Vor allem am Anfang kam Mario oft zu mir herüber und zeigte mir, wo ich besonders vorsichtig sein musste. Dabei legte er seinen linken Arm, der irgendwo kurz nach dem eigentlichen Ellbogen aufhörte, auf die Schulter. Ehrlich gesagt, gefiel mir diese Geste sehr und ich wagte es, mich vorsichtig an ihn zu lehnen. Das bestätigte mir, dass ich mich zu Männern hingezogen fühlte. Jede der Geißen hatte einen Namen. Schneewittli hatte ich ja schon kennengelernt, sie war mein erstes Opfer und das Tier, an welchem ich nun die Kletten rauszupfte, hieß Paloma. Frech stupste sie mich an und ich kraulte ihre Stirnlocke und die Stelle zwischen den Hörnern. Es war richtig schön, wie sie vertrauensvoll ihren Kopf an mir rieb. Fasziniert sah ich zu, wie die Tiere aus dem Stall sprangen und in wilden Sprüngen auf die Weide zu jagten. Meika sprang zwischen ihnen herum und trieb sie zusammen. Es war so ein friedliches Bild und als Mario erneut zu mir kam, spürte ich eine Welle von Zuneigung.
„Und, was machen wir jetzt?“, fragte ich ihn als wir fertig waren und er deutete mit dem Kopf in Richtung des kleinen Wildbaches. „Was hältst du von einer Runde gemütlich am Bach sitzen und plaudern? Oder ein Nickerchen machen? Ich habe nicht viel zu verwalten, da kann ich es mir leisten, hin und wieder zu faulenzen. Manchmal zeichne ich, oder lese ein Buch, welches mir gefällt. Das ist das Schöne hier oben, man hat keinen unnützen Stress.“
Unsere Blicke trafen sich, ich konnte nicht widerstehen und legte meine Hand auf seine Wange. „Ich könnte dich rasieren. Ich möchte dein Gesicht sehen, ohne den ganzen Urwald.“ Doch anscheinend war ich zu forsch, denn er machte einen hektischen Schritt zurück und sah mich mit schreckgeweiteten Augen an.
„Nein! Bitte, es ist mir peinlich. Die Narben – sie – nein!“, stammelte er. „Warum willst du das sehen? Ich kann diesen Anblick selber nicht ertragen.“ Traurig senkte er seine Augenlider und wollte sich abwenden. Doch ich hielt ihn zurück, zwang ihn sanft, mich anzusehen.
„Gestern, nach dem Duschen, da konnte ich deine Lippen sehen. Sie sind wunderschön. Aber dein Bart verdeckt sie und ich würde das gerne ändern.“
„Warum?“, fragte er verwundert und ich schmunzelte.
„Weil ich dich gerne küssen möchte? Vorausgesetzt, du möchtest das auch.“
„Mich hat noch nie jemand geküsst! Warum willst du das? Ich werde nie jemanden haben, der mich so will, als halben Mensch, dazu noch mit Narben übersät. Machst du dich lustig über mich? Du hast bestimmt eine Frau und Kinder! Wie kannst du so etwas von mir wollen? Nur weil ich dich gepflegt habe? Aus falschem Mitleid? Was soll das? Gehörst du zu diesen Typen, die sich daran aufgeilen, wenn jemanden etwas fehlt?“, wütend fauchte er mich an und streckte mir seinen Armstummel beinahe vorwurfsvoll entgegen. Jedes seiner Worte traf mich wie ein Peitschenhieb.
„Es, es tut mir leid, ich wollte dir nicht zu nahe treten. Aber eines weiß ich, nein, fühle es. Es zieht mich zu Männern. Nicht zu Frauen. Darum denke ich, dass ich nicht mit einer Frau verheiratet bin. Ich mach mich nicht über dich lustig und aus Mitleid erst Recht nicht! Diesen Schwachsinn kannst du dir gleich aus dem Kopf schlagen“, fauchte ich zurück und wir maßen uns in einem Blickduell, dass er zuerst beendete. Da ich immer noch seinen Arm hielt, spürte ich, wie er anfing zu zittern und ich trat näher an ihn. Zog ihn einfach in meine Arme und hielt ihn fest.
„Ich – das – bin ich nicht gewohnt“, schniefte er stockend, während er sich in meinen Armen versteifte und ich streichelte beruhigend über seinen Rücken.
„Schsch, ist schon gut. Ich war wohl zu stürmisch und habe mir eingebildet, es würde dir gefallen.“
„Das schon, und es gefällt mir ja, wie du mich hältst. Aber ich kenne das nicht, es macht mir Angst“, raunte es zittrig neben meinem Ohr und mein Herz machte einen kleinen Hüpfer, der bei seinen nächsten Worten in der Luft stehen blieb.
„Wie vor ein paar Jahren. Da war ich in Zürich, wollte das Nachtleben erkunden und wurde von einem Kerl angesprochen. Er wollte Sex von mir, aber nicht, weil er mich mochte. Er war fasziniert von meinem Armstummel, er geilte sich an dem Gedanken auf, wie es wäre, wenn mein Arm ihn an Stellen berührt die ... Ach, egal. Er war nicht der Einzige und ich floh aus der Bar. Seither habe ich solche Orte gemieden. Hier oben, da fühle ich mich sicher, hier hat niemand komische Ideen.“
Ich schluckte, das war doch harter Tobak. Ich konnte gut verstehen, dass er sich hier her zurückgezogen hatte, und bedauerte ihn gleichzeitig, weil er so eine unangenehme Erfahrung machen musste. Er zitterte und wollte sich aus meiner Umarmung lösen. Doch ich hielt ihn fest, legte eine Hand unter das Kinn und sah ihm in die Augen. Hektisch wanderte sein Blick hin und her, so als suchte er eine Möglichkeit, zu fliehen oder sich zu verstecken.
„Gib mir eine Chance und ich beweise dir, dass es schön sein kann. Ich bin überzeugt, dass es dir gefallen wird“, versuchte ich ihn zu beruhigen und er antwortete leise:
„Was, wenn du dich erinnerst? Wenn du wieder weißt, wer du bist? Vergisst du dann den Narren auf der Alp? Es würde mir das Herz brechen, da bin ich überzeugt.“
„Vergessen? Niemals, das schwöre ich dir! Hier und jetzt! Du bist kein Narr. Hör auf, so schlecht von dir zu denken.“
Ich suchte erneut seinen Blick und diesmal wich er mir nicht aus. Fasziniert betrachtete ich die helleren Punkte in seinen dunkelblauen, fast schwarzen Augen, die im Sonnenlicht funkelten. Langsam näherte ich mich seinem Gesicht und zielte auf die vom Bart verdeckten Lippen. Hauchte ihm einen Kuss auf die Stelle, wo sein Mund war und er schloss die Augen. „Ich habe aber nichts da, um mich zu rasieren.“, murmelte er und ich musste schmunzeln.
„Ich könnte mit der Schere wenigstens deine Lippen frei schnipseln. Bitte ...“, hauchte ich zurück und ich spürte, wie sich unter dem viel zu langen Bart seine Mundwinkel belustigt verzogen.
„Darüber lässt sich's reden. Einverstanden. Aber nur, weil du bewiesen hast, dass du mit meinen Geißen so sanft warst.“
Ich atmete erleichtert aus und hauchte ihm noch einen Kuss auf die Stirn. Sein Vertrauen rührte mich und ich zog ihn zu der Bank vor dem Häuschen. Er erklärte mir, wo ich eine Schere finden konnte, und schon wenig später machte ich mich ans Werk, bevor er es sich anders überlegen konnte. Vorsichtig stutzte ich den Urwald und schon bald sah er nicht mehr so verwildert aus. Hin und wieder hatte ich die Narben gespürt und versuchte mir vorzustellen, wie er wohl aussah. Aber ich respektierte seinen Wunsch. Wenigstens waren seine Lippen nun frei und als ich fertig war, beugte ich mich zu ihm runter und küsste ihn ganz zart. Erst zögerlich, dann immer mutiger erwiderte er die Berührung und überrascht keuchte er, als meine Zunge über die weiche Haut seiner Lippen streifte. Noch einmal intensivierte ich die Berührung und als ich mich von ihm löste, traf mich sein erstaunter Blick.
„Das war schön ...“, hauchte er ergriffen und mit seinem Zeigefinger fuhr er sich über die Lippen. Dabei lächelte er und ich spürte, wie mir diese unschuldige Geste einheizte. „Langsam!“ mahnte ich mich selber und hielt ihm meine Hand hin.
„Zeigst du mir den Bach, von dem du vorhin gesprochen hast?“
Nickend erhob er sich und gemeinsam gingen wir zu der Stelle, von der er gesprochen hatte. Er zeigte mir, wo er beobachtet hatte, dass ich abgestürzt war, und erzählte mir, wie er mich fand. Das Ziehen in meinem Kopf fing wieder an, als ich mich zu erinnern versuchte, wie ich flog. Paff, war die Mauer wieder da und ich fühlte mich, als wäre ich Kopf voran in diese Mauer gerannt und wäre zurückgeschleudert worden.
„Es stört dich wirklich nicht, dass meine linke Seite kaputt ist?“
Seine Frage riss mich aus meinen Gedanken und ich schüttelte den Kopf.
„Bis jetzt weiß ich ja nicht, wie du aussiehst. Nur, dass dir der halbe Arm fehlt. Ich bewundere dich, wie du so dein Leben im Griff hast.“
Mario legte seine Hand auf meine Schulter und fragte leise: „Möchtest du es sehen?“ Ich nickte und er warf mir wieder einen schüchternen Blick zu.
„Aber nicht erschrecken. Bitte … Du bist der Erste, dem ich das zeige. Außer meinem Arzt hat das noch nie jemand gesehen. Ich vertraue dir.“
Ernst sah er mir in die Augen und ich versprach es ihm.
Langsam zog er sitzend die Hose aus und meine Augen weiteten sich. Über das ganze linke Bein zog sich eine lange, breite Narbe, die an diversen Stellen verästelt war, wie die Zweige eines Baumes. Das Bein war viel dünner als das rechte und ich konnte mir vorstellen, warum er sich als Monster bezeichnete. Ich rutschte auf den Knien zu ihm und kniete zwischen seine Beine. „Den Rest auch?“, fragte er schüchtern und ich nickte. Brachte keinen Ton heraus und berührte mit meinen Händen den Saum seines Shirts. Langsam zog ich es hoch und streifte es über den Kopf. Da saß er nun, nur noch mit seinen Unterhosen bekleidet und sah mich mit einem Blick an, der an ein verwundetes Tier erinnerte. Langsam ließ ich meine Hand über den vernarbten Körper gleiten, ertastete jede Erhebung und fuhr an den hellen Linien entlang. Beinahe ehrfürchtig strich ich über seinen Armstumpf und spürte, wie sein Körper unter meinen Berührungen bebte. Seinen leicht geöffneten Lippen entkam ein erstaunter Laut. Fasziniert beobachtete ich, wie sein Glied unter meinen Liebkosungen hart wurde und ich knetete und küsste es durch den Stoff. Der wohlig klingende Ton, den ich ihm so entlockte, spornte mich an, ihn weiter zu verwöhnen. Mit meinen Lippen knabberte ich über den Stoff, schob das Band der Hose runter, bis mir sein Glied entgegen sprang und ich leckte über seine Härte. Zart küsste ich seine Eichel, die schon feucht glänzte. Spielerisch stupste ich mit der Zunge den kleinen Schlitz und leckte über die Vorboten seiner Lust. Mario rekelte sich genüsslich und ich sah zu ihm auf. Er hatte seinen Kopf zurückgelegt, fasziniert betrachtete ich das verklärte Gesicht und spürte unter meinen Händen, wie er erschauerte. Es dauerte nicht lange und mit einem kehligen Schrei ergoss er sich in heftigen Schüben. Zufrieden sah ich ihm ins Gesicht, sein seliges Lächeln erfüllte mich mit Freude. Ich löste mich von seinem Anblick, rutschte zu ihm hoch, legte meine Hände an seine Wangen und küsste ihn erneut. Als ich mich löste, hauchte er ergriffen:
„So etwas Schönes hat mir noch niemand geschenkt. Aber jetzt weißt du, wie ich aussehe, halb Monster, halb Mensch. Beschädigt, zerstört. Ekelt es dich nicht mich zu berühren?“ Ich schüttelte den Kopf.
„Sicher bist du nicht Mister Schweiz, aber mich ekeln? Nein! Du kannst da nichts dafür und es ist nur deine äußere Hülle. Das, was dich ausmacht, ist darunter.“ Dabei legte ich meine Hand auf die Stelle, wo ich sein Herz heftig schlagen spürte. Er schluckte und ich fuhr fort: „Ich denke, der wahre Mario ist irgendwo da drin versteckt und ich möchte gerne derjenige sein, der ihn zuerst kennenlernen darf. Außerdem hast du da ein prächtiges Schmuckstück, dass mir sehr zusagt.“ Dabei streichelte ich sein erschlafftes Glied, welches sich unter meiner Berührung wieder freudig regte.
Die Stille, die sich nun ausbreitete, wurde nur durch das Plätschern des Baches unterbrochen. Ich zog mich ebenfalls aus und beinahe ehrfürchtig erkundete er nun meinen Körper. Nicht lange, und wir kugelten über die Wiese, eng umschlungen rieben wir unsere Körper aneinander, bis wir in einer gemeinsamen Explosion kamen. Unser Sperma vermischte sich und mit kreisenden Bewegungen vermischte ich es auf seinem Bauch.
„Guck, jetzt sind wir eins.“, dabei hielt ich ihm den Finger hin und mit einem glücklichen Leuchten in den Augen, leckte er mit seiner Zunge über den Finger. Im Bach spülten wir die Spuren unserer Lust ab und anschließend saßen wir gemeinsam, dicht aneinandergeschmiegt da und ließen uns von der Sonne trocknen.
Mein Herz schlug heftig und die Erleichterung, dass er nicht schreiend davongerannt war, wurde schnell von dem wohligen Gefühl überlagert, dass seine Berührungen in mir auslösten. Wir lernten uns in den folgenden Tagen immer besser kennen und ich müsste Lügen, wenn ich sagen würde, es hätte mir nicht gefallen. Seltsam, ich öffnete vom ersten Moment an meine innersten Gedanken und es kam mir so vor, als würde ich ihn schon ewig kennen. Wir führten viele schöne und interessante Gespräche, wobei er viele Fragen hatte. Er kämpfte nicht länger darum, sich zu erinnern, betrachtete das Ganze als Neuanfang. Seine Kopfschmerzen wurden weniger, doch hin und wieder, wenn er glaubte - jetzt, das ist mir vertraut - kam es vor, dass er ein schmerzvolles Ziehen spürte und die Erinnerung schwand. Oft saß er dann weinend da und ich wiegte ihn tröstend in meinen Armen. Wer er war, blieb ihm weiterhin verborgen und er konnte auch nicht sagen, ob er tatsächlich je ein Flugzeug geflogen hatte.
Peter schätzte die Arbeiten auf der Alp, lernte was ich ihm beibringen konnte und schon bald wurde er für mich eine wertvolle Hilfe. Unser gemeinsames Leben verband uns, wobei ich es sehr genoss, dass er meine Nähe suchte. Nie hätte ich gedacht, dass mich jemand lieben würde und sich nicht vor mir ekelte. Aus den anfänglich zaghaften Küssen und Liebkosungen wurde bald mehr. Peter verwöhnte mich, wie ich es nie zu träumen gewagt hatte und da ich in seinen Augen nicht abstoßend war, fühlte ich mich so richtig wohl und geborgen.
Fast zwei Wochen waren vergangen, seit ich Peter gerettet hatte, als unerwarteter Besuch auftauchte. Karin, eine der Serviertöchter vom Hotel, tauchte auf und erkundigte sich nach meinem Befinden. Peter war mit Meika und den Geißen auf der Weide, wo er mir beim Heuen half. Ich wollte uns gerade einige belegte Brote und was zum Trinken holen, als sie an die Tür klopfte.
„Grüezi Mario, der Chef schickt mich, ich soll mal nachsehen, ob bei dir alles in Ordnung ist. Wir haben uns schon gewundert, weil du ja immer alle zwei Wochen runter ins Tal gehst und nun bist du schon eine Woche überfällig.“
„Grüezi Karin, ja, bin halt nicht dazu gekommen. Weißt du, ich hatte viel zu tun.“ Ich sah sie verwundert an, denn eigentlich war es dem Wirt egal, was ich trieb. Sie sah sich suchend um und ihr Blick blieb in der Ferne auf dem Fleck hängen, wo Peter und ich am Heuen waren.
