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Stärnereisendi

Vom Läbe und de Liebi

 

 

‚Mit den Augen sieht man viel, aber mit dem Herzen mehr‘

Unbekannter Autor

 

E.R.Thaler

2016

 

Personen und Handlungen dieser Geschichte sind frei erfunden.

Mit dieser Geschichte möchte ich niemandem zu Nahe treten und jede Ähnlichkeit zu lebenden und verstorbenen Personen, oder Persönlichkeiten

des öffentlichen Lebens, wären rein zufällig und von mir nicht beabsichtigt.

 

 

1. Ärger inklusive, Markus

 

Wir kugelten über das Gras, über uns leuchtete in der mondhellen Nacht der Sternenhimmel in seiner ganzen Pracht und ein Stück weiter unten lag unser Raumschiff. Ein Trümmerhaufen. Die ganze Arbeit der letzten Monate umsonst.

Ein Baumstamm, der auf dem Boden lag, stoppte uns und Simi - eigentlich Simon - landete unsanft auf mir.

„Schade, hat nicht geklappt“, murmelte er leise und im Mondlicht sah ich, wie er enttäuscht das Gesicht verzog.

„Macht nichts, nur die Arbeit, die war umsonst.“

„Aber sie war schön, du hast mir geholfen. Ich hab dich lieb.“

„Ja, wir können das Raumschiff wieder zusammenbauen. Dann machen wir es stärker.“

Simi schüttelte den Kopf und zog mich auf seinen Schoss, nachdem er sich auf seine Knie gesetzt hatte. „Nein, es geht nicht. Nur, wer erzählt den Sternen jetzt Geschichten, bevor sie schlafen gehen? Es sind so viele, wir wollten sie doch alle besuchen ...“, seufzend wandte er sich mir zu und gab mir einen Schmatzer. Ich strich mit einer Hand sanft über sein Gesicht, bevor ich ihn zurückküsste.

„Mar-Kuss ...“, murmelte er an meinen Lippen und ich nickte.

„Ja, Kuss.“ Es war ein Spruch, der uns seit unserer ersten Begegnung begleitete. Ich fand es niedlich, wie er das Ende meines Namens immer betonte. Genauso, wie ich ihm oft sagte, 'See me' – sieh mich, anstelle von Simi.

Wenigstens war er nicht lange traurig. Bald schon saßen wir kichernd und schmusend an den Stamm gelehnt da. Die Sterne waren vergessen und Simis Hand landete in meiner Körpermitte, wo sich durchaus was regte. Was man von meinen Beinen nicht sagen konnte, denn ich hatte eine inkomplette Querschnittslähmung.

 

„Ich hab dich ganz doll lieb.“ Sein Atem kitzelte mich am Hals, als er das dicht neben meinem Ohr sagte und jagte einen wohligen Schauer über meinen Körper.

„Ich hab dich auch lieb.“

Sein Gesicht strahlte vor Freude im Mondlicht und bevor wir uns noch weitere Liebesschwüre gönnten, erhob er sich und zog mich in seine Arme.

„Wir müssen zurück. Ich kann dich gut tragen. Ich bin stark.“

„Ja, das weiß ich, aber es ist doch recht weit, bis wir wieder oben sind.“

„Macht nichts, du bist nicht schwer.“

 

Wir kletterten den Hang hinauf, das heißt, wir stolperten wohl eher. Simi hatte mich huckepack genommen und kämpfte sich den Hang hinauf. Wir hörten ein Rascheln und jemanden nach uns rufen.

„Markus? Simon? Geht es euch gut? Was ist passiert? Ist jemand verletzt?“

„Nein, alles in Ordnung!“, rief ich den entgegenkommenden Leuten zu. Eine Taschenlampe leuchtete vor uns auf und Simi lief darauf zu. Wir wurden von einer ganzen Schar begrüßt. Gäste aus dem Hotel, die wohl von unserem Radau geweckt worden waren, und einige unserer Arbeitskollegen, sahen uns neugierig an.

Vreni, eine der Serviertöchter, hatte meinen Rollstuhl dabei und Simi setzte mich vorsichtig hinein.

Dann hagelte es Vorwürfe. Wie gedankenlos ich war und ich hätte es besser wissen sollen, schließlich ist ja Simi nicht richtig im Kopf, und ...und...und ...

Simi stand mit gesenktem Kopf neben mir und ich hielt seine Hand. Herr Maihof, unser Chef, schüttelte nur verärgert den Kopf.

„Von dir hätte ich wirklich mehr Vernunft erwartet. Schließlich bist du ja nur gehbehindert. Aber, dass du den Simon in so einen Mist reinziehst, also das hätte ich nicht erwartet. Der alte Geräteschuppen ist ein Trümmerhaufen! Ihr hättet das ganze Hotel abfackeln können! Feuerwerksraketen! Und was war das, mit dem ihr den Berg runter geflogen seid?“

„Raumschiff … nicht schimpfen ...“, druckste Simi neben mir und schniefte. Kopfschüttelnd sah uns Herr Maihof an und beruhigte die anwesenden Leute, die immer noch auf uns starrten. Einige grinsten, andere sahen uns verärgert an. Unser Triebwerk hatte wohl für ein Höllenspektakel gesorgt.

„Wir reden morgen nochmals ausführlich darüber. Ich denke, heute hat es keinen Sinn mehr. Wir hatten genug Aufregung.“ Dann ging er auf das Hotel zu und Simi schob mich in dem unwegsamen Gelände hinter ihm her. Der Rest folgte uns und ich kam mir wie ein Schwerverbrecher vor, der zu einer Hinrichtung geführt wurde. Das Schweigen war fast schlimmer, als die Vorwürfe von Herrn Maihof und ich war froh, als ich mit Simi in unserem Zimmer verschwinden konnte. Simi legte mich liebevoll auf das Bett und setzte sich mit hängenden Schultern auf den Rand des Bettes. Ich nahm seine Hand, die mir am nächsten war und drückte sie sachte.

„Simi, es ist nicht so schlimm, glaub mir. Der Schuppen war eh alt.“

„Aber er hat dich geschimpft. Dabei wollte ich doch die Sterne besuchen. Er denkt, ich bin nur blöd. Ich hasse mich. Weil ich nicht so gescheit bin.“

„Sch, sch. Nein, so darfst du nicht denken. Du bist klug. Der Maihof ist dumm, weil er dich unterschätzt. Komm her, leg dich zu mir. Ich passe auf dich auf.“

„Wirklich? Das sagst du nur, weil du mich gern hast.“

„Sicher hab ich dich gern. Du bist mein Großer. Und ganz bestimmt bist du nicht dumm! Komm, ich erzähl dir eine Geschichte und dann schlafen wir. Morgen sieht alles besser aus. Glaub mir.“

Simi nickte zaghaft, legte sich dann zu mir und ich kuschelte mich an seine breite, kräftige Brust, während er einen Arm um mich legte.

 

Ich erzählte ihm eine Geschichte, über die Sterne, die er so liebte und bald hörte ich ein leises Schnarchen, das mir verriet, dass er eingeschlafen war.

Ich lag jedoch noch lange wach. Dachte dabei darüber nach, wie wir in diese Situation gekommen waren und ließ meine Gedanken an den Punkt zurück schweifen, an dem unsere Geschichte begann.

 

*****

2. Rückblende - Das Leben ist kein Honigbrot, Markus


Nur zu gut erinnerte ich mich an den Tag, als ich meinen Unfall hatte, der mein Leben komplett aus der Bahn warf. Ein paar Wochen zuvor hatte ich meinen zwanzigsten Geburtstag gefeiert. Und um mich beruflich weiterzubilden, arbeitete ich in einer kleinen Pension in der Wintersaison und nutzte meinen freien Tag, um mit ein paar Kollegen zu Schlitteln, da ich nicht Skifahren konnte. Ja, das gibt es tatsächlich, Schweizer welche nicht Skifahren können. Ich war einer davon - hatte es nie gelernt. Aber ich liebte die Berge im Winter, den Schnee und den ganzen anderen Rest, der dazu gehört.

Deshalb hatte ich mich für die Wintersaison beworben und bekam die Anstellung in einer kleinen Pension in Davos. Tom - mit dem mich nicht nur die Arbeit verband - und ich, lieferten uns eine rasante Jagd den Hang hinunter. Dabei übersah ich den Mast des Skilifts und wurde durch die Luft geschleudert. Die Landung war alles andere als weich und ich spürte nur einen stechenden Schmerz, bevor ich realisierte, dass ich meine Beine nicht mehr spüren konnte. Dann ging das Chaos los, jemand rief den Notarzt und ich war umringt von Skifahrern, die mir jede Menge guter Ratschläge zusprachen, die ich aber nur teilweise mitbekam, da ich irgendwie immer wieder weg driftete und es schwarz vor meinen Augen wurde.

Den Notarzt nahm ich nur schemenhaft war. Der zögerte nicht lange und rief gleich die REGA an und orderte einen Rettungshubschrauber an. Schon bald tauchte über mir der rot-weiße Hubschrauber auf, beinahe unwirklich, wie in einem Traum. Dann war ich weg, bis ich im Krankenhaus aufwachte. Meine Eltern saßen betrübt an meinem Bett und ich wunderte mich, dass meine Eltern so friedlich waren. Normalerweise kamen sie nicht so gut miteinander aus, stritten dauernd. Sie hatten sich getrennt, kaum war ich aus dem Haus ausgezogen.

Naja, nicht gerade aus dem Haus, ich machte damals meine Lehre als Kellner im Hotel Schiff, in Rheinfelden, wo ich aufgewachsen war, und lebte noch bei meiner Mutter, bis ich mit meiner Ausbildung fertig war. Aber für meine Eltern schien das der passende Moment zu sein, um sich zu trennen. Ehrlich gesagt, hatte es mich damals überhaupt nicht belastet, denn ihr Verhalten nervte mich schon lange und ging mir auf den Geist. So friedlich wie nach der Trennung war es schon seit Jahren nicht mehr.

Aber so, wie sie dasaßen, das gab mir zu denken. Irgendetwas Schlimmes war wohl mit mir passiert, sonst würden sie nicht so einträchtig nebeneinander sitzen.

Der Schock, nie mehr gehen zu können, traf mich doch recht heftig, Bei meinem Sturz hatte ich mir Verletzungen im Lendenwirbelbereich zugezogen, welche mich von den Hüften an abwärts lähmten. Meine ganzen Träume, mit einem Kreuzfahrtschiff - auf dem ich als Kellner arbeiten wollte - um die Welt zu reisen, waren futsch. Nach der Reha wohnte ich wieder bei meiner Mutter. Es war, kurz nach der Reha, die beste Alternative, da ihre Wohnung ebenerdig war und ich so lernen konnte mit meinen neuen Fähigkeiten umzugehen. Doch ich entwickelte mich in dieser Zeit zu einem echten Ekel, war übellaunig und schnauzte meine Mutter nur noch an. Eigentlich wusste ich, dass ich ihr Unrecht antat, aber die ganze Situation zerrte an meinen Nerven. Verdammt, ich war gerade erst zwanzig geworden und nun auf einmal ein Krüppel. Ich trieb es so weit, dass sie sich verzweifelt an meinen Vater wandte, denn meine schlechte Laune wurde nur davon getoppt, dass ich mich auch gehen ließ. Ich sah keinen Sinn darin, weitere Therapien über mich ergehen zu lassen, wollte einfach, dass mich alle in Ruhe ließen. Oft starrte ich auch nur trübsinnig aus dem Fenster und heulte der Vergangenheit nach.

Mein Vater, der nun in der Ostschweiz lebte, war überhaupt nicht glücklich, dass ich mich so daneben benahm. In seinem neuen Leben gab es eigentlich keinen Platz für mich. Trotzdem holte er mich bei meiner Mutter ab. Ich lernte seine neue Partnerin kennen. Sie ist eine tolle Frau, aber ich hatte mich so in meinem Selbstmitleid eingelullt, dass ich niemanden an mich heran ließ. Lange machte mein Vater das nicht mit. Er kannte wohl den Besitzer eines Nobelhotels in Weissbad und beschloss, dass ich dort eine Umschulung machen sollte. An der Rezeption und im Büro. Die freudige Aussicht,, Berufskolleginnen und Kollegen zuzusehen, wie sie meine einst geliebte Tätigkeit ausübten. Toll.

Wieder etwas, dass mir sauer aufstieß. Seit meinem Unfall hatte ich immer das Gefühl, alle würden nur über mich bestimmen. Mit dem Verlust meiner Beine hatte ich wohl auch meinen Verstand verloren und ich kam mir wie ein Idiot vor, fühlte mich nicht ernst genommen. Aber niemand schien es zu interessieren, ob ich diese Fremdbestimmungen auch wollte. Man klatschte mir die vollendeten Tatsachen vor den Kopf und ich hatte sie zu schlucken. Ich war ja jetzt ein Trottel, ein Idiot. Konnte nicht gehen, also war mein Kopf auch hohl.

Zumindest redete ich mir das ein. War ja auch einfacher: die Welt ist böse und ich die arme Sau... !

3. Ein neues Leben, ein neuer Freund, Markus


Fast ein Jahr war es nun her, seit ich meinen Unfall hatte und wieder war es Winter, überall lag der Schnee. Für mich bedeutete Schnee kein Vergnügen mehr, mit meinem Rollstuhl war er für mich nur noch ein lästiges Hindernis.

Das Hotel war riesig. Ich bekam im Personalhaus ein eigenes Zimmer, das eigentlich ganz nett war. Sogar einen Lift gab es in dem Gebäude, was mich doch recht erstaunte. Das Angebot des Hotels war auch nicht zu verachten. Ein großzügiger Wellnessbereich, Skilift in der Nähe, herrliche Landschaft am Arsch der Welt – zumindest wenn man darauf stand. Für mich war es nur ein weiterer Beweis meiner Unzulänglichkeit. Ich hatte die Schnauze voll, von Therapien, von Gymnastik und all dem Kram, der mir eigentlich helfen sollte und vor allem von den ewigen, besserwisserischen Meinungen irgendwelcher Habaschen. Trotzig wie ich war, machte ich wohl keinen guten Eindruck, aber Herr Maihof, den Besitzer, beeindruckte ich mit meinem Gehabe überhaupt nicht.

Eigentlich gefiel es mir ja – ehrlich gesagt – aber es war eine Prinzipienfrage für mich. Ich hatte der Welt den Kampf angesagt, also hatte sie gefälligst zurückzuschlagen. Aber schon bald musste ich feststellen, dass diese Haltung niemanden hier interessierte. Herr Maihof spannte mich gleich in meine neue Arbeit ein und ich wurde von ihm und Stefanie, seiner Sekretärin, unterstützt. Schnell kapierte ich, dass Freundlichkeit und Zusammenarbeit hier wichtiger waren, als meine aufgestaute Wut auf alles.

Bei gemeinsamen Mahlzeiten lernte ich auch schnell die anderen Mitarbeiter kennen und überrascht stellte ich fest, dass mein Rollstuhl für niemanden ein Problem zu sein schien. Zum ersten Mal, seit meinem Unfall, fühlte ich mich akzeptiert. Das war ein neues Gefühl. Meine Mutter war überfordert, mein Vater zu weit weg und ich war dazwischen.

Simon, war ebenfalls behindert. Er hatte eher eine geistige Behinderung, was genau wusste ich nicht. Aber er arbeitete schon seit Jahren in der Küche und war für die große Geschirrspülmaschine zuständig. Sie war sein Heiligtum und wehe, jemand machte daran einen Handgriff, der ihm nicht gefiel. Da konnte er doch so richtig ausflippen. War ja klar, dass eine meiner ersten Handlungen war, ihn zu ärgern. Natürlich bekam ich dafür auch Schelte, aber das beeindruckte mich nicht wirklich. Wann immer ich ihn ärgern wollte, tat ich das Geschirr absichtlich falsch in den Korb, oder änderte einen der Einstellungsknöpfe und freut mich diebisch, wenn Simon ausflippte. Unsere Freundschaft begann aus diesem Grund nicht gerade glücklich. Irgendwann im Frühling kam jedoch der Punkt, wo sich unser Verhältnis änderte.

Es war einer dieser ersten Frühlingstage im März, wo man nicht gleich erfror, weil der Föhn das Wetter milde stimmte. Ich genoss meinen freien Abend auf dem Balkon, der vor dem Gemeinschaftsraum des Personalhauses war und las ein Buch, als ich plötzlich ein Rumpeln hörte. Ich sah mich um und erkannte Simon, der mit einem Handwagen irgendwelche Bretter transportierte. Einige hatten sich gelöst und waren auf den Boden gefallen. Ich fuhr zu ihm und fragte ihn, ob ich helfen könnte. Er starrte mich zornig an. War ja klar, ich hatte ihn ja oft genug geneckt.