„Sag mal, hast du eigentlich jemand eingestellt, der dir hilft? Oder täusche ich mich? Ich bin sicher, da oben steht jemand.“ Sie lächelte mich freundlich an und ich zuckte mit den Schultern. Dabei fragte ich mich, warum sie das wohl interessiert.
„Das ist Peter, ein Freund. Er hilft mir dieses Jahr im Sommer.“ Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es sie nichts anging, wollte aber nicht unhöflich sein, deshalb versuchte, so neutral wie möglich zu Antworten.
„Oh, wusste gar nicht, dass du Freunde hast. Ich kenne dich jetzt schon so lange und noch nie kam jemand auf Besuch.“ Ich zuckte bei dieser Bemerkung erneut meine Schultern und brummte:
„Naja, jetzt weißt du, dass ich durchaus auch Freunde habe. Mir geht es gut und ich denke, deine Neugierde ist nun gestillt.“
Lachend sah sie mich an: „Ja, anscheinend. Brummig wie eh und je, dann kann ich dem ja Chef ausrichten, dass es dir gut geht. Weißt du, nur weil du wie ein Eremit hier hinten lebst, heißt es noch lange nicht, dass es niemand interessiert, wie es dir geht. Also, sei nicht böse. Ich ziehe mal weiter. Das herrliche Sommerwetter ist einfach zu schön, als dass man einfach in der Stube hockt. Tschüssi, viel Spaß noch.“ Gerade als sie sich verabschiedet hatte, kam Meika angerannt und tanzte wie eine Wilde um Karin herum. Karin alberte mit meinem Hund und Peter kam etwas langsamer hinterher.
„Uff, das war heftig, ehrlich. Aber die Wiese ist gemäht. Der Sprit hat gerade so gereicht. Ist echt ein tolles Gefühl, mit dem Trimmer hier zu arbeiten. Den kann man wirklich mit einer Hand bedienen. Allerdings auch nicht ungefährlich. Meika hat mich ein paar Mal dazu gebracht, das Teil auszuschalten, weil sie so dicht um mich herum gesprungen ist.“
Karin hörte auf, mit Meika zu spielen, und kam zu uns. „Hoi, ich bin die Karin“, stellte sie sich Peter gleich selber vor und hielt ihm die Hand hin.
„Hi, freut mich, ich bin Peter.“
Neugierig musterte sie ihn und ich sah, wie Peter sich unwohl wand. Seit es ihm besser ging, hatte sich noch kein Fremder hier auf meine Alp verirrt. Weckte die Begegnung Erinnerungen?
„Kennt ihr euch?“, fragte ich die beiden, die sich aufmerksam musterten. Beide schüttelten den Kopf und Peter sagte:
„Nein, dachte zuerst nur ... aber nein, definitiv nicht.“ Auch Karin schüttelte den Kopf, wobei sie allerdings etwas seltsam wirkte.
„Nein, ich kenne dich auch nicht. Dachte nur, ich hätte dich schon mal wo gesehen. Muss mich wohl getäuscht haben. Naja, wie dem auch sei, ich wollte eh noch zurück zum See, und `ne Runde schwimmen. Bin ja nur gekommen, weil der Chef mich geschickt hat. Das Wasser ist zwar recht kühl, aber nach dem Fußmarsch wird es mir guttun. Dann macht's mal gut ihr beiden. Tschüssi.“ Damit verabschiedete sie sich und wir sahen ihr noch ein Weilchen zu, bis sie hinter einer Biegung verschwand.
Peter und ich sahen uns an.
„Meinst du, sie könnte wissen, wer ich bin? Das wäre beruhigend, weißt du. Wundernehmen würde es mich schon, nur habe ich das Gefühl, so eilig muss es auch nicht sein. Das Leben hier mit dir gefällt mir und ich habe kein Bedürfnis, dies so schnell zu ändern. Von mir aus kann sehr lange gehen, bis ich mich an mein früheres Leben erinnere.“
Während er sprach, trat er ganz nah an mich heran und legte seine Hände an meine Wange. Sanft berührten seine Lippen die meinen und zärtlich streichelte er mit einem Finger meinen Hals.
Wohlig seufzend vertiefte ich unseren Kuss und genoss dieses wunderbare Gefühl. Nie hätte ich mir vorstellen können, wie schön sich das anfühlte. Bis Peter kam. Seither wandelte ich in einem seltsamen Rausch durch die Tage und ich war sicher, meine Tiere spürten diese Veränderung auch. Zumindest Theophyl war übermütig wie schon lange nicht mehr und die Geißenweiber schienen auch munterer zu sein. Meika sprang an uns hoch und wir lösten uns grinsend.
„Ich hätte gleich belegte Brote hochgebracht, aber ich denke, wir können sie auch gleich hier verzehren. Was meinst du?“ Peter nickte begeistert und ich packte unser Essen auf den alten Klapptisch, den ich mal aufgehoben hatte und der nun vor der Bank draußen stand. Wir hatten ihn aufgestellt, weil es einfach so gemütlich war und Peter in einem romantischen Anfall fand, es wäre doch schön, draußen zu essen und die Umgebung zu genießen. Während wir aßen, machte ich Überlegungen, was ich alles aus dem Tal bräuchte und bat Peter darum, mir seine Wünsche mitzuteilen. Sein größter Wunsch war Rasierzeug. Auch bei ihm sprießte mittlerweile ein ordentlicher Bart, aber im Gegensatz zu mir, fühlte er sich nicht wohl damit. Eigentlich schade, denn er gefiel mir durchaus so. Ich kraulte seinen Bart und brachte ihn damit zum Lachen. „Willst du dich wirklich davon trennen? Ich liebe es, wenn ich dich so kraulen kann oder wenn deine Barthaare mich kitzeln, wenn du mich damit berührst. Das ist ein herrliches Gefühl.“
„Du bist unmöglich!“, neckte er mich und zu meiner Freude wanderte seine Hand unter mein Shirt. Zog es mir über den Kopf und rieb seinen Kopf über meinen Bauch. Seine Haare lösten kleine Schauer auf meiner Haut aus, die sich über den ganzen Körper ausdehnten. Verzückt ließ ich meinen Kopf nach hinten fallen und Peter nutzte dies, um meinen Hals und meine Kehle mit liebevollen Küssen, zu bedecken. Meika unterbrach unser Tun, indem sie sich einfach unter den Tisch zwängte und ihre Schnauze zwischen uns drängte. Der Tisch wackelte gefährlich und ich sah schon, wie unsere Brote über den Boden kullerten. Ein Glas mit Wasser kippte um und leerte den Inhalt über Meikas Kopf. Vorwurfsvoll sah sie uns an und wir mussten lachen. Natürlich war es unsere Schuld, dass sie nass wurde.
Mein Leben war perfekt, so wie es gerade war. Ich genoss unsere Zweisamkeit, meine Tiere rundeten das Ganze ab und ich fühlte mich zum ersten Mal in meinem Leben nicht mehr als das verkrüppelte Monster, welches ich bis vor Kurzem in mir sah.
Komplett.
Kein halber Mensch mehr.
Verliebt, ja das war es.
Konnte es etwas Schöneres geben?
Am nächsten Tag machte ich mich schon vor dem Sonnenaufgang auf den Weg runter ins Tal. Meika zog den kleinen Wagen und ich pfiff fröhlich vor mich hin. Dem Chäser brachte ich meinen Frischkäse und dankend nahm er ihn ab. Dafür konnte ich ein paar Lebensmittel einkaufen, bevor ich im großen C den Rest der Besorgungen erledigte. Am Kiosk studierte ich die Auslage und hoffte, etwas von dem Flugzeugunglück zu finden. Allerdings musterte mich die Verkäuferin ziemlich ungehalten, weil ich so schamlos einige Zeitungen studierte. Da mich der Blick verunsicherte, ließ ich die Zeitungen sein und beeilte mich mit dem Einkauf.
Am Abend war ich wieder oben und Peter verschwand gleich im Bad um sich von seinem Pelz, wie er es nannte, zu befreien, während ich die anderen Einkäufe wegräumte.
Ein paar Tage später hatte mich Peter so weit, dass ich es zuließ, dass er mich rasierte und nach all den vielen Jahren betrachtete ich mein Gesicht ohne den Bart. Es war ein seltsames Gefühl und die Narben, die ich so lange verdeckt hatte, wirkten auf einmal gar nicht mehr so schlimm. Peter gefiel wohl, was er sah und begeistert liebkoste er mit seinen Lippen mein Gesicht, schreckte nicht davor zurück und ich genoss das zarte Gefühl seiner Berührungen auf meiner Haut.
Dieser Sommer wurde zum schönsten meines Lebens und Peter schien es genauso zu gehen. Doch Glück ist vergänglich und es kam der Tag, der wohl der traurigste meines Lebens wurde. Für mich war er schlimmer als alles zuvor erlebte.
Ganz plötzlich und ohne Vorwarnung war Peter eines Tages weg. Weg – verschwunden, einfach so. Ich konnte mir nicht erklären warum – wohin – wieso …
Für mich stürzte die Welt ein und ich konnte es einfach nicht begreifen. War wie gelähmt und die Leere in meinem Haus erdrückte mich. Normalerweise, wenn ich vom Einkaufen zurückkam, wartete er bereits ungeduldig auf mich, doch an diesem verhängnisvollen Tag war er nirgends zu sehen. Einfach weg, verschwunden. Meika war im Stall eingesperrt und winselte verzweifelt. Ich fragte mich, ob er sich plötzlich an etwas erinnert hatte und nun in sein altes Leben zurückkehrte. Doch warum hatte er nichts gesagt?
Fragen.
Einsamkeit.
Allein.
Das war ich nun wieder. Allein.
Er fehlte mir. Selbst die Tiere spürten meinen Verlust und ich fragte mich, ob das ganze nur ein Traum war.
Anfangs hoffte ich noch jeden Tag, ein Lebenszeichen von ihm zu bekommen, oder dass er gar zurückkehren würde, doch mit jeder vergeblichen Minute des Wartens schwand auch ein Stück meiner Hoffnung.
Der Herbst ging vorbei und der Winter hielt das Tal am Obersee im Griff. Ich fühlte mich leer und ausgebrannt. Irgendwie auch verarscht. Meine Laune wechselte von wütend auf ihn, bis zur Verzweiflung. Die Frage nach dem 'Warum' beschäftigte mich zwar, aber ich hatte keine Kraft, dieser Frage weiter nachzugehen. In meiner Trauer zog ich mich noch mehr zurück, als davor und ließ mich gehen. Alles hatte keinen Sinn, meine Welt wurde farblos.
An einem Sonntag im November, raffte ich mich auf und ging runter zum Hotel. Irgendwie erdrückte mich meine Einsamkeit und vielleicht wusste ja da jemand, was mit Peter passiert war. Eigentlich verwunderlich, dass ich nicht früher auf die Idee kam, aber die Trauer über seinen Verlust hatte mich gelähmt und ich hatte keine Kraft, mich unter die Menschen hier zu mischen. Verloren starrte ich aus dem Fenster, als Karin zu mir kam, mit zwei Tassen Kaffee und sich zu mir setzte.
„Mario, was hast du? Du bist so abwesend. Ist zwar nichts Neues, aber irgendwie anders als sonst. Willst du darüber reden?“ Ich brauchte einen Moment, bis ich ihre Fragen realisierte und ich sah sie seufzend an.
„Du hast ihn doch auch gesehen, oder? Er war kein Traum. Er war da, nicht wahr?“
Sie sah mich verdutzt an, dann formte ihr Mund nur ein stummes „Ooh!“
„Du meinst diesen Peter?“
Ich nickte. „Ja, den meine ich. Er ist weg. Einfach so. Ich verstehe das nicht. Er fehlt mir.“
Sie griff nach meiner Hand und sah mir tief in die Augen. Dann beugte sie sich zu mir und raunte mir zu: „Eigentlich darf ich nichts sagen, weißt du, aber da waren so Typen, die hier im Sommer auftauchten. Sie waren mit dem Chef ziemlich lang im Büro und danach fuhren sie in die Richtung deiner Alp. Ich weiß nicht, worum es ging, aber Stephan sah mich danach so komisch an. Ich hatte ihm von deinem Besucher erzählt, aber mir nichts weiter dabei gedacht. Dann hab ich in der 'Sunntigszitig' einen Bericht gesehen, das war an dem Wochenende wo es zum ersten Mal so richtig geschneit hat. Da war dein Peter auf dem Titelblatt! Du, das ist ein ganz Großer! Ich habe sie behalten und wenn du dann gehst, bringe ich sie dir. Ich konnte sie nicht früher bringen, weil ich in den Ferien war. Du weißt ja, wir haben im Herbst ja immer zwei Wochen zu. Und dann hab ich es vergessen. Aber jetzt, wo du so alleine da sitzt, da ist es mir wieder eingefallen. Und kein Wort, dass du das von mir hast! Versprich es, ich hab nämlich Schiss vor den Kerlen. Ja? Ich sag dir, die waren ganz komisch und mir läuft es jetzt noch kalt den Rücken runter, wenn ich an die denke.“
Stumm nickte ich nach ihrer Rede und wir zuckten zusammen, als Stephan, der Wirt neben uns auftauchte.
„Na ihr beiden, was tuschelt ihr so geheimnisvoll?“
„Ach, ich hab ihm von meinem Schatz erzählt, wie ich ihn in den Ferien kennengelernt habe.“, flunkerte Karin geistesgegenwärtig und ich nickte zustimmend.
„Ach, und ich dachte, ihr habt Geheimnisse, die ihr nicht teilen wollt. Weißt du Mario, ich kenn die Geschichte auswendig!“, zwinkernd grinste er mir zu und entlockte mir sogar ein Lächeln.
„Das glaube ich, sie schwärmt ja nur noch ...“
Es zerriss mich beinahe innerlich, am liebsten hätte ich ihm erzählt, was mir Karin gerade gesagt hatte und ihn ausgefragt. Aber Karins Blick hielt mich davon ab. Sie war eine anständige Frau und ich wollte ja nicht, dass sie Probleme bekam. So verfiel ich bald wieder in mein Starren und Stephan zog sich schnell wieder zurück, während Karin nach ihrer Pause irgendwelche Regale putzte. Ich kramte das Geld aus der Börse und wollte bezahlen, als Karin vom Buffet her rief: „Ist in Ordnung, geht auf's Haus!“ Sie verschwand und als ich den Gastraum verließ, drückte sie mir die Zeitung in die Hand. „Viel Glück, ich hoffe, es hilft dir, ihn wieder zu finden.“, raunte sie mir noch ins Ohr und verschwand. Ich steckte die Zeitung in meinen Mantel und machte mich auf den Heimweg.
Zum Glück war der Weg schneefrei, denn obwohl dieses Jahr früh der erste Schnee fiel, war es nicht so heftig und vom Schnee war nicht allzu viel liegen geblieben. Erstaunlich schnell kam ich bei meinem Häuschen an und die angenehme Wärme, die sich gehalten hatte, hüllte mich wohlig ein. Ich bereute es keinen Tag, dass ich das alte Haus bei der Renovierung wintertauglich ausbauen ließ, denn so konnte ich auch den heftigsten Winter hier aushalten. Doch dieses Jahr war es mir eh egal, so wie alles, seit Peter verschwunden war. Meika sprang wie wild um mich herum, seit sie mich gesehen hatte. Selbst im Haus beruhigte sie sich nicht und ich erzählte ihr, dass ich möglicherweise eine Spur von Peter hatte. Bei seinem Namen winselte sie leise und endlich beruhigte sich etwas. Doch immer wieder stupste sie mich an, so als wollte sie sagen: „Mach endlich!“
Ich tat ihr den Gefallen, denn auch ich war viel zu neugierig und wollte mehr über das, was in der Zeitung stand, erfahren. Ich schob den Krempel auf dem Tisch zur Seite. In den letzten Wochen hatte ich keine Kraft und Lust, mehr als das Nötigste aufzuräumen. Ich musste mir eingestehen, dass ich mich zu sehr gehen ließ.
Mit Meikas Kopf auf meinem Bein öffnete ich mit zitternder Hand das Zeitungsbündel. Eine Klatschzeitschrift kam ebenfalls zum Vorschein und Peters Bild sah mich groß an. Genauso groß sprang mir die Schlagzeile entgegen:
Industrieerbe aus Koma erwacht!
Ein großes Bild von einem jungen Mann, der eindeutig meinem Peter glich und strahlend lächelte.
Dann ging es weiter, viel Blabla über den Industriebetrieb, ein anstehender Verkauf des Betriebs, Chinesen, Katastrophe für die Wirtschaft, Arbeitslosigkeit drohte für viele Angestellte der Firma ...
Ich schloss meine Augen, zumindest kannte ich jetzt seinen Namen: Peter Andreas Struppler.
Die Struppler Werke waren weltweit bekannt, exportierten exklusive Möbel in viele Länder. Sie war weltweit sehr angesehen und das Schweizer Kreuz versprach Qualität, die nicht enttäuschte. Wow, da hatte Karin recht. Da war mir wirklich ein hohes Tier vor die Füße gefallen.
Nachdem ich das alles durchgelesen hatte, suchte ich nach weiteren Berichten, doch außer dem drohenden Verkauf und Spekulationen über die möglichen Folgen stand nichts Weiteres darin. Die Zeitschrift war da ausführlicher.
Nach dieser Informationsflut war ich erschüttert. Da wurde eine Lüge verbreitet, die mich schockierte. Schließlich hatte ich ihn gefunden, gepflegt und zusammen hatten wir doch eine wunderbare Zeit. Auf den Fotos in der Zeitschrift sah man ein Krankenzimmer, mein Peter umgeben von Schläuchen und Apparaturen. Er sah sehr krank aus, nicht wie an dem Tag, als ich ihn zum letzten Mal sah. Da war er doch das blühende Leben, einzig die Erinnerung, wer er war, fehlte ihm. Was war da passiert? Im Bericht las ich, dass mein Geliebter angeblich durch den Unfall geisteskrank und unzurechnungsfähig geworden war und den Reporter unsittlich angefallen hatte.
In mir keimte der Verdacht auf, dass hier etwas oberfaul war. Hatte es etwas mit dem drohenden Verkauf zu tun? Ich las nochmals die Stimmen der Angestellten und Aktionäre durch. Hoffte, einen Hinweis zu finden, den ich übersehen hatte. Dabei hatte ich den Eindruck, dass alle gegen den Verkauf waren. Schon eigenwillig. Ich konnte nicht nachvollziehen, warum etwas verkauft werden sollte, wenn man es eigentlich behalten wollte?
Meika bettelte um Aufmerksamkeit und ich kraulte gedankenverloren ihren Kopf. Ich saß noch eine Weile so da, ließ das gelesene wirken und in mir reifte der Entschluss, meinen Peter, zu suchen. Wenigstens war da das Klatschheft informativ. Es zeigte die Villa am Bodensee und laut dem Bericht soll sie in der Nähe von Kreuzlingen sein. Nicht gerade am Weg, aber tief in mir drin spürte ich, dass ich es tun musste. Würde er mich erkennen? Was, wenn er einen Unfall hatte, und man hatte ihn zufällig gefunden? Halt, hatte Karin nicht etwas davon gesagt, dass Fremde hier waren? Stephan hatte sogar mit ihnen gesprochen.
Nun ja, dass so ein verschwundener Erbe gesucht wird, konnte ich ja nachvollziehen, aber dass er einfach so Knall auf Fall verschwand, ohne ein Wort des Abschieds … Meika winselte leise neben mir und ich erinnerte mich, dass sie ja am Tag von Peters Verschwinden, im Stall eingesperrt gewesen war. Hatte sie einer der Männer da eingesperrt oder mein Geißenpeter selber? Leider würde ich diese Antwort nie erfahren, außer Peter würde es mir verraten. Falls ich in seine Nähe kam. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass das so ohne Weiteres ging. Trotzdem, die Möglichkeit bestand und vielleicht erinnerte er sich an unsere gemeinsame Zeit.
Schweren Herzens begab ich mich ins Bett, doch an Schlaf war lange nicht zu denken. Zu sehr hatte mich das Gelesene aufgewühlt. Mein Plan stand zwar fest, aber ich wusste nicht, wie ich ihn ausführen sollte. Hin und her überlegte ich, wo ich mit meinen Tieren hin sollte. Wer würde sich um sie kümmern? Meika konnte ich ja mitnehmen, aber mit den Geißen in eine Stadt ziehen? Nein, das war undenkbar.
Ich musste ihn wiederfinden, denn ich wusste vor allem eins, ich liebte ihn und musste ihn retten. Egal wie …
8 Gefangener des Geistes, Peter Struppler
Ein lästiges Piepsen war das Erste, das ich wahrnahm. Es umgab mich, drang durch mich hindurch, wurde Teil von mir. Ich ließ mich treiben und träumte von einer saftigen Bergwiese und schwarz-weißen Geißen. Ich war Geißenpeter, kümmerte mich um die Tiere und sprang mit ihnen durch die Wiese. Es war einfach wunderschön.
Es piepst immer noch, diesmal jedoch wurde die Monotonie des Tons durch Stimmen durchbrochen. Ich öffnete meine Augen und sah in das Gesicht einer attraktiven Frau. War ich mit ihr Verheiratet? Nein. Ich wusste auf einmal, das war Vaters dritte Frau. Mein Vater starb, vor …? Keine Ahnung. Wie lange war das her? Warum lag ich hier?
Ich driftete wieder weg.
Erinnerungen von meinem letzten Flug drängten sich auf. Ich flog mit meinem Segelflugzeug vom Typ ASK 21 am Glärnisch vorbei, ließ mich vom Hangauftrieb hoch tragen, turnte um die Wolken, bis ich ein Knacken hörte. Heftige Vibrationen schüttelten den Flieger und ein Blick auf die Flügel ließ mich Erschauern. Die Querruder reagierten nicht mehr, und der Flügel rutschte seltsam weg. Ich entschied mich, auszusteigen. Zum Glück hatte ich den Fallschirm erst vor kurzem prüfen lassen und vertraute einfach darauf, dass er nicht versagen würde. Tatsächlich öffnete er sich und ich spürte in meiner Erinnerung, wie ich zum Spielball der Aufwinde wurde. Doch er hielt bis - bis etwas riss. Ich stürzte, fiel in die Tiefe. Ein seltsamer Laut und ich wachte auf, kämpfte gegen das seltsame Gefühl in meinem Hals, welches mich würgte und spürte das heftige Schlagen meines Herzens.
Die Tür öffnete sich und eine Krankenschwester kam in mein Zimmer. Fragte nach meinem Befinden und nestelte an den Gräten herum. Ich versuchte zu sprechen, aber irgendwelche Schläuche hinderten mich.
Dann war ich wieder alleine. Der Traum war so intensiv, doch was nach dem Sturz war, verschwamm nebelhaft hinter einem dunklen Schleier. Das nächste, woran ich mich erinnerte, war hier in diesem Zimmer aufzuwachen. Und Männer in schwarzen Anzügen. Was hatte das zu bedeuten?
In den folgenden Tagen erfuhr ich immer mehr. Die Bergwiese mit den Ziegen aus meinen Träumen, verblasste. Auch die Männer im Anzug lösten sich aus meiner Erinnerung und ich tat es unter 'blühende Fantasie' ab. Walter Berghoff, der beste Freund meines Vaters und gleichzeitig im Vorstand des Verwaltungsrates, besuchte mich. Was er mir erzählte, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Zum ersten Mal erfuhr ich, dass ich zugestimmt hatte, die Firma zu verkaufen. Nur konnte ich mich an nichts erinnern. Ich beauftragte ihn, herauszufinden, wer dafür verantwortlich sein könnte. Meiner 'Stiefmutter' stellte ich dieselbe Frage, doch sie beteuerte, nichts zu wissen. Danach fiel ich in eine Art Delirium und alle die mich pflegten, bemühten sich um mich, als wäre ich ein König. Ich genoss es, brach in unkontrollierte Wutausbrüche aus, nur um im nächsten Moment kichernd zusammenzubrechen. Tief in mir spürte ich, dass mir jemand schaden wollte, doch ich konnte nicht erkennen, wer das sein könnte. Ich war auf dem besten Weg, zu glauben, was mir eingeredet wurde.
Wenn ich schlief, träumte ich, wenn ich wach war, fühlte ich mich verloren. Besuch bekam ich keinen mehr, ich hatte mich zu seltsam verhalten. Ich wurde als Irrer abgestempelt, unzurechnungsfähig ...
Dann tauchte ein Reporter auf. Machte Fotos von mir, fragte mich Dinge, von denen ich keine Ahnung hatte. Trotzdem schien der Typ zufrieden zu sein. Er war sehr freundlich und ich drängte mich ihm auf, küsste ihn, wollte mehr. Wie ein Tier wurde ich von meinen Trieben gesteuert und konnte mich nicht beherrschen. War ich das, der unsanft in einer Ecke landete? Diese Empfindungen ängstigten mich und verwirrten mich nur noch mehr. Ich wusste, tief in mir, das war nicht ich und da saß ich, heulte wie ein kleines Kind, verstand überhaupt nichts mehr. Ich war in meinem Irrsinn gefangen und wusste nicht, wie ich aus diesem Loch je wieder rauskommen sollte.
Danach brachte man mich weg. Man sperrte mich in mein Zimmer. Ich erkannte den Raum. Die meiste Zeit war ich alleine. Naomi, meine Stiefmutter kam täglich, war erstaunlich nett, etwas das sie zu Lebzeiten meines Vaters nie war. Es schien, als wäre sie wie ausgewechselt und ich fragte mich in lichteren Momenten, was sie beabsichtigte. Von allen Freundinnen und Ehefrauen, die mein Vater nach dem Tod meiner Mutter verschlissen hatte, war sie bei Weitem nicht die schlimmste, doch auch sie war weit entfernt davon, mir eine liebende Mum zu sein. Immerhin hatte ich bei ihr wenigstens das Gefühl, dass sie meinen Vater wirklich liebte. Sie und eine Krankenpflegerin Namens Bärbel, die mich rund um die Uhr pflegte, das waren die einzigen Menschen, mit denen ich zusammen kam. Ich fühlte mich hilflos wie ein Baby, gefangen gehalten von diesem seltsamen Delirium und einer Schwäche, die mich lähmte. Hin und wieder hielt mir Naomi irgendwelchen Papierkram hin und bat mich um eine Unterschrift. Da ich ja der Chef unserer Firma war, musste ich doch Unterschriften geben, damit das Geschäft weiterlief …
Soweit kam ich noch mit, aber was sollte das alles?
Und dann kam ER. ER sollte mir Gesellschaft leisten, mich unterhalten, damit Naomi wieder mehr Zeit für sich hatte. Trotzdem besuchte sie mich weiterhin täglich. Immer wenn ER weg war, seltsam. Eigentlich war er ein komischer Vogel. Hatte nur einen Arm und erzählte mir eine abstruse Geschichte. Das ich ihn lieben würde. Dass er mich gepflegt hätte und das wir beide, zwei schöne Monate auf seiner Alp, verbracht hatten. Ich erzählte ihm von meinem Traum und er strahlte mich an, murmelte:
„Das war kein Traum.“
Dann deckte er mich zu und verließ hastig das Zimmer. Naomis Besuch war kurz und ich war froh, dass sie bald wieder verschwand. ER besuchte mich danach jeden Tag. Ich lernte ihn schätzen, seine Anwesenheit behagte mir und ich vermisste ihn, wenn ER weg war. ER, ach ja, Mario, kam eines Abends wieder zurück, nachdem mich Naomi verlassen hatte. Dabei sah er mich seltsam an. „Du musst hier weg! So schnell wie möglich! In dieser Nacht noch, aber du darfst niemandem etwas verraten.“
Er hielt mein Gesicht mit seiner Hand und zwang mich, ihn anzusehen.
„Gehen wir in eine Disco? Ui, das wird ein Spaß, tanzen, das hab ich schon lange nicht mehr gemacht. Ja, pssst, ich verrate nichts.“
Ich freute mich und Mario sah mich belustigt an. Zufrieden versprach er mir, bald wieder zurück zu sein. Bärbel half mir, mich für die Nacht vorzubereiten, und ich erzählte ihr, dass ich Tanzen gehe. Sie lachte und tätschelte mein Gesicht und sagte, dass das wohl kaum gehen würde. Ich wäre zu krank dafür. Dann war ich alleine und konnte nicht einschlafen. ER hatte es doch versprochen! Warum sollte ich nicht raus dürfen?
1 Die Suche
Ich musste zu ihm. Peter brauchte meine Hilfe. Mit diesen Gedanken schlief ich ein. Am nächsten Morgen räumte ich schon früh mein Häuschen auf und mit meinen Geißen wanderte ich Richtung See, um dann ins Tal zu ziehen. Karin hatte mir erzählt, dass ihr neuer Freund einen Bauernhof im Tal hatte. Vielleicht konnte er helfen und die Tiere pflegen, bis ich zurückkam.
Beim Hotel traf ich Karin, die ihren freien Tag hatte und ebenfalls ins Tal wollte. Ich fragte sie, was sie von meiner Idee hielt und sie stimmte begeistert zu. Sie war überzeugt, dass ihr Freund Samuel, kurz Sämi, den sie ja eh besuchen wollte, helfen würde. Nach einem kurzen Telefongespräch strahlte sie mich an und wir holten die Geißen. Gemeinsam mit den Geißen wanderten wir runter und Meika bewies ihre Hütehund-Eigenschaft vom Besten. Nie ließ sie es zu, dass eine der Geißen ausbrach. Die schmale Straße war die einzige Verbindung hinunter nach Näfels und dank dem milden Wetter war es nicht erstaunlich, dass sie sauber war und uns dadurch ein schnelles Vorankommen bescherte. Nach zwei Stunden erreichten wir schon Sämis Hof und ich lernte Karins Freund kennen, der mir auf Anhieb sympathisch war.
Begeistert, weil er seiner Karin was gutes Tun konnte, war er bereit, meine Tiere aufzunehmen und ihnen, so lange ich fort war, gut zu schauen. Das war mir sehr wichtig und ich verstand, warum Karin sich in den sympathischen Mann verliebt hatte. Er zeigte mir seinen Hof, der schon von außen einen aufgeräumten Eindruck hinterließ und erklärte, dass er sich auf die Mutterkuhhaltung spezialisiert hatte. Das beeindruckte mich sehr, der Stall für die Kühe war hell und offen, die Tiere konnten rein und raus, wie es ihnen gefiel. Da es mittlerweile schon Mittag war, lud er mich zum Essen ein und Karin drängte ebenfalls, dass ich bleiben sollte. So kam es, dass ich Sämi die ganze Geschichte erzählte und seine Reaktion, dass mich mit meinem Gast mehr verband als es schicklich war, erstaunte mich am meisten.
„Weißt du, Mario, das, was man dir eingetrichtert hat, ist doch schon recht überholt. Heutzutage gibt es viele, die dazu stehen, dass sie sich vom selben Geschlecht angezogen fühlen. Mich stört das nicht, sicher gibt es noch viele, die an diesem alten Zopf hängen, aber ich sag mir immer, da bleiben doch für uns mehr Frauen übrig. Für mich zwar nicht mehr.“ Dabei zwinkerte er verliebt in Karins Richtung, die kichernd errötete und fuhr fort: „Aber halt für die Anderen. Die Geschichte über deinen verlorenen Patienten ist ziemlich wild. Das klingt wie eine Verschwörung. Aber in den Medien tauchen immer wieder Berichte über diese Bude auf. Auch über den geistigen Zustand von Struppler wird heftig diskutiert. Der Betriebsrat dieser Firma scheint verzweifelt zu sein. Eigentlich verwunderlich, dass die so daran festhalten. Man würde meinen, dass sie doch nur profitieren können. Es gehe um den Ruf, um die Arbeitsplätze. Ha! Als würde die das interessieren. Aber die Witwe des alten Strupplers ist sehr für den Verkauf. Sie hat kein Mitspracherecht und dieser Struppler junior sorgt mit seinen Unterschriften für Verwirrung. Man munkelt, dass der komplett, gaga´ ist.“
Ich war geschockt. Mein Geißenpeter erinnerte sich zwar nicht, wer er war, aber dass er angeblich so lange im Koma lag und nun ein Fall für die Irrenanstalt sein sollte, da sträubten sich mir die Haare. Das war nicht der Mann, den ich kennengelernt hatte. Doch ehrlich gesagt, sackte mein Mut, ihn zu suchen, zusammen. Wie sollte ich an ihn rankommen? Die Hoffnung, dass er genesen würde, wenn er mich sah, wurde zu einem sehr dünnen Faden. Karin schien meinen inneren Kampf zu spüren, denn sie sah mich sehr ernst an, bevor sie eindringlich auf mich einredete.
„Mario, wenn jemand diesen Mann retten kann, dann du. Du darfst jetzt nicht den Kopf in den Sand stecken. Zieh es durch! Gib nicht auf, bevor du es nicht probiert hast! Es wäre für so vieles gut, ich mein, sieh doch, wenn diese Firma verkauft wird, an diese Chinesen oder was auch immer, dann verlieren sehr viele Menschen ihre Arbeit. Die Firma Struppler ist bekannt, für ihr hervorragendes Arbeitsklima, sie helfen Leuten, die sonst keine Arbeit finden. Das wäre ein tragischer Verlust für alle. Und du könntest sie retten, ihnen helfen. Du wärst ein Held für viele.“
Erwartungsvoll sah sie mich an und ich spürte plötzlich eine große Last auf meinen Schultern.