„Warum?“, fragte er kurz angebunden und ich zuckte mit meinen Schultern.

„So halt“, antwortete ich ebenso patzig und starrte zurück. Er überlegte, dann nickte er und streckte mir seine viel zu große Hand hin.

„Simi, kannst du sagen.“ Dabei betonte er zum ersten Mal den Namen so, dass es wie das Englische „See me“, sieh mich, klang.

„Jo, ich sehe dich auch, ich bin Markus.“ Ich streckte ihm meine Hand auch entgegen und er schüttelte sie so kräftig, dass ich dachte, mein Arm fällt ab.

„Mar-Kuss? Kuss ist gut.“ Damit beugte er sich vor und bevor ich reagieren konnte, bekam ich einen Schmatzer auf den Mund. Überrascht von dieser Attacke starrte ich ihn blöd an und er begann zu kichern.

„Bist nicht so ein Idiot, wie ich dachte, he?“ Spielerisch verpasste er mir dabei einen leichten Box auf die Schulter und grinste mich an. Ok, das hatte ich wohl verdient und ich spürte, wie ich rot wurde.

„Öhm, weiß nicht. Was, wenn doch?“ Simi sah auf mich herunter und schüttelte den Kopf.

„Ich bin der Idiot hier, wenn du einer bist, bin ich nicht mehr allein. Dann sind wir zwei. Oh! Jetzt bin ich böse.“ Dabei lachte er über seinen eigenen Witz und ich starrte zu ihm hoch. Er war einfach riesig. Vielleicht lag es aber auch daran, dass ich in meinem Rolli hockte, aber bei ihm musste ich wirklich weit hochsehen. Er hatte ein hübsches Gesicht und Augen, die mich an dunkle Schokolade erinnerten. Sein Gesicht wurde von wilden Locken umrahmt, die man sonst unter der Kochmütze, die er während der Arbeit trug, nie sah. Er strahlte über das ganze Gesicht und irgendwie fand ich ihn süß. Ich konnte nicht anders und grinste zurück.

„Du hast Recht, ich bin auch ein Idiot. Was hast du eigentlich mit den Brettern vor?“

Er sah mich verschwörerisch an und setzte sich auf den Handwagen. Ganz ernst erklärte er mir seinen Plan..

„Ich bau ein Raumschiff, dann besuche ich die Sterne. Weißt du, die sind ganz alleine in der Nacht und niemand erzählt ihnen eine Geschichte. Und dann müssen sie ganz alleine ins Bett. Genau wie der Zug. Der fährt den ganzen Tag und wenn er müde ist, dann ist er allein und niemand deckt ihn zu. Weißt du, ob jemand dem Zug eine Geschichte erzählt? Ich mag Geschichten. Im Heim, wo ich groß wurde, hat mir die Schwester immer eine erzählt. Aber seit ich hier wohne, geht das nicht mehr. Das fehlt mir.“

Wie ein Wasserfall sprudelten seine Worte und ich hatte Mühe, alles zu verstehen. „Weißt du es?“, seine Frage ließ mich zusammenzucken.

„Was?“

„He, der Zug, erzählt ihm jemand eine Geschichte?“

In meinem Kopf ratterte es und ich sagte das Erste, das mir einfiel:

„Bestimmt, da ist der Zugführer. Der erzählt bestimmt dem Zug Geschichten.“ Simi nickte, dann runzelte er die Stirn.

„Aber, wenn der Mann eine Geschichte erzählt, die dem Zug nicht gefällt?“

„Oh, dann hat es noch den Kondukteur. Der weiß sicher eine, die ihm dann gefällt.“

Simi nickte erneut, sah mich ernst an und dann klatschte er begeistert in die Hände.

„Das ist gut. Du bist klug.“

Ich kam mir ziemlich blöd vor. Aber das versteckte ich und versuchte, meine Erklärung zu toppen: „Ja, und wenn der Zug dann müde ist, decken sie ihn mit einer Decke zu.“

„Du lachst mich aus! Ich dachte, du willst mein Freund sein. Du bist fies!“, dabei funkelte er mich zornig an. Eigentlich konnte es mir egal sein, aber es wurmte mich auf einmal, dass er dachte, ich würde ihn auslachen. Darum sah ich ihm fest in seine Augen, die mich so herrlich wütend anblitzten, dass ich glaubte, kleine, goldene Blitze zu sehen.

„Simi, ich verarsche dich nicht. Ehrlich! Das war mir ernst. Dir ist doch auch kalt, ohne Decke. Darum bekommt der Zug doch eine.“

„So große Decken gibt es nicht. Du lügst.“ Trotzig verschränkte er seine Arme und starrte auf seine Füße.

Am liebsten hätte ich gelacht, es war wirklich süß, wie er so schmollte, aber etwas hielt mich zurück. Es war das erste Mal, dass wir uns in der Freizeit unterhielten und ich musste zugeben, dass er eigentlich ganz nett war. Herr Maihof hatte mir oft genug Dampf unter dem Hintern gemacht und mir empfohlen, netter mit Simon zu sein. Darauf hatte ich ihn immerhin nie mehr geärgert. Ich hatte versucht, wirklich nett zu sein, und nun hatte ich es irgendwie vergeigt. Doch das wollte ich nicht. Ich rollte zu ihm und legte vorsichtig meine Hand auf seinen Arm.

„Hei, Simi, bitte, ich wollte dir doch eine Freude machen und dir zeigen, dass der Zug liebe Freunde hat. Ich wollte dich nicht ärgern. Glaub mir das.“

Simi schniefte, dann sah er mich skeptisch an.

„Du hast das ernst gemeint?“ Ich nickte.

„Hm, dann glaub ich es. Aber so große Decken, das gibt es wirklich nicht. Das musst du mir glauben. Ich verstehe, dass du für den Zug eine Decke willst. Ich denke, du bist doch lieb. Eigentlich.“

Dann huschte ein zaghaftes Lächeln über sein Gesicht, bevor er mich fragte:

„Du hilfst mit dem Raumschiff? Aber das ist geheim, musst du wissen. Sonst kommen böse Männer und nehmen es weg. Du musst es schwören!“ Dabei sah er mich so aufmerksam an, dass ich gar nicht anders konnte. Feierlich hob ich meine Hand und schwor: „Ich schwöre, dass unser Geheimnis niemand erfährt. Ich werde auch unter Folter nichts sagen.“

Genauso feierlich antwortete Simi: „Gut, dann haben wir ein Geheimnis. Dann sind wir jetzt Freunde. Das müssen wir mit einem Kuss feiern. Mar-Kuss, guter Name. Aber du musst stehen, sonst gilt es nicht.“

Ich wollte schon erklären, dass ich doch nicht stehen kann, aber er beugte sich einfach vor, schlang seine Arme um mich und zog mich aus meinem Gefährt. Hilflos hing ich in seinen Armen, spürte seine Kraft und fühlte mich sicher, obwohl ich wie ein nasser Sack in der Luft hing. Ich klammerte mich an seinen Arm und sah ihn ängstlich an, während er mich vorsichtig auf die Füße stellte. Von oben sah er auf mich runter und grinste.

„Du bist ja klein, nicht nur, wenn du in deinem Stuhl sitzt.“ Irgendwie fühlte ich mich verlegen und murmelte:

„Ja, kann nichts dafür, hab halt aufgehört zu wachsen.“

„Weil du im Stuhl sitzt?“

„Nee, schon vorher.“

„Ach, dann hast du einen Unfall gehabt? Das ist nicht von klein her so?“ Ich schüttelte den Kopf.

„Nein, ist beim Schlitteln passiert. Vor einem Jahr.“

„Oh, ich bin so, weil meine Mama nicht aufgepasst hat. Sie ist krank, da oben ...“, dabei tippte er sich an den Kopf und ich riss mich zusammen, damit ich nicht sagte: „Du ja auch ...“, bevor er weitersprach. „Sie hat sich nicht um mich gekümmert und dann bin ich aus dem Bett gefallen, auf den Kopf. Dann hat man mich in das Heim gebracht, wo Schwester Yvonne sich um mich gekümmert hat. Sie ist jetzt wie meine Mama, weißt du.“

Ich schwankte und er hielt mich fester.

„Jetzt weißt du es. Aber jetzt müssen wir uns küssen, damit das Schwören klappt.“ Ich nickte und hoffte, dass ich nicht mehr so lange stehen musste. Seltsam fühlte es sich nämlich schon an. Sein Gesicht kam mir immer näher und seine Lippen berührten meine. Ganz zart war seine Berührung und ich erwiderte sie.

„So, jetzt ist unser Geheimnis sicher“, stellte er dann ganz sachlich fest und half mir wieder in den Stuhl.


An diesem Abend schworen wir nicht nur auf unser Geheimnis, sondern besiegelten auch unsere neue Freundschaft. Ich musste mir eingestehen, dass ich Simi mochte. Er war so ganz anders, als bei der Arbeit und wie ich ihn jetzt kennengelernt hatte. Herr Maihof wäre bestimmt stolz auf mich, wenn er uns jetzt so sehen würde. Wobei, ich nicht weiß, ob er glücklich ist, wenn sich zwei Jungs in seinem Hotel küssen. Dass ich auf Jungs stand, war ja eine Sache, aber Simi? Wusste er, was er tat? Oder war es einfach ein Reflex?

4. Das Raumschiff, Markus


Simi sammelte seine Bretter wieder zusammen und ich half ihm, sie auf den Wagen zu stapeln. Dabei wunderte ich mich, was er damit vorhatte, denn ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie sein Raumschiff aussehen sollte. Simi schob den Handwagen vorsichtig vor sich her und ich achtete darauf, dass sich kein Brett löste. Vor einem alten Heuschober hielten wir an. Simi öffnete die Tür und ich rollte in den Raum, der als Geräteschuppen umfunktioniert worden war.

„Radschi hat hier sein Zeug für den Garten, weißt du. Aber ich darf hier basteln. Manchmal hilft er mir auch. Aber jetzt hilfst du mir, gell?“

Ich nickte nur und fragte: „Hast du einen Plan, wie du das Raumschiff bauen musst?“

Simi bejahte das sofort und zog ein kleingefaltetes, fleckiges Blatt Papier aus seiner Gesäßtasche hervor. Darauf war ein kritzeliges Gebilde, das ein Raumschiff von allen Seiten zeigte, umrahmt von Sternen, der Sonne, der Erde und in der Mitte eine Figur, die wohl Simon darstellen sollte.

Aufmerksam studierte ich das Bild und Simi sah mich erwartungsvoll an. „Was meinst du? Ist gut, oder? Hier, die Flügel, dann - in dem Rohr sitzen wir. Muss nur einen zweiten Platz machen. Mit deinem Rollstuhl haben wir ja jetzt Räder. Dann kann das Raumschiff am Boden rollen, bis es fliegt und wir die Sterne besuchen können. Da müssen wir auch rollen. Dein Rollstuhl macht es jetzt einfacher, ich hatte noch keine Räder.“ Dabei strahlte er mich so vertrauensvoll an, dass ich meine erste Bemerkung runterschluckte, die mir schon auf der Zunge lag.

Die Kritzel-Zeichnung hatte keinerlei Ähnlichkeit mit einem Raumschiff, naja, irgendwie schon, aber es sah – komisch aus. Simi schien es jedoch klar zu sein und ich wollte unsere gerade erst begonnene Freundschaft nicht wieder kaputt machen. Vor kurzem wäre es mir bestimmt egal gewesen, aber er vertraute mir auf so einfache Weise, dass ich es nicht konnte. Darum warf ich scheu ein: „Ja, es sieht gut aus, aber ein paar Sachen müssen wir noch ändern. Darf ich?“

Simi kratzte sich am Kopf und nickte zustimmend.

„Ja, ich habe es ja nur für mich gedacht. Jetzt musst du mit. Hm, du hast eine Idee? Hier ...“, er gab mir einen Bleistift und ich machte einige Verbesserungen. Meine Striche machten das Bild noch chaotischer und ich bat ihn um ein neues Blatt. Wir planten und zeichneten den ganzen Abend, bis wir kein Licht mehr hatten. Dann versteckte Simi die Blätter und wir gingen zusammen zurück zum Personalhaus. Zum ersten Mal, seit ich hier war, fühlte ich so etwas wie Glück in mir aufkeimen. Auch Simi war wie ausgewechselt und da wir am nächsten Tag beide frei hatten, versprach ich, mit ihm zusammen Schwester Yvonne zu besuchen. Er plapperte unentwegt auf mich ein und ich musste schmunzeln. Anscheinend hatte er schon vergessen, dass ich ihn so oft wegen der Spülmaschine geärgert hatte und nachdem er sich für das Bett fertiggemacht hatte, bat er mich, ihm eine Geschichte zu erzählen. So kam es, dass ich bei ihm im Zimmer neben seinem Bett saß, bis er eingeschlafen war.

Ich hatte nie einen Bruder, aber ich stellte mir vor, wie es wäre, wenn ich einen kleinen Bruder hätte und ihm eine Geschichte erzählen könnte. Ich fand es niedlich, obwohl er ja älter als ich war, wirkte er halt noch wie ein Kind. Vorsichtig deckte ich ihn zu und musste an den Zug denken. Anscheinend liebte er es auch, sich Geschichten selber auszudenken und mit jemandem auszubauen. Eigentlich war ich ganz zufrieden mit mir. Was wohl Herr Maihof jetzt dachte? Wenn er uns so sehen würde? Zum Abschied hauchte ich ihm einen Kuss auf die Stirn und ging in mein Zimmer zurück. Auf dem Gang begegneten mir einige der Köche und ich erntete erstaunte Blicke, als sie bemerkten, dass ich aus Simis Zimmer kam. Was ihnen wohl durch den Kopf ging? Bis jetzt hatte es mir ja nie etwas ausgemacht, was andere von mir hielten. Aber komischerweise machte es mir an diesem Abend schon etwas aus. Während ich in meinem Zimmer verschwand, hörte ich sie tuscheln und ich schloss mich schnell ein. Ich hatte keine Lust, mich ihrem Kreuzverhör zu stellen. Sollten sie doch denken, was sie wollten.


5. Schwester Yvonne, Markus


Ich lag noch eine Weile wach und dachte über den Abend nach. Ich bereute keine Minute davon und einiges brachte mich auch im Nachhinein zum Schmunzeln. Ja, Herr Maihof würde bestimmt zufrieden mit mir sein, wenn er uns gesehen hätte. Seltsam, seit wann interessierte es mich, was andere von mir dachten? Seit meinem Unfall waren mir zwischenmenschliche Beziehungen egal, ich trampelte auf den Gefühlen anderer rum, als wären sie meine Untertanen. Spürte ich schon seit meiner Ankunft hier, dass ich mich von Simi angezogen fühlte? War ich deshalb so gemein zu ihm?

Ich dachte auch an Tom. Eigentlich verband uns nur eine Freundschaft mit gewissen Vorzügen. Richtig verliebt waren wir nie. Nach meinem Unfall hatte er mich einmal noch besucht, bevor er wieder nach England fuhr, wo er eigentlich herkam. Er wollte eine Wintersaison lang Deutsch lernen und seine Berufskenntnisse erweitern. Ich erinnerte mich, dass ich in meinem Frust nicht gerade nett zu ihm war. Vielleicht sollte ich ihm mal schreiben? Mich bei ihm entschuldigen? Immerhin hatte er mir ja seine Adresse gegeben und gemeint, wenn es mir besser ginge, könnten wir uns ja mal treffen. Ich seufzte, ob er sich noch an mich erinnern würde? Nun, ganz bestimmt nicht mehr an diesem Abend. In Gedanken machte ich mir allerdings eine Notiz und verschob die Idee.


Am nächsten Morgen, pünktlich um acht, klopfte ich an Simis Zimmertür. Wir wollten zusammen frühstücken und er hatte mich gebeten, bei ihm zu klopfen.

„Herein, es wird ja wohl kein Geißbock sein ...“, hörte ich einen fröhlichen Simi rufen und öffnete seine Tür. Er saß erwartungsvoll auf seinem Bett und strahlte mich an. „Du kommst wirklich? Das ist schön. Habe schon Angst gehabt, dass du es vergessen hast.“

„Guten Morgen erst mal. Ich habe es dir doch versprochen. Was ich verspreche, halte ich auch, egal was sonst war.“

„Öhm, guten Morgen. Gehen wir Frühstücken? Ich hab Hunger.“ Ich nickte und gemeinsam gingen wir in die Kantine. Dort sah man mich misstrauisch an und ich beschloss, solange niemand etwas sagte, nicht darauf einzugehen. Simi bemerkte die Blicke auch und grinste seine Kollegen an.