„Was wenn ich versage? Wenn er wirklich durchgeknallt ist? Dann war alles umsonst und alle werden mit dem Finger auf mich zeigen und lachen. Wieso soll so ein Monster wie ich glauben, ich hätte eine Chance? Der Peter, den ich kannte, ist nicht mehr derselbe. Sicher, er konnte sich nicht an seine Herkunft erinnern, aber ...“
„Hör auf, so einen Blödsinn rauszulassen!“, fiel mir Sämi ins Wort, „ich gebe Karin recht, wenn jemand diesem Struppler helfen kann, dann du. Was das Monster angeht, weiß ich übrigens nicht, was du hast. Sicher, du hast nur einen Arm, vielleicht auch Narben, aber sonst bist du ein rassiger Kerl. Also, wenn ich jetzt nicht meine Karin hätte und auf Männer stehen würde, da kann ich mir schon vorstellen, dass du an meiner Seite sein könntest. Drum hör auf, so was dämliches Zeug von dir zu geben. Klar?“
Ich starrte ihn zweifelnd an, doch das, was er gerade gesagt hatte, schien ihm tatsächlich ernst zu sein und ich schluckte.
„Du meinst, ähm, es, ich – ich bin kein Monster?“, stotterte ich und kassierte einen Boxhieb an meine Schulter.
„Bestimmt nicht. So und nun würde ich sagen, die Nacht über bleibst du noch hier und wir suchen im Internet nach deinem Freund. Denn die Angaben, die du hast, reichen nicht aus, um ihn einfach so zu finden. Aber in der heutigen Zeit geht das ja ganz leicht. Man muss nur die richtigen Suchwörter eingeben und Google spuckt sie aus.“
„Tja, mit Computer hab ich nicht viel am Hut. Ehrlich gesagt, hatte ich noch nie so ein Gerät gebraucht. Aber wenn du meinst, dass das so leicht geht, klar. Einen Tag mehr oder weniger wird an seinem Zustand nichts ändern.“
Karin und Sämi nickten begeistert. Ich blieb noch eine Nacht und bald saßen wir vor dem Computer. Ich hätte ewig gesucht, das musste ich bald einsehen, denn 'in der Nähe von Kreuzlingen' war wohl übertrieben. Die Stadt war zwar in der Nähe, aber die Ortschaft, wo die Villa Struppler stand, war Ermatingen. Ein kleines Dorf am Bodensee. Im Hotel Adler buchten wir gleich mal ein Zimmer und Meika durfte auch mit. Wir überlegten uns, wie ich am besten in seine Nähe kam und während wir planten, wurde es ziemlich spät, bis wir endlich zu Bett gingen.
Am nächsten Tag fuhr ich mit dem Zug Richtung Bodensee und nach mehrmaligem Umsteigen kam ich im Laufe des frühen Nachmittags in Ermatingen an. Im Hotel Adler checkte ich ein und nachdem ich mich erfrischt hatte, machte ich mich auf, um die Villa zu suchen. Sämi hatte mir einen Plan ausgedruckt und das Gebäude markiert. So dauerte es nicht lange, bis ich vor dem weitläufigen Park mit der Villa stand. Ein niedriger Zaun gewährte einen Einblick und ich staunte nicht schlecht. Die Villa wirkte verspielt und war in zartem Rosa gestrichen. Die Fenster waren mit einem hellen Rand als Kontrast umrahmt. Ein paar Gärtner wuselten herum und eine elegant gekleidete, relativ jung wirkende Frau unterhielt sich angeregt mit einem älteren Herrn. Sie war so laut, dass ich verstand, um was es ging. Anscheinend stritt sie mit dem Mann über Peter, den ich als meinen Peter kennengelernt hatte.
Sie sprachen laut genug, dass ich jedes Wort hören konnte. „Hör zu, ein Gesellschafter, der sich um den Jungen bemüht, wäre das Beste. Vielleicht hilft es ihm, dass er wieder normal wird. Aber so - das ist kein Zustand mehr!“
„Weißt du was, Walter, dann schlepp doch jemanden her! Aber ich versichere dir, so jemand wird es nicht lange aushalten. Du hast es ja selber erlebt! Er ist total durchgeknallt!“
Eigentlich sollte ich weitergehen, damit ich nicht auffiel, aber ich lauschte gebannt, bis die Stimmen wieder leiser wurden. Auf einmal wandte sich der Mann ab, verabschiedete sich lautstark. Mit energischen Schritten kam er auf dem Weg entlang und ich lief weiter. Ich war gerade auf der Höhe des Gartentors, als es aufgerissen wurde und der Mann beinahe in mich rannte. Verlegen entschuldigte er sich, dann musterte er mich neugierig.
„Junger Mann, Sie sind nicht von hier? Habe ich recht?“ Ich nickte und er fragte weiter: „Machen sie Urlaub?“
„Nein, ja ...“, ich räusperte mich, dachte kurz an das Gehörte und sprach weiter: „Eigentlich suche ich jemanden. Es geht um Peter. Ich habe ihn nach einem Fallschirmabsturz gerettet. Ja, und dann war er plötzlich verschwunden. Drum suche ich ihn.“, rutschte es mir raus und aufmerksam beobachtete ich seine Reaktion. Der Mann zog überrascht die Augenbrauen hoch, dann packte er mich grob an den Schultern, sah sich kurz um und schob mich in Richtung eines schwarzen Mercedes.
„Steigen sie ein!“, befahl er und ignorierte Meika, die knurrend vor uns stand.
„Was soll das?“, beschwerte ich mich, aber eine innere Stimme riet mir, ihm zu vertrauen. Ich beruhigte meinen Hund und wir stiegen ein. Im Auto stellte er sich als Walter Berghoff vor, entschuldigte sich für sein Verhalten und dann fragte er mich aus. Ich erzählte ihm alles, was ich wusste. Dabei war ich über mich selbst erstaunt, dass ich diesem Fremden so bedenkenlos vertraute.
Er hörte zu und als wir vor einem hübschen Häuschen außerhalb Ermatingens hielten, direkt am Seeufer, wusste er so ziemlich alles, was passiert war. Eine sympathische Frau kam uns entgegen und Meika, die sonst eher zurückhaltend war bei Fremden, wedelte begeistert mit ihrem Schwanz. Mit einem strahlenden Lächeln kraulte sie Meika und redete auf sie ein. Herr Berghoff schüttelte amüsiert den Kopf.
„Typisch meine Frau. Kein Hund kann ihrem Charme widerstehen. Leider ist unser Bennie vor kurzem aus Altersgründen gestorben. Er war ein reinrassiger 'ich weiß nicht was', ein toller Freund und so eigenwillig, ein wahres Herzchen halt. Er war so viele Jahre ein Teil der Familie, dass wir es noch nicht über das Herz gebracht haben, einen neuen Hund zu suchen.“
Ich verstand die beiden durchaus, denn Meika war auch so eine treue Seele und ich wollte mir nicht vorstellen, wie es ohne sie wäre.
Nachdem er mich seiner Frau vorgestellt hatte, bestand sie darauf, dass wir zum vertraulichen 'du' übergehen sollten. Ihr Mann grinste nur und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. Sie kicherte kurz und verschwand im Haus, während Walter mich in das Wohnzimmer führte, dessen riesige Fensterfront einen herrlichen Blick auf den See bot. Monika gesellte sich bald wieder zu uns und brachte Kaffee und Gebäck. Dann setzte sie sich zu uns und fragte mich aus, über mein Leben, was mich hierher führte, wie ich ihren Mann kennenlernte und, und, und. Dabei war sie nicht aufdringlich, sondern zeigte ehrliches Interesse.
Als ich von Peter, erzählte, verfinsterte sich ihr Ausdruck und sie suchte Blickkontakt zu ihrem Mann, der ihr aufmunternd zunickte.
„Das Ganze ist eine Tragödie, weißt du. Peter ist für uns mehr als nur der Sohn eines verstorbenen Freundes. Er war oft bei uns und für mich war er immer der Sohn, den ich nie hatte. Seine Mutter starb, da war er gerade drei Jahre alt. Sein Vater, Karl, heiratete zwar bald wieder, aber die Frau sah nur sein Geld. Ein dreijähriges Kind? Das war ihr nur im Weg. Karl ließ sich schon nach einem Jahr von ihr scheiden und Peter wuchs praktisch ohne Mutter auf. Karl hatte in der Zeit zwar einige Affären, aber nie etwas Ernsthaftes. Erst als Peter achtzehn wurde, traf er Naomi und sie schien ihm gut zu tun, obwohl sie beinahe zehn Jahre jünger war. Peter war sehr verwöhnt, hatte alles, was er wollte und mit Zwanzig trieb er sich nächtelang in Bars herum. Trotzdem kam er noch oft zu uns, wenn er Probleme hatte und wir waren die Ersten, die erfuhren, dass er schwul ist. Er hatte richtig Angst davor, was sein Vater dazu sagen würde. Karl jedoch nahm diese Nachricht sehr gelassen auf. Sein Sohn war sein Ein und Alles, da sah er über seine Homosexualität hinweg. Das Band zwischen den beiden wurde nach dieser Offenbarung nur stärker und Peter übernahm schon bald einen Posten in der Firma. Seine Ideen waren innovativ und bereicherten das Sortiment. Alles lief perfekt, bis Karl einen schweren Herzinfarkt hatte.“ Monika sah ihren Mann fragend an und Walter nickte.
„Monika hat recht, Peter ist wirklich fast unser Sohn. Karl und ich waren Freunde, seit unserem Studium. Gemeinsam bauten wir die kleine Schreinerei seines Vaters aus, konzentrierten uns auf Büromöbel. Irgendwann hatte Karl einen Großauftrag an Land gezogen, der uns weltbekannt machte und wir konnten uns vor Aufträgen kaum noch retten. Wir waren gezwungen, mit anderen Firmen zusammenzuarbeiten. Karl förderte so kleine Betriebe und sicherte deren Existenz. Nach seinem Tod versuchte Peter, in seinem Sinn das Ganze weiterzuführen, aber die Konkurrenz witterte die Möglichkeit, die Firma aufzukaufen. Peter war so klug und sprach sich mit mir und den angehängten Firmen ab, schlug die beeindruckenden Angebote aus. Aber ein chinesischer Geschäftsmann blieb hartnäckig, bedrängte ihn und dann verschwand Peter. Er war begeisterter Segelflieger, und wenn ihn alles zu sehr erdrückte, zog er sich gerne in die Luft zurück. Ließ seine Sorgen auf dem Boden. Das Wrack des Flugzeuges fand man in der Nähe des Wägitaler-Sees, aber von Peter selber fehlte jede Spur. Bis es dann hieß, man hätte ihn in einer Klinik am Zürisee gefunden, wo er fast zwei Monate im Koma lag. Danach ging der Rummel los und als Peter aufwachte, war er noch soweit normal, dass er mich erkannte und mir die gesamte Vollmacht über die Firma geben konnte. Doch schon bald änderte sich sein Verhalten zusehends ins Negative. Ein Gefühl sagte mir, dass da etwas faul ist. Widersprüchliche Verträge mit seiner Unterschrift, die ich mit unseren Rechtsanwälten verhindern konnte, seine geistige Verwirrung - dass ist nicht natürlich! Dann das Glück, dass ich dich über den Haufen rannte! Ich fand deine Erzählung sehr informativ und passt mir irgendwie besser, als diese Koma-Klinik-am-Zürisee-Geschichte.“
Walter unterbrach seine lange Rede und ich schluckte. Das waren so viele Informationen und ich war überrascht, dass er mir das so bereitwillig erzählte. Monika wurde von Meika als 'du hörst gefälligst nicht auf, zu kraulen - Opfer' auserkoren und sie knuddelte meinen Hund hingebungsvoll weiter. Mir fiel der Streit vor der Villa ein, den ich zufällig mitbekommen hatte und ich sprach Walter darauf an. Verlegen rieb er sich über das Kinn, dann sah er mich fest an.
„Ja, das ist so. Naomi, die Witwe von Karl jammerte, dass sie zu viel Zeit für die Pflege von Peter aufwenden muss und dass sie dazu nicht bereit wäre. Ich bin mir dabei gar nicht sicher, ob es ihr um das nicht zugesprochene Erbe geht, oder ob sie die Situation nicht erträgt. Sie wirkt immer ein wenig kälter, als sie in Wahrheit ist. Wahrscheinlich hatte sie gehofft, dass sie erben würde, aber außer dem Wohnrecht und einer monatlichen Abfindung, welche eigentlich großzügig genug wäre, bekam sie nichts. Die Villa gehört Peter, das ganze Vermögen, die Firma, alles fiel an ihn. Mein Vorschlag, so etwas wie ein Gesellschafter, der sich am Tag etwas mit Peter abgibt, stieß bei ihr nicht gerade auf offene Ohren. Wir stritten, bis ich sie umstimmen konnte. Dann rannte ich in dich und ich wusste gleich, dass du nicht von hier bist. Ich bin hier aufgewachsen und kenne praktisch alle, die hier leben. Darum dachte ich mir, ob du wohl aus Urlaubsgründen hier sein könntest. Ein Fremder, den niemand kennt, perfekter könnte es nicht sein. Dazu kommt, deine körperliche Beeinträchtigung, entschuldige dass ich es so sage, aber die wird Naomi einlullen. So wird sie keinen Verdacht schöpfen und auf die Idee kommen, dass du Peter kennst. Denn die Männer, mit denen er sich bisher abgab, waren immer – entschuldige, wenn ich das so sage - sehr attraktiv, ja perfekt. Halt wie aus dem Katalog, aber ohne Herz. Verstehe mich bitte nicht falsch, du bist durchaus auch attraktiv – aber halt anders – denn es ist dein Herz, dass dich auszeichnet. Ich weiß, ich stottere hier grad rum, entschuldige dieses Gelaber. Ich kenne dich ja nicht, könnte es mir aber gut vorstellen. Jedenfalls traue ich Naomi im Moment überhaupt nicht mehr. Seit Karl tot ist, hat sie sich komplett verändert und dieser chinesische Geschäftsmann, Wusang, treibt sich viel zu oft in ihrer Nähe herum. Wusang scheint in ihr ein praktisches Opfer zu sehen, um an die Firma heranzukommen. Das beweisen mir die seltsamen Verträge, die Peter dauernd unterschreibt.“ Walter pausierte wieder und sah mich erwartungsvoll an. Beinahe ängstlich, etwas das so gar nicht zu seiner Ausstrahlung passte. So, als erwartete er, dass ich antwortete. Monika starrte ebenfalls unsicher in meine Richtung, bevor sie sagte:
„Bitte, wenn du Peter liebst, davon gehe ich aus, denn du hast nach ihm gesucht, hilf uns und ihm ...“
Hatte ich eine andere Wahl? Peter hatte mir gezeigt, dass ich trotz meiner Narben und meinem fehlenden Arm fähig war, einen anderen Menschen zu lieben. Er hatte mich akzeptiert, so wie ich war, ohne sich zu ekeln. Auch wenn ich gerade das Gegenteil gehört hatte. Wir waren so glücklich miteinander und nun brauchte er meine Hilfe. Die Entscheidung fiel mir nicht schwer und während ich auf den winterlichen See hinaus starrte, nickte ich.
„Ja, ich mache es. Vielleicht, wenn er mich sieht, merkt er, dass etwas nicht stimmt. Mich würde es vor allem auch Wunder nehmen, wie er von der Alp wegkam. Ich vermute allerdings, dass der Wirt vom Oberseehotel da mehr weiß. Das Dumme ist, ich traue ihm nicht. Karin, seine Serviertochter, hat mir von seltsamen Typen erzählt und mir dann Zeitungsausschnitte mitgegeben. Sie hat uns mal zusammen gesehen und bei den Fotos sofort meinen Geißenpeter erkannt. Den Namen gab ich ihm, weil meine Geißen total von ihm begeistert waren und er von ihnen. Er konnte sich ja nicht erinnern. Ich kenne mich ja nicht aus, aber anscheinend hat er diese Zeit bei mir wieder vergessen?“
Monika seufzte und nickte traurig. Walter war mit meiner Antwort zufrieden und atmete erleichtert aus.
Wir planten unser weiteres Vorgehen und Monika lud mich zum Abendessen ein. Meika schien es hier zu gefallen und mein Vorschlag, dass es vielleicht besser wäre, Peter ohne Hund zu begegnen, wurde von Monika begeistert aufgenommen. Ich sollte weiterhin im Hotel Adler wohnen und Walter bestand darauf, alle Kosten zu übernehmen. Dann brachte er mich zum Hotel zurück. Der Abschied von Meika fiel mir schwer, aber ich wusste, bei Monika war sie in guten Händen und ich würde sie ja wiedersehen. Für unser Vorhaben war es ohne sie einfacher und hier konnte sie sich im Garten austoben und für Monika würde es ein Trost sein.
Walter fuhr mich zurück und in meinem schönen Hotelzimmer richtete ich mich soweit ein, wie ich es für nötig hielt. Ich fühlte mich ruhelos und fand keinen Schlaf. Immer wieder dachte ich über die neuen Informationen nach, drehte und wendete sie, doch ich fand einfach keine bessere Lösung. Mir fehlte Meikas beruhigende Anwesenheit. Morgen würde ich meinem Geliebten gegenüberstehen und ich hatte ein mulmiges Gefühl. Würde er mich erkennen? Laut Walter erinnerte er sich kein bisschen an die gemeinsame Zeit oder was nach seinem Unfall überhaupt geschah. Jemand musste ihm wohl einen weiteren, heftigen Schlag auf den Kopf verpasst haben und Walter vermutete sogar, dass er unter irgendwelchen Drogen stand, die ihm den Verstand raubten.
Irgendwann musste ich wohl eingeschlafen sein und als ich erwachte, fühlte ich mich wie gerädert. Erst das Frühstück belebte mich wieder und Walter tauchte, wie abgesprochen, kurz vor zehn Uhr auf. Gemeinsam fuhren wir zum Anwesen und Walter stellte mich Naomi vor. In ihrer Gegenwart fühlte ich mich alles andere als wohl und ich spürte ihre Abneigung mir gegenüber. Allerdings schien es mehr mit meinem Äußeren zu tun zu haben und nicht damit, dass sie einen Verdacht schöpfte.
Mit Walter hatte ich abgemacht, dass ich ein wenig spionierte. Vielleicht würde ich etwas hören oder sehen, das auffällig sein könnte. Falls es gelang, sollte ich auch von den Medikamenten, die Peter angeblich brauchte, mitnehmen, was ich fand. Walter hoffte, so herauszufinden, was für seinen Zustand verantwortlich war. Der Hausarzt der Familie Struppler hatte ihm diesbezüglich seine Hilfe zugesichert, denn auch er fand das Benehmen von seinem Schützling seltsam und seit Peter wieder in der Villa war, durfte er nicht zu ihm. Weder als Arzt, noch als Freund. Das war auf alle Fälle verdächtig.
Immerhin glaubte Naomi was Walter über mich erzählte, nämlich dass ich in einer Behindertenwerkstätte für die Firma arbeitete. Ich stellte mich naiver an, als das ich war. Das schien Naomi zu beruhigen und sie ließ mich schon nach kurzer Zeit zu Peter.
Ich musste mich beherrschen und versuchte, so gleichgültig wie möglich zu wirken. Mein Geißenpeterchen war nicht mehr zu erkennen, so furchtbar sah er aus. Bleich wie der Tod, abgemagert wirkte er so zerbrechlich, wie er mit angezogenen Knien auf dem großen Bett saß und sein Kissen vor sich hielt. Seine Augen hatten ihr Leuchten verloren, starrten trübe in meine Richtung. Sein Anblick zerriss mich, einzig die Anwesenheit von Naomi hielt mich zurück, ihn in den Arm zu nehmen.
Sie erklärte mir, was sie von mir erwartete und ich nickte bloß. Ein Kloß im Hals hinderte mich am Reden.
„Also, hast du verstanden, was ich erwarte? Dann lasse ich dich nun alleine mit Peter. Falls es Schwierigkeiten geben sollte, das Telefon verbindet dich direkt mit Schwester Bärbel, sie wird sich um ihn kümmern. Viel Glück.“
Mit einem hämischen Lachen ließ sie mich alleine. Wahrscheinlich rechnete sie damit, dass ich schneller weg war, als Walter dachte. Zum Glück wusste sie nicht, dass die Liebe, welche mich mit Peter verband, mein Antrieb war. Ich wollte ihn zurück und wusste, ich würde einen Weg finden, ihn zu retten. Vielleicht ein Wunschdenken im Augenblick, aber ich klammerte mich daran. Es war meine Motivation, durchzuhalten, egal was geschehen würde.
Endlich allein, näherte ich mich ihm und setzte mich auf den Bettrand. Dabei legte ich meine Hand auf seine. Er blickte fahrig im Raum herum, bis sein Blick an mir hängen blieb. Im selben Augenblick wusste ich, dass er mich nicht erkannte. Trotzdem sprach ich ihn an.
„Peter, erkennst du mich nicht? Ich bin es, dein Mario. Ich habe dich gepflegt, du hast mir gezeigt, wie schön es ist, geliebt zu werden. Wir haben zusammen auf meiner Alp die Geißen gehütet, du hast mit Meika, meinem Hund gespielt, erinnerst du dich?“
Sein seltsames Lachen fuhr mir durch Mark und Bein und ich zuckte zusammen.
„Ich kenne dich nicht, ich heiße Peter. Warum bist du hier? Was willst du? Geld? Ist das so eine komische Erpressung? Verschwinde!“
Er stieß meine Hand weg, dann fing er an, am ganzen Körper zu zittern. Seine Stimmung kippte von aggressiv zu weinerlich und er stieß einen seltsamen, schniefenden Laut aus. Dann grinste er mich an und packte mich am Kragen.
„Wir haben uns geliebt? Ich kann mich nicht erinnern. Ich wüsste, wenn ich mit jemandem wie dir was gehabt hätte! Aber das tue ich nicht.“ Heftig stieß er mich von sich und umklammerte wieder sein Kissen.
Bei seinen Worten hatte ich das Gefühl, jemand würde mein Herz zerquetschen, gleichzeitig stachelten sie mich erst recht an, herauszufinden, was hier vorging.
„Lassen wir das Thema, vorerst. Ich soll dir Gesellschaft leisten und wenn du magst, lese ich dir etwas vor. Oder wir können in den Garten, ein wenig spazieren, was meinst du?“
Trotzig, wie ein kleines Kind schmollte er bei meinen Vorschlägen, dann brummte er:
„Ich will nicht raus. Da sind die schwarzen Männer, die gucken so böse. Sie machen mir Angst.“
„Wer sind diese Männer? Ich habe niemanden gesehen. Vielleicht sind es Gärtner?“, fragte ich ihn. Er schüttelte seinen Kopf.
„Nein, die sind da. Sie sind gemein. Ich weiß nicht genau, aber irgendetwas sagt mir, dass sie mir schon mal was angetan hatten. Sie sind böse ...“ Fahrig, beinahe panisch sah er sich im Raum um, bis er mich mit seinem Blick wieder fokussierte.
Karins Worte fielen mir ein. Hatte sie nicht Männer in schwarzen Anzügen erwähnt, die mit Stephan zusammen im Büro verschwanden? Sein Unterbewusstsein hatte diese Gefahr gespeichert, aber durch irgendetwas war seine Erinnerung getrübt.
„Du hast mir aber nichts getan ...“, murmelte er abwesend, dann sah er mich mit einem seltsamen Lächeln an, bevor er weitersprach.
„Küss mich, jetzt! Wenn wir uns geliebt haben, dann küss mich! Vielleicht erinnere ich mich dann.“
Flehend.
Verzweifelt.
Bittend.
Er kroch auf mich zu und mit zitternden Händen stützte er sich auf meinen Beinen ab. Dabei sah er mir tief in die Augen. Ich konnte mich nicht wehren. Warum auch? Ich liebte ihn immer noch, auch wenn sein Benehmen seltsam war. Walter hatte mich ja gewarnt. Langsam kam ich ihm entgegen, unsere Lippen berührten sich sachte und ich legte meine Hand an seine Wange. Sein Kuss war zu Beginn nur ein Hauch, sanft wie der Sommerwind umspielte er meinen Mund, wurde bald stürmischer und ich gab mich ihm hin, ließ es zu, dass er mich eroberte, und hoffte, dass er sich erinnerte. Tief sahen wir uns in die Augen, als er sich löste und mein Herz machte einen Satz, doch dann musste ich schmerzlich erkennen, dass der gewünschte Erfolg ausblieb.
„Auch wenn es mir nicht vertraut vorkommt, aber du küsst verdammt gut.“ Anerkennend sah er mich an und grinste. „Jetzt weiß ich, wie wir die Zeit nutzen können. Liebe mich! Ich will Sex mit dir.“
Ich schüttelte meinen Kopf. „Peter, ich weiß nicht, ob das sinnvoll ist. Wenn ich das richtig sehe, erkennst du mich nicht und ich finde, ich würde deine Situation ausnutzen. Das wäre nicht fair“, murmelte ich traurig.
Nur zu gerne hätte ich seinem Wunsch nachgegeben, in der Hoffnung, zu ihm durchzudringen. Die Erinnerung an seine zärtlichen Liebesspiele auf der Alp und den Kuss vorhin, ließen mein Blut durchaus in Wallung geraten. Aber ich rang mit meiner Beherrschung und es gelang mir, meine Erregung zu unterdrücken. Es wäre der falsche Zeitpunkt gewesen. Dessen war ich überzeugt.
Enttäuscht sah er mich an, dann nickte er. „Du hast recht, vielleicht sollten wir uns erst besser kennenlernen. Aber ich vermisse liebevolle Berührungen. Die Schwester, die man mir aufgehalst hat, hilft mir nur beim Nötigsten. Hauptsache, sie kann mir irgendwelche Medikamente geben. Darf ich mich wenigstens an dich kuscheln? Bitte … halte mich einfach in deinen Armen.“
Ich zog ihn zu mir und sein Kopf ruhte auf meinen Beinen. Er sah zu mir auf und ich beugte mich zu ihm herunter. Hauchte ihm einen Kuss auf die Stirn und er schmiegte sich an meinen Bauch.
„Was ist eigentlich mit deinem Arm passiert?“, fragte er und zeigte das erste Mal richtig Interesse an mir. Ich erzählte ihm von dem Unfall, von der Zeit im Krankenhaus, wie ich als Kind von anderen gehänselt wurde. Er hörte mir zu, dann legte er seine Hand auf meine Wange und kraulte vorsichtig meinen Bart.
„Du versteckst dein Gesicht darunter, nicht wahr? Damit man deine Narben nicht sieht.“
Erinnerte er sich etwa? Hoffnung keimte erneut auf, denn ich hatte ihm nicht erzählt, warum ich einen Bart trug. Es war nur ein kurzer Augenblick, dann versank er wieder in seiner eigenen Welt.
Nie hätte ich gedacht, dass mich etwas so tief berührte, wie seine Hilflosigkeit. Es tat weh. Zu wissen, dass er mich geliebt hatte, dass wir auf der Alp so vertraut waren und nun erkannte er mich nicht mehr ... Walter hatte mich gewarnt, aber wie schlimm es tatsächlich um ihn stand, davon hatte er nichts gesagt.
Ich lenkte das Gespräch auf ihn, fragte nach seinen Medikamenten wo sie zu finden wären, doch er wusste nur, dass die Schwester sie ihm verabreichte, nicht, was er zu schlucken bekam. Er war einfach der Pflege dieser Frau ausgeliefert. Ich beschloss, so lange bei ihm zu bleiben, bis sie auftauchte. Vielleicht konnte ich in Erfahrung bringen, wo sie die Medikamente aufbewahrte. Ich spürte, hier war Eile geboten, denn so wie es ihm jetzt ging, würde er nicht mehr lange durchhalten. An mich gekuschelt schlief er ein und ich hielt ihn die ganze Zeit. Unfähig, mich von ihm zu lösen, versuchte ich, ihm Geborgenheit zu vermitteln. Vielleicht würde er sich nie wieder daran erinnern, wie schön unsere gemeinsame Zeit auf der Alp war. Aber wer weiß, es bestand durchaus die Möglichkeit, dass wir neu anfangen konnten. Das wurde zu meinem Antrieb. Ich würde alles daran setzten, dass er sich wieder in mich verliebte. Denn so wie er hier auf meinen Beinen ruhte, wusste ich, dass ich ihn viel zu sehr liebte und nicht bereit war, einfach aufzugeben.
Zärtlich streichelte ich sein Gesicht und er rekelte sich im Schlaf auf meinen Beinen. Langsam öffnete er seine Augen und mit einem verträumten Blick sah er mich an.
„Ich habe von einer Bergwiese mit schwarz-weißen Geißen und einem schwarz-weißen Hund geträumt, ich war so glücklich ...“, murmelte er verschlafen und entlockte mir ein Lächeln.
„Es ist wohl eine Erinnerung an die Zeit bei mir. Kam ich auch darin vor?“
Er schüttelte den Kopf. „Nein, aber es war so ein schöner Traum, ich träume ihn immer wieder, seit ich aus dem Koma aufgewacht bin. Aber ich weiß nicht, woher die Bilder kommen. Du sagst, es könnte die Zeit sein, die ich mit dir verbracht habe?“
„Ja, bestimmt. Ich habe schwarz-weiße Geißen und Meika, mein Hund ist ebenfalls so. Sie ist mitgekommen, aber im Moment habe ich einen guten Platz, wo sie sich wohlfühlt. Sie hatte dich sehr lieb, weißt du. Nach deinem Absturz hat sie aufgepasst, während ich den Wagen holte, um dich in mein Haus zu transportieren. Nachdem du verschwunden warst, hat sie dich überall gesucht.“
Bevor er jedoch antworten konnte, klopfte es an der Tür und er löste sich hastig aus der vertraulichen Umarmung.
„Ja?“, rief er und die Tür öffnete sich. Eine asiatisch aussehende Frau betrat den Raum und musterte mich kritisch.
„Oh, Herr Struppler, sie haben Besuch?“, fragte sie ihn in einem übertrieben süßen Tonfall und mein Peterchen nickte, strahlte sie an und erklärte ihr, dass ich ihm Gesellschaft leisten würde.
„So, so. Und wie heißen Sie denn? Ich denke, wir werden uns noch öfters begegnen.“ Ich stellte mich vor, als Mario Castella und fragte sie, ob sie die Schwester Bärbel sei. Sie lächelte und nickte. Auf meine Frage, wie sie als Asiatin zu dem Namen Bärbel kam, lachte sie auf.
„Ja, schon ungewöhnlich, nicht wahr? Aber ich wurde von einem Schweizer Ehepaar adoptiert, als ich noch ein Baby war und sie gaben mir diesen Namen. Tja, jetzt lebe ich damit. Nun, stört es Sie, wenn ich Sie bitte, den Raum zu verlassen?“
Eigentlich schon, aber ich fand, das wäre eine gute Gelegenheit, mich außerhalb des Zimmers umzusehen. Darum erhob ich mich und verließ den Raum. Vor der Tür stand ein Servierwagen mit verschiedenen Sachen darauf, die der Körperpflege dienten und eine Schale mit Medikamenten und ich studierte die diversen Packungen. Ich wollte gerade nach der Schale mit den Medikamenten greifen, als die Tür aufging und die Schwester mir einen seltsamen Blick zuwarf, bevor sie den Wagen ins Zimmer zog.
Ich ärgerte mich, dass ich so getrödelt hatte, und suchte das Badezimmer. Ich hatte mittlerweile selber ein dringendes Bedürfnis. Am Ende des Ganges fand ich tatsächlich die Räumlichkeit, welche ich gesucht hatte und trat ein. Nachdem ich mich erleichtert hatte, sah ich mich neugierig um. Frech öffnete ich die Schränke und fand einen Medizinschrank, der vollgestopft mit verschiedenen Packungen von Medikamenten war. Jetzt war nur die Frage, wie kann ich unbemerkt einige davon aus dem Haus schmuggeln, ohne dass es auffiel. Ich öffnete die Packungen, nahm einfach planlos einige raus und stopfte sie mal in die Taschen meiner Jacke. Wenn der Hausarzt so gut ist, wie Walter behauptete, würde er sicher etwas damit anfangen können. Ein Röhrchen weckte mein Interesse ganz besonders. Fremde Schriftzeichen - ich vermutete, dass es chinesische waren - zierten die Packung und ich schüttete einige der Pillen auf meine Hand. Schnell ließ ich sie in meinem Hosensack verschwinden, dann verließ ich das Bad. Ich kam mir wie einer der Detektive vor, wie in den Krimis, die ich gerne las, und die so heldenhaft in den Räumen der Opfer oder Täter herumschnüffelten.