„Mar-Kuss ist jetzt mein Freund. Er ist nicht so ein Idiot, wie er tut. Er küsst übrigens ganz toll. Wie sein Name sagt. Er ist mein Mar-Kuss.“

Das war mir ein klein wenig peinlich und ich spürte, wie die Hitze in mein Gesicht schoss. Bestimmt leuchtete ich wie eine reife Tomate. Simi kicherte nur und beugte sich vor und gab mir einen Schmatzer auf die Wange. Die Jungs aus der Küchenbrigade sahen uns verdattert an. Philippe, der Chefkoch kam zu uns und funkelte mich an.

„Ich warne dich, wenn du unserem Simon etwas antust, oder ihn verarscht, dann kannst du sicher sein, dass ich dich höchstpersönlich in die Kasserolle stopfe!“

Ich schluckte und nickte betreten. War ja klar, das musste ja so kommen, so wie ich mich bisher benommen hatte. Simi sah Philippe ernst an.

„Du darfst ihn nicht schimpfen. Er war blöd, aber ich glaube, er war nur allein und wollte so wichtig sein.“ Ich war überrascht, wie Simi mich in Schutz nahm. Phillipe sah skeptisch von Simi zu mir und zurück, dann seufzte er: „Sei vorsichtig, Simon, wenn er dir wehtut, sag es. Versprochen?“ Simi sah ihn fragend an.

„Warum soll er mir wehtun? Wir haben geredet. Jetzt sind wir Freunde.“

Es war wirklich rührend, wie mich Simi in den Schutz nahm. Phillipe war allerdings noch nicht überzeugt und ich spürte sehr wohl, dass mir auch die anderen misstrauten. Ich schwor, ihnen zu beweisen, dass mir Simi nicht egal war. Dass ich es durchaus verdient hatte, sein Freund zu sein. Aber im Moment hatte mir dieses Getue den Appetit verschlagen und ich schob meine Konfischnitte zur Seite. Simi schielte auf das Brot, ihm schienen die Kommentare seiner Kollegen egal zu sein und ich fragte ihn, ob er die Scheibe wollte. Grinsend schnappte er sie und verdrückte sie mit einem zufriedenen Ausdruck. Damit brachte er mich zum Lachen und immerhin konnte ich meine Kaffeetasse austrinken. Sein Anblick löste das flaue Gefühl in meinem Bauch und ich freute mich auf unseren gemeinsamen Tag.


Um neun trafen wir uns vor dem Hotel mit Herrn Holenstein, dem Chauffeur, der dafür zuständig war, dass die Gäste vom Bahnhof abgeholt wurden. Herr Maihof hatte diesen Fahrdienst bestimmt, damit Simi unkompliziert und sicher nach Heiden fahren konnte. Heute hatte er zwei Passagiere und ich hatte den Eindruck, dass er sich darüber freute. Das Heim, in dem Simi aufgewachsen war, war ziemlich bekannt und hatte einen guten Ruf, soweit ich von Herr Holenstein erfuhr. Es war etwas außerhalb von Heiden, auf einem Hügel und man hatte eine tolle Aussicht auf die Berge und den Bodensee. Simi zeigte mir alles Mögliche auf der halbstündigen Fahrt und hatte einiges dabei zu erzählen. So wurde es sehr kurzweilig und Herr Holenstein schmunzelte, als er versprach, uns am Nachmittag wieder abzuholen.


Schwester Yvonne, die Heimleiterin, begrüßte uns freundlich und musterte mich neugierig, nachdem ihr Simi erklärt hatte, dass ich sein Freund bin. Sie zeigte mir das Heim und Simi, trottete gelangweilt neben uns her. Ich zupfte an seinem Ärmel und fragte, was los sei.

„Ich kenn das doch schon, ist doch nicht interessant. Ich wollte doch noch etwas kaufen, weißt du, für das Schiff. Psst, nicht laut sagen!“, raunte er mir zu, indem er sich zu mir runterbeugte und dabei noch schnell einen Schmatzer auf meine Backe drückte. Schwester Yvonne sah uns lächelnd an und schien sich für Simi zu freuen.

„Habt ihr noch etwas vor?“, fragte sie uns und Simi nickte und druckste etwas vor sich hin, dass wie: „Ja, möchte noch Sachen kaufen“, klang.

Schwester Yvonne nickte verständig, dann fragte sie ihn: „Kannst du alleine gehen? Ich möchte deinen Freund gerne etwas kennenlernen.“ Simi sah mich enttäuscht an, dann nickte er.

„Ja, kann ich schon. Aber ich wollte mit Mar-Kuss dahin. Aber wenn du auf ihn aufpasst, ist das gut, denke ich. Dann gehe ich mal.“

Damit drehte er sich um und ließ mich mit Schwester Yvonne einfach stehen. Verdattert sah ich ihm nach und Schwester Yvonnes Hand drückte leicht meine Schulter und seufzte: „Ja, unser Simon ... Immer etwas Wichtiges im Kopf.“

Ich sah zu ihr hoch und ihr Lächeln wirkte versonnen. Dann räusperte sie sich und sah mich an.


„So, du arbeitest also mit Simon zusammen?“, fragte sie mich und ich nickte.

„Dann komm mal mit. Wir suchen uns ein ruhiges Plätzchen, wo uns niemand stört. Ich möchte dich gerne etwas kennenlernen. Vielleicht hast du ja auch ein paar Fragen?“

„Klar, das wäre toll“, antwortete ich und sie führte mich in ein Büro. Dabei lief sie neben mir her, ohne mich auch nur einmal schieben zu wollen, und vermittelte mir so das Gefühl, dass ich ein normaler Mensch war, der neben ihr herlief. Sie fragte mich über alles Mögliche aus und irgendwie fand ich sie sehr sympathisch. Ich erzählte ihr von mir und wie ich in diese Gegend kam. Dabei war ich nicht zimperlich und beichtete schonungslos, was für ein Idiot ich war. Sie hörte mir aufmerksam zu, dann lobte sie mich zu meinem Erstaunen.

„Weißt du, es gehört viel Mut dazu, zu seinen Fehlern zu stehen. So ein Unfall wirft einem gehörig aus der Bahn, nicht nur den Verletzten selber, sondern auch die Angehörigen. Oft sind alle überfordert und dann kann es eskalieren, so wie bei dir. Du hast Simon ziemlich beeindruckt, das ist noch nie jemandem auf diese Weise gelungen. Er scheint dich sehr zu mögen. Mit Mädchen konnte er nie etwas anfangen, das ist mir schon früh aufgefallen. Vielleicht kommt es daher, dass er bei Frauen unbewusst an das Verhalten seiner Mutter denkt und sie mit ihr gleichsetzt? Nun, wie auch immer, ich hoffe, ihr werdet wirklich mehr als nur gute Freunde. So wie du erzählt hast, magst du ja auch lieber Männer.“

Ich errötete mal wieder und bestätigte ihre Vermutung. Ohne zu überlegen, fragte ich sie, wie es denn wäre, wenn wir Sex haben. Sie lächelte und ihre Wangen wurden von einer zarten Röte überzogen.

„Naja, Simon ist ein erwachsener Mann, er ist 26. Glaubst du, er hätte noch nie ...? Ich meine, ähm, er hatte, soviel ich weiß, noch nie einen Freund, aber ...“, verschmitzt lächelte sie mich an, „... Aber am besten findet ihr das zusammen raus.“

Ein weiterer Punkt, der mich beschäftigte war, wie es zu seiner Behinderung kam. Simi hatte am Vorabend ja etwas angedeutet, aber seine Erklärung war ja eher dürftig. Deswegen fragte ich sie danach. Schwer seufzte sie, bevor sie anfing.

„Eigentlich ist es eine tragische Geschichte, seine Mutter war nicht in der Lage, sich um den Kleinen zu kümmern. Simons Vater Mathias, er war mein jüngerer Bruder, war viel auf Montage und in der ganzen Welt unterwegs. Darum bemerkte er nicht, wie es um seinen kleinen Sohn bestellt war, bis es beinahe zu spät war. Er kam von einem Auftrag früher als geplant zurück und fand seinen Sohn apathisch im Bett liegen. Er hatte ihn einen Monat zuvor zum letzten Mal gesehen und wenn er zu Hause war, ging es Simon gut. Seine Mutter sah nach ihm und er wurde gepflegt. Aber kaum war er fort, kam es vor, dass sie ihn 'vergaß'. Nun ja, also er fand Simon in einem desolaten Zustand vor. Dieser hatte sich übergeben und wäre beinahe an dem Erbrochenen erstickt. Mathias reagierte sofort und brachte den knapp einjährigen Bub ins Krankenhaus. Dort kämpften die Ärzte um sein junges Leben und er erholte sich erstaunlich schnell. Mein Bruder rief mich an und fragte, was er tun sollte. Ich hatte gerade hier im Heim als Pflegerin angefangen und stimmte ihm zu, dass Simon nicht mehr nach Hause sollte. Er fragte mich, ob ich Simon hier unterbringen konnte, denn er hatte Angst, dass sein Sohn zuhause, bei seiner Mutter, gefährdet war. Mit der Heimleitung fanden wir eine Lösung, die für alle akzeptabel war. Simon wuchs hier auf. Zuerst ist eigentlich nicht viel aufgefallen, außer dass er einige Dinge langsamer lernte. Aber je älter er wurde, kamen die Folgeschäden zum Vorschein. Er konnte sich vieles nicht merken, hatte Sprachschwierigkeiten und seine geistige Entwicklung blockierte ab einem gewissen Alter. Eine Untersuchung bei einem Spezialisten deckte auf, dass er durch die miserable Pflege seiner Mutter wohl irgendwann vor seinem Spitalaufenthalt, eine schwere Kopfverletzung erlitten hatte, die man damals nicht entdeckt hatte. Als Mathias mit ihm im Spital war, wurde nur die unmittelbare Gefahr behandelt. Er war immer ein Sonnenschein und wenn es einem der anderen Kinder schlecht ging, dann half er ihm. Aber was vielleicht am interessantesten war, auch wenn er die Buchstaben oder Zahlen immer verdrehte, wenn es um etwas Technisches ging, war er topfit. Er zerlegte den Rasenmäher, da war er elf, und setzte ihn wieder zusammen. Danach lief der Rasenmäher besser als je zuvor. Auch so feine Sachen wie Uhren konnte er reparieren. Unsere alte Standuhr im Essaal, die hat er auch so repariert. Dass er so feine Arbeiten machen kann, würde man ihm nicht zutrauen. Aber trotz seiner Größe geht er so behutsam mit feinen Zahnrädchen und Schrauben um, dass es fast an ein Wunder grenzt. Ja und als er dann erwachsen wurde, bekam er die Anstellung im Hotel, wo du ja auch arbeitest.“

Beinahe schüchtern fragte ich Schwester Yvonne nach Simis Vater. Mir war aufgefallen, dass - als sie ihren Bruder erwähnte, ein wehmütiger Ton in ihrer Stimme mitschwang. Wieder huschte ein trauriger Zug über ihr freundliches Gesicht und seufzend beantwortete sie meine Frage.

„Er starb vor ein paar Jahren beim Rückflug aus Südamerika, angeblich hatte ein Blitz das Flugzeug getroffen, oder heftige Aufwinde haben es in der Luft zerstört. Für Simon war Mathias mehr ein lieber Onkel, der ihn besuchte. Er hat nie richtig verstanden, dass der fremde Mann, der ihm so ähnelte, sein Papa war. Hier war seine Familie und er war glücklich. Das zählte für ihn mehr, als alles andere. Seine Mutter versuchte, Simon ein paar Mal zu besuchen. Nach ein paar Jahren kam ihr wohl in den Sinn, dass sie ja einen Sohn hatte. Aber kaum hatte Simon sie entdeckt, versteckte er sich vor ihr, obwohl er sich eigentlich gar nicht mehr an sie erinnern sollte. Das war eigenartig. Aber sie machte ihm Angst. Wir hatten größte Mühe, ihr klar zu machen, dass Simon sie nicht sehen wollte. Mathias hatte sich nach diesem Vorfall von ihr getrennt. Dabei war sie eigentlich so eine liebe Frau. Aber irgendwie musste etwas während der Schwangerschaft geschehen sein, dass sie so verändert hatte. Vielleicht eine Schwangerschaftsdepression, würde ich aus heutiger Sicht sagen, früher wusste man darüber ja nicht so Bescheid. Und Mathias hatte das nicht bemerkt, weil er so oft weg war. Das hat ihm sehr zu schaffen gemacht und er nutzte seine Arbeit danach als Flucht. So kam es mir zumindest vor.“


Ich schluckte. Mit so einer Geschichte hatte ich nicht gerechnet und schämte mich wegen meines Verhaltens nach dem Unfall. Auch zu Simon war ich ja unfair, zumindest am Anfang und wenn es um seinen Arbeitsplatz ging. Die Maschine fiel nie aus - wenn er sie bediente, funktionierte reibungslos. Wenn etwas war, reparierte er sie, bevor ein Mechaniker kommen musste. Ich konnte zumindest bei meinen Eltern aufwachsen, hatte eigentlich ein gutes Zuhause. Was war da mein Unfall schon? Sicher, er wird mein Leben auch weiterhin beeinflussen, aber ich kann mein Leben selber führen. Simon würde immer jemand brauchen, der ihm bei gewissen Dingen half. Schwester Yvonne schien zu spüren, was in mir vorging. Sie drückte meine Hand und lächelte mir aufmunternd zu.

„Simon geht es gut, er kennt es nicht anders. Ich finde, er hält sich sehr gut und er hat viele Freunde, die ihn gerne haben.“ Ich nickte betreten, würde das auch irgendjemand von mir sagen? So wie ich mich aufgeführt hatte? Ich hatte das Gefühl, als würde etwas in mir zersplittern und plötzlich brach meine eigene Verzweiflung, meine Angst, meine innerliche Wut, alles zusammen. Tränen bahnten sich ihren Weg und ich spürte Schwester Yvonnes Arme. Sanft hielt sie mich fest und tröstete mich. Es brauchte keine Worte, es reichte mir, dass sie da war und mich hielt. Genau das half mir und zum ersten Mal seit meinem Unfall hatte ich das Gefühl, dass ich wirklich verstanden wurde.


Erst Simons Stimme riss mich aus meinem eigenen Elend. Schwester Yvonne löste sich von mir und ich sah schniefend zu meinem neuen Freund auf. Sein besorgtes Gesicht ließ mich lächeln, während er vor mir in die Hocke ging und mit seiner Hand meine Tränen wegwischte. Dann funkelte er seine Tante zornig an und schimpfte: „Du hast Mar-Kuss traurig gemacht, warum?“

Mit verstopfter Nase versuchte ich, ihn zu besänftigen, während Schwester Yvonne nur die Augen verdrehte und seufzte.

„Schie kann nischt dafür, hascht du Daschenduch?“, schnupfte ich und Simi sah mich mit großen Augen an.

„Ja, ähm, Taschentuch?“ Dabei sah er sich suchend um und Schwester Yvonne reichte uns einen Packen Papiertaschentücher. Nachdem ich endlich wieder Atmen konnte, erklärte ich Simi, warum ich geheult hatte.

„Ist aber wieder gut? Oder? Weil, sonst bin ich auch traurig.“ Simi, der vor mir kniete, sah mich zaghaft von unten her an. Ich konnte nicht anders und beugte mich vor, bis ich ihm einen Kuss geben konnte. Dabei verlor ich das Gleichgewicht und rutschte aus meinem Stuhl direkt in seine Arme. Blitzschnell hatte er mich aufgefangen, bevor er selber nach hinten kippte und mich mit sich zog.

Schwester Yvonnes „Oh!“ wurde von unserem Giggeln übertönt und dann hörten wir sie ebenfalls lachen.

Nach Luft ringend japste sie: „Ich lass euch allein. Wenn ihr Lust habt, ich glaub es gibt Wähen zum z'Mittag. Ihr könnt ja mit uns mit essen, dann treffen wir uns im Speisesaal.“ Sie verließ das Zimmer und ließ uns zurück.


Simi, der immer noch unter mir lag, blinzelte mir zu. „Mag nicht aufstehen. Ist schön, wenn du auf mir liegst.“

„Ich auch nicht, aber vielleicht ist es unhöflich, wenn wir nicht gehen?“ Ich beugte mich zu ihm und küsste ihn diesmal richtig. Sanft knabberte ich an seinen Lippen und schnappte spielerisch mit meinen Lippen nach seiner vorwitzigen Zungenspitze, mit der er an meinen Mund gestupst hatte. Wir alberten noch ein wenig rum, bis er mir wieder in den Rollstuhl half. Etwas zerzaust kamen wir im Speisesaal an und wurden aufmerksam gemustert.