Auf dem Gang begegnete mir Naomi. Misstrauisch musterte sie mich und ich befürchtete schon, dass sie einen Verdacht hegte. Doch sie fragte mich nur, ob sie mir helfen könnte und ich erklärte ihr, dass ich mal musste. Ihr verlegenes „Oh, ja dann ...“ beruhigte mich und ich kehrte zu Peters Zimmer zurück. Ich warf einen Blick in sein Zimmer und sah, dass die Schwester immer noch da war und ihn wusch. Da ich nicht wollte, dass im letzten Moment auffiel, was ich eingepackt hatte, entschied ich mich, das Haus so schnell wie möglich zu verlassen. Ich räusperte mich kurz um die Aufmerksamkeit auf mich zu lenken und verabschiedete mich, versprach meinem Geißenpeterchen, am nächsten Tag wiederzukommen. Selig lächelte er mich abwesend an und ich ahnte, dass ein längeres Bleiben eh nichts bringen würde.
Ich fand den Weg zur Tür, wollte aber nicht einfach so verschwinden. Deshalb suchte ich Naomi, die ich in einem großen Wohnzimmer fand, wo sie sich mit einem Mann unterhielt. Ich konnte ihn nicht sehen, nur hören, aber er hatte einen starken Akzent, den ich nicht zuordnen konnte. Ich klopfte an die offene Tür und Naomi erhob sich. Ich erklärte ihr, dass ich mich zurückziehen wollte und versprach, am nächsten Tag wiederzukommen. Gelangweilt nickte sie und ich war froh, als ich endlich draußen war. Ich bemerkte, dass tatsächlich einige grimmig wirkende Männer herumstanden und ich beeilte mich, von der Villa wegzukommen. Erst kurz vor dem Hotel wagte ich, einen Moment zu verschnaufen. Ich vergewisserte mich, dass mir niemand gefolgt war und in Gedanken versunken lief ich die letzten Meter zum Hotel gemächlicher.
Das war ein verrückter Nachmittag.
Nachdem ich in meinem Zimmer war, leerte ich sofort meine Taschen. Die Pillen aus dem Röhrchen legte ich in ein Glas, das neben der Minibar stand. Dann rief ich vom Telefon, das in meinem Zimmer war, Walter an und berichtete ihm, was ich erlebt hatte. Er versprach, so schnell wie möglich vorbeizukommen, und ich nutzte die Zeit, um zu Duschen.
Immer wieder musste ich an meinen Geliebten denken. So sehr es auch schmerzte, zu sehen, wie sehr er sich verändert hatte, so spürte ich doch, dass er das Opfer eines perfiden Planes war. Nur, würde ich ihm rechtzeitig helfen können? Konnte ich, gemeinsam mit Walter, verhindern, dass sich sein Verstand vielleicht für immer verabschiedete? Die Medikamente, die ich eilig zusammen geramscht hatte, würden sie die Lösung sein? Oder hatte er so eine schwere Kopfverletzung, dass er nie wieder genesen würde? Fragen, die mich quälten, Fragen, auf die ich keine Antwort hatte.
Ein Klopfen an der Tür riss mich aus meinen Gedanken und als ich die Tür öffnete, sprang Meika begeistert an mir hoch und winselte freudig. Walter stand hinter ihr und grinste. „Na, alles gut gelaufen? Ich dachte, ich bringe Meika mit, dann können wir einen Spaziergang am See entlang machen und du kannst mir dabei alles erzählen. Da können wir sicher sein, dass uns niemand belauschen kann.“ Ich stimmte begeistert zu, ein Spaziergang würde mir auch guttun, nach dem Nachmittag in dem zugesperrten Zimmer. Doch zuerst drängte ich Walter, die Medikamente in seinem Auto einzuschließen, nicht dass jemand anderes sich daran vergreifen konnte. Walter hatte zum Glück daran gedacht, eine Box mitzubringen in die wir das Zeug verstauten.
Wir spazierten gemütlich am See entlang und ich erzählte ihm, soweit ich dachte, dass es nützlich war, von meinen Eindrücken.
In einem Restaurant, das am Ufer eine herrliche Aussicht auf den See bot, lud mich Walter zum Essen ein, bevor wir wieder ins Hotel zurückkehrten. Bevor er sich verabschiedete, fragte er schüchtern nach, ob ich denn immer noch bereit war, Peter, zu besuchen. Ich stimmte sofort zu, nichts hätte mich davon abhalten können. Denn eines wusste ich, wenn ich meinen Geliebten wieder haben wollte, durfte ich ihn nicht aufgeben. So verwirrend sein Verhalten auch war, aber wenn es jemandem gelang, seine Barrieren zu durchdringen, dann mir. Davon war ich, je länger ich darüber nachdachte, überzeugt.
Die nächsten Tage verliefen ähnlich. Die fehlenden Pillen waren zum Glück nicht bemerkt worden und Peter wurde mir gegenüber immer anhänglicher. Ich erinnerte mich an unsere Zeit auf der Alp, damals war er es, der nicht locker ließ und mich dazu brachte, mit meinem Aussehen so etwas wie Frieden zu finden. Immer wieder bat er mich um Sex. Vielleicht hätte es ihm geholfen, sicher war ich nicht. Ich wollte nicht einfach eine Art Lückenbüßer sein, sondern wollte, dass er mich kannte. Doch er strapazierte meine Selbstbeherrschung bis zur äußeren Grenze und ich wusste nicht, wie lange ich noch standhaft geblieben wäre, wenn sich nicht plötzlich die Ereignisse überschlagen hätten.
Wenige Tage später lernte ich durch Walter den Familienanwalt Herrn Laurentin kennen, genauso auch einen Wachtmeister Werdlinger von der Polizei, die hinzugezogen wurde, um gegen den möglichen Verdacht wegen Urkundenfälschung, Drogenmissbrauchs und der dadurch entstandenen Freiheitsberaubung von Peter, zu ermitteln. Die schlimmsten Befürchtungen wurden durch Wachtmeister Werdlinger bestätigt. Seine Ermittlungen und die Untersuchung der Medikamente ergaben tatsächlich, dass Peter bewusst außer Gefecht gesetzt und gegen seine Willen festgehalten wurde. Denn das war er. Ein Gefangener in seinem eigenen Haus. Welche Rolle dabei Naomi wirklich spielte, konnte zu diesem Zeitpunkt niemand genau einschätzen. Wurde sie von diesem Wusang unter Druck gesetzt? Oder handelte sie in ihrem eigenen Interesse? Ich staunte, wie genau ich von Herrn Werdlinger über seine bisherigen Ermittlungen informiert wurde. Es war dem Anwalt, Herrn Laurentin zu verdanken, dass die Polizei eingeschaltet wurde und Wachtmeister Werdlingers Ermittlungen basierten auf dem gemeldeten Verdacht von Urkundenfälschung, Drogenmissbrauch und Freiheitsberaubung. Das Herausschmuggeln der Pillen rechnete er mich hoch an. Von ihm erfuhr ich, dass dieser Chinese noch in andere seltsame Firmenübernahmen verstrickt war, nur leider konnte ihm bisher nicht nachgewiesen werden, ob er dabei illegal vorging oder nicht.
Von einem Labor, dessen Name ich mir nicht merken konnte, wurde bestätigt, dass die Pillen, welche ich aus dem chinesischen Röhrchen entnommen hatte, als Bestandteil Spuren einer mir unbekannten Pflanze, die Halluzinationen hervorrief, enthielt. Der gesamte Pillencocktail ergab eine eigenwillige Mischung, deren Resultat man bei Peter nur zu deutlich zu spüren bekam. Von überdreht bis total in sich gekehrt, wechselte seine Stimmung praktisch pausenlos. Die Dosierung war sehr präzise abgestimmt, so dass er immer in einem Zustand war, der ihn leicht beeinflussbar und kontrollierbar machte. Dr. Marthal, der Hausarzt, drängte, Peter so schnell wie möglich aus dem Haus zu schaffen. Doch das war nicht so einfach und vor allem galt es, einen sicheren Ort zu finden, wo er ungestört gesund werden konnte.
Die Planung lief auf Hochtouren, ein ganzes Team wirkte im Hintergrund, während ich den Gesellschafter mimte.
In der zweiten Woche, seit ich Peter jeden Tag besuchte, hielt mich Naomi auf, bevor ich zu ihm ins Zimmer konnte.
„Mario? Das war doch Ihr Name, nicht wahr?“ Ich verdrehte die Augen, die Frau hatte sich nie mit mir befasst und jetzt tat sie, als ob sie ein Interesse an mir hätte. Etwas ungeduldig nickte ich.
„Ich bräuchte Ihre Hilfe, bitte ...“
Hastig sah sie sich um, so als hätte sie Angst, entdeckt zu werden. Verwundert sah ich sie an.
„Und wie kann ich helfen? Bis jetzt hatte ich nicht den Eindruck, als würde es Sie kümmern, was hier vorgeht.“
Wieder spähte sie um sich, dann trat sie ganz dicht an mich heran und flüsterte hastig.
„Ich werde von diesem Wusang erpresst. Er hat mich mit Fotos im Griff, die beweisen, dass ich früher, bevor ich Karl Struppler geheiratet habe, ein Callgirl war. Er hat mir gedroht, damit an die Öffentlichkeit zu gehen, wenn ich ihm nicht dazu verhelfe, an das Erbe von Peter zu gelangen. Stellen sie sich vor, wie der Ruf dieser Firma leiden würde! Es ist ein ehrenhaftes Unternehmen! Aber so eine wie ich! Meine Vergangenheit würde aufgedeckt - ich war so glücklich, endlich alles hinter mir zu lassen, neu anzufangen ...“, schniefend sah sie mich eindringlich an und fuhr fort, während ich mich fragte, ob sie hier nur eine Show abzog.
„Mario, retten Sie wenigstens Peter! Bitte! Er hat damit nichts zu tun! Wusangs Männer haben ihn irgendwo auf einer Alp gefunden, nachdem jemand sie angerufen hatte. In den Nachrichten wurde verbreitet, dass ein großzügiger Finderlohn geboten wurde. So haben sie ihn wohl gefunden, obwohl ein ganzes Rettungsteam vergeblich wochenlang nach ihm gesucht hatte. Wahrscheinlich wehrte er sich, denn der Arzt, in dem Krankenhaus wo er eingeliefert wurde, hatte mir verraten, dass er einen heftigen Schlag abbekommen hatte. Seine Kopfverletzung war keine Einbildung. Ich weiß nicht, wer Sie wirklich sind, aber er redete nur noch von ihnen. Peter erzählte mir, dass Sie ihm angeblich schon mal das Leben gerettet hätten. Nur kann er sich nicht erinnern, ob das auch stimmt. Ich werde fliehen, aber ich kann ihn nicht mitnehmen. Ich bin sicher nie der Typ – liebende Mutter – gewesen. Konnte ich ja auch nicht, er war schon zu erwachsen. Ja, zeitweise hasste ich Peter sogar. Er stand immer vor mir, war für Karl wichtiger und ich war eifersüchtig. Ich liebte Karl, nicht sein Vermögen. Naja, irgendwie das auch und ich hatte mich geärgert, dass ich nicht mehr erbte. Trotzdem, das Ganze nimmt mittlerweile Formen an, die mich selber schockieren. Bitte, retten Sie Peter, noch heute!“
Sie sah mich so eindringlich, ja flehend an, dass ich nur nickte.
„Versprechen sie es! Bitte!“
„Ich verspreche es. Aber was ist mit Ihrem Ruf? Ich dachte, Sie wollten ihn bewahren?“
„Das schon, aber wenn ich verschwunden bin, dann wird es wohl heißen, „kein Wunder, bei so einer“. Aber wenn Peter in Sicherheit ist, dann ist mir das egal. Ich baue mir ein neues Leben auf. Weit weg von hier, irgendwo wo mich niemand kennt. Ich wollte das nicht ... Karl hat so viel Gutes getan, das darf nicht zerstört werden. Ich habe lange genug zugesehen. Jetzt muss ich mich meiner Vergangenheit stellen. Ich frage mich nur, warum dieser Wusang so interessiert daran ist, diese Firma zu übernehmen. Schließlich ist das Unternehmen nicht so bedeutend. Naja, vielleicht schon, aber sie ist nicht lebenswichtig.“
„Vielleicht kann er so Drogen – Sie wissen ja, Peter wird mit Drogen in seinem Zustand gehalten – in alle Welt verteilen? So zwischen den Gütern suchen die Zollfahnder nicht so genau. Vielleicht geht es ihm darum?“
Sie sah mich mit großen Augen an.
„Sie meinen – aber das wäre ja – oh!“
„Ja, ich meine. Nun denn, wenn das vorbei ist, werden wir Sie wiedersehen?“
„Ich weiß nicht, ob ich Karls Sohn je wieder unter die Augen treten kann. Auch wenn ich oft eifersüchtig auf die beiden war, ihr Verhältnis war sehr innig, liebe und schätze ich ihn. Er ist ein wirklich toller Mann geworden, auch wenn er oft nächtelang unterwegs war. Ich fürchte mich, was mit mir geschieht, aber lassen wir das. Ich verschwinde, Sie retten ihn!“
Sie wollte sich abwenden, doch ich hielt sie am Arm.
„Warten sie, wenn es Ihnen Ernst sein sollte – mit dem, was Sie gerade sagten – dann warten Sie bis morgen. Ich kann Hilfe mitbringen, aber es muss geplant werden. Einen Tag, den werden Sie sicher noch überstehen, oder?“
Überrascht sah sie mich an, dann nickte sie.
„Sie sind nicht nur ein 'Gesellschafter' für Peter? Ich wusste nicht, dass es auch behinderte Polizisten gibt. Oder was sind Sie wirklich?“
Eigentlich sollte ich beleidigt sein, aber gleichzeitig fand ich die Frage ulkig. Knapp erzählte ich ihr, wer ich wirklich war und als ich geendet hatte, zog sie mich einfach in die Arme. Schniefend bedankte sie sich für meine Rettungsversuche von Peter und entschuldigte sich fortlaufend für all die Umstände, die sie doch gemacht hatte und wie dumm sie doch war, sich von dem Chinesen erpressen zu lassen. Ich sprach ihr noch Mut zu und versprach, dass Peter und sie am nächsten Tag aus der Villa befreit würden. Ich hoffte einfach, dass das nicht eine Finte des Chinesen war und sie mich aufdeckte. Bis jetzt hatten diese Chinesen mich nicht weiter beachtet und ich war sehr froh darüber. Falls sie ein falsches Spiel spielte, würde ich es wohl sehr schnell zu spüren bekommen. Der Gedanke behagte mir überhaupt nicht, man wusste ja nicht, wie weit so ein Verbrecher gehen würde. Ich riss mich zusammen, denn Peter durfte noch nichts ahnen. In seinem seltsamen Zustand hätte er sie bestimmt der falschen Schwester verraten. Ich traute ihr von Anfang an nicht, nicht nur, weil sie eine Asiatin war, sondern vor allem deswegen, wie sie mit Peter umging.
Den Rest des Nachmittags verbrachte ich in üblicher Manier mit meinem Geißenpeterchen, auch wenn es mir schwerfiel, so ruhig zu bleiben. Doch ich riss mich zusammen und am Abend war ich froh, als ich gehen konnte. Die Chinesen ließen mich in Ruhe und nichts deutete daraufhin, dass Naomi die Fluchtgedanken verraten hatte. Am Abend rief ich von meinem Hotelzimmer aus Walter an, der mich gleich zu sich abholte. Meika stürmte wie immer glücklich auf mich los und nachdem sie sich etwas beruhigt hatte, konnten wir endlich das weitere Vorgehen besprechen. Wachtmeister Werdlinger organisierte seine Leute, die mir bei der Flucht helfen - und gleichzeitig Wusang festnehmen sollten. Da er ja eh jeden Abend bei Naomi weilte, rechnete Werdlinger damit, dass es keine allzu großen Probleme geben sollte. Trotzdem plante er den Einsatz von Scharfschützen und organisierte weitere Männer, die bei der Ergreifung von Wusang helfen sollten. Er rechnete mit Widerstand, hoffte aber, dass Naomi und Peter vorher aus der Villa kamen. Ich staunte, wie straff und präzise die ganze Befreiungsoperation organisiert wurde.