Zehn neugierige Kinderaugen und ebenso viele Betreuerinnen sahen uns erwartungsvoll an. Schwester Yvonne stellte mich vor und die Schar begrüßte mich im Chor. Es war ein seltsames Gefühl, das mich ergriff, denn dieser Chor wurde mit „Aaaahs“, „Uiiis“ und sonstigen Geräuschen untermalt, je nach Behinderungsgrad der Kinder. Simon kannten sie wohl alle gut, denn sie begrüßten ihn freudig, während wir uns an den großen Tisch setzten. Bald war ich Teil dieser ausgelassenen Runde, jeder wollte mit mir reden und am liebsten alle zusammen. Ein Junge, Bastian, schien von meinem Rollstuhl besonders angetan zu sein. Dabei war sein Gefährt eindrücklicher als mein Flitzer. Immerhin hatte er, aufgrund seiner Behinderung, einen elektrischen Rollstuhl, und nutzte einen Sprachcomputer, um sich auszudrücken. Ich erfuhr, dass er während der Geburt, die seine Mutter nicht überlebte, zu wenig Sauerstoff erhielt und seither sein zentrales Nervensystem geschädigt war. Dadurch hatte er eine Cerebralparese, die seinen Körper und auch das Sprachzentrum beeinträchtigte. Am Anfang verunsicherte mich seine unkontrollierten Bewegungen, die durch seine spastische Lähmung ausgelöst wurden, aber je länger ich mich auch mit ihm beschäftigte, desto mehr legten sich meine Hemmungen. Er beruhigte sich erst wieder, als seine Betreuerin und ich ihm versprachen, dass er auch mit meinem Rolli fahren durfte. Simi strahlte mich stolz an und klopfte mir auf die Schulter.

„Hast gut gemacht, Basti ist lieb, aber wird schwer für ihn, selber zu fahren. Kann die Arme nicht brauchen.“

„Du musst ihm halt helfen, so wie ein Außenbordmotor.“

„Oh, ist das wie der Motor für unsere Rakete?“

„Ja, nur dass du der Motor bist. Für die Rakete brauchen wir viele Motoren, aber für den Rollstuhl nur einen.“

Simi starrte mich verblüfft an, bevor er anfing, darüber nachzudenken.

„Viele Motoren für die Rakete? Oh, ich dachte, einer reicht. Das ist dumm. Ich habe nur einen geplant.“ Er sah so enttäuscht aus, dass ich meine Hand auf seine legte und ihn zu mir zog. Leise flüsterte ich ihm ins Ohr, dass ich eine Idee hätte und dass wir das Problem bestimmt locker lösen konnten. Simis Augen leuchteten vor Freude auf und eines der Mädchen, ich glaub, sie hieß Martha, klatschte in die Hände und trällerte laut: „Weeher flüühüühüstert lüühüügt.“

Alle Kinder starrten auf uns und ich drückte Simon schnell einen Kuss auf die Wange. „Unser Geheimnis, pssst.“, raunte ich ihm verschwörerisch zu und Simi nickte. „Ja, pssst.“

Mein Kuss wurde von einigen „Wääähs“ und „Iiiihs“ kommentiert, aber bald lachten alle wieder. Jemand bemerkte klug, dass das halt die Erwachsenen so machen, weil sie doof sind und eine rege Diskussion entstand, während der die Betreuer sich königlich amüsierten.


Nach dem Essen versammelten sich alle auf einem nahen Sportplatz und Basti durfte meinen Rolli ausprobieren. Voll Stolz ließ er sich von Simi um die Bahn schieben, während ich seinen elektrischen Luxusrolli zu bewegen versuchte. So dämlich wie ich mich dabei anstellte, brachte ich die Schar zum Lachen und Bastis Betreuerin, Susi, erklärte mir geduldig, was Basti mit seinem Stuhl selber machen konnte. Ich war überzeugt, dass sich Basti gewaltig freute, dass er den größten Depp entlarvt hatte. Interessanterweise störte mich dieser Gedanke in keinster Weise. Im Gegenteil, ich hatte mich schon lange nicht mehr so wohl gefühlt. Niemand sah mich mitleidig an, ich wurde von allen einfach akzeptiert. In der Reha maßen sich all an der Leistung des anderen, zumindest kam es mir so vor. Jeder wollte beweisen, wie erfolgreich er war. Ich zog es vor, allein zu sein, denn ich konnte einfach nicht akzeptieren, dass ich nicht mehr gehen konnte. Ich war so selbstsüchtig und Blind vor Wut, dass ich mich halt gegen alles auflehnte.


Als Herr Holenstein auftauchte, waren wir so beschäftigt, dass wir ihn zuerst gar nicht bemerkten. Erst als Schwester Yvonne nach Simon und mir rief, merkte ich, wie spät es war. Das Tschüss sagen dauerte ein Weilchen, denn ich musste jedem der Gruppe auch versprechen, dass ich mit Simi ganz sicher wieder auf Besuch kam. Erst dann ließ mich die Bande auch ziehen. Herr Holenstein sah schon ungeduldig auf die Uhr, aber Simi schien das nicht zu stören, im Gegenteil. Während ich in den kleinen Bus umstieg und Herr Holenstein den Rollstuhl im Gepäckteil versorgte, verschwand Simi nochmals im Haus und kam mit einer großen Tüte zurück. Ich wunderte mich, was er da wohl drin hatte, aber Simi gab sich sehr geheimnisvoll, setzte sich neben mich und legte seinen Arm um mich. Herr Holenstein wetterte noch ein wenig über die Verzögerung und ich entschuldigte mich, dass wir nicht auf die Zeit geachtet hatten. Ich erzählte ihm auch einiges von dem Erlebten und versprach, das nächste Mal besser auf die Uhr zu sehen. Irgendwie gelang es mir, ihn zu besänftigen, wobei Simi auch kräftig mithalf. Als wir vor dem Hotel ausstiegen, lächelte er wieder und strubbelte durch meine Haare.

„Dann wünsche ich euch noch einen schönen Abend, Jungs. Markus, pass auf unseren Simon auf, ja? Ich finde es gut, dass du dich mit Simon angefreundet hast. Wurde ja auch mal Zeit, oder? Wer weiß, vielleicht ändert sich ja jetzt einiges. Weißt du, dein Verhalten ist einigen von uns sauer aufgestoßen. Aber wenn ich euch beide so sehe, denke ich, das kommt gut.“

Simi hüpfte schon ungeduldig von einem Bein auf das andere und kaum hatte sich Herr Holenstein verabschiedet, drängte er darauf, dass wir aufs Zimmer gingen.



6. Eine große Familie, Markus

 

Ich zeigte Simi mein Zimmer und er sah sich staunend um. Besonders gefielen ihm meine Bücher, die ich in den letzten Monaten gelesen hatte und die in einem der Regale standen. Wir machten es uns mit einem, dessen Titelbild ihm am besten gefiel, auf meinem Bett gemütlich. Die Wahl des Buches ließ mich schmunzeln. Es war die Geschichte des kleinen Prinzen und das Titelbild mit dem Jungen auf seinem kleinen Planeten zog ihn einfach in den Bann. Das Buch bekam ich mal zu Weihnachten und seither begleitete es mich überall hin. Wir lehnten uns dabei an die Wand und Simi kuschelte sich an mich, während ich daraus vorlas. Nach dem ereignisreichen Nachmittag waren wir beide etwas faul und die Buchstaben verschwammen vor meinen Augen. Simi nahm es gelassen, dass ich nicht mehr weiterlesen wollte, und strahlte mich einfach an. Sein Arm, den er um meine Schultern gelegt hatte, zog mich näher zu ihm und er küsste mich ganz vorsichtig. Die Geste war so zart und ich fasste meinen Mut zusammen. Schwester Yvonne hatte ja geraten, einfach auszuprobieren. Ich küsste zurück und streichelte mit meiner Hand seinen Körper. Simi schien das sehr zu genießen und schon bald schickte auch er seine Hand auf Erkundungsreise. Seine vorsichtigen Berührungen weckten in mir Erinnerungen an ein anderes Leben, an Tom und was ich mit ihm zusammen gemacht hatte. Simi lächelte an meinen Lippen und raunte mir ins Ohr: „Du bist ganz hart, hier ...“, dabei drückte er seine Hand auf meine Mitte, bevor er meine Hand nahm und sie auf seinen Schritt legte.

„Und du auch.“ Zaghaft massierte ich sein Glied durch den Stoff seiner Hose und Simi schloss verzückt seine Augen. Mit einem erstaunten „Ooh“ bäumte er sich auf und schmiegte sich verzückt an mich.

„Ist schön so. Das mag ich. Aber was ist mit deinem Penis?“

„Keine Ahnung, er ist immer noch hart. Ich weiß nicht, was passiert, ich hatte irgendwie keine Lust das auszuprobieren.“

Simis liebevoller Blick wechselte in ein nachdenkliches, fast altklug wirkendes Grinsen.

„Dann probieren wir es. Ist ganz einfach, oder? Ich mach es wie du, dann sehen wir.“

Schon bald trug mich seine riesige Hand, die so zart sein konnte, in Sphären, die ich aus meinen Gedanken verbannt hatte. Ich fühlte mich frei und Simi freute sich, dass er mich zu den Sternen geführt hatte.

„Jetzt sind wir Stärnereisendi, du musst mitkommen und ihnen auch Geschichten erzählen.“

Ich weiß nicht mehr, wie lange wir danach einfach gemütlich knutschten und schmusten, aber irgendwann grummelten unsere Bäuche. Lachend beschlossen wir, etwas zu essen. Simi sprang auf, und holte seine Tüte. Er hatte einige Stücke der Wähen eingepackt und breitete sie nun auf dem Tisch in meinem Zimmer aus. Ich holte in der Zwischenzeit aus der Personalküche Teller und Besteck. Es war ein gemütlicher Ausklang für diesen spannenden und lustigen Tag. Wir gähnten uns nur noch an und gingen früh zu Bett, vor allem, weil Simi schon um sieben seinen Dienst anfangen musste. Herr Maihof brauchte mich erst ab zehn an der Rezeption. Somit konnte ich noch etwas länger im Bett bleiben.

Simi und ich zwängten uns in das Gemeinschaftsbad, das für unsere Zimmer bestimmt war. Wir blödelten so lange herum, bis jemand an die Tür klopfte und fand, dass es noch andere gab, die das Bad nutzen wollten. Kichernd verließen wir das Badezimmer und Maurice aus der Küchenbrigade wetterte hinter uns her.

Simi verschwand in seinem Zimmer und ich ging in mein Bett. Ich hatte mich gerade gemütlich eingekuschelt, als es klopfte. Bevor ich antworten konnte, öffnete sich die Tür und Simis Kopf erschien.

„Hab Tasche vergessen. Darf ich sie holen?“

„Natürlich. Du, was ist da eigentlich drin? Du hast sie so fest gehütet, dass ich nicht reingesehen hab.“

Simi war bei meiner Frage ins Zimmer geschlüpft und zu seiner Einkaufstüte gegangen.

„Oh, das sind Sternenbücher. Und Raumschiffe. Damit wir wissen, wohin wir fliegen. Ist doch wichtig, oder?“

„Aber sicher. Willst du sie zeigen?“

„Jetzt noch?“

Ich grinste und rutschte ein Stück zu Seite und machte ihm Platz auf meinem Bett.

„Klar, komm her, einmal anschauen geht immer.“

Simi ließ sich nicht zweimal bitten, und überglücklich kletterte er zu mir ins Bett unter die Decke, die ich angehoben hatte. Beinahe ehrfürchtig zog er die Bücher aus der Tüte und zeigte sie mir. Eines war ein Fotoband, mit Bildern, die vom Hubble-Teleskop gemacht wurden und zeigte atemberaubende Sternenbilder und Nebel. Zwei andere waren Kinderbücher mit bunten Bildern von Raumschiffen und Astronauten.

„Sag mal, du kannst wirklich nicht selber lesen?“

Simi schüttelte traurig den Kopf.

„Springen immer hin und weg, die Buchstaben. Kann es nicht merken. Irgendwie. Aber wenn du vorliest, dann verstehe ich sie.“ Simi sah mich dabei so schüchtern und gleichzeitig bettelnd an, dass ich einen Arm um ihn legte und fragte:

„Liest dir niemand vor? Ich meine, die anderen, sie sind doch sonst immer so nett zu dir.“

Simi schüttelte den Kopf.

„Nein, sind lieb, aber lesen? Ist viel Zeit und die haben sie nie. Sind immer wichtig unterwegs. Aber du nicht. Ich habe gesehen, wie du immer allein ins Zimmer gehst. Nie mit anderen. Warum?“

„Ich wollte nicht, weil - naja - ich war blöd. Weißt du, ich war auf alles wütend, weil ich nicht mehr gehen konnte. Ich wollte mit niemandem zusammen sein, wollte nicht aus Mitleid irgendwo hingenommen werden.“

Simi sah mich mit großen Augen an. „Bist du darum bei Yvonne so traurig gewesen?“ Ich konnte nur nicken.

„Dann ist gut, wenn ich dein Freund bin?“

Ich schluckte den Kloß in meinem Hals runter, der sich bei seiner Frage gebildet hatte und erschrak über meine eigene Stimme, als ich ein krächzendes „Ja“, rausbrachte. Simi schmiegte sich fester an mich und wir bestaunten die schönen Fotos im Hubble-Bildband.

 

Ich wachte kurz vor sechs auf und blinzelte, weil mich das Licht blendete. Ein leises Geräusch hatte mich geweckt und ich sah mich verwundert um. Simi schlummerte immer noch in meinem Arm, sein Kopf lag auf meinem Oberkörper. Auf der Bettdecke lagen die Bücher wild durcheinander. Der Bildband war offen, wahrscheinlich auf der Seite, wo wir zuletzt waren. Ich weckte Simi, da ich ja wusste, dass er schon bald zur Arbeit musste. Verschlafen murmelte er: „Will nicht ... Schööön hier ...“ und brachte mich zum Schmunzeln.

Nur widerwillig stand er auf und sammelte seine Bücher ein, bevor er mir einen Kuss gab und sich für die Arbeit fertigmachte. Ich blieb noch liegen, fand aber keinen Schlaf mehr.

 

Kurz vor zehn kam ich an die Rezeption und Monika, eine der beiden Rezeptionistinnen, begrüßte mich mit einem freundlichen Lächeln, bevor sie mich zu Herrn Maihof ins Büro schickte. Als ich die Tür öffnete und hinein fuhr, schien er mich bereits zu erwarten. Ohne Umschweife sprach er mich auf die plötzliche Freundschaft mit Simon an. Er ließ mich spüren, dass ihn mein Verhalten mehr als nur ein bisschen überraschte und ich staggelte eine Erklärung, die ihn aber nicht wirklich überzeugte. Über Simis Raumschiff sagte ich kein Wort, selbst als er mich fragte, was wir in dem Schuppen getrieben hatten. „Ob er uns gesehen hatte? Warum wollte er das wissen?“ Die Gedanken drängten sich auf, doch ich konnte aus seiner Mimik nicht erkennen, warum er mich danach fragte.

Lange sah er mich nachdenklich an, bevor er nickte.

„Gut, ich freue mich natürlich, dass ihr Freunde geworden seid. Zumindest hast du nicht geschwindelt. Schwester Yvonne hat mich gestern noch angerufen und war begeistert von dir. Sie hat mir auch gesteckt, warum du dich so unmöglich aufgeführt hast. Ich verstehe dich bis zu einem gewissen Grad. Finde allerdings, dass du trotzdem etwas zugänglicher hättest sein können. Immerhin scheinst du langsam den Rank zu finden. Aber sei dir bewusst, du übernimmst auch eine Verantwortung Simon gegenüber. Du wirst für ihn mitdenken müssen!“

Ich nickte und erntete ein dankbares Lächeln. Herr Maihof, der hinter seinem Schreibtisch saß, erhob sich und kam um den Tisch herum. Vor mir ging er in die Hocke und sah mir fest in die Augen. Ein verdächtiges Glitzern schimmerte in seinen Augen und er räusperte sich.

„Danke, dass du gestern meinen Sohn glücklich gemacht hast.“

Ich musste ihn wohl ziemlich bedeppert angesehen haben, den er grinste mich nur an, als er aufstand und nach einem Foto, dass auf dem Tisch stand, griff. Er hielt es mir hin und ich starrte auf den Jungen und den Mann, die in die Kamera lachten.

„Basti?“ Die Frage war eigentlich überflüssig und Herr Maihof nickte. Langsam verstand ich, warum sich Herr Maihof für mich eingesetzt hatte und wollte, dass ich mich auch mit Simon verstand.

„Simi hatte recht, ich war wirklich ein Idiot und habe nur an mich gedacht“, seufzte ich und Herr Maihof grinste.

„So hat er dich genannt?“

Ich konnte nicht anders, kichernd sah ich Herrn Maihof an und mit einem warm klingenden Lachen erwiderte er mein Kichern. Neckend strubbelte er durch meine Haare, als im selben Moment die Tür ohne Klopfen aufgestoßen wurde und Simon aufgebracht das Büro betrat.

„Nicht mit Mar-Kuss schimpfen, Chef. Ist mein Freund jetzt! Oh, ihr seid lustig? Nicht böse?“

Wir blickten beide in seine Richtung und Herr Maihof schüttelte immer noch lachend seinen Kopf.

„Öhm, wenn ihr fertig gelacht habt, kommt Markus in die Mittagspause?“

Im Hotel war es üblich, dass die Belegschaft vor dem Mittagsservice aß, und darum wurde das Essen schon um elf für das Personal gerichtet.

„Wir gehen gleich alle zusammen. Dann können wir zusammen essen. Was gibt es denn?“, fragte Herr Maihof und Simi schüttelte sich.

„Ratapfui, Schnitzel und Nudel, oder Herdöpfelgratin, mit Soße. Der Stift hat gekocht. Weiß nicht, ob das gut ist.“ Dabei zuckte er seine Schultern und ich musste ob seiner Grimasse gleich nochmals lachen. Herr Maihof räusperte sich, aber Simi lachte nun ebenfalls und so machten wir uns vergnügt auf den Weg in die Kantine.

 

Zu dritt kamen wir in den Raum und wurden von Phillipe und den restlichen Frauen und Männern aus der Küche begrüßt. Natürlich erntete ich einige fragende Blicke und Phillipe setzte sich zu uns an den Tisch.

„So, dann bist du jetzt Simons Freund? Dein Verhalten war ja nicht gerade fair. Ehrlich gesagt, glaube ich noch nicht so recht daran. Das ging ja plötzlich sehr schnell.“

Ich zuckte zusammen. Das Misstrauen hatte ich ja wohl verdient. Aber irgendwie tat das mangelnde Vertrauen doch weh. Noch bevor ich etwas sagen konnte, antwortete Herr Maihof:

„Philippe, lass die beiden Jungs. Ich habe mich gestern noch lange mit Schwester Yvonne unterhalten und ehrlich gesagt, kann ich Markus sogar ein wenig verstehen. Stell dir vor, du bist nochmals zwanzig und du kannst von null auf hundert deine Beine nicht mehr gebrauchen. Würdest du da nicht auch verzweifeln? So wie ich das sehe, hatte Markus einfach das Gefühl, nicht mehr ernst genommen zu werden. Deshalb rebellierte er gegen alle, die nett waren. Er dachte, man würde ihn nun auch auf ein niedriges, geistiges Niveau reduzieren. Gerade in seinem Alter ist das aber nicht lustig. Man will doch akzeptiert werden. Darum hat er sich in einem Igelpanzer eingewickelt und zuerst gebissen, nur damit andere ihn nicht zuerst verletzen. Ich finde, wir sollten den beiden durchaus eine Chance geben. Ich glaube, gestern hat Markus erkannt, dass er sehr wohl ernst genommen wird. Darum finde ich diese Freundschaft wichtig und gut.“

Phillipe musterte mich zweifelnd, während ich sprachlos war, dass Herr Maihof so offen darüber sinnierte, was meine Beweggründe sein könnten. Phillipe holte tief Luft bevor er mir drohte:

„Aber falls ich je sehen sollte, dass du zu Simon wieder gemein bist … ich schwöre dir, Bürschchen, dann kannst du dich auf etwas gefasst machen!“

Herr Maihof klopfte seinem Küchenchef kameradschaftlich auf die Schultern und besänftige ihn.

„Das glaube ich wirklich nicht. Wenn, dann müssen wir nur aufpassen, dass sie keinen Seich anstellen. Beide sind Lausbuben und haben nur Flausen im Kopf. Aber so soll es sein. Nur so finden sie heraus, was sie können und wo Grenzen gezogen werden müssen. Markus wird lernen müssen, Verantwortung zu übernehmen. Nicht nur für sich, sondern auch für Simon. Dadurch wird er auch sich besser kennenlernen und wird ein wertvolles Mitglied unserer Familie.“

Sicher war das ganze Team wohl eher eine große, bunte Familie, aber es erstaunte mich doch sehr, dass die beiden so offen über uns sprachen. Allerdings kam es oft vor, dass gerade die Essenszeit für Gespräche, die dem Wohl aller dienten, beim gemütlichen Essen abgehandelt wurden. Obwohl es diesmal mich betraf, freute ich mich, dass sich Herr Maihof für mich einsetzte und versuchte, Phillips Misstrauen abzuschwächen. Simi hatte den beiden ebenfalls still zugehört und sah mich zufrieden an. „Siehst du, alles wird gut.“, schien sein Blick zu sagen und ich nickte ihm verstehend zu.

 

Am Nachmittag erledigte ich meine Aufgaben, Menükarten für den nächsten Tag schreiben und die Arbeitspläne kopieren, bevor ich sie an die verschiedenen Stellen weiterleitete. Kurz vor Feierabend half ich Monika noch, eine Gruppe neuer Gäste einzuchecken, und war froh, als ich endlich auf mein Zimmer kam. Simi war noch nicht da und so beschloss ich, meine Eltern anzurufen. Zuerst meine Mutter, denn sie hatte am meisten unter meinen Launen gelitten. Sie freuten sich wie wahnsinnig, als ich mich zaghaft für mein Verhalten entschuldigte. Meine Mutter weinte sogar und am liebsten hätte ich sie umarmt, aber durch die Leitung war das ja nicht möglich. Bei meinem Vater tat ich mich schwerer, aber als wir dann miteinander sprachen, fiel plötzlich meine Barriere. Seit langem führten wir wieder ein richtiges Männergespräch, ohne dass ich gleich ausrastete. Danach fühlte ich mich richtig gut. Nie hätte ich gedacht, dass meine Eltern so viel von mir hielten, ich hatte sie vollkommen falsch eingeschätzt. Beide freuten sich, als ich ihnen verriet, dass ich nun einen Freund hatte, allerdings war meine Mutter skeptisch, als ich von seiner Behinderung erzählte. Noch vor kurzem hätte ich ihr zugestimmt, aber seit dem Besuch bei Schwester Yvonne sah ich es anders. Ich erzählte ihr, was Herr Maihof von der Geschichte hielt und sie meinte danach, dass er vielleicht Recht hatte. Zumindest war sie nicht dagegen und ich versprach, sie mal mit Simi zu besuchen. Beide Gespräche hinterließen ein befriedigendes Gefühl und die anfänglichen Hemmungen hatten sich schnell verflüchtigt. Ich war richtig stolz, dass ich diesen ersten Schritt zur Versöhnung gemacht hatte.

 

Überhaupt änderte sich seither auch mein Verhältnis gegenüber meinen Kollegen. Ich spürte, wie ich ein Teil dieser großen Familie wurde. Ich war nicht länger ein Außenseiter.

 

7. Die Sache mit der Verantwortung, Markus

 

Herr Maihof sorgte dafür, dass die freien Tage von Simon und mir so abgestimmt wurden, dass wir sie zusammen verbringen konnten.

Verantwortung übernehmen, bedeutete nun nicht nur, meine Bedürfnisse zu erkennen und Eigenverantwortung zu übernehmen, sondern ich musste lernen, auch für Simi mitzudenken. Das war nicht immer einfach, vor allem, wenn es um uns beide ging.

Die Freude über unsere Beziehung war überschwänglich. Dafür sorgten die Schmetterlinge in unseren Bäuchen. Er küsste mich gerne und suchte den körperlichen Kontakt. Mir gefiel das natürlich. Aber da wir oft Gäste hatten, die vielleicht nicht so viel Verständnis für zwei knutschende Kerle hatten, musste auch mein Schmusebär lernen, nicht jedes Mal wenn wir uns trafen, über mich herzufallen. Dasselbe galt für mich, auch ich musste mich zusammenreißen. Es war das Einzige, worum mich Herr Maihof bat. Kein Knutschen im öffentlichen Bereich des Hotels.

Was ich aber toll fand, waren die Reaktionen unserer Arbeitskollegen. Immerhin war es eine gemischte Truppe, die sich aus verschiedenen Nationalitäten zusammensetzte. Sie akzeptierten unsere Freundschaft und weil Simi bei allen beliebt war, freuten sich auch diejenigen unter ihnen für uns, die mit Homosexualität sonst nichts anfangen konnten. Vielleicht nahmen sie ja auch an, dass ich halt nicht richtig im Kopf war, schließlich saß ich ja im Rollstuhl?

Diesen Gedanken verwarf ich jedoch schnell wieder, denn unsere Kollegen zeigten mir, dass sie durchaus nicht so von mir dachten. Tom und ich trafen uns damals in Davos nur heimlich, befriedigten unseren Trieb, ohne dass es jemand mitbekam. Aber Simi sah das anders. Er war, wie er war. Ehrlich, offen und unverfälscht. Ihm schien es egal zu sein, was andere von ihm hielten. Viele zwischenmenschliche Interaktionen überforderten ihn, vor allem wenn Leute etwas sagten, dass sie nicht so meinten. Herr Maihof beobachtete uns, aber ich machte meine Hausaufgaben diesbezüglich und wir bekamen nie Klagen von den Gästen. Der Hoteldirektor war zufrieden und erkundigte sich bei mir eines Tages, wie ich es geschafft hatte, dass Simon so toll mitspielte. Ich platzte vor Stolz über seine Worte und erzählte ihm, dass ich Hilfe von Leo bekommen hatte.

 

Bei einem der Besuche im Heim, bei Schwester Yvonne, lernte ich Leo kennen. Er war einer der Betreuer und kümmerte sich neben Susi vor allem um Basti. Eine seiner Aufgaben war aber auch, die männlichen Bewohner aufzuklären. Nicht immer eine einfache Aufgabe, denn jeder der Heimbewohner hatte seine eigenen Ansichten, wenn es um Sex ging. Er hatte schon in anderen Heimen gearbeitet, wo er diese Aufgabe innehatte, und hatte zu diesem Thema viel Erfahrung. Jeder seiner Schützlinge war ja anders, genauso, wie die 'normalen' Liebespaare es ja auch sind und er sprach gerne und offen über dieses Thema. So kam es, dass Simi und ich ihn oft in Beschlag nahmen und seine einfühlsame Art half, dass Simi es akzeptieren konnte, seine Gefühle mir gegenüber, nicht jedem auf die Nase zu binden. Oft saß auch Basti dabei und hörte uns zu. Ob er jedoch alles verstand, konnte ich nicht beurteilen.

Basti machte sich allerdings durchaus Gedanken, ob er je eine Freundin finden würde. Ihm gefiel nämlich seine Betreuerin und er war heimlich in sie verliebt. Ein Umstand, der nicht einfach für ihn war. Er traute sich nicht, ihr das zu zeigen, oder mit Hilfe seines Sprachcomputers etwas zu sagen. Er war einfach viel zu schüchtern. Mit seinem Sprachcomputer konnte er zwar gut umgehen, aber seine Gefühle damit zu übermitteln, war etwas anderes. Es bedeutete ihm jedoch viel, wie sie mit ihm umging und er schwärmte von ihr. Ihre offene und freundliche Art, mit der sie sich um ihn kümmerte, behagte ihm halt sehr und weckte Bedürfnisse, die ihn verwirrten. Nachdem wir das herausgefunden hatten, staunte ich über Susi. Sie ging sehr gelassen mit diesem Wissen um und behandelte Basti nicht anders, als zuvor. Leo, der ihr oft half, gelang es, ihn zu überzeugen, dass er Susi zwar gern haben durfte, aber dass da nie mehr sein würde. Basti akzeptierte dies, war aber für eine Weile recht niedergeschlagen. Er tat mir leid, zeigte mir aber auch, dass Sex und Behinderung eine Gratwanderung waren, wenn es um die Liebe ging.

Schwester Yvonne war dem Thema Sexualität bei jungen Behinderten sehr aufgeschlossen. Hatte sie bei meinem ersten Besuch nur augenzwinkernd gemeint, wir sollten selber herausfinden was Simi und ich wollten, so wurde mir doch bewusst, dass das keine leichte Übung war. Hatte ich mit Tom oft eine 'heiße' Nacht gehabt, bei der wir ordentlich zur Sache gingen, so war es mit Simi ganz anders. Seit meinem Unfall hatte ich keinen Sex mehr und ich genoss es nun, wenn Simi und ich einfach schmusten. Manchmal bekam ich eine Erektion, manchmal nicht. Meine Bedürfnisse und Empfindungen hatten sich durchaus verändert. Simi war das egal, solange er kuscheln durfte und ich ihn, wenn er erregt war, mit Händen und Zunge verwöhnte, bis er kam. Das machte ihn sehr glücklich und ich liebte diesen Anblick, wenn er kam. Dabei bekam auch ich einen Orgasmus, der zwar nicht so intensiv war wie früher, dafür war es ein anderes Empfinden. Ich erlebte die Gefühle mehr in meinem Kopf und dadurch waren sie irgendwie nachhaltender. Dass diese Empfindungen sehr intim waren und die Welt außerhalb unseres Zimmer niemanden angingen, verstand Simi sehr schnell. Dass wir uns im Hotelbereich nicht küssen durften, viel uns oft schwerer, aber wir fanden den Rank. Schließlich gab es ja auch genug Ecken, wo wir uns ein paar Zärtlichkeiten stehlen konnten, ohne dass es alle mitbekamen. Simi war sehr anhänglich, für ihn bedeutete es viel, dass er seine Gefühle mir gegenüber, durch Berührungen ausdrücken konnte und es störte mich kein bisschen. Ich genoss es einfach und fühlte mich bei ihm wohl.

 

Was die Eigenverantwortung anging, so begann ich wieder mit dem Training, dass ich so ziemlich vernachlässigt hatte. Nachdem ich aus der Reha entlassen war, hatte ich in meinem Frust nämlich nur das Nötigste gemacht. Dadurch war vieles, was in mühseliger Arbeit aufgebaut wurde, wieder zurückgegangen. Ralf, einer der Physiotherapeuten, der im Wellnessbereich eingestellt war, half mir dabei. Simi, dem vor allem gefiel, wenn wir uns im hauseigenen Hallenbad aufhielten, wurde von ihm eingespannt. So lernte Simi, auch für mich Verantwortung zu übernehmen. Ich liebte diese Lektionen und oft tobten wir noch ausgelassen im Wasser, selbst wenn die Therapiesitzung vorüber war.

Meistens waren wir allein, aber hin und wieder teilten wir das Becken mit anderen. Es gab selten bis nie Probleme mit den anderen Gästen, selbst wenn Simi mich küsste. Außer einmal. Meine Therapiestunde war gerade fertig, da kam ein Gast in das Hallenbad, von dem ich wusste, dass er aus Ägypten kam. Ich vermute, er wollte nur freundlich sein und fand es nett, wie ich mich um Simi bemühte. Er erklärte, dass sein Bruder auch behindert sei, und fand es süß, wenn Simi mich küsste. Der Schock, als ihm Simi stolz erklärte, dass ich nicht sein Bruder war, sah man dem guten Mann an. Aber er machte gute Miene zum Spiel, ließ uns danach in Ruhe und verließ das Hallenbad sehr schnell wieder. Am nächsten Tag reiste er ab, dabei starrte er mich verwirrt an, als ich ihm die Rechnung ausstellte. Ihm fiel nun mein Rollstuhl auf, den er am Vorabend nicht wahrgenommen hatte. Vielleicht dachte er auch, der gehörte Simon. Keine Ahnung, aber immerhin rundete er seine Rechnung ziemlich großzügig auf. Ob er seine Einstellung überdachte? Keine Ahnung. Wenigstens beschwerte er sich nicht. Allerdings spürte ich sehr wohl, dass ihn diese Begegnung überfordert hatte.

 

Eine weitere Übung wurde auch die Reise zu meiner Mutter. Sicher wäre mein Vater mit uns zu ihr gefahren, aber ich wollte beweisen, dass wir das auch alleine konnten. Mit meinem Vater verstand ich mich wieder besser, denn nach meinem Telefongespräch, bei dem ich lange mit ihm sprach und ihn um Verzeihung bat, fanden wir wieder einen Weg zueinander. Es tat gut, denn ich hatte meinen Vater sehr gerne. Er mochte Simon auf Anhieb und dankte ihm, dass er mich wieder auf den rechten Weg gebracht hatte. Simi war über diese Reaktion sehr überrascht, freute sich aber auch, dass er meinen Papa kennenlernen durfte.