Bis spät in die Nacht wurde alles vorbereitet und ich bekam klare Anweisungen, wie ich mich zu verhalten hatte. Da ich das Zimmer von Peter ja bestens kannte, es war auf der Rückseite des Hauses und war ebenerdig, mit einer Terrassentür in den Garten, musste ich zusehen, dass wir ungesehen bis zum Zaun kamen. Wachtmeister Werdlinger hatte sogar einen Plan des Grundstücks und darauf konnte man erkennen, dass es ein kleines Gartentor gab. Von da sollten wir zur Hauptstraße laufen, wo unser Fahrer auf uns wartete. Um den Schein zu wahren, sollte ich, kurz bevor Schwester Bärbel kam, gehen und später über die Terrassentür wieder ins Zimmer zurückkehren und meinen Schatz rausholen. Zudem hatte ich auch die Aufgabe, Naomi einzuweihen und ihr mitteilen, dass sie von einem Fahrer in Sicherheit gebracht werden sollte, der sie an einen sicheren Ort bringen würde. Ich war ziemlich aufgewühlt und nervös. Alles hing vom nächsten Tag ab. Ich war froh, dass die Chinesen in mir keine Gefahr sahen, denn ein Krüppel war für sie anscheinend keine Bedrohung. Ein Umstand, den ich zum ersten Mal in meinem Leben schätzte.
Naomi erwartete mich bereits, als ich zur Villa kam. Von den Chinesen war nichts zu sehen, aber ich wusste, einige versteckten sich immer irgendwo auf dem Gelände um die Villa und bewachten das Haus. Peter ließ sich mal überreden, ein paar Schritte in den Garten zu machen und prompt standen zwei der Typen da, die uns misstrauisch beobachteten. Natürlich zog mich Peter wieder in sein Zimmer und zitternd vor Angst fragte er mich, ob ich jetzt verstand, warum er den Garten mied. Die Typen hatte ich vorher nicht gesehen und musste ihm Recht geben. Sie waren nicht nur am Abend oder in der Nacht da, wenn Wusang im Haus war, sondern auch bei Tage.
Ich erklärte Naomi kurz, was geplant wurde und sie wirkte ziemlich erleichtert. Sie versprach, Peter, nachdem die Schwester gegangen war, nochmals zu besuchen. Da sie das eigentlich immer machte, sollte es Wusang nicht auffallen und sie wollte so dafür sorgen, dass die Tür wirklich offen war, bevor sie das Haus verließ. Nach dem Gespräch galt es, abzuwarten. Wie in den letzten Tagen, unterhielt ich meinen Geliebten, versprach ihm dabei, dass wir am Abend einen Ausflug machen würden und hoffte, dass er sich nicht verriet. Er freute sich und da er glaubte, wir würden in eine Bar oder so gehen, ließ ich ihn in dem Glauben. Falls er sich verplapperte, wurde er bestimmt nicht ernst genommen. Kurz bevor die Schwester kam, verschwand auch ich. Ich hörte noch, wie Wusang eindringlich mit Naomi sprach und hoffte, dass es ihr gelang, zu verschwinden. Statt wie üblich ins Hotel zu gehen, spazierte ich in die andere Richtung und wollte so von der Rückseite her wieder zurückkehren. Die Chinesen sahen mir wohl noch nach, aber nach der nächsten Kurve, so hoffte ich, konnten sie mich nicht mehr sehen und ich traf mich wie abgesprochen mit Wachtmeister Werdlinger, der mir ein Mikrofon und Kopfhörer verpasste. So ausgerüstet sollte ich den Kommandos folgen können und im Notfall selber Hilfe anfordern. Ich kam mir vor wie 007, ein Geheimagent bei seiner Mission und ich wusste, es musste einfach funktionieren.
Gemächlich setzte ich meinen Spaziergang fort, kam ungesehen am hinteren Gartentor an und verschaffte mir einen Überblick. Von den Chinesen war nichts zu sehen, die Villa lag ruhig da. Ich erkannte, dass Naomi das Zimmer betrat und ans Fenster trat. Nun würde es sich herausstellen, ob sie wirklich half, oder ob sich das Ganze doch noch in eine Falle umwandelte. So richtig trauen konnte ich ihr immer noch nicht, auch wenn es ihr ernst schien. Schließlich konnten ihre Fluchtgedanken und ihre Angst vor Wusang nur gespielt sein. Nun, ich sollte es schnell merken, falls die Fenstertür geschlossen war, hatte ich verloren.
Was vor dem Haus abging, konnte ich von meinem Platz aus nicht sehen, aber die Stimme in meinem Ohr verriet mir, dass es Naomi anscheinend gelungen war, aus dem Haus zu gelangen. Schnell rannte ich über den Rasen und verbarg mich kurz in einem Strauch. Alles ruhig, niemand zu sehen. Tief atmete ich ein, bevor ich auf die Tür zu schlich. Erleichtert stellte ich fest, dass sie tatsächlich offen war und ich huschte ins Zimmer. Ohne Licht zu machen, trat ich an Peters Bett.
„Du bist gekommen?“, nuschelte es unter der Decke hervor und ich grinste ihm zu. „Klar, ich sagte doch, dass wir noch heute ausgehen werden. Aber wir müssen leise sein. Nicht dass man mit uns schimpft. Wir ziehen dich schnell an.“
Ein Kichern war seine Antwort, dann kam es in einem leisen Singsang von ihm: „Bssst, ja, gaanz leise. Ich bin ganz leise, wir gehen auf den Tanz.“
Ich musste mir ein Schmunzeln verkneifen. Er war zu goldig und ich hoffte, dass er nicht allzu enttäuscht war, wenn er bemerkte, dass es nicht die Tanzfläche war, wenn wir am Ziel waren.
Es dauerte länger, ihn in passable Klamotten zu stecken, und ich spürte, wie ich nervös wurde. Er half mir fast gar nicht und nur mit einem Arm war es schwierig. Endlich waren wir soweit und ich spähte nochmals in den Garten, bevor ich ihn an der Hand nahm und ihn in den Garten zog. Er hatte größte Mühe zu gehen, seine Beine trugen ihn kaum und ich musste ihn stützen. Aber es gelang uns, fast bis zum Tor zu kommen, bis Rufe erklangen. Der Stimme nach war es diese Schwester und plötzlich wurde es hinter uns hell. Jemand hatte sämtliche Lichter im Garten angezündet und für einen kurzen Moment stockte ich, dann packte mich die Wut auf diese Verbrecher und ich mobilisierte die letzten Kräfte. Riss Peter mit mir mit und rannte so schnell wie möglich auf das Gartentor zu. Ein Mann erschien und riss das Tor auf, packte Peter auf der anderen Seite und gemeinsam rannten wir nun zur Straße, wo er uns zu dem bereitstehenden Auto führte. So schnell es ging, stiegen wir ein und bevor die Türen richtig zu waren, gab er Gas. Der Wagen schoss davon und endlich konnte ich verschnaufen. Ich saß mit meinem Peter auf der Rückbank und er hatte sich an mich geschmiegt. Selig lächelte er mich an.
„Das war ein Spaß. Jetzt können wir tanzen, nicht wahr?“ Ich nickte erleichtert und streichelte sein Gesicht.
„Nicht nur tanzen, mein Liebling. Du bist jetzt frei und wir werden zusehen, dass du wieder ganz gesund wirst. Dann können wir wieder mit den Geißen spielen. Meika freut sich auch schon auf dich.“
Ein Schnarren in meinem Ohr ließ mich zusammenzucken. Gleichzeitig erklang eine Stimme, sowohl in einem Lautsprecher des Wagens, als auch in meinem Ohr. „Wir haben das Pack. Die Höhle ist ausgeräuchert. Wir treffen uns am Ziel.“ Knapp schnarrte die Info im Lautsprecher, aber dem Fahrer schien es zu reichen. Er antwortete etwas, dem ich nur zur Hälfte folgte, denn ich löste bereits den Knopf aus meinem Ohr.
Endlich hatten wir einen Moment Ruhe. Der Fahrer stellte sich mir vor und verriet das Ziel unserer Fahrt. Da Peters Körper mit Drogen vollgepumpt war, sollte er im Krankenhaus Münsterlingen erst mal entgiftet werden. Das Krankenhaus war informiert und man erwartete uns bereits. Knapp informierte er mich und es reichte mir völlig. Hauptsache, Peter würde geholfen.
Ein Notfallteam erwartete uns vor dem Eingang und ich wurde von meinem Liebsten getrennt. Walter Berghoff traf kurze Zeit nach uns ein und war in Begleitung von Herrn Laurentin, der sich um die Vollmachten kümmerte. Wir suchten uns einen Platz in der Cafeteria und Walter erzählte mir, soweit er wusste, was in der Villa nach unserer Flucht, geschehen war. Wachtmeister Werdlinger kam ebenfalls und ergänzte die Schilderungen von Walter. Die Aktion war ein voller Erfolg für die Thurgauer Polizei und Wusang konnte endlich verhaftet werden. Mit ihm, die angebliche Krankenschwester, die versucht hatte, uns aufzuhalten und deren Pflege für mein Peterchen so schädlich war. Auch die 'Wächter' konnten alle gefasst werden und somit war das ganze Nest inhaftiert.
Die Anspannung der letzten Wochen fiel von mir ab und ich war so erleichtert, dass ich, obwohl es schon sehr spät war, endlich Karin anrief und ihr von der Befreiung erzählen wollte. Noch weniger dachte ich daran, dass sie vielleicht gar nicht bei Sämi war. Ich war so euphorisch, dass mir diese Gedanken erst einfielen, als Sämi mürrisch und verschlafen das Telefon abnahm. Allerdings wurde er sofort freundlicher, als er mich erkannte. Er versprach, dass er Karin Bescheid sagen würde, und entschuldigte sich, dass er so unfreundlich war. Ich war viel zu glücklich, als dass ich ihm das Übel genommen hätte und wir beendeten das Gespräch schnell wieder.
1 Genesung, Peter
Ich öffnete meine Augen und sah ihn. Meinen Geliebten, meinen Retter. Sein Kopf ruhte auf meinem Bett und er hielt meine Hand. Vorsichtig streichelte ich über seine lockigen Haare und er hob seinen Kopf, blinzelte mich verschlafen an, bevor ein wunderschönes Lächeln über sein Gesicht huschte.
Ich erinnerte mich!
An alles!
Daran, dass sich der Flügel meines Segelflugzeuges löste, ich aus dem Flieger sprang, den Absturz mit dem Fallschirm. Mein Name ist Peter Struppler. Lustig, mir fiel ein, wie er mich Geißenpeter taufte, weil die Geißen einen Narren an mir gefressen hatten und wie ich sofort den Namen Peter annahm. Trotzdem konnte ich mich in der Zeit an nichts erinnern, dass vor dem Aufwachen in seiner Hütte geschah. Doch nun deckte mein Unterbewusstsein die fehlenden Fragmente auf.
Die wunderbare, unbeschwerte Zeit in den Bergen, wo er lebte. An Meika, seinen Hund und an die Geißen. Selbst der Überfall und meine Gefangenschaft in der Villa fiel mir wieder ein. Es gab allerdings trotzdem noch einige Lücken, die in einem Nebel verschwanden.
Was ich aber sicher wusste, war, dass ich alleine und hilflos war, bis er bei mir auftauchte. Er hatte mich da rausgeholt. Mich aus dieser Hölle befreit.
„Mario ...“, meine Stimme war nur ein Hauch, aber er strahlte.
„Mein Peter, willkommen zurück.“
Dann sahen wir uns nur noch an, bis er näher rückte und mir einen zärtlichen Kuss gab. Sein Bart war gepflegt und ich wusste, dass darunter Narben versteckt waren, die ein Überbleibsel eines schweren Unfalls waren, bei dem er auch seinen Arm verloren hatte. Ich erinnerte mich an jedes Detail, wie sehr ich ihn geliebt hatte und eine Welle tiefster Zuneigung schwappte über mich. Meine Liebe zu ihm war noch immer so tief, dass ich mir nicht vorstellen konnte, ohne ihn zu sein. Dankbar schloss ich ihn in meine Arme.
Er war in der folgenden Zeit jeden Tag bei mir, half mir in der Reha und gemeinsam schafften wir es, dass ich bald wieder soweit fit wurde, dass ich mit ihm zusammen kleine Spaziergänge unternehmen konnte. Zuerst nur kurze Strecken, dann immer weiter. Manchmal kuschelten wir uns auf eine Bank und genossen die ersten warmen Frühlingstage. Dabei fiel mir immer öfter auf, dass ihn etwas bedrückte. Meika begleitete uns auf diesen Spaziergängen und sorgte mit ihren Späßen für Unterhaltung. Kurz vor Ostern fragte ich ihn, was los sei.
„Ich vermisse das Leben auf der Alp. Meine Geißen. Die Berge. Die gemeinsame Zeit, die wir da verbrachten, einfach alles. Hier lebst du nur nach dem Rhythmus, den die Reha diktiert. Mir fehlt die Freiheit, zu tun, was ich möchte, alles ist hier geregelt und vorbestimmt.“
Eine Träne kullerte langsam über sein Gesicht und ich fuhr mit dem Daumen darüber, wischte sie weg.
„Du hast Heimweh“, stellte ich nüchtern fest und er zuckte mit den Schultern.
„Aber ich möchte dich nicht verlassen. Du bedeutest mir so viel.“
Ich nahm ihn in die Arme und sein Schniefen tat mir in der Seele weh.
„Und ich kann nicht zusehen, wie du leidest. Ich liebe dich und darum denke ich, du solltest unser Häuschen vorbereiten. Bei den Fortschritten, die ich hier mache, werde ich bald entlassen und dann wäre es schön, wenn unser Heim vorbereitet ist. Was meinst du?“
„Unser Häuschen? Du möchtest nicht in deine Villa zurück? Du hast doch Verpflichtungen, dein Geschäft, das kannst du doch nicht einfach aufgeben!“ Er sah mich ungläubig an, aber ich war fest entschlossen. Meine Firma war in guten Händen, das wusste ich. Und wenn etwas Wichtiges anstand, konnte ich auch von der Alp aus entscheiden, oder im Büro auftauchen, wenn es nötig wurde.
„Doch, das kann ich. Ich möchte nicht in mein altes, langweiliges Leben zurück. Ich möchte an deiner Seite sein. Mit dir zusammen sein. Für immer. Deine Liebe hat mich gerettet und nun möchte ich dich retten.“
Sein strahlendes Lächeln wärmte mein Herz und er murmelte: „Danke, dass du mich verstehst. Aber es fällt mir schwer, dich alleine zu lassen.“
„Es wird mir auch schwerfallen, aber ich weiß, es muss sein. Ich sehe es als Ansporn, noch schneller fit zu werden. Betrachte es als Handel, du richtest unser gemeinsames Heim wohnlich her und ich beeile mich, zu dir zu kommen.“
Am nächsten Morgen verließ er mich schweren Herzens und ich packte mir noch ein paar Zusatzübungen auf, damit ich mein Versprechen halten konnte.
In der Osterwoche erhielt ich von den Ärzten die Bestätigung, dass ich soweit genesen war und nach Hause konnte. Mit Walter und den Anwälten hatte ich alles abgeklärt und nichts hielt mich zurück, so schnell wie möglich zu meinem Geliebten zurückzukehren. Mit Naomi telefonierte ich ab und zu. Durch unsere Gespräche konnte ich nachvollziehen, was geschah und ich wusste, dass es nicht ihre Schuld war, sondern dass sie genauso ein Opfer von Wusang wurde, wie ich.
Am meisten interessierte mich auch, was mit meinem Segelflugzeug geschah. Das Luftamt hatte das Wrack zusammengelesen und bei einer ersten Untersuchung schon herausgefunden, dass jemand den Bolzen, der den Flügel mit dem Rumpf verband, gelockert hatte. Durch mein Herumturnen hatte sich der Bolzen selbstständig gemacht und gelöst. Dadurch war es nur eine Frage der Zeit, bis der Flügel wegbrach.
Dieser erste Untersuchungsbericht machte mir bewusst, dass Wusang plante, mich aus dem Weg zu schaffen. Dabei war er nicht zimperlich. Die anschließende, offizielle Suchaktion, wurde nach einer Woche aufgegeben, da man mich nirgends finden konnte. Erst der Aufruf in den Medien, dass man eine beachtliche Summe für mein Finden ausgesetzt hatte, brachte die Geschichte ins Rollen. Wenn Mario einen Fernseher gehabt hätte, oder mehr unter die Leute gegangen wäre, hätten wir vielleicht eher über mich Bescheid gewusst. So aber geriet ich erst recht in die Fänge von Wusang und wenn Mario nicht herausgefunden hätte, wo ich bin und was aus mir wurde, hätte ich dieses Abenteuer bestimmt nicht überlebt.
Ich bewunderte ihn für seinen Mut, alles zurückzulassen und mich zu suchen. Dafür liebte ich ihn nur noch mehr, denn ich wusste, niemand sonst hätte das für mich getan.