Herr Maihof fand die Idee, auch meine Mutter zu besuchen, ebenfalls gut und half dabei, die besten Zugverbindungen herauszusuchen. Er war sich durchaus bewusst, dass die Reise mit dem Zug ein spannendes Abenteuer für uns war, bei dem nur mit guter Vorausplanung einige unnütze Schwierigkeiten umgangen werden konnten. Vor allem ging es ja darum, dass Simi und ich selber ein- und aussteigen konnten und wir gut am Ziel ankamen. Die SBB ist sehr vorbildlich und wir fanden im Internet schnell die passenden Verbindungen, wo uns das Ein- und Aussteigen leicht gemacht wurde, in dem uns Hilfe vom Bahnpersonal zugesichert wurde. Es gab aber auch die Möglichkeit, wo ich bei einigen Zügen selber, ohne Probleme mit meinem Flitzer ein- oder aussteigen konnte. Die Wahl fiel uns nicht leicht, doch wir fanden passende Verbindungen, die uns so viel Selbstständigkeit wie nur möglich gewährten und die beinahe vierstündige Reise wurde genauestens geplant. Ende Mai gab uns Herr Maihof ein paar Tage am Stück frei. Für Simi war es die erste große Reise, ohne dass ein Betreuer dabei war, der uns helfen konnte.

Als wir in Rheinfelden ankamen, platzte er vor Stolz, weil alles so reibungslos geklappt hatte. Meine Mutter verfiel Simis Charme sehr schnell. Hatte sie am Telefon noch Bedenken geäußert, ob ich mir da nicht zu viel aufgehalst hatte, war sie schon nach kurzer Zeit vom Gegenteil überzeugt. Wie auch mein Vater bemerkte sie meine positive Veränderung sehr schnell und verwöhnte Simi zum Dank. Auch wenn wir in der Zwischenzeit oft telefoniert hatten, war es doch schön, wieder einmal zu Hause zu sein und von Angesicht zu Angesicht zu reden. Sie bewunderte mich, wie ich mit Simi umging, denn es war ihr durchaus bewusst, dass ich, obwohl jünger, nun der Ältere war. Sie gab ehrlich zu, dass sie vielleicht dieser Aufgabe nicht gewachsen wäre. Wobei, festlegen wollte sie sich nicht. Ich war überzeugt, wenn ich behindert zur Welt gekommen wäre, hätte sie bestimmt alles richtig gemacht und mir einen wohlbehüteten Start ins Leben ermöglicht. Wir stritten schon fast über das Thema, allerdings war es eine nicht allzu ernste Diskussion und Simi, der uns mit großen Augen zuhörte, merkte sehr schnell, dass wir das nicht so eng sahen. Er nahm meine Mutter kurzerhand in seine Arme und drückte ihr einen richtig feuchten Schmatzer auf die Wange. „Musst nicht schimpfen, liebe Mama. Alles ist gut und ich pass auf Mar-Kuss auf.“ Sie war im Moment so verdattert, dass sie nicht wusste, was sie sagen sollte. Erst als Simi sie wieder auf den Boden stellte, er hatte sie bei der Umarmung hochgehoben, lächelte sie und antwortete.

„Ja, das weiß ich jetzt. Ich bin froh, dass er dich kennengelernt hat. Du hast ihn gut erzogen.“

Bei diesen Worten wurde Simi rot und kratzte sich verlegen am Kopf.

„Ich habe ihn nicht erzogen, das hat er schon gelernt. Er hat es nur vergessen. Darum ist er ein Idiot geworden. Weißt du, Mama Bethli (meine Mutter heißt Elisabeth, wird aber nur Bethli gerufen), er lernt schnell. Schneller wie ich, aber er denkt nicht immer, bevor er etwas macht, darum ist er trotzdem langsamer im Denken. Aber jetzt ist alles gut. Sein Herz ist wieder da, wo es sein muss. Und er kennt so viele schöne Geschichten, das mag ich besonders an ihm.“

Mama schniefte nach dieser Rede und floh ins Bad. Simi sah mich verdattert an und fragte: „Habe ich was Falsches gemacht? Warum ist Mama traurig?“ Ich ging zu ihm und drückte seine Hand.

„Nein, mein Großer, ich glaube, sie ist nur überwältigt. Weißt du, mein Unfall und mein Benehmen danach, hat sie sehr mitgenommen. Du hast mir klar gemacht, dass ich ein Arschloch war. Sie hat dich deshalb sehr lieb und glaube mir, du hast sie sehr glücklich gemacht, weil du mir geholfen hast, wieder glücklich zu sein. Klingt blöd, aber es ist wahr. Sie will nur nicht, dass wir sehen, dass sie vor Glück heult. Sie ist nicht traurig.“

„Komisch, ich weine nur, wenn ich fest traurig bin. Wenn ich glücklich bin, muss ich immer lachen. Ist das so, wenn man eine Mama ist?“

Ich musste schmunzeln, es rührte mich, wie er sich um meine Mutter sorgte.

„Vielleicht, ich weiß es nicht. Was ich aber weiß, ich hab dich sehr, sehr lieb. Du bist mein Sonnenschein geworden und ich möchte nicht, dass wir getrennt werden. Ich freue mich, dass Mama dich auch gerne hat. Das war mir sehr wichtig. Sie war nämlich traurig, als ich ihr gesagt hatte, dass ich mit einer Freundin nichts am Hut habe. Jetzt versteht sie es.“

Simi beruhigte sich wieder, das Verhalten meiner Mutter hatte ihn ziemlich verunsichert. Nachdem sie sich wieder im Griff hatte, war Simi sehr behutsam und ich musste mir einige Male das Lachen verkneifen. Die paar Tage vergingen viel zu schnell und als wir zurückmussten, hatten wir noch einiges mehr an Gepäck. Wir hatten noch ein paar Sachen von mir gefunden, die wir für unser Raumschiff nutzen wollten.

Bevor wir in den Zug einstiegen, drückte uns Mama nochmals ganz fest und erklärte Stolz, dass sie nun zwei wunderbare Söhne hatte.

Müde und zufrieden kamen wir am Abend an und Herr Holstein holte uns vom Bahnhof ab. Simi erzählte ihm begeistert von unserer Reise und als wir endlich im Personalhaus angekommen waren, ging es gleich weiter. Phillipe, der uns im Flur begegnete, wurde zum Opfer von Simis Begeisterung. Ich sah Phillipe an, dass er zwar aus Höflichkeit zuhörte, aber eigentlich viel zu müde war. Dankbar sah er mich an, als es mir gelang, Simis Redefluss zu unterbrechen. Simi verstand das Phillipe sehr müde war und ich musste lächeln, als er ihn fragte, ob er den gerne eine Gutenachtgeschichte hören wolle und pries mich voller Stolz als besten Geschichtenerzähler an. Zu meinem Glück bestand Phillipe aber nicht auf eine Geschichte und es brauchte nicht viel Überzeugungskraft, um Simi in unser Zimmer zu locken.

Ja, unser Zimmer. Herr Maihof teilte uns eines Tages eines der Doppelzimmer zu, da wir eh nur noch in einem schliefen. Das gab Raum für zwei andere, die sich ein Doppelzimmer teilen mussten, aber lieber ein eigenes Zimmer gehabt hätten. Für mich und Simi war es so am einfachsten und hatte den Vorteil, dass wir auch ein größeres Bett hatten.

 

Am nächsten Tag gab es natürlich viel zu erzählen. Herr Maihof erkundigte sich schon früh bei Simi und natürlich lieferte er einen genauen Bericht über die vergangenen Tage. Als ich dann meinen Dienst anfing - ich war an der Rezeption eingeteilt und wie immer fing ich später als Simi an, rief er mich gleich ins Büro. Er schien sehr zufrieden mit uns zu sein und freute sich, dass wir unsere Reise so ohne Probleme durchführen konnten.

Überhaupt änderte sich die Einstellung mir gegenüber. Waren alle zu Beginn unserer Freundschaft misstrauisch, so freuten sie sich nun, dass es mir ernst war und dass Simon und ich so gut harmonierten. Doch das wahre Unglück wurde unser Raumschiff.

 

8. Das Raumschiff, Markus



Doch die Sache mit der Verantwortung hatte auch Grenzen. Sicher würde jeder erwarten, dass ich immer ganz brav war. Dem war aber bei Weitem nicht so, denn unser Raumschiff war nach wie vor ein hochgestecktes Ziel. Daran arbeiteten wir, wann immer wir konnten. Aus den Brettern, einigen alten Leintüchern und vielen Arbeitsstunden, kamen wir der Vollendung entgegen. Unser Raumschiff sah ganz anders aus, als wir es geplant hatten. Da wir ja zu zweit 'fliegen' wollten, musste es auch breiter gemacht werden. Und wir bekamen mit unseren einfachen Werkzeugen auch keine perfekten Rundungen zustande. Aber das war egal. Es war halt eckig und sah wohl eher wie eine große Seifenkiste aus. Wenigstens hatte es Flügel, die wir durch den Rumpf hindurch an einem Stück beließen. So hatten wir eine Sitzgelegenheit. Auch für die Kabinenscheiben hatte ich gesorgt. Im Baumarkt erstand ich Plexiglasscheiben und die hatten wir mithilfe von dünnen Hölzern zu einem monströsen Dach zusammengesetzt. Simi sah die Konstruktion sehr skeptisch an, aber ich war der Meinung, dass es so viel Ähnlichkeit mit einem Stealth-Fighter hatte. In einer Doku über amerikanische Raumfahrt und Kampfjets zeigte ich Simi, was ich meinte. Danach war er begeistert und fand, dass wir so auch unsichtbar für die bösen Männer waren. Das war gut, denn seine größte Sorge war, dass die Männer in schwarzen Anzügen, ihm sein Raumschiff klauten.

Radschi, der unfreiwillig eingeweiht war, weil er den Schuppen mitbenutzte, half uns hin und wieder. Er musste feierlich schwören, nichts zu verraten und weil er selber vier Jungs hatte, bat er uns im Gegenzug, dass sie auch mal mit dem Raumschiff 'fliegen' durften. Simi war zuerst skeptisch, aber als Radschi uns mal mit seinen Buben besuchte, stimmte er zu. Die Jungs nahmen ihn in Beschlag und stellten gefühlte tausend Fragen, die er alle begeistert beantwortete. Danach war das Eis gebrochen und ich erzählte ihnen die Geschichte von dem kleinen Prinzen, der seinen Planeten verlassen hatte um die anderen zu besuchen.

Die Jungs fanden die Idee, all diese Sterne auch zu besuchen lustig und so kam es, dass ich auch noch weitere Geschichten dazu erfand. Es war wirklich ein lustiger Nachmittag und Radschi stiftete uns sogar Räder, die von einer alten Schubkarre stammten. So mussten wenigstens nicht die Räder von meinem Rollstuhl dran glauben.


Das Triebwerk war auch so eine Sache. In den Dokus über die Raumfahrt sah man ja immer, dass die Raketen mit viel Lärm und Qualm starteten. Simi war der Meinung, dass unser Raumschiff auch so starten musste. Ich kam schon früh auf die unglückselige Idee, dafür Feuerwerksraketen zu nehmen. So war ich also für das Triebwerk zuständig. Kurz vor dem 1. August, dem Nationalfeiertag der Schweiz, kaufte ich also an einem Stand für ein halbes Vermögen Raketen und bastelte damit ein Triebwerk. Die Raketen verband ich mit einer Zündschnur und steckte sie in ein Brett, welches das Heck der Rakete bildete. Ob es als Beschleunigung tauglich war, konnte ich nicht einschätzen, aber sicher war, dass es mit viel Krach und Getöse unseren Start einleitete.

Mitte August war es dann soweit. Der Vollmond strahlte in seiner ganzen Pracht und in seinem Schein schleifte Simi unser Raumschiff zu unserem 'Startplatz'. Wir wollten zuerst den Mond besuchen, damit wir von ihm erfuhren, welche Sterne am dringendsten eine Geschichte brauchten. Simi war der Meinung, dass nicht alle Sterne so allein waren, dass sie auch gleich eine Geschichte bräuchten. Ich fand seinen Enthusiasmus einfach süß und wollte ihn nicht enttäuschen. Darum stimmte ich zu. Ich dachte nicht weiter nach, unser Projekt war einfach zu genial und die ganze Bauzeit sollte ja nicht umsonst gewesen sein.


Wir mussten unser Raumschiff so ausrichten, dass das Triebwerk in Richtung des alten Schuppens zeigte, denn unglücklicherweise ließ das Gelände keine andere Möglichkeit zu. Nachdem wir uns in das Raumschiff gesetzt hatten, zündete ich die Raketen an und das einsetzende Getöse, die laute Knallerei, übertraf unsere Vorstellung. Tatsächlich bewegte sich unser Gefährt ein wenig und der Abhang tat das seine dazu. Immer schneller wurde es und als wir über eine Bodenwelle hüpften, flog es sogar einige Meter. Aber bei der folgenden Landung brach ein Rad weg und so überschlug sich das ganze Gefährt. Die Kabinenfenster flogen davon und Simi und ich purzelten raus …


*****

 

 

Simi bewegte sich im Schlaf, murmelte etwas Unverständliches und kuschelte sich noch fester an mich. Draußen wurde es hell und ich hatte kein Auge zugetan, während mir die letzten Monate durch den Kopf gingen.

Ja, ich machte mir Vorwürfe, jetzt im Nachhinein kam mir die Idee blöd vor. Aber sie war für uns zu keinem Zeitpunkt dämlich. Sie verband uns, war unser Geheimnis und es machte ja Spaß. Die Geschichten, die ich ausdachte, die Momente, in denen wir nach dem Basteln einfach auf der Wiese lagen, dabei den Sternenhimmel beobachteten und ich den Sternen Gute-Nacht-Geschichten erzählte. Das waren alles wunderschöne Erinnerungen, die unserer Freundschaft und Liebe eine besondere Würze gaben. Hatte ich das nun vergeigt? Ich hatte Angst vor dem Morgen, denn ich war überzeugt, dass die Konsequenzen nicht gerade freundlich ausfallen würden. Es tat mir weh, wenn ich an den Blick von Herrn Maihof dachte. Dieser vorwurfsvolle, vernichtende Blick. Würde er mich rausschmeißen? Sollte ich von Simi getrennt werden? Was geschah dann mit ihm?

Fragen, die ich mir vorher hätte stellen sollen. Nun war es zu spät, der Schuppen ein Trümmerhaufen. Gesehen hatte ich ihn allerdings nicht, aber laut den anderen wurde er von einer Rakete getroffen und ist abgebrannt. Angeblich, denn mir fiel auf einmal ein, dass ich ja keinen Rauch gerochen hatte. Hatte Herr Maihof übertrieben? Nun, wir werden es ja bald erfahren. Ich spürte die Müdigkeit, aber die Uhr zeigte schon bald sechs Uhr und ich traute mich nicht einzuschlafen. Ich wollte wach sein, wenn wir gerufen wurden.


Ich hatte versagt. Fühlte mich elend und vor allem tat mir Simi leid. Ich wollte nicht, dass er in Schwierigkeiten kam. Aber genau das hatte ich provoziert, weil ich zu enthusiastisch war, weil ich ihn nicht verletzen wollte. Dabei hatte ich alles schlimmer gemacht. Zärtlich streichelte ich durch Simis Haare und spürte, wie mir die Tränen über das Gesicht liefen. Wir waren leichtsinnig, übermütig und jetzt kam das Erwachen. Ich hatte wirklich Schiss. In den letzten Monaten hatten Simi und ich so ein inniges Verhältnis aufgebaut, dass ich fürchtete, eine Trennung aufgrund der nächtlichen Ereignisse, würde nicht nur mich aus der Bahn werfen.


9. Flucht, Markus


Simi wachte auf und sah mich aus verschlafenen Augen an. Sein erster Satz war:

„Wir müssen weg hier, schnell, Chef darf dich nicht von mir wegschicken. Will nicht ohne dich hier sein.“ Dabei drückte er mir einen Schmatzer auf die Backen und zuckte zusammen, als er die Tränen spürte.

„Du bist auch traurig?“

Ich konnte nur nicken und Simi sprang schnell aus dem Bett. Dabei zog er meine Hand mit und ich wäre beinahe aus dem Bett gefallen.

„Komm, schnell, jetzt schlafen noch alle! Sie merken nicht, dass wir weg sind.“

Ich schniefte und schüttelte den Kopf. „Nein, Simi, wir müssen das durchstehen. Wir haben einen Seich gemacht und nun müssen wir die Konsequenzen tragen. Vielleicht finde ich hier in der Nähe was und wir können trotzdem zusammen bleiben.“

„Nein, will nicht. Will nicht ohne dich sein. Nein, wir müssen zusammen weg! Ganz schnell! Ich helfe dir und dann gehen wir weit fort.“

Simi hatte sich schon angezogen und stand startbereit vor mir. Ich sah ihn lange an, dann nickte ich. Ich wusste, es war dumm. Dümmer als das Raumschiff und unser missglückter Start. Aber er hatte Recht. Auch ich wollte nicht von ihm getrennt sein und es war fraglich, ob ich einen anderen Arbeitsplatz hier in der Gegend fand. Obwohl ich wusste, dass es nicht klug war, ließ ich ihm seinen Willen. Irgendwie hatte sich mein Verstand endgültig verabschiedet. Vielleicht lag es auch daran, dass ich total übermüdet war. Allerdings hatte ich auch keine Lust, mir Vorwürfe anzuhören. Nicht an diesem Tag. Vielleicht war Herr Maihof dann einfach froh, wenn wir wohlbehalten irgendwo auftauchten.

Ich zog mich an, packte unsere Ausweise und das Portemonnaie in meinen Rucksack, den wir am Rollstuhl festmachten. Heimlich und ungesehen verließen wir das Gebäude. Laut Wetterprognose sollte es ein schöner und trockener Tag werden und als wir uns auf den Weg in Richtung Appenzell machten, sah man bereits die Sonne aufgehen. Von Appenzell aus wollten wir mit dem nächsten Zug so weit wie möglich wegfahren, wobei es uns egal war, in welche Richtung. Soweit der erste Plan. Geld hatte ich genug auf dem Konto, ich hatte von meinem Lohn nicht so viel gebraucht und es hatte sich ein schönes Sümmchen aufgetürmt. Das sollte eine Weile reichen und wer weiß, vielleicht legten sich ja die Wogen bis dann wieder.


Dummerweise hatte ich nicht darauf geachtet, in welche Richtung mich Simi schob. Zuerst ging es bergab, so wie es sein sollte. Ich musste wohl eingenickt sein, denn als ich das nächste Mal aufwachte, ging es stark bergauf. Schon bald wussten wir nicht mehr, wo wir waren. Aber Simi stieg unermüdlich weiter, weg von der Gefahr, die er erwartete. Auf meine Argumente, dass wir möglicherweise irgendwo falsch abgebogen waren, wollte er nicht hören. Der Weg wurde immer schmaler und wir standen vor einer Weide, auf der eine Herde Kühe gemütlich am Grasen war. Ein schmaler Durchgang ermöglichte zwar das Weiterwandern, doch für meinen Rollstuhl war er viel zu eng. Simi hob mich auf die andere Seite, dann packte er den Rollstuhl über den Zaun. Die Kühe beobachteten unser Tun neugierig und Simi hatte größte Mühe, meinen Rollstuhl weiter zu schieben. Irgendwann schlug ich vor, dass er mich ziehen sollte. Das fühlte sich zwar blöd an, aber funktionierte zumindest. Immer steiler und schmaler wurde der Weg und stellenweise hatte ich Angst, dass es überhaupt nicht mehr weiter ging, doch irgendwie schafften wir es und plötzlich wusste ich wieder, wo wir waren. Wir hatten es fertig gebracht, den Kronberg zu besteigen. Wir fühlten uns wie die Bergsteiger, die einen der gewaltigen Berggipfel erklommen hatten, obwohl die 1660 Meter über Meer nicht gerade gewaltig klingen. Trotzdem, für uns war es eine stolze Leistung. Sanfte Wiesen und ein schmaler Weg führten zum Bergrestaurant und die Luft roch richtig frisch. Vieles hatte sich seit meinem letzten Besuch als Kind nicht geändert, Ziegen sprangen über die Wiesen und wir sahen schon bald das Dach des Restaurants hinter einem Rank auftauchen.

Die Aussicht war traumhaft und trotz dem Ernst der Lage freuten wir uns. Wir waren zusammen! Standen auf dem Berg und konnten den Bodensee im Norden erahnen, denn die Sicht wurde durch einen dunstigen Schleier getrübt. Im Süden ragte der Säntis hoch über die Landschaft und der Blick auf das Alpsteinmassiv war überwältigend. Beinahe hatte man das Gefühl, man müsse nur wenige Schritte machen und schon wäre man da. . Die Sonne stand schon hoch, beinahe im Zenit und wir hatten beide einen Mordshunger. Das Restaurant war gut besucht, aber wir fanden einen gemütlichen Platz und schon bald konnten wir unsere knurrenden Bäuche beruhigen. Die Luftseilbahn, die von Jakobsbad hinauf fuhr, würde uns einfach und gemütlich wieder vom Berg hinunter bringen, denn sogar Simi war der Meinung, so eine Wanderung wolle er nicht mehr machen. Wir grinsten uns an, denn es gefiel uns hier und wir verspürten keine Lust, diesen Ort so schnell wieder zu verlassen. Das Panorama war so eindrücklich, wie ich es in Erinnerung hatte und Simi, der zwar auch nicht das erste Mal hier war, wie er mir gestand, gefiel es genauso. Wahrscheinlich lag es vor allem daran, weil wir zusammen waren, denn für mich war es damals nur ein öder Ausflug mit den Eltern.


„Meinst du, da oben, auf dem Säntis, da sieht man die Sterne auch gut? Fast so wie mit dem Raumschiff?“

„Naja, wir sehen sie schon, aber wir können da nicht landen. Dafür sind sie zu weit weg.“

Simi nickte. „Ja, da hast du recht. Aber sie könnten uns besser hören, oder?“ Ich seufzte. Der Gedanke, dass wir mit unserer Flucht vielleicht alles noch schlimmer gemacht hatten, drängte sich schüchtern in den Vordergrund. Doch ich schob die Bedenken gleich wieder zurück. Es war der klassische Kampf, Teufelchen gegen Engelchen und ich saß dazwischen. Ich sah Simi fest an und ergriff seine Hand, bevor ich antwortete.

„Ja, bestimmt. Aber irgendwie denke ich, dass wir da eine dumme Idee hatten. Jetzt schimpfen sie bestimmt nur noch mehr. Sicher wissen schon alle, dass wir weg sind. Sie suchen uns. Falls Herr Maihof uns nicht getrennt hätte, dann wird er es bestimmt jetzt tun. Er wird denken, dass ich nicht gut für dich bin. Ach, warum konnte ich nicht weiter gemein zu dir sein. Dann wäre das nie passiert.“

Simi starrte mich entgeistert an. Schüttelte heftig verneinend den Kopf und grinste plötzlich schelmisch vor sich hin. Seine Augen funkelten und zogen mich wie immer in ihren Bann, bevor er wieder ernst wurde und meinte:

„Weißt du, das musste so sein. Wir gehören zusammen. Das hat jemand anderes bestimmt. Wenn sie uns finden, sind sie glücklich. Dann schimpfen sie nicht mehr so fest. Aber sie müssen uns selber finden.“

„Möchtest du immer auf der Flucht sein? Wo wollen wir hin?“ Ich war verzweifelt und ja, ich hatte Angst. Simi schien das nicht zu kümmern, denn er strahlte mich nur an.

„Wir gehen zu Mama Bethli. Sie passt auf uns auf. Ganz einfach.“

Seine Zuversicht war niedlich, aber ich konnte dem nicht so zustimmen. Immerhin waren wir beide eingeschränkt, ich in meiner Bewegungsfreiheit und Simon hatte eine geistige Schwäche. Das wir behindert waren, erkannte man ja sofort und bestimmt würde die Polizei uns suchen, denn ein auffälligeres Paar als uns, gab es bestimmt nicht oft. Ich versuchte, das Simi klar zu machen, aber er hörte nicht zu. Was ich sagte, wischte er mit einer Handbewegung einfach weg. Er war felsenfest überzeugt, dass meine Mutter uns Asyl gewähren würde. Schließlich hatte sie ihn ja gern. Basta.

Ihn vom Gegenteil zu überzeugen hatte keinen Sinn, das spürte ich und so schwieg ich. Wir genossen für eine Weile das Treiben der Touristen und spazierten auf dem Berg herum. Dadurch verpassten wir natürlich die letzte Gondel. Zugegebenermaßen, weder Simi, noch ich wollten wirklich weg. Die friedliche Stimmung behagte uns sehr und wir suchten einen Platz zum Kampieren. Wir wollten wenigstens noch die Sterne betrachten. Wenn wir nicht zu ihnen reisen konnten, dann wollten wir unter ihnen liegen und ihnen Geschichten erzählen.


Was wir zu diesem Zeitpunkt nicht wussten - man suchte uns bereits. In den Medien wurde unser Bild gezeigt und da wir ein ziemlich besonderes Paar waren, gab es genug, die sich an uns erinnerten.

10. Stärneklari Nacht, Markus


Eng aneinandergeschmiegt saßen wir da und bewunderten den Sonnenuntergang. Je dunkler es wurde, desto mehr Sterne blitzten auf. Neben uns bimmelten die Glöckchen einer Geissenherde und gaben dem Ganzen eine feierliche Stimmung.

Jeder Stern, der aufblinkte wurde von uns begrüsst. Wahrscheinlich würde jeder das albern finden, aber für Simi und mich war es mehr als nur ein Spiel. Es verband uns. Die Sterne, unser Raumschiff, die Reise zu ihnen, die so abrupt endete ...

Es war so dunkel auf dem Berg, dass man nichts mehr erkennen konnte, ausser den Sternen, die umso kräftiger funkelten und blinkten. Die Milchstrasse leuchtete so hell, dass es eine wahre Pracht war. Hin und wieder jagte eine Sternschnuppe über den Himmel und wir konnten sogar mit blossem Auge einige Satelliten entdecken, die um die Erde kreisten und von der Sonne angeleuchtet wurden.

Zumindest so lange, bis der Mond hinter dem Säntis aufging. Seine immer noch fast runde Scheibe beleuchtete die Umgebung und beinahe hätte man sogar ein Buch lesen können. Das ganze Schauspiel war einfach überwältigend. Doch zu Simis bedauern sah man, dank des Mondes, die Sterne nicht mehr so schön und wir schmusten einfach miteinander.

„Wenn wir die Sterne nicht mehr sehen, dann können sie vielleicht uns sehen. Dann sehen sie, wie lieb wir uns doch haben. Sie passen auf uns auf, gell?“

Ich konnte Simi da nur beipflichten und schon bald lagen wir nackt, wie die Natur uns geschaffen hatte, auf der Wiese. Zärtlich und liebevoll vereinten wir uns, wurden eins mit dem Universum und wurden emporgetragen auf den Schwingen unserer Liebe und unserer Lust. Wir sahen die Sterne, andere als die am Firmament, wurden ein Teil von ihnen und die sternenklare Nacht wurde Zeuge unserer Vereinigung.

Matt und träge kuschelten wir uns danach aneinander und schliefen ein.



11. Gefunden, Markus


Ein kalter Luftzug weckte mich und ich blinzelte verschlafen. Wo waren wir? Nur langsam erinnerte ich mich. Meine Gedanken schliefen noch, doch das feuchte Gras half mir schnell auf die Sprünge. Simis Körper spendete mir zwar Wärme, da wo wir uns berührten, aber sonst fröstelte es mich. Simi regte sich auch, zog mich fester an sich heran, so als suchte er auch nach etwas mehr Wärme. Ich war viel zu träge, um auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, Kleider anzuziehen, und schlief wieder ein.

Das nächste Mal, als ich wach wurde, spürte ich eine Decke auf meinem Oberkörper. Simi lag immer noch dicht an mich geschmiegt da. Sein Kopf lag an meiner Schulter und die Decke bedeckte unsere Körper. Verwundert sah ich mich um und zuckte zusammen, als ich Herrn Maihof etwas oberhalb von uns, auf einem Stein sitzend, entdeckte. Simi spürte meine Bewegung und blinzelte verschlafen.

„Müssen wir schon auf? Ich will noch schlafen ...“, murmelte es neben meinem Ohr und ich bemühte mich, die aufkommende Panik zu unterdrücken. Liebevoll streichelte ich über sein Haar, es war mir grad egal, was Herr Maihof von uns dachte und küsste Simis Stirn.

„Ich fürchte schon. Simi, wir sind nicht allein. Herr Maihof ist da. Die Flucht ist vorbei ...“, flüsterte ich ihm leise zu. Augenblicklich war Simi hellwach, sprang erschrocken auf und starrte mit großen Augen auf unseren Chef, der mit einem freundlichen Lächeln auf uns hinab sah. Simi wurde sich bewusst, dass er keine Kleider an hatte. Hektisch zog er die Decke von mir und wickelte sich ein.

„Nicht schimpfen, Chef. Du darfst Mar-Kuss nicht wegschicken. Er ist doch mein Schatz“, stammelte er immer wieder. Herr Maihof hatte bis jetzt kein Wort gesagt und uns nur beobachtet. Simi stand, in die Decke gewickelt da, wie so ein römischer Feldherr in seiner Toga und ich musste trotz des Ernstes der Lage, schmunzeln.

Herr Maihof hatte noch kein Wort gesagt, aber nun kam er zu uns herunter, setzte sich neben mich und bat Simi, sich ebenfalls hinzusetzten.

Verwirrt, dass er nicht gleich loswetterte, setzte sich Simi wieder und war wenigstens so nett und legte die Decke um uns beide. Mir war es ja auch peinlich, dass uns Herr Maihof im Adamskostüm vorfand und ich war froh darum. Dann wandte sich Herr Maihof an uns.

„Guten Morgen, erst einmal. Na, da habt ihr uns ja einen schönen Schrecken eingejagt. Was habt ihr euch nur dabei gedacht?“, fragend musterte er uns, doch weder Simi noch ich brachten auch nur ein Wort raus. Er schwieg und endlich schien Simi seine Stimme zu finden.

„Du darfst Mar-Kuss nicht wegschicken, wir wollten doch nur die Sterne besuchen. Ihnen Geschichten erzählen. Damit sie nicht so allein sind.“

Ich spürte, wie mich Simi fester an sich zog und der trotzige Ausdruck, der über sein Gesicht huschte, entlockte mir ein stolzes Lächeln. Er war so tapfer, während ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Herr Maihof runzelte die Stirn und ich suchte schon gedanklich ein Loch, wo wir uns verkriechen konnten. Dann seufzte unser Chef und schüttelte den Kopf.

„Ach Simon, hast du wirklich geglaubt, wegen diesem Lausbubenstreich würde ich Markus wegschicken?“ Simi nickte, dann schien es ihm zu dämmern.

„Oh, Chef, du willst meinen Mar-Kuss behalten? Er muss jetzt nicht fort?“

Herr Maihof lächelte uns aufmunternd zu.

„Nein, Markus muss nicht weg. Ihr habt halt einfach alle erschreckt und wir haben uns Sorgen um euch gemacht. Stellt euch vor, es wäre was passiert? Wenn ihr verletzt gewesen wärt? Ich war so froh, als wir euch heil gefunden haben. Natürlich war ich auch wütend, für einen Moment. Darum wollte ich darüber schlafen. Dem Schuppen ist zum Glück nicht viel passiert, aber es hätte auch ins Auge gehen können. Warum nur seid ihr abgehauen? Jungs, ich bin vor Angst beinahe gestorben, als wir euch nirgends finden konnten. Markus, dein Vater und deine Mutter sind extra hergekommen, als ich sie anrief und von eurem Verschwinden erzählte. Sie warten übrigens beim Restaurant. Ich wollte allerdings zuerst mit euch allein reden, schließlich möchte ich doch meinen besten Mann in der Küche und den aufstrebenden Rezeptionisten im Hotel nicht verlieren. Und so wie ich euch gefunden habe, war es ganz gut so. Ich würde sagen, ihr zieht euch mal an und dann gehen wir zum Restaurant zurück.“ Er zwinkerte uns zu und ich grinste verlegen.

Mittlerweile hatte ich auch meine Stimme wiedergefunden und wollte wissen, wie er uns gefunden hatte, denn von unserem Platz her, war vom Restaurant und von der Gondelbahn nichts zu sehen. Ein wehmütiger Ausdruck huschte über sein Gesicht, bevor er antwortete:

„Weißt du, Markus, ich kenne diesen Platz. Hier habe ich meiner Frau einst die ewigi Liebi gestanden. Ich hoffte einfach, dass ihr dem Zauber dieses Ortes nicht widerstehen konntet. Als ich den einsamen Rollstuhl da oben entdeckte, zählte ich eins und eins zusammen und fand euch hier.“

Danach ließ er uns alleine und Simi brachte mir meine Klamotten. Simi war richtig aufgeregt, vor lauter Freude, dass wir nicht getrennt werden sollten, und küsste mich immer wieder. Dabei plapperte er aufgeregt auf mich ein. Wir waren beide sehr glücklich, dass die Geschichte bis jetzt glimpflich ausgegangen war. Simi zog mich in seine Arme und während er mich zum Rollstuhl trug, wo Herr Maihof auf uns wartete, raunte er mir zu:

„Siehst du, ich hab es gesagt, die sind glücklich, wenn sie uns finden.“

Ich konnte nicht anders als ihm beipflichten, doch obwohl es ja bis jetzt gnädig ablief, machte ich mir durchaus Gedanken, was meine Eltern wohl dazu sagten. Ich teilte Simi meine Bedenken mit, aber er strahlte nur noch.