Noch am selben Abend, nach unserem Gespräch, telefonierte ich mit Sämi und teilte ihm mit, dass ich wieder auf meine Alp zurückkehren wollte. Er freute sich und bat mich, bei ihm vorbeizukommen. Das hatte ich eh im Sinn, da ich ja auch meine Geißen wieder wollte. Wir machten es gleich für den nächsten Tag ab und seit Langem fühlte ich wieder so etwas wie Vorfreude. Der einzige Wermutstropfen war, dass ich Peter, hier zurücklassen musste. Aber ich war überzeugt, dass es nicht lange dauern würde, bis er vor meiner Tür stand und ich ihn wieder in meine Arme schließen konnte. Er war sehr ehrgeizig und seine Fortschritte waren wirklich gut. Ich zweifelte keinen Moment daran, dass mein Geliebter schon bald wieder mit mir zusammen war.
Kaum stieg ich in Näfels aus dem Zug, fiel mir eine glückliche Karin um den Hals und Sämi begrüßte mich genauso freudig. Noch bevor wir ins Auto stiegen, wusste ich, dass Karin im dritten Monat schwanger war und dass sie ihren Sämi bald heiraten wollte. Gemeinsam fuhren wir zu Sämis Hof und Meika rannte sogleich zu den Geißen, die auf einer Wiese neben dem Haus grasten. Lachend beobachteten wir, wie sie um die Geißen herumsprang.
Es gab so viel zu erzählen und der Tag verflog viel zu schnell. Aber es tat gut, wieder in der Nähe meiner Heimat zu sein. Erst als ich allein im Bett lag, dachte ich über meinen Schatz nach. Er fehlte mir, aber ich wusste, es war ja nicht für lange. Diesmal war es nicht wie im Herbst, wo ich nicht wusste, was passiert war.
Sämi hatte mir versprochen, mit dem Auto hochzufahren, damit wir das Häuschen gemeinsam ansehen konnten und die Schäden, die es vielleicht im Winter gab, einschätzen konnten. Ein Gefühl der Wärme erfasste mich. Zu wissen, dass ich Freunde hatte, die mich ohne Vorurteile akzeptierten, so wie ich war. Vielleicht, wenn ich offener gewesen wäre, hätte ich diese Erfahrung schon früher gemacht. Aber erst durch meinen Schatz fand ich einen Weg, mich zu selber zu akzeptieren.
Auch wenn er mir sehr fehlte, schlief ich tief und fest. Am Morgen half ich Sämi im Stall und Karin, die nicht mehr im Hotel oben arbeitete, verwöhnte uns anschließend mit einem herrlichen Frühstück. Danach fuhren wir los.
Dank des milden Winters war die enge Straße schon endgültig schneefrei und problemlos zu befahren. Schon nach einer Stunde erreichten wir mein Häuschen. Von außen sah es soweit gut aus und drinnen roch es etwas abgestanden, aber mit Lüften war das Problem schnell erledigt.
Selbst die Wasserleitungen schienen in Ordnung zu sein und nachdem wir die Leitungen gut gespült hatten, kontrollierten wir, ob nirgends eine Leitung undicht war. Doch ich hatte Glück, das Einzige, was wirklich futsch war, war der Inhalt meines Kühlschrankes und in dem kleinen Raum, in dem ich meine Chäsli zubereitete, stank es gottesjämmerlich. Ich hoffte, den Gestank irgendwie wieder loszuwerden. Alles, was nicht gereinigt werden konnte, schmissen wir weg.
Im Stall sah es auch nicht besser aus. Da ich nicht gerechnet hatte, so lange wegzubleiben, hatte ich nur das Nötigste aufgeräumt, bevor ich mich auf die Suche nach Peter machte. Das ganze alte Stroh musste raus, und Sämi bot mir an, alles mit dem Hochdruckreiniger abzuspritzen. Fürs Erste mussten die offenen Türen und Fenster reichen.
Nach einer Woche intensivster Arbeit war der Stall nicht nur blitz-blank-sauber, sondern auch neu gestrichen. Mein Chäserraum stank auch nicht mehr und Karin hatte mitgeholfen, dass Wohnhaus wieder auf Vordermann zu bringen. Überall verteilte sie Osterdekorationen und obwohl ich eigentlich nicht so mit dem Dekorieren hatte, musste ich zugeben, dass es mein Häuschen irgendwie gemütlicher machte. Die ersten Wildblumen kämpften sich an die Oberfläche, verwandelten die Wiesen in ein buntes Blütenmeer und der Frühling zeigte sich von seiner schönsten Seite. Den Geißen schien ihr neuer Stall gefallen. Sämi hatte einen Transporter organisiert, obwohl ich eigentlich lieber mit den Tieren meinen eigenen Alpaufzug feiern wollte. Aber er bestand darauf und ich wollte ihm seine Hilfe nicht abschlagen. Die gemeinsame Woche hatte uns zusammengeschweißt und mir gezeigt, dass ich nicht alles alleine machen muss. Das war ein überwältigendes Gefühl und obwohl ich es nicht gewohnt war, schienen wir perfekt zu harmonieren. Sämi gefiel meine Alp sogar so gut, dass er fragte, ob er seine Kühe im Sommer hochbringen könnte. Das war für seine Hilfe ein kleiner Preis und ich stimmte zu. Da der alte Stall seit Jahren leer war und ich nur einen kleinen Teil für die Geißen nutzte, war er ziemlich renovierungsbedürftig und gemeinsam mit Sämis Freund Benno, der sich auf das Bauen von artgerechten Ställen spezialisiert hatte, besprachen wir, welche Änderungen vorgenommen werden müssen. Die Kosten wollten Sämi und ich teilen. Es würde uns beiden dienen und so war es für uns eine gute Sache. Sogar eine Melkanlage plante Sämi ein, damit nicht von Hand gemolken werden musste. Strom gab es ja, ich hatte bei meiner ersten Renovierung darauf bestanden, auch den Stall anzuschließen. Wenn das Wetter mitspielte, sollte der Stall noch vor Mitte Juni fertig sein.
So vorbereitet freute ich mich nur noch darauf, dass Peter endlich kam.
Karfreitag war es endlich soweit. Ich war schon die ganze Woche aufgeregt und wartete ungeduldig vor der Klinik. Bei den Pflegerinnen und Pfleger, meinen Therapeuten und allen anderen, die mir die letzten Monate zur Seite standen, hatte ich mich schon am Vortag verabschiedet. Meine Anspannung wuchs von Minute zu Minute, bis Walter endlich eintraf. Monika, seine Frau begleitete ihn und wir fielen uns um den Hals. Sie war für mich mehr Mutter, als all die Ehefrauen meines Vaters, denen es nur ums Geld ging. Meine richtige Mutter hatte ich ja nicht gekannt und manchmal bedauerte ich dies. Ich stellte sie mir immer wie Monika vor. Auf der Fahrt zum Obersee fragte sie mich allerlei und lobte Mario in den höchsten Tönen. Sie war begeistert von ihm und fand, dass wir gut zusammenpassten. Seine Fürsorge, mir gegenüber, hatte sie tief beeindruckt. Auf dem Ricken machten wir Rast, das Mittagessen war eine richtige Wohltat nach dem Klinikessen. Obwohl die Küche da sehr gut war. Aber es war einfach etwas anderes, wählen zu können, was einem ansprach, ohne nur auf drei Menüs beschränkt zu sein.
Dann ging es weiter, Richtung Näfels. Im Dorf war der Weg ausgeschildert und die enge Straße forderte die volle Konzentration von Walter. Hin und wieder öffnete sich der Wald und ließ den Blick auf die wilde Natur zu. Irgendwann wurde die Straße breiter und Eisenstangen waren als Barriere für die Rinder quer in den Asphalt eingelegt. Bis zum Obersee Hotel war die Straße angenehm breit, danach wurde sie wieder schmaler und führte weiter in das Hochtal, welches sich an den See anschloss.
Endlich tauchte Marios Häuschen auf und ich wäre am liebsten aus dem Auto gesprungen, um über die Wiese schneller ans Ziel zu kommen. Aber leider war ich doch noch nicht ganz so fit und Walter, der meine Ungeduld spürte, gab mir einen spielerischen Schlag in die Seite.
„Keine Sorge, du kannst deinen Freund bald in die Arme nehmen. Noch ein paar Kurven, dann sind wir da.“ Ich nickte schweigend, denn ich konnte kein Wort rausbringen. Mein Herz raste wie wild und ich bebte vor Vorfreude. Als wir endlich anhielten, hatte ich das Gefühl, meine Beine wären aus Gummi. Mario stand vor der Tür, sah uns entgegen und strahlte mit der Sonne um die Wette.
Kaum hielt Walter an, kam er auf uns zu, trat auf meine Seite und öffnete die Tür. Wie schön war es, ihn endlich wieder zu umarmen, ihn zu küssen. Beinahe zwei Wochen ohne ihn waren einfach zu lange. Meine Gummibeine beruhigten sich wieder und als wir uns lösten, sah er mir tief in die Augen.
„Willkommen daheim, mein Geißenpeterchen.“ Wie auf Kommando meckerte es vom Stall her und Schneewittli und Paloma, meine Lieblingsgeißen, kamen auf mich zu gerannt, dicht gefolgt von Meika, die freudig bellend an mir hochsprang, während die Geißen an meiner Hose knabberten und ihr Köpfe an mir rieben.
Meika begrüßte auch Monika stürmisch und wenn ich es richtig in Erinnerung hatte, war ja Monika Hundetante, während Mario sich um mich kümmerte. Beiden gefiel die Alp sehr und Mario tischte vor dem Haus einen Zvieri auf. Mir fiel sofort auf, dass er, statt dem alten Tischchen einen schönen Holztisch in Wurzelform mit einer dazu passenden Sitzbank hingestellt hatte. Bunte Kissen luden zum gemütlichen Verweilen ein.
„Wow, das sieht ja richtig schön aus, so gemütlich“, seufzte ich und Mario strahlte mich an.
„Gefällt es dir? Ich wollte etwas Besonderes, weißt du. Nicht so ein null-acht-fünfzehn Modell.“
„Oh ja! So wie unsere Beziehung, die ist ja auch etwas Besonderes. Schließlich geschieht es ja auch nicht alle Tage, dass man seinem zukünftigen Partner vor die Füße fällt.“
Bei meinen Worten grinste Mario, bevor er antwortete: „Nicht gerade vor die Füße, aber gefallen bist du tatsächlich.“
Walter, der sich mit Monika zu uns an den Tisch gesetzt hatte, hob sein Glas und prostete uns zu.
„Auf eure Zukunft! Ich hoffe, jetzt, wo das Unglück abgewendet ist, werdet ihr hier viele glückliche Tage verbringen können. Verdient habt ihr es – und Peter, ich hoffe, du vergisst trotzdem nicht, hin und wieder in deinem Geschäft nachzusehen. Sonst kommt noch jemand auf die Idee, wir hätten dich ins Grab gebracht.“
Wir lachten alle, und ich versprach, mein Geschäft nicht zu vergessen. Aber fürs Erste wollte ich ankommen. Walter und Monika wollten im Hotel übernachten und so verließen sie uns, bevor es ganz dunkel war. Die Temperatur sank, kaum dass die Schatten länger wurden und Mario half mir ins Haus, obwohl ich seine Hilfe gar nicht brauchte. Aber ich genoss seine Fürsorge und schon bald standen wir überglücklich in der Küche. Endlich waren wir allein. Überschwänglich zog ich Mario in meine Arme und schnappte spielerisch nach seinen Lippen. Seine Hand lag auf meinem Hintern und knetete die Backe, während ich mich fester an ihn drückte. So richtig nahe waren wir uns schon lange nicht mehr. In der Reha hielten wir uns zurück, obwohl niemand ein Problem mit uns hatte. Es fehlte einfach die Ruhe und ich wollte meinen Liebsten richtig verwöhnen.
„Was hältst du davon, einen Stock höher zu gehen? Oder möchtest du hier bleiben?“, wurde ich von Mario gefragt und ich sah ihm tief in die Augen, die vor Verlangen leuchteten.
„Sehr viel. Viel zu lange warte ich darauf.“ Ich hauchte ihm noch einen Kuss auf die Nase und grinsend zog er mich hinter sich her. Kaum waren wir oben, drehte er sich schon wieder zu mir um und von meinem Schwung fiel ich ihm buchstäblich in den Arm. Lachend stolperten wir in Richtung unseres Schlafzimmers. So schnell wir konnten, zogen wir uns aus und fielen übereinander her, als gäbe es kein Morgen mehr.
Stürmisch fielen wir übereinander her. Waren unsere Küsse zu Beginn wild, wurden sie immer zärtlicher und mein Peterchen, wie ich ihn glückselig immer noch nannte, eroberte mich wie damals im Sommer. Liebevoll streichelte er meine vernarbte Seite, hauchte neckische Küsse auf jede Stelle, die er fand und brachte mich damit zum Beben. Er gab mir in jedem Augenblick das Gefühl, ganz zu sein. Dabei brachte er es fertig, dass ich vergaß, nur eine Hand zu haben. In seinen Augen war ich perfekt. Unsägliches Glück durchströmte mich und wir liebten uns, bis wir erschöpft einschliefen.
Wie schön war es, am Morgen aufzuwachen und seinen Körper an meinem zu spüren. Sein Kopf ruhte auf meinem Bauch und ich streichelte mit meiner rechten Hand über seinen Rücken. Schnurrend wie eine Katze drängte er sich fester an mich und entlockte mir ein Lächeln. Ich war so glücklich wie schon lange nicht mehr. Eine vorwitzige Strähne fiel über sein Gesicht und ich schob sie mit meinem Stumpf vorsichtig zurück. Aber nicht vorsichtig genug, denn er öffnete seine Augen und sah mich verschlafen an.
„Guten Morgen“, nuschelte er und dann blitzten seine Augen glücklich auf. Es war, als würde die Sonne in meinem Zimmer aufgehen und ich sah ihn liebevoll an. Seine Hand wanderte in kreisenden Bewegungen über meinen Bauch und stoppte, als er meine Morgenerektion ertastete. Mit einem schelmischen Lächeln schloss er seine Hand darum und massierte sanft, aber bestimmt meinen Schwanz, kraulte meine Eier und fand zielsicher einen Punkt, der mich aufbäumen ließ. Ich spürte, wie sich die Vorboten meiner Lust ihren Weg in die Freiheit bahnten und er ließ seinen Daumen über meine feuchte Eichel kreisen. Innerhalb kürzester Zeit hatte er mich ins Nirwana geschickt. Ich war egoistisch genug, um diesen Moment zu genießen, bevor auch ich ihn von seiner Erektion befreite. Zufrieden und träge lagen wir noch eine Weile so da, bis wir aufstanden und die Geißen auf die Weide schickten. Melken musste ich zurzeit keine, Theophyl war sehr fleißig gewesen und hat seinem Harem zu Kindersegen verholfen. Nun hüpfte und sprang eine muntere Schar Geißen aus dem Stall und tobte sich auf der Weide aus, bis die Jungtiere müde waren. Meika war dabei dauernd bemüht, auf die kleinen Geißlein aufzupassen, trieb die meckernde Schar zusammen und saß dann Stolz zwischen ihnen, bis eines wieder aus der Reihe tanzte, während wir unser Frühstück draußen genossen.
Nie wieder allein sein.
Zweisamkeit.
Liebe.
Glück.
Ja, auf meiner Alp ist das Glück eingekehrt. Ich dachte daran, was für ein verbitterter Kauz ich war und nun wusste ich nicht mehr, wohin mit diesen überwältigenden, glücklichen Gefühlen. Mein Geißenpeterchen, das mir vor die Füße gefallen war, hatte mich befreit, hatte aus einem halben Menschen einen Ganzen gemacht. Ich legte meinen Stumpf auf seine Schultern und er rutschte näher zu mir, während eine hechelnde Meika sich zu uns gesellte und ihren Kopf auf mein Bein legte. Mit meiner rechten Hand kraulte ich ihren Kopf und mein Schatz kicherte leise. Voller Freude sah ich dem beginnenden Sommer entgegen und unserer gemeinsamen Zukunft.
Texte: E.R.Thaler
Bildmaterialien: E.R.Thaler
Lektorat: AnBiÖz und Bernd Schroeder
Tag der Veröffentlichung: 25.08.2016
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Ein grosses Danke an alle, die meine Geschichten lesen und auch die eine oder andere Anregung als Kommi zurücklassen. Ich freue mich über jedes Wort meiner Leser und hoffe, ich konnte Euch für kurze Zeit etwas Unterhaltung bieten.
Ein ganz besonderes Danke geht auch an meine lieben Helfer, Biggy (AnBiÖz) und Bernd Schroeder, die dem Fehlerteufel zu Leibe rückten und mir auch einige Anregungen schenkten, um die Ecken abzurunden.
Ohne ihre Hilfe hätte ich mich nicht getraut, die Geschichte zu präsentieren.