„Mama Bethli hat uns fest lieb, die schimpft nicht. Dein Papa kenn ich nicht so toll, aber bestimmt tut er nicht blöd.“

Simi hatte wirklich eine gute Meinung von meinen Eltern und seine Zuversicht gab mir Mut. Ich hoffte nur, dass er Recht hatte. Ich wusste sehr wohl, aus der Zeit nach meiner Reha, dass beide sehr wohl anders sein konnten. Aber das behielt ich für mich, denn ich wollte ihm seine Freude nicht verderben. Mein schlechtes Gewissen musste ja für uns beide reichen, denn Simi schien es kein bisschen zu kümmern. Herr Maihof hatte gesagt, es wäre gut und somit war für sein einfaches Gemüt alles klar.


Herr Maihof wartete in meinem Rollstuhl sitzend auf uns und erhob sich, als wir endlich kamen. Er boxte mich spielerisch auf die Schulter und fand, einen angewärmten Sitzplatz würde ich wohl nicht verachten. Ich musste kichern, ehrlich gesagt, spürte ich das nicht einmal, aber das schien ihn nicht zu kümmern. Wir machten uns zusammen auf den Weg zum Restaurant, wo sich schon die ersten Gäste versammelt hatten. An einem der Tische saßen meine Eltern und Schwester Yvonne, die uns erwartungsvoll entgegen sahen. Ich machte mich in meinem Rolli so klein wie möglich und Herr Maihof amüsierte sich köstlich über mein Verhalten. Simi jedoch strahlte die Wartenden an, als wäre nichts geschehen.


Meine Mutter war die erste, die auf uns zukam und bevor sie etwas sagen konnte, hatte Simi sie begeistert in seine Arme gezogen und drückte ihr einen Schmatzer auf die Backe.

„Hallo Mama Bethli, ich freue mich, dass du da bist.“ Meine Mutter war so überrumpelt, dass sie seine stürmische Begrüßung einfach erwiderte.

„Ja, mein Großer, ich freue mich auch. Aber was macht ihr denn für Sachen?“ Dabei drückte sie ihn ebenfalls fest, was eigentlich witzig aussah, denn sie war ja um einiges kleiner als Simi. Der strahlte mich mit glänzenden Augen über ihren Kopf hinweg zufrieden an.

„Siehst du, Mar-Kuss, ich habe es dir gesagt. Mama ist nicht böse.“

Meine Mutter stemmte ihre Arme in die Seite und machte ein ernstes Gesicht.

„Mit dir Simi bin ich nicht böse, aber was mein Junior sich dabei gedacht hat, möchte ich schon noch erfahren. So einfach kommt mir das Bürschchen nicht davon. Haut einfach ab, nur weil es Schwierigkeiten gibt? So was hätte ich wirklich nicht erwartet! Ich dachte immer, er hat mehr Mum im Füdli!“

Simi sah sie erschrocken an und ich wollte mich gerade verteidigen, als wir bei dem Tisch ankamen, wo der Rest vom Begrüßungskomitee wartete. Mit hochrotem Kopf und einem verlegenen Lächeln nuschelte ich ein 'Hallo' in die Runde und stellte mich auf die Schelte ein, die ich zu Recht erwartete. Immerhin hätte ich ja darauf bestehen sollen, dass wir blieben und nicht abhauten. Aber wir hatten ja beide so viel Angst, dass es mir am Vortag am einfachsten schien, Simis Vorschlag auszuführen. Ein Tag auf der Flucht, aber es war ein schöner Tag und ich bereute es ehrlich gesagt, keinen Moment.


Schwester Yvonne schluchzte erleichtert auf, als sie uns heil sah und mein Vater schüttelte nur den Kopf. Nachdem ich alles gebeichtet hatte, beruhigte er sich allerdings wieder und schon bald mussten wir alle Einzelheiten von unserer Bergtour berichten. Naja, das Schönste verschwiegen Simi und ich natürlich, denn das ging nun niemanden etwas an. Herr Maihof hatte auch eine besänftigende Wirkung auf alle Anwesenden und ich rechnete es ihm hoch an, dass er versuchte, ein gewisses Verständnis aufzubringen.

Er erzählte, dass er von unserem Raumschiff schon lange wusste, weil Radschi ihm verraten hatte, was wir im Schuppen trieben. Aber erst, nachdem er die Feuerwerksraketen gefunden hatte, hatte Radschi sein Versprechen, nichts zu sagen, gebrochen. Er sorgte sich, ob wir damit nicht etwas Dummes anstellen würden. Herr Maihof dachte zuerst, wir hätten sie für die 1. August-Feier gekauft und war dann erstaunt, dass wir das Feuerwerk am 1. August nicht in die Luft jagten. Darauf hatte er den Schuppen inspiziert. Mich wunderte, dass er nichts vorher gesagt hatte, aber er meinte, dass er halt neugierig war, was wir mit den ganzen Böllern und Raketen vorhatten.

Wir erfuhren auch, wie es dazu kam, dass wir hier auf dem Kronberg gefunden wurden. Anscheinend hatte der Wirt des Restaurants die Vermisstenmeldung gesehen und sich gleich an uns erinnert. Er hatte dann die Polizei angerufen und die hatte sich mit unserem Chef in Verbindung gesetzt. Herr Maihof sorgte dafür, dass nicht ein Großaufgebot von Rettungskräften nach uns suchte und versprach, gemeinsam mit unseren Angehörigen, uns wieder einzusammeln. Der Rest hatte sich dann von allein ergeben.

Nach dem ausgiebigen Frühstück fuhren wir mit der Gondelbahn runter und am späten Nachmittag kamen wir wieder in Weissbad an. Meiner Mutter, die ja noch nie hier war, gefiel das Hotel und sie beschloss, kurzerhand noch ein paar Tage zu bleiben. Mein Vater musste jedoch wieder zurück und da Herr Maihof mich ja auch weiterhin behalten wollte, war der Fall klar.

12. Stärnereis, Markus


Ganz ungeschoren sind Simi und ich dann doch nicht aus der Geschichte rausgekommen. Um eine kleine Strafe kamen wir nicht herum. Nicht wegen dem Ausbüxen, sondern weil der Schuppen etwas abbekommen hatte. Eine Rakete hatte sich ins Innere verirrt und ein beträchtliches Chaos verursacht. Zum Glück nichts Schlimmes, aber wir mussten den Schuppen aufräumen und neu streichen. Simi und ich hatten schnell herausgefunden, wie wir das am besten bewerkstelligen konnten. Ich strich den unteren Teil der Wände und Simi den oberen. So wurde Radschis Lager zu einem schmucken Raum und Herr Maihof beschloss, dass man den Schuppen für besondere Anlässe, als Apérobar, nutzen könnte und viel zu schade war, dass er nur für Gartengeräte genutzt wurde.

Somit hatte unser Abenteuer auch noch was Gutes bewirkt.


Das Tollste aber war, unser Raumschiff hatte das Interesse eines Gastes geweckt. Es stellte sich heraus, dass Herr Mörgeli, so hieß der Gast, für das Planetarium im Verkehrshaus Luzern verantwortlich war. An einem Nachmittag, Simi und ich genossen unsere Zimmerstunde und faulenzten auf der Sonnenterrasse, setzte er sich zu uns und fragte uns aus. Wir erzählten ihm von Simis Wunsch, den Sternen Geschichten zu erzählen. Ihm gefiel unsere Geschichte so gut, dass er uns einlud, das Planetarium zu besuchen. Wir durften sogar Freunde einladen. So kam es, dass an einem schönen Herbsttag, Anfang Oktober, ein Bus mit den Kindern und Betreuern aus dem Heim von Schwester Yvonne sich auf den Weg nach Luzern machte. Herr Maihof war natürlich auch eingeladen und begleitete uns.

Im Verkehrshaus wurden wir als Ehrengäste begrüßt und Herr Mörgeli ließ es sich nicht nehmen, uns alle persönlich auf der Führung zu begleiten. Die Raumfahrtabteilung war natürlich für Simi das Größte. Mit leuchtenden Augen besah er sich die Exponate und wollte kaum mehr aus der Raumfahrtabteilung raus. Erst als Herr Mörgeli ihn mit der Planetarium-Vorführung lockte, trennte er sich schweren Herzens von der Ausstellung.

Auf dem Weg zum Planetarium fand er, dass unser Raumschiff nie hätte funktionieren können. Als ich ihn fragte warum, sah er mich mit einem mitleidigen Blick an, so dass ich lachen musste.

„Mar-Kuss, hast du nicht gesehen? Unser Schiff war ganz eckig, aber die haben runde Röhren! Darum sind wir nur über den Boden gehüpft!“ Sein Entsetzen über meine Unwissenheit brachte mich nur noch mehr zum Lachen und er brummte beleidigt:

„Ja, du lachst. Aber du musst doch das gewusst haben! Warum hast du nichts gesagt?“ Ich sah zu ihm hoch und zwinkerte ihm zu. Dann bat ich ihn, vor mich zu kommen, damit ich ihn sehen konnte. Als er mit finsterem Blick vor mir stand, nahm ich seine Hand.

„Simi, glaub mir, auch ich weiß nicht alles. Aber es war ein tolles Raumschiff, auch wenn es nicht richtig geflogen ist. Es hat mich zu dir gebracht. Wir sind Freunde geworden. Das ist viel wichtiger, als jeder Stern, der am Himmel zu sehen ist. Du bist mein Stern geworden. Du hast mich glücklich gemacht. Nur du, keiner dieser Planeten da oben. Du bist meine Sonne und ich habe dich so lieb, dass ich dich mit keinem da oben, Teilen möchte. Vielleicht habe ich es darum nicht gesagt?“

Simi sah mich mit großen Augen überrascht an und ich spürte genau, was er dachte

„Dann bin ich wichtiger, wie die Sterne? Das ist gut, denn ich habe dich auch ganz fest lieb. Sicher ist es gut, wenn ich dich mit den Sternen nicht teilen muss. Stell dir vor, einer der Sterne wollte dich behalten? Dann muss ich allein reisen und das will ich nicht. Nein. Du hast recht, es ist wohl besser so.“

Im Planetarium war für unsere ganze Gruppe ein Teil reserviert und Basti und ich bekamen für unsere Rollstühle einen eigenen Platz. Simi hielt meine Hand und als es dunkel wurde im Saal, hörten wir ein ehrfürchtiges „Aaah“, das von einem der Kinder kam.

Bevor die Show losging, trat Herr Mörgeli zum Podest und hielt eine kurze Rede und kündigte eine Änderung des Programms an. Er hatte extra für Simi eine eigene Show kreiert und die sollte nun gezeigt werden. Die anwesenden Besucher applaudierten, als er Simi zu sich auf das Podium rief. Mein großer Kerl stand ganz unsicher da und blickte sich hektisch im Saal um. Wie ein kleines Schulkind bei seiner ersten Aufführung, wechselte er von einem Bein zum anderen und knetete nervös seine Hände. Irgendwie tat er mir leid, aber Herr Mörgeli lenkte ihn so geschickt mit Fragen über seine geplante Sternenreise ab, dass er die Zuschauer vergaß und ruhiger wurde. Dann musste ich auch zu dem Steuerpult in die Mitte des Saales. Simi bestand darauf, dass ich, sein Freund und Helfer, auch eine wichtige Rolle dabei gespielt hatte.

Ehrlich, ich war in meinem ganzen Leben noch nie so gerührt, wie in diesem Moment und als wir wieder zum Platz zurückkehrten, wischte ich mir verstohlen ein Tränchen weg, dass sich seinen Weg über meine Wange bahnte. Simi bemerkte es aber doch und sah mich fragend an.

„Warum bist du so traurig?“

„Ich bin nicht traurig, Simi, ich bin nur überglücklich. Das war so schön und ich finde, Herr Mörgeli hat uns etwas ganz Besonderes geschenkt.“

Simi dachte kurz nach, dann meinte er:

„Dann ist es so wie bei Mama Bethli? Sie weint auch immer, wenn sie glücklich ist. Bist du darum ihr Sohn?“

Ehrlich, wer kann da widerstehen? Ich lächelte meinen Freund an und nickte. Warum ich ihr Sohn bin, das werde ich ihm ein anderes Mal erklären.


Die Show ging los und Herr Mörgeli begleitete die Show mit seinen Kommentaren. Er führte die Anwesenden durch die unendlichen Weiten des Alls und als die Vorführung fertig war, seufzte Simi:

„Zum Glück hat das nicht geklappt. Stell dir vor, wenn wir gelandet wären und es hat keine Luft, dann wären wir jetzt ohne Luft tot. Oder die, wo so heiß sind, nein, das war gut so. Ist wirklich besser, wir sind hier geblieben.“

Nun, dem konnte ich nur zustimmen.


Im Souvenir-Shop kaufte ich ein Modell des Space Shuttle und Simi fand ein Planetenmodell unseres Sonnensystems, dass er unbedingt wollte.

„Weißt du, dann erzählen wir denen halt eine Geschichte. Die sind dann ganz nah bei uns und hören uns.“


Soweit ich mitbekam, gefiel die Reise allen und Basti, der auf einmal neben uns auftauchte, vermittelte uns mit seinem Sprachcomputer, dass er beobachtet hat, wie Herr Maihof und Schwester Yvonne heimlich turtelten. Er schien sich sehr darüber zu freuen und untermalte die blecherne Stimme mit heftigen Zuckungen seiner Arme. Emilia, ein hübsches Mädchen mit Down Syndrom, das schon länger völlig in Basti vernarrt war, wich den fuchtelnden Bewegungen aus, bevor sie sich wieder von der Seite an ihn schmiegte und ihm einen liebevollen Kuss auf die Wange gab. An seinen Bewegungen erkannte ich, wie sehr ihm die Vorstellung, dass sein Vater vielleicht in Schwester Yvonne verliebt war, gefiel. Simi fand das auch schön, denn Schwester Yvonne war ja für ihn nicht nur seine Tante. Er nannte sie oft Mama Yvonne, vor allem, seit er meine Mutter kannte. Emilia und Basti brachten mich zum Schmunzeln und der Verdacht, dass Simi und ich vielleicht für diese Beziehung ein Vorbild waren, drängte sich unweigerlich auf.

Der spannende und für alle aufregende Tag wurde von einem feinen Abendessen auf dem Weg nach Hause abgerundet und müde und glücklich kamen wir spät am Abend wieder an. Für alle Beteiligten war es ein voller Erfolg, auch wenn die Betreuer noch einiges zu tun hatten bis die ganze Bande im Bett war. Aber ich glaube, es war allen egal, denn der Tag war einfach zu schön.

Simi durfte an diesem Tag im Planetarium zu den Sternen reisen und sein größter Wunsch hatte sich erfüllt. Ich glaube, an diesem Abend war er der glücklichste Mensch auf der Welt. Und ich war es ebenfalls, denn sein Glück war nun auch das meinige.

Ihm hatte ich es zu verdanken, dass ich Frieden mit meiner Behinderung schließen konnte und seine Kraft half mir, auch die größten Hindernisse zu überqueren. Nie hätte ich gedacht, dass ich so einen lieben Partner finden würde, der mich einfach so akzeptierte wie ich war. Wo ich mir selber im Weg stand, war es sein sonniges Gemüt, das mich auf den rechten Weg zurückführte. Seine Beine waren nun auch meine und mein Kopf reichte auch für uns beide. Wir haben uns gefunden und wurden eins.



Kleines Lexikon für die Schweizer Ausdrücke in der Geschichte





REGA: Schweizer Rettungsflugwacht, bei Gönnermitgliedern, die jährlich einen kleinen Beitrag bezahlen, werden auf der ganzen Welt die Rettungskosten übernommen. Auch ausländische Touristen können davon profitieren und Mitglied werden. Für ihre, oft dramatischen Rettungsaktionen im Gebirge, bei denen die Hubschrauberflotte zum Einsatz kommt, ist die REGA ebenfalls bekannt und hat so schon viele Bergsteiger aus Notsituationen befreit.

Schlitteln: Schlitten fahren

Habasche: Idiot, meist der besserwisserischen Art

Kondukteur: Schaffner

Konfischnitte: Brot mit süßem Aufstrich

Giggeln: Kichern

Staggelen: Stottern

Z'Mittag: Mittagessen

den Rank finden: Sich mit etwas abfinden, einen Weg finden

en Seich: Blödsinn

Mum im Füdli: Mut im Hintern





Impressum

Texte: E.R.Thaler
Bildmaterialien: E.R.Thaler
Lektorat: AnBiÖz, Bernd Schroeder
Tag der Veröffentlichung: 14.07.2016

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ein grosses Danke gilt vor allem Biggy, für ihre beratende Unterstützung und Bernd Schroeder. Gemeinsam haben sie ein Auge auf meine Fehler geworfen und so einiges ausgemerzt, dass den Lesefluss gestört hätte. Eine besondere Widmung schenke ich allen Leserinnen und Leser, die mich mit ihren Kommis immer weiter anspornen. Gerne möchte ich mich hier, an dieser Stelle, bei allen dafür bedanken und freue mich, wenn die Geschichte viele Leser findet.

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